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Päwesin: Januarsonne und stille Wasser im Westhavelland

Die erste Woche des Jahres befand sich fest im Griff des Winters, der den Norden Deutschlands für zweidrei Tage komplett weiß einkleidete. Das reichte sogar für ausgedehnte Eisschollen auf dem größten Fluss in der Berliner Innenstadt. Vor dem Anlauf für den nächsten Kälteschub taut es nun, so dass Skier und Schneeschuhe weiterhin warten dürfen. Spikes wären heute nicht verkehrt, doch vielleicht tun es auch dicksohlige Stiefel mit markantem Profil.

Am Rand von Päwesin
Blick zurück nach Päwesin

Ein lichtreicher Tag mit reichlich flacher Januar-Sonne ist angekündigt. Über die eisfreie Havel und mit kurzem Zwischenstopp in Nauen stoßen wir weit in den Westen vor und beginnen die Runde in Päwesin, einem freundlichen Dorf im Westhavelland, von wo es nicht mehr weit ist zur alten Stadt Brandenburg. Die wäre von hier sogar auf dem Wasser zu erreichen, der mehrteilige und nachgerade mäandernde Beetzsee sowie einige Verbinder namens Sträng, ja wirklich, Sträng, machen es möglich.

Westhavelland – das heißt zu fast jeder Jahreszeit und sehr verlässlich Geschnatter und Getröte aus der Nähe und der Ferne. Hier ist ein Paradies für Wasservögel aller Art, mit kurzen Watschelbeinen oder hochhackigen Stelzen, spitzen oder runden Schnäbeln. Ob man nun viel anfangen kann mit solchen Flugbegleitern oder nicht, diese akustische Hintergrundgestaltung kann Emotionen wecken. Und zur Erwartungshaltung werden. Wenn so ein vollständiger Verbund von Gänsen sich zäh vom Boden löst, das ist schon eine Naturgewalt und eine Gänsehaut gar keine Schande beim Betrachter.

Blick zurück nach Päwesin
Noch ein Blick zurück nach Päwesin

Päwesin

Nach der Anfahrt über schöne Dörfer sticht in Päwesin die Kirche heraus mit ihrer leicht angezwiebelten Kirchturmhaube und einem Orgelkleinod unterm Dach. Dass sich hier im Ort eine ganze Reihe buddhistischer Nonnen und Mönche Ihrer Arbeit und der Lehre Buddhas widmen, ist für den Durchreisenden allenfalls beim Besuch des Bäckers zu spüren. Auf der Straße sind die kräftig leuchtenden Gewänder bislang die Ausnahme.

Von der Buswendeschleife an der Kirche führt eine entspannte Straße aus dem Dorf, vorbei an schönen oder schöngemachten Häusern und auch Höfen, die von manchem Lebensentwurf erzählen oder seligen Augenblicken in der knappen Freizeit. Nachdem wir einige Male angekläfft wurden von unsichtbaren Hunden hinter bodenlangen Lattenzäunen, befinden wir uns unvermittelt in der zurückhaltenden Gesellschaft eines filigranen, doch kernigen Lumpi, nicht größer als ein Miez und buntgefleckt, der uns den Weg weist bis zum Ortsrand. Sich immer wieder umdreht, um zu schauen, wo sie bleiben, die Touristen. Am Ortsausgang erfolgt dann eine saubere Übergabe. Ein Auto schleicht vorbei, die Fahrertür fliegt sachte auf und Lumpi übernimmt den Platz am Lenkrad – der Fahrerschoß macht’s möglich. Noch ein kurzer Huper, dann sind sie schon weg.

Blauer Riewendsee mit Schwänen
Der blaue Riewendsee und Riewend

Jenseits der Havel, der gerne unterschätzten Wetterscheide, lag kaum noch Schnee, und so ist es auch hier, die Äcker sind nur lose weißgefleckt. Doch auf dem Feldweg sind die Pfützen noch gefroren und stehen bereit für lautstarke Spielereien. Ein Duft von aufgetautem Erdreich weht von rechts über den Weg, so intensiv, als wenn der Acker unter Schnee gelegen hätte über Wochen. Das nenne ich mal einen Hang zu Dramatik, kaum spürbar, aber ausgeprägt. Wo Schatten liegt den ganzen Tag und wenig Wind vorbeikommt, da wird der aufrechte Gang auf dem Halbgefrorenen wieder zur Herausforderung, doch ist das eher die Ausnahme hier in dieser Weite.

Vereister Weg und verschneiter Acker
Vereister Weg, verschneiter Acker

Links unten liegt in sonnenklarem Blau, durch doppelt blondes Schilf noch unterstützt, der übereiste Riewendsee als letzte schiffbare Verlängerung nach Norden. Am Ufer gegenüber lagern still und äußerst passend die Häuser von Riewend, dazwischen auf dem Eis und auf dem flachen Ackerhang ihnen gleich das wilde Federvieh, mit geballten Flugmeilen auf dem Konto. Vom Osten hin zum Wasser und zurück gibt es ein ständiges Kommen und Gehen großer Formationen von Gänsen, die Kraniche halten sich im Hintergrund.

Blick vom Klinkgraben zur Baumschule
Schilf vorn und Baumschule hinten

Vorbei an einer kleinen Siedlung an einem Stichkanal, dahinter führt der Weg durch eine eindrucksvolle Allee großer Weiden. In eine fuhr der Wind mit Wucht, ein baumesdicker Ast liegt jetzt am Boden, scheinbar noch ganz frisch. Viel Arbeit für den Förster, doch bis dahin eine sehr bequeme Bank zum Rasten. Aus dem Wäldchen wenig später duftet nun der aufgetaute Boden nach Art des Waldes und noch etwas kühler als vorhin. Etwas weiter liegt schön eingebettet in die halbgezähmte Wildnis ein kleines Haus mit Obstwiese und Heckenzaun drumrum. Direkt dahinter beginnt eine schilfige Wasserlandschaft, sicherlich ein schönes Heim für viele Teilnehmern der Natur. Vom Riewendsee stößt ein Kanal hinzu und verbindet sich im Fluss mit allerlei anderen schmalen Wasserlinien. Links im weiten Schilfgürtel stiebt einer von diesen bunten Hühnervögeln auf, die Geräusche machen wie eine rostige Gießkanne und einen zu Tode erschrecken können, wenn sie im Grase von Wegnarben einen halben Meter vor einem plötzlich hochflattern.

Sonnenbeheizte Lederpelze
Sonnenbeheizte Lederpelze

Auf dem kleinen Deich stehend treffen sich in Richtung Norden auf einen Blick drei Welten – gleich hier das undurchdringlich nasse Schilfland, weiter hinten die in Reih und Glied preußisch anmutenden Zöglinge einer Baumschule und ganz weit weg die Riesenmasten der dort dicht vernetzten Stromtrassen. Die übrigens ihre Fühler auch bis hierher ausstrecken, einer ihrer weiten Bögen hängt gleich voraus quer durch die Landschaft.

Noch vorher lässt sich der Klinkgraben queren, der im weitesten Sinne und eher theoretisch für Rindenschiffchen, kleine Enten und Faltpapierboote die nördliche Weiterfahrt bis zur schönen Borsig-Siedlung in Groß Behnitz gestatten würde, was jedoch, die Enten ausgenommen, gegen den Strom eine Herausforderung bliebe.

Alleeweg am Riewendsee
Alleeweg am Riewendsee

Nach etwas Wald nun doch unter den voltpotent zirpenden Stromleitungen hindurch und bald entlang einer Weide mit scheinbar flauschigen Kühen, über die Maßen warm angestrahlt von der schon sinkenden Sonne. Nach dem erneuten Queren des Klinkgrabens empfängt uns schattiger Wald mit einigen Lichtpunkten weiter oben und geschlossener Schneedecke ganz unten. Entlang des Weges stehen in einer Reihe alte Eichen, links und rechts davon erstreckt sich Erlen- und Buchenwald. Der gewünschte Weg durch den Bruchwald ist hoffnungslos zugewuchert und dazu grundwasserdurchtränkt, so dass wir nach zwei Versuchen einsichtig sind und außenherum gehen. Sobald es trockener wird, übernimmt verlässlich der Kiefernwald mit nadeligem Boden und kleinen Hügeln, auf denen sich gut zelten ließe.

Rastende auf und am Riewendsee
Rastende auf und am Riewendsee

Hinter der Stromtrasse beginnt gedankenversunken ein wirklich schöner Weg, der mit Sicherheit schon einige Jahrhunderte kommen und gehen sah und bestanden von Büschen und einigen alten, abgekämpften und dennoch lebensfrohen Weiden ins Dorf Riewend führt. Über die komplett vereiste Seelänge reicht der Blick von einem kleinen Strand bis hin nach Päwesin.

Riewend

Am Rand von Riewend kommt eine alte Straße aus dem Walde, historisch wertvoll ziegelgelb gepflastert in Fischgrät-Muster. In der Ortsmitte steht ein Gutshaus, Dach und Fenster sind schon neu, der Putz vielleicht noch original. Gegenüber eine kleine Kirche mit breiten Schultern, zugleich wehrhaft und von zurückhaltender Gestalt. Ein paar Gärten später kommen Schafe auf uns zu gerannt und blöken durcheinander, als wenn sie schon den ganzen Tag darauf gewartet hätten, dass wir endlich kommen.

Alleeweg kurz vor Riewend
Alleeweg kurz vor Riewend

Kurz vor den letzten Häusern zweigt ein Weg ab in den Wald der Bagower Heide, die Richtung Westen in immer weitere Heiden übergeht und so geschlossenwaldig bis nach Premnitz reicht, dem Städtchen an der Havel, wo das andere Ufer fast schon anhaltinisch ist. Der breite Weg ist stark zerfurcht und schlüpfrig von Eis und Schnee im Tauprozess, nicht jeder Fuß bleibt dort, wo man ihn hinsetzt. Wieder dient ein umgestürzter Baum als Rastbank, auf die sogar im Walde hier ein wenig Sonne fällt.

Kurz nach dem Passieren einer selbstbewussten Sechserkreuzung naht von hinten ein wuchtiger Geländewagen, die ausgeprägten Wegefurchen im Spurte mild belächelnd. Ihm voraus wetzt ein struppbärtiger Hochbeinhund, der scheinbar nie ins Rutschen kommt. Beide scheinen herausfordernd miteinander zu spielen, was die gemeinsame Geschwindigkeit betrifft. Und einander zu kennen und zu vertrauen. So bleiben alle heil.

Pause am Wegesrand
Pause am Wegesrand

Gerade als der Wunsch nach Abwechslung erwacht, führt links ein Weg hinein, ein kleinerer, beschildert zum Bagower Bruch. Das Bruch, vor hundert Jahren noch trockener Rohstoffspender für die Ziegeleien in Bollmannsruh und Riewend, ist ein kaum verzweigter See mit vielen Inselchen. Der See liegt tiefer als der Wald, dessen sonnenwarme Kante voller Kiefernnadeln ist, mit ihr der Weg. Wieder so ein Platz für’s Zelt, wenn man ihn bräuchte. Hinterm Wald tönen die Kraniche am Beetzsee, und von der Sonne ist hier kaum noch was zu ahnen. Das war den ganzen Tag wohl so, denn alle Wege sind noch stark vereist, noch angetaut.

Am Bagower Bruch
Am Bagower Bruch

Eine weitere dieser schönen alten Eichenalleen begleitet den Weg aus dem Wald, bis vom Waldrand die Westflanke des Mühlenberges sichtbar wird, zärtlich dominant. Der überragt die Seen und Dörfer hier um mehr als 30 Meter, immerhin. Bald kommt auch der Bagower Kirchturm in Sicht, und der Feierabend winkt. Die Kirche von Bagow ist ein verspieltes Gebäude voller Blickfänge, gehalten in einem nicht zu alten Rosa. Sie hat einiges erlebt und zuletzt viel Zuwendung erfahren. Die Buntglasfenster wurden wohl vor Kurzem überholt oder neu gemacht.

Abendlicht zwischen Bagow und Päwesin
Abendlicht zwischen Bagow und Päwesin

Bagow

In den Wipfeln hoch über der Landstraße tollen ausgelassen Vögel herum, Dompfaffen, die wohl am Messwein mehr als nur genippt haben und deren ohnehin schon rot leuchtende Vorderseite durch die Sonne nun vergoldet wird. Die Gedanken öffnen den farblichen Vergleich zur Leuchtkraft eines Mönchsgewandes aus dem Kloster ein Dorf weiter. Der Blick schwenkt Richtung Beetzsee, und dort drängt der orangene Abendhimmel nun mit aller Macht durch die laublosen Waldstücken und das hohe Uferschilf, dessen Blütenbüschel jedes für sich zu leuchten scheinen. Auch der Päwesiner Kirchturm lässt sich noch von diesem Licht erwärmen, und beim Blick auf seine Uhr wird klar, wie deutlich länger schon die Tage wieder sind, obwohl der Januar noch gar nicht lange läuft. Ein schöner Ausblick!

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der Regionalbahn bis Brandenburg Hbf. bzw. Nauen, dann weiter mit dem Bus (1,5-2 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der B 5 Richtung Nauen, dort links Richtung Brandenburg abbiegen und auf der L 91 bis Päwesin (ca. 1,5 Std.)

Länge der Tour: ca. 15 km, Abkürzungen gut möglich (z. B. zwischen WP 7 und 18, WP 11 und 17 oder WP 22 und 27)

Download der Wegpunkte

Links:

Seite von Päwesin

Steckbrief des Dompfaffs (NABU)

In Päwesin gibt es seit 10 Jahren eine buddhistische Klosterschule …

… die auch ein schönes Bäcker-Café im Ort betreibt.

Einkehr: Backwahn – der Back-Shop, Päwesin (mit kleinem Café, auch Sa/So geöffnet)