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Wriezen: Schwere Ähren, Schneckenslalom und der gedeckte Tausendfüßler

Die Vorboten des Sommers waren in diesem Jahr zeitig dran, sodass es schon an manchen Tagen der klassischen Frühlingsmonate nach Sommer aussah und auch so duftete. Wetterkapriolen gaben sich die Klinke in die Hand, von heiß über nass bis stürmisch und dann wieder kalt, wobei es in all diesen Wochen nur selten windstill zuging. Viele Unterarme waren schon ans stete Licht gewöhnt, als sie sich wieder einärmeln lassen mussten, und selbst die Heizsaison wurde noch einmal kurz wachgerüttelt, soweit die Systeme das hergaben.

Längste Kaffeetafel im Oderbruch (Auszug)

Mittlerweile heißt das Ganze offiziell Sommer, fühlt sich dieser Tage auch genauso an und gießt zugleich immer wieder flächig Wasser auf die üppige Pracht von Wiesen und Baumkronen, auch auf die dichtstehende, gediehene Saat in Weizenblond und Maisgrün. Dort auf den Äckern ist der Boden an vielen Stellen noch so gesättigt, dass man keine zwölf Schritte in einer Treckerspur zurücklegen könnte, ohne sich im langsamen Niederrutsch eine breiten Spur zähen Matsches quer über den Hintern zu pinseln.

Natternkopf auf dem Alten Oderdeich

An den Feldrändern fächern die verschiedenartigen Blütenformen und -farben in souveräner Geste ihre breite Palette auf, öfter gibt es ganze Flächen von weißen Margeriten oder aromatischer Kamille. In dieselbe Kerbe haut das champagnerweiße, aufgeplüschte Mädesüß, dessen Name spätestens dann keiner Erläuterung mehr bedarf. Auch allerhand gelbe Sorten zeigen sich in aller Pracht, und nicht zuletzt beeindruckt der selbst unter grauestem Himmel herrlich blau leuchtende Natternkopf mit seinen Dolden, deren Büschel ganze Wegnarben gestalten.

Alpakas im Vorder- und im Hintergrund

Manche Menschen zieht die platte Weite des Oderbruchs in ihren Bann und ruft in gewissen Intervallen einen großen Sehnsuchtsschub nach diesem Landstrich hervor. Neben teils endloser Weite gibt es dort Deiche mit herrlichen Wegen auf der Krone und kräftigen Stämmen in den kleinen Flanken, teils offen, dann wieder wiesenbedeckt und manchmal auch regelrecht verwachsen. Allesamt strahlen sie etwas Archaisches aus, was sich gerade in schnellen und unsteten Zeiten als Wohltat für Seele, Geist und Auge zeigt. Oderbruch, Deiche und lange, gerade Wege mussten also her. Egal, wie dröhnend der Wetterbericht auch rasselte.

Die Kaffeetafel am Inneren Dorfring, Altwriezen

Alt-Schmöckwitz

Am südöstlichen Rand von Berlin machten sich zur gleichen Zeit unerschrockene zwanzig Leute auf den Weg, um gemeinsam ein Stück auf dem bislang längsten Wanderweg der Stadt unter die wetterfesten Schuhe zu nehmen. Zur Gruppenwanderung auf der vierten Etappe der Berliner Gürtellinie hatte der engagierte Wanderer und rührigste Brandenburg-Botschafter zu Fuß eingeladen, welcher damit zugleich seine neunzehnte Etappe auf dem jüngst erschienenen Fernweg ging und für sich die große Runde schloss.

Kornfeld bei Altmädewitz

Wer trotz der vorangegangenen stürmischen Nacht gekommen war, hatte nicht nur am Frühstückstisch den inneren Schweinehund niedergerungen und der zwangsläufig wetterfühligen BVG ein gewisses Grundvertrauen entgegengebracht, sondern musste auch vor Ort Lösungen für reichlich Wasser von oben, gestrauchelte Bäume und Pfützen mit fernen Ufern finden. Zum Lohn gab es nach einer reichlichen Stunde zunächst ein stetes Nachlassen des Regens, dann zaghaftes Licht am Himmel, schließlich nach dem ersten Durchbrechen der Sonne mehr und mehr blaue Fläche mit weißen Wolken. Ein unvergesslicher Tag also in mehreren Hinsichten, an dem bei schönstem Wetter und als wäre nichts gewesen das beschauliche Wasserstädtchen Erkner erreicht wurde, gelegen an Spree und Löcknitz, an Fluss und See.

Auf dem Deich der Alten Oder

Wriezen

Auch das etwas kleinere Wriezen, das in diesem Jahr seinen 777. feiert, fällt in die Kategorie beschaulich, ist ebenfalls von schöner und vielfältiger Landschaft umgeben. Das Wasser spielt hier keine flächige Rolle, ist dennoch prägend für den Ort und zeigt sich in mehreren Strängen, die mit Oderwasser gefüllt sind und in zwei Fällen auch so heißen. Der Alte Hafen an der Wriezener Alten Oder mit seinen eindrucksvollen Bauten und den Kalköfen ist auf jeden Fall den Abstecher wert. Darüber hinaus gibt es neben dem alten Kiez und der gemütlichen, wenn auch verschlafenen Innenstadt rund um den Markt noch eine Freilichtbühne, ein stadträndisches Wildgehege und ein Krankenhaus auf der Höhe, welches aus der Ferne an ein Schloss denken lässt. Etwas weiter westlich und nordwestlich öffnen sich herrliche, urige Hutelandschaften, wie man sie so schön nicht noch einmal findet in Brandenburg.

Zwischen den Feldern hinter Wriezen

Gleich hinter der Bahn und den Oderarmen beginnt die Weite des Oderbruchs, welche hier besonders eindrücklich sichtbar wird durch den schnurgeraden Radweg, der auf direktem Wege zum breiten Oderstrom strebt. Ganz am Ende wartet an der polnischen Grenze eine beachtlich lange Stahlfachwerkbrücke aus zahlreichen Segmenten, die als Rad- und Fußweg eine der eindrucksvollsten Verbindungen nach Polen schafft, mitten durch eine der sagenhaften Naturlandschaften des Flusses. Wer hier mit dem Rad den Wind von hinten hat  und eine Angel dabei, hofft für den Rückweg einfach, dass der Wind sich bis dahin gelegt hat und die vielen Fische in den Beutel passen, genießt dann einfach breit grinsend den Moment.

Blick über die Deichkrone

Am Beginn des Radweges zweigt ein Feldweg ab zum alten Deich, führt mitten durch die Äcker ohne einen einzigen Baum am Rand und lässt hier besonders viel Platz fürs Auge und für einen Brustkorb voll frischer Luft, auch wenn die gerade reichlich von Wasser erfüllt ist. Schon nach wenigen Minuten geht es los mit den üppig beblumten Feldrändern, auch eine ganze Reihe später Mohn- und Kornblumen sind noch dabei. Das erste Büschel blauer Dolden lässt trotz dicker Regentropfen die Kamera rausfriemeln, zumal die farbkräftige Insel inmitten eines weiten Kamillenfeldes liegt. Das Lungenvolumen wird restlos ausgeschöpft, um dieses seltene Vergnügen auszukosten.

Auf dem Alten Oderdeich

Voraus ist anhand einer bunt zusammengewürfelten, doch schnurgeraden Reihe dichter Baumwipfel der erste Deich zu erkennen. Auf dem Weg dorthin ist manche wegbreite Pfütze zu umschiffen, wobei kleine Inseln aus ausgebrachtem Keramikschutt behilflich sind. Grobes Geschirr, alte Dachziegel und zerbröselte Ziegelsteine gehen hier als Flickwerk allmählich in die Breite und verfüllen vormalige Schlaglöcher.

Kurz vor Ausbau am Damm

Beiderseits des Weges steht das Korn zwar nicht besonders hoch, doch Halm an Halm und mit prallvollen Ähren, die nach diesen ergiebigen Regenstunden eigentlich hängen müssten. Dazwischen ist erstaunlicherweise noch Platz für ein zwei Rehböcke, die uns lange Zeit nicht wittern. Als der Groschen fällt, entfernen sie sich mit extrahohen Sprüngen, verharren am Scheitelpunkt jeweils kurz in der Luft. So wie im alten Trickfilm, wo jemand erst über den Abhang hinaussprintet, sich zunächst ein Weilchen in drei Richtungen und nach unten wundert und erst dann in die Tiefe saust.

Häuser in Ausbau am Damm

Wie viele Deiche im Oderbruch ist auch dieser nicht sonderlich hoch, doch im Fall der Fälle ausreichend, um größeren Schaden abzuhalten. Die nächste Kurve oder Krümmung ist in beiden Richtungen bereits zu sehen. Die erwähnten Baumkronen schaffen ein schattiges Dach. Die breite Wiesennarbe lässt an ihren Rändern kaum zwei Pfade übrig und verwöhnt nun Knöchel und Fesseln mit einer grasigen Streichelwäsche pro Schritt. Die wasserabweisenden Schuhe können zeigen, was sie draufhaben.

Deichkronen-Radweg voller Schnecken

So niedrig der Deich aus sein mag, bietet sich doch immer ein erheblich erweiterter Blick als aus derselben Ebene. So schauen wir auf weite, bunte Bienenweiden, bei denen nicht klar ist, ob sie Absicht sind, nur geduldet oder sich einfach ergeben haben. In naher Ferne und auch in ganz weiter steht eines dieser vereinzelten Gehöfte, die teils wildromantisch verfallen, teils nach allen Regeln des Denkmalschutzes und der Landlust wieder schnucklich auf Anfang gesetzt wurden. Dazwischen ziehen sich noch junge Alleen mit wohl gediehenen Bäumen, sicherlich auch dank des guten Bodens hier. Beerenbüsche, Obstbäume und Flieder versprechen kleinvolumige Ernteoptionen zu den meisten Jahreszeiten.

Ausbau am Damm

Am Ende des grasigen Weges liegt eine Ansammlung von Häusern mit freiliegendem Mauerwerk und antikem Gezäun um den kleinen Bauernvorgarten, bunt zusammengewürfelt und reizvoll für Photographen oder Maler, besonders aber für Leute, die gern Zeit im Garten verbringen. Da es gerade noch zu nass ist für die Mücken und bei uns kaum Haut herausschaut, herrscht Frieden. Ansonsten dürften hier die Uferbereiche der Alten Oder für reichlich Gesirre und für satte Vögel sorgen.

Blick vom Deich auf die Alte Oder

Jenseits der Straße, auf der nur alle paar Minuten ein Auto vorbeikommt, setzt sich der Deichweg fort, nun auf Asphalt und bald als reiner Radweg. Die Bäume in den Flanken sind zwar einiges jünger, doch schon stämmig und beständig. Bald gesellt sich rechts die Güstebieser Alte Oder dazu, drängelt sich in naher Sichtweite zwischen ihren üppig grünen Ufern hindurch, mit hohem Buschwerk, gestaltfreudigen Hopfendolden und leuchtend grünen Flatschen aus frischer Entengrütze auf dem Wasser. Vereinzelte Baumruinen oder wiedererstandene Weidengebilde gehen als gelungene Skulpturen durch.

Kaffeetafel am Inneren Dorfring, Altwriezen

Der glatte und eigentlich problemlose Weg wird nun zum Slalomkurs, da unzählige Schnecken von der Oder hin zum Kornfeld streben. Den größten Blickfang bilden die Weinbergschnecken, noch nicht ganz ausgewachsen und in den Zwischentönen von aschfahl bis haselnussbraun, die Zeichnung der kunstvollen Wendeln in jeder Variante knackscharf hervorgehoben durch das nasse Wetter. Dazwischen gibt es die normal großen Schnecken, wie man sie aus dem selbst gepflanzten Gartensalat kennt, sowie kleine bis kleinste, die jugendlichen Ausführungen der letztgenannten gleichen.

Da auch flaches oder aufgekruscheltes Laub, Stöckchen und Äste auf dem Weg liegen und vom Wind zum Leben erweckt werden, braucht es Aufmerksamkeit, um nicht irgendwem das Haus zu zerlatschen. Drüben überm Feld jubilieren die Lerchen jetzt schon lauter, denn der Regen hat endgültig aufgehört und von Westen her rückt schon mehr Licht am Himmel nach. Das ist jetzt eine schöne Entwicklung. Passend dazu steht mit einem Mal eine wunderschöne kleine Bank am Wegrand, umtost vom kräftigen Wind und mit Blick ins weite Land, hin zu den polnischen Höhen und auch denen der großen Oderinsel.

Ausschnitt der Längsten Kaffeetafel im Oderbruch

Altwriezen

Schon am Stadtrand von Wriezen hing ein Transparent mit der Ankündigung der Längsten Kaffeetafel im Oderbruch, was trotz größter Kuchenbegeisterung schon wieder vergessen war in Anbetracht des Wetters. Als wir das schöne Dorf Altwriezen betreten und den ersten von vielen Tischen entdecken, versuchen wir uns vorzustellen, wie sehr alle mit der Wetterentwicklung gefiebert haben müssen, wie oft die Geräte gezückt und mit hoffnungsängstigen Augen das Wetterradar verfolgt wurde. Denn für eine solche Tafel unter freiem Himmel kann es keinen Plan B geben.

Von daher hat es jetzt schon etwas Wundersames, wie klar der Himmel bekennt, dass in den nächsten Stunden nichts mehr nachkommen wird und nun endlich alle loslegen können. Wiesen und Straßen sind noch klatschnass und zeigen, dass wirklich gerade erst der Startschuss ploppte. Das Treiben ist nicht hektisch, doch man merkt den unfassbar erleichterten Leuten die einzwei Stunden Verzug beim Aufbauen an. Mit dabei sind alle Altersklassen von Enkelchen über guter Junge bis Uroma. Um zwei soll alles bereit sein.

In Altwriezen

Hier entsteht nun etwas Zauberhaftes, wohl in vierter Auflage und jedes Mal in einem anderen Dorf des Oderbruchs. In diesem Jahr gilt es die Marke von knapp 260 Metern zu überbieten, doch das ist sicherlich nicht die wichtigste Aufgabe hier. Unmengen verschiedenster Gartenstühle werden auf allen denkbaren Fahrzeugen mit Ladefläche herangekarrt. Jeder der Tische lässt das Herzblut vieler Menschen spüren, keiner gleicht dem anderen. Von holzrustikaler Bauernromantik bis hin zu komplett weiß umspannten Vornehmtischen und herzlich bunten Tischdecken ist alles dabei, einzelne Tische widmen sich komplett einem Thema wie zum Beispiel der Erdbeere.

Allein einige der Blumensträuße, von denen manchmal drei auf einem klassischen Biergartentisch stehen, dürften beachtlichen Aufwand erfordert haben in Pflückung, Zusammenstellung und Gestaltung. Passend dazu hat sich ein älterer Herr mit seinem Klapphocker zwischen zwei Büsche zurückgezogen und nimmt von dort die Szenerie in den Blick – mit Karton, Bleistift und Pinsel. Hier wird geeilt, dort gelacht und da koordiniert, irgendwo stehen auch schon die Messgeräte herum, so ein Spazierstock mit großer Rolle und Zählwerk unten dran, mit dem schließlich amtlich und in simultaner Mehrfachmessung die Länge der Kaffeetafel ermittelt werden soll. So gegen dreie.

Altwriezener Scheunenviertel

Wer die vorherigen drei Tafeln nicht gesehen hat, könnte sich vorstellen, dass es hier in Altwriezen besonders gut passt, denn der Verlauf der wenigen Straßen im Dorf ist verspielt und gipfelt in einem kleinen Oval vor einem besonders anmutigen Oderbruch-Haus mit blauen Fensterrahmen und durchgehendem Hausflur, mit Blick in den Garten hinterm Haus. Kraft seiner Lage dürfte es so etwas wie die Dorfschönste in Sachen Häusern sein, obwohl es wirklich besonders viele ansehnliche Häuser gibt im Dorf. Aus dem Flur kommen ständig andere Leute, Männer, Frauen, in grün, blau oder bunt, und tragen etwas heraus, was auf einen der vielen Tische gehört.

Weg nach Norden raus

Das Oval umschließt einen sanften Wiesenhügel mit uralter Eiche. Hier spielt sich gerade ein kleiner Tumult mit einer Reihe ungedämpfter Stimmen ab, denn ein Hänger mit Schafen ist eingetroffen und ein kleines Gehege wird aufgebaut. Die wollige Fuhre ist nicht ungeduldig, doch neugierig und vor allem begierig auf die erste Ladung feinen Futters, für die schließlich sogar das frische Stroh links liegen gelassen wird. Neben den behäbig dem Anhänger entströmenden Viechern staksen hakenschlagend auch einige Lämmer heraus, die zwar schon ein paar Tage älter sind, doch ihre Flausen nicht nur auf dem Buckel tragen.

Alpaka-Nachwuchs beim nächsten Gehöft

Am Dorfrand stehen die Koordinatoren in leuchtgelb und versuchen, alles in gute Ströme zu lenken, trotz des Zeitverzuges. Sind dabei ganz entspannt. Wir schlagen einen weiten S-Bogen durchs Dorf, können ein paar Details aus der Ferne und andere aus der Nähe betrachten und drehen am kleinen Scheunenviertel mit den großen Scheunen schließlich ab nach Norden, raus aus dem Dorf. Ohne ein Stück Kuchen im Bauch oder auf der Hand – wir waren leider zu früh. Dafür wird jetzt das Blau am Himmel mehr, die letzte Regenpelle wird abgeworfen und die Luft kann wieder ungehindert strömen überall. Wie ich gerade beim Schreiben lese, wurde der Rekord gebrochen und das nächste Dorf darf sich mit der Zahl 283 herumschlagen.

Und auch ein paar Pferde am anderen Ende

Nach einer kleinen Begegnung mit kleinen, doch ausgewachsenen Pferden mit kessem Blick führt ein schnurgerader, breiter Schotterweg in die Weite. Links die Telegrafenmasten mit der straffen Leine, rechts die hochgewachsenen Pappeln, welche rauschen, als wenn der Seewind durch sie führe. Immer wieder kommen nun Fahrräder von hinten oder von vorne, nach Altwriezen eher Touristen, vom Dorf eher Transitler zum übernächsten Gehöft.

Buschbaumgasse nach Altmädewitz

Die lange Gerade geht bei ein paar Häusern in die Kurve, vorher fordern noch ein paar flauschige Alpakas Blickkontakt, mit Nachdruck, und lenken dabei den Blick auf eines ihrer Fohlen, das weiter hinten Faxen macht und noch sehr fohlenmäßig hochkant ist. Der Hof steckt voller Details. Überall steht alles rum, was so rumstehen kann, sicherlich irgendwo in der Scheune auch noch ein alter Bulli und noch ein halber oder auch eine Trabbi-Motorhaube. Hier kann man durch die große Hofeinfahrt nach hinten gucken, dort die Pferde oder den Trecker vor Anker sehen. Eine der letzten Nachtigallen des vergangenen Frühlings verabschiedet uns aus dem Dorf.

Weg nach Altmädewitz

Ein Fahrweg, der vor sechzig Jahren sicher mal befestigt war, lässt seiner Zerrüttung freien Lauf, bis zuletzt nur noch eine Betonnarbe übrig ist. Links und rechts wird er zeitweilig von Büschen und Gebäum begleitet, was gerade im platten Oderbruch ein guter Schutz der Ackerkrume vor dem Wind sein sollte. Auch hier steht das Korn dicht und kräftig. Wie den ganzen Tag schon ist wieder einmal der hohe Speicher beim Wriezener Hafen zu sehen, wohl das höchste Gebäude weit und breit. Große Disteln halten ihre blauen Stachelköpfe den dafür geeigneten Insekten hin und kontrastieren bestens mit dem dunkelblonden Meer der Ähren.

Altmädewitz

Bald nach dem querenden Radweg von vorhin, dem schnurgeraden Polenzubringer, kommen wir nach Altmädewitz. Ein Mann mit leerem Korb am Lenker kurbelt aus dem Dorf. Gleich links liegt ein rasengrüner Spiel-, Sport- und Festplatz für das Dorf, wo sich ein reichlich meterhoher Junge an Klettergerüsten und am Buddelkasten beschäftigt, ohne sichtlich Trauer zu schieben über fehlende Spielkameraden. Während wir auf einer der Bänke kurz die Beine ausstrecken, kommt der Mann mit dem Fahrrad wieder zurück. Der Korb schwankt nun weniger, doch die Frage nach dem hinzugekommenen Inhalt bleibt offen. Ein etwas jüngerer Mann fährt mit einem Aufsitzmäher aus dem Dorf, welcher in voller Fahrt etwa halb so schnell ist wie er es zu Fuß wäre. Im Gegenzug zieht er eine Last.

Blick zurück nach Altmädewitz

Rund um die Bushaltestelle gibt es allerhand Informationen und eine gute Unterstellmöglichkeit bei fiesem Regen von der Seite, kurz darauf am Dorfrund mit der Kirche schöne Schattenbänke. Entlang alter Ulmen verlassen wir das Dorf, wobei sich übers buschige Kornfeld ein wohliger Rückblick ergibt. Voraus geht es schön über die Felder. Zwei Hasen und dann noch einer verharren wie in einer Standperformance mitten auf dem Weg, jeder von ihnen den Blick in eine andere Richtung, wie die Boygroup vor dem ersten Takt. Der Wind erlaubt keine Witterung, doch irgendwann sieht uns einer der drei und zwei Denksekunden später sind alle im hohen Mais verschwunden. Und hoffentlich nicht im Modder ausgerutscht und das blütenweiße Blümchen eingeschmutzt.

Stammkram auf dem Oderdeich

Schon freudig erwartet wurde die Deichpassage, wohlbekannt von früher und wieder so herrlich urig und dabei leicht krumm. Einige der betagten Baumriesen hat es irgendwann in den letzten zwölf Jahren geschrägt. Doch sie gestalten die Landschaft noch lange mit und liegen nun als bullige Stammsegmente von Kuhgewicht, als wildsaugroße Schnipsel oder in Großscheitgröße an der Deichkrone und sorgen hier für neues Leben. Bei manchen der enormen Stümpfe mit ihren glatt gesägten Plateaus wachsen zwischen Rinde und Stammholz neue Triebe heran und machen einfach weiter mit dem Baum. Zwischen martialisch anmutendem Bruchholz suchen sich bunte Blumenköpfchen ihren Weg.

Wiegende Gräser auf dem Deich der Alten Oder

Viele der meterdicken Bäume stehen jedoch nach wie vor und recken ihre hohen Stämme in den Himmel überm Oderbruch. Ein winziger Pfad führt hinunter zu einem Schilfweiher, wo fern allen Wassers ein Drosselrohrsänger seine kreuzfideles und stets etwas übermütige Berichterstattung zum Besten gibt. Aus der breiten Wiesennarbe ragen hoch die hellen, längst wieder trockenen Halme der Gräser und werden vom drängenden Wind bewegt, der jetzt irgendwie auch wie Seewind riecht, vielleicht des Regens und des getränkten Bodens wegen.

Schnurgerade Radweg zwischen Wriezen und Grenze

Schließlich biegen wir auf den Radweg ein und damit auf die Zielgerade. Als die einstige Bahntrasse zum Radweg wurde, pflanzten vorausschauende Leute in dichten Abständen Alleebäume zu beiden Seiten, seinerzeit so dick wie ein Meerrettich-Glas, mittlerweile schon ganz anständige Bäumchen, deren Kronen sich über dem Weg bereits berühren. Ein kleiner Huckel führt durch ein Sieltor, welches sich im Flutfall mit wenig Aufwand und einigen kräftigen Balken verschließen lässt. Radfahrer kommen, zumeist von vorn und also mit dem Wind im Rücken, schauen aber keineswegs alle so. Ein fohlenschmales Pärchen unverbissener Rennradler überholt uns und lässt die Speichen fliegen – als wären sie es, die den Wind von hinten hätten.

Eine Alte Oder am Rand von Wriezen

Nach zwei Oderüberquerungen und einem Blick zum markanten Schlot des Kalkofens sind wir wieder in Wriezen, nehmen noch den Bogen über den Altkietz mit und sehen, dass der Storchenhorst unbesetzt ist. Vielleicht handelt es sich ja auch um denjenigen Rotbeinigen, welcher vorhin kurz hinterm Stadtrand staksend in den Wiesen gesichtet wurde. Klingt wahrscheinlicher, denn an Frosch und anderem Schmaus sollte es in diesem Juni nicht mangeln. Rund um die Straße zum Markt gibt es eine Reihe von Gassen, welche vermutlich die Gestalt der ursprünglichen Stadt wiedergeben.

Blick zum Schlot des Kalkofens am Alten Hafen, Wriezen

Falls nun die Bahn gerade weg ist und der Magen in den Knien hängt, hält hier nach wie vor der Grill schräg gegenüber der großen Marienkirche die Fahne oben. Plätze gibt es drinnen und auch ein paar draußen, optional ein paar Bänke auf dem Marktplatz. Dort kann man sich letztlich auch beim vierten Mal noch an den zahlreichen Details des schönen Lebensbrunnens festgucken, in dessen Szenerie unter anderem der Teufel, der Fischer und ein Brett vor dem Kopf eine Rolle spielen. Das passt wohl leider zu allen Zeiten und auch überall.












Anfahrt ÖPNV (von Berlin):
mit der Regionalbahn über Eberswalde (ca. 2 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der Landstraße über Strausberg oder Tiefensee (ca. 1,25-1,5 Std.)

Länge der Tour: ca. 17,5 km (Abkürzungen möglich)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Internetauftritt von Wriezen

Längste Kaffeetafel im Oderbruch

Oderbruchbahn-Radweg

Einkehr: div. Angebote in Wriezen (Imbiss/Restaurant)


Wriezen: Der alte Oderdeich, ein krötiger Storch und der badende Apfelbaum

Es ist endlich geschafft – nach fünf Monaten kühler Dunkelheit oder sonniger Eiseskälte oder graugrausem Wetter, auch beliebigen Kombinationen davon und einem zäh hinausgezögerten Ende all dessen. Nachdem der Frühling auf seinen meteorologischen oder kalendarischen Anfang pfiff, nutzte er zuletzt noch die seltene Chance für einen ostersonntäglichen Aprilscherz und schüttete den ganzen kalten Tag über nasse Schneeflöckchen aus, sodass jegliches Eiersuchen unter dem tiefgrauen Himmel eine stramme Herausforderung ans Material und an die gute Laune wurde. Doch danach war es endlich gut, und schon am Ostermontag wurde ein Tag nachgeliefert, der alle Menschen lächeln ließ, alle Schultern sinken und die Eistütendichte auf den Bürgersteigen explodieren.

Auf dem alten Oderdeich

Die Natur ist etwas unter Zugzwang, die verlorenen Wochen wieder aufzuholen. Alles geht noch schneller als sonst in der ersten sonnigen Frühlingswoche, wächst und entblättert und knallt aus den Knospen, und so kann es am Boden und an allen Zweigen auf dem sonnigen Weg nach Feierabend schon ganz anders aussehen, als das am kühlen Morgen noch der Fall war. Etwas irritiert stehen ein paar allerletzte Schneeglöckchen dazwischen und werden regelrecht überrannt von all dem Gelb und Blau sowie den Tönen dazwischen. Auch bei Sträuchern und Bäumen tut sich einiges, um die Schattenspenden zu sichern, die schon bald gebraucht werden. Damit einhergehend strömen würzige Düfte durcheinander, verstärkt von all den Wiesenflächen, die besonders abends grün und erdig auszuatmen scheinen.

Die langwährende Kälte und die jüngsten Regentage haben den Boden auf dem Lande gesättigt hinterlassen, und so liegen überall auf den unbestellten Äckern beständige Pfützen, teils so groß wie Dorfweiher. Besser also kommt man nicht in die Verlegenheit, so eine Scholle queren zu müssen, denn damit wäre jedes Sohlenprofil überfordert. Ein paar Enten hingegen haben ihren Spaß und beleben die Dorfteichoptik.

Blick zum Wriezener Bahnhof

Um also keine Sonne zu verschenken, viel Platz samt freiem Blick zu haben und den frischen Südost möglichst nicht frontal, empfiehlt sich zum Beispiel eine Fahrt zum Rand des Oderbruches, nach Seelow oder Lebus, Bad Freienwalde oder nach Wriezen. An jedem dieser Orte gibt es jeweils noch sagenhafte Aussichten über die flache Weite dieses ganz besonderen Landstrichs zwischen Alter und Neuer Oder.

Wriezen

Wriezen ist ein Städtchen, das einen beim Verlassen des Bahnhofes mit schlichter Noblesse willkommen heißt. Vom Bahnhof wird der Blick, begleitet von einer schönen Alleepromenade, hinaufgelenkt zur Kirche und einer alten Eiche. Deren Hauptäste formen pantomimisch irgendeine Botschaft. Wer dem auf die Schliche kommen möchte, sollte dafür die laublose Zeit nutzen. In der Zeit der Blätter kann man stattdessen in der hübsch gemachten Bummelmeile der Wilhelmstraße ein Eis essen gehen, was wochentags gut möglich ist, am Wochenende aber gar nicht so einfach. Notfalls hilft die Kaufhalle an der Kirche oder die unweit des Kreisverkehrs, was natürlich keine Eisdielen-Schlange ersetzt, mitsamt ihren vorfreudigen Blicken auf Zehenspitzen. Für herzhafte Stärkungen stehen als verlässliche Ansprechpartner an der Kirche der Hanay Grill und unweit des Kreisverkehrs die asiatische Küche beim Asia Snack bereit.

Brunnen vor der Kirchenruine, Wriezen

Altkietz

Hier und da lugt zwischen der heutigen Bebauung noch das alte Wriezen hindurch, so zum Beispiel in der Magazinstraße kurz vor dem erwähnten Kreisverkehr oder ganz wortwörtlich in der Straße Altkietz, deren Bogen für vier Minuten in eine andere Welt entführt. Zu der gehören auch ein umranktes Storchenpodest sowie ganz tagesaktuell ein erwachtes Volk von Erdbienen. Die haben wohl unter dem Mittelgraben überwintert und jetzt unter den ersten verlässlichen Sonnenstrahlen eilige Absprachen zu treffen.

Wriezener Altkietz

Am Nordrand der Stadt finden drei Gewässer zueinander, neben der Alten Oder sind das der Neue Kanal und die Volzine. Die letzten beiden füllen auch das Becken des Alten Hafens mit seinen markanten Kalköfen. Der Kalk kam einst von Westen übers Wasser aus Rüdersdorf, die Kohle per Bahn aus dem Süden Polens. In den 1920er Jahren war Schluss mit der Brennerei, schon siebzig Jahre nach dem Bau der Öfen. Auch der kurz nach 1900 gebaute Hafen bestand nur etwa siebzig Jahre. Lastkähne, die hier festmachten, transportierten Steinkohle, Petroleum oder Getreide und entsprachen gängigen Maßen ihrer Zeit. Ihr Anlegen lässt sich nur noch erahnen, denn die Natur hat sich die Ufer weitgehend zurückgeholt, und das einstige Hafenbecken sieht eher nach einer breiten Kanalstelle aus.

Der ungemein gerade Verlauf eines anderen Transportweges hingegen ist seit einigen Jahren wieder deutlich sichtbar. Die Oderbruch-Bahn verband unter anderem die Spreestadt Fürstenwalde mit der Oderstadt Wriezen, eine Nebenstrecke führte auch nach Müncheberg. Eine Verlängerung der Oderbruch-Bahn strebt von Wriezen ungemein direkt zur Oder und war vorrangig Teil der Wriezener Bahn. Vor hundert Jahren hatte die in Berlin sogar ihren eigenen Kopfbahnhof – den Wriezener Bahnhof unweit des heutigen Ostbahnhofs. Der Name eines Sträßleins dort erinnert noch daran.

Wo die Bahn die Oder querte, stehen unzugänglich und gleichermaßen verlockend die eindrucksvollen Reste einer alten Stahlfachwerkbrücke, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus mehr als einen Dutzend verschiedener Segmente zusammengeschustert wurde. Folgt man auf der Karte den Spuren der alten Bahntrasse jenseits des Flusses, führen diese bis zur großen Hauptstrecke, welche die Oderstädte Szczecin und Kostrzyn verbindet.

Oderbruchbahn-Radweg Richtung Oder

Heute ist der schnurgerade Trassenverlauf als edler Radweg ausgebaut, mit Buschwerk und jungen Alleen zu beiden Seiten. Bei Gegenwind kann es im Fahrradsattel durchaus einschüchternd sein, da man scheinbar nicht vom Fleck kommt. Bei Rückenwind hingegen wird es ein rauschhaftes Vergnügen. Hinter einem Sieltor quert das Asphaltband einen Alten Oderdeich und trifft damit auf ein ungeheuer sympathisches Gegenstück. Nichts ist hier gerade, direkt oder modern, der erdige Weg ist leicht erhöht und spendiert nach beiden Seiten herrlich weite Aussicht zu entfernten Höhenzügen in zwei Ländern. Regelrecht archaisch erscheint dieser sanfte Ritt auf dem alten Deich, der noch greifbar vergangene Zeiten atmet. Wie ein verschmitzter Opa ist er, der Geschichten aus einem dicken, staubigen Wälzer zum Besten gibt und beim wohlmodulierten Erzählen doch niemals auf die Seiten schaut.

Alter Oderdeich bei Mädewitz

Die Spuren der letzten Jahrhundertstürme sind noch klar zu erkennen, doch viele der gut verwurzelten Baumriesen stehen über Windereignissen jeglicher Stärke. Ein Grünspecht wechselt aufwändig zwischen den gewaltigen Stämmen hin und her, damit er ja nicht übersehen wird. Schlägt dann noch Lärm, zur Sicherheit. Etwas links vom Deich steht verloren, doch irgendwie auch versonnen ein lichtes Kiefernwäldchen mitten im Acker. Ein paar Minuten weiter frischen zwischen Büschungen ein paar Jägersleute mit ihren Hunden verbindende Sozialtechniken auf.

Rechts des Deiches gehen in greifbarer Entfernung die Dörfer ineinander über, von Neukietz über Altmädewitz bis Alt- und Neureetz und aufgefädelt an ein und derselben kleinen Landstraße. Die einzigen Häuser direkt am Deich gehören zur Altmädewitzer Loose. Neben schönen Gärten und exklusiver Lage haben Sie üppige Fensterflächen mit Blick in die Weite. Ein paar Meter später springt ein Rehbock aus dem hohen Gras der Flanke, türmt im aufwändigen Bogen zum Acker gegenüber und bleibt dann stehen mit kessem Schulterblick, scheinbar kichernd über die Jäger und ihre Hunde, die in Sichtweite tüchtig üben.

Kurz darauf nähert sich der Deich der Alten Oder an und bietet die erste Querungsmöglichkeit seit Wriezen. Unten auf den eben trocken gewordenen Uferwiesen stehen die Jungs am Rastplatz, in Tuchfühlung zu ihren polierten Simsons, die sie wahrscheinlich direkt von ihren Erzeugern geerbt haben. Die kurvige Oder fließt rege, tut kokett und lässt immer mal wieder etwas Payettenglitzern über ihre Wasser schauern. Eben noch hier, das nächste Mal ein paar Meter weiter rechts. Die wuchtigen Eisspalter an den Brückenpfeilern lassen erahnen, wie es manchmal im Winter zugehen kann.

Die alte Oder bei Neugaul

Neugaul

Gleich voraus liegt hinter einem weiteren Deich der Weiler mit dem widersprüchlichen Namen Neugaul. Jemand im Innersten des Dorfes sorgt sich mit einem späten Osterfeuer um die anhaltende Vertreibung der Winterlichkeit, die noch im klammen Brennholz steckt. Wir stehen kurz im Nebel. Glasklar ist dann der Wasserlauf, der das ruhige Sträßchen nach Rathsdorf begleitet. An seinem Grund werden sicherlich schon erste Krötenbeine zucken, die lange Winterstarre stufenweise beendend. Interessant ist das nicht nur aus dem Blickwinkel der paarungswilligen Froschlurche, sondern auch ein Glied höher in der Nahrungskette, und zwar ganz unmittelbar. Denn die ersten Störche sind innerhalb der letzte Tage eingetroffen. Doch zu hören ist noch nichts, was quakt oder schnarrt, zu sehen auch nicht, weder einzeln noch in anbandelnder Rucksackformation.

Rathsdorf

Nach Rathsdorf geht es nun ein paar Meter hinauf, nachdem der letzte Anstieg der auf den Oderdeich war. Damit wird schon angekündigt, was den zweiten Teil der Runde vom ersten unterscheidet. Die paar Minuten entlang der Straße gewähren noch einen kleinen Aufschub, bevor es hinaufgeht zu den Höhen von Altgaul. An der Kreuzung am Ortsrand steht ein besonders historischer Ziegelofen, der nicht nur dank des traditionsreichen Storchennestes pittoresk wirkt und in sich ein kleines Museum trägt, dessen Schlüsselherr uns über die neuesten Entwicklungen informiert.

Antikes Storchennest auf dem Kalkofen, Storchenmuseum Altgaul

Demnach ist der in jeder Hinsicht treue Stammstorch da oben nicht nur wegen bislang fehlender Leckerbissen krötig, sondern auch, weil seine langjährige Partnerin noch nicht eingetroffen ist. Stattdessen musste er einem lästigen Konkurrenten Beine machen, der ihm den langjährigen Stammplatz streitig machen wollte. Das Weisen in die Schranken fiel dann etwas ruppiger aus als nötig.

Sanfter Aufstieg von Altgaul

Altgaul

Am Bahnübergang beginnt dann der sanfte Aufstieg der nächsten halben Stunde. Führt vorbei an einem stattlichen Hang mit lockenden Pfaden, dann quer durch das kleine Dorf mit dem schönen und sich selbst bestätigenden Namen Altgaul. Auf einem alten, windschiefen und verwitterten Schild unweit von Sonnenburg lasen wir diesen herrlichen Namen zum ersten Mal. Er beflügelte romantisierende Vorstellungen an diesen Ort, zu denen nicht unwesentlich das warme Herbstlicht dieses Tages und ein paar im Widerschein glänzende Spinnennetze in den ausladenden Ästen einer alten Eiche beitrugen. Auch diese Vorstellungen grundsolide und herzwärmend, althergebracht und zutiefst vertrauenswürdig.

Nun sind wir also erstmals hier und keineswegs enttäuscht, auch wenn es meist schade ist, wenn eine solche Phantasie an Wirklichkeit gewinnt. Ein hübsches Dörfchen, eingeschmiegt in die sanften Wiesenhügel seiner Landschaft, mit viel Platz, einer Serie von riesigen Scheunentoren am alten Gutshof und hundert Schafen ganz am Rand. Darunter sind so einige osterfrische Lämmer, sodass das Stimmgewirr entsprechend farbenfroh ausfällt.

Weites Panorama oberhalb von Altgaul

Altgaul und die angrenzenden Hügeleien liegen zwischen zwei der zauberhaftesten Talgründe, die wohlwollende Filmfreunde sicherlich an eine herzige Miniatur des tolkienschen  Auenlandes erinnern können. Die Hutelandschaft Altranft-Sonnenburg beherrscht das ganz besonders gut, den südlicher gelegenen Biesdorfer Kehlen gelingt ein schönes kleines Echo, und die Landschaft dazwischen, also diese hier, hat von beiden etwas abbekommen. Jeder der mit Stoppelwiese überspannten Buckel macht Lust, den Rucksack nach hinten abzuwerfen, dort hinaufzurennen und gleich wieder hinabzukugeln. Dann von vorn. Da die Wiese keine Wege braucht, spricht nichts dagegen. Wie zur Bestätigung sieht man hier und auch dort Leute umherstreifen, kreuz und quer im Auf und Ab.

Abstieg in den Wriezener Stadtwald

Der Weg hinauf nutzt eine sanfte Furche, die ihn fast zum Hohlweg macht. Ein wenig Schatten gibt es hier, in ihm ein paar frühe Blüten und immer wieder alte Obstbäume am Grund der Furche. Oben ist er fast erreicht, der höchste Punkt, und ein paar Meter nach links fordern eine Pause hier und jetzt. Die Wiese ist schon warm, das Kissen kann im Rucksack bleiben. Von hier oben, nur siebzig Meter über Null, spannt sich nach Osten und Nordosten ein weites Panorama auf, von einer Qualität, die schon besonders ist. Mitten in der Aussicht steht mit sattem Grün eine Gruppe von Kiefern, wohlig breit gewachsen. Ein paar Kilometer voraus ragt ein markantes, langes Gebäude mit Türmchen aus dem Wald. Die Lerchen hier oben trällern so selbstbewusst und laut, als wäre schon seit Wochen Frühling. Und sind wie immer nicht zu finden am Himmel.

Teichland am Stadtwald, Wriezen

Zum Ausgleich gibt es jetzt einen ebenso sanften Abstieg hin zum Wald. Auch hier hat sich entlang des Weges eine Furche ausgeprägt, auch hier mit alten Obstbäumen. So tief ist diese Furche, dass die Stämme der Bäume in ihr versunken sind, die Äste nahezu aufliegen an den Rändern. Als säßen die Bäume in der Wanne und wollten gerade aufstehen. In vier Wochen muss hier ein Blütenzauber über die Bühne gehen.

Der Wechsel in den Wald verläuft direkt und wohltuend, der Schatten bringt Entspannung für die sonnenverwöhnten Augen. Eine gekrümmte Hohlgasse führt umgehend tiefer, hin zu einer Stelle, wo sich zich Pfade kreuzen. Hier kommen uns nun Vater und Sohn auf der Simson entgegen, etwas verschämt mit dem Zweitaktgeknatter im trockenen Wriezener Stadtwald. Die schnelle Flucht in die aufsteigende Kurve überfordert das Aggregat oder der falsche Gang ist drin, jedenfalls wird umdisponiert und sich über den nächstmöglichen ebenen Weg getrollt.

Wiesen am Stadtwald, Wriezen

An der nächsten Kreuzung führt eine knorrige Stiege hinauf zu einem Aussichtsplateau, und kurz darauf wechselt die Landschaft erneut zu einem feuchten Tal mit Flüsschen und etwas Bruchwald. Überall sind Menschen unterwegs, mal allein, mal zu zweit. Schnelle Wechsel führen nun vorbei an anglerfreundlichem Schilfland zu einem dammgeteilten Bergsee, dann unterhalb von Wiesenhängen zu einem wildromantischen Bachtälchen und schließlich über eine weitere Wiese zur alten Pflasterstraße, die von Biesdorf kommt. Nach ein paar Metern auf Asphalt erscheint voraus eine friesische Vision – rupfende, noch wollige Schafe auf einem riesigen Deich. In der Tat ist das die begrünte Müllhade, auf der jetzt mittels großer grauer Zellen Sonne geerntet wird. Die Schafe sorgen für Ordnung zwischen den Modulen und auch drumherum.

Friesische Erscheinung kurz vor Wriezen

Nach der Brücke über die komplett leere Bundesstraße – ist heute ein wichtiges Fußballspiel? – strecken sich links und rechts des Weges weite Trockenwiesen, die auf der Terrassen-Höhe überm weiten Oderbruch liegen und als Wriezener Trockenrasensaum eine hiesige Besonderheit darstellen. Scheinbar auch gern genutzt werden, hier von einer sackhüpfenden Geburtstagsgesellschaft, dort zum Drachensteigen und weiter hinten einfach, um eine Decke auszubreiten, die Augen zu schließen und dann Nase und Ohren aufzuspannen, einfach zu genießen.

Die letzte große Wiese grenzt direkt ans Krankenhaus, das vorhin gesehene mit dem Türmchen – das jetzt viel kleiner aussieht. Allein der Anblick dieser Wiese sollte bei vielen Problemen schon zur Heilung beitragen. Ganz weit vorn steht das Ortseingangsschild und lässt ahnen, dass es direkt dahinter hangabwärts geht, hinunter in die Stadt. Und so ist es dann auch. Vorbei an gediegenen Bungalows führt ein holpriger Plattenweg zum Rand der Innenstadt, wo eine kleine Freilichtbühne der kommenden Monate harrt. Im letzten Sommer sorgten hier beim Village-Festival neben regionalen und Nachwuchs-Bands auch City und die Killerpilze für reichlich Schalldruck in Richtung stilles Oderbruch.

Friedrichstraße in Wriezen

In der Friedrichstraße mit ihren schönen Laternen linst ein weiteres Mal das alte Wriezen durch, und schon ein paar Schlenker darauf fällt der Blick vom kessen Brunnen vor der Kirchenruine hinab zum Bahnhof. Ein schöner Ort, um hier den abendlichen Schatten beim Wachsen zuzusehen, wahlweise bei Pizza – Döner – Hähnchen – Burger – Currywurst. Bestimmt haben sie bei Hanay auch ein Eis. Doch Obacht: der letzte Zug nach Eberswalde fährt kurz nach zehn, mit Anschluss nach Bernau und auch Berlin.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Regionalbahn von Berlin-Ostkreuz über Frankfurt/Oder oder von Berlin-Lichtenberg über Eberswalde; auch von Bhf. Strausberg mit dem Bus (ca. 2 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): Landstraße über Werneuchen oder Strausberg (ca. 1,25 Std.)

Länge der Tour: ca. 17 km, Abkürzungen möglich

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Stadt Wriezen

Kalkofen-Brauerei Wriezen

Informationen zum Oderbruchbahn-Radweg

Storchenmuseum Rathsdorf/Altgaul

Village-Festival Wriezen 2018

Einkehr: Hanay Grill, an der Kirche
Asia-Snack, bei Rewe/Freienwalder Str.

nördlich des Zentrums: Feldklause, Feldstr. 1