Die Adventszeit ist schon erstaunlich fortgeschritten – wie es immer so ist, wenn die vermeintlich beschaulichen Dezembertage unvermittelt ins Rennen geraten. Vereinzelten Leuten ist es gelungen, noch nicht ein einziges Mal einen Weihnachts-Klassiker aus den Achtzigern oder das ebenfalls gern abgespielte „Bimmelt, Ihr Schellen“ aufs Ohr zu bekommen, das in der Tat noch viel weniger Bezug zum Weihnachtsfest mitbringt und eigentlich von Pferdeschlittenrennen erzählt.
Die Plattenbauten der großen Stadt sind zu riesenhaften Regalen der bunten Lichtkunst geworden, und auch auf dem Land wurden Schwibbögen und Lichterketten aus dem Keller geholt und in minuten- oder tagelanger Arbeit in Form gebracht. Schönstes Ziel für ländliche Ausflugstage ist es daher, im Dämmerlichte am Tagesziel einzutreffen und sich bei den letzten Schritten von den vielfältigen Lichtpunkten leiten zu lassen. Viele Dörfer haben zudem einen weithin sichtbaren Nadelbaum in der Ortsmitte zu stehen, stets durchwirkt von einem Sternenmeer.
Der Dezember schaltet nun allmählich von Herbst auf Winter um. Die Temperaturen sinken nachts schon mal unter Null und die dünnen Mützen und Handschuhe sind längst den dickeren gewichen. Immer wieder gibt es Regen, gern auch herzhaft und schon recht frostig, und viele Gesichter auf den Gehwegen tragen grimmige Züge. Die Luft scheint manchmal schon Schnee anzukündigen, auch manche Wolke gibt sich so, doch geworden ist es bisher nichts mit irgendwelchen Flocken.
Wer frische Luft sehr schätzt und daher nicht von selbst auf den naheliegenden Gedanken kommt, es sich an freien Tagen drinnen gemütlich zu machen und sinnvollen oder unnötigen Tätigkeiten hinzugeben, kann an solchen Tagen draußen das Privileg genießen, jegliche Gegend fast für sich allein zu haben. Hilfreich kann es dabei sein, wenn man sich etwas windgeschützt bewegt – dann lassen sich mit Regenklamotten und Schirm ganz gut ein paar schöne Stunden draußen zubringen.
Finowfurt
Wenn Eberswalde selbst und auch sein Umland schon einiges zu bieten haben, kann das benachbarte kleine Finowfurt auf seine Weise sehr gut mithalten. Zwei Dorfänger mit Kirchen werden wohlwollend getrennt vom beschaulichen Finowkanal, der hier mittels Schleusenbecken einen beachtlichen Höhenunterschied hinlegt. Umschmeichelt wird das von schönster Industrieromantik der Alten Mühle und der verlockenden Einladung des Mühlenbistros, das gerade an solchen sauwettermäßigen Tagen mit einer fast unanständigen Gemütlichkeit lockt. Wenn es denn schon offen hat.
Ein Brandenburgischer Superlativ dürften auch die fünf Einkehrmöglichkeiten sein, die scheinbar durch die Reihe ganz gut klarkommen, obwohl keineswegs alle das vermeintliche Ideal des Wasserblicks bieten. Für Verdauungsspaziergänge vielfältiger Portionierbarkeit stehen liebliche Treidelwege zur Verfügung, denen man bis zum nächsten Fußgängersteg in einem Kilometer oder auch bis nach Niederfinow folgen kann.
Finowfurt ist nicht nur Kanalort, sondern auch Flößerort. Etwas südlich gibt es zudem noch den alten Flugplatz, der für verschiedenste Veranstaltungen überregional bekannt ist und wo an einzelnen Tagen einiges geboten wird, was mit ungezähmten Motoren zu tun hat oder klappengesteuertem Auspuffgebrüll. Der nördliche Teil von Finowfurt reicht fast bis ins benachbarte Finow und befindet sich in einer Art Zweistromland zwischen dem eher historischen Finowkanal und seinem Verwandten und ausgewachsenen Nachfolger, dem Oder-Havel-Kanal. Während der kleinere sich vor allem Ruhe und Erholung verschrieben hat, werden auf dem anderen in erheblichem Maße Waren bewegt.
Angesagt für heute war erheblicher Regen von elf bis drei, was ziemlich genau eingehalten wurde. Die Zeit der bewegten Füße fiel auf denselben Zeitraum, was wie erwähnt kein Problem war, denn bis auf die letzte halbe Stunde spielte Wind gar keine Rolle und alle Häute und Membranen hielten dicht. Am nördlichen Anger ist kaum was los, während bei der Alten Mühle schon einiges im Gange ist. Der Weg vorbei am Mühlenbistro stellt keinerlei Herausforderung dar, da es noch nicht offen ist. Dasselbe gilt für die schweren, tief hängenden Wolken, die sich gerade noch zurückhalten.
Direkt an der Schleuse führt ein unauffälliger Wiesenweg vor zur breiten Kanalbucht mit ihrem ausgeprägtem Schilfgürtel, in dem es ständig hin- und herhuscht. Weiter oben besorgen das die Wintermeisen. Der Wasserspiegel liegt glatt und grau. Ein schmaler Damm, grad breit genug für einen Pfad und etwas Uferkraut, endet an einer Brücke mit steilen Treppen, dahinter liegt der weitläufige Flößerhafen mit seiner wuchtigen Plattform. Alles Holz ist bis zur Schwärze regenwassergetränkt. Gegenüber sind hinter dem schönen Gebäude der Alten Mühle schon die Aufbauarbeiten für den eintägigen Weihnachtsmarkt im Gange.
Ein Blick von der am Ufer vertäuten Plattform für den Floßbau ist nicht ohne Risiko, denn das klobige Holz ist überfroren. Nun ist es Zeit für Regenhosen und Schirme, fürs Umziehen lässt sich ein Unterstand nutzen, der sonst als Werkstatt dient. Vom relativ neuen Wohnviertel, in dessen Straßen mal wieder die Bäume vergessen wurden, führt ein charmanter Schleichweg vor zur Hauptstraße und vorbei an der südlichsten der Gaststätten, die einen vergleichsweise exotischen Namen trägt.
Dahinter lässt sich gut der dreieckige Friedhof durchqueren, was für das Robinienwäldchen ein paar Minuten später nicht mehr gilt – das wurde komplett gerodet, und alle Bäume liegen kreuz und quer. Mit Unter-, Haupt- und Überkleidern an den Beinen sind Storchenschritte so eine Sache, Hängenbleiben keine Kunst. Doch keiner geht in die Waagerechte.
Durch ältere Wohnviertel kommen wir zum Schöpfurter Ring. Vor einem Grundstück ist der unbefestigte Streifen zwischen Bordstein und Gehwegpflaster frisch, präzis und parallel geharkt. Ein unartiger Windstoß hat mehrere Laubblätter auf das Cordmuster verteilt, so dass der Künstler erneut ausrückt, mit Schubkarre, Schaufel und Laubbesen, die Störenfriede bückfrei aufliest und gekonnt den lückenlosen Anschluss ans Streifenmuster rekonstruiert.
Der Schöpfurter Ring spannt ein regelrechtes Tentakelwerk auf, dem sich hin zur Bundesstraße auf einem kleinen Fußweg gut entkommen lässt. Voraus prangt in der Höhe als gelber Akzent im grauen Tag das doppelbögige Logo einer amerikanischen Hackfleischbratküche. Kurz dahinter hält der Straßenname Schloßgutsiedlung nichts von dem, was er verspricht, doch wenig später, jenseits des ersten Eindrucks, ist das Schlossgut ganz klar zu erkennen. Geplagt von Launen der Geschichte und sehr liebesbedürftig, doch keineswegs unrettbar – zumindest aus dem Blickwinkel des Laien.
Finowkanal
Ein paar Haken münden an einer kleinen Wiese, wo nun jenseits von Gewerbe und Wohnblocks eine andere Welt beginnt und gleich drei zauberhafte Wiesenwege um die Gunst des Spaziergängers werben. Schwungvoll wird der Finowkanal erreicht, hinüber führt eine massiv gebaute Holzbrücke, deren Unterholz ans Flößerhandwerk denken lässt. Der prasselnde Niederschlag hat mittlerweile zu Stabilität und Volumen gefunden, und so empfiehlt sich das Gebälk unter der Brücke als weitgehend trockene Rastbank mit Wasserblick. Zwei ältere Radfahrer sausen vorbei, gut eingepackt und fröhlich schnatternd.
Das waren dann auch die einzigen Menschenmassen des gesamten Weges. Das glänzende Asphaltband verläuft zunächst als Dammweg zwischen dem breiten Kanal und einem weiten Schilfland, bevor auf der linken Seite verwunschene Gärten und gut gelegene Grundstücke übernehmen, später exklusive Kleingärten. Auf dem Wasser ist einiges Ententreiben im Gange, hier wird geschnattert, dort aufgeflattert und da nur still palavert. Ein wetternder Grünspecht verschwindet links in den Wipfeln. Schwäne lassen sich heute nicht sehen, doch der allseits treue Graureiher fliegt einmal vorbei, geradeso an der Grenze zur Wahrnehmbarkeit in diesem ebenso gekleideten Tag.
Auf der Höhe des Holzsteges über den breiten Verbinder zum Mäckersee kommt erstmals der markante Wasserturm der Finower Messingsiedlung ins Blickfeld. Vor knapp zehn Jahren wurde hier einiges hübsch gemacht und in diesem Rahmen ein Generationen-Spielplatz in den Parkhang eingebunden, was damals noch relativ neu war. Die Geräte sind alle im besten Zustand, doch heute entschieden zu nass zum Benutzen. Unten am Kanal überspannt die filigrane historische Brücke den Zugang zum Hafenbecken, als reines Accessoire zu des Betrachters Freude. Zweimal ist sie bereits umgezogen und wartet hier nun schon länger auf eine günstige Gelegenheit, die ihr zu einem zweiten Leben in Funktion verhilft.
Finow Messingsiedlung
Anderen Bauwerken geht es ähnlich, doch der Großteil ist gut in Schuss und der Charme der Siedlung ganz klar vorhanden. Wechselt man von der Uferhöhe durch den Park hinauf zur Siedlung mit dem Brückenhaus, scheint man erneut in eine andere Welt zu geraten. Wie eine ausgefeilte Babelsberger Filmkulisse sieht es aus oder wie in einem Stadtviertel einer größeren Stadt wie Frankfurt oder Dresden. Auch im nahen Eberswalde gibt es Straßenzüge von ähnlicher Gestalt, und ein bisschen denkt man auch an Nowawes, den Norden vom eigentlichen Dorfe Babelsberg.
Rückzu fällt der Blick über Pflaster und entlang schöner Laternen auf das Torhaus. In die andere Richtung ist bald das leuchtende Schloss erreicht, in dem das Eichamt residiert, das womöglich auf direktem Weg mit dem Messing zu tun hatte. Kurz dahinter übernehmen wieder die Kleingärten, zumeist in erhabener Aussichtslage über dem Kanal und mit teils herrlichen Bretterbuden als Domizil für die Gartentage.
An der Brücke über den Mäckerseekanal, den von vorhin, gehen kurz Bilder vom erknernahen Neu-Venedig oder auch dem Spreewald auf – auch die hiesigen Gärtchen dürften heiß begehrt sein. Der Mäckersee übrigens dient als Stellschraube zwischen dem Oder-Havel-Kanal und dem einiges tiefer gelegenen Finowkanal und ermöglicht den Wasseraustausch vom einen zum anderen. Der namensgebende Herr Mäcker besaß leider keinen Ziegenhof, dafür aber wenigstens eine Ziegelei, was ja so ähnlich klingt.
Kurz vor dem Ortseingangsschild biegt nun nach rechts ein Weg in ein wahres Reich von Teichen ab, das von öffentlichen Wegen durchzogen wird. Die ehemaligen Tongruben tragen bis auf die Barschgrube keine Namen, obwohl einige von ihnen weitaus größer als ein kleinstädtischer Marktplatz sind. Auch die Barschgrube entwässert lebendig in den Mäckersee und speist ganz nebenbei eine Forellenzucht mit frischem Wasser.
Das mit den wohlgelegenen Gärten setzt sich auch hier fort, da die meisten direkt am Wasser liegen oder zumindest darauf schauen können. Im Sommer dürfte hier einiges Hin und Her sein, heute gibt es nur einzwei Leute, die per Auto nach dem Rechten sehen. Auch staubt heute rein gar nichts. Einige schöne Uferstellen bieten sich zur Rast an, doch beim beständigen Regen sollte die Pause unter Kiefern genossen werden, die wider Erwarten sehr wenig Wasser durchlassen, trotz ihres offenen Nadelkleides.
In der schilfigen Westbucht der Barschgrube lohnt es durchaus, sich auf die ufernahen Pfade zu wagen, die einen scheinbar rodeogleich abwerfen wollen. Hierbei lässt sich auch ein Blick in das glasklare Wasser werfen, welches in warmen Zeiten sicherlich zum beherzten Sprung verführt. Heute ganz klar nicht, es sei denn, jemand würde eine Sauna im Fass herbeirollen. Vom westlichsten Stichteich führen verschiedene Wege zum Ufer des gleichmäßig breiten Oder-Havel-Kanals, auf dem regelmäßig schwer beladene Schubverbände von Ost nach West oder entgegengesetzt fahren.
Die für den Tourausklang vorgesehene romantische Uferpassage wird uns von einer unfassbar großen Großbaustelle verhagelt, so in etwa die Größenordnung Potsdamer Platz, falls sich daran noch jemand erinnert. Auf einem enormen Wall von Sand stehen im Abstand eines Pfeilschusses enorme gelbe Bagger in der Wochenendpause, ihre Extremitäten gierig und herausfordernd ausgestreckt, und stecken mit diesem Anblick unverhandelbar ihr Revier ab. Selbst wildes Queren würde einen irgendwann im tiefen Sand endgültig ausbremsen.
Also umrunden wir brav ein lichtes Waldstück mit einer eindrücklichen Einzeleiche und landen schließlich wieder am Teich von eben. Der Rückweg nach Finowfurt ist dennoch reizvoll, zumal in der Dauerdämmerung des trüben Tages bereits viele Lichter aus den Gärten leuchten. Nach dem zweiten Abschreiten des nördlichen Angers sehen wir nun vor uns schon die Menschen strömen, denn der Adventsmarkt läuft bereits seit einer knappen Stunde. Als liebenswerte Geste von oben gibt der Himmel jetzt Ruhe und beschert dem Marktreiben eine ganze Weile ohne Regen.
Die massigen Schwedenfeuer, die als Reihe zum Platz vor der Alten Mühle leiten, sind vom ausdauernden Regen ordentlich durchweicht und qualmen erstmal eine gute Viertelstunde. Doch dann ergeben sie ein umso erhebenderes Entree und schlagen niemanden mehr fuchtelnd in die Flucht. In der Mitte des Erzbergerplatzes lodert es in einer großen Feuerschale aus meterlangen Scheiten, und auf der Bühne läuft ein buntes Programm, an dem vermutlich alle Kinder aus dem Ort und der Umgebung beteiligt sind. Hinreißende ungeschliffene Stimmen und ein herrlich knarziger Weihnachtsmann werden von einer sympathischen Moderation begleitet, und nach und nach füllt sich der Erzbergerplatz und das Licht zieht sich zurück. Zugleich reißt der Himmel für einen kurzen Moment auf und spendiert ein paar Minuten Abendglut im Westen.
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Regionalbahn bis Eberswalde, von dort Bus nach Finowfurt (ca. 1,5 Std.)
Anfahrt Pkw (von Berlin): Autobahn Ausfahrt Finowfurt, alternativ B 109 bis Zerpenschleuse, dann B 167 nach Finowfurt (ca. 1 Std.)
Länge der Tour: ca. 13 km (Abkürzungen gut möglich)
Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)
Links:
Rundgang Messingsiedlung Finow
Großbaustelle am Oder-Havel-Kanal
Einkehr: in Finowfurt zahlreiche Gastronomie