Die Vorboten des Sommers waren in diesem Jahr zeitig dran, sodass es schon an manchen Tagen der klassischen Frühlingsmonate nach Sommer aussah und auch so duftete. Wetterkapriolen gaben sich die Klinke in die Hand, von heiß über nass bis stürmisch und dann wieder kalt, wobei es in all diesen Wochen nur selten windstill zuging. Viele Unterarme waren schon ans stete Licht gewöhnt, als sie sich wieder einärmeln lassen mussten, und selbst die Heizsaison wurde noch einmal kurz wachgerüttelt, soweit die Systeme das hergaben.
Mittlerweile heißt das Ganze offiziell Sommer, fühlt sich dieser Tage auch genauso an und gießt zugleich immer wieder flächig Wasser auf die üppige Pracht von Wiesen und Baumkronen, auch auf die dichtstehende, gediehene Saat in Weizenblond und Maisgrün. Dort auf den Äckern ist der Boden an vielen Stellen noch so gesättigt, dass man keine zwölf Schritte in einer Treckerspur zurücklegen könnte, ohne sich im langsamen Niederrutsch eine breiten Spur zähen Matsches quer über den Hintern zu pinseln.
An den Feldrändern fächern die verschiedenartigen Blütenformen und -farben in souveräner Geste ihre breite Palette auf, öfter gibt es ganze Flächen von weißen Margeriten oder aromatischer Kamille. In dieselbe Kerbe haut das champagnerweiße, aufgeplüschte Mädesüß, dessen Name spätestens dann keiner Erläuterung mehr bedarf. Auch allerhand gelbe Sorten zeigen sich in aller Pracht, und nicht zuletzt beeindruckt der selbst unter grauestem Himmel herrlich blau leuchtende Natternkopf mit seinen Dolden, deren Büschel ganze Wegnarben gestalten.
Manche Menschen zieht die platte Weite des Oderbruchs in ihren Bann und ruft in gewissen Intervallen einen großen Sehnsuchtsschub nach diesem Landstrich hervor. Neben teils endloser Weite gibt es dort Deiche mit herrlichen Wegen auf der Krone und kräftigen Stämmen in den kleinen Flanken, teils offen, dann wieder wiesenbedeckt und manchmal auch regelrecht verwachsen. Allesamt strahlen sie etwas Archaisches aus, was sich gerade in schnellen und unsteten Zeiten als Wohltat für Seele, Geist und Auge zeigt. Oderbruch, Deiche und lange, gerade Wege mussten also her. Egal, wie dröhnend der Wetterbericht auch rasselte.
Alt-Schmöckwitz
Am südöstlichen Rand von Berlin machten sich zur gleichen Zeit unerschrockene zwanzig Leute auf den Weg, um gemeinsam ein Stück auf dem bislang längsten Wanderweg der Stadt unter die wetterfesten Schuhe zu nehmen. Zur Gruppenwanderung auf der vierten Etappe der Berliner Gürtellinie hatte der engagierte Wanderer und rührigste Brandenburg-Botschafter zu Fuß eingeladen, welcher damit zugleich seine neunzehnte Etappe auf dem jüngst erschienenen Fernweg ging und für sich die große Runde schloss.
Wer trotz der vorangegangenen stürmischen Nacht gekommen war, hatte nicht nur am Frühstückstisch den inneren Schweinehund niedergerungen und der zwangsläufig wetterfühligen BVG ein gewisses Grundvertrauen entgegengebracht, sondern musste auch vor Ort Lösungen für reichlich Wasser von oben, gestrauchelte Bäume und Pfützen mit fernen Ufern finden. Zum Lohn gab es nach einer reichlichen Stunde zunächst ein stetes Nachlassen des Regens, dann zaghaftes Licht am Himmel, schließlich nach dem ersten Durchbrechen der Sonne mehr und mehr blaue Fläche mit weißen Wolken. Ein unvergesslicher Tag also in mehreren Hinsichten, an dem bei schönstem Wetter und als wäre nichts gewesen das beschauliche Wasserstädtchen Erkner erreicht wurde, gelegen an Spree und Löcknitz, an Fluss und See.
Wriezen
Auch das etwas kleinere Wriezen, das in diesem Jahr seinen 777. feiert, fällt in die Kategorie beschaulich, ist ebenfalls von schöner und vielfältiger Landschaft umgeben. Das Wasser spielt hier keine flächige Rolle, ist dennoch prägend für den Ort und zeigt sich in mehreren Strängen, die mit Oderwasser gefüllt sind und in zwei Fällen auch so heißen. Der Alte Hafen an der Wriezener Alten Oder mit seinen eindrucksvollen Bauten und den Kalköfen ist auf jeden Fall den Abstecher wert. Darüber hinaus gibt es neben dem alten Kiez und der gemütlichen, wenn auch verschlafenen Innenstadt rund um den Markt noch eine Freilichtbühne, ein stadträndisches Wildgehege und ein Krankenhaus auf der Höhe, welches aus der Ferne an ein Schloss denken lässt. Etwas weiter westlich und nordwestlich öffnen sich herrliche, urige Hutelandschaften, wie man sie so schön nicht noch einmal findet in Brandenburg.
Gleich hinter der Bahn und den Oderarmen beginnt die Weite des Oderbruchs, welche hier besonders eindrücklich sichtbar wird durch den schnurgeraden Radweg, der auf direktem Wege zum breiten Oderstrom strebt. Ganz am Ende wartet an der polnischen Grenze eine beachtlich lange Stahlfachwerkbrücke aus zahlreichen Segmenten, die als Rad- und Fußweg eine der eindrucksvollsten Verbindungen nach Polen schafft, mitten durch eine der sagenhaften Naturlandschaften des Flusses. Wer hier mit dem Rad den Wind von hinten hat und eine Angel dabei, hofft für den Rückweg einfach, dass der Wind sich bis dahin gelegt hat und die vielen Fische in den Beutel passen, genießt dann einfach breit grinsend den Moment.
Am Beginn des Radweges zweigt ein Feldweg ab zum alten Deich, führt mitten durch die Äcker ohne einen einzigen Baum am Rand und lässt hier besonders viel Platz fürs Auge und für einen Brustkorb voll frischer Luft, auch wenn die gerade reichlich von Wasser erfüllt ist. Schon nach wenigen Minuten geht es los mit den üppig beblumten Feldrändern, auch eine ganze Reihe später Mohn- und Kornblumen sind noch dabei. Das erste Büschel blauer Dolden lässt trotz dicker Regentropfen die Kamera rausfriemeln, zumal die farbkräftige Insel inmitten eines weiten Kamillenfeldes liegt. Das Lungenvolumen wird restlos ausgeschöpft, um dieses seltene Vergnügen auszukosten.
Voraus ist anhand einer bunt zusammengewürfelten, doch schnurgeraden Reihe dichter Baumwipfel der erste Deich zu erkennen. Auf dem Weg dorthin ist manche wegbreite Pfütze zu umschiffen, wobei kleine Inseln aus ausgebrachtem Keramikschutt behilflich sind. Grobes Geschirr, alte Dachziegel und zerbröselte Ziegelsteine gehen hier als Flickwerk allmählich in die Breite und verfüllen vormalige Schlaglöcher.
Beiderseits des Weges steht das Korn zwar nicht besonders hoch, doch Halm an Halm und mit prallvollen Ähren, die nach diesen ergiebigen Regenstunden eigentlich hängen müssten. Dazwischen ist erstaunlicherweise noch Platz für ein zwei Rehböcke, die uns lange Zeit nicht wittern. Als der Groschen fällt, entfernen sie sich mit extrahohen Sprüngen, verharren am Scheitelpunkt jeweils kurz in der Luft. So wie im alten Trickfilm, wo jemand erst über den Abhang hinaussprintet, sich zunächst ein Weilchen in drei Richtungen und nach unten wundert und erst dann in die Tiefe saust.
Wie viele Deiche im Oderbruch ist auch dieser nicht sonderlich hoch, doch im Fall der Fälle ausreichend, um größeren Schaden abzuhalten. Die nächste Kurve oder Krümmung ist in beiden Richtungen bereits zu sehen. Die erwähnten Baumkronen schaffen ein schattiges Dach. Die breite Wiesennarbe lässt an ihren Rändern kaum zwei Pfade übrig und verwöhnt nun Knöchel und Fesseln mit einer grasigen Streichelwäsche pro Schritt. Die wasserabweisenden Schuhe können zeigen, was sie draufhaben.
So niedrig der Deich aus sein mag, bietet sich doch immer ein erheblich erweiterter Blick als aus derselben Ebene. So schauen wir auf weite, bunte Bienenweiden, bei denen nicht klar ist, ob sie Absicht sind, nur geduldet oder sich einfach ergeben haben. In naher Ferne und auch in ganz weiter steht eines dieser vereinzelten Gehöfte, die teils wildromantisch verfallen, teils nach allen Regeln des Denkmalschutzes und der Landlust wieder schnucklich auf Anfang gesetzt wurden. Dazwischen ziehen sich noch junge Alleen mit wohl gediehenen Bäumen, sicherlich auch dank des guten Bodens hier. Beerenbüsche, Obstbäume und Flieder versprechen kleinvolumige Ernteoptionen zu den meisten Jahreszeiten.
Ausbau am Damm
Am Ende des grasigen Weges liegt eine Ansammlung von Häusern mit freiliegendem Mauerwerk und antikem Gezäun um den kleinen Bauernvorgarten, bunt zusammengewürfelt und reizvoll für Photographen oder Maler, besonders aber für Leute, die gern Zeit im Garten verbringen. Da es gerade noch zu nass ist für die Mücken und bei uns kaum Haut herausschaut, herrscht Frieden. Ansonsten dürften hier die Uferbereiche der Alten Oder für reichlich Gesirre und für satte Vögel sorgen.
Jenseits der Straße, auf der nur alle paar Minuten ein Auto vorbeikommt, setzt sich der Deichweg fort, nun auf Asphalt und bald als reiner Radweg. Die Bäume in den Flanken sind zwar einiges jünger, doch schon stämmig und beständig. Bald gesellt sich rechts die Güstebieser Alte Oder dazu, drängelt sich in naher Sichtweite zwischen ihren üppig grünen Ufern hindurch, mit hohem Buschwerk, gestaltfreudigen Hopfendolden und leuchtend grünen Flatschen aus frischer Entengrütze auf dem Wasser. Vereinzelte Baumruinen oder wiedererstandene Weidengebilde gehen als gelungene Skulpturen durch.
Der glatte und eigentlich problemlose Weg wird nun zum Slalomkurs, da unzählige Schnecken von der Oder hin zum Kornfeld streben. Den größten Blickfang bilden die Weinbergschnecken, noch nicht ganz ausgewachsen und in den Zwischentönen von aschfahl bis haselnussbraun, die Zeichnung der kunstvollen Wendeln in jeder Variante knackscharf hervorgehoben durch das nasse Wetter. Dazwischen gibt es die normal großen Schnecken, wie man sie aus dem selbst gepflanzten Gartensalat kennt, sowie kleine bis kleinste, die jugendlichen Ausführungen der letztgenannten gleichen.
Da auch flaches oder aufgekruscheltes Laub, Stöckchen und Äste auf dem Weg liegen und vom Wind zum Leben erweckt werden, braucht es Aufmerksamkeit, um nicht irgendwem das Haus zu zerlatschen. Drüben überm Feld jubilieren die Lerchen jetzt schon lauter, denn der Regen hat endgültig aufgehört und von Westen her rückt schon mehr Licht am Himmel nach. Das ist jetzt eine schöne Entwicklung. Passend dazu steht mit einem Mal eine wunderschöne kleine Bank am Wegrand, umtost vom kräftigen Wind und mit Blick ins weite Land, hin zu den polnischen Höhen und auch denen der großen Oderinsel.
Altwriezen
Schon am Stadtrand von Wriezen hing ein Transparent mit der Ankündigung der Längsten Kaffeetafel im Oderbruch, was trotz größter Kuchenbegeisterung schon wieder vergessen war in Anbetracht des Wetters. Als wir das schöne Dorf Altwriezen betreten und den ersten von vielen Tischen entdecken, versuchen wir uns vorzustellen, wie sehr alle mit der Wetterentwicklung gefiebert haben müssen, wie oft die Geräte gezückt und mit hoffnungsängstigen Augen das Wetterradar verfolgt wurde. Denn für eine solche Tafel unter freiem Himmel kann es keinen Plan B geben.
Von daher hat es jetzt schon etwas Wundersames, wie klar der Himmel bekennt, dass in den nächsten Stunden nichts mehr nachkommen wird und nun endlich alle loslegen können. Wiesen und Straßen sind noch klatschnass und zeigen, dass wirklich gerade erst der Startschuss ploppte. Das Treiben ist nicht hektisch, doch man merkt den unfassbar erleichterten Leuten die einzwei Stunden Verzug beim Aufbauen an. Mit dabei sind alle Altersklassen von Enkelchen über guter Junge bis Uroma. Um zwei soll alles bereit sein.
Hier entsteht nun etwas Zauberhaftes, wohl in vierter Auflage und jedes Mal in einem anderen Dorf des Oderbruchs. In diesem Jahr gilt es die Marke von knapp 260 Metern zu überbieten, doch das ist sicherlich nicht die wichtigste Aufgabe hier. Unmengen verschiedenster Gartenstühle werden auf allen denkbaren Fahrzeugen mit Ladefläche herangekarrt. Jeder der Tische lässt das Herzblut vieler Menschen spüren, keiner gleicht dem anderen. Von holzrustikaler Bauernromantik bis hin zu komplett weiß umspannten Vornehmtischen und herzlich bunten Tischdecken ist alles dabei, einzelne Tische widmen sich komplett einem Thema wie zum Beispiel der Erdbeere.
Allein einige der Blumensträuße, von denen manchmal drei auf einem klassischen Biergartentisch stehen, dürften beachtlichen Aufwand erfordert haben in Pflückung, Zusammenstellung und Gestaltung. Passend dazu hat sich ein älterer Herr mit seinem Klapphocker zwischen zwei Büsche zurückgezogen und nimmt von dort die Szenerie in den Blick – mit Karton, Bleistift und Pinsel. Hier wird geeilt, dort gelacht und da koordiniert, irgendwo stehen auch schon die Messgeräte herum, so ein Spazierstock mit großer Rolle und Zählwerk unten dran, mit dem schließlich amtlich und in simultaner Mehrfachmessung die Länge der Kaffeetafel ermittelt werden soll. So gegen dreie.
Wer die vorherigen drei Tafeln nicht gesehen hat, könnte sich vorstellen, dass es hier in Altwriezen besonders gut passt, denn der Verlauf der wenigen Straßen im Dorf ist verspielt und gipfelt in einem kleinen Oval vor einem besonders anmutigen Oderbruch-Haus mit blauen Fensterrahmen und durchgehendem Hausflur, mit Blick in den Garten hinterm Haus. Kraft seiner Lage dürfte es so etwas wie die Dorfschönste in Sachen Häusern sein, obwohl es wirklich besonders viele ansehnliche Häuser gibt im Dorf. Aus dem Flur kommen ständig andere Leute, Männer, Frauen, in grün, blau oder bunt, und tragen etwas heraus, was auf einen der vielen Tische gehört.
Das Oval umschließt einen sanften Wiesenhügel mit uralter Eiche. Hier spielt sich gerade ein kleiner Tumult mit einer Reihe ungedämpfter Stimmen ab, denn ein Hänger mit Schafen ist eingetroffen und ein kleines Gehege wird aufgebaut. Die wollige Fuhre ist nicht ungeduldig, doch neugierig und vor allem begierig auf die erste Ladung feinen Futters, für die schließlich sogar das frische Stroh links liegen gelassen wird. Neben den behäbig dem Anhänger entströmenden Viechern staksen hakenschlagend auch einige Lämmer heraus, die zwar schon ein paar Tage älter sind, doch ihre Flausen nicht nur auf dem Buckel tragen.
Am Dorfrand stehen die Koordinatoren in leuchtgelb und versuchen, alles in gute Ströme zu lenken, trotz des Zeitverzuges. Sind dabei ganz entspannt. Wir schlagen einen weiten S-Bogen durchs Dorf, können ein paar Details aus der Ferne und andere aus der Nähe betrachten und drehen am kleinen Scheunenviertel mit den großen Scheunen schließlich ab nach Norden, raus aus dem Dorf. Ohne ein Stück Kuchen im Bauch oder auf der Hand – wir waren leider zu früh. Dafür wird jetzt das Blau am Himmel mehr, die letzte Regenpelle wird abgeworfen und die Luft kann wieder ungehindert strömen überall. Wie ich gerade beim Schreiben lese, wurde der Rekord gebrochen und das nächste Dorf darf sich mit der Zahl 283 herumschlagen.
Nach einer kleinen Begegnung mit kleinen, doch ausgewachsenen Pferden mit kessem Blick führt ein schnurgerader, breiter Schotterweg in die Weite. Links die Telegrafenmasten mit der straffen Leine, rechts die hochgewachsenen Pappeln, welche rauschen, als wenn der Seewind durch sie führe. Immer wieder kommen nun Fahrräder von hinten oder von vorne, nach Altwriezen eher Touristen, vom Dorf eher Transitler zum übernächsten Gehöft.
Die lange Gerade geht bei ein paar Häusern in die Kurve, vorher fordern noch ein paar flauschige Alpakas Blickkontakt, mit Nachdruck, und lenken dabei den Blick auf eines ihrer Fohlen, das weiter hinten Faxen macht und noch sehr fohlenmäßig hochkant ist. Der Hof steckt voller Details. Überall steht alles rum, was so rumstehen kann, sicherlich irgendwo in der Scheune auch noch ein alter Bulli und noch ein halber oder auch eine Trabbi-Motorhaube. Hier kann man durch die große Hofeinfahrt nach hinten gucken, dort die Pferde oder den Trecker vor Anker sehen. Eine der letzten Nachtigallen des vergangenen Frühlings verabschiedet uns aus dem Dorf.
Ein Fahrweg, der vor sechzig Jahren sicher mal befestigt war, lässt seiner Zerrüttung freien Lauf, bis zuletzt nur noch eine Betonnarbe übrig ist. Links und rechts wird er zeitweilig von Büschen und Gebäum begleitet, was gerade im platten Oderbruch ein guter Schutz der Ackerkrume vor dem Wind sein sollte. Auch hier steht das Korn dicht und kräftig. Wie den ganzen Tag schon ist wieder einmal der hohe Speicher beim Wriezener Hafen zu sehen, wohl das höchste Gebäude weit und breit. Große Disteln halten ihre blauen Stachelköpfe den dafür geeigneten Insekten hin und kontrastieren bestens mit dem dunkelblonden Meer der Ähren.
Altmädewitz
Bald nach dem querenden Radweg von vorhin, dem schnurgeraden Polenzubringer, kommen wir nach Altmädewitz. Ein Mann mit leerem Korb am Lenker kurbelt aus dem Dorf. Gleich links liegt ein rasengrüner Spiel-, Sport- und Festplatz für das Dorf, wo sich ein reichlich meterhoher Junge an Klettergerüsten und am Buddelkasten beschäftigt, ohne sichtlich Trauer zu schieben über fehlende Spielkameraden. Während wir auf einer der Bänke kurz die Beine ausstrecken, kommt der Mann mit dem Fahrrad wieder zurück. Der Korb schwankt nun weniger, doch die Frage nach dem hinzugekommenen Inhalt bleibt offen. Ein etwas jüngerer Mann fährt mit einem Aufsitzmäher aus dem Dorf, welcher in voller Fahrt etwa halb so schnell ist wie er es zu Fuß wäre. Im Gegenzug zieht er eine Last.
Rund um die Bushaltestelle gibt es allerhand Informationen und eine gute Unterstellmöglichkeit bei fiesem Regen von der Seite, kurz darauf am Dorfrund mit der Kirche schöne Schattenbänke. Entlang alter Ulmen verlassen wir das Dorf, wobei sich übers buschige Kornfeld ein wohliger Rückblick ergibt. Voraus geht es schön über die Felder. Zwei Hasen und dann noch einer verharren wie in einer Standperformance mitten auf dem Weg, jeder von ihnen den Blick in eine andere Richtung, wie die Boygroup vor dem ersten Takt. Der Wind erlaubt keine Witterung, doch irgendwann sieht uns einer der drei und zwei Denksekunden später sind alle im hohen Mais verschwunden. Und hoffentlich nicht im Modder ausgerutscht und das blütenweiße Blümchen eingeschmutzt.
Schon freudig erwartet wurde die Deichpassage, wohlbekannt von früher und wieder so herrlich urig und dabei leicht krumm. Einige der betagten Baumriesen hat es irgendwann in den letzten zwölf Jahren geschrägt. Doch sie gestalten die Landschaft noch lange mit und liegen nun als bullige Stammsegmente von Kuhgewicht, als wildsaugroße Schnipsel oder in Großscheitgröße an der Deichkrone und sorgen hier für neues Leben. Bei manchen der enormen Stümpfe mit ihren glatt gesägten Plateaus wachsen zwischen Rinde und Stammholz neue Triebe heran und machen einfach weiter mit dem Baum. Zwischen martialisch anmutendem Bruchholz suchen sich bunte Blumenköpfchen ihren Weg.
Viele der meterdicken Bäume stehen jedoch nach wie vor und recken ihre hohen Stämme in den Himmel überm Oderbruch. Ein winziger Pfad führt hinunter zu einem Schilfweiher, wo fern allen Wassers ein Drosselrohrsänger seine kreuzfideles und stets etwas übermütige Berichterstattung zum Besten gibt. Aus der breiten Wiesennarbe ragen hoch die hellen, längst wieder trockenen Halme der Gräser und werden vom drängenden Wind bewegt, der jetzt irgendwie auch wie Seewind riecht, vielleicht des Regens und des getränkten Bodens wegen.
Schließlich biegen wir auf den Radweg ein und damit auf die Zielgerade. Als die einstige Bahntrasse zum Radweg wurde, pflanzten vorausschauende Leute in dichten Abständen Alleebäume zu beiden Seiten, seinerzeit so dick wie ein Meerrettich-Glas, mittlerweile schon ganz anständige Bäumchen, deren Kronen sich über dem Weg bereits berühren. Ein kleiner Huckel führt durch ein Sieltor, welches sich im Flutfall mit wenig Aufwand und einigen kräftigen Balken verschließen lässt. Radfahrer kommen, zumeist von vorn und also mit dem Wind im Rücken, schauen aber keineswegs alle so. Ein fohlenschmales Pärchen unverbissener Rennradler überholt uns und lässt die Speichen fliegen – als wären sie es, die den Wind von hinten hätten.
Nach zwei Oderüberquerungen und einem Blick zum markanten Schlot des Kalkofens sind wir wieder in Wriezen, nehmen noch den Bogen über den Altkietz mit und sehen, dass der Storchenhorst unbesetzt ist. Vielleicht handelt es sich ja auch um denjenigen Rotbeinigen, welcher vorhin kurz hinterm Stadtrand staksend in den Wiesen gesichtet wurde. Klingt wahrscheinlicher, denn an Frosch und anderem Schmaus sollte es in diesem Juni nicht mangeln. Rund um die Straße zum Markt gibt es eine Reihe von Gassen, welche vermutlich die Gestalt der ursprünglichen Stadt wiedergeben.
Falls nun die Bahn gerade weg ist und der Magen in den Knien hängt, hält hier nach wie vor der Grill schräg gegenüber der großen Marienkirche die Fahne oben. Plätze gibt es drinnen und auch ein paar draußen, optional ein paar Bänke auf dem Marktplatz. Dort kann man sich letztlich auch beim vierten Mal noch an den zahlreichen Details des schönen Lebensbrunnens festgucken, in dessen Szenerie unter anderem der Teufel, der Fischer und ein Brett vor dem Kopf eine Rolle spielen. Das passt wohl leider zu allen Zeiten und auch überall.
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der Regionalbahn über Eberswalde (ca. 2 Std.)
Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der Landstraße über Strausberg oder Tiefensee (ca. 1,25-1,5 Std.)
Länge der Tour: ca. 17,5 km (Abkürzungen möglich)
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Links:
Längste Kaffeetafel im Oderbruch
Einkehr: div. Angebote in Wriezen (Imbiss/Restaurant)
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