So ziemlich alle, die von Berlin aus hin und wieder einen Ausflug machen, werden die Woltersdorfer Schleuse kennen und besucht haben, ganz gleich ob Flaneure, Spazeure oder Leute in Wanderstiefeln. Ebenso genießerische Ganztagesbankdasitzer, die sich an schönem Orte einfach dem hingeben, was sich vor der jeweiligen Bank abspielt an Unterhaltsamem. Bedarfsfalls zu einer anderen Bank in Sichtweite umziehen, die mehr Potential bieten könnte. Wir zwei passen in jede der vier Kategorien, ganz nach Bedarf, Tagesform und Aufforderungscharakter der jeweiligen Kulisse.

Und auch wenn die Woltersdorfer Schleuse in jedem ernstzunehmenden Ausflugsführer zu finden ist, möchte ich heute diese wunderschöne Eule nach Athen tragen und dabei versuchen, mich ganz kurz zu fassen. Denn rund um die namensgebende Schleuse gibt es so viele Plätze, die für sich schon ein lohnendes Tagesziel darstellen und hier in aller Breite beschrieben werden könnten. Wer ab und zu hier hineinliest, weiß was das konkret bedeuten kann.

Als alter Wald- und Feldhase in Sachen Brandenburg denkt man manchmal von so klassischem Ausflugszielen mit entsprechendem Publikumsverkehr „klar, ist wunderschön, aber war ich schon hundertmal und verschieb ich lieber auf Zeiten, wenn weniger Leute unterwegs sind“. Und lässt dann viel Zeit verstreichen, bis Zufall oder Notwendigkeit einen wieder mal dorthin führen. Im Falle der Woltersdorfer Schleuse folgt dann jedes Mal ein großes Staunen, wieviel schöner es ja noch ist, als man’s im Gedächtnis hatte. Direkt vor den Türen der weitläufigen, lärmigen Stadt.

Dann ist es kaum zu fassen, insbesondere, wenn nach grauen, dämmrigen Januartagen das Wetter alles gibt und Sonne und Himmel für diese klare Licht sorgen, das nur diese Jahreszeit beherrscht und das gut Vorfreude auf die nächste Jahreszeit schüren kann. Sicherlich kann es bis dahin noch acht Wochen dauern, doch einige Vorboten werden sich weder von Kälte noch von Schnee beeindrucken lassen.
Die oben erwähnten vielen Plätze werde ich also, wie versprochen, weder aufzählen noch im Detail unters Wort nehmen. Doch ein paar von ihnen werden natürlich am Weg liegen und erwähnen sich damit ganz von selbst.

Woltersdorf
Bereits die Anreise nach Woltersdorf ist einzigartig und wäre es für sich wert, die kleine Reise anzutreten. Mit der S-Bahn bis Wilhelmshagen, dann in einen der fast schon historischen Gothawagen aus den 1960er Jahren, mit ihrem Rumpeln in allem, was sie tun. Oder seit kurzem in einen der polnischen Moderus Gamma LF 10 AC BD, die passend zu ihrem Namen an ein sympathisches UFO erinnern, so eins, wo man beim Erstkontakt den Kopf etwas schieflegt und einen sanft abschüssigen Summton hervorbringt. Und zum Auftakt ohne Pause minutenlang durch den Wald.

Die allererste Option ist denkbar einfach. Bis zur Endstation fahren, gleich beim Konditor rein und Windbeutel oder Waffeln verschmausen – falls man es geschafft hat, der Kuchenauslage zu widerstehen. Dann kurz zum Schleusenteich, Foto hier, Foto da, Foto von sich selbst mit schiefem Schleuserstand nicht vergessen – und dann steht sicher auch schon die Bahn für die Rückfahrt durch den Wald da. Gelungener Tag!

Oder man erweitert, schafft es am Mühlenteich vorbei und findet sich sofort im Seebadcharme der Strandpromenade mit ihren Kurparkbänken und Bootsstegen wieder. Neben den weißen Bänken und den langen Schwanenstufen bremsen hier gleich zu Beginn der Biergarten der Brauerei und der Bäckerstand, ergänzt durch die hölzerne Flakenseeterrasse.

Wer es dennoch auf die Promenade geschafft hat, staunt zum Wasser hin über die Seeblicke, die Uferschuppen und die alten Linden am Weg, zum steil ansteigenden Hang hin über manch mondäne Villa auf der Höhe oder kleine Stiegen, die auf die Höhe der Straße klettern. Bei den baulichen Geschmacksverirrungen schaut man einfach wieder nach rechts auf den Flakensee oder rückzu zum Gipfel des Eichsberges, der als einstige Deponie schon jetzt einiges hermacht in Sachen Bergoptik.

Wer jetzt Mut geschöpft hat, bleibt am Ende der Promenade einfach auf dem Uferweg, der bald zum urigen Pfad wird – mit kleinen Badestellen, liegenden Bäumen mit sitzenden Enten und kräftigen Wurzeln quer übern Weg. Dieser ist hier nach Theodor Fontane benannt, einem Apotheker aus Neuruppin. Manche werden den Namen noch aus der Schulzeit kennen.

Kranichsberg/Kranichsberge
Wer im Bereich Woltersdorf bleiben möchte, steigt beim Weißen Strand hinauf zur Fangschleusenstraße und folgt dieser zurück in den Ort. Dabei trifft man nun die oberen Enden der steilen Stiegen. Voraus ist schon die bewaldete Höhe der Rüdersdorfer Heide zu sehen, die neben unzähligen lockenden Pfaden einen stattlichen Aussichtsturm mit illustrer Filmvergangenheit zu bieten hat. Hinauf zum Kranichsberg gibt es fordernde oder moderate Aufstiegsmöglichkeiten, letztere kompromissbetont und also in verschiedenen Graustufen.

Die Wege und Pfade hier tragen herrliche Namen wie Brotsteig und Rennsteig, Thüringer Weg oder Förstersteig, auch den Löwensteig und die Harte Stiege gibt es sowie Pirschweg, Hornweg und Breiten Grund. Einige von ihnen haben durchaus kurze Abschnitte mit alpinem Charakter zu bieten. Wer schon öfter in sächsischen Wäldern unterwegs war, wird sich zudem über Gestell T und Gestell Z freuen, die sich meist schnurgerade, jedoch in höhenmetersammelndem Aufundab durch den laubbetonten Forst ziehen.

Zurück zum Kranichsberg: so dicht an Berlin kommt man selten zu einem veritablen Hunderter-Gipfel, der oben angekommen wirklich Gebirgsflair vermittelt und gut und gern am Kammweg im Oberlausitzer Bergland oder dem Erzgebirge liegen könnte. Selbst der Turm ist von passender Gestalt, die letzten Meter bis hinauf zu seinem Fuß zeigen sich jeweils nochmal etwas berglerischer.

Eine Baude gibt es leider nicht hier oben, was sich aber verschmerzen lässt in Anbetracht der reichen Auswahl im nahen Tale und der großzügigen überdachten Rastfläche. Die Aussicht von unten ist lieb gemeint, den vollwertigen Ausblick gibt es jedoch nur von der Aussichtsplattform des Turmes. Der ist für gewöhnlich am Wochenende sowie feiertags geöffnet. Derzeit bestehen bautechnische Probleme und die Tür bleibt bis auf Weiteres leider geschlossen.

Hoher Zacken
Tauglichen Ersatz für die fehlende Aussicht gibt es ganz in der Nähe – die Südtreppe runter und die Steile Stiege wieder hinauf – auf dem knapp hundert Meter hohen Nachbargipfel des Hohen Zacken, wo sich nach Südwesten hin ein schöner Blick über den See öffnet.

Mit dem Turm im Rücken oder dem Zacken im Nacken lässt allmählich das Gebrabbel der Stimmen nach, mit dem man hier selbst an Tagen mit beigem Wetter rechnen sollte. Besonders laut sind dabei gern Jungs jenseits der Fümmunvierzig, die mit geländegängigen Akku-Rädern den Gipfel erlangt haben und ihre Tat noch brühwarm in laute Prosa fassen, auch wenn gar niemand gefragt hatte.

Hochebene Rüdersdorfer Heide
Durch schönen Laubwald zieht sich der erste Abstieg auf dem Hornweg genüsslich in die Länge. Der Wald ist schon älter und wirklich schön, von der nahen Autobahn hier noch nichts wahrzunehmen. Wer seine Schritte durch diesen Wald setzt, ist tief im Mittelgebirge, zieht hörbar die klare Waldluft ein, welche Flechten und Moosen bezeugen. Die schnurgeraden Gestelle mit ihren Geländewellen haben ihren Reiz, schöner noch sind die kurvenreichen Wegspuren, die immer erst kurz vorher verraten, was direkt voraus liegt.

So macht die Kombination aus Priesterweg, Pirschweg sowie einem weiteren entsprechend Spaß, bis zuletzt der Hochwald auf Niederwald wechselt. An Tagen mit Ostwind ist nun etwas guter Wille gefragt, um das stete Rauschen der Autobahn als Sturmwind in den Wipfeln oder als Rauschen einer tobenden Küstenlinie in die Wahrnehmung zu lassen. Oder es einfach als Autobahn hinzunehmen und sich umso mehr zu freuen, dass man hier durch tiefen Wald stapft mit Wegen, die immer wieder an den Harz denken lassen.
Diesem Eindruck wird inmitten einer breiten Starkstrom-Schneise ein Krönchen aufgesetzt, als wir fast schon in Sichtweite der sechsspurigen Piste des Berliner Rings zu einem verwunschenen, fast entrückten Teich kommen. Der kleine Weiher liegt von ganz jungem Wald umgeben mitten im Nichts. Wie so ein Hochländer Harz-Teich. Ein Bächlein bewegt sich im Sickertempo gen Kalkseer Taltiefe, kommt jedoch nicht weit, zumindest nicht mit sichtbarem Wasser. Umso überraschender, dass sich am krautigen Uferpfad ein blaues Buddelförmchen findet, ganz gut erhalten, mit dem man am Woltersdorfer Strand hübsche Tintenfischlein formen könnte.

Seebad Rüdersdorf
Ein sanfter Abwärtstrend nimmt entlang des temporären Bachlaufes Gestalt an, der Wald ist licht und weiter vorne ist kurz ein Auto zu sehen. Kaum zu glauben gerade, wo man sich doch so tief im Wald wähnte. In der Tat wird an der Straße die kleine Siedlung mit dem schmeichelhaften Namen Seebad Rüdersdorf erreicht, die zur reichlichen Hälfte aus der Klinik Immanuel besteht. Als Frage bleibt noch, wo die fehlenden Abstiegsmeter bleiben, denn es ging in der letzten Stunde dem Anschein nach länger bergauf als man zuletzt abwärts stieg.
Die Siedlung trägt ein Durchschnittsgesicht, keine Bäderarchitektur und kaum Häuser mit Villen-Chique, keine krummen Gassen, keine Reihen mit gestutzen Linden oder so. Keine großen weißen Bänke. Oder klunkerbehangene Pensionärsdamen mit per Grundsatz überlegener Miene. Auch kein unbefestigter Trampelpfad zum Strand, doch, den zumindest gibt es. Und dann gleich noch einen, der jetzt die ausstehenden Abstiegsmeter in der Gestalt eines alpinen Pfades nachliefert. Das ist ganze Arbeit in schönster Optik, und man sollte wirklich gut aufpassen, wohin man seinen nächsten Schritt setzt.

Unten endet die wilde Stiege direkt am Seeufer, dem schönen und naturnahen, und zugleich auf einem unerwartet urigen Uferpfad. Bäume ragen weit übers Wasser, hier und da hängt ein entsprechendes Seil für imponierträchtige Wasserungsaktionen beweglicher Körper. Noch ein paar Mal führen ansehnliche Stiegen in die Höhe, zuletzt als schnieker Serpentinenweg. Dann übernimmt am steil ansteigenden Hang wieder die Natur, neben den Laubbäumen stehen hier auch respektable alte Kiefern. Der Weg lässt nun wieder an eine andere Landschaft denken, erinnert an Nebentäler des großen Elbstroms am westlichen Eintritt in den Elbsandstein.

Wer dachte, die Höhenmeter seien vollbracht und jetzt seien auf flachem Uferweg nur noch die Beine nach vorn zu werfen, um möglichst aufwandsarm die Schritte zu setzen, darf staunen. Immer wieder fordert der wurzelige, teils von Geländerbohlen begleitete Pfad kräftigere Wadenarbeit oder ein Abfedern beim folgenden Hinab. Tiefe Natur, bereits kurz hinter den letzten Gebäuden der Ortslage. Und wieder allerhand schöne Uferstellen, von denen sich die Länge des glasklaren Kalksees gut in den Blick nehmen lässt.
Als wäre man nicht schon überverwöhnt von der Fülle verschiedener Natur und Verweisen auf andere Landschaften, wird nun am schon schmaler werdenden See noch ein breiter Streifen niedrigen Uferbruchwaldes gestreift. Das kleine Labyrinth ist verwunschen und wild, das schwarze Wasser scheint an einzelnen Stellen nach dem Weg zu greifen, bekommt ihn jedoch nie zu fassen. Damit der Fuß bis zuletzt trocken bleibt, hilft ein kurzes Stück Plankenweg, was ja auch immer ein Hingucker ist.

Nach einem letzten Stück direkt am Wasser des schmalen Verbinders zwischen Kalksee und Flakensee steht man schließlich vor dem großen Vogelkäfig, der die altehrwürdige Liebesquelle vor unqualifizierten Handlungen schützt und erwartungsgemäß mit vielen bunten Schlössern behangen ist. Das Wasser der Quelle hat sich schon vor Jahren andere Wege gesucht, doch die Liebe und Romantik ziehen Liebende nach wie vor an diesen wunderschönen Ort.

Aufs Neue besteht jetzt die Frage danach, was nun als nächstes am schönsten wäre. Manchmal hat man Glück und erwischt schon Anfang Februar, noch mitten im Winter, einen Tag, um die Biergarten-Saison zu eröffnen. Gewärmt durch Eintopf, Braubier und die letzten Strahlen der sinkenden Sonne. Oder gegenüber am Bäckerstand durch Heißes in der Tasse. Oder mit dem letzten heißen Tee aus dem Rucksack genau dazwischen, auf den breiten Stufen.

Hier sind an Ausflugstagen immer Enten und Schwäne, Kinder und Großeltern zu Gange, gibt es immer etwas zu sehen, Geschichten einzufangen. Oder einfach die Augen halbscharf auf einen festen Fokus einzustellen, die Wahrnehmung auf Geräuschkulisse und Wind auf der Haut zu reduzieren und das ganze bis zum ersten Frösteln zu genießen. Nicht zuletzt die Möwen steuern einiges dazu bei.
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): S-Bahn und Woltersdorfer Straßenbahn (0,75-1 Std.)
Anfahrt Pkw (von Berlin): über B 1 (0,75-1 Std.)
Länge der Tour: ca. 10 km (Abkürzungen mehrfach möglich)
Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)
Einkehr: div. rund um den Mühlenteich