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Grobskizziert – Schwedt: Versunkene Spuren, lohnendes Warten und das Blau in den Auen

Da ist er endlich – dieser Zeitpunkt im Jahr, wo gleichermaßen scheinbar und tatsächlich ein Schalter umgelegt wird, der Tagesrhythmus und Licht verändert, mehr und mehr die Gesichter aller Passanten öffnet und Aufbruch in verschiedensten Dingen mit sich bringt. Ein schöner Moment, der meist dicht nach den Winterferien kommt und ab dem man nun wirklich keine Weihnachtsbeleuchtung mehr sehen möchte.

Am Rand von Schwedt

Da sämtliche Wochen des laufenden Jahres sich eher ausgewählten Schattierungen von Grau hingaben, anscheinend ohne Widerstand und stark durchfeuchtet, war er dann besonders schön – der erste sonnig-blaue Tag mit kalter Luft und warmer Sonne. Auch die Vögel haben sofort den Schalldruck erhöht, sodass selbst Frischluftvermeider mitbekommen müssen, dass sich etwas tut da draußen.

Oderdeich zwischen Fluss und Aue

Auf einen freien Tag mit solchem Wetter hatten wir lange gewartet, denn ein voradventlicher Besuch in Schwedt hatte eine Erkenntnis beschert, daraufhin große Neugier geweckt und baldiges Wiederkehren ganz oben auf den Zettel gesetzt – zwingend im positiven Sinne. Der Wetterprophet behielt Recht, und so ließ sich vor Ort das Spektakel stundenlang genießen.

Südlicher Polder bei Schwedt

Schwedter Oderpolder

Entlang der Oder gibt es, nach niederländischem Vorbild, ausgedehnte Flächen, die vollständig von Deichen umgeben sind. Die sogenannten Polder dienen vorrangig dem Hochwasserschutz der flussnahen Ortschaften, da sie sich bei Hochwasser über Öffnungen in den Deichen vollständig fluten lassen und somit eine Menge Wasser auffangen können. Nebenher sorgt das Umleiten der Oderfluten für die Düngung der weiten Flächen, reinigt das Flusswasser und schafft Lebensräume für verschiedenste Pflanzen und Tiere, vor allem natürlich für solche mit Flügeln. Die sind zwar temporär, doch die Tiere kennen das Spiel schon lange und wissen es sehr gut zu nutzen, wie die Erfahrung zeigt.

Blick übers flache Wasser nach Schwedt

Wer sich die Poldergebiete auf der Karte anschaut, sieht bereits auf den ersten Blick, dass Wasser schon von Hause aus eine flächige Rolle spielt, die endlosen Wiesen und Weiden westlich der Oder von Wasserzügen und Feuchtland durchzogen sind. Im Sommer kann man sich direkt durch dieses faszinierende Landschaftsbild hindurchbewegen und trifft trockenen Fußes auf spiegelglatt liegende Weiher, vom Wind gekräuselte Altarme oder krukelig-krumme Wassergebilde, welche durchaus die Phantasie anregen.

Blick in die südliche Oderaue

Dazwischen schaut hier und dort ein prächtiger Baum heraus, meist in der Hochzeit seiner Jahre, manchmal auch als rindenlose Baumruine, gebleicht und streichelglatt von Sonne und Wetter. An vielen Stellen gibt es weite Schilffelder, bei denen nicht klar ist, bis wohin sie reichen, ebenso wenig, ob da Wasser ist und wo. Hinreißende Wege führen mittenhindurch, die dringend einladen und häufig belohnen. Manchmal jedoch enden sie im Nichts oder an einem kleinen Oderstrand, vereinzelt auch am Weidezaun vor einer kaum bewegten Viehherde, die man besser in diesem Zustand belässt.

Versinkender Weg im verleiteten Oderwasser

Insbesondere nach Hochwasserzeiten kann auch stehendes Wasser das Ende der Schritte bedeuten, sei es nun konkret sichtbar mit Spiegel oder erst ein paar Meter später anhand Geräusch und nasser Schuhe zu bemerken, wenn der Untergrund noch stark durchtränkt ist. Doch der Versuch ist eigentlich immer lohnend, ganz gleich wie weit man kommt – schlimmstenfalls geht man auf demselben Weg zurück und entdeckt mit neuem Blickwinkel wieder andere Details.

Schwedter Oderpolder im Winter und Frühjahr

Im Winter sieht die Lage ganz anders aus und jeder, der hier Ausflüge plant, sollte sich an Wege halten, die etwas erhöht auf Deichen oder Dämmen verlaufen. Das schränkt die Auswahl an gangbaren Tagestouren gehörig ein, doch dafür sieht es hier noch dreimal mehr nach dem vollmundigen Wort Nationalpark aus wie ansonsten schon. Und klingt auch so, denn jeder Augenblick wird von verschiedensten Vogelrufen begleitet.

Farbfrohe Grenzbrücke zwischen Zoll und Schaschlik

Jeweils an einem Stichtag im November werden die Lücken im Oderdeich geöffnet. Das Wasser des ruhig dahinfließenden Stromes drückt sich mit Kraft durch die sogenannten Auslassbauwerke und lässt Seitentriebe ins weite Auenland austreiben, die beständig wachsen. Das Wasser sucht sich im Krabbeltempo seinen Weg durchs flache Gelände, welches nach Westen hin über ein hauchzartes Gefälle verfügt.

Oderdeich mit beidseitigem Wasser

Nach einer Woche ist davon fast nichts zu sehen und die meisten Wege liegen noch trocken. Wer sich jedoch um die Weihnachtszeit herum auf den Weg nach Schwedt macht, dürfte schon ins Staunen kommen angesichts der Wasserflächen, die sich teilweise kilometerweit aufspannen. Erfahrungsgemäß gibt es jedoch in diesen Wochen selten klares Wetter und das Licht ist ohnehin so knapp wie es nur sein kann. Wer also noch etwas Geduld aufbringt oder sich durch den mehrtägigen Festschmaus eher noch als Kriechtier empfindet, kann im Januar oder Februar bei zurückgekehrter Grundkondition das Ganze unter vollem Licht oder sogar mit Eisgang erleben.

Gefüllte Oderauen

Oben drüber ist immer etwas los am Himmel, erst für die Ohren, dann nach dem Kopfheben auch für die Augen. Dementsprechend sieht man häufig Leute mit gewaltigen Objektiven oder Spektiven samt Stativen herumpilgern. Die ganze Welt der großen Zug- und Wasservögel zeigt sich hier mit einigem Schaueffekt, schlägt Lärm, schimpft oder bezirzt, wirft sich in Schale oder macht sich im Balzritual zum Affen.

Trubel auf dem Oderdeich

Zwischen all den Großkalibern gibt es auch so manche Kleinere, die zwar für Laien nicht zuordenbar, doch nichtsdestotrotz sehr schön sind. Die Vielfalt der Geräusche ist so breit, dass man im sanften Freudentaumel selbst mit dem Grundbesteck durcheinanderkommen kann und das charakteristische Fluggeräusch der Schwäne schon mal anderweitig einordnet.

Blick übers Wasser nach Schwedt

Es lohnt sich, auf solche Tage mit guten Kontrasten zu warten, denn erst an diesen lassen sich sämtliche Feinheiten wahrnehmen, welche die Landschaft im Allgemeinen und die Wassersituation im Speziellen auffahren. Da stehen ausgewachsene Alleen mitten im Wasser, ein paar Minuten weiter verlieren altgediente Plattenwege ein paar Zentimeter an Höhe und versinken im Wasser, während die Grasnarbe noch zwei Steinwürfe länger den Wegverlauf anzeigt.

Landspitze zwischen Fluss und Kanal

Endlose Schilfflächen lassen im Unklaren, aus welcher Kategorie von Entfernung das ausgelassene Geschnatter der Enten herkommt. Gebogene Schilfgürtel mit begleitenden Bäumen lassen vermuten, dass links davon das Wasser bis zum Knie und rechts wohl eher bis zum Scheitel reichen dürfte. Während die markantesten Gebäude von Schwedt sich ansonsten hinter weitem Grün erheben, tun sie dies nun jenseits weiten Blaus oder über einem silbrig durchbrochenen Spiegel, für den der wasserkräuselnde Wind sorgt.

Eins der Auslasstore im Deich

Die Durchlaufzeit der Polder währt bis Mitte April. Dann werden die Tore entlang der fließenden Oder geschlossen und das Wasser kann in den folgenden Wochen über jene am Kanal ablaufen, hier und dort helfen noch einige potente Pumpanlagen mit. Irgendwann ist alles fließende Wasser draußen und das Verbliebene entspricht wieder weitgehend dem, was die topographische Karte zeigt. Danach beginnt die landwirtschaftliche Nutzung, die später im Jahr so manchem Storch ein gutes Auskommen sichert.

Kanalufer nördlich der Innenstadt

Wem nun vor lauter Landschaftseindrücken der Kopf überläuft, der kann sich jeweils an den Rändern kleine Pausen gönnen. Im ersten polnischen Dorf gleich an der Oderbrücke gibt es zum Beispiel Deftiges vom Grill, das manchmal etwas Wartezeit verlangt, weil nicht auf Vorrat vorgegrillt wird sondern frisch und solches eben seine Zeit braucht. Die Warteminuten lassen sich gut bei einem Rundgang durch die Welt der Zigaretten und Vogelhäuschen oder bei einem vorbereitenden Uferpäuschen auf der bequemen Mauer unterhalb der Brücke vertreiben.

In der Schwedter Innenstadt

Drüben in Schwedt kann man den Rückweg zur Stadt auf der Festlandseite entlang der Schlosswiesen nehmen, wo von der Schleuse an der Schwedter Querfahrt ein Pfad auf der Deichkrone verläuft, der die Stadt voraus sehr schön in Szene setzt. Später schließt die Uferpromenade an, die mit kleiner Unterbrechung bis zur Freilichtbühne des Theaters bei den herrlichen Freitreppen führt. Über die besuchenswerte Innenstadt mit ihrer gut verteilten Kunst im Stadtbild und den zeichnerischen Überraschungsmomenten an verschiedenen Fassaden muss ja hier nichts mehr geschrieben werden!

















Anfahrt ÖPNV (von Berlin):
Regionalbahn nach Schwedt (1,5-1,75 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): Autobahn bis Ausfahrt Angermünde, dann Landstraße (ca. 1,5-2 Std.)

Länge der Tour: ca. 15,5 km (Abkürzungen zwischen Mitte November und Frühsommer nicht möglich)

Hinweis: Manchmal kündigen Schilder eine Sackgasse oder einen nicht möglichen Durchgang an – nicht immer eindeutig, was Motorlose betrifft. Ursache sind meist Instandhaltungsarbeiten an den Deichwehren. Am besten erkundigen Sie sich im Vorfeld bei der Tourist-Information. Empfehlenswerter, weil tagesaktuell ist es, vor Ort nach entgegenkommenden Fußgängern oder Radfahrern zu schauen und direkt diese zu befragen. Im schlimmsten Falle ist auf dem Weg zurückzugehen, auf dem man kam.

Links:

Die Polder im Unteren Odertal

Schwedt-Tourismus

Faltblatt zum Poldersystem (PDF)

Einkehr: div. Möglichkeiten in Schwedt, Imbiss in Polen an der Grenzbrücke (z. B. Schaschlik)

Althüttendorf: Blattgold, zwei Portale und die Berge im Tal

Das bisherige Jahr war lang, mit all seinen Eigenartigkeiten – und ist gleichzeitig einfach so vorbeigerannt. Dabei waren alle Jahreszeiten mit einem guten Maß an Normalität ausgestattet. Davon abgesehen blieb es erstaunlich lange kalt, manche Mütze hatte bis in den späten Mai noch ihren Dienst zu verrichten. Zwischendurch gab es immer mal wieder brauchbare Mengen von Regen, sodass die Bäume in Stadt und Land ein wenig durchatmen konnten.

Kurz hinter Althüttendorf

So wie der Winter schneereich, der Lenz frühlingshaft und der Sommer badefreundlich waren, gibt sich nun auch der Herbst. Die schönen Seiten mit den Düften und Farben, blühenden Heiden und üppig behängten Obstbäumen standen schon Ende August in den Startblöcken und gehen derzeit dem großen bunten Finale entgegen. Danach beginnt für viele Gemüter der große Katzenjammer des grauen, klammen und dunklen Novembers. Für andere hingegen setzt sich die schönste Zeit des Jahres fort, mit weniger gesättigten Farben, dafür mit Mehraufwand an der Garderobe, denn mit rein in die Schuhe und Jacke an ist es nun nicht mehr getan.

Südliches Portal zu den Ihlowbergen

Wem es an gut beworbenen oder allseits bekannten Touristenzielen während der hellen Monate zu voll ist, dem öffnen sich jetzt all diese Türen für fast privaten Genuss. Freilich mit dem Preis, dass vieles nicht mehr offen hat, es also rundum etwas stiller ist. Doch dafür hat man speziell in den letzten anderthalb Jahren griffige Strategien entwickelt, um den Tag am Ende nicht hungrig zu verlassen. Durch Nutzung mitgebrachter Teller und Besteckteile lässt sich auch ein riesiger Spreewald-Döner stilvoll und ohne größere Fallverluste in der romantischen Atmosphäre eines Kahnhafens verschmausen, dem die schwindende Sonne die Lichter anknipst. Das laute und teils polternde Geschnatter der Tagestouristen wird durch das zurückgenommene der vorwinterlichen Enten ersetzt, die wie all Vogeltiere etwas leiser gestellt sind.

Am Rand der Kiesgrube

Wer die oppulente Farbsause der Laubwälder genießen will, ohne dafür gleich ein Ticket zur Ostsee zu lösen, erhält eine außerordentliche Darbietung schon im Grumsiner Forst, der seit einiger Zeit als ausgedehnter Buchenwald bekannt ist. Der große und recht ursprüngliche Wald, der gerade auf dem Weg zurück zum Urwald ist, liegt zwischen Joachimsthal und Angermünde und ist per Bahn gut über letzteres zu erreichen. Will man übrigens unterwegs gern Wissenswertes zum Welterbe-Wald und seinen Besonderheiten erfahren, gibt es von Zeit zu Zeit geführte Touren beim dafür zertifizierten Wanderjenossen, einem thematisch benachbarten Blog.

Blick in den Tagebau

Althüttendorf

Wer schon einmal den großen Grimnitzsee umrundet hat, ist dabei durch Althüttendorf gekommen, das je nach Windrichtung im akustischen Schatten der nahen Autobahn liegt und dessen Dorfbild unabhängig davon eine beständige Verträumtheit zeigt. Dabei blieben vielleicht die Wanderkirche und der hoch überm See gelegene Friedhof mit der mächtigen alten Eiche im Gedächtnis hängen, bei jüngeren Besuchen vielleicht auch die drei ehrfurchtgebietenden Damen am kirchnahen Dorfplatz. Die werden dort als Nornen bezeichnet und heißen damit ähnlich sonderbar wie sie aussehen.

Am Ufer des Großen Schwarzen Sees

Von Althüttendorf lässt sich eine facettenreiche Runde zum Grumsin schlagen, die eine Reihe besonderer Orte berührt. Der Name der Straße, auf der das Dorf durch ein steinernes Portal verlassen wird, übernimmt eine Vorschaufunktion, denn ihr Verlauf führt ohne weiteres Abbiegen Zu den Ihlowbergen. Der Weg dorthin überquert zunächst die Autobahn, wobei man gleich noch einmal tiefer durchatmen und sich freuen kann, dass für die nächsten Stunden keine Eile und kein Blick auf die Uhr den Tag bestimmt.

Tummelplatz bei Sperlingsherberge

Bei entsprechender Windrichtung dauert es zwar eine ganze Weile, bis man von den hochdrehenden Motoren im Viersekundentakt nichts mehr hört, doch im Blick kehrt schon vorher ausreichend Ruhe ein, denn die leicht hügelige Landschaft strahlt tiefen Frieden aus. Ohnehin bleibt über die gesamte Zeit der Eindruck, sich durch eine mit ungeheurem Budget gestaltete Parklandschaft zu bewegen, wird ein Titelbild natursinniger Lifestyle-Zeitschriften nach dem anderen durchgewinkt. Für gewisse Euphorie in der Wahrnehmung sorgen zahllose Formationen von Gänsen, die gerade hoch am Himmel ihre Entscheidung für die nächsten Monate treffen.

Grimnitzsee in der frühen Abenddämmerung

Die mehr und mehr überwachsene Pflasterstraße schwingt sich, vorbei am Langen Berg mit seinem schlichten Funkturm, durch Alleeränder mit Buschwerk und verschieden alten Bäumen, umrundet dabei eine große Weide mit wohlplatzierten Hute- und Einzelbäumen und gewinnt in einer sanften Hohlgasse an Höhe. Der Abzweig zu den Ihlowbergen verwundert insofern, als dass es nach unten geht und auch dort bleibt. Dass dennoch alles seine Richtigkeit hat, wird bald auf Tafeln klargestellt.

Aaltütendorf

Ihlowberge

Ob nun plausibel, logisch oder nicht, diese von Menschenhand geschaffene Geländefurche ist der erste der besonderen Orte am Weg und entführt in eine kleine eigene Welt. Durch ein Tor aus mammutschweren Monolithen tritt man ein in den kleinen Canon mit seinen lichten Birkengehölzen, sandigen Schwalbenhängen und dem steinernen Rund im Zentrum. Schon von Weitem zu sehen ist die Reihe markanter Drei-Mast-Gebilde, welche zunächst eindrucksvoll und schön sind, dann aus der Entfernung den Sinn ergeben, von dem vorher zu lesen war.

Hinter Althüttendorf

Kurz danach folgt das nördliche Steintor aus siamesischen Felszwillingen, dessen strahlenförmige Sprengkanäle fast schon künstlerisch beabsichtigt wirken. Ein Schafstall und Weidezäune verweisen auf wollige Landschaftspfleger, die hier manchmal an den Halmen rupfen und damit den Ort noch mehr zu einem Verweilort machen. Ein Apfelbaum mit reichlich Früchten über und unterm Stamm entlässt uns schnurpsend aus dem Tal der Berge.

Am Grund der Ihlowberge

Vom nächsten Feldweg fällt der Blick auf den Ausleger eines Tagebaus, den man nicht erwartet hätte inmitten dieser urigen und zugleich lieblichen Landschaft. Die Entlegenheit nutzen auch der Schützenverein und die Motocross-Piloten, die hier kaum jemanden stören dürften mit ihren jeweiligen Zündungslauten.

Die Wegentscheidung an der folgenden Gabelung ist weder einfach noch von Bedeutung, da sich beide Äste bald wiedertreffen. Der rechte ist absteigend, sieht bunter aus und versammelt dramatisch geborstene Weidenopas am Wegesrand, die scheinbar aus jedem Bersten neue Kraft schöpfen und skulptural weiterleben.

Steinplatz in den Ihlowbergen

Bald darauf beginnt ein sagenhaft schöner Feldweg in Richtung Groß Ziethenw, wo mit dem Besucher- und Informationszentrum zum Geopark die touristische Mitte der südlichen Grumsinregion liegt. Auch dieser gemütliche Alleeweg, der wie aus dem Leitfaden für die schönsten Wege gebaut scheint, wird von Wuchswerk verschiedener Höhe gesäumt und zieht die sanften Landschaftswellen nach, ohne gleich in den Waden zu zwicken. Über längere Zeit begleiten ihn junge Nussbäume, die im sanften Wind gerade die letzten fußsohlengroßen Blätter abwerfen.

Nördliches Portal

Während im Süden die tiefe Grube des Tagebaus konkret wird, überragt im Norden das Wipfelwerk des Gruminser Forstes die Landschaft und gibt eine ungefähre Vorschau auf den Fortschritt der Laubfärbung. Von fern sind Stimmen zu hören und in mehreren Richtungen lassen sich bunte Jacken ausmachen, getragen von Leuten verschiedener Generationen. Silber ist hier durchaus nicht die dominierende Note.

Weg nach Groß Ziethen

Kiesgrube Althüttendorf

Obwohl alle die Aussichtsplattform anpeilen, den zweiten besonderen Ort, wird sie gestaffelt erreicht und kann nacheinander genossen werden. Das Geländer ist kräftig, die Böschung mit grobem Gestein von hier befestigt. Von oben sieht es richtig nach großem Tagebau aus – weit hinten zeigen sich offene Flächen und schwere Technik für die Kiesernte, im Vordergrund zumeist brach liegende Gebiete, die schon von erster Vegetation bedeckt werden. Auch die flachen und tieferen Riesenpfützen gibt es, die großen Vögeln gute Nachtlager abgeben. Die Kanzel mit ihrem speziellen Blick ist ein kurioses und zugleich passendes Kontraststück hier im Geopark.

Blick zum Buchendach des Grumsin

Grumsiner Forst

Doch jetzt zieht der große Wald mit aller Macht und wir wählen den direkten Weg, der im sanften Anstieg und niemals ganz gerade zwischen Pfühlen hindurch zum Waldrand strebt. Beim Eintritt in den Buchenwald geht es sofort zur Sache, das Fest der Farben beginnt. Die Sonne sorgt mit Schattenspiel, durchleuchteten Blättern und großem Lichtpinsel für Üppigkeit in allem, was mit dem Laub der Bäume zu tun hat.

Unterwegs zur Aussichtskanzel

Im Randbereich geben sich die Wipfel noch zwischen grün und gelb über fahlbraunem Laubteppich, doch je tiefer es in den Wald hinein geht, desto mehr übernehmen die goldenen und goldbraunen Töne. Schon bald ist außer den glatten Stämmen der Buchen alles leuchtend golden, ganz gleich ob man den Blick hebt oder senkt. Der blaue Himmel tut das Übrige.

Aussichtskanzel über dem Tagebau

Das Ostufer des Großen Schwarzen Sees begleitet ein Weg, der unterhalb eines laubbedeckten Hanges verläuft. Hier zeigt sich eindrucksvoll das volle Spektrum – unten der dunkle Laubteppich, aus dem in dichten Abständen Steinbrocken in den Größen aller gängigen Kürbisarten ragen. Dazwischen liegt kreuz und quer großes Bruchholz und Geäst, leitet den Blick zu den Wurzelfüßen der Buchen und von dort an den grauen Stämmen direkt nach oben in die leuchtenden Kronen. Noch sind sie so dicht, dass kaum etwas vom Himmel durchscheint.

Blick in die Kiesgrube

Wer einen stillen Flecken gefunden hat, für einen langen Moment stehenbleibt und die Augen schließt, kann eines der anmutigsten Geräusche hier hören – fallende Buchenblätter. Aus der großen Höhe der Wipfel beschleunigen sie vom Gondeln übers Segeln zum Fallen und treffen schließlich am Boden auf den dichten Teppich derer, die früher dran waren. Da alles lose aufeinander liegt, bleibt es nicht beim Geräusch des auftreffenden Blattes, sondern wird zum feinsten Dialog, wenn alle Beteiligten aufeinander zu oder in sich zusammenrutschen. Klingt so beschrieben etwas spinnert, doch vor Ort ganz herrlich und macht direkt Lust auf ein paar Minuten Verlängerung der kleinen Darbietung.

Weg hinauf zum Grumsin

Bevor die Dämmerung einsetzt, sollte man jedoch den Kopf wieder geraderücken und die Augen öffnen, sich losreißen und zusehen, dass man aus dem Wald kommt, denn wenn es hier dunkel wird, dann wird es richtig dunkel. Und wer sagt, dass der Grumsin nicht auch ein Wesen sei? Zu beachten ist, dass im gesamten Wald nur eindeutige Wege benutzt werden sollten, damit die Werdung des Waldes zum Urwald durch nichts verzögert wird.

Im südlichen Grumsiner Forst

Sperlingsherberge

Eine schöne Art, den Grumsin zu verlassen, gibt es bei Sperlingsherberge, wo sich eine regelrechte Wegstufe durch eine markige Geländekante furcht und von draußen kommend an ein Portal erinnert. Gleich daneben befindet sich nun der dritte besondere Ort am Weg, der vor gar nicht all zu langer Zeit liebevoll gestaltet wurde.

Nebental im Grumsiner Forst

Verbunden durch freigemähte Wiesenwege gibt es hier eine riesige Sonnenuhr, einen freiliegenden Steilhang mit unmittelbarem Blick in die Erdgeschichte und regionale Besonderheiten, ferner ein Modell des hiesigen Geländeschnitts und schöne Rastbänke. Dazwischen wogen hochstehende Gräser, da und dort stehen Wacholderbäume wie Figuren im Park und weiter hinten lockt ein Bogen großer Stufen in die Wiesenhöhen. Wer noch nie Lust hatte herumzutollen, könnte erstmals in Versuchung geraten.

Am Großen Schwarzen See

Den schönen Weg von der Aussichtsplattform zäumen wir jetzt von der anderen Seite auf, haben die Nussbäume nun rechts und können nochmal einen Blick auf die Wipfelkappe des Waldes werfen, nun mit taufrischem Wissen um alles Schöne darunter. Aus dem Reich der Pilze hat sich übrigens nicht ein einziger sehen lassen, dafür fand sich eine letzte Mücke bereit für etwas Quengelei während der Rast.

Auch der Weg nach Neugrimnitz sieht nach Parklandschaft aus, was der Blick auf die Karte bestätigt. Eine Gruppe Radfahrer lauscht gerade dem wohlmodulierten Vortrag des Ältesten, der nach vielen Worten aussieht und sein Wissen verschmitzt weitergibt. Die Jüngsten dürfen Kraft ihrer Jugend sanft mit den Augen rollen, die zugehörigen Elternteile haben den Kopf ein wenig in den Nacken gelegt und stieren in den Himmel oder zählen ihre Fingernägel durch. Das Senken der Stimme zu einem abschließenden Satz kommt dann scheinbar schneller als erwartet, und Sekunden später fahren alle fröhlich weiter.

Uferweg am Großen Schwarzen See

Neugrimnitz

Am Ententeich biegen wir ab in die Straße Kellerberg. Vorbei am Dorfplatz, bei dem die meisten Eventualitäten im Jahreskreis bedacht wurden, senkt sich diese nun eine Etage tiefer und vollzieht dabei einen Wandel von nüchtern nach festlich, denn die begleitenden Ahornbäume geben der geschickt gepflasterten Straße das Antlitz einer Kurpromenade und tauchen alles in kräftiges Gelb. Allmählich rückt sich die Autobahn wieder in die Wahrnehmung, doch der Wind hat abgeflaut und etwas gedreht, sodass der Lärm bis zuletzt gedämpft bleibt.

Bei Sperlingsherberge

Gleich hinter der Unterführung lockt ein oft gegangener Weg zum Rand des westlichen Grumsiner Forstes, der von Wanderwegen weitgehend unberücksichtigt blieb und beim Durchstreifen etwas Pioniergeist einfordert. Doch die Beine sind heute schon so müde, dass nicht mal die Radfahrer und Fußgänger jenseits der Kuhweide ausreichend Neugier darauf machen, diesen ufernahen Weg noch heute zu erkunden. Wir bleiben also auf dem lauten Weg entlang der Autobahn, der trotz allen Lärms immer schon schön war und jetzt noch etwas aufgemoppelt wurde.

Althüttendorf

Bei den ersten Häusern von Althüttendorf lässt der Pegel nach, sodass wir abendliche Gänsescharen hören, ganz weit oben. Auf Höhe der flügellosen Bockwindmühle fällt der Blick durch die Apfelbäume unweigerlich zum Grimnitzsee, der heute vormittag blauer noch als blau war, jetzt unter den aufgezogenen Wolken silbrig schimmert und die Dämmerung herbeiwinkt. Weiter hinten rasten große Gänsescharen in der schilfigen Bucht, und je länger man hinschaut, desto mehr Schwäne lassen sich dazwischen entdecken.

Bei Neugrimnitz

Besser geht das gleich noch vom Eulenturm, vor dem in patinierten Lederpellen eine Horde nicht zu alter Biker steht, ausschließlich mit Gespannen. Vermutlich fünfzig oder sechzig Jahre alt sind die gewienerten Maschinen und lassen kernige Stimmlagen ohne Spielarten von Autotune erwarten. Die meisten der Jungs und Mädels lassen die obligatorischen Wannen vermissen, plaudern miteinander und kommen dabei ohne viel Text aus, der zudem vorrangig in Hauptsätzen angeordnet ist. Vermutlich Leute aus dem Norden.

Hinter Neugrimnitz

Nachdem wir wieder vom Ausguck abgestiegen sind, nickt eine dem anderen und der allen Übrigen zu, woraufhin die Maschinen eine nach der anderen angeschmissen werden. Nichts wirkt künstlich, nichts gewollt infernalisch. Es klingt einfach so, wie es klingen soll und summiert sich selbst im Chor der Aggregate nur wenig. Und dann sind sie auch schon weg und nicht noch eine Ewigkeit zu hören.

Abendlicher Grumsinsee bei Althüttendorf

Kurz vorm Dorf werden gerade ausgewählte Pferde kontrastierender Designs von der Weide geholt, andere bleiben über Nacht, wie es aussieht. Am kleinen Strand haben sich ein paar Pärchen auf den besten Plätzen verteilt und warten in der heranschleichenden Abendkühle ab, ob sich die Sonne wohl zu etwas Spektakel hinreißen lässt. Doch sie steht noch ziemlich hoch, der Himmel ist zudem verhangen und letztlich werden wohl nur die Geduldigsten belohnt – oder jene, die an eine kuschlige Decke gedacht haben.












Anfahrt ÖPNV (von Berlin):
Regionalbahn von Berlin-Ostkreuz über Eberswalde (ca. 1,25-1,5 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über Autobahn (ca. 1 Std.)

Länge der Tour: ca. 18,5 km (Abkürzungen gut möglich)


Download der Wegpunkte (–> Wegpunkte und Track folgen in Kürze)
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Weltnaturerbe Grumsin

Geopark am Eiszeitrand

Eulenturm (Vogelbeobachtung) Althüttendorf

Kiesgrube Althüttendorf

Einkehr:

Waldschänke, Althüttendorf (etwas außerhalb beim Ferienpark)
Imbiss Ortlieb, Althüttendorf

Neuzelle: Oderbarock, die idyllische Treibjagd und das Ballett der besonderen Füße

Der angenehm durchwachsene Sommer in Berlin zeigt sich luftig – zum einen hinsichtlich allerhand bewegter Luftmassen, zum anderen in Gestalt von Bürgersteigen ohne hohes Verkehrsaufkommen und breiten Hauptverkehrsstraßen, die sich auch abseits von Ampeln gut überqueren lassen. Die Bewohner der Stadt haben das Weite gesucht, das in diesem Jahr nicht ganz so weit ausfallen darf, und die Besucherscharen aus jeder Art von Übersee müssen sich zum großen Teil in Geduld üben und ihre Pläne eher auf das nächste oder übernächste Jahr vertagen.

Blick auf Neuzelle mit der Klosterkirche

Den Hiergebliebenen geht es da ähnlich zwiespältig wie den Syltern, Venezianern oder anderen Stammbewohnern einschlägiger Touristen-Hochburgen – einerseits ist es einmalig und friedenstiftend, den eigenen Heimatort mal halbwegs ohne Gedrängel selbst neu entdecken zu können, andererseits natürlich bedrückend, wenn man an alles denkt, was den Bach runtergegangen ist oder längerfristig die Nachfolgen nicht überdauern wird. Ein menschenleerer Platz zwischen Adlon und Brandenburger Tor oder eine lose gefüllte Straßenbahn M 10 in der Nacht von Freitag zu Sonnabend, ein Berghain ohne Schlange – faszinierend und gleichermaßen unheimlich.

Wiesen über Neumühle

Wer also seine geplante Langreise an Karibikstrände, bunte Kulturschmelztiegel oder Orte mit markigem Abenteuer-Aroma nicht antreten konnte, dem werden in diesem Wochen in den meisten Printmedien inländische Ziele und Aktivitäten schmackhaft gemacht. Für die meisten Leute sind die meisten davon mit einem altbackenen Geschmack im Antwortsatz auf die Urlaubsfrage verbunden, der ja für viele auch einiges Imagegewicht trägt.

Doch nun bietet sich eine seltene Gelegenheit, der Berechtigung dieses Geschmacks auf den Grund zu gehen, ohne ein mitleidiges Nick-Lächeln des auftrumpfenden Gegenübers zu riskieren. So tauschen zwei radelnde Duracell-Häschen die Tour längs über die britische Hauptinsel ein gegen eine mehrwöchige Reise vom allernördlichsten Punkt Deutschlands zum allersüdlichsten – vom Sylter Nordstrand zum Haldenwanger Eck bei Oberstdorf oder von Null auf Tausendneunhundert – und ernten reichlich Soci-Medi-Grinsedaumen. Ein bahnfahrender Eurotrotter schmeißt seine geplanten Schwedenwochen zugunsten des zauberhaften und langen Albsteigs über Bord und eine Liebhaberin von Mittelmeerinseln birgt mal wieder ein paar lange nicht besuchte Kleinode Brandenburgs, schlendert durch fränkisches Fachwerk oder erklimmt die Berliner Hütte im Zillertal.

Wer ohnehin gern innerhalb der Landesgrenzen bleibt und seit jeher Spaß daran hat, die Vielfalt zwischen den kleinsten Gesteinsbrocken des Strandsands und den größten in den Gipfeln der Alpen zu entdecken, wird in diesem Jahr staunen, wenn hier und da etwas mehr Betrieb herrscht oder man im Biergarten fümmunneunzig Sekunden länger auf sein kühles Getränk warten muss.

Neumühle

Untern den erwähnten Kleinodien in Brandenburg gibt es einige mit dem Anspruch auf Einzigartigkeit, im Gegenzug wird manchmal eine weitere Anreise fällig. Die muss im Falle guter Verbindungen zeitlich nicht länger ausfallen als solche zu gängigen Zielen wie Neuruppin oder dem Spreewald. Nach Neuzelle zum Beispiel braucht die Bahn vom Ostkreuz nicht mal anderthalb Stunden, und selbst von Prenzlau oder Wittenberge aus sind es tagesausflugstaugliche vier Stunden – wenn man halbwegs gerne auf der Schiene sitzt.

Neuzelle

Die Einzigartigkeit in Neuzelle liegt vor allem und unbestritten in der bayrisch prächtigen Klosterkirche mit all ihren Anlagen, die am Rand des platten Oderlandes steht, direkt unterhalb der kleinen, doch ausgeprägten Höhenzüge, welche den überschaubaren Ort durchziehen und umgeben. Über die Pracht und Schönheit der barocken Kirche lässt sich an zahlreichen Stellen nachlesen und über Bilder staunen. Auch der Kreuzgang, die in Stufen angelegte Parkanlage und alle sonstigen Gebäude des Klosters stehen dem kaum nach.

Schöner Rücken im hohen Grase

Am erhebendsten ist es, sich der Silhouette des Ortes von der Oder kommend zu nähern, wo die zahlreichen Türme zunächst dunstig in der Ferne liegen, kaum greifbar und eher einer Erscheinung gleichend. Nach und nach schärft sich der Kontrast, treten Details und Konturen hervor und werden mit jedem Steinwurf des Näherkommens konkreter. Das hinzubekommen soll an diesem Tag seinen Preis haben. Doch wird am Ende keine Frage stehen, ob es das wert war.

Wer nicht gleich zur Sache kommen muss und sich den Höhepunkt des Tages fast schon schmerzhaft bis zum Ende aufbewahren möchte, kann der beschriebenen Spur folgen. Vom Bahnhof sind es keine fünf Minuten, bis ein kleiner Bergweg erste Höhenmeter abfordert, die jedoch werden gleich darauf mit einem Blick auf die Klosterkirche und einen begrünten Höhenzug belohnt. Das war‘s dann auch fürs Erste. Durch schattigen Wald ziehen sich Pfade über den Priorsberg, vorbei an einer Sportanlage mit zeitweiligem Ausschank, wenig später am Denkmal für eine Berliner Frauenrechtlerin.

Blick von oben auf Neumühle

Winzige Pfadpassagen wechseln mit braven Wohnstraßen, bevor an einem großen Stall ein schnurgerader Feldweg beginnt, thematisch unterstrichen von würziger Landluft. Hinterm Wäldchen ragen aus dem niedrigen Korn vier aufrechte Ohren, zeigen sich für eine Sekunde zwei jugendliche Rehköpfe mit ihren schwarzen Augen. In der nächsten Sekunde liegen zwei beherzte Sprünge aus dem Stand und in der folgenden dann das urplötzliche Verschwinden, wie das so nur Rehe hinbekommen. Keine Ähre wackelt, nichts raschelt.

Im Wegewirr des Fasanenwaldes

Hinter einer morschen Scheune liegt leicht abfallend eine struppige Wiese, die auf den ersten Blick nichts Besonderes hat. Doch bald stocken die Schritte, ob der Farbenpracht, die es mit der einer Bergwiese gut aufnehmen kann. Zugleich angelegt und wild sieht diese Fläche aus, die nicht viel größer ist als hundert Meter im Quadrat. Auf dem kargen Boden drängelt sich eine Blumenvielfalt, die wiederum eine ebenso große Vielfalt von Insekten anlockt. Hatte man bisher das Gefühl, es gäbe weniger Schmetterlinge als in den letzten Sommern, wird das hier geradegerückt. Zwischen all den Bienen und Hummeln tummeln sich auch winzige und größere Käfer sowie Fliegen der eleganten Sorte, teils in schillernden Metallic-Farben, als kämen sie gerade aus der Lackiererei. Oder hätten sich in altertümliches Bonbon-Papier gekleidet.

Ernteballett bei Neuzelle

Doch für das größte Staunen sorgt zum einen die herrlich große Menge von Schmetterlingen, mehr aber noch die selten gesehene Mannigfaltigkeit der scheinbar planlosen Flügelschläger. Große und kleine, klassisch geformte und eher sportlich schlichte – und dann die Farben, die Muster, die Kontrast-Varianten! Einem Schmetterologen dürfte sich hier das Herz weiten, und auch Fotografen solcher Materie dürften stark ins Schwärmen, vor allem aber ins Knien kommen. Unsere diesbezügliche Ausstattung ist vergleichsweise kindlich, doch wir nehmen mit, was geht.

Auf den Höhen über Neuzelle

Nach diesem genüsslichen Nichtvorankommen folgt ein kurzer Abstieg. Die Blütenvielfalt weicht hier purer Blütenfülle in violett, die Sechsbeinigen werden nicht weniger. Unten an der Kapelle müssen wir erstmal wieder auf den Teppich kommen und nutzen das schattenspendende Vordach für eine erste Rast. Das schützt für die Länge des Verzehrs auch vor weniger niedlichen und nervig sirrenden Sechsbeinern, die uns frisch entdeckt haben, doch scheinbar eine gewisse Ehrfurcht vor dem Gottesdach hegen, zumindest fünf Minuten lang. Dann jedoch fällt jeder Anstand, und wir haben schlichtweg zu wenig Arme, um die Dürstenden auf Abstand zu halten. Also weiter.

Bergwiese vor Kummro

Kummro

Wie so oft an der imposant durchwirkten Geländekante am Rand des platten Oderlandes nehmen jetzt die Vergleiche zu höheren Bergregionen ihren Lauf, Stammleser dürften das aus früheren Beiträgen kennen. So erweist sich auch das schöne Kummro der Gebirgskulisse würdig, mit steilen Hängen, bunten Blumenwiesen und dem kleinen platten Talgrund. Viele Grundstücke unterhalb des Hanges haben mehrere Etagen, die je nach Kontostand mehr oder weniger gestalterisch ausgelebt werden. Wobei sich zeigt, dass kostspielige Details oftmals weniger zur gemütlichen Landlust-Illustration taugen, sondern eher die mit Patinacharakter. Der Kenner weiß, dass diese mitunter noch weit teurer kommen.

Farbknallige Schmetterlinge in der Wiese

Neumühle

Jenseits des Dorfbaches, der schmal und lebhaft gen Neuzelle plätschert, beginnt der schattige Weg zur Neumühle. Die liegt schön eingeschmiegt im Bachtal, direkt dahinter spannt sich zwischen den Waldrändern eine weite Wiese voller Gesumm und Geschwirr auf. Ein ufernaher Pfad ist vor lauter Vegetation nicht zu erkennen. Das Verbleiben auf dem breiten Fahrweg schenkt uns im Ausgleich gleich noch eine hinreißende Reh-Episode. Wieder schauen vier Ohren aus den dichten hohen Halmen der fußklammen Uferwiese, doch nicht gleich hoch. Das untere Paar ist kaum zu sehen.

Intensiver Blicktausch mit Muddern

Die Begegnung verläuft sehr ruhig, so als hätten Kitz und Ricke in verbalfreier Verständigung für die Taktik der Unauffälligkeit entschieden. Ein direkter, tiefer Blick zwischen der Alten und uns hält lange an, so einer, dem dann meistens das vorhin erlebte Aufspringen und Enteilen folgt. Doch die beiden bleiben der gewählten Methode treu und entfernen sich langsam Richtung Ufer, wie auf Zehenspitzen mit dem zugehörigen, leicht waalkes’schen Gang. Die Ohren sind noch lange zu sehen.

Pfad an der Neumühle

Neben der Mühle führt ein reizvoller Pfad entlang des Zauns. Am Ende möchte man gern dem Wegweiser zur Schwerzkoer Mühle in den schattigen Weg folgen, der direkt und gefühlt mit nassen Füßen dem Bachlauf folgt. Der tränkt hier viel Waldboden zu schwarzem Modder. Folgerichtig ist da der unmittelbare Venenzugriff dutzender Winzlinge, die scheinbar schon alles Nutzvieh der Umgebung leergesogen haben und ohne jegliches Sondieren zum Stich schreiten.

Wiesengrund bei Neumühle

Gut also, dass es ohnehin der falsche Weg war, im schnellen Rückzug zurück zur Wiese und noch ein paar Wanderer auf den rechten Weg gebracht, auch wenn der mitten durch die Mückentränke führt. Doch sie wollen es so. Bei jedem Storchenschritt durch die hohe Wiese schnibben friedliche Grashüpfer durch die Luft und werfen die Frage auf, wie man in solch einem hochgewachsenen Halmwald überhaupt abspringen kann.

Bei Neuzelle

Am Ende einer zugeknöpften Waldsiedlung mit halbherzigen Durchgangshindernissen wird der Wald lichter, und bald öffnet sich die Landschaft. Ein Zaun begrenzt eine weitere Wiesenfläche, wo auch junges Gebäum heranwächst. Hier wird nun das nächste Kapitel an Schmetterlingsfreude aufgeführt, sich dabei halbwegs an den Verlauf des grobmaschigen Zaunes gehalten. Den mitlaufenden Knipsversuchen entgehen die edel Gewandeten dadurch nicht.

Da alle Bilder Gurken werden, genießen wir die Pracht vor Ort und versuchen uns ein paar Muster ins Kurzzeitgedächtnis zu legen, später digital oder analog nachzuschlagen. Diese durchflatterten Blumenwiesen erschaffen gemeinsam mit dem ausdrucksstarken Wolkenhimmel einen sagenhaften Sommertag, dessen zeitweilige Hitze ein gelegentlicher Wind angenehm entschärft.

Hinter dem querenden Fahrweg liegt eine große Wiese, hügelig und mit Aussicht auf baldige Ausblicke. Auf ihr gibt es ein paar Wege, die nicht sichtbar sind und dazu einladen, mit der Euphorie eines freigelassenen Kindes freudenquietschend loszurennen und sich durch die weiten Wogen des Reliefs treiben zu lassen. Zwischendurch beim Rennen die Augen zu schließen oder sich einfach ins stoppelige Gras fallen zu lassen. Um dann nach ein paar Augenblicken mit fest zugekniffenen Augen und Sonnenpunkten unter den Lidern den Hang hinabzurollen oder zweidrei Purzelbäume zu schlagen.

Blick hinab zum Stadtrand

Gleich hier spielt am oberen weichen Rand eines üppig grünen Hanges das dritte Kapitel von farbstarken Blüten und buntem Geflatter in immer neuen Gestalten. Unten im Tal ruht wie in einem Ölschinken über Omas Sofa gemalt Kummro, eingekuschelt in dunkle Waldhänge. Das Relief des Weges bringt uns ganz von allein auf Spur, so wie ein Wassertropfen auf einem gewellten Lotosblatt ganz klar seine Bahn finden würde.

Unten ist nicht ganz klar, ob es ein offizieller Weg für jeden ist. Der zuständige Hofhund stellt lautstark dieselbe Frage, sollte jedoch an seinem Timbre arbeiten. Das folgende Wohngebiet bietet für einige Grundstücke den seltenen Luxus eines eigenen Hausberges, der mit Stiegen, Serpentinenwegen und Hochterrassen für die Abendbank hinreichend zelebriert und gewürdigt wird. Eine abzweigende Straße für eine neue Wohnsiedlung trägt verheißungsvoll den Namen Klosterblick. Das erweist sich als Marketing-Gag und erinnert einmal aufs Neue daran, dass man das Kleingedruckt immer mit der richtigen Brille lesen sollte.

Eine schöne Aussicht zum Spinnberg gibt es trotzdem und dazu gleich mehrere schöne Wege über die Wiesen, die nun hier das vierte Kapitel aufklappen. Wir bleiben auf der Höhe, passieren große Ställe und das wohl bestgestützte Storchennest weit und breit, das ohne Überhänge auskommt. Dementsprechend groß fällt die Besatzung aus, die ohne statische Bedenken da oben rumturnt.

Klosterkirche und Hochofen und Bergwiese

Wenn der bisherige Weg der Zustieg war, kommt dieser jetzt in seine finale Phase, bevor es charakterlich in höhere Regionen geht, wenn auch unterhalb der Baumgrenze. Wer keinen Wert auf Vollständigkeit in der langen Reihe der Gipfel legt, kann gleich jenseits der Straße ins Wegesystem einsteigen, das etwas Interpretationsfreude und Wagemut verlangt. Heute auch etwas Leidensfähigkeit, denn aktuell herrscht eine regelrechte Mückenplage, wie die Zeitung des nächsten Tages auf ihren ersten Seiten verrät. Am besten folgt man an den zahlreichen Abzweigungen grob einer Himmelsrichtung.

Miniaturgebirgslandschaft Fasanenwald

Wir bleiben dem breiten Weg treu bis zum südlichsten aller Gipfel, von dem sich nun endlich der ersehnte Blick auf das Kloster mit allen seinen Accessoires ergibt. Faszinierend und vielleicht einzig diesem waldoffenen Punkt vorbehalten ist, dass der Blick zugleich auf die Kirche aus dem 18. Jahrhundert und den gewaltigen Eisenhüttenstädter Hochofen aus dem 20. Jahrhundert fällt, der dort die Hauptachse des Stadtbildes mitbestimmt. Um den Punkt zu erreichen, muss man sich kurz vor einem Hochstand rechts hinüber zu Wald halten, dabei etwa auf selber Höhe bleiben. Der Pfad ist derzeit nicht sichtbar, der stark ausfallenden Vegetationsperiode geschuldet, denn wir staksen hier mitten durch der Flatterwiesen fünftes Kapitel.

Im dichten Fasanenwald (der Weg ist das links da)

Als wir uns kurz verbeugen und in den dichten Laubwald eintreten, staunen wir und stoßen auf eine kuriose Analogie. Unweit der sozialistischen Planstadt Schwedt, damals wie heute einem wichtigen Industriezentrum in dünn besiedelter Landschaft, gibt es auf polnischer Seite das wildromantische und zauberhafte Tal der Liebe, das hier vor einem Jahr ausgiebig besungen wurde. Starkes Relief auf kleinstem Raum, üppige Natur durchschlungen von einem System von Wegen und Pfaden und erkennbare Spuren einer gezielten Anlage. Dazu die Odernähe und direkt benachbart die flachen Flussweiten. Ein hinreißendes Netz von Pfaden, das zum Verfransen herzlich einlädt.

Nun finden wir hier in Nachbarschaft zu Eisenhüttenstadt, der Planstadt der sozialistischen Planstädte, eine ganz ähnliche Landschaft, wenn auch hier die verspielten fürstlichen Zutaten wie Teiche, Statuen und Ruinchen oder die ganz besonderen Aussichtsplätze fehlen, denn die sind zum Großteil zugewachsen. Doch auch das Tal der Liebe hielt lange Jahrzehnte einen Dornröschenschlaf, und wenn irgendwann der Klostergarten fertig ist, fällt auch in Neuzelle vielleicht jemandem ein, dass man ein paar Säckchen öffentliches Geld dafür verwenden könnte, hier dies und das in Angriff zu nehmen. Am besten Anfang der Dreißiger mal wieder hier vorbeischauen!

Höhenpfad im Fasanenwald

Wo nun an und für sich die herrlichen Anstiegspfade und Höhenwege, Rastbänke und betagten Schautafeln zum Genießen und Verweilen einladen, gestaltet sich dieser erste Besuch des Fasanenwaldes zur atemlosen Hatz. Zwischen Mondberg und Kreuzberg, Flaschenberg und Herzberg veranstalten die Mücken mit uns eine milde Form der Treibjagd und holen alles nach, wovon wir im letzten Sommer verschont geblieben waren. An solchen Stellen, wo es ein meterbreiter Sonnenstrahl bis zum Waldboden schafft und eine flirrende Beam-Säule in den Wald stellt, sieht man das ganze Ausmaß, die dichten Wolken lüsterner Rüsselträger in wildem Ritual-Tanz.

Selbst ein Foto zu machen ist schon ein kleines Wagnis, denn das sekundenlange Verharren wird auch hier ohne die Suche nach der besten Einstichstelle genutzt. So bleibt nach hintenraus neben allerhand schlecht verschlossenen Zapfstellen an Beinen und Armen sowie einigen hastig eingefangenen Gedankenbildern die Erkenntnis, hier in besonders feuchten Phasen des Sommers lange Ärmel im Rucksack zu haben – oder mal im Herbst oder Frühling herzukommen, um die Sache in Ruhe zu genießen.

Weite in der Oderaue

Nach einer guten halben Stunde fuchtelnden Geländelaufes gibt uns der Wald frei, nun wieder unten auf dem Niveau der Wiesenaue, die friesisch flach zwischen Bahn und Oder liegt. Auch am Fahrweg direkt unterhalb des Fasanenwaldes lauern sie noch, doch wir wollen ohnehin hinüber ins offene Land. Doch die Querung der Bahn ist problematisch, denn eine einstige Option, von der noch ein rostiges „Durchfahrt verboten“-Schild erzählt, ist komplett verwachsen.

Da heute in Sachen Leidensfähigkeit gut gestählt, versuchen wir uns irgendwie zum Gleisbett durchzuarbeiten. Auch wenn die Strecke gut einsehbar ist, jede Stunde nur ein Zug vorbeisaust, ist von der Querung grundsätzlich abzuraten – nicht zuletzt deswegen, weil man im weglosen Dornenkraut hervorragend umknicken kann. Außerhalb der Vegetationsperiode sollte es besser sein, doch hier und heute lassen wir es sein und bleiben auf dem bequemen Weg, der die nackten Beine weder sticht noch kratzt noch verknickt.

Heuernte vor Neuzelle

Mit der Öffnung zur Bahntrasse hin werden die Mücken weniger. Um unseren eingangs erwähnten Wunsch nicht in den Wind zu schießen, planen wir indessen verwegen, uns selbst recht hübsch was vorzumachen. Gucken betont nicht zu allem, was an Türmen oben rausschaut, wenden uns am Ortsrand nach rechts und schwärmen nach dem Überqueren der Schienen mit großen Schritten aus in Richtung Oder, mitten in die weite Wiesenaue. Um ganz draußen wieder umzudrehen und ehrfurchtsvoll dem Kloster zuzustreben. Wer sich hinsichtlich dessen an die Stirn tippt, hat zunächst recht – doch nach hinten raus so gar nicht.

Erntehelfer in der Oderaue

Denn was wir jetzt erleben, ist nicht nur die schönste Art der Annäherung an die Neuzeller Turmlandschaft. Die laufende Phase des Sommers schenkt uns zusammen mit dem Wettergeschehen und landwirtschaftlichen Notwendigkeiten ein Ballett, das sich direkt vor der Kulisse des diesig entfernten Klosters abspielt und mit gar nichts geizt. Für später ist Gewitter angesagt, mit starkem Regen, und auf den Wiesen liegt in langen Bändern das gemähte Heu bereit. Daraus entsteht ein klares Spannungsfeld, was den Blickwinkel des Landwirts betrifft.

Während auf den Wiesen jeweils ein schwergewichtiges Pärchen aus Mähdrescher und behängertem Traktor in blau ein leichtfüßiges Tänzchen aufs Parkett legt, eilt vom Ort her der nächste Tanzpartner herbei. Dies tut er jeweils im weiten Bogen und mit der gebotenen Eile, die von Partnerwechsel zu Partnerwechsel noch im Tempo anzieht – etwaigen Fußgängern dürften beim Platzmachen am Wegesrand aufwändige Frisuren in Bedrängnis geraten. Der weite Bogen wird von einem kleinen, doch ausreichend breiten Wassergraben diktiert. Der Partnertausch vollzieht sich in respektvoller Entfernung, dabei aber so dicht, dass dem Dreschwerk keine nennenswerte Wartezeit entsteht.

Klostergarten Neuzelle

Ergänzend zu diesem Ballett der Elefanten findet ein weitaus grazileres statt, direkt daneben, mit um die fünfzig paar schwingender Tanzbeine in rot. In absoluter Seelenruhe spazieren Störche neben den röhrenden Maschinen, flattern elegant auf, legen jedoch nur dann ein paar hingeschlurfte Meter in der Luft zurück, wenn der Abstand zu groß geworden ist. Die Tanzenden stehen kaum in künstlerischer Korrespondenz, sondern geben sich ganz dem jeweils eigenen Ausdruck hin, gleichzeitig dem Genuss taufrischer Leckerbissen, die das verwirbelte Heu freigibt. Nur ein besonders hungriger Storch befindet sich als Einziger im regelmäßigen Aufholflug, damit ihm wirklich nichts entgeht. Ein anderer hat wohl genug für heute und gleitet im weiten Bogen und leicht bräsig in Richtung Nachtlager. Das Zwiegespräch zwischen spindeldürren Beinen und extradicken Treckerreifen im meterkurzen Abstand schafft die besondere Note dieser sommerlichen Vorstellung. Was die Anmut der Großen in den Drehbewegungen ist die der Hochbeinigen in jedem einzelnen Schritt.

Schon einmal durften wir ein Spektakel zahlloser großer Vögel vor der Kulisse des Klosters erleben, in einem knackig kalten Winter. Im letzten nachmittäglichen Sonnenlicht zogen Hunderte Gänse von den Futterplätzen ins Nachtlager, mit dem zugehörigen Schnabelspektakel, das über Kilometer zu hören ist. Mitten durch den unten schon beschnittenen, glühenden Feuerball – wie einst E. T. vor dem vollen Mond. Wir derweilen sahen mit großen Schritten zu, dass wir Neuzelle noch vor der Dunkelheit erreichen, denn eine Lampe war nicht in der Tasche und die Oderaue kann sehr dunkel sein. Der hochwertig neonbeleuchtete Kosmetiksalon am anderen Rand des Klosterteiches hieß seinerzeit noch Bier Beauty, doch das hat wohl der Phantasie der potentiellen Kundschaft zu viel abverlangt. Das heutige Hair Beauty klingt zwar vergleichsweise trocken, erlaubt jedoch leichter greifbare Assoziationen zu gängigen Inhalten von Schönheit.

Heckengang im Klostergarten

Auf dem nun endlich erlangten Weg von der Aue auf das Ortsbild zu machen wir alle paar Minuten den eilenden Gummiwalzen Platz, die nun sichtlich gegen die herannahende dunkle Wolkenfront anfahren. Die Umrisse der Klosterbauten gewinnen zunehmend an Schärfe, werfen den Grauschleier der Distanz ab und machen nun neugierig darauf, was das warme Licht der späten Sonne mit den zahlreichen Gelbschattierungen der Klostermauern veranstaltet.

Arkadengang bei der Orangerie

Kloster Neuzelle

Über das Kloster, die Kirche und den Park mit Kräutergarten muss hier nichts geschrieben werden. Es ist schlichtweg zauberhaft, auch wenn der Kräutergarten gerade komplett umgekrempelt wird. Wo einst Kleingärten stündlich vom Wind der vorbeieilenden Züge umweht wurden, wird derzeit die barocke Struktur der Gartenanlage wiederhergestellt. Hart für die Parzellanten, doch angesichts der Einmaligkeit der Klosteranlage eine nachvollziehbare Entscheidung für den kleinen Ort. Nächstes Jahr soll alles fertig sein, dann mit Gärtnerei, dem eigentlichen Kräutergarten und zahlreichen Obstbäumen.

Klosterkirche über den Wiesenstufen

Der Park unterhalb der großen Wiesenstufen scheint soweit komplett und erlaubt verspielte kleine Spazierereien zwischen dem Wasserbassin, hohen Hecken und gelungenen Kantenmodellen einstiger Pavillons, Arkaden oder Aufgänge. Hin zur Orangerie ergeben sich so reizvolle Perspektiven, die ein bisschen an ein Labyrinth denken lassen. Das Café ist mehr als gut geeignet für das Vertrödeln einer ganzen Weile. Beim Eintreten nimmt der Blick automatisch eine etwas feierliche Note an, und eine Bestellung würde man womöglich in lippenaktivem Hochdeutsch tätigen. Es riecht nach wandhohen Gemälden, salbungsvollen Trauungsworten und aufwändigen Kristallüstern – auch wenn es gerade nichts davon gibt. Im Winter übrigens stehen in den beiden hohen Räumen in der Tat die Bäumchen und sonstigen Großtopferten.

Tränke am Klosterteich, Neuzelle

Der feierliche Blick bleibt auch noch beim Erklimmen der Stufen, hinauf zur Ebene des weiten Innenhofes, die wie geschaffen scheint für einen schönen Weihnachtsmarkt. Und weicht beim Betreten der Kirche ganz naturgemäß dem staunenden Blick, der den Mund selten ganz geschlossen lässt. Insbesondere in einer alpenfernen Region, wo nicht in jedem fünften Ort so eine Anballung barocker Elemente wartet. Die Uhr schlägt gerade vier, und so bleiben uns noch ein paar Minuten der Kulanz, bevor sich der riesige Schlüssel für heute zum letzten Mal im Türschloss dreht.

Stiege zur Aussichtsbank

Hinter großen roten Türflügeln fliegt der Blick auf glattes Pflaster entlang einer weißstämmigen Lindenallee und gleich die nächste Anhöhe hinauf, bevor er schnellstens zurücksaust und sich der hübschen Szenerie rund um den Klosterteich widmet. Nicht zuletzt durch den jüngsten Anstieg macht sich spontan der Hunger bemerkbar – der Klosterkrug kommt jetzt mehr als gelegen. Leider sind alle Tische draußen schon besetzt, doch ein Seitenblick entdeckt noch zwei tieferliegende Decks mit einem freien Tisch. Kein Wasserblick, doch dafür der in den Garten und weniger Leute, die dicht am Teller vorbeilaufen könnten.

Klosterblick vom Priorsberg

Auch alles andere passt perfekt, und nach erfolgtem Energieausgleich und einem Zuwachs an momentaner innerer Zufriedenheit ist nun die Runde um den Klosterteich besser als jedes Kompott. Überall fließt es, teils nicht ganz logisch, und der Weg passiert trotz seiner Kürze eine lange Mauer, eine zum Abend ausatmende Wiese und sogar eine Insel, die als Refugium für all die Enten dient, die hier den Teich bevölkern.

Oben am Kirchturm gleißt das blau-goldene Ziffernblatt, als würde es gleich schmelzen und über die Kanten abfließen, wie bei Dalí. Gleich dahinter läuten nun die Glocken aus vollem Hals und geben uns einen stillen Stüber für die letzte Viertelstunde bis zum Bahnhof.










Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Regionalbahn über Frankfurt/Oder (1,5 Std.) oder Cottbus (2 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): Autobahn und Landstraße in beliebiger Mischung (1,75-2,5 Std.)

Länge der Tour: ca. 17 km (Abkürzungen mehrfach möglich)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Amt Neuzelle

Zeitungsartikel Fasanenwald Neuzelle

Kloster Neuzelle

Einkehr: Klosterkrug, Neuzelle (am Kloster)
Zum Zickenzeller (Bahnhofstr.)
Sportlerheim (am Priorsberg, Birkenweg)

Neu Fahrland: Seelenfluchten, das nasse Viereck und der Lauf des Hasen

Klammheimlich hat sich der Frühling herangeschlichen – während die Wettervorhersagen täglich durcheinandergewürfelt wurden von kampfeslustigen Winden und launischen Güssen von oben, die an vielen Tagen sogar Pfützen zurückließen und das mehrtägige Überleben teurer Frisuren quasi ausschlossen. Woche für Woche wurde es voller im Klangregal, das bislang meist zartem Meisengepiepse und wehklagendem Krähengekrächz vorbehalten war. Immer mehr blütenüberpuderte Bäume und Sträucher ploppten auf, und an einem der letzten Morgen hatten sich dann auch schon erste Laubblätter im Strauchwerk zur vollen Größe kleiner Fingernägel aufgefaltet. Auch erste Düfte, die kurz innehalten und durchatmen lassen, gibt es schon.

Blick vom Weinberg zum Kirchberg

Nasen, Augen und Ohren nur dafür hat in diesem Jahr wohl keiner, da sich die ganze Welt, jedes Land und jeder Mensch ganz neu kalibrieren müssen angesichts eines unsichtbaren Herausforderers, der täglich für neue Wendungen sorgt, in immer neuen Größenordnungen. Und dem faktisch schwer zu entgehen ist, medial quasi überhaupt nicht – was absolut berechtigt ist.

Alte Kastanien am Sacrow-Paretzer-Kanal

Zwischen zu viel Gelassenheit oder zu viel Hektik gilt es dann und wann kleine Nischen zum Luftholen zu finden, kleine Zeitfenster und Rückzugsräume – damit sich durch diese Art von Ausgleich und Ablenkung ein gewisses Maß an Gleichgewicht und innerer Stabilität bewahren lässt, die Seele gesund bleibt und die Abwehr arbeitsfähig. Ganz normal aus seinem Gesicht zu gucken ist gerade keine simple Fingerübung.

Blick über den Fahrlander See

So profan wie wirksam kann, so lange es eben noch verantwortbar ist, ein mehrstündiges analoges Ausreißen in die Natur sein, die gerade in den ersten Wochen des Frühlings eine breite Zuversicht ausstrahlt, so wie sie das schon seit Jahrtausenden macht. Gern mit reichlich Wasser, viel Weite und unverstelltem Tageslicht – und nicht zuletzt etwas Naschwerk im Rucksack. Und ruhig etwas Mut zu ungewissen Wegen, schlimmstenfalls muss man eben ein Stück zurückgehen und die sichere Alternative nutzen. Beste Voraussetzungen dafür bieten sich im weit verschlungenen und mit Nebenfächern und Verschachtelungen gut bestückten Wasserreich der Havel westlich von Potsdam, die hier mit fast allem in Verbindung steht, was tief genug für einen dicken Fisch ist.

Kirchberg in Neu Fahrland

Neu Fahrland

Vom Potsdamer Hauptbahnhof kommt man mit dem Bus nach Neu Fahrland, das in mehreren Siedlungfragmenten seine Halbinsel bedeckt. Auf dieser erhebt sich der nicht zu unterschätzende Kirchberg, dessen Nordhang hochgewachsene Buchen bedecken – die jedoch mit diesem Tag hier nichts zu tun haben.

Auf dem Kirchberg, Neu Fahrland

Direkt an der Bushaltestelle nördlich der kantigen Insel zieht einen sofort ein anmutiger Weg in den lichten Wald, und schon ein paar Minuten später beginnt durch Laubwald der Anstieg auf diesen Berg. Kurz vor dem Gipfelplateau wird es nochmals etwas steiler, und wer hier noch seinen Ruhepuls hat und keinen Jackenknopf gelockert, braucht sich konditionell wohl nie mehr Sorgen zu machen.

Zwischen Kirchberg und Fahrlander See

Unbelohnt bleibt niemand, denn der Blick vom kleinen knüppelumrahmten Plateau reicht weit, Kenner können anhand Ihrer Umgebung vielleicht sogar die Glienicker Brücke lokalisieren. Wer hier oben steht und die Aussicht genießt, hat übrigens etwas gemeinsam mit dem bekanntesten Zeilenschmied der märkischen Landschaften, dem in der Vorstellung gern Stock und Hut zugeordnet werden.

Uferwiesen am Fahrlander See

Vorbei am sachlichen Wasserwerk und dem ebenso sachlichen Nebengipfel stürzt sich der Weg dann bald wieder hinab und erreicht durch Hohlgassen und auf kurvigen Pfaden das Niveau der Uferwiesen, die den Fahrlander See Hand in Hand mit einem breiten Schilfgürtel umgeben. Ein Ruhe atmender Weg wird von blassem Gestrüpp, knorrigen Wurzelruinen und erfahrenen Bäumen begleitet, weiter hinten schickt eine Weide all ihren Saft in den grünblonden Haarschopf, den die Brise des Tages in milde Wallung bringt.

Links des Weges lässt eine junge Familie eine leise surrende Drohne aufsteigen, die sicherlich ihren Preis hatte und jetzt eindrucksvolle Bilder dieser besonderen Landschaft zum Bodenpersonal funkt. Der Himmel winkt derweil eine Herde zerfaserter Wolken vorbei. Das Schilf rückt näher an den Weg.

Rindviecher am Rand von Fahrland

Während hinten bei den Häuser von Fahrland Lamas neugierig ihre Hälse recken, stehen ein paar Meter von hier krauszottige Rindviecher und graben ihre Mäuler in duftende Heuballen, ohne sich dafür bücken zu müssen. Werfen sich vielsagende Blicke zu und hoffen wohl darauf, bald wieder ihre Ruhe zu haben vor der Neugier der Passanten. Kurz darauf zweigt links ein durch Baumstämme blockierter Weg ab, der halb zugewachsen aussieht und dennoch einlädt, es zu wagen, zu sehen, wie weit man kommt.

Blick zum Kirchberg über die Uferwiesen

Das wird reich belohnt, denn die folgende Passage zählt zu diesen zauberhaften Überraschungen, die einem das Glück manchmal ganz beiläufig unterjubelt. Sicherlich muss hier etwas gestakst, dort etwas gebuckelt werden, und auch ein nasser Schuh ist manchmal nicht auszuschließen. Doch diese Viertelstunde ist ganz besonders, führt tief in eine verwunschene Landschaft, die abseits der schmalen Spur kaum durchdringlich ist. Teilweise wird der kleine Damm beidseitig vom Wasser begleitet, in dem es ständig raschelt, flattert oder mit schwerem Huf von dannen trottet.

Eine archaische Baumruine stützt sich mehr auf zwei breite Ausleger als auf ihren Stamm und weist auf einen langsam strauchelnden Hochstand, der für den Jäger erst nach drei Kurzen gerade aussehen dürfte. Teichgroße Wiesenpfützen stehen über winzige Gräben mit dem großen, viereckigen See in Verbindung, und alles blassbraune Vorjahresgestrüpp wird diskret von erstem Grün durchzogen. Einzelstehende Schilfhalme halten vor dem spiegelglattem See und blauem Himmel ihre pludrigen Köpfe in den kühlen Lufthauch, gleich stolzen Flaggen.

Ruderboothafen Fahrland

An einem Ruderboothäfchen endet der Pfad und gestattet nun ein erstes Stehen direkt am Seeufer. Ein Fisch trollt sich aus dem flachen Wasser ins tiefere und schlägt zuletzt entrüstet mit der Schwanzflosse. Genau gegenüber ist mit etwas Augenspitzen der schmale Durchlass zum Sacrow-Paretzer-Kanal zu erkennen, der ein direktes See-Umrunden mit trockenem Bein unterbindet.

Weg zum Weinberg, Fahrland

Ab dem Hafen flanieren mit entschlossenem Schritt und etwas vor uns zwei Damen, die sich auf den ersten Blick im Thema verirrt haben – mit hohem Schuh, schwingender Großraum-Handtasche und engem Rock sowie vorauseilendem Smartphone-Arm. Doch sie wollen eher nicht die Landschaft erkunden, sondern ein paar Mußeminuten am schönen Uferplatz verbringen, vielleicht mit Picknick-Decke im Gepäck und erster Teint-Hege unter der bloßen Sonne.

Nach ihrem Abbiegen rückt voraus nun Berg No. 3 ins Bild, der Weinberg, der seine mittelsteile Südflanke gen See hält, mitsamt Robinienwäldchen. Viele Höhenmeter sind nicht zu überwinden, doch der Blick von oben setzt einiges an Reichweite frei. Und fällt unter anderem auf den Geographischen Mittelpunkt des Landes Brandenburg, der sich hier irgendwo im Uferdickicht verborgen hält.

Die Kirche von Fahrland

Fahrland

An einem breiten Wasserarm haben sich all die Enten und Gänse versammelt, denen es auf den klammen Uferwiesen irgendwie zu voll geworden war, oder zu sonnig. Der Weg entlang des Wassers strebt auf einen Kirchturm zu und endet am Rand von Fahrland, wo der erhoffte Abstecher zur Landbäckerei erfolgreich ausgeht. Südlich des Dorfes geht es in die zweite Runde des Wiesen- und Schilflandes, das noch einiges mehr in die Breite gehen darf. Spätestens dort versammeln sich nun alle Vögel und Kleintiere, die man um diese Zeit zum zweiten oder ersten Mal im Jahr sieht. Der Deich zum See hin wurde gerade neu modelliert und verfestigt, und wer möchte, kann ihm bis zum Ufer des Kanales folgen.

Wir lassen uns schon vorher von einem kaum erkennbaren Wiesenpfad ablenken, der wieder mal für Freude über die Gummistiefel sorgt. Beim Brücklein über den schmalen Graben sehen wir in der nahen Ferne einen Feldhasen, der von einem ungeleinten Bello über die Wiese gejagt wird, diesem aber schnell seine Grenzen aufzeigt – zu unserer Erleichterung. Dennoch rattert sein Puls, als er auf unserer Höhe für die Länge eines Wimpernschlages innehält.

Uferweg bei den Fahrländer Wiesen

Vor der nächsten Brücke lagert ein massiver Steinblock, der eine perfekte Rastbank abgibt. Der gerade Blick fällt von hier auf die Höhen von vorhin, die von hier aus kaum nach Höhe aussehen. Während der Tee abkühlt, nähert sich vom Dorfe her im Trott ein massiges Pferd in Schwarz, mit Schlaghosen und einer erfahrenen Zügelhalterin, die bei der Brücke ihren Anschlag hat und den Boliden in zwei Zügen wendet.

Gleich nach der Brücke geben wir uns der nächsten Ablenkung hin, wieder ein Wiesenweg an einem Wasserlauf, doch diesmal ein breiter. Immer mehr Vögel wachsen aus den Wiesen, je länger man den Blick schweifen lässt. Richtung Kanal grasen auch zwei Rehgestaltige, die jedoch eher wie Gämsen wirken. Was bei den Bergeshöhen dieses Tages kaum verwundert.

Unklare und unnahbare Dame am Kanalufer

Entlang des breiten Schiffahrts-Kanales, den ich ob der weiten Landschaft der Fahrländer Wiesen gerade gar nicht mehr auf dem Schirm hatte, steht eine imposante Reihe alter Kastanien, zu beiden Ufern. Das sieht schon ein wenig nach den dekadenten Allee-Werken rund um Potsdam aus, als wären Preußenkönigshand und auch –budget auch beim Anlegen dieses Kanals im Spiel gewesen. Etwas struppig ist der Pfad am Ufer, voraus im Bild schon die Straßenbrücke mit ihrem Bogen zu sehen.

Kastanienreihe am Sacrow-Paretzer-Kanal

Auf Höhe eines erstaunten Anglers nutzen wir dessen Zugangspfad vor zum Fahrweg, wo man am kleinen Hafen Paddelboote ausleihen kann. Das sieht in Hinblick auf den geradlinigen Kanallauf nicht nach dem idealen Platz aus, doch zoomt man etwas aus der Karte, sind im Nu ein halbes Dutzend Havelseen in greifbarer Nähe. Und dank der Havel selbst ließe sich zwischen Sonnenauf- und -untergang eine schöne große Rundtour über Werder, Caputh und Potsdam paddeln – mit unzähligen Erweiterungsoptionen.

Sacrow-Paretzer-Kanal von der Brücke an der Anglersiedlung

Anglersiedlung Kanalbrücke

Am anderen Kanalufer liegt eine Laubenkolonie, und hier gibt es sogar eine Gaststätte. Das nutzen wir, denn der Hunger ist da und Einkehren am Weg sowieso am schönsten. Nach einem kurzen Stück auf dem Radweg entlang der lauten Straße drehen wir ab in Richtung Bornstedt und streifen die Kleinen Plankwiesen, die nach Norden vom Kanal begrenzt werden. Und widerstehen hier der Einladung zum Uferweg.

Nach einem Wäldchen beginnt dann passend zum geschwungenen Straßenverlauf und den betagten Baumriesen am Wegesrand eine anmutige Wiesenlandschaft, die irgendwie schon nach der Art Park aussieht, wie man es etwas südlicher bei Schloss Lindstedt noch ein wenig ausgeprägter finden kann.

Weg entlang der Kleinen Plankwiesen

Gutshof Bornstedt

Was voraus liegt, sah vor langen Jahren vergleichbar mondän aus, doch das ist einzwei Systemwechsel her. Einzig eine Ahnung davon vermittelt noch der Persiusturm, der von der Zeit mitgenommen und leicht geflickschustert als Antennen-Sockel dient. Der amtierende Gartenmeister hat das Thema Baumschnitt absolut wörtlich genommen und die Kronen einiger kleiner Obstbaumalleen bis fast auf den Stamm zurückgesägt. Das gewonnene Holz liegt in sauberen Haufen zwischen den einstigen Bäumchen. Doch die Natur hat Kraft, manchmal auch langen Atem, und so werden es die nächsten Jahre wieder richten.

Zum Kanal hin übernehmen nun erfahrene Waldbäume das Alleegeschehen. Hinterm Schilfgürtel zieht der breite und jetzt schon schattige Weg entlang, lässt den Kanal nur ahnen und allenfalls hören, wenn ein Schubverband sich schwer stampfend stromaufwärts arbeitet. Der breite Uferstreifen ist von tausenden Wildschweinhufen durchmodelliert, zwischen denen ein gewunderer Weg zu einer hinreißend gelegenen Uferbank führt. Dort soll jetzt der letzte Tee dampfen. Direkt gegenüber erhebt sich der Kirchberg, links sind die spitze Landnase und der schmale Durchschlupf zum Fahrlander See zu sehen und nah am Ufer versuchen über dem tiefblauen Havelspiegel vier Schwäne edler auszusehen als die jeweils anderen. Und trollen sich schon bald, weil keiner richtig guckt, kein Ah und Oh gespendet wird.

Gutshof Bornstedt

Rechts des Weges schießt hinter einem filigranen Zaun schnellwachsendes Baumholz gen Himmel, spindeldürr und in der klaren Ordnung einer Plantage. Gegenüber am linken Wegrand glänzen perlmuttgolden die Blütenblätter des Scharbockskrauts, die jetzt ihre beste Zeit haben und allererste Farbakzente im allgemeinen Braungrau beisteuern. Wüst und durcheinandergestoppelt sieht der breite Uferstreifen aus und dürfte daher bei verschiedensten Tieren sehr beliebt sein, zum Leben, Schlafen und Speisen. Sowie dem mannigfaltigen Zeitvertreib dazwischen.

Blaues Havelwasser im Kanal

Nedlitz

Eine Ausbuchtung des Kanales lenkt den Weg nun vorbei am Landgut Nedlitz, das viel dafür getan hat, möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, beim Vorbeigehen also kaum auffällt und sich gut in die umgebenden Gewerbeflächen einpasst. Nach einer Laubenkolonie und einem Wäldchen darf der Blick nach rechts wieder ausschweifen und bleibt in gewisser Entfernung an einer schönen Allee hängen, die wieder ganz klar den exklusiven Schriftzug des Potsdamer Umlandes trägt. In passendem Schlendergang flanieren zwei ferne Personen, sicherlich mit elegantem Hut und beknauftem Spazierstock. Links im Wald spenden die abendlich gestimmten Vögel die Musik dazu, von rechts die tiefe Sonne das warme Gold und diese endlosen Schatten.

Volkspark Potsdam

Nun wäre diesem Tag eigentlich nichts mehr hinzuzufügen, doch der hat sich für den Ausklang noch eine prächtige Praline aufbewahrt. Die landschaftliche Kalorienbombe ist von länglicher Form und nennt sich ganz schlicht Volkspark Potsdam – keiner von uns hat je davon gehört. Was nichts zu heißen hat, aber doch markant ist.

In ein schönes System von Grünflächen und Wegen sind Obstwiesen und alte Gemäuer eingebunden, Gräben und Teiche, fantasievolle Spielplätze und besondere Gärten. Unzählige Anregungen zum Bewegen gibt es, wobei Spaß und Sport Hand in Hand gehen, der erstgenannte jedoch ganz klar die größere Pranke hat.

Uferbank mit Kirchberg-Blick

Südlich der Taille liegt dann neben größeren Sportplätzen noch die Biosphäre Potsdam, von der ich komischerweise bis heute nicht weiß, was es eigentlich ist. Doch sie muss ohne Zweifel einen Besuch wert sein – so viel zumindest ist klar. Der zerklüftete Grundriss des Volksparks, der auf eine beachtlich lange Außengrenze kommen dürfte und im Süden bis zur Siedlung Alexandrowka reicht, hat ein bisschen was von einer kindgemalten Giraffe mit abgedrehten Proportionen. Ein Besuch sollte problemlos einen ganzen Ausflugstag füllen, denn es gibt wirklich an allen Ecken etwas zu entdecken. Nicht zuletzt auch noch die Biosphäre …

Wir widerstehen beim Nomadenland mit seinen urigen Jurten dem Biergarten, beschränken uns also auf den klobigen Giraffenkopf. Am Ende wissen wir fürs nächste Mal, dass die Automaten fürs Parkticket etwas mäkelig sind, es ausschließlich passend haben wollen und das Zehn-Minuten-Durchgangsticket auch nicht jedem rausrücken, der danach fragt. Beim baldigen Folgebesuch gibt es dann eben ein bisschen mehr in den schlitzengen Schlund.

Nomadendorf im Volkspark Potsdam

Während dieser rastlosen Runde zum Anfüttern begegnen wir mehrfach zwei Fortgeschrittenen in der Disziplin des Discgolf, die dem Anschein nach ein hervorragendes Verhältnis zum Badezimmerspiegel haben und jede ihrer Bewegungen ausführen, als würde hinterm nächsten Busch ein Kamerateam stehen. Dafür sitzt aber auch jeder Wurf, bei dem jeweils eine frühstückstellergroße Scheibe in einer Art Korb mit naseweisem Kettengehänge landet. Auf dem Rückweg zum nördlichen Ausgang sehen wir bei derselben Disziplin noch eine bunt zusammengewürfelte Truppe aus Familie und Freunden, die ihre Scheibe zwar so gut wie nie erfolgreich versenken, doch dafür eine Menge Spaß haben.

Neugierig geworden sind wir wirklich, doch der Kilometerzähler steht auf Feierabend und mit ihm die Kraft der kleinen Wackelbeine. Also vermerken wir eine lose Terminabsprache hinterm Ohr und trollen uns durchs nächste Wäldchen. Eine Singdrossel oben im Baumwipfel zieht mit ihrer kleinen Nachtmusik vom Leder und kann in Sachen Vielfalt der Nachtigall durchaus die Stirne bieten.

Obstwiesen im Volkspark Potsdam

Insel am Großen Horn

Noch einmal übernimmt jetzt die Havel für die letzte Viertelstunde, die weniger romantisch ausfällt als es das Wort Insel vermuten ließ. Zwischen Brachen, Baustellen und teuren Häusern ohne Anspruch lassen sich noch ein paar klassische Bauten á la Potsdam finden, und die Bundesstraße ist eben befahren wie eine Bundesstraße. Doch das letzte Sonnengold bringt alles umgebende Wasser zum Gleißen und betont zumindest eindrucksvoll die Ureigenschaft einer Insel – vom Wasser umgeben zu sein.

Blick von der nördlichen Inselbrücke, Neu Fahrland

Von der zweiten Brücke fällt der Blick auf üppige Wassergrundstücke mit einem angenehmen Maß an Dekadenz – was die Insel nicht hergab, gibt es hier als kleinen Nachschlag. Der letzte Wasserblick fällt von der Brücke direkt nach Westen, wo ein Ruderer sein hüftschmales Boot mit meditativen Schlägen ins Gegenlicht treibt, kurz noch flimmert und bald darin verschwindet.










Anfahrt ÖPNV (von Berlin): ab Ostkreuz S-Bahn oder Regionalbahn bis Potsdam Hbf., dann Bus bzw. Straßenbahn/Bus (ca. 1,25-1,5 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin):

Länge der Tour: B5 bis Spandau-Wilhelmstadt, dann B2 (ca. 1-1,25 Std.)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Neu Fahrland – Fünf-Seen-Ortsteil von Potsdam

Webpräsenz Neu Fahrland

Sacrow-Paretzer-Kanal

Gutshof Bornim

Volkspark Potsdam

Einkehr: Gaststätte An der Kanalbrücke, Anglersiedlung (bei Marquardt)
Die Tenne, Neu Fahrland (nördlich der Insel)
Café Charlotte (am Gartenmarkt östlich des Kirchbergs)
Nomadendorf im Volkspark Potsdam

Kremmen: Das Scheunenviertel, der Strand im Luch und ein Lama unter Schafen

Der September ist langsam in Fahrt gekommen, und zaghaft hat ein noch schmächtiger Herbst ein Stück der Klinke ergriffen, deren größten Teil noch die riesige Pranke des diesjährigen Sommers vereinnahmt. Zu spüren ist die bunte Jahreszeit schon in ersten Düften und dem Rascheln einiger gefallener Blätter, im tiefen Licht der nachmittäglichen Sonne und der umgehend aufkommenden Kühle, wenn sie dann versunken ist und Ruhe gibt. Werden noch mehr Wahrnehmungs-Reize gebraucht, kann man sie fast überall im Lande finden. Wer dabei im Speziellen auf intensives Rauschen hochgewachsener Pappeln und das Tönen mannshoher Vogeltiere aus ist, kann in fast allen Himmelsrichtungen fündig werden.

Im Scheunenviertel, Kremmen

Besonders gut und mit enorm viel Platz und Weite geht das in dem ausgedehnten Luchgebiet, das sich zwischen Dosse, Rhin und Havelland aufspannt, schier grenzenlos, doch nur begrenzt durchdringbar. Alle paar Minuten quert ein Wasserarm, was im Kartenbild für ein filigranes Aderwerk in blau sorgt, und das Gesamtnetz aus allen diktiert abgezählte Möglichkeiten für solche, die hier ausschwärmen wollen. Das Prinzip von Versuch und Irrtum empfiehlt sich dabei nur Leuten, die ohne Murren demselben Weg zurück folgen. Für alle anderen hilft die gute alte Papierkarte schlechte Laune zu vermeiden, da sie den Radius einer Tagestour auf einem Blick zeigt.

Ringstraße in Kremmen

Kremmen

Eines der wenigen Städtchen direkt am Luch ist Kremmen, das den bis hinter Kyritz reichenden Luchbogen im Südosten eröffnet. Für eine Runde in die Weiten der wasserreichen Landschaft gibt die Stadt einen charmanten Kontrast. Kremmen hat wie Teupitz, Zossen oder Wusterhausen einen klassischen Marktplatz, der zu den gemütlichsten im Land Brandenburg zählt. Das überschaubare Geflecht der Straßen und Gassen füllt gemeinsam mit Markt- und Kirchplatz einen Außenring. Möglich sind mehrere Varianten eines Rundgangs, deren längste etwa zwanzig Minuten füllt.

Bootshaus am Kremmener See

Etwas abgeschlagen und sinnfällig in sicherem Abstand vor den Toren der kleinen Stadt hat Kremmen noch eins der größeren Scheunenviertel, in dem kaum ein ungenutztes Gebäude auf eine neue Bestimmung wartet. Gastronomie verschiedener Preisklassen gibt es hier und Läden mit besonderen, gern auch kostspieligen Sortimenten. Auch eine Kleinkunstbühne mit dem schönen Namen „Tiefste Provinz“ findet sich hinter einem der enormen Tore, die teils auf Rollen laufen, teils ganz klassisch per Scharnier und daher raumgreifend und mit großer Geste zu öffnen sind. Die leicht archaische Gemütlichkeit des gesamten Viertels gilt für jede einzelne der Scheunen, egal ob astrein sandgestrahlt oder noch mit Bröckelputz.

Weg ins weite Kremmener Luch

Scheunenviertel und Marktplatz sind gleichermaßen schön, um von hier loszugehen, wobei die späte Vormittagssonne auf den ausladenden Scheunenfronten mehr Raum für Lichtspiele findet als auf dem schmalen Markplatz. Kommt man vom Bahnhof her, liegt auf jeden Fall das Scheunenviertel näher, da quasi auf dem Weg. Der sonnige Tag belohnt heute gleich drei Paare, die sich auf die stabile Wetterlage des frühen Septembers verlassen haben, und die anreisenden Hochzeitsgäste dürften zuallererst vor der Herausforderung stehen, die Festlichkeit zu finden, zu der sie auch geladen sind.

Die erste Kneipe ist auch schon offen und nutzt die lange Vorglühzeit bis heute abend, wo die 12. Kremmener Kneipennacht die Stadt behutsam schütteln wird. Ein paar Biker sitzen auf den klobigen und wetterfesten Bänken, die vermutlich aus gefallenen Pappeln der Region zurechtgeschnitten wurden, mit Sägeblättern, groß wie Traktor-Reifen. Dazwischen ein paar verfrühte Hochzeitsgäste, die noch die Ruhe vor dem Sturm genießen, und eine Handvoll Wanderer in viel zu warmen Jacken.

Neue Obstbäume bei Dorotheenhof

Ein paar Tore weiter öffnet gerade der Hutverkauf, wo es schöne und langlebige Hüte vom völlig anderen Ende der Welt zu kaufen gibt, deren Name in vielen Köpfen die kindgerechte Melodie vom Buschkänguruh wachrufen wird. Gleich gegenüber gibt es exklusive Antik- und Handwerksartikel, die zum Teil in eine Hosentasche passen, zum Teil einen Kleintransporter erfordern. Zwischen all dem schlendern, catwalken oder irren hochelegante Herren, vor allem aber Damen in den allerschönsten Kleidern bis hin zum offentsichtlich kalkulierten Risiko, der Braut die Schau zu stehlen, und zwar keineswegs dezent.

Entlang gediegener Gärten ist bald die Berliner Straße erreicht, wo am Markt ein ausnehmend schönes Bäckercafé in mehreren Einrichtungskapiteln zur ersten Pause lockt, fast unverhandelbar. Auch draußen gibt es schöne Plätze, mit direktem Blick auf das beschauliche Kommen und Gehen auf dem Markt, später einmal soll es auch hinten auf dem Hof noch welche geben. Besonders zu empfehlen zum Gebäck ist die heiße belgische Schokolade. Die gibt es wahlweise in blond, braun oder schwarz, und jede von ihnen erfordert etwas spielerische Eigeninitiative.

Ringstraße in Kremmen

Schräg gegenüber, gleich links vom Kaufhaus, quert der Burgweg und schlägt seine kleinen Bögen um die Stadt, vorbei an einem durchaus ansehnlichen Dächermeer. Spätestens in der Neuen Kietzstraße wird keiner reglos bleiben, der gerne Bilder mit nach Hause nimmt – hochgewachsene Blumenstämme und kleine Bäume, farbenfrohe Fassaden und klassische Laternen sorgen für einen pittoresken Anblick, der vom Straßenpflaster noch perfekt gemacht wird.

Nach einem Abstecher zum dörflich wirkenden Kirchplatz und ein paar Schwenken führt die Straße der Einheit schnurgerade vom Stadtkern weg, vorbei am Sportplatz und der Schule. Nach dem Queren der Hauptstraße sind es auf dem Storchenweg nur wenige Meter, bis man ohne Übergang direkt vor der märkischen Weite steht, umgehend den freien Blick genießen kann. Vom Luch her weht der kräftige Wind schon eine Ahnung von Kranichrufen herüber, die vorfreudig stimmt und das Herz ein wenig hüpfen lässt, denn das gab es lange nicht zu hören. Unüberhörbar ist aus einem der Gärten das Schnattern einer Horde Gänse, die sich nach kurzer Neugierphase alle nach Norden ausrichten und versteinern, als wir zu lange gucken. Also weiter.

Am Rand des Bruchwaldes

Noch nie vom Kremmener See gehört zu haben ist wohl keine Schande, denn wer würde mitten im Luch Seen erwarten, abgesehen von den südlichen Großkalibern der Neuruppiner Seenkette, den modelschönen. Und eigentlich ist der Kremmener See, den es gleich zweimal gibt, auch nur eine Ausbuchtung des Kremmener Rhins beziehungsweise zwei. Der westliche der beiden ist von Land her faktisch nicht erreichbar, dafür hat der östliche sogar ein Bad mit kleiner Seebrücke und eine herrschaftliche Insel für die nächste Hochzeit.

Bootshäuser und Rastbänke am Kremmener See

Kremmener See

Hinter den letzten Häusern quert ein stilles Sträßchen, das durch eine hochgewachsene Allee und einen blätterdichten Bruchwald direkt zum Ufer des genannten Sees strebt. Am Parkplatz verlassen Gäste ihre vornehmlich weißlackierten Wagen und sind besonders darauf bedacht, sich keine Stelle ihrer Garderobe zu beschmutzen, hier in der Wildnis, in der staubigen Sackgasse. Auf der kleinen Insel, die über zwei kleidsame Stege zu betreten und verlassen ist, wurde vor einem weißen Pavillon die Bestuhlung aufgebaut für alle jene, die sich bald darauf Tränen der Rührung aus dem Augenwinkel tupfen werden. Es gibt ja viele besonders schöne Orte, sich einander verbindlich anzuvertrauen, doch das hier dürfte wirklich einer der allerschönsten sein. Kostenlos dazu gibt es ausreichend Schwäne mit mustergültig gebogenen Hälsen und absolute Mückenfreiheit.

Seebrücke am Badestrand

Nur um diesen Platz zu sehen, die Insel mit dem Pavillon, die Brücklein und das Festhaus auf weißen Stelzen, hätte sich der Weg gelohnt, doch gibt es noch weit mehr. Hinter dem Inselchen liegt der wohl einzige Strand direkt im Luch, und außerhalb der kalten und dunklen Zeiten bekommt man hier Getränke und auch ein kleines Imbissangebot. Besonders an diesem Platz sind der zutiefst beruhigende und wunderschöne Ausblick auf den See sowie die verschiedenen Optionen, sich einen Platz zu suchen. Direkt am Kiosk gibt es schöne Plätze, doch auch direkt auf der Seebrücke und sogar ganz hinten auf der kleinen Aussichtsplattform, wo man quasi schon im See sitzt.

Kremmener See

Ein Kutterchen gibt dem Bild den letzten Schliff, steht zum Verkauf und wird hoffentlich genau dort seinen Liegeplatz behalten. Vom See her weht die schönste Luft, verfeinert mit den Düften von Wasser, Schilf und einem Hauch Morast. Gebadet wird noch nicht am Strand, denn heute ist einer der kühleren Tage, doch gerade werden zwei Untersätze fürs Stehpaddeln aufgeblasen. Im nächsten Jahr soll es hier neben dem Badebetrieb auch Bootsverleih und Liegeplätze geben.

Uferpfad am Ruppiner Kanal

Hier auf dem Steg könnte man jetzt stundenlang so sitzen, einfach gucken und immer wieder etwas anziehen, dann wieder aus, denn Wind und Wolken geben sich verspielt. Doch lockt das eigentliche Ziel des Tages immer intensiver, also reißen wir uns los, als die Stehpaddler das Bild verlassen haben, trotz starken Windes ohne Absturz. Am Ende der Badewiese, wo der See sich zum Ruppiner Kanal verengt, folgt ein frisch gemähter Uferpfad der Wasserkante. Am Rand des Bruchwaldes steht der Hopfen zum Besten und verleitet dazu, einmal eine der blättrigen Früchte zwischen die Finger zu nehmen, aus denen sich bei Bedarf so schöne Durstlöscher brauen lassen. Auf Fußhöhe sind allerhand Frösche unterwegs und verabschieden sich mit einem flachen Sprung ins Wasser, ohne sich dann nochmal umzudrehen.

Birkenreihe am Stichgraben

Durch den Bruchwald führt ein schnurgerader Weg zurück zum Parkplatz. Das Feuchtland liegt trocken diesen Sommer, und ein vergangener Naturlehrpfad macht mit allerletzten Spuren auf sich aufmerksam. An den Bootshäusern bieten sich gleich mehrere Pausenplätze an, wahlweise etwas erhöht in einem Pavillon oder auf einer Ringbank unter einer wehenden Trauerweide. Alle Hochzeitsgäste sind mittlerweile eingetroffen und haben auf der Insel ihren Sitzplatz gefunden. Die salbungsvolle Stimme der Standesbeamtin lässt noch auf sich warten, so dass etwas umhergerutscht wird und auf die Uhr geschaut, auch der Bestand der Zigaretten in der Schachtel mit der Hand erfühlt. Ein Angler knarrt auf dem Festland mit seinem Hühnerschreck und herausragenden Ruten vorbei, wie ein Bühnenarbeiter, der versehentlich mitten in der Vorstellung über die Bühne schlurft. Oder wie Loriots Klavierträger, den eine Fliege zum Dirigenten der Berliner Philharmoniker macht.

Plattenweg am Mühlenluch

Am Pavillon und der Weidenbank beginnt ein Weg entlang eines Stichkanals, dessen Rand herrliche kleine Lauben säumen, wie Bootshäuser, was sie teils auch sind. Farben und Formen sind vielfältig, und zwischendurch liegt immer wieder ein Ruderboot vertäut oder ein kleines Motorboot, zum Teil in maßgeschneiderter Hafenbucht. Später wechseln die Häuser auf die andere Seite und machen einer Reihe alter Birken Platz, zwischen denen in der nahen Ferne unaufdringlich der Kremmener Kirchturm durchlugt. Das wird er noch öfter machen, fast immer überraschend.

Das Vorspiel zum Eintauchen in die Weite des Luchs war zugleich das vorgezogene Dessert dieser Tour. Jetzt liegt in eindrucksvoller Dimension der Hauptgang vor uns und die Entscheidung, wie groß er letztlich ausfallen soll. Diese ist mit Sorgfalt zu treffen, den ab einem bestimmten Punkt gibt es kein Zurück. Wer ausreichend erfüllt ist und schon müde Beine hat, kann hier einfach über die Wiesen dem Luchweg folgen und landet eine Viertelstunde später ohne Weiteres am Kremmener Markt. Wer noch kurz in die flachen Wiesen von Mühlenluch und Kremmener Luch eintauchen möchte, biegt hinter den letzten Lauben rechts ab, folgt dem Fahrradweg in Richtung Linum und nimmt dann die erste links. Der letzte Kilometer vor dem Scheunenviertel ist zwar etwas spröde, verläuft entlang von riesigen Logistik-Zentren, doch immerhin ist das ja thematisch entfernt verwandt mit dem ursprünglichen Zweck der benachbarten Scheunen.

Weg nach Moorhof

Wer hingegen jetzt erst richtig warm gelaufen ist, alle Sinne zu- und den Geist ausschalten will und spüren, wie der Wind zum Luv-Ohr reinkommt und leicht gebremst das andere verlässt, kann jetzt loslegen. Doch sollten ausreichend Wasser und Proviant dabei sein und der Schuh wirklich bequem, denn ab hier ist noch Weg für drei bis vier Stunden übrig, der sich ohne Schlauchboot in der Tasche kaum abkürzen lässt, ganz luchtypisch. Im Gegenzug gibt es die große Weite, lange Reihen mit rauschenden Pappeln und üppige Wiesen, von denen selbst nach diesem knochentrockenen Sommer noch einige saftig grün erstrahlen. Ferner besteht die Möglichkeit, wortreich die Woche Revue passieren zu lassen oder gemeinsam ausgiebig zu schweigen. Oder einfach angeregt zu plaudern, bis die Sätze knapper und die Gesprächspausen länger werden, ganz von selbst bis hin zum alleinigen Dialog der Schritte mit dem Untergrund. Dann schließlich hängen auch die vorher angespannten Schultern, mit jedem Kilometer etwas schwerer.

Mühlenluch

Kleine Zweifel haben wir schon, doch die Entscheidung fällt für das Vollformat der Runde. Bei den Häusern im Mühlenluch kommen gerade Handwerker an, die endlich Wochenende haben, und ein Bengel auf einem ordentlichen Mini-Quad mit Batteriebetrieb semmelt über die durchbrochene Wiese vor den Vorgärten. Hinterm letzten Haus begegnet uns auf der kleinen Straße der Gegenentwurf, eine gekrümmte Oma in Kittelschürze, die sich auf ihren Rollator stützt und dennoch schwer mit jedem Schritt zu kämpfen hat. Kaum reicht es für ein skeptisches Lächeln in der knappen Grußerwiderung, angesichts der Städter, die ihre Freizeit sinnvoll füllen wollen und hier beseelt ins Nichts hinausstreben.

Schafherde bei Moorhof

Lange, gerade Wege bestimmen den restlichen Tag, Schweigen, Berichte und Wortwechsel halten sich die Waage. Nicht in absteigender Kurve, eher periodisch, denn die Woche sah so ähnlich aus. Der Zug der Wolkenbänder sorgt dafür, dass die buschigen Dolden der Grashalme am Rand des Plattenweges sekundenweise mit warmer Glut erfüllt werden. Mit Blick auf die gleichermaßen gehandhabten Strohrollen auf den trockenen Wiesen nähern wir uns Schritt für Schritt den Kranichrufen, die noch nicht aus Tausenden, doch sicher schon aus Hunderten von Kehlen kommen. Es sollen die ersten sein in diesem Jahr, so schreibt die Wochenendzeitung, und für sie wird die Folge dieses Sommers auch eine Herausforderung sein, denn geflutete Wiesen sind allenfalls von Menschenhand möglich.

Zwischen Moorhof und Dorotheenhof

Der Wind ist kräftig wie ein Seewind und sorgt in den hochgewachsenen Kronen der Großvaterpappeln für das einzige laute Geräusch, das man hier hören möchte. Dazwischen die Kraniche, öfter auch Greifvögel und einmal auch ein Hubschrauber, der irgendwo zu Hilfe eilt. Weit hinten stehen verstreute Herden weiß-schwarz gefleckter Kühe, später kurz vor Moorhof auch eine Herde von Schafen, die als Gesellschafterin nicht die obligatorische Ziege haben, sondern ein hohes weißes Lama. Dazwischen gibt es die einzige Rastbank weit und breit, an der man daher nicht vorbeilaufen sollte.

Moorhof

In Moorhof ist etwa Halbzeit und auch die Wende nach Süden. Dahinter ist der Weg teils zerrüttet und fordert etwas feinmotorische Balancearbeit der Fußgelenke. Mal Schotter, mal zerplatzter Asphalt und dann mal wieder sandig – der hier erforderliche Blick vor die Schritte löst den Autopiloten ab und sorgt für etwas geistige Rege. Am Wegrand stehen die tief abgesägten Stümpfe enormer Weiden, deren Stämme im Umfang dem ähneln dürften, was die nachgepflanzten Bäumchen an Höhe aufs Maßband bringen. Ein erwachsener Mensch kann sich auf so einem Stumpf locker ausstrecken, ohne überzuhängen.

Savannenstimmung im Spätsommer, Kremmener Sandberge

Kremmener Sandberge

Kurz vor dem bewaldeten Höhenzug hinter der Landstraße wird der Weg immer breiter und auch etwas spröde vom Erscheinungsbild. Die Möglichkeit einer Abkürzung beim Landwirtschaftshof ist trügerisch, da unvermittelt ein Weidezaun mit zahlreichen Gehörnten dahinter einen Rückzug nötig machen kann. Schöner, sicherer und jetzt auch schon egal ist es, als willkommene Abwechslung noch den hügeligen Waldstreifen der Kremmener Sandberge mitzunehmen, der zudem vom tiefstehenden warmen Licht der Nachmittagssonne seinen besonderen Anstrich erhält. Nach Charlottenau ist ein kleiner Südabstecher nötig, ansonsten folgt der Weg immer dem südlichen Waldrand.

Noch vor dem großen Milchhof wird der Waldstreifen zum zweiten Mal gequert, mit Kurs auf Kremmen. Quer über die Felder führt der Weg direkt zum westlichen Rand des Scheunenviertels. Der laute Verkehr auf der Bundesstraße unterstreicht noch einmal, wie schön man es hatte den ganzen Tag. Wie es manchmal so ist, reicht die Kraft gerade noch für die letzten Schritte, und so ist es besonders schön, dass direkt hier die Chance auf Einkehr besteht. Während wir sitzen, die Rücken krumm machen und die Kehle feucht, ist die Hochzeit gegenüber noch bei der Arbeit. Gerade ist der Hochzeitsfotograf angerückt, eigens mit Hebebühne für die besondere Perspektive oder um wirklich alle draufzubekommen, inklusive der ausladenden Erbtante. Die wimmernde Hydraulik braucht eine Weile, bis der Fachmann mit dem Schusswinkel zufrieden ist, und die gesamte Zeit stehen die bunt-leuchtenden Hochzeitsgäste ähnlich versteinert wie vorhin die Gänse, das Wort Käse festgefroren im Gesicht.

Am frühen Abend im Scheunenviertel

Gegenüber starten zwei Herren von entsprechendem Alter und Leibesfülle ihre vollverkleideten Goldwings. Beim Einschalten der Zündung, noch vor dem Wecken der sonoren Sechszylinder, erklingt in der Qualität eines Kofferradios Musik im Stil des modernisierten Musikantenstadls, gerade laut genug, um auch noch neben den Motoren zu bestehen. Gemeinsam mit den versteinerten Gästen ergibt sich ein fast schon surreales Stimmungsbild und die Gefahr, dass die Zeit stehenbleiben oder zumindest die festgefrorene Mimik hier und da verwachsen bleiben könnte. Doch kurz darauf ist der Spuk vorbei, als Hauptakteur übernimmt wieder die Abendsonne und ist durchaus willkommen angesichts der ersten Abendkühle. Alles ist normal, und gegenüber geht der schönste Tag des Lebens seinem Höhepunkt entgegen, mit Fackellicht, Musik und einem wirklich guten DJ.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): S-Bahn bis Hennigsdorf, dann Regionalbahn nach Kremmen (ca. 1,25 Std.); vom Bhf. 10 Min. Zuweg

Anfahrt Pkw (von Berlin): wahlweise über Autobahn oder Landstraße (ca. 0,75-1 Std.)

Länge der Tour: ca. 21,5 km (starke Abkürzungen gut möglich, z. B. zwischen WP 18 und 6 oder zwischen WP 19 und 33)

Download der Wegpunkte
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Links:

Internetpräsenz von Kremmen

Bistro und Bad am Kremmener See

Schlauchboot in der Tasche

Einkehr: Um’s Luch, Scheunenviertel Kremmen
Bistro am Strand Kremmener See (Mai-Okt.)
div. weitere Gastronomie im Stadtgebiet

Storkow: Erstarrte Seen, die Burg im Schilf und die meeresfernen Salzwiesen

Das schönste Geschenk des Februars ist Jahr für Jahr dieser befreiende Moment, wenn man merkt, dass die Tage wieder spürbar länger sind. Immer mehr Stunden erobern sich ihren Raum zwischen den Dämmerungen. Die längere Lichtausbeute verlockt zu ersten Gedanken an Frühlingsnähe, ganz unabhängig von Kälte, Schornsteinluft oder weißen Landschaften. Letztere gibt es nur manchmal, doch fast immer ist der Februar der Monat der Winterferien. Wer Zeit und Geld übrig hat und etwas Reiselaune nach dem langen Januar, nutzt die Zeit für eine Abwechslung in naher oder weiterer Ferne.

Altstadt von Storkow

Ist Kälte gefragt und schnelle Bewegung auf ganz besonders edlem Schnee, fliegt man vielleicht nach Colorado und erfüllt sich dort einen liegengebliebenen Jungstraum, bevor anderes wichtiger wird oder das eigene Gebälk zu steif. Wer mehr auf Wärme aus ist und irgendwo auf dem indischen Subkontinent vor Jahren seine dritte Heimat finden durfte, gibt sich vielleicht dort einem gänzlich anderen Leben hin und genießt den Menschen, der er dort und nur dort ist. Und wieder andere, die Verkehrsmitteln ohne direkten Bodenkontakt gern aus dem Weg gehen, setzen sich auf die Bahn oder hinters Lenkrad und probieren den europäischen Winter in einem Land mit anderer Sprache, anderem Geld und ganz eigenen Landschaften aus.

Nicht minder reizvoll ist die Option, keine halben und ganzen Urlaubstage auf den Ortswechsel zu verwenden, sondern einfach in der Nähe zu bleiben und mal wieder dorthin zu fahren, wo man noch nie oder schon lange nicht mehr war. Über dem Norden Deutschlands und auch über Brandenburg wurde hier und da ein Kissen ausgeschüttelt, sodass die Landschaft überpudert ist – zu mehr hat sich der weiße Winter bislang nicht hinreißen lassen. Alle Fortbewegung ist daher gut und frei von Spezialtechnik möglich, sei es auf zwei Rädern oder eben zu Fuß. Sonnige Tage wechseln sich mit wolkenverhangenen ab, sodass die Chance auf die schönen und dunstigen Lichtstimmungen des Monats eine attraktive Quote hält.

Die Zugbrücke am Storkower Kanal

Nicht entlegen und gern ein wenig unterschätzt ist das Städtchen Storkow, das mit der Vielfalt seiner Umgebung immer wieder überrascht. Die Stadt im Zeichen des Storches liegt in loser Nachbarschaft zu Neu Boston und Philadelphia. Wem das nicht hilft, um Bilder im Kopf aufzurufen, der denkt vielleicht an die einprägsame Zugbrücke am Rand der Altstadt oder die Burg, die sich oft markante Sonderausstellungen an Land zieht. Vor einigen Jahren ging es dabei um die Puhdys, die ewigen Rockrentner, jetzt gerade heißt das Motto „Drauf geschissen!“. Gar nicht eklig, vielmehr mit guten Prisen von Humor und höchst informativ geht es um das stille Örtchen, mit dem ja jeder Mensch ganz unmittelbar und besonders regelmäßig zu tun hat.

Die Zugbrücke führt über den Storkower Kanal, und ihr Verhältnis zum Marktplatz kann im Gedächtnis leicht zu Verwechslungen mit Zehdenick führen. Doch während Zehdenick eher nördlich liegt und von der Havel und einigen Stichteichen umspielt wird, besetzen rund um Storkow große und noch größere Seen die Hauptrolle. Für noch mehr Wasserreichtum sorgen neben dem Storkower Kanal weite Luchwiesen und alles zusammen dafür, dass hier ein beständiges Kommen und Gehen von Zugvögeln hör- und sichtbar ist.

Storkower Kanal

Von Storkow aus lässt sich hervorragend in alle Richtungen ausschwärmen. Gleich um die Ecke erhebt sich eine der größten Brandenburger Binnendünen, weiter im Nordosten liegen die hügeligen Wälder rund um den Zwei-Seen-Ort Kolpin, die bald schon fließend in die Rauener Berge übergehen. Im Südosten bietet sich als schöner Klassiker die Umrundung des Storkower Sees mit seinen gemütlichen Dörfchen und dem schönen Plankenweg im Süden an, die bei Belieben zu einer Stippvisite zum Scharmützelsee in Wendisch Rietz ausgedehnt werden kann. Westlich der Stadt streckt sich die Groß Schauener Seenkette, geschmiedet aus fünf bis sechs teils dickbauchigen Seen, und im nördlichen Westen liegen schöne Dörfer wie Alt Stahnsdorf, Kummersdorf und Wolzig, die durch allerlei Wasseradern verbunden sind. Wem das alles zu groß ist, dem empfiehlt sich eine schöne Runde um die Stadt, die in steter Tuchfühlung zum Wasser bleibt und eine unterhaltsame Vielfalt an den Tag legt.

Rastbänkchen am Treidelweg, Storkower Kanal

Storkow

Rund um die Zugbrücke herrscht den meisten Teil des Jahres ein gewisses Getummel von Stadtbesuchern und Freizeitkapitänen, von Anglern und Stadtjugend. Wenn weniger Betrieb ist und gerade keine Schleusenzeit, liegt auch schon mal eine gut gebaute Miez flächig auf dem Brückenfundament, dermaßen langgestreckt, wie es nur in der allergrößten Nachmittagsfaulheit möglich ist. Heute ist es frostig und weder Miez noch Mensch weit und breit außer einem kariert-wattierten Angler mit breiten Schultern und hochstehender Wollmütze. Gegenüber reckt sich ein Baukran in den Himmel, der irgendwie zu groß scheint für diese Stadt.

Philadelphia am Storkower Kanal

Der Treidelweg entlang des Storkower Kanals beginnt als Sträßchen, geht dann in breite Uferwiese über und ist nach dem letzten Haus nur noch ein Trampelpfad an der Grenze zur Erkennbarkeit. In gewissen Abständen stehen zusammengenagelte, stabile Bänkchen und stärken die Hoffnung, dass sich der Pfad fortsetzt. Nach beiden Seiten kann der Blick weit ausschwärmen. Während von weither Kraniche zu hören sind, von oben hin und wieder Gänse, stehen tief in den Wiesen als Wintervertretung des Storkower Wappenvogels weiße Reiher, die uns nahe heranlassen, bis sie dann doch das Weite suchen. Kurz vorm Waldrand bei den Türkenbergen fließt von rechts ein Entwässerungsgraben zu und verhilft der hiesigen Bank zu einer Halbinsellage, die ungemein einladend ist für eine Rast. Dahinter geht es weiter über saftige Wiesen, voraus überspannt den Kanal eine kleine Eisenbahnbrücke, über die jede Stunde ein Züglein in Richtung Storkow saust.

Weg nach Groß Schauen

Philadelphia

Nach dem wilden Queren der eingleisigen und schnurgeraden Bahnstrecke kommt hinter dichtem Nadelwald ein markantes Haus am Rand von Philadelphia in Sicht, halb Schloss, halb Werksgebäude. Wer gern Maschinenöl riecht, große Antriebsräder schätzt und solide Aggregate, deren Zündungen man problemlos mitzählen kann, kennt den Namen Philadelphia vielleicht vom Treckertreffen, das bis vor Kurzem alle zwei Jahre stattfand und eines der bekannteren war im Ackerlande Brandenburg.

Blick über die vereiste Groß Schauener Seenkette

Vom Dorfrand verlockt ein schöner Treidelweg weiter entlang des Kanalufers, doch wir schlagen unsere Haken durchs Dorf, vorbei an einem Teich und der alten Eiche, dann entlang eines Scheunenviertelchens und der schönen Badewiese am Dorfteich. Jenseits der Landstraße räkelt sich ein uriger Feldweg zwischen den Feldern, begleitet von alten und teilweise grotesk geborstenen Weiden, die nur einen Meter höher voller Leben stecken. Rechts auf dem Acker stehen so nah wie nie zwei Kraniche und machen nochmals klar, wie groß diese stimmstarken Flugsaurier wirklich sind. Für diese und jenen durchaus auf Augenhöhe.

Groß Schauen

Noch vor Groß Schauen steht am kleinen Badestrand die zweite Rastbank dieses Tages, unschlagbar in Lage und Aussicht. Über mehr als fünf Kilometer Seenfläche schaut man auf die bewaldeten Höhen bei Kehrigk und scheinbar noch viel weiter. Der Dunst des Wintertages betont wirksam jede der Entfernungsebenen. Der See liegt absolut still, die obersten Millimeter sind erstarrt, scheinbar über die gesamte Fläche. Auch das schattenschwarze Uferschilf ist frostfixiert und strebt in seiner Unbewegtheit nach einem möglichst scharfen Spiegelbild im stumpfen Eis. Die Sonne bricht fahl und unsicher durch die Wolkenberge und tut das ihrige.

In Groß Schauen

Vom großen Parkplatz berührt der Blick zum inneren Anger mehrere schwarzweiße Fachwerkwände, die in gleichmäßigen Abständen ausgelegt sind wie eine Spur Grimmscher Brotkrumen, und bereitet schon auf die besondere Anmut des eigentlichen Angers vor. Vom Feuerwehrturm vorbei am Buswartehäuschen und dem Haus mit den Milchkannen steht man schließlich am Dorfplatz, auf den das Wort gemütlich unbedingt zutrifft. Der Kirchturm sitzt nicht auf dem Dach der Kirche, sondern hockt schützend vor ihr. Stämmig und mit seinen langen braunen Holzlatten scheinbar wärmend.

Rund um den Platz mit den lose verstreuten, hohen Bäumen schlingt sich in einem Öhr die Straße, kunstvoll gepflastert aus historisch wirkenden, über Epochen rundgeschliffenen Ziegelsteinen. Von der Altarseite besehen wirkt die kleine Fachwerkkirche höher als erwartet, und auf ihrer sonnenbeschienenen Südseite steht eine Bank, die wie geschaffen ist für längeres Verweilen an einem kühlen Tag wie heute. Der sich zum Teil anfühlt wie Vorvorfrühling, doch auch wie unentschlossen gereifter Winter.

Dorfanger von Groß Schauen

Überall im Dorf gibt es Rastbänke, überdachte Raufen und Pavillons. Von einem dieser Plätze zweigt der Schaplower Weg ab und führt bald als ruhiger Radweg über die Wiesen und durch feuchtes Land. Die charaktervollen Kopfweiden stehen in vollem Saft, die jüngsten Ruten schreien ihr Gelbgrün regelrecht hinaus, selbst aus großer Entfernung ist das zu vernehmen. Hinter einem Wäldchen öffnen sich dann die großen Salzwiesen und geben den Blick auf Storkow frei. Nur ein einziger Baum mit hoher Krone unterbricht diese Fläche, doch nicht nennenswert, eher wie ein Schönheitsfleck in einem barock geschminkten Frauenanlitz.

Radweg hinter Groß Schauen

Auf einem Schild lesen wir, dass auch hier die Sielmann-Stiftung ihre bewahrenden Finger im Spiel hat, wie schon vor Kurzem unweit von Luckau. Unerwartet verhilft ein kleiner Aussichtsturm zum längst herbeigewünschten Blick auf die Groß Schauener Seen und auch auf die klitschnassen Wiesen in der breiten Uferzone. In der Tat handelt es sich hier um Salzwiesen, die man ansonsten eher am Rand des Wattenmeers erwarten würde – im Binnenland hingegen sind sie eine wirkliche Rarität. Das Meer, das sich hier einmal befand, schickt seine Jahrmillionen alten Botschaften nur an wenigen Stellen an die Oberfläche. Eine davon liegt hier bei Storkow und sorgt für salziges Grundwasser, damit verbunden für ein halbwegs kurioses Vorkommen von Pflanzen, die es salzig lieben und fast allesamt ein „Strand-“ im Namen tragen. Nun wird auch klar, warum bereits seit Philadelphia ein Salzweg unsere Schritte begleitet und uns noch weiter treu bleibt, bis hinein nach Storkow.

Bei all der Nässe rundherum wird der Weg jetzt mehr und mehr zum Damm, den keiner verlassen sollte, der gern trockene Füße hat. Rechts reicht der Schilfgürtel bis hin zum See, links des Dammes läuft ein vereister Graben mit und betont, dass die Salzwiesen nasser sind, als sie aussehen. Mitten in der grünen Weite sitzt ein Adler auf einem dieser Masten mit aufgenageltem Querholz, nimmt das Verharren unserer Blicke zur Kenntnis und verlässt mit leichtem Unwillen seine erhabene Position.

Blick vom Aussichtsturm bei den Marstallwiesen

Storkow

Nach einer eigenartigen Reihenhaussiedlung und dem Queren der Bahn flankiert der schwarzerdige Weg einen weiten Schilfteppich, hinter dem sich wirkungsvoll die Storkower Burganlage in Szene setzt. Nach etwas Zickzack durch die Wohnvorstadt ist es nicht mehr weit zur zweiten großen Küstenlinie dieses Tages. Vorbei an einer großzügigen Schulanlage geht es direkt zum schönen Strand, der die Lernmotivation im Klassenzimmer an wonnigen Sommertagen zu einem zähen Kampf machen dürfte. Das Objekt der Begierde, der Storkower See, ist ganz allein ein ähnliches Kaliber wie die ganze Seenkette von vorhin. Zwischen seinen Ufern liegt mehr als ein Kilometer, auch dieser lückenlos vereist.

Dammweg zwischen Salzwiesen und Schilfgürtel

Am flachen Strand gewinnen die Eishopser gut eingepackter Kinder gerade an Wagemut, währenddessen die rund einen Zentner schwereren Elternteile vorsorglich auf Sand und Wiese bleiben, auch wenn im flachen Wasser im Falle eines Bruches allenfalls die Sohle nass werden dürfte. An der nächsten kleinen Badebucht haben sich zwei Mädchen auf ihre Schlittschuhe gewagt und versuchen kichernd, gezieltes Vorwärtskommen, ständiges Umfallen und Touchscreen-Bedienen mit Handschuhen unter eine Wollmütze zu bekommen.

Vor einem neu gebauten Haus mit Graubetonung, direktem Seeblick und wenig Platz für Garten kommt etwas unsicher ein junges Pärchen vor zur Promenade, im Blick und über dem Kopf scheinbar die Frage, ob es wirklich das war, was sie mit der Erbschaft oder dem Lottogewinn machen wollten. Von links kommt ebenfalls zögerlich eine Frau mit ihrem glattgescheckten Lumpi, der uns mit seitlich gedrehtem Kopf fixiert auf unserer Bank, fast unbewegt und bald eine geschlagene Minute lang. Dann wird spontan für Weitergehen entschieden.

Blick über Schilf auf die Burg, Storkow

Die letzten Meter in die Stadt führt ein gut gelaunter Spazierpfad, vorbei an einer Festwiese mit Feuerplatz, der Lagerfeuer fast jeder Größenordnung wegstecken kann. Gleich danach stößt von rechts ein Seitenkanal hinzu, an dessen Rand ein kleiner Ruderboothafen schlummert. Auch hinter der Hauptstraße bleibt ein Weg am kleinen Kanal, auf dem unter anderem ein Flößer unterwegs ist, vor allem aber eine ganze Horde lebhafter Enten in freitäglicher Feierabendlaune.

Auf den Straßen der Altstadt kann man für die letzten Minuten noch mal einen Gang runterschalten, kleine Gassen erkunden und nach Belieben über den Markt schlendern, der umgeben ist von schönen und bunten Fassaden. Dem offenen Platz mit den großen Bäumen und einem guten Dutzend einladender Schattenbänke fehlt leider etwas Gastronomisches – eine Kneipe, ein Café oder ein Bäcker, der Stühle rausstellen könnte in wärmeren Zeiten. Vielleicht wird das ja wieder. Etwas weiter Richtung Zugbrücke gibt es dann das Altstadtcafé mit eigener Terrasse. Zur Zeit ist es drinnen gemütlicher, ganz klar, doch zu wärmeren Zeiten kann man sich hier gut ein Eis rausholen und damit schräg gegenüber vor die Kirche setzen. Dann noch mal rüber, noch ein Eis nachholen und vor der Kirche weiterschlecken. Selbst ein drittes Mal ist kein Problem, das Eis gibt es her.

Abendlicher Marktplatz in Storkow

Von der Zugbrücke fällt der letzte Blick zurück zum Markt, auf dessen Giebeln die untergehende Sonne sitzt, warm und behaglich. Zugleich gehen die Laternen an und zitieren eben dieses Licht, vom Markt bis hin zur Brücke. Die Miez vom Pfeiler liegt wohl hinter irgendeinem Ofen, der karierte Angler ist längst weg und nicht mal eine Ente auf dem spiegelglatten Wasser, so dass die in Laternengold getauchte Brücke nun in absoluter Stille ruht.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der S-Bahn bis Königs-Wusterhausen, dort weiter mit der stündlichen Regionalbahn (ca. 1,25 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über die Autobahn (1-1,25 Std.)

Länge der Tour: ca. 13 km (Abkürzungen möglich); wer das Queren der Bahnstrecke ohne offiziellen Übergang vermeiden will, kann die Alternativstrecke über den nördlichen Salzweg (Luchwiesen südlich des Kanals) nutzen (knapp 12 km, Wegpunkte A-F)

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Tourismusinformationen Storkow

Flyer der Sielmann-Stiftung (PDF)

Sielmanns Naturlandschaft Groß Schauener Seen

Flyer zum Salzweg (PDF)

Informationen zum Salzweg

Einkehr: Zum Fass, Storkow (keine eigene Erfahrung)
Burgstübchen (auf der Burg)(keine eigene Erfahrung)
Pension Storchenklause, Storkow
div. andere Angebote in Storkow

Kiosk am Strand am Storkower See

Görlsdorf: Schwanengeplauder, absolute Stille und der Mond am anderen Ufer

Wie es seit einigen Jahren üblich ist, schleicht sich die erste Frühlingsahnung bereits im ausgehenden Januar dezent in die Gehörgänge, ins tägliche Blickfeld und über die Atemwege auch direkt ins Herz und die Seele – wenn man denn einen gewissen Sinn dafür hat und zudem diesem Prozess keinen Riegel vorschiebt. Das mit dem Riegel dürfte gar nicht so einfach sein, denn es würde viel Weghören, Weggucken und einen effizienten Filter in der Nase erfordern.

Fjordbucht am Schlabendorfer See, bei Wanninchen

Neben dem hoffnungsfrohen Gepiepe der Wintermeisen, die schon immer die allerersten waren, sind hier und da bereits abendliche Amselliedchen zu hören, wenn auch nur zaghaft, wie aus weiter Entfernung. So als stünde das genetisch verordnete Handeln der Schnabelmusik in ständiger Hinterfrage kalendarischer Anzeichen wie Tageslicht und Temperatur. Dazwischen krächzen immer noch die schwarzen Räuber mit den wuchtigen Schnäbeln, doch selbst die wirken verunsichert darüber, ob wirklich noch ihre Zeit ist und so viel Selbstbewusstsein angebracht.

Zu weiterem Zweifel beitragen könnten auch die flächigen Heere der ersten Winterlinge, die ihre gelben Satellitenschüsseln dorthin ausrichten, wo sie die Sonne vermuten. Dazwischen stemmen sich mit blütenweißem Geläute buschige Inseln von Schneeglöckchen aus der schneeplatten Wiese. Ob nun Sing- oder auch Krächzvögel irgendwelche Aufmerksamkeit auf zeitige Blümchen verwenden, ist nicht bekannt, doch vielleicht werden sie ja im Gesamteindruck als Kundschafter des Frühlings wahrgenommen.

Neben den erwähnten Vögeln, die ganz bequem auf Balkongeländern oder Fahrradlenkern sitzen können, sind jetzt im Januar noch immer oder schon wieder solche unterwegs, die eher das Volumen eines Fahrradanhängers ausfüllen würden und sich zumeist in flachem Wasser am wohlsten fühlen. Während Kraniche und Gänse in immer größeren Scharen in den Wasserlandschaften Brandenburgs überwintern, halten es die seltener zu sehenden Singschwäne eher noch mit althergebrachten Reisegepflogenheiten. Von Süden kommend, legen Sie auf dem Weg zu ihren Brutquartieren gern längere Pausen ein, und mit etwas Glück kann man sie im Januar und Februar an der Oder oder, was weniger bekannt ist, auch im südlichen Brandenburg finden.

Nördliche Luckauer Stadtmauer

Der Lauf der Oder ist insbesondere im Bereich des Oderbruchs vom Menschen beeinflusst, was bekanntermaßen ein hohenzollerscher Fritz zu verantworten hatte. Der hob damit in der Mitte des 18. Jahrhunderts und mit den damaligen technischen Mitteln einen komplett neuen Landstrich aus der Taufe und lockte mit gutem Marketing und etwas Trickserei zahlreiche Siedler aus ganz Mitteleuropa auf die neu gewonnene und fruchtbare Krume.

Was das südliche Brandenburg betrifft, legt gut zweihundert Jahre später abermals der Mensch Hand und allerschwerstes Gerät an eine vormals unauffällige Landschaft, einen leicht hügeligen Flickenteppich aus Wäldern, Feldern und Dörfern unweit von Luckau. Unter gut zwanzig Metern Erde lagerte hier großflächig ein Braunkohle-Schatz, der nach und nach gehoben wurde. Die freigelegte Kohle wurde ein paar Städte weiter in Energie umgewandelt. Bitter ist dabei, dass für lediglich fünfzehn Jahre Kohleförderung fünf Dörfer weichen mussten – ein Schicksal, das im gesamten Lausitzer Braunkohle-Revier weit über hundert Dörfer und zehntausende Menschen betraf.

Am Markt in Luckau

Eins dieser Dörfer trug den knuffigen Namen Wanninchen. Ein einziges Haus dieses Ortes steht noch, dicht an der Kante, vor der die riesigen Bagger einst stoppten. Rund um das verwinkelte Gebäude entstand ein Ausflugsziel besonderer Art, das den Namen Wanninchen am Leben hält, gemeinsam mit einem Gedenkfindling gleich nebenan. Dieser geschundenen Landschaft angenommen hat sich die Heinz-Sielmann-Stiftung, was auch für andere Landschafen vor den westlichen Toren Berlins, bei Storkow oder unweit von Rheinsberg gilt. Wenn es beim Namen Sielmann nicht gleich klingeln sollte, tut es das vielleicht bei „Expeditionen ins Tierreich“ – die Sendung des Tierfilmers lief mit ihm bis Anfang der Neunziger Jahre – mehr als 25 Jahre lang – und war eine der ersten ihrer Art. Da schließt sich jetzt ein ganz klein wenig der weit geschlagene Bogen von und zu den Singschwänen, auf die man hier hoffen darf zu gewissen Zeiten.

Das überschaubare Gelände des Natur-Erlebniszentrums ist gleichermaßen spannend für Kinder und Erwachsene und darüber hinaus gut geeignet für eine Wander- oder Radelpause. Auch ein Abendhimmel über der gewaltigen Landschaft des fjordartigen Schlabendorfer Sees lässt sich von einem der Aussichtsplätze in Vollendung genießen. Entlang der gemütlichen Wege finden sich weiche und weniger weiche Tiere, Kräuter-, Nasch und Findlingsgärten sowie ein ausgewachsenes Steinlabyrinth, in das sich auch die Ängstlichsten hineinwagen werden.

Blick auf die Dächer der Luckauer Altstadt

Wer diesen Ort mit gewisser Regelmäßigkeit, doch in größeren Abständen besucht, kann eindrucksvoll das Neuerwachen einer kompletten Landschaft beobachten – oder besser: langzeitbeobachten. Die Flutung des riesigen Sees gilt seit Jahren als abgeschlossen, und die bizarren Formationen des Abraums werden langsam, doch stetig von Pflanzen erobert, die knallhart sind und ihre Ansprüche ganz weit unten ansiedeln. Im ausgedehnten Totalreservat südlich des Sees stehen sie noch relativ vereinzelt, so dass zwischen ihnen viel Platz ist für zahllose Fährten verschiedenster Tiere, die schon mal ihre Reviere abstecken.

Luckau

Es hat einen gewissen Charme, wenn man sich so einem eindrucksvollen Gewässer wie dem Schlabendorfer See mit gewisser Ehrfurcht oder auch Vorfreude nähert. Das gilt für die großen Flüsse wie Elbe und Oder ebenso wie für diese unnahbaren Gewässer vergangener Tagebaue, die durchaus Assoziationen an Skandinavien wecken. In geeigneter Entfernung zum See liegt Görlsdorf, eins von dreien in Brandenburg. Der Weg dorthin führt über das Städtchen Luckau, an dem man keinesfalls vorbeifahren sollte. Rund um die Stadt zieht sich ein hübscher Stadtgraben, der von der Gehrener Berste gespeist und von einladenden Spazierwegen begleitet wird, auf voller Länge und teils beidseitig. Spaziert man dort entlang, sieht es zum Teil nach Spreewald aus, zum Teil schon nach Sachsen.

Gut Görlsdorf

Der Stadtgraben folgt der Stadtmauer, die zum größten Teil erhalten ist und gemeinsam mit den wuchtigen Kirchenschiff und den gemauerten Türmen der Stadt pittoreske Sichtfenster ergibt. Innerhalb der Mauern wetteifern in den Straßen und Gassen Dutzende Fassaden und Giebel darum, wer von ihnen am schönsten oder originellsten ist, insbesondere am verwinkelten Marktplatz. Und draußen vor der Stadt liegt im Süden der Stadtpark, dem man noch immer die gestalterischen Feinheiten der Landesgartenschau ansieht, die jetzt bald zwei Jahrzehnte zurückliegt. Nicht wundern also, wenn der Aufenthalt in Luckau länger ausfällt als geplant.

Kirchlein in Görlsdorf

Görlsdorf

Ein paar Dörfer südlich von Luckau liegt dann Görlsdorf, ein schönes und aufgeräumtes Dorf mit großen Backsteingebäuden, das schon ganz klar nach Lausitz aussieht. Zu sehen gibt es hier einen Schlosspark im Schneewittchenschlummer, in seinem Herzen ein verfallendes Backstein-Schloss, das an ein Forsthaus erinnert. Weiterhin einen Gutshof, der sich an einer schönen Sichtachse ausrichtet und mit edlen Pferden zu tun hat. Vorbei an der kleinen Kirche läuft die gediegene Görlsdorfer Dorfstraße, mit schönen Häusern zu beiden Seiten und Vorgärten in früher Blüte.

Glatt gepflasterte Landstraße nach Beesdau

Am Ende des Dorfes quert die Landstraße nach Beesdau, meisterhaft gepflastert aus den klassischen Steinen von der Größe einer Bauarbeiterfaust. Solche Straßen sind in der Regel alle längst dem Asphalt gewichen. Doch dafür fehlen hier die Argumente, so astrein und glatt sind die Steine verlegt. Vor dem nächsten Haus zweigt links ein schattiger Weg in den Görlsdorfer Wald ab. Der zeigt sich vielfältig – neben alten Eichen gibt es hier dunkle Fichtenwälder und nach der ersten Lichtung sogar einen schönen Lärchenforst, der passend zur Jahreszeit gerade abgedeckt ist.

Wanninchen

Hinterm Wald ist rechts kurz eine Wasserfläche zu ahnen, doch bei der Ahnung bleibt es. Hier und da sind aus der Ferne ein paar Kraniche zu hören, ein paarmal auch Gänse, doch auch dabei bleibt es. Voraus liegt nun das erwähnte letzte Haus von Wanninchen und beherbergt heute das Erlebniszentrum der Sielmann-Naturlandschaft Wanninchen. Gegenüber hockt zwischen weiten Streuobstwiesen ein rustikaler Schafstall, der samt Wiese auch in Märchenfilmen mitwirken könnte. Der Himmel ist gerade bedeckt, doch leicht kann man sich sommerlich herumtollende Lämmchen vorstellen, die unter blühenden Obstbäumen an Butterblumen zupfen, erst spielerisch, dann auf den Geschmack gekommen.

Aussichtsbank am Gedenkstein für Wanninchen

Das Sielmann-Gelände ist an Winter-Wochenenden geschlossen – die Öffnungszeiten sind zwischen dem Zurück- und Vorstellen der Uhren eher auf Schulklassen zugeschnitten. Das ist schade, da wir nicht aufs Gelände können und auch nicht zu den Schildkröten oder auf die Aussichtstürme. Es ist aber auch schön, da wir den berauschenden Blick von der Rastbank beim Gedenkstein und diese ganze riesige Landschaft rundherum exklusiv genießen dürfen. Wie exklusiv es in der Tat ist, merken wir erst, als wir eine Weile sitzen, ein Tässchen Tee geschlürft und fürs erste ausgeplappert haben, schließlich still werden angesichts dieser Dimension, die unbewegt zu unseren Füßen liegt.

Mondlandschaft am jenseitigen Ufer, Wanninchen

Hunderte Vögel sind auf dem See, die ihre Töne machen könnten. Der Wind könnte leise säuseln oder brüllend in die Gehörgänge donnern, denn das kann er gut an diesem See. In den Wipfeln rauschen. Doch nichts ist zu hören, keine fernen Kraniche, nicht eins der wenigen Flugzeuge, die den Korridor am Tag überqueren, auch nicht Herr und Frau Krüger aus Beesdau, die ihre nachmittägliche Ausfahrt auf dem Rad machen, wortlos, doch mit Kiesknirschen unterm Reifen. Es ist absolut still. Dicht dran an dieser Stille, wo man das eigene Blut in den Adern rauschen hört – was eigentlich nur in abgelegensten, halbmetertief verschneiten Winterwäldern geht.

In Faszination erstarrt staunen wir auf den See hinaus, suchen mit dem Fernglas die mannigfaltigen Horizonte ab, um vielleicht die Stelle zu erwischen, wo ein paar rastende Singschwäne im flachen Wasser stehen. Das erste Geräusch in der Stille sind scheinbar weit entfernte klassische Enten, die sich über einen derben Witz zerreißen. Kurz darauf irgendwo ein Kranichpaar. Dann wieder die Stille. Unvermindert eindrucksvoll. Das nächste Schnattern kommt erst nach einer Weile, auch dieses von weit her.

Beobachtungsplattform beim Natur-Erlebniszentrum

Erst nach dem zweiten Tee haken wir den Gedanken noch einmal nach und erinnern uns an eine Reportage, schon lange her, über Singschwäne. Dieses andere Schnattern, das müssen sie gewesen sein. Denn die großen Vögel singen ja nicht immerzu, wenn sie den Schnabel öffnen, sondern pflegen wohl tagsüber auch gemäßigte, normale Unterhaltung. Das Fernglas bringt schließlich die Bestätigung, hart am Rand seiner Reichweite. Sie sind es. Wir haben sie gefunden, ganz hinten in der Bucht, zwei Kilometer weg im Westen. Als greifbare Ahnung.

Man könnte hier noch ewig verharren, den Rücken angenehm gekrümmt, doch ist zum einen noch allerhand Rückweg übrig, zum anderen folgt jetzt eine schöne Passage entlang der noch nicht allzu alten Uferlinie. Genau jetzt kommt die erste Sonne des Tages heraus, verhilft dem See zu etwas Blau und schärft der Mondlandschaft gegenüber die Charakterzüge noch etwas nach. Der Blick reicht ewig weit nach Süden, und gemeinsam mit dem Dunst der Ferne erwacht nun wirklich der Eindruck einer Fjordlandschaft, wie man es schon länger vom Senftenberger See kennt. Mit jedem Rückblick von der kurvigen Straße erschaffen sich neue Gemälde der Naturromantik, gewinnt die Landschaft immer noch an Weite.

Blick über den glatten See nach Schlabendorf

Die scharfen Kontraste unterm klaren Sonnenlicht sind fast etwas irritierend nach einer grauen Woche mit irgendwie verschwommenem Wetter, stetem Griesel und Niesel und unentschlossenen Temperaturen. Es knallt regelrecht. Als wäre der Asphalt des Radweges gestern erst erstarrt, die Nadeln an den Bäumen frisch gewachsen und der gesamte See frisch überlackiert. Denn passend zur großen Stille für die Ohren fällt jetzt jene für die Augen in den Blick – diese große Wasserfläche liegt vollkommen glatt, nicht eine Kräuselung, und man hat den Eindruck, kein Vogeltier würde es wagen, im Flug etwas fallen zu lassen oder auf dem Wasser eine Spur zu provozieren.

Uferschilf am Schlabendorfer See

Es ist fast ein wenig unwirklich, so dass man sich jetzt und hier nicht über ein riesiges Seeungeheuer mit üblem Atem wundern würde, das mit einem Schlag des langen Schweifes den ganzen See zum Wogen bringt. Das könnte schon ein Größeres sein, denn der See ist im Schnitt knapp zehn Meter tief, im Maximum wohl über dreißig. Doch das Spektakel bleibt aus. Der See liegt weiterhin so glatt, dass jeder herausragende Zweig versunkener Bäume eins zu eins gespiegelt wird. Dementsprechend deutlich ist hinter einer winzigen Insel von der Größe eines Spreewaldkahns die Schlabendorfer Kirche klar erkennbar, wohlgemerkt mit Hilfe des Fernglases.

Rad- und Fußweg unweit des Ufers

Jetzt kommen die ersten Menschen ins Spiel, die hier Freizeit und Bewegung genießen, sei es mit Rollen unterm Fuß, Fifi an der Leine oder ganz einfach auf dem Rad, ganz ohne Gegenwind. Jetzt endlich kommen auch Frau und Herr Krüger, die demnach eher Schlabendorf zuzuordnen sind als Beesdau. Und nicht mal knirschen unterm Reifen, sondern lautlos über Asphalt rollen entlang einer jungen Allee. Die Ufer sind nicht mehr kahl, an vielen Stellen hat sich buschiges Schilf angesiedelt und befreit die künstliche Uferkante mehr und mehr von ihrer Sprödigkeit. Am Knick mit Blick auf Schlabendorf steht ein dreikantiger Unterstand, der vor allen Windrichtungen Schutz bieten kann. Gen See auch komfortabel mit Bank, gen Wegkurve informativ mit allerlei Tafeln. Hier treffen sich jetzt fast alle, die gerade unterwegs sind. Der See liegt stahlblau und glatt.

Skandinavische Impression im Osten

Schlabendorf am See

Ein Abstecher nach Schlabendorf ist bei ausreichend Zeit eine Option. Das Dorf, das es länger gibt als Berlin, ist im Rahmen der Wende um ein Haar der Abbaggerung entkommen. Ein hübsches Kirchlein steht dort, und seit einiger Zeit gibt es auch einen kleinen Seglerhafen.

Schutzhütte auf halbem Weg nach Schlabendorf

Wir wollen zur Dämmerstunde noch zum Kranichturm im benachbarten Freesdorf und drehen landeinwärts ab. Schon nach wenigen Minuten ist nichts mehr zu sehen vom großen See und seinen Landschaften, dafür kommt auf der schnurgeraden Straße nach Görlsdorf in einer Baumlücke das Görlsdorfer Kirchlein in Sicht. Das hätte man ihm auf die Entfernung gar nicht zugetraut. Ein tiefergelegter altrosa Golf rast in gewisser Inkonsequenz vorbei – weit schneller als notwendig, doch lange nicht schnell genug, um Interessierte zu beeindrucken. Rechts voraus vom nassen Borcheltsbusch sind jetzt schon die Kraniche zu hören, die man zu Hunderten auch am See hätte haben können, an einem anderen Tag.

Genau dort steht auch der Kranichturm, der bereits an der Landstraße ausgeschrieben war. Von hier lassen sich zur Zeit des Sonnenuntergangs ganze Scharen von Kranichen und Gänsen beschauen, die zunächst auf dem benachbarten Acker den Tag auswerten, dann aufwändig die Verteilung der Schlafplätze diskutieren und schließlich mit noch größerm Theater in die sichere Obhut des großen Moores umziehen. Der Turm bietet dafür einen komfortablen Logenplatz. Wer dazu neigt, in schönen Momenten die Zeit zu vergessen, sollte für den Weg hinab eine Taschenlampe dabei haben oder zumindest noch einen Akku-Balken übrig am drahtlosen Draht in die Welt.

Blick über die Felder nach Görlsdorf

Auf dem Rückweg nach Luckau treffen wir am Straßenrand auf eine Schafherde, ebenfalls sehr groß, doch abendlich verschwiegen. Der Schäfer macht gerade Feierabend und überlässt seine Schäfchen der Gesellschaft einer Handvoll kleiner Schwäne, die weiter hinten auf der Wiese stehen und leise schnattern, auf besondere Art. Ab heute mit Wiedererkennungswert.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): am Wochenende nicht praktikabel, auch in der Woche 2-3,5 Std. (über Lübben und Luckau)

Anfahrt Pkw (von Berlin): 1,5-2 Std. (Autobahn Ausfahrt Duben)

Länge der Tour: ca. 13,5 km, Abkürzungen möglich (wahlweise kann man direkt zum Natur-Erlebniszentrum fahren, Parkplatz für Autos und Fahrräder vorhanden); bitte beachten: fast die ganze Tour verläuft auf harten Belägen, dämpfende Sohlen empfehlen sich

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Luckau

Heinz Sielmann Natur-Erlebniszentrum Wanninchen

Hauptseite der Sielmann-Stiftung

Schlabendorfer See

Kranichturm am Borcheltsbusch

Einkehr:

Landgasthof Zum Auerochsen, Freesdorf
zahlreiche Gastronomie in Luckau

Stücken: Das Zweistromland, ein Dezemberstorch und die Schwingungen am Himmel

Still und leise kam der Dezember herangeschlichen und übt sich nun im kurzen Wechsel von klamm-ungemütlichen Novembertagen und ersten Anflügen von Winterweiß, die jedoch selten eine Doppelstunde überstehen. Die hochfliegenden Formationen großkalibriger Zugvögel haben Mitteleuropa den Rücken gekehrt, und von den kahlen Bäumen knarzt und krakt es aus respekteinflößenden Krummschnäbeln dunkelgekleideter Kälteexperten, zwischen denen die wenigen Wintermeisen gleich doppelt so niedlich klingen wie ohnehin schon.

Feuchtwiesen vorm Blankensee, bei Körzin

Die ausgehende Adventszeit bringt nun neben nächtlicher Eiseskälte wieder diese Tage mit sich, die es zwischen den Dämmerungen auf weniger als acht Stunden Lichtausbeute bringen. Das kann völlig ausreichend sein, wenn Sonne im Spiel ist und auch Himmelblau. An trüberen Tagen hingegen sorgt es dafür, dass jeder seine beheizbaren vier Wände dreifach zu schätzen weiß. Selbst Leute, die sonst gerne draußen sind, beeilen sich mit dem Abarbeiten monatstypischer Listen und sinken dann zuhause seufzend ins erstbeste Sitzmöbel, zumindest für einen wohlverdienten Augenblick von der unverhandelbaren Länge eines dampfenden Getränks.

Wer in dieser Zeit seine freien Stunden an der frischen Luft verbringen möchte sieht zu, dass von dem knappen Lichtkontigent nichts verschenkt oder beschnitten wird. Keine ausgeprägten Tallagen also, nicht tiefe Wälder und überhaupt gar nichts, was Schatten werfen kann. Als höchstes Zugeständnis allenfalls ein Waldrand. Freie Weite ist passend, wo die Abwechslung maßgeblich in den Horizontlinien stattfindet, im Detail betrachtet gerne auch vor Ort.

Weg zur Kirche in Stücken

Davon reichlich bietet das Land, welches sich im Südwesten zwischen Nuthe und Nieplitz aufspannt. Wie das nach einem ähnlichen Rezept verfasste Havelland ist es frei von großem Spektakel und daher vergleichsweise unbekannt, und es bietet mit seinen großzügigen und wasserreichen Landschaften eine Faszination, die sich schwer mit anderem in Brandenburg vergleichen lässt und Gedanken an ein Müritzland en miniature aufflackern lässt. Die Natur hat hier mit großem Pinselstrich gemalt, nicht mit feinen Linien und Getupfe, und diese sympathische Großspurigkeit verleiht ein exklusives Gefühl, da man all das in den meisten Augenblicken ganz für sich allein haben darf.

Dennoch ist es kein fixiertes Bild, denn irgendwo bewegt sich immer irgendwas. Vergleichbar dem Blick in einen klaren Sternenhimmel wird es immer mehr, je länger man in eine Richtung schaut und versucht zu fokussieren beim fahlgrauen Licht des nahenden Winters. Wenn sich fürs Auge einmal wirklich nichts bewegt, dann ist etwas Lebendiges zu hören, und eher als rauschende Wipfel sind das hier ganze Scharen großer Zugvögel, die noch einmal die Jahreszeit betonen, die eigentlich schon im Begriff zu gehen ist. Die Vögel hingegen scheinen bereits ihr Reiseziel erreicht zu haben, sonst wären sie nicht mehr hier, sondern auf dem Weg ans Mittelmeer.

Dorfstraße in Stücken

Stücken

Schöne Ausgangspunkte finden sich zwischen der Stadt Beelitz, bekannt für ihren Spargel, und dem beschaulichen Trebbin. Erstere liegt an der Nieplitz, das zweite an der Nuthe, und beiden gemein ist, dass in letzter Zeit viel Geld darauf verwendet wurde, das pittoreske Stadtbild aufzuhübschen – jeweils mit sichtlichem Erfolg. Auf der Mitte zwischen beiden liegt das hübsche Dorf Stücken, von dem sich gut eine Umrundung des Blankensees beginnen lässt. Die hält bis auf eine Ausnahme respektvollen Abstand zum Ufer und verleiht damit dem einen, kurzen Strandbesuch doppeltes Gewicht.

Auch wenn sich also der umrundete See nur selten zeigt, ist es bereichernd, von ihm zu wissen, denn ein größeres Wasser zu umrunden ist ja immer eine kleine Leistung, dank der später das verdiente Abendbrot noch etwas besser schmecken darf.

Stücken ist eins von den Dörfern, das seinen Charme abseits der Durchfahrtstraße entfaltet. Am großen Rastplatz zweigt die Dorfstraße ab und schlägt bis zum Ortsrand einen weiten Bogen, der mit schönen Häusern, einer eingekuschelten Kirche und mehreren Einkehrangeboten zu unterhalten weiß. Das heben wir jedoch für die letzten Schritte auf, die im Idealfall in der weihnachtlich erleuchteten Dämmerung stattfinden sollen.

Weg in die Feuchtwiesen des Königsgrabens, bei Körzin

Von der schmiedeeisernen Kirchpforte lockt ein breiter Weg zur feld- und backsteingerahmten Kirchentür, der flankiert wird von verschiedensten Nadelbäumen, die sich auch in Alter und Dicke erheblich unterscheiden. Alles zusammen ergibt für einen Augenblick das Gefühl von Nachhausekommen. Unterhalb der römisch bezifferten Uhr hängt ein großer gelber Weihnachtsstern, der sich vom Wetter unbeeindruckt zeigt. Und ebenfalls der Dämmerung entgegensieht, die seine Stunde sein wird.

Draußen auf der Straße quert ein eiliger Trecker, weiter hinten verlässt eine Familie ihren Wagen und strebt wohin, wo um die Ecke offenes Feuer lodert. Mitten im Dorf quert eins der vielen Mühlenfließe im Brandenburgischen. Dieses hier entspringt nahe des Seddiner Sees und strömt zu den ausgedehnten Feuchtwiesen im Westen des Blankensees. Diese unwegbaren Wiesen gibt es überall in der Nuthe-Nieplitz-Niederung, und gemeinsam mit herbstlich abgeernteten Feldern erklären sie die hohe Beliebtheit dieser Landschaft bei all den durchreisenden und verweilenden Wasservögeln.

Blick über die Feuchtwiesen und den Blankensee zu den Glauer Bergen

So glasklar, wie das Mühlenfließ aussieht, muss es sehr kalt sein. Schon am Wiesenweg entlang des Ufers wird nochmals deutlich, dass in der letzten Woche fast täglich Regen fiel, hier scheinbar erheblich mehr als dort. Die gefütterten Gummistiefel zahlen sich aus und ersparen klamme Zehen für den Rest der Tour. Vorn quert ein befestigter Weg, auf dem winterlich Gekleidete mit oder ohne Hund und meist den Händen in den Taschen ihre Dorfrunde beenden und sicher auch zum heimeligen Feuerflackern wollen.

Am Ende der Pappelreihe geht es links durch ein Wäldchen. Auf dem breiten Weg ist Pfützenslalom angesagt, und die Dunkelheit selbst im kleinsten Kiefernwald bestätigt, dass die offene Landschaft für heute gut entschieden war. Hinterm Wald öffnet sich nach Westen eine lange Blickfreiheit, an deren Ende Kraniche zu hören sind, so einige. Das ist immer etwas erhebend. Es ebbt nicht ab, und was zunächst noch klang wie zweidrei Handvoll dieser Vögel, wird zu Hunderten bis hin zu Tausenden. Eine Klangkulisse, die man sonst eher vom November kennt.

Die Nieplitz bei Stangenhagen

Dann kommen sie näher, und es wird sichtbar, das ganze Ausmaß. Abertausende wechseln von den Äckern zu den Abendlagern rund um den Blankensee oder weiter zu den Nuthewiesen und vielleicht bis hin nach Zossen. Jetzt wird der Flugraum knapp, und es mischen sich die archaischen Saurierlaute der Kraniche mit dem eloquenten Palaver aus hundert Gänseschnäbeln – es ist nicht auszuschließen, dass da so einiges durcheinanderkommt am Himmel. Eben immerhin noch klein in der Weite dieser Landschaft, sind wir jetzt nur noch winzig angesichts der dritten Dimension, die das Klangspektakel hinzufügt. Es lädt ein zur Euphorie.

Nachdem der erste Schwung vorbei ist, lassen wir den Blick sinken und hätten fast den Abzweig verpasst, der durch ein kleines Bruch direkt in die Wiesen führt. Mitten durch dieses erstaunlich grüne Grün zieht der Weg seine sanften Kurven, voraus gewinnen im diesigen Tagesgrau die Häuser des Weilers Körzin an Gestalt. Versprechen dicht des Wegs die Maulwurfshügel anhaltend trockene Füße, stehen schon einen Steinwurf weiter die Wiesen flächig unter Wasser. In ihnen stakst ein Storch herum, wahrhaftig, und versucht gar nicht erst, wie ein Silberreiher auszusehen. Ein Storch im Dezember – das muss gleich raus als Bild an die naturversessene Freundin, gleich noch ein O-Ton hinterher, nicht vom Storch, sondern vom Himmel. Die Antwort kommt sofort.

Körzin

Vom Körziner Dorfrand bietet sich ein vieldimensionales Bild in Richtung Norden. Ganz vorn die Kuhweide, grenzend an die Wiesen voller Wasser. Dahinter kahle Bäume in der Ferne und weiter hinten ganze Pappel-Reihen, dann im Hinterkopf gewusst der große See und schließlich als Horizont der sanfte Höhenzug der Glauer Berge, deren Querung einen schon ins Schnaufen bringen kann.

Uferpfad am Pfefferfließ, am Rand von Stangenhagen

Ein Dutzend Häuser bieten viel Futter fürs Auge. Einige haben sich hier ihren Traum verwirklicht oder sind noch dabei, wie der Bursche, der mit seinem Jüngsten einen Gartenacker umgräbt, beide mit großen Atemwolken vor der Nase und gegenseitigem Verständnisnicken. So klein die Siedlung ist, gibt es hier neben Einkehrmöglichkeiten und einem Pferdehof auch eine der wenigen Falknereien im Lande Brandenburg. Das erklärt die großzügigen Parkplatzangebote, und davon abgesehen kann man natürlich herrlich in die Wiesen ausschwärmen oder eine gediegene Runde von etwa einer Stunde drehen. Gegenüber auf der Weide grasen Pferde und Kühe friedlich, trotz gleicher Interessenlage. Ein Pferdemädchen sorgt nebenan für Hufe in Bewegung.

Stangenhagen

Entlang der Bundesstraße scheint dann alles etwas größer gebaut, als es nötig wäre – breite Straße, edler Radweg, riesiges Geländer. Man erwartet umgehend ein Gewerbegebiet. Doch stattdessen schlägt der Radweg einen freundlichen Bogen um ein paar Bäume, und mit der Nieplitz und dem Pfefferfließ werden zwei breite Wässer überquert, die links und rechts mit urigen Landschaften locken. Kurz vor Stangenhagen beginnt am Ende eines althergebrachten Dammweges ein reizvoller Uferpfad entlang des Pfefferfließes, hin zu einem Vogelbeobachtungsturm. Wer noch eine halbe Stunde übrig hat, dem sei der wasserreiche Abstecher empfohlen, der zudem noch die schöne Stangenhagener Dorfstraße mitnimmt.

Uferhang voller Schafe, bei Stangenhagen

Vorbei an der kuriosen und durchaus sympathischen Kirche, die es wohl unter die Top 25 der sachlichsten Kirchbauten der Welt schaffen dürfte, steigt die Straße langsam an, bis sie bei einem kramigen Hof mit einem gelangweilten Hund den Ort verlässt, der nach einer kurzen Anhöhe nicht mehr zu sehen ist. Zwei urige Aussichtsbänke lassen kaum eine Wahl. Hier sitzend ruht der Blick theoretisch auf der weiten Wasserfläche, in der Tat fällt er heute auf enorm viele Schafe, die immer noch mehr werden, je länger man den Blick auf dem schon halb berupften Wiesenhang ruhen lässt. Analog der Situation vorhin. Das lenkt davon ab, dass der Blick aufs Wasser ohnehin vom klammen Uferwald verstellt ist, und führt zu manchem Blickaustausch mit den wettergerecht bekleideten Käuern.

Unterhalb einer bewaldeten Erhebung wird die Spur von knorrigem Robinienwald begleitet, links lässt sich wahlweise auf der Weide laufen. Dann beendet eine buschige Gasse auf schöne Weise den Weitblick, und schließlich, auf Höhe dreier grundverschiedener Grundstücke mit exklusivem Seeblick, kommt nun zum ersten Mal die weite Wasserfläche in Sicht, mit Blick aufs ferne Blankensee, in diesem Fall das Dorf. Passend dazu gibt es schöne Bänke hier und da. Der Weg hält noch immer seine Höhe, die etwa zehn Meter über dem Seespiegel liegt. Landseits wird mehr und mehr eine ausgedehnte Streuobstwiese sichtbar, die nach mehr aussieht als nur einem ausgefallenen oder landlustigen Freizeitvergnügen.

Aussichtsbänke an der Streuobstwiese, mit Seeblick

Endlich kommt der Abstieg, gefolgt von mysthischen Minuten in einem herrlich schwarzwassrigen Bruchwald, dessen Geräusche zur Dämmerstunde man lieber nicht kennen will. Wieder im Licht besteht je nach Wetter, Jahreszeit und Beweidung die Wahl zwischen der stillen Landstraße oder dem Weg am Bruchrand quer über die Wiese. Wer für die Straße entscheidet, kann bis zum Rand von Blankensee gleich drauf bleiben, wer von der Wiese kommt, dem empfiehlt sich ein Bogen vorbei an ein paar Häusern, gefolgt von kaum erkennbaren Schleichwegen und einer abschließenden Wiesenquerung. Das letztgenannte Gemisch ist eindeutig reizvoller.

Blankensee

Am Rand von Blankensee lässt sich schon erkennen, dass dies ein spezielles märkisches Dörfchen ist. Der Weg vom großen Parkplatz hinab zum Ufer lässt an Sanatorium und Kur denken, sieht ein bisschen nach „Bad Blankensee“ aus. Im Herzen des Ortes und auch drumherum wartet einiges, das zu entdecken lohnt, nicht unbedingt alltäglich ist. Als Stichworte abseits der Strecke seien genannt das markante geformte Kirchenzentrum Waldfrieden, die langgezogenen Glauer Berge und vor allem das Naturparkzentrum mit dem weitläufigen Wildgehege. Beides ist gelegen vor den Toren der vielgesichtigen, etwas sonderbaren Friedensstadt. Im Dunkeln leuchten dort die Fenster aus den hanggelegenen Häusern und schaffen durchaus etwas Mittelgebirgsflair.

Der kleine Strand am Blankensee, Blankensee

Selbst ohne Verlassen der Blankenseer Ortslage ließe sich ein schöner Tag verbringen, mit Schloss und Park und Uferwegen, schönen Brücken und einem Abstecher zur Kapellenruine am Seechen, einem Besuch beim Imkerladen oder dem Bauernmuseum mit der Museumsschänke. Der Ort, den man nicht verpassen sollte, ist der Bäcker-Dorfladen mit kleinem Café in der Dorfmitte. Dieser Laden strömt Herz und Seele aus und entlässt niemanden mit leeren Taschen oder leerem Magen. Wer übrigens getrunkenen Kaffee gleich wieder wegbringen will, findet eine der charmantesten Toiletten im Lande gleich um die Ecke, angedockt an ein Feuerwehrhäuschen in Kapell-Gestalt und mit angemalter Mülltonne.

Unten also bei den „Kurhäusern“ kommt jetzt endlich die Stelle, die einen direkt ans Ufer lässt, unverschilft und ohne Blickbegrenzer. Eine Bank steht hier, auf der man sich den strammen Seewind durch die Haare blasen lassen kann, und spätestens jetzt kommt der Gedanke an eine kleine Müritzumrundung wieder, deutlich und kontrastreich. Je länger man nachdenkt, desto mehr Entsprechungen finden sich. Keinesfalls ist es eine Miniatur in Einszueins, doch Stimmung und Gefühl, Unnahbarkeit und Naturnähe, Wildheit und Weite der Horizonte, all das ist nahe dran an dieser Landschaft rund um den größten deutschen See. Etwas vor dem Ufer treiben mit winterlich sparsamer Gestik verschiedene Sorten von Enten, von den Wellen im Ganzen durchgeschaukelt.

Steg mit freier Sicht auf den See, Blankensee

Ewig könnte man hier sitzen, doch zum einen bleibt der Wind nicht ohne Wirkung und die Thermoskanne zeigt schon Boden, zum anderen wird die Sonne bald weg sein, die Landschaft nur noch schemenhaft zu sehen und wir nur schwarze Schatten für die Handvoll Autos, die hier fahren. Also weiter auf den schönen Plankensteg, der einen überm Wasser wandeln lässt, in Augenhöhe mit dem hohen Schilf und in bester Hörweite zu allem, was sich darin abspielt. Einige Spaziergänger zücken Ferngläser und suchen übers weite Wasser, ein paar ältere Damen blieben lieber auf dem griffigen Laternen-Weg, denn der nasse Steg ist rutschig nach den letzten Tagen und dem spröden Wetter. Bei einer winzigen Fallstufe führt eine Brücke über die Nieplitz, deren Uferpfad mit seinen wehenden Trauerweiden stark verlockt.

Weiteren Verlockungen müssen wir widerstehen – dem komplexen Honigladen, dem urigen Museumshof und dem Portal zum Schlosspark, doch beim Bäcker, der eigentlich längst zu haben müsste, geht der Widerstand doch in die Knie. Kurz aufwärmen, was Heißes trinken, das wäre schön, so vor der letzten Stunde Weges. Hier ist noch ordentlich Betrieb, doch die Theken werden jetzt wirklich abgeräumt, die Kühlregale abgehängt. Am Grund der großen Thermoskaffeekanne sind gerade noch zwei Tässchen drin, und so gelingt die erhoffte Unterbrechung.

Hier gibt es alles, was wichtig ist, darüber hinaus noch einige Regalen mit Regionalem. Ein paar davon stehen um einen tragenden Pfeiler, und um das Ganze dreht ein kniehoher Knirps stiefeltapsend seine Runden und zählt verlässlich mit, wobei die Drei die Obergrenze darstellt und daher öfters aufgerufen wird. Beim Verkünden der Zahl wird stets kurz innegehalten. Es ist ein sympathisches Treiben hier drinnen, zusammengesetzt aus verschiedensten Leuten. Zuletzt schlurft noch eine ältere Dame aus dem Dorf hinein und braucht dringend irgendein schickes Brot, weil sich überraschend die Kinder angemeldet haben. Bekommt sie, ihr schickes Brot mit Doppelnamen, von hinten vorgeholt.

Das lebendige Herz von Blankensee

Wieder draußen ist jetzt das Schwinden des Tageslichts unübersehbar, wohingegen die entfernten Schwingenchöre verlässlich den Hintergrund gestalten. Das mit dem Licht ist nicht tragisch, denn auf dem ruhigen Sträßlein würde man schlimmstenfalls sogar bei völliger Dunkelheit bis zum ersten Fensterlicht von Stücken finden – dank der schlichten Sensorik, die Stiefelsohlen auf Asphalt ermöglichen. Doch die fast schon greifbar hohe Luftfeuchtigkeit sorgt für eine diffuse Streuung des verbliebenen Dämmerlichtes und schafft an den Horizonten rundum graulastige Aquarelle mit Waldkanten und Wipfellinien, erstarrten Weiden, Schilfinseln und pfützenglänzenden Wiesenflächen. Irgendwo ganz weit hinten im hohen Grase stehen unbewegt wildlederfarbene Pferde mit Siebziger-Jahre-Mähnen, im erstarrten Formationstanz in den Wind gedreht.

Nur wenige Fahrzeuge stören den Autopilot der Schritte, fordern nur jeweils ein kurzes Verlassen des Asphalts ein. Noch einmal wird im Süden kurz die Wasserfläche sichtbar, in deren nassen Uferbereichen detailreich all die Vogelleiber zu ahnen sind, die sich in die Verteilung der Schlafplätze arrangieren. Anfangs noch wuselig, dann mehr und mehr geordnet.

Die einzige Stelle, wo die Straße durch Grundstück und Buschhecke etwas schmaler wird, ist bei den Häusern von Breite. Dahinter bestimmt das Wasser des Königsgrabens und seiner Adern die Niederung, und vor dem Flankieren des Weinbergs ist sogar noch eine letzte Rast drin, mit den allerletzten Schlückchen warmen Tees. Erst hinter der Höhe kommt Stücken in Sicht und sieht mit all seinen Fensterlichtern nun besonders heimelig aus.

Stille Straße durch die weite Niederung, bei Breite

In der Ortsmitte zeigt sich, dass diese Stimmung sich noch steigern lässt. Hinter einer offenherzigen Hofeinfahrt ist im Fliederhof ein allerliebster kleiner Adventsmarkt aufgebaut, der unmittelbar mit stillen Fackeln und kienknackenden Feuerschalen lockt, darüber hinaus beim Nähertreten mit Düften von Flüssigem und Festem sowie allerlei Ergebnissen menschlicher Handfertigkeit. Friedlich ist die Stimmung, die Dimension überschaubar und Futter da für alle Sinne. Die Finsternis der längsten Nächte hat in Minuten übernommen, betont jede der bewegten Flammen und wäre jetzt an keinem anderen Ort willkommener.

 

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): wochtags über Regionalbahn nach Michendorf, von dort Bus (ca. stündlich)(ca. 1,15 Std.); am Wochenende seltener, alternativ über Potsdam (ca. 1,45 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über A 115 (Avus), dann Saarmund abfahren (ca. 1 Std.); alternativ über B 101 und A 10, dann Michendorf abfahren (ca. 1,25 Std.)

Länge der Tour: 17,5 km (ohne Südhaken 15,5 km)

 

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

 

Links:

Internetauftritt von Stücken

Nuthe-Nieplitz-Niederung

Informationen zu Blankensee

Naturpark-Zentrum am Wildgehege Glauer Tal

Landbäckerei Röhrig in Blankensee

 

 

Einkehr:

Landhaus zu Stücken, Stücken
Fliederhof Syring (Café-Restaurant)

Restaurant Landlust, Körzin
Café Zum Kirschbaum, Körzin

Landhaus Waldfrieden (geöffnet zu Johannischen Kirchenfesten), Blankensee
Museumsschänke am Bauernmuseum, Blankensee
Landbäckerei Röhrig (mit Laden und Café), Blankensee

Gastronomie im Naturpark-Zentrum Glauer Tal (knapp 1 km östlich von Blankensee)

Herzsprung: Eichenalleen, weiße Kleider und die unsichtbaren Scharen

Die ersten Nachtfröste kamen mit schnellem Schritt und haben gleich richtig zugeschlagen. Im erwachenden Licht des Tages präsentieren sie lückenlos filigranweiße Landschaften, die übersät sind mit einer unschätzbaren Menge winziger Eisnadeln, keine davon länger als ein Wimpernhaar oder kürzer als der Durchmesser eines Stecknadelkopfes. Es ist ein überwältigendes Bild. So eins, von dem man hofft, es wenigstens einmal im Laufe eines Winters zu erwischen. Dazu bedarf es jedoch einer Konstellation aus frostig klarem Sonnenhimmel, noch jungem Vormittag und nächtlicher Minusgrade, die freie Tage betreffend zumeist am zweiten Argument zu scheitern droht. Manchmal klappt es dennoch.

Stille Eichenallee zwischen Ganz und Ganz Ausbau
Stille Eichenallee zwischen Ganz und Ganz Ausbau

Erfahrungsgemäß passen zu so einem Bild in der Gleitzeit zwischen Herbst und Winter auch weit oben ziehende Formationen großer Vögel, die man zumeist erst hört. Dann den Kopf in den Nacken knickt zur Suche und meistens fündig wird nach einigen Sekunden, meist höher als erwartet. Das hat die gleiche Kraft der Faszination sowohl mitten in der Großstadt als auch über den einsamen Weiten menschenarmer Landstriche, jeweils auf seine Weise. Und stellt unweigerlich klar, dass die kalte Zeit begonnen hat, die mit den knappen Sonnen- und gemütlichen Teestunden.

In Herzsprung
In Herzsprung

Die Prignitz ist landesweit wohl ähnlich bekannt wie zum Beispiel das Hohenloher Land, der Elm-Lappwald oder das Thüringer Holzland – jede für sich besuchenswerte Gegenden mit speziellen Reizen, doch eher von regionalem Ruf. Wer schonmal von ihr gehört hat, verbindet vielleicht teils superlative Begriffe wie „Zugvogel-Paradies“, „am dünnsten besiedelt“, „absolutes Nachtdunkel“ und „östlich der Elbe“. All das ist korrekt, dazu kommen noch zauberhafte Landschaft, große Weite und eine ganze Reihe charaktervoller Städtchen, oft mit historischen Stadtkernen. In diesem Zusammenhang muss ehrlicherweise gesagt werden, dass regionale Tagesausflügler, die von der Prignitz sprechen, meist die Ostprignitz meinen, denn die Reise von irgendwo in Brandenburg oder Berlin in den äußersten Nordwesten Brandenburgs ist schon noch eine andere Entfernungsklasse, fast immer im dreistelligen Kilometerbereich.

Zaun vor Wald am Rand von Herzsprung
Zaun vor Wald am Rand von Herzsprung

Herzsprung

Etwa auf der Mitte zwischen Ost- und Westprignitz liegt, etwas südlich von Wittstock/Dosse, das Örtchen Herzsprung. Beide Ortsnamen dürften Autofahrern geläufig sein, die gelegentlich in Richtung Rostock oder Hamburg unterwegs sind. Ein hübsches Dorf mit guten märkischen Zutaten – es gibt eine Feldsteinkirche auf einem Hügel, ein Gutshaus und einen See sowie allerhand landschaftsgestaltendes Wasser drumherum. Und sogar das Hochhaus am Rande des Ortes, das meist zur Unterbringung landschaftlichen Personals errichtet wurde, in den Jahrzehnten von Hippies, Schlaghosen und Röhrenjeans und sicher auch schon davor.

Am Waldrand bei Herzsprung
Am Waldrand bei Herzsprung

An der Kirche, die souverän auf ihrem Hügel hockt, findet gerade eine Art Subbotnik statt, der jedoch eigentlich gar keiner sein kann, da er ja an der Kirche stattfindet. Der Subbotnik ist ein Begriff aus den Zeiten des Ostblocks. In einem sonnabendlichen Arbeitseinsatz sorgte die Bevölkerung im Orte pflegend und räumend für ein schönes Erscheinungsbild oder zweckmäßige Ordnung, freiwillig und entgeltlos. In der DDR verkam die gute Idee mit der Zeit zu einer Art Pflichtübung, die manchmal auch ohne eigentlichen Sinn oder Nutzen auskam. Wer jedoch nicht dabei gesehen wurde, riskierte Miskreditspunkte, wer besonders eifrig und gut sichtbar teilnahm, konnte der Genehmigung problematischer Anliegen entgegenarbeiten. Heute wird der Begriff hier und da wieder für Arbeitseinsätze wie Frühjahrsputz oder Laubbeseitigung auf Straßen und öffentlichen Flächen genutzt. Davon abgesehen gibt es in letzter Zeit – unter weniger gefärbter Bezeichnung – überall derartige Einsätze, was schön ist und die Wertschätzung jeglicher Altersgruppe am eigenen Umfeld intensiviert.

Eine einsame Brücke später - fast derselbe Wald, fast dieselbe Zeit, andere Ausrichtung
Eine einsame Brücke später – fast derselbe Wald, fast dieselbe Zeit, andere Ausrichtung

Vor dem Gutshaus ruht auf einer großen Waage, mit der sich gut Kartoffelsäcke wiegen ließen, ein kleines Rudel großer Kürbisse, farbenfroh, kältekonserviert und dennoch allmählich in die Knie gehend. In den Vorgärten hat sich trotz kräftiger Sonne an nordorientierten Büschen und Zäunen der weiße Nadelzauber erhalten, der Blumen und Beeren zu bunthäutigen Schneeigeln werden lässt. Das Vieh auf den Weiden atmet Dampfwolken aus, die sekundenlang Bestand haben, und die frühzeitig hochstehende Sonne treibt im Walde eindrucksvolle Spiele mit Wipfellücken, beschlagener Luft und eisigen Kristallen. Zurück in die Wirklichkeit bringt plötzlicher Gegenverkehr am Waldrand – ein Transporter zieht schwer an einem Anhänger voller steinharter Rüben. Der Blick übers Feld ist dunstig, der in den Wald zieht den Blick zu immer neuen Spielen der staubigen Sonnenstrahlen.

Strahlenfächer im Nadelwald zwischen Herzsprung und Ganz
Strahlenfächer im Nadelwald zwischen Herzsprung und Ganz

Zwischen zwei Wäldchen steht auf der Wiese eine Brücke, gänzlich unangebunden. Sie ist breit genug für eine Bundesstraße, in guter Verfassung und umgeben von Fragezeichen. Die eher theoretischen Auffahrten sind erdig, äußerst kurz und bestenfalls für echte Allrad-Fahrzeuge zu bewältigen. Jemand hat dem soliden  Bauwerk zu einem Zweck verholfen und den überbrückten Bereich mit stacheldrahtbewehrten Weidetoren versehen, die so hoch und ehrfurchtgebietend sind, als wären hier zu den Ruhezeiten Mammuts von launischer Natur unterbracht. Das klingt nicht vollkommen unwahrscheinlich, hier zwischen all den Eiszeitlandschaften. Hinweise auf einen verrückten Wissenschaftler gibt es jedoch keine, was ganz angenehm ist.

Hutträger im Moose
Hutträger mit transparenten Untertrikotagen im klammen Moose

In der Tat steht man hier vor einer Art stillem Denkmal, das in dunklen Zeiten gebaut wurde und als Reichsautobahn zwischen Berlin und Hamburg über irgend etwas hinüberführen sollte. Eindrucksvoll ist angesichts ihres guten Zustandes der Fakt, dass die Brücke schon stand, bevor es überhaupt diese Autobahn gab. Und zwar nicht ein paar Jahre vorher, sondern um die vier Jahrzehnte. Die deutsch-deutsche Geschichte hatte für einige Verzögerungen gesorgt und die Autobahn jetzt eher mit Putlitz und Parchim zu tun als mit Pritzwalk und Perleberg.

Feuchter Talgrund bei Ganz
Feuchter Talgrund bei Ganz

Vorbei an der Brücke führt der Weg hin zum feuchten Wiesengrund eines winzigen Baches, der unentschlossen zur Dosse strebt. Der sichtbare Wegverlauf verliert sich bald, also folgen wir den Wasserläufen zum nächsten Hochstand, da zu Hochständen erfahrungsgemäß immer ein befahrbarer Weg führt. Gehen bevorzugt entlang von Maulwurfshügeln, da diese erfahrungsgemäß immer auf trockenem Grund fußen. Das mit dem Hochstand stimmt auch dieses Mal. Enorme Buchen stehen am Damm, der den Weg eine Winzigkeit über den Talgrund erhebt, einige von ihnen sind spektakulär geborsten und lassen nochmals kurz an hungrige Mammuts in übelster Laune denken.

Haus am Waldrand, Ganz
Haus am Waldrand, Ganz

Im Wald wechseln die Baumbestände zwischen lose stehenden Kiefern, dichten Fichtenwäldern und buntbodigen Laubgehölzen. Wipfel und Sonne gestalten an mehreren Stellen imposante Lichtfächer, wie wir sie bisher selten sahen. Viele große Ameisenhaufen residieren am breiten Zubringer, den so ein Waldweg bietet. Nur wenige sind geplündert, und allen gemeinsam ist die absolute Krabbellosigkeit. Die Ameisen haben die wiederholten Bodenfröste zur Kenntnis genommen und sich zur Winterruhe in die tieferliegenden Katakomben zurückgezogen, das Arbeitsjahr beendet.

Weg hinein nach Ganz
Weg hinein nach Ganz

Ganz

Zuletzt führt der Weg über einen goldenen Laubteppich genau auf ein warmes Licht in einem Haus zu, das heimelig am Waldrand liegt und den nördlichen Vorposten des Dorfes Ganz markiert. Im Dorf stehen Ponys auf ihrer Weide, gegenüber hat sich jemand einen zauberhaften Garten geschaffen, in dem die Landlust erfunden sein könnte. Ein Turm täuscht vor, die Kirche zu sein. Die jedoch ist hier eine einfache Kapelle, der Turm hingegen gehört einem der Gutshäuser im Ort, das auf Zuwendung oder eine gute Idee oder beides wartet.

Stiller Alleeweg nach Ganz Ausbau
Stiller Alleeweg nach Ganz Ausbau

Von der weißen Friedhofskapelle führt eine urige und pulssenkende Eichenallee in Richtung Lellichow, die weite Blicke über die Felder gestattet und im Rückblick noch lange das Weiß der Kapelle im Auge behält. Rechts des Weges türmt sich ein mammuthoher Haufen Altholz verschiedenster Stärke, in dem sich ein reges Leben verschiedenster Vögel abspielt, sicher vor magenknurrenden Füchsen, Krähen oder ähnlichen Nahrungskettlern. Bei den Häusern und Wohnwagen von Ganz Ausbau beginnt eine kleine Straße, einige Hühner bringen hier Leben ins Bild, sonst niemand. Dahinter wirft der Waldrand lange Schatten gen Norden, so dass sich eine dicke Reifschicht bis jetzt auf den ungefällten Maispflanzen halten konnte und nun markant ihre Kälte abstrahlt. Wir treten ein in die frostige Hälfte dieses Tages. Von den erhofften und erwarteten Zugvögeln ließ sich bis jetzt niemand vernehmen. Erst jetzt hören wir die ersten drei Kraniche, die sich zwischen den Kiefernwipfeln am Himmel kaum ausmachen lassen.

Diesiger Ackerblick zum Postluch
Diesiger Ackerblick zum Postluch

Lellichow

Die Straße queren wir in Lellichow bei einem vielfältigen Angebot schöner Rastmöglichkeiten, doch ist gerade kein Bedarf. Zudem liegt eine ungewisse Passage voraus, und mit der hat man keine Rastruhe im Bauch, ist eher unrastig. In der Tat sieht es zunächst ganz gut aus, doch dann verschwindet der Weg entlang des klammen Schilfgürtels nach und nach oder ist versperrt von welk gewordenen, querliegenden Bäumen. Es ist ein zauberhafter und uriger Weg, der terrassenartig entlang betagter Eichen verläuft, links unter sich das frostfahle, flächige Schilf. Doch er ist am Verblassen. Viele Quellen entspringen hier, weichen mit ihrem kristallklaren Wasser den Waldboden unberechenbar auf und verbreiten eine leicht archaische Stimmung, hier im verlassenen und lautlosen Talgrund. Über dem Schilf hängen schon erste Nebelschwaden und spielen dieser Impression noch in die Karten.

Im schilfigen Grund des Kattenstiegbaches (NSG Mühlenteich)
Im schilfigen Grund des Kattenstiegbaches (NSG Mühlenteich)

Kattenstiegsmühle

Ohne Wassereinbrüche im Schuh und mit leichtem Aufatmen erreichen wir den nächsten Querweg und ein paar Abbiegungen später die Kattenstiegsmühle, die ein unerwartet reizvolles Ensemble bietet, komplett in Reif gekleidet und mit Kahnhafen, Angelteich und Badestelle. Sowie einer Einkehrmöglichkeit mit schönem Biergarten, die sogar offen hat. Der obere See ist komplett zugefroren, und während hier noch jeder Baumstamm Schatten wirft, verdichten sich weiter hinten schon die Nebel. Um die Mühle rankt sich eine kleine Sage mit Happy End, die Interessierten den ungewöhnlichen Namen erklärt. Wir müssen leider das Tageslicht im Auge behalten, mehr als wir zu diesem Zeitpunkt ahnen, und ziehen weiter ohne frisch gebrautes Heißgetränk.

Bestandsfrost an der Kattenstiegsmühle
Bestandsfrost an der Kattenstiegsmühle

Ein paar Anstiegsmeter bringen neue Wärme unter die Jacke, was durchaus angebracht ist. Oben beginnt eine Allee, abermals kräftige Eichen, und von nun an sinkt die Sichtweite unter vierzig Meter, wird alles bisher Sichtbare geschluckt. Von vorn tönt laut, fast schon bedrohlich eine Unzahl von Gänsen, Abertausend oder sogar mehr. Da sind sie endlich. Doch wir werden sie nicht sehen. Am Campingplatz trinken wir auf einer Bank am Straßenrand den vorletzten heißen Tee.

Eichenallee im aufziehenden Nebel, bei Kattenstiegsmühle
Eichenallee im aufziehenden Nebel, bei Kattenstiegsmühle

Königsberg

Kurz danach beginnt Königsberg. An der ehemaligen Schule staunen wir nicht schlecht. Hier gab es einst ein beredtes Wandrelief im real sozialistischen Stil, doch muss das doch woanders gewesen sein, denn hier steht ein Gutshaus. In der Nachschau finde ich heraus, dass der Plattenbau der Schule an das Gutshaus angebaut war und ohne eine Spur entfernt wurde. Das Gutshaus ist nun wieder unversehrt und kann mit seinen Nebengebäuden eine schöne Ensemblewirkung entfalten, sogar jetzt im dichten Nebel. Das Relief wurde vielleicht an irgendeine Scheunenwand gerettet, wenn sowas geht. Passenderweise vielleicht im Rahmen eines Subbotniks.

Eisbeeren im Vorgarten, Königsberg
Eisbeeren im Vorgarten, Königsberg

Im Zentrum des Angersdorfes liegt die Kirche, ganz leicht erhöht und nebelentrückt. Die roten Beeren in manchen Vorgärten haben sich ihre Eisnadeln bis jetzt bewahrt, bis zur Dämmerung dürfte ihnen an diesem Tage nun keine Gefahr mehr drohen. Auf dem Lychweg verlassen wir Königsberg. Hinter einem kleinen Wasserlauf ist er dann stark zugewachsen und erfordert viel Muskelarbeit für die ohnehin schon müden Oberschenkel. Der Nebel zieht sich immer dichter um uns zusammen. Leicht unterhalb liegt eine Kuhweide, an deren Hang zum Weg dickstämmige Eichen wachsen und veritable Schattenspender für das Vieh abgeben, wenn er wieder mal gebraucht wird, der Schatten. Zur Zeit sind weder Vieh noch Schatten da, noch ein Bedarf dafür.

Schemenhafter Kirchriss im letzten Licht, Herzsprung
Schemenhafter Kirchriss im letzten Licht, Herzsprung

Am nächsten Wald gibt es wieder klare Wege und das Tagesziel in guter Griffweite. Hier ist es schon recht dunkel, was die weiß kristallisierten Spinnennetze zwischen Halmen und Zweigen um so atmosphärischer wirken lässt. Ein Beweis mehr für die enorme Belastbarkeit von echtem Spinnengarn, so schwer, wie sie da hängen, wie Colliers. Hinterm Wald liegt passend dazu ein weiß bereifter Acker und wirft das allerletzte Licht des Tages dreifach stark zurück vom Boden. Am kleinen Friedhof erreichen wir Herzsprung, in den Fenstern leuchten schon die ersten bunten Lichterspiele. Die Kirche auf ihrem aufgeräumten Hügel ist nur als Schatten wahrzunehmen, sie könnte so auch tief im südwestenglischen Dartmoor stehen, unweit von Baskerville. Zum Glück bellt jetzt kein Hund – das wurde schon beim ersten Haus erledigt, ein paar Minuten früher.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): kaum praktikabel (werktags ca. 3 Std. mit mehrfachem Umstieg, am Wochenende gar nicht)

Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der Autobahn Richtung Hamburg/Rostock bis Abfahrt Herzsprung (1,25-1,5 Std.)

Länge der Tour: ca. 18 km; die Tour in der Karte hat wegen einiger Unwägbarkeiten größere Abweichungen zur beschriebenen; Weg über die zeitweilige Viehweide Wegpunkte A1-A5, verblassender Weg bei Lellichow Wegpunkte B1-B9; zwischen den Wegpunkten 9 und 10 ist der Weg auf dem Damm leicht verwachsen; zwischen den Wegpunkten 23 und 24 ist der Weg ggf. stark zugekrautet

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Download der Wegpunkte

 

Links:

Ortsinformationen zu Herzsprung

Einsame Brücke auf dem Acker bei Herzsprung

Kattenstiegsmühle

Ortsinformationen zu Königsberg

 

 

Einkehr: Kattenstiegsmühle (mit schönem Biergarten; keine eigene Erfahrung)(ganzjährig, im Winter nur um das Wochenende geöffnet)

 

Grobskizziert – Falkenhagen/Mark: Tausend Schnäbel, sechs Seen und das Krokusrätsel

Wer im zeitigen Frühjahr die Ankunft und Zwischenrast der Zugvögel miterleben möchte, muss dafür nicht unbedingt bis in die Prignitz oder ins Oderbruch reisen. Sehr gut geht das auch in den Ländchen rund um Linum, im Havelland oder zum Beispiel in der wasserreichen Landschaft rund um Falkenhagen, und zwar dem etwas südlich von Seelow. Na gut, da ist man dann auch schon fast im Oderbruch, doch auch ein paar Nummern kleiner haben ihren Reiz.

Hintertürchen zum Kirchhof
Hintertürchen zum Kirchhof

Falkenhagen liegt liebenswürdig eingesenkt in eine dieser schönen Landschaftsrinnen, wie sie im Osten Brandenburgs an mehreren Stellen zu finden sind und die eigentlich alle ganz besonders schöne Landschaften hervorbringen. Relativ bekannt ist das unvergleichliche, bezaubernde Schlaubetal. Doch auch der langgezogene Gamengrund, der sich über vierzig vielfältige Kilometer von den Berliner Randdörfern bis hinauf zum Oderbruch streckt, oder jener besonders waldreiche, der am Kurpark von Bad Freienwalde als Brunnental beginnt, schaffen jeweils ganz eigene, zurückgezogene und gleichzeitig einladende Welten. Den unausweichlichen Bezug zur Eiszeit lasse ich heute einmal dort, wo er gerade ist und bekräftige ihr nur kurz meinen Dank für diese Landschaften.

Buntes Altarraumfenster gen Osten
Buntes Altarraumfenster gen Osten

Auch die Rinne, an der Falkenhagen liegt, zeigt mit etwas Toleranz und ohne zuviel Wissenschaftlichkeit betrachtet eine beachtliche Länge, ist erstaunlicherweise kaum kürzer als das Schlaubetal oder der Gamengrund. Vom Tal der stark mäandernden Spree bei Drahendorf im Süden könnte man ihre Kontur auf einer reichlich überhöhten Reliefkarte vorbei an Briesen, Lietzen und Diedersdorf fast bis an den Rand des Oderbruchs bei Platkow nachfahren, ohne mit dem Finger großartig abrutschen zu können.

Falkenhagener Superlativ im Gesamt-Panorama
Falkenhagener Superlativ im Gesamt-Panorama

Falkenhagen/Mark

Falkenhagen ist von vielen Seen und Teichen umgeben, so dass es hier vermutlich keine Erwähnung wert ist, wenn man vom eigenen Haus aufs Wasser blickt. Nicht zuletzt aufgrund dieser natürlichen Gegebenheit ist das schöne Dorf bestens ausgestattet für angenehmes Verbringen freier Zeit. Mehrere Restaurants gibt es und das Oderlandcamp, das einiges Auf und Ab hinter sich hat und aktuell wohl für eine Falkenhagener Betten-Gesamtzahl von 338 sorgt. Vor allem aber gibt es eine großzügige Badestelle unterhalb eines robinienbestandenen Wiesenhangs – Berg und Tal sind in der Ortslage allgegenwärtig, und die Kirche steht immerhin zwanzig Meter höher als die Stelle, wo man den ersten spitzen Badefuß ins Uferwasser setzen könnte. Gegenüber der Badestelle ankert sogar eine schmale Insel mit mageren Bäumen, die vermutlich an keiner Stelle einem Fuß oder einem Knie festen Boden bietet, doch allemal ein schönes Ziel darstellt für hin und zurück oder „Wer erster da ist!“. Platz für einen sommerlichen Eiswagen auf dem pensionierten Fundament eines mutmaßlichen Kiosks ist auch vorgesehen.

Gänse über dem buchtenreichen Galgsee
Gänse über dem buchtenreichen Galgsee

Auf dem Weg zur Badestelle liegen ein Sportplatz mit sensationellen Tribünenplätzen, ferner ein ansprechender Spielplatz sowie eine Strandmuschel für kleine Aufführungen, wie man sie von Bäderorten am Meer kennt. Nur eben eine Nummer kleiner. Doch so abwegig scheint das nicht, wenn man hier und in der Umgebung einen Tag verbracht hat mit viel frischer Luft – Bad Falkenhagen in der Mark.

Radweg nach Arensdorf oberhalb der Weiherkette
Radweg nach Arensdorf oberhalb der Weiherkette

Die vielen Seen und die Lage des Dorfes in ihrer Mitte gestatten viele Variationen des Lustwandelns oder Spazierens, ohne sich jeweils weit vom Badestrand bzw. der nächsten Möglichkeit für ein kaltes oder heißes Getränk entfernen zu müssen. Die umgebende Natur ist nicht nur einfach schön oder dezent spektakulär, sondern bei aller Kleinräumigkeit von großer Vielfalt. So gibt es verschiedenste Formen von Wald und stille Talgründe, weite Wasserflächen und dichte Feuchtwälder oder Sumpfland, wahlweise auch die große Weite mit stets leicht erhabenen Blicken über umschilfte Weiher und sanft-welliges Land.

Bei Jochenshof
Bei Jochenshof

Für die Verbindungen dazwischen sorgen neben breiten und weichen Wegen auch naturnahe Pfade und zwischen Schwarzem See und Schmielensee ein leicht abenteuerlicher und sehr verspielter Bohlenweg mit zwei stabilen Brücklein und einem kleinen Pass dazwischen. Das war jetzt im zeitigen Frühjahr mit seinen knappen Farbkontrasten schon von spezieller Schönheit und dürfte mit Laub an den Bäumen und Farbvielfalt im Spektrum fast ein wenig berauschend sein, dort nur wenige Zentimeter über dem Nassen über die Planken und durch die Botanik zu wackeln.

Weg zurück Richtung Falkenhagen
Weg zurück Richtung Falkenhagen

Am Beginn des Dammes zwischen Burgsee und Schwarzem See stand einst auf einem Hügel ein Schloss englischer Bauart über dem Wasser. Vom Schloss ist nichts mehr zu sehen, doch der Schlossberg ist noch da samt einigen Pfaden, die hinauf locken. Wer planlos nach Falkenhagen fahren möchte, kann sich am Parkplatz an der Kreuzung nördlich der Kirche die Karte anschauen und auf passende Ideen kommen. Hier ist gut dargestellt, wo am besten langgeht, wer eine, zwei oder drei Stunden unterwegs sein möchte – großartig verlaufen kann sich eigentlich niemand. Fünf Seen stehen bereit zur Umrundung, und von einem einzelnen bis zur Kombination aller fünf stehen alle Optionen bereit. Da sind dann noch nicht die weiten Hügelländer im Westen dabei und ebenso wenig die ausgedehnten Wälder der Falkenhagener Heide im Osten.

Im kleinen Talgrund am Mühlenteich
Im kleinen Talgrund am Mühlenteich

Apropos: wer seinen Wunschweg gegangen ist und womöglich nach so viel Lieblichkeit und Schönheit das Verlangen nach einem kalten Schauer an jedem einzelnen Wirbel des Rückgrats verspürt, kann diesem Verlangen mit einem Abstecher in diese Wälder nachkommen. Zunächst trifft man dort auf hierzulande eher seltene Tannen und Roteichen ebenso wie auf frühjahrslichte Buchen- und märchendunkle Fichtenwälder. Davon abgesehen sind der Wald und die Gegebenheiten stellenweise recht abweisend, was gut so ist und irgendwie passend. Was sich hier verbirgt, zum Teil unter der Erde, ist eine während des Zweiten Weltkrieges geplante und gebaute Fabrik-Anlage mit direktem Bahnanschluss. Hier sollten im großen Stil chemische Kampfstoffe hergestellt werden sollten, im Detail das Nervengas Sarin. Zum großen Glück kam das Ende des Krieges rechtzeitig, um diese Produktion gar nicht erst anlaufen zu lassen. Das einstige Verbindungsgleis von Falkenhagen hinauf zur Fabrik baute die sowjetische Besatzungsmacht im Rahmen von Reparationen ab, so dass nur Fachkundige im Ort selbst noch Spuren dieser Zeit ausmachen können. Auch das ist eigentlich gut so, denn ich finde, man darf die heutige Zeit doch ruhig die heutige Zeit sein lassen, solange die Geschichte nicht vergessen, an sie erinnert wird.

Steg am Burgsee
Brauner Steg am Schwarzen See

Denn einfacher als im teils spröden Gewirr der Waldwege und dennoch unvermindert effektiv geht es auch mit einem Besuch der wuchtigen Kirche, die zwischen den dicken Grundmauern ihres noch wuchtigeren Turmes eine kleine und gelungene Ausstellung zum Thema eingerichtet hat, hier im Herzen des Ortes. Diese bringt es gut auf den Punkt – und lässt einen nach dem Besuch erleichtert aufatmen, wenn sich drei dicke Türen später wieder der freie Himmel hoch über dem Scheitel wölbt und ein Hahn schreit irgendwo im Dorf oder ein davonstiebendes Huhn aufgackert.

Verwirrendes Spiegelschilf am Ufer des Schwarzen Sees

Und was sich unter diesem Himmel zur Zeit so abspielt, führt nun zurück zum Anfang. Allgegenwärtig ist das Hin- und Herziehen der lärmenden Gänsescharen, die sich von all den Seen hier scheinbar am mehrfach taillierten Galgsee mit seinem breiten Schilfgürtel und den flachen umliegenden Feldern am wohlsten fühlen. Die lose Weiherkette Richtung Jochenshof haben wiederum die Kraniche des heutigen Tages als passend ausgewählt, die einmal so nah wie noch nie neben uns auffliegen. Überall in den noch unbelaubten Wipfeln und im Buschwerk entlang der Wege und alten Bahndämme zwitschert und plappert es, die Vielfalt der Stimmen nimmt jetzt von Woche zu Woche rasant zu. Eine Geräuschkulisse wie ein freundlicher Tritt in den Hintern des Winters, auch wenn er sich den jetzt noch nicht klanglos bieten lassen wird.

Plankenpfad zwischen den Seen
Plankenpfad zwischen den Seen

Das unterstützen auch mit großem Einsatz Horden von Schneeglöckchen, die weit entfernt von irgendwelchen Gärten überall hier ganze Flächen weiß färben. Übrigens geht in dieser Hinsicht am nördlichen Ufer des Burgsees im Märzen eine charmante Idee auf, davon abgesehen ein schönes Suchspiel für Groß und Klein, wenn man unterhalb des Waldhanges den Uferweg entlangspaziert. Hier steht am Wegesrand ungefähr alle dreißig Meter ein kesser Krokus, leuchtend im nachwinterwurstigen Waldboden, und nie ist gewiss, ob es vielleicht der letzte war oder doch noch einer kommt. Als dann wirklich keiner mehr kommt, ist der gesamte Boden mit einem Teppich aus Efeu überzogen, der bis fast zum Schlossberg reicht. Da wäre es vielleicht vergebene Liebesmüh gewesen, das Spiel noch fortzusetzen, denn der immergrüne Efeu ist ja nicht nur immergrün, sondern auch höher als so ein Krokus.

Brücke beim Matheswall
Brücke beim Matheswall

Egal, ob man nun auf einer Bank am Wegesrand oder am Ufer sitzen möchte und den ganzen Tag nur gucken, ein Ründchen um einen der Seen spazieren und danach gleich hineinspringen oder sich längere Zeit im Schlurfschritt zwischen den Ortseingangsschildern von Falkenhagen treiben lassen – jede dieser Optionen ist lohnend, besonders natürlich, wenn das Licht schon länger bleibt und keine Mütze mehr benötigt wird. Doch auch zur Zeit der Laubfärbung, bei zugefrorenen Seen oder eben jetzt im spätwinterlichen Vorfrühling mit seinen ersten zarten Düften und vereinzelten Farbpunkten lohnt es, sich hierher auf den Weg zu machen.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): nur wenige und umständliche Verbindungen am Tag (2,25-3 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über B 1 nach Müncheberg, dort Richtung Frankfurt/Oder und in Petershagen links nach Falkenhagen (ca. 1,5 Std.)

Länge der Tour: variabel 5-14 km

 

Download der Wegpunkte