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Blankensee: Sand im Kamm, der Bunte Markt und die Doppel-Bärchen

Mit einem Mal ist es so, als wär’s nie anders gewesen – am Boden, im Buschwerk und in den Baumkronen ist es füllig grün, Gräser wogen im Wind und überall wo Platz ist zirpen die Grillen. Das Grün ist dieses ganz frisch gewachsene, welches in seiner Anfangsphase das Licht im Wald ein wenig flirren lässt, die Gräser waren vor ein paar Tagen noch nicht mal zu erahnen und die Grillen agieren schon derart souverän, als ginge nächsten Montag der Sommer in die Spur.

Ausdruckstanz auf dem Kamm der Glauer Berge

Eine Farbe der Maientage ist ganz klar das Gelb, das sich mit den großzügig verstreuten Butterblumen dotterkräftig ins saftige Gras mischt oder licht und flächig mit den Rapsflächen das Blickfeld ausfüllt und dabei nahezu unfotografierbar ist. Der etwas neonspröde und zugleich tiefgesättigte Gelbton scheint auch fortgeschrittene Sensoren auszutricksen und möchte am liebsten im Original und also unter freiem Himmel bestaunt werden.

Rastplatz auf dem Fuchsberg

Während Nase und Auge mit dem Wahrnehmen kaum hinterherkommen, gibt es auch für die Ohren schon erhoffte Neuzugänge, die alle klingen, als wären sie gesegnet mit Humor. Der Kuckuck, wohl der Vogel mit dem unverhandelbarsten Wiedererkennungswert, bringt allein durch seine beharrliche Variantenfreiheit die Mundwinkel etwas nach oben oder lässt für einen Augenblick an unbeschwerte Kindertage denken. Ist eben noch hier, gleich darauf dort und tönt einem fünf Sekunden später direkt vom nächsten Baum ins Ohr.

Lindenhof in der Friedensstadt Weißenberg

Zu den regelrechten Spaßvögeln und Plaudertaschen gehört hoch im Wipfelwald der gelbe Pirol mit seinem Gedudel aus schnell gespielten Versatzstücken des Freejazz. Drunten im Schilfgürtel märkischer Seen findet er einen Partner auf narrativer Augenhöhe mit dem Drosselrohrsänger, der auf verschmitzte Weise plaudert, schimpft und berichtet und für den Zuhörer meist mit dem Duft von offenem Wasser und Schilfgeraschel verbunden sein wird. Die Schwalben sind zwar schon eine Weile da, verhalten sich fürs Erste aber noch still. Und die Mauersegler lassen auf sich warten.

Pfad am Wildgehege Glauer Tal

Davon abgesehen ist Anfang Mai für viele Menschen eine Zeit fürs Gedenken, das Gedenken an die Toten, die in einem unfassbaren Krieg umkamen. Ein Krieg, so unvorstellbar, dass er selbst durch die vielen vorhandenen Bild- und Filmdokumente für Nachkriegsgenerationen nicht an Abstraktheit verliert. Hierzulande fand er an einem 8. Mai sein amtliches Ende.

Weitgehend losgelöst von den Nationalitäten der Gefallenen, Ermordeten und Umgekommenen besuchen in diesen Tagen traditionell viele Menschen verschiedenste Orte und Stätten, die an diese Ereignisse erinnern. In diesem Jahr ist das mit Spannungen unberechenbarer Art verbunden, Gedenken und Ruhe werden nur bedingt zusammen gehen.

Achtbeiner am Naturparkzentrum Glauer Tal

Wer sich trotzdem nicht völlig rausnehmen möchte, kann rund um Berlin oder auch in der Stadt selbst verschiedenste Orte finden, die klein und entlegen sind und dieselbe Art von Gedenken ermöglichen. Einer davon ist die Friedensstadt am Fuß der Glauer Berge, die vor gut 100 Jahren gebaut wurde, bereits nach 15 Jahren in missbräuchliche Nutzung geriet und deren Bild dann fast sechzig Jahre von militärischen Uniformen bestimmt wurde. Erst Mitte der Neunziger Jahre ließ sich wieder an die ursprünglichen Ideen des Gründers anknüpfen.

Friedensstadt Weißenberg

Das Ortsbild versteckt keine der Riefen der Geschichte. An den vielen Stellen, wo sicherlich jedem zweiten Besucher eine Frage erwächst, steht meist ein paar Meter weiter eine kleine Schautafel, die informativ, anschaulich und ohne schlauen Zeigefinder die geraffte Antwort liefert. Auf den ersten Blick oder bei bloßer Durchfahrt wirkt die Siedlung spröde und abweisend, doch ein Rundgang ist lohnend. An fast jeder nächsten Ecke ergibt sich ein neuer Kontrast, viele Orte strahlen Friedlichkeit aus. Werdendes steht neben Vergehendem, staubige Brachen grenzen an hübsch gestaltete Parkstreifen oder fantasievoll bunte, zaunlose Hintergärten.

Dorfmitte von Blankensee

Davon losgelöst kann man auch den Mai als Monat feiern, insbesondere nach den sechs Monaten mehr oder weniger Kälte und Frieren, und so lässt sich der Besuch der besonderen Siedlung in eine besondere Runde einbinden. Vier Orte liegen auf dieser Tour, die jeder einzeln schon als Ausflugsziel taugen würden und allesamt grundverschieden sind. Mit dabei sind einige Höhenmeter samt Bergkamm und Gipfelkreuz sowie eine ganze Reihe zauberhafter Pfade, die uns zum Teil der Zufall in die Karten spielte.

Nieplitz im Schlosspark Blankensee

Blankensee

Der sagenhafte Dorfladen wurde schon in einem früheren Dezember besungen, und er hätte es auch heute wieder verdient. Wer hier sitzt, fühlt sich wie im Urlaub. Kreuzung, Häuser und Geschehen wirken ein wenig wie in einem Dorf im Hinterland der Ostseeküste. Blankensee als Dorf scheint zusammengebaut aus einem gut bestückten Premium-Dörfer-Baukasten, der Grundriss ist unregelmäßig und keine Ecke gleicht einer anderen. Es gibt verschiedene Gastronomie, einen Feuerwehrturm mit Besuchertoilette und einen Imkerladen mit schickem Automaten. Hier kann man sich auch nach Ladenschluss verschiedenste Sorten Honig oder auch eine Tüte Honig-Doppelbärchen ziehen, die in ausgewogener Mischung fruchtig und nach Honig duften.

Aufstieg zum Kamm der Glauer Berge

Der Dorfladen ist legendär, das Café Fritz gehört dazu. Vorn an der Ladentür geht es zwischen spontanen Ruhephasen hoch her, Einheimische wechseln mit trödeligen Spaziergängern oder Radlern verschiedener Tempo-Klassen. Während auf den umgebenden Straßen die maierwachten Biker ihre Ringmuskulatur auf dem Tank ablegen und ihren urigen Gasthof im Walde ansteuern, haben hier weitaus ältere Radsport-Herren ihre drahtigen Gliedmaßen in synthetische Pellen verpackt, deren Farbkombinationen teils sehr laut fürs Auge sind. Unklar bleibt oftmals auch, was jetzt eingesetztes Polster ist und was nicht.

Kammpfad mit Flieder

Auf jeden Fall haben sich alle einen guten Appetit angeradelt und lassen den Füllstand der Theke rasch sinken – belegte Brötchen, Kuchenstücke und Schmalzstullen gehen gut weg. Manche Frohnatur spickt den Prozess mit einem originellen Spruch, den wohl jeder im Raum schon öfters gehört hat. Wem all das alles doch zu trubelig ist, der kann sich hinten in den Hof verkrümeln oder noch eine Pforte weiter in den idyllischen Wiesengarten, der saftig grün ist vom jüngsten Schauer.

Dünenrücken der Glauer Berge

Wir wollen nichts verpassen von dieser herrlichen Atmosphäre vor dem Laden und finden einen freien Tisch. Sitzen gut und plaudern, die Unterhaltung stimmt, und so verlängern wir um eine zweite Tasse. Vielleicht auch, weil der Aufstieg zum Bergkamm gleich bevorsteht. Holen noch ein Kuchenstück für die verdiente Rast am Gipfelkreuz, bevor endlich die Loslösung erfolgt, schweren Herzens. Und voller Neugier auf die ganzen kaum bekannten Stationen dieser Runde.

Am Anfang steht die Nieplitz, von deren Brücke sich eine pittoreske Vorschau auf den hochherrschaftlichen Abschluss der Runde ergibt – ein ansehnlicher weißer Parksteg, der sich mit noblem Spiegelbild über den Fluss krümmt. Im benachbarten Park steht ein Bauwerk von angenehmer Dekadenz, wohl nur dafür geschaffen, nach dem Erklimmen einer Stiege recht herrschaftlich von oben in den Park hinabschauen zu können.

Wiese auf den Glauer Bergen

Glauer Berge

Nach kurzem Verfransen in den bunten Nieplitzwiesen beginnt direkt an der Landstraße der Aufstieg, der nicht lange fackelt. Der Höhenrücken verleugnet nicht seine Dünenständigkeit, je weiter man an Höhe gewinnt, desto flächiger zeigt sich der Sandrücken. Immer schmaler wird der Weg, bis schließlich auf dem Kamm nur noch ein hinreißender Pfad übrig ist, der hakenschlagend und teils gitterhaft ausfransend seinen Weg nach Osten geht. Untypisch, erstaunlich und sehr passend für diese Woche im Jahr ist das reiche Vorkommen von Fliederbüschen hier auf der sandigen Höhe. Kleine gelbe Blütensterne kontrastieren schön dazu, dazwischen liegt der Weg.

Aussicht zum Blankensee

Der geht dann wieder in die Breite, in voller Sandigkeit und durchzogen von knorrigen Wurzelarmen, und streift eine größere Fläche offener Düne. Dahinter schwindet kurz die Klarheit, wo der Fontane-Weg nun geblieben ist, ungewollter bzw. verfrühter Höhenverlust droht. Doch bald ist die Markierung wieder da und ein späterer Zufallspfad erlaubt sogar eine sinnvolle Abkürzung, die einen in Kauf genommenen Höhenverlust vermeidet.

Aussichtsbank am Fuchsberg

Fuchsberg

So gelangen wir vorbei an markanten Geländescharten, die ähnlich prägnant ausfallen wie bachgeschaffene Nebentäler, fast direkt zum großen Wegweiser auf einer Trockenwiese, über der die Wolken mittlerweile sehr plastisch den blauen Himmel bevölkern. Gleich um die Ecke liegt nun ein herrlicher Aussichtspunkt, mit Rastraufe und Gipfelkreuz. Der Panoramablick reicht über den benachbarten Löwenberg, gut erkennbar am Aussichtsturm, über den glitzernden Blankensee bis weit ins Land und über die offenen und bewaldeten Weiten der Nuthe-Nieplitz-Niederung. Ganz im Westen ist bei guter Sicht eine ferne Höhe auszumachen.

Stüfchen unweit des großen Wegweiser, Glauer Berge

Friedensstadt Weißenberg

Der sanfte Abstieg verläuft über einen Wiesenweg, umrundet dann die Tier- und Pflanzenwarte und erreicht die Friedensstadt über eine abenteuerliche Treppe, die einst zum riesigen Terrassen-Café gehörte. Unten bei den Häusern herrscht buntes Treiben, aus einem Findlingsblock sprudelt Wasser, dicht drum herum hocken kommunikative Bänke. Über all dem steht am Giebel ein ausführliches Zitat von Herrn Weißenberg, dem visionären Initiator der Friedensstadt und Gründer der Johannischen Kirche, die sowohl hier als auch bei Blankensee eine Rolle spielt.

Tiergehege am Abstieg

Die Siedlung ist wie beschrieben eindrucksvoll uneinheitlich, hier und da sind noch gut die Grundstrukturen zu erkennen, insbesondere am angerähnlichen Lindenhof, der hier mit seinen Siedlungshäusern wie ein eigenes kleines Dorf wirkt. Viele bunt gemischte Kinder sind zu zweit oder in Trupps unterwegs beim Spielen und schlitternden Staubaufwirbeln, Wettrennen und Fangen oder beim gemeinsamen Bestimmen, wer das nächste Spiel bestimmt. Begegnen uns immer wieder, an den allen möglichen Ecken der vielfach verschränkten Siedlung, Wald, Wiese, Kieshaufen. Es ist hinreißend und echt, fast wie ein Bild aus der eigenen Kindheit, wo Strom keinerlei Rolle spielte oder man ihn allenfalls für die kleine Taschenlampe in der Hosentasche brauchte. Wo die Eltern derweil sind, klärt sich schon bald.

Vergehendes Terrassenlokal über der Friedensstadt Weißenberg

Der Staub wurde eben erwähnt, da ist es nicht weit zum Durst. Vorhin sahen wir einen schönen Pavillon mit Biergarten, die Läden hochgeklappt. Doch obwohl die Spülbecken gefüllt sind und die Gläser frisch tropfen, gibt es hier nichts für die Kehle, erst nächste Woche beginnt die Saison, für die gerade alles klargemacht wird. Doch wenigstens einen Hinweis, da lang, noch vorbei an der Ladenzeile, da is schon zu, und noch hinterm Café Tassé in der Markthalle, die is bis dreie offen, da könnse sich was rausholen. Markthalle, echt?

Giebelschrift am Frieda-Müller-Haus

Bunter Markt

Unterwegs treffen wir noch auf einen weiteren Trupp Kinder, die sich allesamt im ausladenden Unterrock einer riesigen Konifere ihre Höhle erfunden haben und einander Geflüstertes zuraunen. Hinter der nächsten Wiese steht schon die Markthalle, die wahrhaftig so heißt und noch weit mehr so ist, als wir uns hätten vorstellen können. Gut, dass der Kiosk noch nicht offen war, sonst wären wir hier womöglich vorbeigelaufen.

Siedlungshäuser am Lindenhof, Friedensstadt Weißenberg

Drinnen sind zich Stände aufgebaut, von Handwerk, Kunst und Handarbeit über Kitsch und Antikes bis zu schönstem Trödel, natürlich auch Verschiedenes zum Sattwerden und Durstlöschen. Die Atmosphäre ist herrlich, es ist gut gefüllt und Bunter Markt ist tatsächlich der passende Begriff. Beim Hinterausgang gibt es auch noch einen Grillstand und sogar kleine Livemusik. Einmal im Monat findet das hier statt, und wenn uns heute auch die Muße fehlt, ist einer der nächsten Termine gesetzt für den ausführlichen Besuch, der sicherlich mit zwei vollen Beuteln enden wird und die Sorge um herzige Weihnachtsgeschenke in Luft auflöst. Wer schon einmal den Weihnachtsmarkt der Johannischen Kirche in Blankensee besucht hat – so ähnlich kann man sich das vorstellen, nur eben ohne Schal und Handschuh.

Ladenzeile am Festplatz, Friedensstadt Weißenberg

Eine staubige Brache später folgt das nächste faszinierende Gebäude, weder Ruine noch verfallend, irgendwie zwischen allem. Vom etwas erhöhten Weg fällt der Blick hinab in die Niederung, wo eine kleine Tribüne über einen großen Sportplatz wacht. Es dürfte spannend sein, dieses Ort hin und wieder aufzusuchen und jeweils auf die Pirsch zu gehen nach Stellen, wo sich was verändert hat.

Parkweg zur Markthalle

Unterhalb des Hanges der Glauer Berge ist es vielleicht eine Viertelstunde bis zum Friedhof, der nicht nur seiner Fachwerk-Kapelle wegen eine besondere Wirkung ausstrahlt. Den Lehren der Johannischen Kirche folgend sieht hier jeder Grabstein aus wie der daneben, wie ein Ruhekissen in aufgeklopfter Echtgröße. Weiter hinten gibt es noch eine Wiese mit Holzkreuzen, unter denen vielleicht auch die polnischen Zwangsarbeiter ruhen, die hier in der NS-Zeit ihren Tod fanden. Auf dem Friedhof ist richtig Betrieb, überall wird gehackt und gefegt und gejätet, viele sitzen auch einfach gemeinsam auf dem Boden und erzählen miteinander.

Friedhof der Johanneschen Kirche bei Glau

Glau

Auf dem Weg nach Glau fallen die ersten Tropfen, das ist jetzt wohltuend und nimmt den Staub etwas aus der Luft. Rechts des Weges steht ein kleines Dreigestüf, um ohne Peinlichkeiten auf einen Pferderücken zu gelangen, links dahinter folgt ein winziger Friedhof mit ehrwürdigen Familiengräbern an der rechten Seite. Kurz darauf stehen wir vor der Dorfaue, die mit ihrem halben Rundling und den großen abgerundeten Toren daran erinnert, dass man im Fläming ist.

Dorfaue im Dorf Glau

Das Dorf liegt im Glauer Tal, aus dem es jetzt wieder einige Höhenmeter hinauf geht. Der Wald ist übervoll von Maigrün mit kleinen gelben Punkten links und rechts des Weges. Es duftet süß und aromatisch, auch wenn nirgendwo Waldmeister zu entdecken ist, dann noch lieblich, und bald zeigen sich kleine Felder blühender Maiglöckchen als Erklärung. Waldstücken wechseln mit Feldern und Wiesen, hier und dort liegen frischgefallene Pferdeäpfel, die hier unbedingt hingehören. Bald ist weiter vorn auch der passende Hintern zu sehen, bevor er im nächsten Wald verschwindet.

Glauer Tal am Ravensberg

Am Fuß des Ravensberges, dessen Gipfel wir umgangen haben, beginnt nun die flache Niederung des Glauer Tals, die sich entlang des Faulen Grabens bis nach Glau zieht. Eine andere Welt, mit weitem Blick zum betürmten Löwenberg und das Tal hinab in Richtung Blankensee. Entlang des Plattenweges gibt es einen Wassergraben, dahinter dichtes struppiges Buschgebäum, dessen Stämmchen dem Anschein nach alle im Wasser stehen.

Bald nach dem Einsetzen des nächsten Niesels verdichtet sich dieser zu einem richtigen Regen. Kiefern halten einiges ab, und so stellen wir uns ein Weilchen unter und holen die abhanden gekommene zweite Rast notdürftig im Stehen nach, während es draußen kühler wird und würzig duftet von überall her. Zwei Autos passieren derweil, ohne Staub aufzuwirbeln.

Birkenwald im Wildgehege

Wildgehege Glauer Tal

Hinter dem nächsten Wäldchen sind Kinderstimmen und zugehörige Familiengeräusche zu hören, kurz darauf sehen wir auch schon eine Rastraufe und den filigranen Zaun, der das große Wildgehege umgibt. Stattliche Hirsche in Rot und Dam soll es hier geben, auch Muffelwild, das ja durch die Schönower Heide als Großmeister im Verstecken bekannt ist. Damwild können wir später kurz sichten, darunter zwischen den Birkenstämmen auch eins in weiß, sodass bis zuletzt ein kleines Fragezeichen bleibt.

Nach dem ersten Zaunkontakt verfransen wir uns kurz, den alten Weg gibt es nicht mehr, doch wenn man vom Raufeblick einfach dem Zaun folgt, kommt man ohne ziepende Ästchen und eingezogenen Kopf auf einen der schönsten Pfade weit und breit. Die liegengebliebene Klappbrücke irgendeiner Armee reicht hier noch über ein austrocknendes Fließ, bevor dieses zauberhafte Stück Weges beginnt. Erst öffnet sich der Blick über eine saftige Wiese, die voll ist von pludrigen Butterblumen, dann geht es als Gasse durchs Buschwerk. Links begleitet den Weg eine lange Reihe von Bäumen.

Pfad zum Naturparkzentrum

Hinter dem feuchten Teil  der Wiese grasen Kühe auf viel Platz, weiter hinten stehen andere knöcheltief im Stroh oder haben ihren Kopf schon in eine Strohrolle hineingefuttert. Zwischen beiden Lagern rennt und karjohlt mit der Energie eines kleinen Kindes ein Kälbchen, im unregelmäßigen Hopserlauf und hochvergnügt. Ein Gleichaltriges versucht mitzuhalten und schafft es eine Weile, doch dreht irgendwann ab und holt sich etwas Kuhwärme von der Mutter.

Abendbrot unweit von Glau

Naturparkzentrum am Wildgehege Glauer Tal

Nach etwas Straße geht es am Parkplatz auf schönen Pfaden mit allerlei Stationen und Tafeln in ein verspieltes Gelände mit großen Wiesen, einem weiten Schafgatter sowie der schönsten Riesenspinne, die man je gesehen hat. Sie hockt über einem Netz zwischen den Hügeln der Spielplätze und sieht zwar eindrucksvoll, doch gar nicht angsteinflößend aus, sodass man ihr auch als Spinnenvermeider gern näherkommt.

Hinterm Schafgehege ist eine kleine Arena aus Strohrollen aufgebaut, in der man herrlich herumklettern, toben und springen kann, ohne dass sich irgendwer um irgendwas Sorgen machen muss. Das Stroh am Boden ist so dick, dass man weich einsinkt, doch nicht bis zum Boden kommt, ein herrliches Gefühl. Und damit verbunden die seltene Option, sich einfach mal an Ort und Stelle umplumpsen zu lassen.

Spielpark beim Naturparkzentrum Glauer Tal

Gerade noch freut sich ein Bengel über die Effekte selbst gepumpten Wassers in den Rinnen des Wasserspielplatzes und ruft seinen Kumpel zum Mitstaunen und schaumalwasichhierundso, da fängt es richtig an zu pladdern. Wir werfen noch einen kurzen Blick ins verglaste Naturparkzentrum, wo sich die Wärme des Tages gesammelt hat. Für den Nachmittagskaffee ist es leider zu spät. Auf frischem, hellen Holzmulch verlassen wir das Gelände durch wasserreichen, üppig grünen Wald.

Auf dem Weg zum Wildgehege haben sich Pfützen gebildet. Ein drittes Mal geht es über den Faulen Graben, bevor dann ein gemütlicher Alleeweg unterhalb des kaum wahrnehmbaren Mühlenberges auf Blankensee zuführt. Trotz des anhaltenden Regens ist dieser von der sinkenden Sonne warm durchleuchtet. Zu beiden Seiten steht das Korn schon fast kniehoch, das ging jetzt schnell. Vorhin gab es sogar schon den würzigen-kräuterigen Duft einer ersten Wiesenmahd.

Weg nach Blankensee

Blankensee

Einmal schräg über die Straße bietet sich überraschend ein kleiner Schleichweg an, der nun über Wiesen- und Waldpfade direkt zur Seepromenade verbindet. Rechts liegen unter schweren Wolken weite Wiesen, bis hin zum nächsten Schilfgürtel. Erwartungsgemäß wird es jetzt hier recht voll, denn selbst lauffaule Besucher von Blankensee werden den bekannten Holzsteg überm See aufsuchen, auch wenn der bald mal etwas Zuwendung bräuchte.

Blankensee mit Wetterwolken

Vorn auf der einzelstehenden Aussichtsbank am See haben sich zwei Mädels eingerichtet, genießen lose plaudernd das Schauspiel von ölig glitzerndem See unter dramatisch aufgebautem Wolkenhimmel, während unten Schwäne ihre aufwändigen Starts hinlegen, ganz oben die Kraniche mit der Thermik spielen und eine Ecke weiter scharenweise Gänse und Enten versuchen, die Sprachbarriere zu überwinden.

Auf dem Steg haben sich Vogelkieker versammelt, mit kleiner und größerer Optik. Die mit den ganz großen Rohren saßen heute zu Beginn des Tages beim Dorfladen am Nebentisch und plansimpelten über den Verlauf des Tages und die erhoffte Ausbeute, die sind hier schon längst durch und jetzt an irgendeinem wenig bekannten Platz mit vielen Vögeln und noch mehr Abendstimmung.

Uferweg an der Nieplitz zum Schlosspark

Dann gibt es noch die akademischen Betrachter mit hohen Brauen über beflissenen Augen, dabei den Kopf im selbstbestätigenden, weichen Nicken, natürlich auch die Heranwachsenden im schwierigen Alter, die mitmussten, auch wenn der Steg kein Welahn hat, und schließlich die geduldigen Genießer, die ein paar Minuten oder eine Viertelstunde auf ihre Bank gelauert haben und jetzt ihren verdienten Platz genießen. Die Stimmung ist friedlich, die Menschen nicht lauter als die Vögel auf dem See oder das Rauschen des Windes im griffnahen Schilf.

Brücklein im Schlosspark Blankensee

Noch vor der Brücke über die Nieplitz beginnt ein Uferpfad, der perfekt zur letzten Viertelstunde passt. Links eilt das gerade ein wenig hinabgestürzte Flüsschen vorbei, rechts liegen Teiche mit breiten Schilfgürteln, und über den Weg hängen wie gewachsene Vorhänge die Äste von Weiden. Wäre die Tageskraft nicht schon am Ende, würde man diesen Weg vermutlich noch ewig in die Länge ziehen. Links in den Wiesen sind große Teppiche schlohweißer Blümchen zu sehen.

Hinterm Bruch geht es nun links durch den Schlosspark, der klein, fein und verspielt ist. Auch wenn es vielleicht nur fünf Brücklein sind, scheinen bei jedem Blickschwenk immer neue hinzuzukommen. Ein herrschaftliches Portal entlässt aus dem Park. Direkt dahinter sollte man unbedingt ein paar Schritte nach links gehen, denn hier ist der erwähnte Bienenladen. Selbst wenn geschlossen ist – der Honig-Automat hat rund um die Uhr geöffnet, vermutlich sogar an jedem Tag des Dezembers.

Imkerladen mit Allzeit-Automat

Sollte man also wirklich einmal in eine Honig-Not geraten, ganz gleich ob un- oder verschuldet, und keinerlei Aufwand scheuen wollen, finden sich hier zu jeder Zeit Lösungen. Die Doppel-Bärchen übrigens, die man hier auch bekommt, sind immer Hand in Hand bzw. Tatz in Tatz und taugen damit gut als Botschafter des Friedens. Vielleicht sollte man sie einmal pauschal in alle Hauptstädte der Erde verschicken.












Anfahrt ÖPNV (von Berlin):
Regionalbahn von Berlin-Hbf. oder -Südkreuz nach Trebbin, dann Rufbus Kranich Express (ca. 0,75-1 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): B 101 über Berlin-Marienfelde und Trebbin (ca. 1-1,5 Std.)

Länge der Tour: ca. 17,5 km (Abkürzungen gut möglich)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Informationen zu Blankensee

Faltblatt Glauer Berge (PDF)

Friedensstadt Weißenberg

Glauer Tal – Wildgehege

Naturparkzentrum Glauer Tal

Einkehr: div. Möglichkeiten in Blankensee
div. (Imbiss-)Möglichkeiten in der Friedensstadt
Kleines Café im Naturparkzentrum

Berliner Spaziergang – Spandau: Stille Wasser, Dosenfisch de luxe und die gelochte Riesengurke

Nach einem komplett sonnigen April, der in diesem Jahr ohne hochsommerliche Schmelztemperaturen auskam, brachten die letzten Tage des Monats den erhofften Regen, der viele Gewächse einen ersten Durst stillen ließ, erdigen Duft aus dem Boden lockte und für eine selten gesehene Explosion des Blattgrüns in Stadt und Land sorgte.

Mit einem Mal gibt es unter jedem Baum den dichten Schatten, der vermutlich in Kürze gern in Anspruch genommen wird. Die Blütenpracht der zweiten Aprilhälfte hatten die teils dicken Regentropfen von den Zweigen gespült und am Boden zu lichten Teppichen verströmt, die in Weiß, Rosa oder fast schon Violett ganze Bürgersteigpassagen bekleideten.

In der Spandauer Altstadt

Knapp zwei Meter darüber ist mittlerweile der Anblick halbverdeckter Gesichter zur Normalität geworden, wobei die Vielfalt der Masken so breit gefächert ist, dass sie manch modischer Geist vielleicht aus individualistischen Gründen lieber anlegt, als er eigentlich zugeben möchte. Gleichzeitig dürfen nun auch ohne triftigen Grund Füße vor die Wohnungstür gesetzt werden, wenn sie weiterhin einen Ausfallschritt Abstand zu anderen Füßen halten. Endlich also geht es von triftig nun den ersten kleinen Schritt in Richtung Triff Dich. All das ergänzt sich recht gut und könnte den Weg dafür ebnen, dass Ausflüge ins Umland und auch innerhalb von Städten wieder ohne ausschweifende Logistik möglich sind.

Besonders verlockend sind in diesem Monat des Entstehens, Wachsens und Sprießens die Düfte der erwachten Natur, die täglich breiter werdende Farbpalette und auch die Ablösung und Ergänzung der frühblühenden Vögel durch die beredten Plaudereien der Schwalben oder den meist fernen Ton des Kuckucks, den selbst Leute erkennen, die möglichst nicht mit dem Erkennen von Vogelstimmen in Verbindung gebracht werden wollen. Dank der vielen Sonnenstunden des Aprils liegt über weiten Trockenwiesen auch schon der Klangteppich zahlloser Grillen, und dazwischen lässt sich mit etwas Glück eine genial getarnte Eidechse beim Sonnenbad erwischen.

Schattige Wege im Spekte-Grünzug

Nachdem in den letzten Monaten ein überschaubarer Radius nur selten verlassen werden konnte, steht nun im Monat der vielen gesetzlichen Feiertage der Sinn nach etwas Ausflugs-Erlebnis, nach dem Gefühl besonderer Tage. Oder einem dieser immer wieder überraschenden Stadtspaziergänge innerhalb der Berliner Stadtgrenzen, wo man eigentlich das Meiste schon zu kennen glaubt. Denkste.

Knorriger Steg über die Kuhlake

Allerhand angekündigter Regen und kühle Temperaturen dieser Tage sowie breite Wege helfen an vielen Stellen und Grünanlagen dabei, auch einen ganzen Draußentag lang durch dicht bewohnte Gegenden zu schlurfen und doch kaum dem Gegenverkehr ausweichen zu müssen, um den rechten Abstand zu gewährleisten. Bevorzugt empfehlen sich stadtrandnahe Lagen mit Großsiedlungen, wie sie zum Beispiel in Marzahn, Rudow oder auch Spandau zu finden sind. Da sich in Spandau auch noch ein breites Flussgeschehen und das betuliche Bild einer westdeutschen Kleinstadt hinzugesellen, führt der Weg heute ans jenseitige Ufer der Havel, hin zu alten Gemäuern, einer Wasserstadt und einem imposanten Kletterfelsen. Und natürlich absolut vielfältiger Natur.

Stolzer Herr im Wildgehege

Spandau

Spandau trägt das komfortable Merkmal, sowohl ober- als auch unterirdisch erreichbar zu sein. Der endlose S- und Fernbahnhof ist ohne Zweifel eindrucksvoll, zudem Sekunden vorher die breite Havel überquert wird. Doch es gibt nur einen Ausgang, der mit etwas Pech am anderen Ende des genutzten Zuges liegt, und der Vorplatz ist laut und quirlig. Die nahe Spandauer Altstadt liegt im Kontrast dazu gemütlich auf einer Insel, in deren Norden die große Kirche und der älteste Teil der Stadt mit einem Rest der Mauer stehen. Genau dazwischen liegt der Ausgang des U-Bahnhofs, nach dessen Verlassen man sofort eine Altstadtgasse unter den Sohlen hat und schon bald den Kirchturm sieht, der schon im ausgehenden Mittelalter über dem Markt wachte.

Doch nicht nur diese Lage bietet einen guten Grund, Spandau in gelben Zügen zu erreichen. Allein die Fahrt auf der U-Bahn-Linie 7 ist durch ihre bunten und verspielten, phantasievollen und teils prächtigen Bahnhöfe ein Ausflugsgrund sowie eine gute Option zum Beispiel für einen drückend heißen Sommertag im kühlen Untergrund – Tageskarte kaufen, dann einmal bis Endstation, dann bis zur nächsten Endstation und wieder zurück nach dort, woher man kam. Unterwegs lässt sich beliebig oft aussteigen, einen Bahnhof komplett und im Detail beschauen oder in der Oberwelt kurz was Kaltes zischen und dann wieder abtauchen. Nach dem beliebig verlängerbaren Reise-Erlebnis der Sonderklasse ist es dann auch schön, das Kunstlicht des urbanen Orkus gegen das des heißen, hellen Sommers einzutauschen.

An der Nikolai-Kirche, Spandau

Altstadt Spandau

So gesehen ist also die Anreise eine leichte Entscheidung. Der U-Bahnhof Altstadt Spandau liegt tiefer als andere, da die Bahn kurz zuvor die Havel unterqueren muss. Es sind also ein paar Stufen mehr, die vom schön illuminierten Bahnsteig mit seinen wuchtigen und zugleich fein gezeichneten Säulen nach oben führen. Verlässt man den Bahnhof in Fahrtrichtung, fällt der erste Blick unter freiem Himmel direkt auf den Turm der Nikolaikirche, die mit ihren gut 600 Jahren nur gut 100 Jahre jünger ist als die älteste Kirche Berlins – die übrigens denselben Namen trägt.

Die Spandauer, das wurde an anderer Stelle schon erwähnt, legen einigen Wert darauf, nicht als Stadtteilberliner gesehen zu werden, sondern eben als Spandauer. Und in der Tat gibt es keinen vergleichbaren Kiez in der weitläufigen Stadt, der so am Rand liegt und zugleich so ein eigenständiges Stadtbild zeigt, wie es vergleichbar eher mit schönen Vororten wie Strausberg oder Bernau ist. Auch die Lage jenseits der Havel trägt noch dazu bei, und natürlich auch die ovale Form samt der Insellage zwischen breitem Fluss und dem Stadtgraben, über dem auch die erwähnten Überreste der Stadtmauer stehen.

Stadtgraben um die Spandauer Altstadt

Von der Kirche zum Markt sind es nur ein paar Schritte. Ein Großteil der Geschäfte hat nur halb oder gar nicht geöffnet, alle anderen können unter Einhaltung der Hygiene-Regeln betreten werden. Das ist erst seit wenigen Tagen möglich und wird dementsprechend gern angenommen. Auf dem gemütlichen Marktplatz sind die kleinen Bäume schon dicht belaubt, alle Sitzgelegenheiten werden benutzt und Pappbecher erleben eine Zeit, in der sie nochmal richtig sinnvoll sein dürfen. In der Fußgängerzone reichen Ansteh-Schlangen von vier Leuten bis weit auf die Zonenmitte, sodass auch hier ein wenig Slalom angesagt ist, damit sich niemand zu nahe kommt. Doch es funktioniert gut, viele Lächeln wechseln ihre Besitzer und selbst beim belebten Markttreiben vor dem riesigen Rathaus ordnet es sich ganz passabel.

Von hier führt eine kuriose Unterführung auf die andere Seite des breiten und stark befahrenen Altstadt-Rings, der irgendwie auch gut zum Bild der westdeutschen Kleinstadt passt. Hier gab es wohl einmal Laufbänder hinab zum U-Bahn-Eingang, von denen noch die Gummi-Handläufe zeugen. Der Untergrund ist mittlerweile asphaltiert und man bewegt sich mit eigener Kraft. Auf der anderen Seite, im linken Augenwinkel nimmt man gerade so den langen Fernbahnhof wahr, landet man sofort in einem lichten Park mit alten, großkronigen Bäumen, der den Beginn eines vielfältigen Grüngürtel bildet, direkt hier am lauten Bahnhofseck.

Grünzug mit Aussichtsberg in Spandau

Bis zur Stadtgrenze lässt sich nun weitgehend unberührt vom Verkehr spazieren, vorbei an Wiesen und Senken, Seen und Laken und so manchem herrlichen Spielplatz. Nördlich des länglichen Wegesystems erheben sich Hochhäuser, links halten Einfamilienhäuser und Kleingärten die Giebelhöhe eher flach. Besonders schön für diese Zeit jetzt ist, dass meistenteils Wege für Leute mit Rad oder Fuß parallel laufen, weit seltener ausgewichen werden muss.

Plankenweg vor der Zeppelinstraße

Hinter einem halbrunden Areal mit bunt bepflanzten Nutzgärten öffnet sich ein weiter Wiesenpark, über den ein kleiner Hügel wacht. Der ist immerhin so hoch, dass der Hauptaufstieg über eine Treppe in acht Schwüngen zum Gipfelplateau führt, auf dem sich ein Rund von großzügigen Bänken für Blicke in alle sechs Himmelrichtungen anbietet. Die Sicht ist weit, in Richtung der erwähnten Nikolai-Kirchen bzw. des Funk- oder Fernsehturms jedoch durch dichtes Wipfellaub maskiert. Auch im Norden zwischen den Hochhäusern ist alles grün und zu Füßen des Hügels viel Platz für alle möglichen Freizeitsachen.

Auf einer der Bänke sitzt eine Frau, die sofort aufspringt, als Sie uns sieht, und zu erzählen anfängt. „Ah, dit sehick glei – ihr seid Geokescher, haaick sofort jesehen, ditt kennick schon, haaick erkannt wejen den Jerät da, Ihr macht Geokesching, haaick glei jeseen.“ Sie geht dabei langsam auf uns zu, und obwohl Sie einen Mundschutz trägt, weichen wir zurück, so höflich wie eben möglich, wegen einsfuffzich. „Wusstich sofort!“ Es ist eben schon ins Blut übergegangen, und das ist zwar auf den ersten Blick erschreckend, doch beim zweiten Hindenken eigentlich eine gute Sache, dass es quasi automatisch läuft, zur Gewohnheit gewachsen ist. Da es ja nun noch eine Weile gebraucht werden wird, als eins von drei Basis-Werkzeugen.

Spekte-Grünzug, Spandau

Auch wenn wir längeren Wortwechsel vermeiden wollen, lassen wir die Dame nicht gänzlich im Unklaren und erzählen, dass es so ähnlich ist, doch wir eher allgemein schöne Orte suchen und nicht kleine Schatzdöslein mit Zetteln. Sie ist’s zufrieden und wollte ohnehin gerade gehen – und ist auch schon auf dem Weg nach unten. So allein auf dem Gipfel sehen wir jetzt, dass es neben dem gediegenen Stufenaufstieg auch noch einen buschumsäumten Downhill-Sandweg sowie einen breiten Rodelhang für weiße Tage gibt.

Spekte-Grünzug mit dem Kletterfelsen

Unten ist kurz eine Verneigung vor dem Buschwerk angesagt, dann stehen wir wieder auf den Angeboten des Wegesystems. Ein kleiner Waldstreifen, in dessen Bäumen es nur so summt von Bienen und Vergleichbaren, geht über in einen einstigen Feuchtwald, der jetzt trocken liegt und dessen frisch begrünte junge Weiden eine Optik von Bambuswald erzeugen. Mittenhindurch führt ein breiter Bohlensteg, hinter dem die etwas breitere Zeppelinstraße quert. Die ist jetzt bis Falkensee bzw. für die nächste Stunde der letzte direkte Kontakt mit dem Verkehrsgeschehen.

Der Kletterfelsen über dem Spektesee

Spekte-Grünzug

Dahinter beginnt nun der sogenannte Spekte-Grünzug, der etwas südlicher mit dem Bullengraben noch ein Geschwisterchen in unmittelbarer Nähe hat. Ab hier ist die kleine Senke wahrzunehmen, die zwischen dem asphaltierten Radweg auf der einen und dem gepflasterten Fußweg hier liegt. Hinter einem kleinen Teich und der benachbarten üppigen Wiese mit groß angelegten Biotop-Hecken tritt voraus eine charakteristische Gestalt ins Bild. Deren Proportionen entsprechen nicht unbedingt gängigen Schönheitsmaßen, ziehen einen jedoch sofort in ihren Bann. Erst muss noch die Trasse einer alten Kleinbahnlinie überquert werden, die als Bötzowbahn bekannt war und Spandau mit dem havelländischen Umland verband.

Wer den Wuhletalwächter unweit des Ahrensfelder Berges kennt, hat sicherlich auch schon von diesem sandsteinhaften Gebilde gehört oder sogar obendrauf gestanden. Das westliche Pendant des Kletterfelsens steht zwar nicht ganz so spektakulär in der weiten Landschaft, ist dafür aber noch ein paar Köpfe größe und bietet ebenfalls Routen verschiedener Schwierigkeitsgrade sowie unten einen Boulder-Bereich.

Dunkle Wolken über der Spekte-Lake

Die skulpturhafte Gestalt mit ihrem durchsteigbaren Lichtauge, in die sich bereitwillig verschiedenste Motive interpretieren lassen, bietet soghafte Fotomotive vom Spekte-Grünzug aus, auch vom benachbarten Hügel oder vom Seestrand. Der Auslöser kommt nicht zur Ruhe, Begleiter müssen geduldig sein. Aus direkter Nähe weicht jedoch der Charme, da der Felsen des Deutschen Alpenvereins vorsorglich mit einem sachlichen Zaun umgeben wurde. Einen eigenen kleinen Ausflug wert ist der Anblick dieses Kletterfelsens definitiv, zumal direkte nebenan ein Badesee mit einem Kiosk lockt, der irgendwann wieder öffnen wird.

Der Große Spektesee, in dessen Schilfgürtel sich die Wasservögel wohl fühlen, lässt sich in einer knappen halben Stunde komplett umrunden. Am Westrand des Sees beginnt ein Graben, der aktuell trocken liegt und von einem schönen Brücklein überspannt wird. Dahinter setzt sich das bewährte Zwei-Wege-System fort, teils schnurgerade wie ein münsterländischer Bahntrassen-Radweg, dann wieder kurvig. Ein weiterer Weg  begleitet gegenüber das Ufer. Üppig grün sind all diese Wege, links und rechts die Bäume und unten die Wiese, und das wahrscheinlich erst seit ein paar Tagen.

Gemütliche Brücke über die Spekte-Lake

Als wirksamer Farbkontrast türmt sich voraus ein blauschwarzer Himmel auf und kündigt nun konkret an, was als Prognose verheißen war. Manchmal weiß man, dass nicht bald zu handeln ist, sondern jetzt, also zücken und entsichern wir schon mal die Schirme. Auf der breiten Holzbrücke über die Taille der Spekte-Lake kommt dann die nasse Wand angerauscht und wir spannen auf und sehen zu, dass wir ans andere Ufer kommen. Dabei bietet sich die Brücke so schön als Ort zum Verweilen an, mit kleinen Stränden, schönen Ausblicken und Geländern, breit wie Rastbänke. Heute jedoch nicht.

Staaken

Drüben liegt ein aufgeräumtes Wohngebiet im Norden von Staaken, einem dieser Berliner Ortsteile, die ich irgendwie niemals werde zuordnen können und wahrscheinlich bereits morgen wieder vergessen habe. Auf dem Finkenkruger Weg treffen wir auf erste Erinnerungen an die Mauer, kurz darauf auf den Berliner Mauer-Radweg, dessen Schöpfer Michael Cramer in diesem Jahr erstmals nicht seine beliebten und unterhaltsamen Mauer-Streifzüge anbieten kann – nach zwanzig Jahren Tradition. Am Ende des Weges ist die Grenze zu Brandenburg erreicht, das jetzt für ein knappes Stündchen unter die Sohlen genommen wird. Apropos Mauer-Radweg – auch die Zwanzig Grünen Hauptwege von Berlin spielen heute wieder eine große Rolle, drei von ihnen begleiten mit verspielten Zahlen diesen Tag.

Baracken-Fundamente und Mahnmal des KZ-Außenlagers

Hinter der Landesgrenze geht es am Ende einer Birkenreihe mit Seeblick noch einen Schritt weiter zurück in der Geschichte – hier befand sich in der NS-Zeit ein Außenlager des bei Oranienburg gelegenen KZ Sachsenhausen. Auch wenn die Vorstellungskraft an ihre Grenzen gerät, selbst wenn man die lose verstreuten Tafeln aufmerksam liest – die freigelegten Fundamente, über die ganz langsam das Moos wächst, auch die sichtbaren Baracken jagen eine Reihe von Schauern über den Rücken und durchs Mark, und der stürzende Regen hat das Licht des Tages dazu etwas runtergedreht. Ein schlichtes Mahnmal erinnert an die Opfer.

Falkensee

Mit dem Verlassen des Geländes reißt der Himmel auf, letzte dicke Tropfen fallen noch triumphierend in den freigelegten Nacken, und erleichert findet man sich nach wenigen Schritten in der friedlichen Welt von Fußgängerampeln, Kaufhallenschlangen und Jugendlichen, die den Lenker ihres Fahrrades hochreißen, so wie man das selbst als Bengel getan hat. Was auch immer der Grund oder die Zielstellung war, sicherlich dieselbe damals wie heute.

Weg von Falkensee nach Falkenhöhe

Die Wohnsiedlung um die Berliner Straße ist ganz gelungen. Ein Grünstreifen führt vom großen Rundhaus mitten hindurch, und jeder hat zumindest ein bisschen Gartenfläche. Direkt hinter den letzten Häusern beginnt die Natur mit wilden Wiesen und Wald, durch den man nach Falkenhöh gelangt. Aus dem Wald duftet es sagenhaft und würzig nach dem kräftigen Regen, und jeder Atemzug animiert zum besonderen Genießen.

Waldweg bei Falkenhöh

Falkenhöh

Auch in Falkenhöh wird gediegen gewohnt, jedoch mit großen Gärten und vielen schönen Häusern. Martin Luther drängelt sich per Straßenname kurz ins Bild und wird dabei umgeben von einigen seiner Tisch- und Zeitgenossen. Nach dem Eintauchen in den Wald lädt jenseits des schattigen Mauer-Radweges der Nadelboden eines Waldweges ein, der bald von einem Stacheldrahtzaun begleitet wird und dennoch gemütlich wirkt. Noch schöner wird es natürlich, als er den Zaun verlässt und seine Spur weiter durch den Mischwald zieht.

Versteckte Zärtlichkeiten in der Kantine

Kurz ist rechts das Krankenhausgelände zu sehen. In entgegengesetzter Richtung stehen gegenüber des Waldrandes Pferde und später auch übergroße Rindviecher, die zu später Mittagsstunde gerade in einen großen Haufen Heu vertieft sind und es trotz regen Futterns und Wiederkäuens schaffen, mit dem Nachbarkopf in Hautkontakt zu bleiben, Schnauze an Wange oder Stirn an Ohr. Der Vorgang sieht ungemein weich aus, obwohl vier massive Hörner beteiligt sind.

Lichtung im Wald mit jungen Kastanien

Dahinter winden sich Pfade durch den Forst, in dem unvermittelt der Spiegel eines umzäunter Seerosen-Weihers mit kleinen Inseln und rechteckigem Grundriss aufleuchtet. Falls ein Weiher einen Grundriss haben kann. Hinter dem nächsten großen Weg erstreckt sich eine große Trockenrasen-Lichtung, in der es bereits jetzt tüchtig, schillernd und farbenprächtig summt, obwohl bislang kaum etwas blüht – das ist dann eher Sache des Sommers. Am Nordrand der Lichtung wächst eine blutjunge Kastanienallee heran, die man spätestens in zehn Jahren mal wieder besuchen sollte.

Im Spandauer Forst

Gegen schön gerade Wege mit angenehmer Breite weiß sich aller Planung trotzend ein Waldweg durchzusetzen, der diagonal mitten hindurch läuft, von besonders zartem Grün umhüllt ist und stets aufs Neue von sich überzeugt. An der nächsten größenen Kreuzung bietet sich dann eine Sitzgelegenheit zur Pause an, und während wir hier sitzen, passieren mit Hund, Rad oder nur sich selbst mehr Leute, als wir in den letzten drei Stunden getroffen haben –tief im Wald, hier in der Großstadt. Ist wohl der Direktzubringer vom Spandauer Siedlungsrand zum sagenumwobenen Eiskeller.

Siesta in Wildgehege Zwo, Sektion Muffelwild

Wasserzug Kreuzgraben/Kuhlake

Danach bringt uns der Diagonalweg umgehend wieder in die Einsamkeit, wird bald von einem kleinen Pfad abgelöst, der das noch zu verfeinern weiß. Umso mehr staunen wir, als am nächsten großen Weg auf einmal vergleichsweise viele Menschen unterwegs sind und aufs Neue ein Zaun mitten im Wald steht – hunderte Meter lang. Sieht aus wie ein Wildgehege, und ist in der Tat eins, in dem sich jedoch nicht eine einzige Schnauze oder ein behuftes Bein entdecken lässt, auch kein Geweih oder Gehörne.

Wildgehege No. 1, Abteilung Rehwild

Noch im Suchen führen die Schritte über einen idyllischen Wasserzug, auf dem sich verschiedenste Enten tummeln und der schwer danach aussieht, als müssten sich hier auch Schildkröten wohlfühlen. Der Blick auf die Karte eröffnet, dass sich ausgedehnt ein regelrechtes Wassersystem durch den Wald zieht, das unter anderem mit der Kuhlake und dem Kreuzgraben zu tun hat. Verschiedene Seen haben eigene Namen, andere nicht, und Inselchen gibt es auch so einige, was allen beteiligten Kleintieren und Vögeln bestens gefällt.

Kuhlake zwischen den Wildgehegen

Die folgenden paar Hundert Meter sind so zauberhaft, dass sich die große Zahl der Menschen und Familien klar nachvollziehen lässt. Natürlich belassene, weit ausholende Uferkanten, kleine knorrige Stege übers Wasser, zudem ein mehr als zwei Meter hoher Aussichtsturm, von dem sich nun auch die ersten Tiere entdecken lassen. Insgesamt gibt es drei Wildtiergehege, die jeweils ziemlich sortenrein Rehtieren, Muffeltieren und Schwarzkitteltieren vorbehalten sind.

Wildgehege Spandauer Forst

Kein Nerv für Zaungäste in Wildgehege No. 3, Abteilung Kittelwild

Die Fraktion der Rehe hat am meisten Platz, kann sich daher auch am besten verstecken und war aus diesem Grund beim ersten Versuch nicht zu finden. Die mit den Krummhörnern am Schädel haben sogar alpin anmutende Klettergipfel aus aufgetürmten Findlingen, wo sie überzeugend den Steinbock mimen könnten. Die meisten ziehen es zur Stunde allerdings vor, ein breit ausgelatschtes Buffet von feinstem goldenem Stroh als Ruhelager zum Dösen zu nutzen und nur ab und zu ein halbes Maul voll vom Polstermaterial zu verschmausen. Der einzige aktive Hornbock mimt dafür den Poser und stelzt mit gereckter Brust und hinten vorne als höher durch das lichte Unterholz, um zu zeigen, wie das eigentlich aussehen sollte.

Schöne Anlage des Johannesstifts

Auch bei den Rehen ist eher Mittagsruhe angesagt, man steht so bei den Hütten und plaudert im Stillen. Doch auch hier gibt es den einen, weder jugendlich noch Senior, der aufrecht zwischen diversen Hindernissen hindurchstolziert und dabei den charakteristischen Gang eines Elches zitiert. Allein bei den Wildschweinen schert es keinen der Bewohner, wer da gerade guckt und was er wohl denken könnte, denn hier gibt es wirklich Wichtigeres. Der Blick mit gespitztem Auge lässt gut getarnt im Stroh am Stall drei Frischlinge erkennen, welche die ganze Aufmerksamkeit der Alten fordern und dem Anschein nach pausenlos gestreiften Unfug ersinnen. Die Alten sind enorm gut gebaut und der Zaun kurz vor der Nase sehr beruhigend.

Evangelisches Johannesstift

Südliche Kuhlake im frischen Mai-Schatten

Vorn die Straße nach Schönwalde ist kaum befahren, ein kleiner Weg führt nebenher. Vor dem Bahnübergang ist links ein Gebäude-Ensemble mit breiter Mittelallee zu sehen, das einen näheren Blick wert ist. Die Anlage des Evangelischen Johannesstifts rund um die Stiftskirche erinnert ein bisschen an das ehemalige Wihelm-Griesinger-Krankenhaus in Berlin-Biesdorf, unweit des Bahnhofs Wuhletal, auf dem S- und U-Bahn sich die Bahnsteige teilen. Auch dort gibt es gewisse Symmetrien, eine Kirche sowie reichlich schöne Umgebung. Hier die Kuhlake, dort die Wuhle – und damit schon ein zweiter Bezug zum Wuhletal.

Vom Radweg rechts der Schönwalder Allee locken verschiedene Wege und Pfade wieder in den Wald. Das wird mit der Fortsetzung der Kuhlake belohnt, die hier nicht minder idyllisch im Laubwald ruht.

Die breite Havel an der Havelschanze

Hakenfelde

Nach etwas Straßen-Zick-Zack gibt es dann hinter einer markanten Siedlungs-Anlage mit schnieken Wappen recht unvermittelt großes Verkehrsgeschehen und direkt danach den ersten Kontakt zur Havel. Das Becken des Nordhafens reicht fast einen halben Kilometer hinein bis zur Straße, die Spandau und Hennigsdorf verbindet. Der Straßenname Havelschanze kündigt schon den großen Ausblick an, der ganz an ihrem Ende wartet. Breit ist der Fluss hier, und der Blick fällt hinterm Sportboothafen auf die relativ neue Wasserstadt in Halbinsellage, doch auch auf die echte Insel Eiswerder, die durch drei elegante Bögen in Stahlfachwerk mit dem Spandauer Festland verbunden ist.

Uferweg Richtung Altstadt Spandau

Eine alte Kastanie mit kugelrunder Krone hält ihre Arme bis fast zu den Balkonen der ersten Häuserreihe, dahinter wird der Blick freigegeben auf einen breiten Uferweg. Links liegen urige Hausboote, deren Aufbauten vermutlich nur mit Hammer, Nagel und Zunge im Mundwinkel errichtet wurden, rechts wächst gerade der Gegenentwurf in die Höhe – alte Industriegebäude mit Wasserblick, die aufgehübscht und höchstbietend veräußert werden. Hinten auf dem bewegten Wasser streben zwei Wildgänse gen Flussmitte, zwischen sich vier extrasüße Küken, die kaum über die Wellen des windigen Tages schauen können.

Stahlfachwerkbögen zum Eiswerder

Hinter der Brücke über den Eiswerder lässt sich mit etwas Wohlwollen eine Kopenhagener Impression empfinden, zumal gegenüber die Zitadelle einen ihrer vier Festungszacken weit in die Havel hält. An der nächsten Ecke lockt dann ein Mittagsangebot, dem wir nicht widerstehen können. Obwohl anhand äußerer Faktoren nicht abschätzbar ist, was einen letztlich erwartet. Ein Fisch-Restaurant bietet Fischtüten in drei Ausfertigungen an – die höchste Ausstattung bietet Fisch&Chips und klingt irgendwie verdammt gut. Nehmen wir, bereuen es nicht und bestellen gleich noch eine Portion nach.

Havelschleuse Spandau

Dargereicht wird die spätestens nach acht Hapsen fingerfettige Tüte mit frischem paniertem Fisch und kaum verbesserbaren Pommes frittes in einer ausgedienten Konservendose. Das hält die Tüte in Form, die Finger fettfrei und verleiht obendrein dem Ganzen ein bodenständiges, ansprechendes Design. Passend dazu klagen die Möven über der Uferkante, ergänzend faucht von der Havel ein frischer Seewind hinüber, und so ist die längst fällige Energiezufuhr in Großformat schon wenige Minuten nach dem Weitergehen konkret als willkommene Wärme nutzbar. An einem Tag, der so wechselhaft ist wie eine ganze Aprilwoche.

Uferpark nördlich der Altstadt Spandau

Bad Spandau a. d. Havel

Ein kleiner Weg schwenkt links zurück zum Ufer, dessen Grünstreifen sich hier wie ein Kurpark präsentiert – mit Pergolen, Symmetrien und Wasserbecken, ausgeformten Senken samt wohlplatzierten Findlingen und einladenden Bänken. Bad Spandau an der Havel – klingt gar nicht mal verkehrt. Berühmt für seine Bullenkur, die angewandte Spektegrafie und nicht zuletzt die Eiswerder Massagen.

Verbliebene Stadtmauer von Spandau

Hinter einem passend mondänen Tor auf Höhe der Brauerei bietet sich nun, wieder einmal unerwartet, ein Bildausschnitt dar, der mit den Elementen Historische Stadtmauer, Wassergraben und Kirchturmspitze das Gefühl nahelegt, wirklich ganz woanders zu sein, nicht kurz vor dem nächsten U-Bahnhof mit Direktverbindung nach Berlin-Mitte. Da die Anreise nicht weit war und die Einkehr im kalten Havelwind kurz ausfiel, ist der Tag noch jung – nichts weist darauf hin, dass man jetzt die Beine mal stillhalten sollte, kein tiefer Sonnenstand, keine Abendamsel und keine Leute, die entspannt im Biergarten sitzen.

Schwanennest am Fuß der Stadtmauer

Doch unterhalb der Stadtmauer liegt im Schilfgürtel schwer ein Schwanennest, in dem sich der Brüter vom Dienst in sich selbst zurückgezogen hat, den roten Schnabel im barocken Weiß vergraben. Das schließlich gibt den fehlenden Impuls und umgehend schwere Beine und müde Augen. Die Bahnhöfe der U 7 müssen auf der Rückfahrt wohl ohne unsere Aufmerksamkeit auskommen.












Anfahrt ÖPNV (von Berlin): von Berlin-Alexanderplatz mit U-, S- oder Regionalbahn (0,5-0,75 Std)

Anfahrt Pkw (von Berlin): div. Möglichkeiten (ca. 0,5-1 Std.)

Länge der Tour: 18,5 km (beliebig abkürzbar, auch per ÖPNV)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Informationen zum Spekte-Grünzug

Altstadt Spandau

Kletterturm Spandau

Geschichtspark Falkensee

Wildgehege an der Kuhlake

Evangelisches Johannesstift

Mauerstreifzüge mit Michael Cramer (für 2020 abgesagt)

Einkehr: div. Möglichkeiten am Weg oder unweit davon

Mellensee: Leise Gleise, Rotortore und das entrückte Wipfelgold

Ein grundehrlicher November hat seinen Dienst angetreten, unaufgeregt ungemütlich mit fast täglichem Niederschlag und erstem Potential für morgendliche Handschuhe. In diese Tage mit beschlagenen Brillengläsern und gezückten Schirmen werden immer mal wieder ein paar knallige Sonnenstunden eingestreut, die selbst hartgesottenen Trübwetterliebhabern kurz das Herze höher schlagen lassen, ob sie wollen oder nicht.

Draisinenbahnhof Saalow-Mellensee

Die Vogelwelt ist sich noch nicht ganz einig, ob sie den handfest dargebotenen Spätherbst wirklich ernst nehmen soll, und so halten sich die Krächzenden in ihren dunklen Kutten noch zurück, während weitaus kleinere Kaliber behende durch die Wipfel huschen und dort zum Teil aufgebrachte Zwitscher-Diskurse vom Zaune brechen. Auch bei den Zugvögeln herrscht noch Unentschlossenheit, so dass sich eher von Hin und Her als einer Richtung sprechen lässt.

Auf dem Gipfelplateau des Saalower Höllenberges

Während die Mittelgebirgsregionen weiter südlich ihre bunteste Zeit schon vor Wochen hinter sich gelassen haben, geben hier und jetzt im Brandenburgischen vor allem die Birken und Ahorne kleine Spektakel zum Besten, die insbesondere an trübgrauen Tagen ein Licht in die Wälder bringen, wie es das nur im November geben kann.

Eine drängende Sehnsucht nach dem Nottekanal will schon seit Längerem bedient werden, denn neben allen anderen Jahreszeiten passt dieser doch besonders gut zum bunten Herbst. Dazwischen drängelt sich ein abgelegter Gedanke aus dem Hinterkopf, verursacht im Sommer vom geschätzten Berliner Wanderschuh, ließ den Finger auf der Karte immer mehr nach Westen rutschen – und den Nottekanal weiterhin auf dem Zettel. Während das Kartenbild nicht viel mehr als eine solide und menschenleere Runde ohne viel Aufregung verhieß, zeigte sich vor Ort ein stattliches Netz von schönen Wanderwegen, mit vielen Pfadpassagen und fast durchgängig trittsympathischen Böden.

Saalower Mühlenweg am Rand von Saalow

Mellensee

Der Nottekanal beruht auf dem Bett des Flüsschens Notte und wurde schon vor langer Zeit zur Schiffbarkeit ausgebaut. Über den Mellensee, die Notte und die Dahme war so schon früh ein reger Güterverkehr mit kleinen Kähnen Richtung Norden möglich. Anzutreffen ist der zumeist verträumte Kanal unter anderem in Königs Wusterhausen, Mittenwalde oder Zossen. Wie viele Kanäle im Berliner Umland trug er zum Wachstum der Hauptstadt bei, ermöglichte den effizienten Transport von Baustoffen, vor allem von den Sperenberger Gipsbrüchen, die ja thematisch bis nach Klausdorf im Süden des Mellensees reichen. Und wie viele Kanäle erlitt auch er das Schicksal, von der Bahn in Sachen Effizienz überholt zu werden. Doch das Schicksal liebt die Ironie, und so ging es der Bahnstrecke knapp hundert Jahre später nicht viel anders.

Bahnhof Saalow-Mellensee

Wer dem Kanal also in Richtung Süden folgt, was zu großen und reizvollen Teilen auch auf dem Landweg möglich ist, steht ein paar Minuten nach der letzten Schleuse vor dem weiten Mellensee, dessen südliches Ufer immerhin drei Kilometer entfernt ist. Den exklusivsten Blick auf diese Seelänge genießt wohl eine gepflegte Fachwerk-Villa, die unweit des alten Bahnhofs ein offenes Wassergrundstück ergänzt.

Paltrock-Windmühle im Novemberdunst

Der backsteinrote Bahnhof am Mellensee scheint zu schlafen. Zum festen Inventar gehört ein dauerhaft vertäuter S-Bahn-Doppelwagen, dessen Bauform vielen noch vertraut sein dürfte. In der Tat fahren seit mehr als zwanzig Jahren keine Züge mehr zwischen Zossen und Jüterbog, S-Bahnen schon gar nicht, obwohl der Gedanke fast schon wieder visionär erscheint. Von stumpfem Rost überzogen sind die Scheitel der Gleise dennoch nicht, denn regelmäßig rumpeln hier weitgehend zeozweineutral betriebene Ultrakurzzüge entlang, zumindest zwischen Zossen und Jänickendorf, das auf halbem Weg nach Jüterbog liegt, nicht weit von Luckenwalde.

Vor den Teichen

Der Bahnhof allein taugt schon als Ausflugsziel, denn neben der Draisinen-Option gibt es noch eine Minigolf-Anlage, eine farbenfrohe nostalgische Erfrischungshalle mit Biergarten sowie schöne alte Bahnhofsgebäude zum Bestaunen, davor noch drei wirklich edle Stellen für ausgewachsene Lagerfeuer. Fürs Minigolf-Spiel stehen übrigens Kinderschläger und Erwachsenenschläger zur Auswahl. Davon abgesehen lässt sich in wenigen Minuten entlang des Sees ein breit aufgestellter Fischimbiss erreichen, gleich hinter der Brücke über den Nottekanal. Nicht viel weiter gibt es dann noch ein Eiscafé.

Teiche am Schneidegraben

Der Bahnhof also liegt im Winterschlaf, und so folgen wir dem Drang der Wälder und versuchen gut eingepackt mit dem trüben Dunst zu verschmelzen, der die stille Landschaft überlagert. Schon nach wenigen Schritten gesellt sich der Saalower Mühlenweg hinzu und winkt gleich darauf von rechts mit einem schemenhaften Zaunpfahl – in Richtung Saalow schwebt, an der Grenze der Erkennbarkeit, eine Bockwindmühle 2.0 über dem Acker, eine sogenannte Paltrock-Windmühle. Die wird in der nächsten Stunde immer wieder ins Blickfeld rücken, später dann nochmal.

Quer durch den Wald

Nach einem kurzen Stück entlang der Straße biegt der Mühlenweg unvermittelt in einen zauberhaften Waldpfad ab, in dessen hochstämmigem Kiefernwald das gesamte Erdgeschoss erleuchtet wird von jungem Laubgebäum. Einer fächerförmigen Kleingartenkolonie geht es wie dem Bahnhof, nur hier und dort arbeiten rosa, gelb oder pink gekleidete Leute im Garten, vielleicht um in der laufenden Jagdsaison auf Nummer Sicher zu gehen, hier tief im Wald. Der milchige Herbstwald dämpft alles Laute, fast wie frisch gefallener Schnee, und so geht selbst der Umgang mit dem kratzigen Laubbesen geräuschneutral vonstatten. Das wirkt ähnlich komisch, als wenn man bei kontroversen Fernseh-Diskussionen den Ton auf stumm schaltet und das raumgreifende Gestikulieren und die überzogene Mimik für sich sprechen lässt.

Am Fuß der Saalower Berge

Vom Waldrand zieht der Weg durch schokoladenschwarze Ackerschollen, deren gleichmäßig gefurchte Fläche die Birken im Hintergrund zu euphorischen Lichtgestalten erhebt. Hinter den Ställen, wo die mittlerweile namhaften Saalower Kräuterschweine ausgesuchtes Grünzeug in feinen Schinken umsetzen, kommt durch einen Garten eine ponyhohe Dogge angeschlenkert, die langen Beine kommen gerade so hinterher. Der Wachdienst hinter dem eher niedrigen Zaun wird in einer Mischung zwischen lustlos und augenzwinkernd versehen, wohl in dem Wissen, dass allein die Schulterhöhe einer Dogge ihren Eindruck macht und ebenso das grollende Timbre, ganz gleich welchen Inhalts oder wie einsilbig das Gebellte ist.

Siedlungshäuser unweit des einstigen Pflegeheims

Der Schwenk nach links zu den Teichen führt weg vom Lärm und bald in breiten schwarzen Modder, wie man ihn lange nicht unter den Sohlen hatte. Die gleitfreudige Erdpaste reicht über die gesamte Wegbreite, selbst ganz am Rand ist gutes Balancieren gefragt, und das Queren könnte leicht mit einem schwarzen Hosenboden quittiert werden. Doch das Risiko lohnt, denn gegenüber quetscht sich zwischen den Angelteichen ein kaum sichtbarer Pfad hindurch. Auch der balanciert, und zwar in Schlangenlinien auf einem schmalen Damm voller Gesträuch, geht gern auf Tuchfühlung und dürfte in der Vegetationsphase ein sehr naturnahes Erlebnis sein. Auf dem größeren der Teiche platziert sich gekonnt ein einzelner Schwan in die Szenerie rostgoldener Spiegelbilder, als einziger weißer Akzent und umgeben von erdfarbenen Enten.

Breiter Talgrund mit Stromtrassen

Südlich der Teiche quert ein Plattenweg. Begleitet wird er von einem Graben, in dem das Wasser sichtbar fließt, und lässt kurz an den Unterspreewald denken. Der von Laubwald begleitete Schneidegraben ist gewissermaßen Verwandtschaft der eigentlichen Notte, kommt wie sie auch von Sperenberg daher und lässt sein Wasser schließlich im Mellensee.

Der nächste nadelweiche Weg quert nun ein Wäldchen, der Boden ist bedeckt von Blaubeerkraut, und zwischen den Kiefernstämmen leuchten auch hier wieder die kleinen Bäume in ihrem allerletzten Laub. Der ganze Tag schon sieht nach Abenddämmerung aus.

Kaum erkennbarer Tierpfad zum Gipfelplateau des Saalower Höllenberges

Saalower Berg

Drüben steht am Waldrand eine einladende Rastbank mit weitem Blick, direkt am Fuß des Saalower Berges. Am Waldrand lauern leicht geduckt regelrechte Kronenkiefern. Der sandige Weg verschwindet bald im Wald und schindet ein paar Höhenmeter. Oben quert ein Sträßlein, das einst zum Pflegeheim „Freundschaft“ führte. Die weitläufige Anlage, ihrerzeit fast eine kleine eigene Stadt, verfällt seit über einem Jahrzehnt, wie viele andere auch, die schlicht zu groß für eine neue Nutzung sind. Kopfsteinpflaster verbindet sie mit einer hübschen Reihe von Siedlungshäusern, die einst vielleicht dem Personal vorbehalten waren. Ein paar Autos nutzen die Straße, um auf kürzestem Wege von Saalow nach Gadsdorf zu kommen.

Regendichter Unterstand für kleine und kleinste Leute

Vor einer dreifachen Stromtrasse, die den weiten Talgrund zwischen zwei Höhenzügen nutzt, bleiben wir rechts am Waldrand und nähern uns langsam dem fast schon sagenumwobenen Saalower Höllenberg, der scheinbar gerne ein Geheimnis um sich macht. Das führt soweit, dass das bestehende Netz ausgeschilderter Wege einen weiten Bogen um sein Gipfelplateau schlägt und die hier und dort aufgestellten Wanderkarten die schönen Pfade verschweigen, die es umrunden. Auch die freie Karte im Internet schaut hier beiläufig zur Seite. Passend zu einem halbwegs dramatischen Zustieg schlägt das Wetter allmählich in eine härtere Gangart um, so dass wir die Schirme schon mal freilegen.

Birkenleuchten auf dem Saalower Höhenzug

Saalower Höllenberg

Der südliche Aufstieg ist vergleichsweise moderat, und vom Hauptweg lässt sich bei guter Sicht ein Tierpfad erkennen, dem wir folgen. Der Blick zurück lässt einmal mehr das flimmernde Leuchten der Birkenwipfel zwischen den dunklen Stämmen hindurchfallen. Hinter dem unauffälligen höchsten Punkt, an dem sich einiges Bruchholz versammelt hat, quert noch ein schöner Pfad. Von hier lässt sich gut sehen, dass wir uns einiges über dem Niveau der Felder da unten befinden, erst hier wird der Berg als solcher erkennbar, dessen Flanke nach Westen vergleichsweise steil abfällt. Wir vertrauen uns dem Pfad an, der die Höhe umrundet und bald zurück zum breiten Weg führt. Nach Norden geht es nun steil hinab, wobei der weiche Boden die stukenden Schritte harmonisch abfängt.

Blick zum Saalowgraben

Der sanfte Höhenzug des Höllenberges setzt sich fast bis Saalow fort und verliert dabei unmerklich an Höhe. Immer wieder locken direkt ansteigende Pfade oder Wege hinauf in den Wald, der an manchen Stellen das goldene Birkenleuchten zur Hochform bringt. Es ist wirklich besonders.

Pferde mit Dame bei Saalow Dorf

Auf der ersten freien Passage schlägt uns nun die Nässe ins Gesicht und es ist Zeit aufzuspannen. Windschutz spendet der Höhenzug, der vielleicht zugleich verursacht, dass es gerade hier regnet. Von vorne trotten, vom Wetter unbeeindruckt, zwei stämmige Pferde heran, begleitet von einer in sich ruhenden Dame. Überhaupt scheint das hier eine Pferdegegend zu sein, denn die vom Wetter geplätteten Pferdeäpfel sind allgegenwärtig.

Dorfmitte von Saalow mit Scheunenwindmühle und Bürgerhaus

Saalow

Der alte Dorfkern ist ein schöner, wenn auch nicht klassischer Rundling. Das verweist beiläufig auf die Nähe zum Fläming, wo diese reizvolle Dorfform häufig zu finden ist. Mitten auf dem runden Dorfplatz findet sich nun die zweite der Saalower Mühlen. Die ist nicht auf den ersten Blick als Mühle erkennbar, und eigentlich auch nicht auf den zweiten. Allein ihre Lage mitten im Ort zeigt schon, dass es sich um eine Besonderheit handeln muss. In der Tat steht hier ein weltweit einzigartiges Mühlenbauwerk, eine sogenannte Scheunenwindmühle, bei der Rotorblätter nach zwei Seiten fest in den Wänden verbaut sind. Bei Bedarf werden die großen Tore geöffnet, und der Wind kann einströmen. Aus heutiger Sicht lässt der Anblick an Turbinen denken. Sehen kann man diese Rarität zweimal im Monat, wofür ein rühriger Verein sorgt. Direkt neben der Mühle steht das kulturell genutzte Bürgerhaus, ebenfalls liebevoll renoviert, und macht das pittoreske Dorfbild komplett.

Saalow Ost

Teiche nahe der Hechtseestraße, Saalow Ost

Vom Dorfrund führt die Straße vorbei an der Alten Schule und zwischen Pferdekoppeln hinüber zum benachbarten Ortsteil, wo nun ganz kurz wieder die herkömmliche Windmühle ins Bild rückt. Nördlich der Hechtseestraße liegt eine urwüchsige Ansammlung von unregelmäßig geformten Teichen, die von Pfaden durchzogen sind und einen kleinen Abstecher auf jeden Fall wert. Allerlei Bänke oder Hocker stehen an den Ufern, die sich für eine Rast anbieten – wenn nicht ein Angler mit Gewohnheitsrecht schneller war.

Hinter der ruhigen Siedlung beginnt bald ein undurchdringlicher Streifen Natur, der in Zeiten mit durchschnittlichen Niederschlägen stark durchfeuchtet sein dürfte. Die einstige Uferlinie des gewundenen Hechtsees lässt sich auf der Karte noch erahnen. Mitten durch diese Weiten aus Schilf und dichtem Gestrüpp führt leicht erhaben ein Damm mit einem hinreißenden Stück Weg, teilweise bestanden von stattlichen Eichen. Diese fünfhundert Meter sollte man am besten im Schlurfschritt zurücklegen und ausgiebig genießen, was so kurz vor dem Ende der Tour ja durchaus in Ordnung geht.

Dammweg durch den einstigen Hechtsee

Wie nah das Ziel bereits ist, zeigt sich direkt am Ende des Dammweges, wo schon das Gleis der Draisinenstrecke quert. Heute rumpelt hier nichts, vielmehr liegt noch immer die gedämpfte Stille des Novembertages über der Landschaft. Neben der Bahntrasse lagern halbvergessen allerhand Accessoires mit Bahnbezug, die wahrscheinlich längst Beine bekommen hätten, wenn sie nicht allesamt so schwer und unhandlich wären.

Draisinenstrecke kurz vor dem Bahnhof

Am Ende setzt der ruhende Bahnhof mit allem, was dort steht, noch einige Farbakzente in Richtung Rot, gleich in mehrfacher Ausfertigung. Zurückhaltend die flächige Backsteinfarbe der historischen Gebäude, vertraut und unauffällig die Bauchbinde der beiden S-Bahn-Wagen und knallig die Lackierung der Draisinenhebel, glänzend wie der Lippenstift einer lasziven Chansonette, die noch einen Koffer in Berlin hat.










Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Regionalbahn bis Zossen, dann weiter mit Bus (ca. 1,25-1,5 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): B 96 bis Zossen, dann nach Mellensee abbiegen (ca. 1-1,25 Std.)

Länge der Tour: ca. 15 km (Abkürzungen gut möglich)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Artikel zu Museen in Saalow

Artikel zum Mühlendorf Saalow

Informationen zur Bahnstrecke Zossen-Jüterbog

Saalower Kräuterschwein

Erlebnisbahn Zossen-Mellensee

Ehemaliges Pflegeheim am Saalower Berg

Einkehr: 

Erfrischungshalle am Bahnhof, Mellensee
Fischhof am Mellensee, Mellensee (am Nottekanal)
Eiscafé Angela, Mellensee (kleiner Imbiss)
Restaurant Wildpark am Mellensee, Mellensee (etwas Richtung Klausdorf)

Görlsdorf: Schwanengeplauder, absolute Stille und der Mond am anderen Ufer

Wie es seit einigen Jahren üblich ist, schleicht sich die erste Frühlingsahnung bereits im ausgehenden Januar dezent in die Gehörgänge, ins tägliche Blickfeld und über die Atemwege auch direkt ins Herz und die Seele – wenn man denn einen gewissen Sinn dafür hat und zudem diesem Prozess keinen Riegel vorschiebt. Das mit dem Riegel dürfte gar nicht so einfach sein, denn es würde viel Weghören, Weggucken und einen effizienten Filter in der Nase erfordern.

Fjordbucht am Schlabendorfer See, bei Wanninchen

Neben dem hoffnungsfrohen Gepiepe der Wintermeisen, die schon immer die allerersten waren, sind hier und da bereits abendliche Amselliedchen zu hören, wenn auch nur zaghaft, wie aus weiter Entfernung. So als stünde das genetisch verordnete Handeln der Schnabelmusik in ständiger Hinterfrage kalendarischer Anzeichen wie Tageslicht und Temperatur. Dazwischen krächzen immer noch die schwarzen Räuber mit den wuchtigen Schnäbeln, doch selbst die wirken verunsichert darüber, ob wirklich noch ihre Zeit ist und so viel Selbstbewusstsein angebracht.

Zu weiterem Zweifel beitragen könnten auch die flächigen Heere der ersten Winterlinge, die ihre gelben Satellitenschüsseln dorthin ausrichten, wo sie die Sonne vermuten. Dazwischen stemmen sich mit blütenweißem Geläute buschige Inseln von Schneeglöckchen aus der schneeplatten Wiese. Ob nun Sing- oder auch Krächzvögel irgendwelche Aufmerksamkeit auf zeitige Blümchen verwenden, ist nicht bekannt, doch vielleicht werden sie ja im Gesamteindruck als Kundschafter des Frühlings wahrgenommen.

Neben den erwähnten Vögeln, die ganz bequem auf Balkongeländern oder Fahrradlenkern sitzen können, sind jetzt im Januar noch immer oder schon wieder solche unterwegs, die eher das Volumen eines Fahrradanhängers ausfüllen würden und sich zumeist in flachem Wasser am wohlsten fühlen. Während Kraniche und Gänse in immer größeren Scharen in den Wasserlandschaften Brandenburgs überwintern, halten es die seltener zu sehenden Singschwäne eher noch mit althergebrachten Reisegepflogenheiten. Von Süden kommend, legen Sie auf dem Weg zu ihren Brutquartieren gern längere Pausen ein, und mit etwas Glück kann man sie im Januar und Februar an der Oder oder, was weniger bekannt ist, auch im südlichen Brandenburg finden.

Nördliche Luckauer Stadtmauer

Der Lauf der Oder ist insbesondere im Bereich des Oderbruchs vom Menschen beeinflusst, was bekanntermaßen ein hohenzollerscher Fritz zu verantworten hatte. Der hob damit in der Mitte des 18. Jahrhunderts und mit den damaligen technischen Mitteln einen komplett neuen Landstrich aus der Taufe und lockte mit gutem Marketing und etwas Trickserei zahlreiche Siedler aus ganz Mitteleuropa auf die neu gewonnene und fruchtbare Krume.

Was das südliche Brandenburg betrifft, legt gut zweihundert Jahre später abermals der Mensch Hand und allerschwerstes Gerät an eine vormals unauffällige Landschaft, einen leicht hügeligen Flickenteppich aus Wäldern, Feldern und Dörfern unweit von Luckau. Unter gut zwanzig Metern Erde lagerte hier großflächig ein Braunkohle-Schatz, der nach und nach gehoben wurde. Die freigelegte Kohle wurde ein paar Städte weiter in Energie umgewandelt. Bitter ist dabei, dass für lediglich fünfzehn Jahre Kohleförderung fünf Dörfer weichen mussten – ein Schicksal, das im gesamten Lausitzer Braunkohle-Revier weit über hundert Dörfer und zehntausende Menschen betraf.

Am Markt in Luckau

Eins dieser Dörfer trug den knuffigen Namen Wanninchen. Ein einziges Haus dieses Ortes steht noch, dicht an der Kante, vor der die riesigen Bagger einst stoppten. Rund um das verwinkelte Gebäude entstand ein Ausflugsziel besonderer Art, das den Namen Wanninchen am Leben hält, gemeinsam mit einem Gedenkfindling gleich nebenan. Dieser geschundenen Landschaft angenommen hat sich die Heinz-Sielmann-Stiftung, was auch für andere Landschafen vor den westlichen Toren Berlins, bei Storkow oder unweit von Rheinsberg gilt. Wenn es beim Namen Sielmann nicht gleich klingeln sollte, tut es das vielleicht bei „Expeditionen ins Tierreich“ – die Sendung des Tierfilmers lief mit ihm bis Anfang der Neunziger Jahre – mehr als 25 Jahre lang – und war eine der ersten ihrer Art. Da schließt sich jetzt ein ganz klein wenig der weit geschlagene Bogen von und zu den Singschwänen, auf die man hier hoffen darf zu gewissen Zeiten.

Das überschaubare Gelände des Natur-Erlebniszentrums ist gleichermaßen spannend für Kinder und Erwachsene und darüber hinaus gut geeignet für eine Wander- oder Radelpause. Auch ein Abendhimmel über der gewaltigen Landschaft des fjordartigen Schlabendorfer Sees lässt sich von einem der Aussichtsplätze in Vollendung genießen. Entlang der gemütlichen Wege finden sich weiche und weniger weiche Tiere, Kräuter-, Nasch und Findlingsgärten sowie ein ausgewachsenes Steinlabyrinth, in das sich auch die Ängstlichsten hineinwagen werden.

Blick auf die Dächer der Luckauer Altstadt

Wer diesen Ort mit gewisser Regelmäßigkeit, doch in größeren Abständen besucht, kann eindrucksvoll das Neuerwachen einer kompletten Landschaft beobachten – oder besser: langzeitbeobachten. Die Flutung des riesigen Sees gilt seit Jahren als abgeschlossen, und die bizarren Formationen des Abraums werden langsam, doch stetig von Pflanzen erobert, die knallhart sind und ihre Ansprüche ganz weit unten ansiedeln. Im ausgedehnten Totalreservat südlich des Sees stehen sie noch relativ vereinzelt, so dass zwischen ihnen viel Platz ist für zahllose Fährten verschiedenster Tiere, die schon mal ihre Reviere abstecken.

Luckau

Es hat einen gewissen Charme, wenn man sich so einem eindrucksvollen Gewässer wie dem Schlabendorfer See mit gewisser Ehrfurcht oder auch Vorfreude nähert. Das gilt für die großen Flüsse wie Elbe und Oder ebenso wie für diese unnahbaren Gewässer vergangener Tagebaue, die durchaus Assoziationen an Skandinavien wecken. In geeigneter Entfernung zum See liegt Görlsdorf, eins von dreien in Brandenburg. Der Weg dorthin führt über das Städtchen Luckau, an dem man keinesfalls vorbeifahren sollte. Rund um die Stadt zieht sich ein hübscher Stadtgraben, der von der Gehrener Berste gespeist und von einladenden Spazierwegen begleitet wird, auf voller Länge und teils beidseitig. Spaziert man dort entlang, sieht es zum Teil nach Spreewald aus, zum Teil schon nach Sachsen.

Gut Görlsdorf

Der Stadtgraben folgt der Stadtmauer, die zum größten Teil erhalten ist und gemeinsam mit den wuchtigen Kirchenschiff und den gemauerten Türmen der Stadt pittoreske Sichtfenster ergibt. Innerhalb der Mauern wetteifern in den Straßen und Gassen Dutzende Fassaden und Giebel darum, wer von ihnen am schönsten oder originellsten ist, insbesondere am verwinkelten Marktplatz. Und draußen vor der Stadt liegt im Süden der Stadtpark, dem man noch immer die gestalterischen Feinheiten der Landesgartenschau ansieht, die jetzt bald zwei Jahrzehnte zurückliegt. Nicht wundern also, wenn der Aufenthalt in Luckau länger ausfällt als geplant.

Kirchlein in Görlsdorf

Görlsdorf

Ein paar Dörfer südlich von Luckau liegt dann Görlsdorf, ein schönes und aufgeräumtes Dorf mit großen Backsteingebäuden, das schon ganz klar nach Lausitz aussieht. Zu sehen gibt es hier einen Schlosspark im Schneewittchenschlummer, in seinem Herzen ein verfallendes Backstein-Schloss, das an ein Forsthaus erinnert. Weiterhin einen Gutshof, der sich an einer schönen Sichtachse ausrichtet und mit edlen Pferden zu tun hat. Vorbei an der kleinen Kirche läuft die gediegene Görlsdorfer Dorfstraße, mit schönen Häusern zu beiden Seiten und Vorgärten in früher Blüte.

Glatt gepflasterte Landstraße nach Beesdau

Am Ende des Dorfes quert die Landstraße nach Beesdau, meisterhaft gepflastert aus den klassischen Steinen von der Größe einer Bauarbeiterfaust. Solche Straßen sind in der Regel alle längst dem Asphalt gewichen. Doch dafür fehlen hier die Argumente, so astrein und glatt sind die Steine verlegt. Vor dem nächsten Haus zweigt links ein schattiger Weg in den Görlsdorfer Wald ab. Der zeigt sich vielfältig – neben alten Eichen gibt es hier dunkle Fichtenwälder und nach der ersten Lichtung sogar einen schönen Lärchenforst, der passend zur Jahreszeit gerade abgedeckt ist.

Wanninchen

Hinterm Wald ist rechts kurz eine Wasserfläche zu ahnen, doch bei der Ahnung bleibt es. Hier und da sind aus der Ferne ein paar Kraniche zu hören, ein paarmal auch Gänse, doch auch dabei bleibt es. Voraus liegt nun das erwähnte letzte Haus von Wanninchen und beherbergt heute das Erlebniszentrum der Sielmann-Naturlandschaft Wanninchen. Gegenüber hockt zwischen weiten Streuobstwiesen ein rustikaler Schafstall, der samt Wiese auch in Märchenfilmen mitwirken könnte. Der Himmel ist gerade bedeckt, doch leicht kann man sich sommerlich herumtollende Lämmchen vorstellen, die unter blühenden Obstbäumen an Butterblumen zupfen, erst spielerisch, dann auf den Geschmack gekommen.

Aussichtsbank am Gedenkstein für Wanninchen

Das Sielmann-Gelände ist an Winter-Wochenenden geschlossen – die Öffnungszeiten sind zwischen dem Zurück- und Vorstellen der Uhren eher auf Schulklassen zugeschnitten. Das ist schade, da wir nicht aufs Gelände können und auch nicht zu den Schildkröten oder auf die Aussichtstürme. Es ist aber auch schön, da wir den berauschenden Blick von der Rastbank beim Gedenkstein und diese ganze riesige Landschaft rundherum exklusiv genießen dürfen. Wie exklusiv es in der Tat ist, merken wir erst, als wir eine Weile sitzen, ein Tässchen Tee geschlürft und fürs erste ausgeplappert haben, schließlich still werden angesichts dieser Dimension, die unbewegt zu unseren Füßen liegt.

Mondlandschaft am jenseitigen Ufer, Wanninchen

Hunderte Vögel sind auf dem See, die ihre Töne machen könnten. Der Wind könnte leise säuseln oder brüllend in die Gehörgänge donnern, denn das kann er gut an diesem See. In den Wipfeln rauschen. Doch nichts ist zu hören, keine fernen Kraniche, nicht eins der wenigen Flugzeuge, die den Korridor am Tag überqueren, auch nicht Herr und Frau Krüger aus Beesdau, die ihre nachmittägliche Ausfahrt auf dem Rad machen, wortlos, doch mit Kiesknirschen unterm Reifen. Es ist absolut still. Dicht dran an dieser Stille, wo man das eigene Blut in den Adern rauschen hört – was eigentlich nur in abgelegensten, halbmetertief verschneiten Winterwäldern geht.

In Faszination erstarrt staunen wir auf den See hinaus, suchen mit dem Fernglas die mannigfaltigen Horizonte ab, um vielleicht die Stelle zu erwischen, wo ein paar rastende Singschwäne im flachen Wasser stehen. Das erste Geräusch in der Stille sind scheinbar weit entfernte klassische Enten, die sich über einen derben Witz zerreißen. Kurz darauf irgendwo ein Kranichpaar. Dann wieder die Stille. Unvermindert eindrucksvoll. Das nächste Schnattern kommt erst nach einer Weile, auch dieses von weit her.

Beobachtungsplattform beim Natur-Erlebniszentrum

Erst nach dem zweiten Tee haken wir den Gedanken noch einmal nach und erinnern uns an eine Reportage, schon lange her, über Singschwäne. Dieses andere Schnattern, das müssen sie gewesen sein. Denn die großen Vögel singen ja nicht immerzu, wenn sie den Schnabel öffnen, sondern pflegen wohl tagsüber auch gemäßigte, normale Unterhaltung. Das Fernglas bringt schließlich die Bestätigung, hart am Rand seiner Reichweite. Sie sind es. Wir haben sie gefunden, ganz hinten in der Bucht, zwei Kilometer weg im Westen. Als greifbare Ahnung.

Man könnte hier noch ewig verharren, den Rücken angenehm gekrümmt, doch ist zum einen noch allerhand Rückweg übrig, zum anderen folgt jetzt eine schöne Passage entlang der noch nicht allzu alten Uferlinie. Genau jetzt kommt die erste Sonne des Tages heraus, verhilft dem See zu etwas Blau und schärft der Mondlandschaft gegenüber die Charakterzüge noch etwas nach. Der Blick reicht ewig weit nach Süden, und gemeinsam mit dem Dunst der Ferne erwacht nun wirklich der Eindruck einer Fjordlandschaft, wie man es schon länger vom Senftenberger See kennt. Mit jedem Rückblick von der kurvigen Straße erschaffen sich neue Gemälde der Naturromantik, gewinnt die Landschaft immer noch an Weite.

Blick über den glatten See nach Schlabendorf

Die scharfen Kontraste unterm klaren Sonnenlicht sind fast etwas irritierend nach einer grauen Woche mit irgendwie verschwommenem Wetter, stetem Griesel und Niesel und unentschlossenen Temperaturen. Es knallt regelrecht. Als wäre der Asphalt des Radweges gestern erst erstarrt, die Nadeln an den Bäumen frisch gewachsen und der gesamte See frisch überlackiert. Denn passend zur großen Stille für die Ohren fällt jetzt jene für die Augen in den Blick – diese große Wasserfläche liegt vollkommen glatt, nicht eine Kräuselung, und man hat den Eindruck, kein Vogeltier würde es wagen, im Flug etwas fallen zu lassen oder auf dem Wasser eine Spur zu provozieren.

Uferschilf am Schlabendorfer See

Es ist fast ein wenig unwirklich, so dass man sich jetzt und hier nicht über ein riesiges Seeungeheuer mit üblem Atem wundern würde, das mit einem Schlag des langen Schweifes den ganzen See zum Wogen bringt. Das könnte schon ein Größeres sein, denn der See ist im Schnitt knapp zehn Meter tief, im Maximum wohl über dreißig. Doch das Spektakel bleibt aus. Der See liegt weiterhin so glatt, dass jeder herausragende Zweig versunkener Bäume eins zu eins gespiegelt wird. Dementsprechend deutlich ist hinter einer winzigen Insel von der Größe eines Spreewaldkahns die Schlabendorfer Kirche klar erkennbar, wohlgemerkt mit Hilfe des Fernglases.

Rad- und Fußweg unweit des Ufers

Jetzt kommen die ersten Menschen ins Spiel, die hier Freizeit und Bewegung genießen, sei es mit Rollen unterm Fuß, Fifi an der Leine oder ganz einfach auf dem Rad, ganz ohne Gegenwind. Jetzt endlich kommen auch Frau und Herr Krüger, die demnach eher Schlabendorf zuzuordnen sind als Beesdau. Und nicht mal knirschen unterm Reifen, sondern lautlos über Asphalt rollen entlang einer jungen Allee. Die Ufer sind nicht mehr kahl, an vielen Stellen hat sich buschiges Schilf angesiedelt und befreit die künstliche Uferkante mehr und mehr von ihrer Sprödigkeit. Am Knick mit Blick auf Schlabendorf steht ein dreikantiger Unterstand, der vor allen Windrichtungen Schutz bieten kann. Gen See auch komfortabel mit Bank, gen Wegkurve informativ mit allerlei Tafeln. Hier treffen sich jetzt fast alle, die gerade unterwegs sind. Der See liegt stahlblau und glatt.

Skandinavische Impression im Osten

Schlabendorf am See

Ein Abstecher nach Schlabendorf ist bei ausreichend Zeit eine Option. Das Dorf, das es länger gibt als Berlin, ist im Rahmen der Wende um ein Haar der Abbaggerung entkommen. Ein hübsches Kirchlein steht dort, und seit einiger Zeit gibt es auch einen kleinen Seglerhafen.

Schutzhütte auf halbem Weg nach Schlabendorf

Wir wollen zur Dämmerstunde noch zum Kranichturm im benachbarten Freesdorf und drehen landeinwärts ab. Schon nach wenigen Minuten ist nichts mehr zu sehen vom großen See und seinen Landschaften, dafür kommt auf der schnurgeraden Straße nach Görlsdorf in einer Baumlücke das Görlsdorfer Kirchlein in Sicht. Das hätte man ihm auf die Entfernung gar nicht zugetraut. Ein tiefergelegter altrosa Golf rast in gewisser Inkonsequenz vorbei – weit schneller als notwendig, doch lange nicht schnell genug, um Interessierte zu beeindrucken. Rechts voraus vom nassen Borcheltsbusch sind jetzt schon die Kraniche zu hören, die man zu Hunderten auch am See hätte haben können, an einem anderen Tag.

Genau dort steht auch der Kranichturm, der bereits an der Landstraße ausgeschrieben war. Von hier lassen sich zur Zeit des Sonnenuntergangs ganze Scharen von Kranichen und Gänsen beschauen, die zunächst auf dem benachbarten Acker den Tag auswerten, dann aufwändig die Verteilung der Schlafplätze diskutieren und schließlich mit noch größerm Theater in die sichere Obhut des großen Moores umziehen. Der Turm bietet dafür einen komfortablen Logenplatz. Wer dazu neigt, in schönen Momenten die Zeit zu vergessen, sollte für den Weg hinab eine Taschenlampe dabei haben oder zumindest noch einen Akku-Balken übrig am drahtlosen Draht in die Welt.

Blick über die Felder nach Görlsdorf

Auf dem Rückweg nach Luckau treffen wir am Straßenrand auf eine Schafherde, ebenfalls sehr groß, doch abendlich verschwiegen. Der Schäfer macht gerade Feierabend und überlässt seine Schäfchen der Gesellschaft einer Handvoll kleiner Schwäne, die weiter hinten auf der Wiese stehen und leise schnattern, auf besondere Art. Ab heute mit Wiedererkennungswert.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): am Wochenende nicht praktikabel, auch in der Woche 2-3,5 Std. (über Lübben und Luckau)

Anfahrt Pkw (von Berlin): 1,5-2 Std. (Autobahn Ausfahrt Duben)

Länge der Tour: ca. 13,5 km, Abkürzungen möglich (wahlweise kann man direkt zum Natur-Erlebniszentrum fahren, Parkplatz für Autos und Fahrräder vorhanden); bitte beachten: fast die ganze Tour verläuft auf harten Belägen, dämpfende Sohlen empfehlen sich

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Luckau

Heinz Sielmann Natur-Erlebniszentrum Wanninchen

Hauptseite der Sielmann-Stiftung

Schlabendorfer See

Kranichturm am Borcheltsbusch

Einkehr:

Landgasthof Zum Auerochsen, Freesdorf
zahlreiche Gastronomie in Luckau

Berliner Spaziergang – Moabit: Stille Mauern, alte Gleise und die Walfisch-Rücken

Es ist April, wie es selten April war in den letzten Jahren. Verschiedenste Wetterlagen wechseln im Viertelstundentakt. Relativ unbeeindruckt davon zeigt sich die frisch eröffnete Internationale Gartenausstellung, die zuletzt den Nordlichtern Rostock und Hamburg zusätzlichen Glanz verlieh. In ihrer neuesten Auflage tut sie dies im Osten von Berlin und hegt die Absicht, die große Welt an die kleine Wuhle zu locken und gleichzeitig dem landesweit bekannten Begriff „Marzahn“ zu ein paar neuen Gesichtszügen zu verhelfen. Nachdem sie am Donnerstag vor dem Osterwochenende erste wetterfeste Besucher empfing, ist ihr umgehend der Osterhase mit seinen freien Tagen auf den Fersen und veranlasst Tourismus-Experten zu Besucher-Prognosen in Millionenhöhe für die Stadt.

Sommergrünes Wuhletal beim Kienberg

Je nach Geschmack kann man sich nun mitten ins internationale und multikulturelle Getümmel der Innenstadtlagen stürzen und nach Herzenslust diese turbulente Seite der Stadt auskosten. Oder gar nicht weit entfernt vom bunten Treiben schauen, was sich denn an einem der grünen Nebenschauplätze der IGA getan hat. Denn abseits vom Marzahner Areal rund um die Gärten der Welt und den wuhleflankierten Kienberg wurden quer übers Stadtgebiet zwanzig weitere Grünflächen unter das gartenplanerische Auge und den zugehörigen Spaten genommen. Darunter sind bekanntere wie Treptower Park, Lietzenseepark und Großer Tiergarten, doch auch weniger prominente wie der Stadtpark Steglitz, der Landschaftspark Herzberge oder der kleine Rosengarten im vorderen Hinterland der Karl-Marx-Allee. Ein weiterer der zwanzig Auserwählten ist der Kleine Tiergarten im Herzen der einstigen Industrie-Siedlung Moabit, wo jegliche Bemühungen sehenswerte Früchte tragen, auch wenn sein Charakter stark verändert wurde. Da das Wetter an diesem April-Wochenende mehr als monatstypisch ist, kann es zudem nicht schaden, alle paar Minuten in einem Buswartehäuschen oder einem Café Zuflucht suchen zu können vor spontanem Niederschlag und frostigen Winden.

Bernauer Straße an der Mauergedenkstätte

Der Weg nach Moabit und wieder zurück lässt sich mühelos mit ein paar reizvollen Extrabögen würzen und führt am Ende zu einem mehrstündigen Spaziergang, nach dem das aktuelle Bild von Moabit  gefällig nachgeschärft ist. Wahlweise als Runde ausgehend vom Hauptbahnhof, wer es etwas ausgedehnter wünscht, nimmt als Ausgangspunkt den U-Bahnhof Eberswalder Straße oder den S-Bahnhof Nordbahnhof.

U-Bhf. Eberswalder Straße

Zwischen beiden liegt die Bernauer Straße, die vor einiger Zeit von Grund auf renoviert wurde. Die seinerzeit gepflanzten Bäume sind fast alle gut gediehen und geben der breiten Straße Jahr für Jahr mehr von dem Charme zurück, den sie durch ihre ausgewachsenen Straßenbäume vormals hatte. Je nach Wochentag wälzen sich auf den ersten 500 Metern Ströme von Menschen über den rechten Bürgersteig, mit Kurs auf Mauerpark und Trödelmarkt. Ab dort übernimmt der linke Bürgersteig mit der stilisierten Berliner Mauer aus unzähligen Stahlrohren, die je nach Blickwinkel durchlässig oder eben absolut undurchlässig ist – eine der gelungensten wortlosen Metaphern für dieses eigenartige Bauwerk, das es wirklich einmal gab. Ab hier ist der Menschenstrom meist überschaubar, bevor es dann an der großartigen Mauer-Gedenkstätte kurz vor dem Nordbahnhof wieder bevölkerter wird. Das ist gut so, denn dieser Platz vermittelt anschaulich und direkt Geschichte, die noch greifbar nah zurück liegt und damit zwar absurd, aber kaum abstrakt ist.

S-Bhf. Nordbahnhof

Das kleine Oberstübchen des Nordbahnhofs linste von Baustellen umtost lange Zeit verloren aus seinem verborgenen Unterbau heraus, wie der kleine Bürzel eines tief gründelnden Entleins. Mittlerweile ist die kleine Backstein-Festung von Bebauung und Gleiskurven umgeben, hat irgendwie ihren Platz gefunden und wirkt dort richtiggehend charmant. Neben den aktiven Gleisen, auf denen Straßenbahnen aus großen Teilen Berlins in einer nassforschen Biege die lange ersehnte Zielgerade zum Hauptbahnhof antreten, werden gleich um die Ecke dezent und doch effektvoll die zahlreichen Gleise des alten Stettiner Bahnhofs zitiert, der jahrzehntelang von einem sonderbaren Grenzverlauf durchzogen wurde. Diese lassen die Frage offen, ob sie noch die originalen sind, auf denen schwere Dampflokomotiven mit viel Wasserdampfgeschnaufe ihre Züge zum Stehen brachten. Sie beantworten aber zugleich klar und sehr gut lesbar, wohin die Reise gehen konnte von diesem Sackbahnhof im Herzen von Berlin. Darunter finden sich eher regionale Ziele wie Eberswalde und Angermünde, vor allem jedoch polnische wie Stargard, Kolberg oder das namengebende Stettin. Zur Bauzeit des Bahnhofs lagen diese in der preußischen Provinz Pommern.

Vor dem Naturkundemuseum in der Invalidenstraße

Die nächste Menschenansammlung wartet vor dem Museum für Naturkunde, das selbst eine gute Lösung für einen verregneten Tag darstellt. Doch heute wechseln die Wetter alle paar Minuten, was bedeutet, dass sich in jeder Stunde des Tages auch ein bisschen Sonnenschein ereignet, meist eingerahmt von spektakulären Wolkenbildern. Das Museum muss also noch warten.

Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal Richtung Invalidenfriedhof

Hinter der Brücke über den Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal thront der Hamburger Bahnhof, ebenfalls ein Kopfbahnhof, der für die nordwestliche Richtung zuständig war und in seinem wunderschönen Inneren das Museum der Gegenwart beherbergt. Wer nun neugierig wird, welche Pendants solcher Kopfbahnhöfe es noch gab oder gibt, kann zum Beispiel in der Nachbarschaft des Ostbahnhofs oder in Kreuzberg am Askanischen Platz und dem Görlitzer Park auf sichtbare Spuren stoßen. Insgesamt gab es einmal elf Kopfbahnhöfe mit klar verteilten Zuständigkeiten.

Hauptbahnhof

Gleich darauf erstreckt sich auf der linken Seite der Hauptbahnhof, dieses riesige Ding. Die Vorstellung fällt schwer, dass hier vor relativ kurzer Zeit noch ein unscheinbarer S-Bahnhof kauerte, den man mit der Spree kaum in Verbindung brachte und dessen Namen man immer wieder vergaß. Der heutige Bahnhof ist umtost von der Einfahrt zu einem unterirdischen Stück Stadtautobahn, das eigentlich keine ist, ferner der Straßenbahn und den Bussen sowie dem ständigen Hin und Her von Ausflugsdampfern auf der Spree. Dazu kommt noch der eigene Lärm bremsender und anfahrender S-Bahnen, Regional- und Fernzüge, gemischt mit hallenden Durchsagen .

Auf dem einstigen Gelände des Zellengefängnisses Moabit

Umso faszinierender ist es, wenn man sich schräg gegenüber durch den unscheinbaren, fast verborgenen Eingang in einer hohen Ziegelstein-Mauer wagt. Die gehörte zum Zellengefängnis Moabit, das in seiner aktiven Zeit als eines der fortschrittlichsten Gefängnisse galt. Das erklärt sich insbesondere durch die Art und Weise seiner Anlage. Wer neugierig auf Details ist, findet an den zwei Eingängen wohlkonzipierte Informationstafeln zum Thema. Das Gefängnis wurde vor etwa 60 Jahren abgerissen, die Außenmauer blieb jedoch großteils erhalten.

Wer also durch diese Mauer getreten ist, findet sich umgehend in eindrucksvoller Stille wieder, umgeben von Freiraum, mittelalten Bäumen und einer parkartigen und freundlichen Anlage, die gänzlich ohne Zaunpfahl auf das hinweist, was hier einmal stand. Die Mauer ist nur ein paar Meter hoch, doch sie filtert das meiste von dem Lärm, der sich ebenfalls nur ein paar Meter entfernt abspielt. Fast fühlt es sich an wie der Eintritt in einen Klosterhof, in einen Raum der Stille, einen Rückzugsort. Es ist absolut faszinierend.

Ruheoase mitten im Stadtlärm

Gegenüber des Ausgangs zur Lehrter Straße befindet sich der Hauptsitz der Berliner Stadtmission, die sich bereits seit 130 Jahren um all die Menschen in der Stadt kümmert, die es aus der Bahn geworfen hat, die direkt oder gedanklich ausgegrenzt werden und über die man im Stadtbild gern hinwegsieht. Gleich benachbart stehen die weitläufigen Gebäude des Jugendgästehauses Hauptbahnhof, in sinnvoller Nachbarschaft zu zahlreichen Sportanlagen, einer Kletterhalle des Deutschen Alpenvereins und einem kleinen Park. Wer sich gern im Wasser oder im Wasserdampf aufhält, wird vom Stadtbad Tiergarten oder der benachbarten Wohlfühl-Sauna-Oase bestens bedient. Ein unmittelbares Nebeneinander verschiedenster Welten, das einen typischen Berliner Gesichtszug recht gut charakterisiert.

Der kleine Park übrigens ist der Fritz-Schloß-Park und gilt immerhin als größte Grünanlage von Moabit. Er verfügt über ein  Gipfelchen, dessen sekundenlanges Erklimmen durchaus einen leicht erhöhten Puls abfordert. Eine Aussicht wird oben nicht geboten, doch dafür gibt es zwei schön geschwungene Liegen und eine Holzplattform, auf der man sich lang ausstrecken kann. Zahlreiche Wege und Pfade durchqueren das dichte Grün, und auch auf einer der vielen Bänke hier lässt es sich gut abschalten.

Auf dem Gipfelplateau im Fritz-Schloß-Park

Turmstraße

Die kurze und gemütliche Pritzwalker Straße endet an der Turmstraße, die ein klarer Identitäts-Bestandteil von Moabit ist. Gegenüber erhebt sich imposant und durchaus einschüchternd das Kriminalgericht, das über ein unterirdisches Gangsystem in direkter Verbindung mit dem Gefängnis steht und damit allerhand Geld, Komplikationen und Risiken beim Hin und Her zwischen Zelle und Gerichtssaal einspart. Im Kopf von Cineasten werden bei diesem Anblick sicherlich zwei Handvoll Filmszenen aufploppen. Gericht und Gefängnis nehmen einen vollständigen Straßenblock ein, und auch sie machen einen Teil davon aus, wofür Moabit bekannt ist.

In der Pritzwalker Straße

Kleiner Tiergarten

Auf der anderen Seite der Turmstraße liegt der sogenannte Kleine Tiergarten, der über die Länge von fast einem Kilometer den Raum zwischen Turmstraße und Alt-Moabit ausfüllt, fast wie ein Anger. Der längliche Park erhielt in zurückliegenden Jahrzehnten wenig Beachtung, wurde aber im Rahmen von Förderprogrammen und zuletzt im Zusammenhang mit der IGA umgestaltet. Das Ergebnis ist eine gelungene Anlage, die bewusst offen und unverwinkelt gestaltet wurde. Das war leider nicht nur gestalterisch eine Notwendigkeit, da der Kleine Tiergarten seit einigen Jahren als Kriminalitätsschwerpunkt gilt und bevorzugt bei hohem Sonnenstand und eher abseits der Stromstraße besucht werden sollte.

Im Park gibt es zahlreiche lichte Sitzecken, teils mit Springbrunnen, und überall wurden große Sitzhügel angelegt, denen man ihren Beton nicht ansieht, die vielmehr an die rundgeschliffenen Uferfelsen mancher Schärenküste erinnern. Auf den sanft gerundeten Walfischrücken kann man bestens sitzen, fläzen oder lümmeln, allein oder zu zehnt. Dass sie viel Geld verschlungen haben und nicht jeden Geschmack treffen, scheint den gelassenen Kolossen ziemlich egal zu sein. Ganz im Osten nahe der Johannis-Kirche gibt es einen großen Spielplatz und eine kleine Carrera-Bahn für Bambi-Räder, mit Über- bzw. Unterführung und ein paar sanften Huckeln in der Piste. Alle angetroffenen Knirpse strahlen breit und wirken sehr beschäftigt.

Sogenannte Sitzkiesel im Kleinen Tiergarten

Die Turmstraße selbst ist westlich der Heilandskirche eine belebte Straße mit Gastronomie und Geschäften, wo an mehreren Stellen ein wirklich guter Döner zu bekommen ist. Direkt an der Kirche erstreckt sich als kleines Berliner Unikat die Thusnelda-Allee über ganze 50 Meter Straßenlänge, die durch diesen Superlativ und ihren markanten Namen jedem Berliner Taxifahrer für immer im Gedächtnis haften bleibt.

Wer sich im Kleinen Tiergarten veranlasst sah, seinen Schritt zu beschleunigen, kann diesen unerwünschten Adrenalin-Stoß schon wenige Minuten später am Ufer der Spree ausgleichen. Dorthin führen südlich von Alt-Moabit gemütliche Straßen, die teilweise über Parkcharakter verfügen und im Rahmen ihrer Vorgärtchen schöne Cafés, Biergärten und sogar eine einladende Kaffee-Rösterei anbieten. Nach einem nordrhein-westfälisch gefärbten Zickzackkurs durch Bochumer, Essener, Elberfelder und Dortmunder Straße glitzert ein paar Meter tiefer auf einmal die Spree, die hier eine ganze Serie von euphorischen Kurven zieht. Auf diesen flanieren all die Dampfer, die sich über die Standard-Partie zwischen Mühlendammschleuse und Kanzler-Riegel hinaus wagen oder sogar regelmäßige Kontakte mit dem Treffpunkt von Spree und Havel unweit der Spandauer Altstadt pflegen.

Im Kleinen Tiergarten nach dem Aprilregen

Spree-Bogen

Auf dem einstigen Gelände der Bolle-Meierei befindet sich jetzt der Spree-Bogen, der stellenweise alte Fabrik-Substanz mit neuer Architektur verbindet und dabei an vielen Stellen Phantasie und Freude am Blickwinkel bewiesen hat. Das Schönste am Spree-Bogen ist ein durchgängig begehbarer Uferstreifen, darunter auch ein sandiger Spielplatz in Gestalt eines lebensgroßen Schiffes, das fast in Rufweite zu den Walen von vorhin vor Anker liegt. Die etwa 12 Meter lange Rutsche sorgt nicht nur bei Kindern für Vergnügen und spitze Stimmlaute.

Spreeufer gegenüber des Hauptbahnhofs, noch ohne Bar und Liegestühle

Eine letzte kleine Grünanlage verbirgt sich im Hof zwischen Spener- und Paulstraße und braucht den Vergleich mit dem Fritz-Schloß-Park samt Hügel nicht zu scheuen – sie ist nur eben drei Nummern kleiner. Eine Kreuzung später liegt in ihrer ausufernden Wendeschleife die bisherige Endstation aller Straßenbahnen, die den Hauptbahnhof anfahren. Es ist keine Haltestelle zum Einsteigen, da die Züge von hier direkt auf ihren Pausenhof fahren. Wer trotzdem gern von Westen aus mit der gelben Stretch-Limo beim Hauptbahnhof vorfahren möchte, kann das auch von der nur wenige Minuten entfernten Station Clara-Jaschke-Straße tun. Alternativ kann man einmal durch den Hauptbahnhof gehen oder um ihn herum, die Spree überqueren und sich drüben mit einem passenden Getränk in einen der Liegestühle hängen – wenn das April-Wetter mitspielt und die Bar schon aufgebaut ist.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): U-Bhf. Eberswalder Straße, S-Bhf. Nordbahnhof, Hauptbahnhof

Anfahrt Pkw (von Berlin): nicht sinnvoll

Länge der Tour: 10 km, als Runde von Hbf.  gut 6 km

 

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Zehdenick: Weiße Havelteiche, kalte Schlote und die glimpfliche Schlidderpartie

Der diesjährige Winter kam im Großen und Ganzen recht winterlich daher und frei von Eskapaden, kühl und grau und manchmal etwas weißgepudert. In den ersten Wochen des neuen Jahres verlieh er sich selbst etwas Nachdruck, indem er Berlin und Brandenburg mehrmals spontan in ein mitteldramatisches Schneechaos stürzte. Das war jeweils in Kürze angerichtet und von langer Nachwirkung. Aktuell scheint er Ruhe zu suchen oder neue Kraft zu sammeln. Liegt etwas lustlos auf den märkischen Äckern und Wiesen herum, gerade noch weiß genug, um nicht übersehen zu werden. Tiefer in den Wäldern sieht es da schon anders aus, denn hier ist das Kältegedächtnis besser ausgeprägt.

Abendlicher Marktplatz im Frühling, Zehdenick

Darin liegt auch das Problem in diesen Wochen zwischen Neuschnee und Schmelze, zwischen Nullpunkt und klirrender Kälte. Es ist fast unmöglich einzuschätzen, wie es auf den Wegen aussieht. Ob es rutschig ist, glatt oder spiegelglatt, pfützennass, glitschig oder matschig oder einfach so wie immer. Ob Skier zu empfehlen sind oder Schneeschuhe, Spikes an den Sohlen oder einfach der ganz normale Schuh für stundenlanges Draußensein. Je tiefer in der Botanik, desto langsamer reagiert der Aggregatzustand des Niederschlages samt seiner Grauzonen, was ja durchaus doppeldeutig sein kann in Hinsicht auf den Farbton. Ganz gute Chancen gibt es dort, wo Asphalt liegt, bevorzugt dunkler. Zum einen, da hier meist etwas Verkehr bleibt, der zumindest einen schmalen Streifen des Straßenbelags freihält, zum anderen, da dieser scheinbar schneller auf höhere Temperaturen und Wärmereize reagiert.

Oderlandbahn unterwegs nach Templin

Am besten geeignet scheint also eine Mischung aus stillen Straßen in freier Landschaft und schön geführten Radwegen. Idealerweise solche, wo es viel zu sehen gibt, denn wenn sowohl Himmel als auch Boden zwischen hell- und mittelgrau changieren, ist jede Abwechslung willkommen und jedes Fleckchen Farbe. Willkommen wäre auch eine Einkehr unterwegs, doch das ist nun Problem Nr. 2 in den erwähnten Wochen. Viele Betriebe haben Urlaub bevorzugt im Januar und Februar, was sinnvoll ist und nachvollziehbar, denn jetzt ist kaum wer unterwegs. Gut, wenn man zumindest für den Abend eine sichere Bank im Hinterkopf hat, wo es warm ist, trocken und gemütlich. Denn die schönste Einkehr und die verdienteste ist doch die nach einem langem grauen Wintertag oder einem erheblichen Aufstieg.

Zehdenick

Zehdenick ist ein Städtchen mit hübschem Kern und verfügt wie auch Storkow über eine markante Zugbrücke unmittelbar am Rande der lauschigen Altstadt. Wie in Storkow ist diese nicht nur hübscher Zierrat, sondern überbrückt eine viel und gern genutzte Wasserverbindung für Freizeitschiffer. Eine Verbindung, die vor nicht allzu langer Zeit gar nichts mit Freizeit zu tun hatte und dafür sorgte, dass große Teile Berlins so aussehen wie sie heut noch aussehen.

Wetter- und zeitgegerbte Bushaltestelle in den Tonstichen

Vor etwa 120 Jahren wurde eine Bahnverbindung von Löwenberg nach Templin gebaut. Bei den Bauarbeiten offenbarten sich Tonvorkommen, komplett unerwartet und direkt unter den Uferwiesen der Havel. Das erklärt die dichte Nachbarschaft des Flusses zu den heutigen Stichteichen, die sich in großer Zahl zwischen Zehdenick und Marienthal hinziehen. Die Vorkommen galten selbst im europäischen Vergleich als riesig und waren so umfassend, dass noch vor gut 25 Jahren aktiv abgebaut wurde. Praktisch war dabei, dass die Ziegel in den zahlreichen Ziegeleien gleich vor Ort gebrannt und über die Havel unkompliziert verschifft werden konnten – bis vor die Berliner Haustür. Es gibt dazu das zutreffende Zitat „Berlin ist aus dem Kahn erbaut“ – auch damals wuchs die Stadt rasend schnell, dehnte sich nach außen aus und schloss in ihrem Innern manche Baulücke. Unter anderem dank der havelnahen Tonvorkommen zählte Berlin in den Dreißiger Jahren zu den fünf größten Städten weltweit.

Zehdenick samt seiner Nachbarorte ist das ganze Jahr über einen Ausflug wert, und heute erfüllt es uns zudem die gewünschte Mischung für einen grauen Wintertag mit Temperaturen um den Nullpunkt. Maßgeblich ist das dem Fernradweg zu verdanken, der die Hauptstädte von Dänemark und Deutschland verbindet. Der einzige Nachteil ist der, dass die Tour ohne Reißleine auskommen muss – es gibt keinerlei Möglichkeit irgendwo abzukürzen, falls gar kein Vorankommen sein sollte. Insgesamt geht der Plan ganz gut auf, wenn auch auf einigen Passagen eine eigenartige Gangart angesagt sein wird, die eher an Schwimmbewegungen erinnert und in keinerlei Zusammenhang steht mit Coolness.

Eichlerstich unter Eis

Nach Verlassen der gefälligen Altstadt wirkt nun die nördliche Vorstadt entlang der Bundesstraße 109 stark kontrastierend. Sieht aus, als sei sie stark verkatert, schon jahrzehntelang. Der graue Himmel unterstützt noch diesen Eindruck. Kaum merkt man den Übergang zu den brachliegenden Gewerbeflächen bis hin zum Hafengelände, die mit ihren Ausmaßen und schwerer Maschinerie von lebhaften Zeiten zeugen. Die ersten Wasserflächen scheinen durch, nicht schwarz und spiegelnd, sondern lückenlos vereist mit leichtem Harsch darauf.

Hier ist der spröde Ausstieg geschafft und man findet sich direkt im Anglerparadies, das diesen Namen wirklich trägt. Über Kilometer liegen weite Teiche links und rechts, einstige Tonstiche, aufgefüllt mit Havelwasser. An vielen Stellen gibt es Parkbuchten, umgrenzt von hüfthohen Palisaden mit einladenden Durchgängen, die im Sommer mit dieser Optik einen Strand verheißen könnten. Zwischendurch zeigen sich immer wieder die spanigen Spuren der hiesigen Bibergang, die so manches Bäumchen umgelegt hat. Die Stümpfe verschwinden unter weich nachgebenden Raspelholzbergen, groß wie Ameisenhügel, die entweder davon zeugen, wie der Mensch dem Biber die Harke zeigt oder mit ihm Zahn in Hand arbeitet.

Griffige Landstraße nach Burgwall

Links der stillen Straße lungert untätig ein Gleis, so wie der ganze Tag durchzogen ist von pensionierten Gleisen und der Vorstellung etwas auf die Sprünge hilft, was hier für ein Treiben herrschte zur besten Zeit des Tonabbaus. Das Wasser zu beiden Seiten, der Damm dazwischen und das Gleis darauf lassen kurz eine finnische Impression aufblitzen, zumal gerade hier noch ein paar Birken stehen.

Ein Pensionär auf seinem Rad zieht vorbei, nur unwesentlich schneller und den Fokus streng nach vorn gerichtet. Vorn am querenden Gleis treffen wir ihn wieder, wie er vor dem Bahnübergang stoisch seine Runden dreht, ohne den Sattel zu verlassen oder einen Fuß auf den Boden zu setzen. Dieses Gleis übrigens ist aktiv, wie wir gleich hören, denn es naht ein Zug, der unterwegs ist nach Templin. Die erste kräftige Farbe an diesem Tag ist diese tiefblaue Breitseite der Oderlandbahn, sogar mit etwas Türen-Gelb. Als der Zug durch ist und das Farbspektakel verklungen, beendet der auf dem Rad die aktuelle Runde und fährt zurück gen Stadt. Das ist dann wohl ein liebes Ritual und beschäftigt uns für die nächsten Minuten mit Spekulationen in verschiedenste Richtungen.

Schmalspurlgleis bei Burgwall

Nur noch ein schmaler Damm führt jetzt hindurch zwischen Bröselstich und Neuhofer Stich, gerade breit genug für Gleis und Straße und noch etwas Uferkante. Die Landschaft mit ihrem Flickenteppich aus Teichen ist so speziell und fast etwas entrückt, dass es verwundert, immer wieder auf so etwas Sachliches wie Bushaltestellen zu treffen. Eine von ihnen markiert den Zugang zum Vorort Neuhof, wo es seinerzeit auch eine Handvoll Ziegeleien gab. Das eigenwillige Buswartehäuschen am Abzweig verfügt neben reichlich Patina über ein unverglastes Panorama-Fenster zur Wasserfläche des Neitzelstiches und sollte von Rechts wegen unter Denkmalschutz gestellt werden. Es war auch schon im Kino zu sehen, später dann im Fernsehen.

Wer nicht tiefer in das Reich der Stiche vordringen möchte und die Landstraße nach Burgwall im Sinn hat, findet hier die vorletzte Möglichkeit zum Abbiegen. Es gibt nach dem folgenden Abzweig zwar noch zwei Verbindungen weiter nördlich, doch sind diese mittlerweile nicht mehr zugänglich. Ein längeres Stück Straße ist also nicht vermeidbar ist, was auch die allgegenwärtige Beschilderung des Laufparks Stechlin bestätigt. Doch das passt heute eher gut, wie sich bald zeigen wird.

Die Havel in Burgwall

Am Eichlerstich liegen kleine Ruderboote, meistenteils aus Metall und lackiert in zurückhaltenden Farbtönen. Von hier reicht der Blick weit über den größten der Teiche, der auch ein paar Inseln im Herzen trägt. An einem kleinen Hochufer steht sie endlich, die erhoffte Bank mit freiem Wasserblick. Heute blickt sie übers Eis, das überzogen ist von Spuren aller Größenordnungen, quer hinüber bis zum jenseitigen Schilfgürtel.

Neuhof

Noch vor den ersten Häusern der Siedlung mit dem süßen Kaiserbahnhof führt ein kleiner Weg links um den See herum und bald hinein in einen verspielten Wald aus kleinen Fichten, in dem man über eine Schar huschender Kobolde kaum staunen würde. So klein der Wald ist, so tief herrscht hier der Winter mit fast lückenloser Schneedecke und fahlen Kontrasten zum tiefdunklen Grün der Nadelarme.

Die Straße ist schon zu hören, bald darauf zu sehen. Sie verläuft direkt vor dem Waldrand des ausgedehnten Forstes Zehdenick, der schon zur Kleinen Schorfheide gerechnet werden kann. Die Straße ist von tiefdunklem Asphalt, und wenn die Autos auch zügig unterwegs sind, ist ihre Zahl übersichtlich. Von links stößt die erwähnte letzte Ausfahrt hinzu. Sie trägt den Namen „Hoch- und Staplerweg“,  und so war es vielleicht eine gute Entscheidung, schon eine vorher abzubiegen.

Ziegeleipark im Winterschlaf

Nichts könnte der Schuhsohle heute so viel Traktion bieten wie diese schnurgerade Straße, die nun gute drei Kilometer den Weg bestimmt. Langweilig ist das zum einen nicht, da man die Griffigkeit genießt und das Hinterteil entspannen kann, zum anderen gibt es nach links immer einen schönen und weiten Blick, hin zur Havel und ihren Spielereien. Ein kurzer Ausweichversuch im Wald verläuft fruchtlos, denn dort ist es entweder glatt, matschig oder sehr uneben. Also eher eine Option für andere Jahreszeiten, dann jedoch lässt sich dort fast die ganze Straßenpassage schattig umgehen.

Das letzte Stück kürzen wir über die stoppelige Wiese ab, als Zielpunkt eine Stelle, wo gerade das Postauto aus dem Wald kam. Das ist uns heute schon mehrfach an entlegensten Stellen zwischen den Teichen begegnet, und auch jetzt ist nicht das letzte Mal. Vermutlich hat es hervorragende Winterreifen an, denn jetzt folgt das balanceträchtigste Stück des ganzen Tages. Selbst der Wegrand taugt kaum zum Ausweichen, da er schmal, nachgiebig und leicht ansteigend ist und man dort genauso ins Straucheln gerät wie auf der eisglitschigen Waldstraße. Nebenher verläuft wieder ein betagtes Schmalspurgleis und weckt einen kleinen Neid, da es von der glatten Straße so völlig unbeeindruckt sein kann. Sein Bett verläuft mitten durchs Kraut, doch wachsen zwischen den Schienen keine Bäumchen oder Sträucher – als wenn hier dann und wann was führe.

Radweg am Welsengraben

Der reichliche Kilometer auf dem Wasser-Eis-Mix sorgt unfreiwillig für die Entdeckung der Langsamkeit und die Gedanken schweifen für ein paar schmerzliche Augenblicke zu den viereinhalb Paar Spikes, die in der Wohnung genau dort liegen, wo man sie auch nach einem Jahr schnell findet. Letztlich erreichen wir mit trockenem Hosenboden und unversehrten Handgelenken die Straße und genießen die Errungenschaft des aufrechten Ganges, die man Tag für Tag als viel zu selbstverständlich hinnimmt.

Burgwall

Das Havelörtchen Burgwall markiert in etwa das nördliche Ende der Tonstiche, die Havel schwenkt hier klar nach Osten ab und taucht damit in eine Landschaft ein, die bestimmt wird von Wäldern. Eine Brücke führt über die Havel und bietet schöne Blicke über das Dorf. Noch vor der Brückenauffahrt steht ein Bahnhofsschild an einem winzigen Bahnsteig und nährt die Vermutung, dass über die Schmalspurgleise dann und wann ein Züglein rattert. Von Fürstenberg kommend stößt der Radweg Kopenhagen-Berlin hinzu, bis kurz vor Zehdenick unser Begleiter. Parallel läuft der Havel-Radweg. Stellt man sich vor eine der zahlreichen Karten am Wegesrand, ist es ein kurioses Bild, wie sich der Fluss mit lebhaften Schlingen eng zwischen all den Stichteichen hindurchwindet, zwischen den Ufern beider manchmal nur ein schmaler Damm übrigbleibt, gerade breit genug für einen Pfad und etwas Polstermaterial.

Uferpfad zwischen Havel und dem großen Kinderstich

An einer Rasthütte kommt es zum letzten Sichtkontakt mit Christel von der Post, die hier souverän ihren Transporter wendet, gefährlich dicht am Straßengraben. Ab und zu kommt ein Radfahrer vorbei, eher Eingeborener als Tourist, und macht Hoffnung auf gute Gangbarkeit der nächsten Kilometer. Eine ältere Dame mit älterem Damenrad und Hausrecht folgt stur und unbeirrbar ihrer schmalen Bahn durch den Eismatsch und zwingt ein altersgerechtes Allrad-Fahrzeug vorübergehend an den Randbereich.

Ziegeleipark Mildenberg

Die Schornsteine kündigen schon den Ziegeleipark Mildenberg an, ein lohnendes Ausflugs-Paradies zu Zeiten mit mehr Tageslicht, und bald schon verdichten sich die Gleise bis hin zu losen Knäulen. Wo es während der mitteleuropäischen Sommerzeit kein Problem ist, auf dem weitläufigen Gelände oder auch nur in seinem havelnahen Herzen einen ganzen Tag zu verbringen, ist jetzt eindeutig Winterpause. Nicht ein Mensch ist zu sehen und keine Kinderscharen wuseln zwischen der Marina und dem imposanten Ringofen. Die Züge mit den umgebauten Loren stehen still und halten Winterschlaf, ein wenig wehleidig. Auch die Flotte von mietbaren Hausbooten, Motor-Jachten und motorisierten Wohnwagenpontons verharrt in Stille, teils auf dem Lande, teils im Wasser. Gleich hinter der Radler-Einkehr beginnt nun wieder eine Fahrradstraße und führt auf schmalem Dämmlein zwischen Stäckebrandts Pappelstich und Döbertstich hindurch. Stäckebrandts Pappelstich – das könnte doch auch eine mittellange Erzählung sein von Theodor Fontane oder Storm. Ein Eisangler sitzt auf der angetauten Fläche und hat ein Loch geschlagen, dicht beim Schilf. Vom Schilfrand hat ihn eine Katze fest im Blick, die scheinbar keine kalten Pfoten scheut für etwas Silberschmaus.

Prerauer Stich hinterm Flussufer vor Zehdenick

Hinterm Wäldchen geht es links entlang am erstarrten Bruch des Welsengrabens, der bei den nächsten Häusern überquert wird, an einer durchaus pittoresken Stelle. In den Bäumen vertreiben sich die Krähen etwas Langeweile und warten auf Gelegenheiten, wem anderen was abzujagen. Davon abgesehen ist es schweigsam heut am Himmel, nur ein paar Gänse zogen durch vorhin, doch auch diese eher wortkarg. Aus einem Weg, den man verkehrstechnisch für hinfällig erklärt hätte, kommt ein Auto angewackelt, mit kurzem Radstand und daher nachgerade aufgebracht im Takt der tiefen Pfützengründe. Wie überhaupt heute an den seltsamsten Stellen Autos hergefahren kommen, aus kleinen und auch kleinsten Wegen und aus entlegenen Sackgassen.

Loren über Kopf, Hafen Zehdenick

An der nächsten Kreuzung weist eins von den vielen Schildern zur Einkehr im nahen Mildenberg, doch unser Ziel ist nun schon greifbar und wir biegen ab zum Bruchwald. Auf dem Weg dorthin kommt uns ein freundliches Männlein auf einem grünen Trecker entgegen. Hat eine leuchtend gelbe Warnweste an und schenkt uns damit die hellste Wahrnehmung des gesamten Tages, obendrauf noch einen freundlichen Gruß. Am Bahndamm erwischen wir dann nochmals den Zeitpunkt einer Zugdurchfahrt, diesmal in Richtung Süden und als Heidekrautbahn. Wieder eine Dosis kräftiges Blau. Doch wirkt sie jetzt fast blass, nach dieser jüngsten Impression in gelb.

Etwas Farbe am anderen Ufer, Hafen Zehdenick

Die Überquerung der Havel ist auf der Eisenbahnbrücke nicht vorgesehen, denn die ist gerade schmal genug fürs Schotterbett. Das trifft sich gut, denn jetzt folgt am diesseitigen Flussufer eine „Stadteinfahrt“ von besonderer Einzigartigkeit. Hautnah darf auf diesem kleinen Pfad miterlebt werden, wie wenig Platz zwischen der Havel und ihren Stichen bleibt. Es ist, als spazierte man auf einer Landbrücke durch einen großen See, durch den auch noch die Havel fließt. Für die Stabilität dieses schmalen Bandes bürgt anfangs eine stattliche Reihe alter Linden, später besorgen das dichte Schilfgürtel. Wenn das an einem trüben Januar-Tag schon fasziniert, wie muss es dann erst sein bei Sonnenschein und dicht belaubten Bäumen?

Fußgängerbrücke an der Schleuse, Zehdenick

Während auch hier alle Wasserflächen weiß vereist sind, ist die Havel offen und fließt spiegelglatt und schwarz. Alle bisher nicht gehörten Wasservögel treffen sich auf dem Fluss, und so ist ein ständiges Schnattern und Flattern, ein reger Austausch und scheinbar Platz für jeden Schnabel. Ein Stück weiter sind gegenüber am Hafen zahllose alte Ton-Loren über Kopf gestapelt, ein kurioses Bild. Daneben Boote auf dem Trockendock. Als einzige im Wasser liegt eine hübsche Barkasse gut vertäut, die noch einmal etwas satte Farbe sehen lässt.

Links öffnet sich jetzt der urwüchsige Bruchwald der Klienitz, während voraus schon die Türme der Zehdenicker Altstadt in Sicht kommen. Das passt gut jetzt, denn die Tour war lang und der Magen hängt schon durch. Über zwei steile Fußgängerbrücken führt der Uferweg zur Stelle, wo die Schleuse einen beeindruckenden Höhenunterschied überwindet. Rechts öffnet sich ein großes Vorbecken, tiefliegend. Hier ankert publikumswirksam ein passendes Museumsschiff in der Bucht, an dem niemand vorbeikommt, der ein Objektiv am Leibe trägt. Dasselbe dürfte für die benachbarte Zugbrücke gelten.

Die Zugbrücke am Rande der Altstadt

Wer die Altstadt nicht schon vorhin erkundet hat, kann das auch jetzt noch tun, denn gleichermaßen schön ist sie, wenn die Laternen brennen. Für den allerletzten Ausklang empfehlen sich ein paar stille Minuten am Ufer bei der Zugbrücke. Wenn man sich dort so aufs Geländer lehnt in seiner dicken Jacke und ein Bein hochstellt, die Augen etwas schlitzt und die Gedanken treiben lässt, können sich schöne Bilder öffnen. Von Jahreszeiten, in denen das Eis eine andere Rolle spielt und eher in die Hand gehört, in bunten Farben. Das ist jetzt gar nicht mehr so lange hin.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Regionalbahn in Richtung Templin (stünd. ab Berlin-Ostkreuz; ca. 1-1,25 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über Land (B 109 bzw. kleinere Straßen über Wensickendorf/Liebenwalde)(ca. 1-1,25 Std.)

Länge der Tour: ca. 21 km (keine Abkürzung möglich); Option: mit dem Bus nach Burgwall (verkehrt stündlich, guter Anschluss an Zug von Berlin) und dort in die Tour einsteigen (dann ca. 10 km); Straßenumgehung außerhalb von Schneezeiten Wegpunkte A-F

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Tourismusseite von Zehdenick

Fernradweg Berlin-Kopenhagen bei Zehdenick

Ziegeleipark Mildenberg

Tagesspiegel-Artikel von 2010 zum Ziegeleipark

Einkehr:
Hotel Klement (gute Küche, gemütlich, freundlich)
Neues Haus Vaterland (etwas modernisierte Küche)
Stadtgarten an der Zugbrücke (gute Küche, gemütlich, freundlich)
Ratskeller und Neuer Ratskeller am Markt (keine eigene Erfahrung)
Vereinsgaststätte des Wassersport-Clubs (an der Fußgängerbrücke ans westliche Havelufer)(keine eigene Erfahrung)

Burgwall:
Gasthaus Zur Fähre (keine eigene Erfahrung)

Ziegeleipark Mildenberg:
Gasthaus Alter Hafen (direkt an der Hafenkante, etwas teurer) und Bernis Café am südlichen Ausgang

Ausgeschweift – Leegebruch: Hauszeichen, kleine Strände und der lange Weg zur Havel

An manchen Tagen, bevorzugt an etwas graueren, steht der Sinn nach Touren von einer gewissen Sprödigkeit – aus unbekanntem Grunde. Vielleicht ja aus Wegesammel-Leidenschaft und Freude am Vervollständigen. Oder aus Neugier auf Gegenden, die kaum jemand durchstreift. Vielleicht auch aus verschmitztem Trotz, die Motive eben dafür zumindest teilweise zu widerlegen. Lässt sich nicht fast überall irgendetwas Schönes entdecken – oder etwas Spannendes, und ist denn das Spannende zwangsläufig immer kantig?

Im vorliegenden Fall lag der Hauptteil der Neugier auf der weiten Fläche zwischen Oranienburg und Leegebruch, die sich entlang des Oranienburger Kanals zieht, gleich nördlich vom ewig hektischen Band des Berliner Rings. Auf Karten, die nicht viel älter als zehn Jahre sind, gehörte diese Landschaft zum einen dem Moorgraben, der ohne Hast aus den Wäldern bei Germendorf daherkommt, und zum anderen einem Flugplatz, der zu kaum einer Zeit seines Bestehens ein Ort der Öffentlichkeit war und verschiedene Runden der Geschichte kommen und gehen sah.

Herbstliche Siedlungsstraße in Leegebruch
Herbstliche Siedlungsstraße Karl-Marx-Straße in Leegebruch

Oft haben diese spröden Touren mit schnell befahrenen Straßen zu tun, mit Stadtrand und großflächigem Gewerbe, dichtem Gewirr von Oberleitungen aller Voltstärken und einem durchgängigen Lärmpegel, der für viele Ausschluss-Kriterium für einen erholsamen Spaziergang wäre. Völlig zu recht. Diesem letzten Kriterium lässt sich unter Beachtung der Windrichtung ein wenig von seiner Schlagkraft nehmen. Eine stark befahrene Schnellstraße kann windabgewandt fast lautlos sein, selbst wenn sie nur einen beherzten Steinwurf entfernt verläuft. Das bietet einen Hauch von Amusement, wenn Fahrzeuge etwas gereizt kurz vor der eigenen Nase vorbeirasen und dabei nicht zu hören sind. Ähnlich wie stark und wichtig mimende und gestikulierende Talkshow-Gäste im Fernsehen, wenn man den Ton stummschaltet.

Ganz davon abgesehen kann aber im Rahmen einer solchen Tour der Fokus unerwartet verrutschen und in der Nachschau etwas völlig anderes einprägsam bleiben, die trotzige Erwartung quasi überrumpelt werden. Manchmal sogar gänzlich frei von den angenommenen Ecken und Kanten, sondern bunt und unterhaltsam, trotz grauen Wetters.

In Fall von Leegebruch waren das einprägsame Siedlungshäuser, die nach späten 1930er oder frühen 1940er Jahren aussehen und sich ausgehend von der Hauptstraße in langen Reihen nach Norden und Süden erstrecken. Diese Hauptstraße bildet ganz klar das Herz des Ortes und verfügt über ein hervorragendes Konditorei-Café, eine ebendort beginnende höhergelegte Ladenzeile zu beiden Seiten der Straße und etwas abseits einen kleinen Ruheplatz, der von überdachten Arkaden umgeben ist. Am anderen Ende gibt es noch eine gemütliche Kneipe. Leegebruch erscheint lebenswert und sympathisch und als Ort, dessen Charme am besten zu Fuß zu entdecken ist.

Herbstlicher Querpfad in Leegebruch Nord
Herbstlicher Querpfad zum Mittelweg, Leegebruch Nord

In der Draufsicht passt der Vergleich eines Libellenkörpers ganz gut auf das ausgedehnte Dorf mit seinen Siedlungsstraßen, wenn diese westöstlich verlaufende Hauptstraße der Rumpf ist und die länglichen Flügel mit ihrem feinen Statikgeäst die stets leicht gekrümmten Straßen mit ihren Häuserreihen und den Querpfaden. In letzter Zeit kamen noch weitere Wohngebiete dazu, so dass es sich derzeit eher in Richtung Schmetterling entwickelt.

Charakteristische Siedlungen gibt es in vielen Orten und Städten in Brandenburg und auch sonst im Lande. Meistens entstanden sie direkt im Kielwasser großer Industriebetriebe, und fast jede von ihnen trägt recht deutlich eine eigene Handschrift. In Ludwigsfelde steht südlich der Autobahn eine eindrucksvolle Siedlung aus dunklen Holzhäusern für die damaligen Beschäftigten des Daimler-Werkes. Das ganze innere Eisenhüttenstadt in seinem imposanten Zuckerbäckerstil wurde für die Belegschaft des Eisenhüttenkombinates aus dem Boden gestampft, die seinerzeit aus allen Winkeln der DDR verlesen wurde. Vor den Toren von Eberswalde gibt es in Finow am Kanal die Messingwerksiedlung mit ihrem markanten Wasserturm, und selbst im kleinen Oderberg findet sich eine dieser besonderen Häuserrreihen. Ich glaube jedenfalls, dass es Oderberg war, doch es ist schon eine ganze Weile her. In der Tat war es dann doch Havelberg, wie Nachforschungen ans Licht brachten – doch da gibt es ja zumindest vom Wort her eine hohe Analogie zu Oderberg.

Markante Siedlungen in Berlin sind neben der bekannten Britzer Hufeisen-Siedlung das Märchenviertel in Friedrichshagen oder die Tuschkasten-Siedlung in Bohnsdorf, man kann in dieser Hinsicht jedoch auf dem ganzen Stadtgebiet viel entdecken. Wem es also Spaß macht, solche stadtplanerischen Unikate zu durchstreifen und Häuser und Gärten zu bestaunen, der braucht Leegebruch gar nicht zu verlassen, kann trotzdem ein bis zwei Stündchen an der frischen Luft unterwegs sein und dabei angemessen unterhalten werden.

Siedlungsstraße An den Schlenken in Leegebruch
An den Schlenken in Leegebruch

Unter den zahlreichen Besonderheiten der Siedlungen in Leegebruch stechen besonders die schönen und vielfältigen Hauszeichen hervor, die viele der Häuser an ihren Wänden tragen. Unter anderem sind das Zunftzeichen, Pflanzen und Tierkreiszeichen, jeweils etwa so groß wie ein Kellner-Tablett und fester Bestandteil des Mauerwerks. Streift man zu Fuß umher, sind besonders willkommen auch die zahlreichen Schleichwege, die ohne festes System zwischen den Häuserreihen oder auch parallel zu den Haus- und Gartenreihen verlaufen, meist grün und verkehrsfrei. So kann sich treiben lassen, wer das möchte, endlose Kringel und Schlaufen gehen und immer wieder Neues entdecken. Oder den Ort mit seinen Straßen ganz strukturiert aufrollen und die unterschiedlichen Gestaltungen der weitgehend baugleichen Häuser studieren. Langweilig sehen diese an keiner Stelle aus. Auffällig ist weiterhin, dass der zweite Teil des Ortsnamen im Ortsbild stets präsent ist – überall ziehen sich trockene und nasse Gräben durch die Siedlungen, so dass niemand mit feuchten Kellern Probleme haben sollte.

Noch vor etwa hundert Jahren war Leegebruch nicht viel mehr als ein Hof und hatte vordergründig mit königlich-preußischem Pferdenachwuchs zu tun, der auf seinen Wehrdienst mit dem zu erwartenden Radau vorbereitet wurde. Bis zum Einzugstermin dürften die Bemähnten es dort ganz schön gehabt haben, mit viel Auslaufplatz und saftigen Weiden.

Die Antwort darauf, wie in wenigen Jahrzehnten aus so wenig so viel wachsen, aus einem Gehöft eine Dorf so groß  wie eine Kleinstadt entstehen konnte, liefert recht verschwiegen das weite Gelände, das heute zwischen der Oranienburger Umfahrungsstraße und dem Oranienburger Kanal liegt.

An Oranienburger Kanal auf Höhe der Flugzeughalle, Oranienburg
An Oranienburger Kanal auf Höhe der Flugzeughalle, Oranienburg

Hier bauten die Heinkel-Werke in der Zeit des Dritten Reiches eine Fabrik für Kampfflugzeuge mit angeschlossenem Flugplatz. Damit die aus dem ganzen Land herbeigeholten Fachkräfte untergebracht werden konnten und auch gerne blieben, wurde in nur wenigen Jahren der Ort komplett neu entwickelt – inklusive Ladenstraße, Gemeinschafts- bzw. Kulturhaus und den direkt angebundenen Wohnsiedlungen. Die Häuser waren modern und komfortabel ausgestattet und konnten per Abzahlung erworben werden, samt Grund und Boden. Jedes hatte einen Garten von ordentlicher Größe, in den meisten Fällen vorn mit Zugang zum Haus und separater Hinterpforte im Garten. Da die Häuser über hunderte Meter von identischer Bauart waren, halfen die Hauszeichen sowohl den heimkommenden Schulkindern als auch feierabendlichen Arbeitern mit bierseliger Orientierung, nicht an ihrem Haus vorbeizulaufen oder den Schlüssel in eine fremde Türe stecken zu wollen.

Der erwähnte Moorgraben, bei Leegebruch schon deutlich zu breit zum Überspringen, ist übrigens der winzige Beginn dessen, was später unter dem erhabenen Namen Großer Havelländischer Hauptkanal bis zum Unterlauf der Havel bei Hohennauen reicht, weit im Westen von Brandenburg. Knapp hundert Fließ-Kilometer von hier, ganz kurz vor der Grenze nach Sachsen-Anhalt. Und das nicht erst seit hundert Jahren – dreihundert kommt eher hin, denn verantwortlich für den langen Kanal zeichnete der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. Das späte Zusammentreffen mit der Havel wirkt ein wenig kurios, wenn nicht sogar schrullig, schaut man auf die Karte und sieht die Havel schon hier im benachbarten Oranienburg vorbeiziehen. In kaum zwei Kilometern Luftlinie.

Herbstlicher Radweg entlang des Oranienburger Kanals, Oranienburg
Radweg entlang des Oranienburger Kanals, Oranienburg

Der junge Moorgraben zieht sich in unbeschwerten Biegen relativ diskret durch das Acker-und Wiesenland, das er maßgeblich mitgeprägt hat. Samt dem alten Legebruch, das wie erwähnt auch als heutiges Örtchen Leegebruch in allen Winkeln seine bodennasse Handschrift trägt. Als eine der einzigen über die Jahrhunderte währenden Konstanten hier dürfte er über die Zeiten wenig beeindruckt gewesen sein von all dem, was sich in östlicher Richtung so abspielte, gen Oranienburg. Da kam zunächst der Oranienburger Kanal, um die hundert Jahre jünger als der Große Havelländische und gelegen etwa auf der Mitte zwischen der hiesigen Havel und dem Moorgraben. Wieder hundert Jahre später wurden die erwähnten Fabriken samt Flugplatz gebaut, dessen Start- und Landebahn etwa so lang war wie ganz Leegebruch nach dem Bau der Siedlungen. Der blieb dann eine ganze Zeit, wurde nach dem Krieg von den russischen Besatzern weitergenutzt und verlor erst mit deren Abzug ein paar Jahre nach der Wende seine Funktion. Bis heute verfällt widerstrebend das, was noch übrig ist und bietet einen verlockenden Abenteuerspielplatz für verschiedene Interessen-Gruppen, wenn auch der Zutritt nicht gestattet ist.

Nach der letzten Jahrtausendwende wurde die längst fällige Ortsumfahrung für Oranienburg gebaut, welche fast die komplette Landebahn in ihren Verlauf einbezog. Als Nebeneffekt erhielt Leegebruch eine deutlich verbesserte Anbindung an das Schnellstraßennetz und darüber hinaus seinen eigenen Baggersee mit mehreren Stränden an den gesicherten Ufern im Osten und Süden.

Steg-Schilf-Idyll am jenseitigen Ufer
Steg-Schilf-Idyll am jenseitigen Ufer

Zwischendurch gab es verschiedene Ideen für die Nutzung des verbleibenden Flugplatz-Geländes. Die kurioseste und zugleich exotischste darunter war es, eine Art Chinatown im besten Sinne zwischen Schnellstraße und Kanal aus dem märkischen Sand zu stampfen. Es sollte ein komplett neuer Stadtteil im chinesischen Stil etabliert werden, mit allem Drum und Dran, sogar einem Tempel und einer Miniatur-Ausgabe der Chinesischen Mauer als Schallschutzmaßnahme. Das klingt gleichermaßen romantisch wie pragmatisch. Ob es für die angedachten Bewohner so attraktiv klang, mitten auf dem Acker und fernab einer größeren Stadt, fragt sich bis heute. Und ob das kleine Oranienburg so viel Exotik in dieser geballten Form verkraftet hätte. Oder ganz neu erblüht wäre, was es ja einige Jahre später in Form der Landesgartenschau tat. Die bunten Bilder, welche einem die eigene Phantasie zu Chinatown am Havelkanal vorschlug, haben auf jeden Fall neugierig gemacht. Doch mehr als eine Idee ist nicht daraus geworden, und 2008 war die Sache wieder vom Tisch.

Mitterweile verteilen sich auf dem Areal verschiedene Nutzungen. Ganz im Norden holt sich die Natur nach und nach ihren Raum zurück, dazwischen halten sich neben der großen Flugzeughalle noch einige Nebengebäude und ein Rest der Landebahn. Südlich davon steht mittlerweile ein großes Logistik-Zentrum für Waren des täglichen Bedarfs, direkt angrenzend wird etwas Sonnenenergie geerntet. Noch weiter im Süden hat sich ein Unternehmen angesiedelt, das sein Geld mit Kartonagen und Pappe verdient. Und fast schon an der Autobahn wächst seit etwa zehn Jahren ein neuer Baggersee, der schon erste Badestellen hat, während gegenüber die Bagger tüchtig Material verlagern. Zwischen den beiden Letztgenannten bleibt noch genug Platz für ausgedehnte Spaziergänge über Äcker, Wiesen und entlang von Pappelreihen. Dieser Fakt ist sicherlich dem Wasser zu verdanken, das hier mittels zahlreicher Gräben im Zaume gehalten wird.

Blick über den Leegebrucher Baggersee
Blick über den Leegebrucher Baggersee

Wer also ausführlich durch Leegebruch getigert ist und nach diesen ganzen Eindrücken noch etwas den Kopf ausschütteln und in die Länge und Weite stieren möchte, kann den Ort in Richtung Nordosten verlassen und einen weiten Bogen schlagen, der an heißen Sommertagen auch gut als Badetour funktioniert. Bis zum Oranienburger Kanal gibt es entlang der Straße einen Fuß- und Radweg, bevor man drei schöne und meist schattige Kilometer entlang des Kanales schlendern kann. Einstiegsmöglichkeiten ins Wasser bieten sich alle paar hundert Meter, wenn auch die beiden eigentlichen Strände am jenseitigen Ufer liegen. Wer dann etwas hinter der Schleuse auf Höhe des Wasserwerkes den Kanalweg verlässt, kommt nach zahlreichen Abbiegungen zu den Stränden des Sees bei Leegebruch, der noch auf einen schönen Namen wartet.

Zum Abschluss gibt es noch einen Nachschlag in Sachen Siedlung und Bruchgräben, bevor wieder die Symmetrie-Achse der Leegebrucher Schmetter-Libelle erreicht wird. Dass es hier neben königlich-preußischen Schlachtrössern, nationalsozialistischen Flugzeugfabrikanten und sowjetischen Besatzern noch eine andere Zeit gab, davon kündet die „Straße der Jungen Pioniere“, die sich ihren Namen bis heute erhalten hat. Abgesehen von all diesen überbordenden Seiten der Orts-Chronik macht Leegebruch den Eindruck, als wenn es sich ganz wohl fühlt, so wie es heute ist. Und wir freuen uns schon auf eine baldige Wiederholung des heutigen Wegeknäuels – bei weniger grauem Wetter.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): S-Bahn/Regionalbahn bis Oranienburg, von dort Bus Richtung Hennigsdorf (ca. 1-1,25 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): Berliner Ring bis Kreuz Oranienburg, dort auf die B 96 und Leegebruch ausfahren

Länge der Tour: 3,5-17 km (im Ortsgebiet Leegebruch beliebig zu variieren); Achtung: bei der großen Runde bei Wegpunkt 42 unbedingt links des Wassergrabens bleiben

 

Download der Wegpunkte

 

Links:

Ortsseite von Leegebruch

Chinatown am Kanal (Spiegel-Artikel)

Chinatown am Kanal (noch ein Spiegel-Artikel)

 

Einkehr:

Bäckerei Konditorei Joachim (am einen Ende der Eichenallee)

Gaststätte Zum Eicheneck, Leegebruch (ggbr. Kulturhaus)

Restaurant Palmenhof (Ringstr. 1)

 

 

Herzsprung: Eichenalleen, weiße Kleider und die unsichtbaren Scharen

Die ersten Nachtfröste kamen mit schnellem Schritt und haben gleich richtig zugeschlagen. Im erwachenden Licht des Tages präsentieren sie lückenlos filigranweiße Landschaften, die übersät sind mit einer unschätzbaren Menge winziger Eisnadeln, keine davon länger als ein Wimpernhaar oder kürzer als der Durchmesser eines Stecknadelkopfes. Es ist ein überwältigendes Bild. So eins, von dem man hofft, es wenigstens einmal im Laufe eines Winters zu erwischen. Dazu bedarf es jedoch einer Konstellation aus frostig klarem Sonnenhimmel, noch jungem Vormittag und nächtlicher Minusgrade, die freie Tage betreffend zumeist am zweiten Argument zu scheitern droht. Manchmal klappt es dennoch.

Stille Eichenallee zwischen Ganz und Ganz Ausbau
Stille Eichenallee zwischen Ganz und Ganz Ausbau

Erfahrungsgemäß passen zu so einem Bild in der Gleitzeit zwischen Herbst und Winter auch weit oben ziehende Formationen großer Vögel, die man zumeist erst hört. Dann den Kopf in den Nacken knickt zur Suche und meistens fündig wird nach einigen Sekunden, meist höher als erwartet. Das hat die gleiche Kraft der Faszination sowohl mitten in der Großstadt als auch über den einsamen Weiten menschenarmer Landstriche, jeweils auf seine Weise. Und stellt unweigerlich klar, dass die kalte Zeit begonnen hat, die mit den knappen Sonnen- und gemütlichen Teestunden.

In Herzsprung
In Herzsprung

Die Prignitz ist landesweit wohl ähnlich bekannt wie zum Beispiel das Hohenloher Land, der Elm-Lappwald oder das Thüringer Holzland – jede für sich besuchenswerte Gegenden mit speziellen Reizen, doch eher von regionalem Ruf. Wer schonmal von ihr gehört hat, verbindet vielleicht teils superlative Begriffe wie „Zugvogel-Paradies“, „am dünnsten besiedelt“, „absolutes Nachtdunkel“ und „östlich der Elbe“. All das ist korrekt, dazu kommen noch zauberhafte Landschaft, große Weite und eine ganze Reihe charaktervoller Städtchen, oft mit historischen Stadtkernen. In diesem Zusammenhang muss ehrlicherweise gesagt werden, dass regionale Tagesausflügler, die von der Prignitz sprechen, meist die Ostprignitz meinen, denn die Reise von irgendwo in Brandenburg oder Berlin in den äußersten Nordwesten Brandenburgs ist schon noch eine andere Entfernungsklasse, fast immer im dreistelligen Kilometerbereich.

Zaun vor Wald am Rand von Herzsprung
Zaun vor Wald am Rand von Herzsprung

Herzsprung

Etwa auf der Mitte zwischen Ost- und Westprignitz liegt, etwas südlich von Wittstock/Dosse, das Örtchen Herzsprung. Beide Ortsnamen dürften Autofahrern geläufig sein, die gelegentlich in Richtung Rostock oder Hamburg unterwegs sind. Ein hübsches Dorf mit guten märkischen Zutaten – es gibt eine Feldsteinkirche auf einem Hügel, ein Gutshaus und einen See sowie allerhand landschaftsgestaltendes Wasser drumherum. Und sogar das Hochhaus am Rande des Ortes, das meist zur Unterbringung landschaftlichen Personals errichtet wurde, in den Jahrzehnten von Hippies, Schlaghosen und Röhrenjeans und sicher auch schon davor.

Am Waldrand bei Herzsprung
Am Waldrand bei Herzsprung

An der Kirche, die souverän auf ihrem Hügel hockt, findet gerade eine Art Subbotnik statt, der jedoch eigentlich gar keiner sein kann, da er ja an der Kirche stattfindet. Der Subbotnik ist ein Begriff aus den Zeiten des Ostblocks. In einem sonnabendlichen Arbeitseinsatz sorgte die Bevölkerung im Orte pflegend und räumend für ein schönes Erscheinungsbild oder zweckmäßige Ordnung, freiwillig und entgeltlos. In der DDR verkam die gute Idee mit der Zeit zu einer Art Pflichtübung, die manchmal auch ohne eigentlichen Sinn oder Nutzen auskam. Wer jedoch nicht dabei gesehen wurde, riskierte Miskreditspunkte, wer besonders eifrig und gut sichtbar teilnahm, konnte der Genehmigung problematischer Anliegen entgegenarbeiten. Heute wird der Begriff hier und da wieder für Arbeitseinsätze wie Frühjahrsputz oder Laubbeseitigung auf Straßen und öffentlichen Flächen genutzt. Davon abgesehen gibt es in letzter Zeit – unter weniger gefärbter Bezeichnung – überall derartige Einsätze, was schön ist und die Wertschätzung jeglicher Altersgruppe am eigenen Umfeld intensiviert.

Eine einsame Brücke später - fast derselbe Wald, fast dieselbe Zeit, andere Ausrichtung
Eine einsame Brücke später – fast derselbe Wald, fast dieselbe Zeit, andere Ausrichtung

Vor dem Gutshaus ruht auf einer großen Waage, mit der sich gut Kartoffelsäcke wiegen ließen, ein kleines Rudel großer Kürbisse, farbenfroh, kältekonserviert und dennoch allmählich in die Knie gehend. In den Vorgärten hat sich trotz kräftiger Sonne an nordorientierten Büschen und Zäunen der weiße Nadelzauber erhalten, der Blumen und Beeren zu bunthäutigen Schneeigeln werden lässt. Das Vieh auf den Weiden atmet Dampfwolken aus, die sekundenlang Bestand haben, und die frühzeitig hochstehende Sonne treibt im Walde eindrucksvolle Spiele mit Wipfellücken, beschlagener Luft und eisigen Kristallen. Zurück in die Wirklichkeit bringt plötzlicher Gegenverkehr am Waldrand – ein Transporter zieht schwer an einem Anhänger voller steinharter Rüben. Der Blick übers Feld ist dunstig, der in den Wald zieht den Blick zu immer neuen Spielen der staubigen Sonnenstrahlen.

Strahlenfächer im Nadelwald zwischen Herzsprung und Ganz
Strahlenfächer im Nadelwald zwischen Herzsprung und Ganz

Zwischen zwei Wäldchen steht auf der Wiese eine Brücke, gänzlich unangebunden. Sie ist breit genug für eine Bundesstraße, in guter Verfassung und umgeben von Fragezeichen. Die eher theoretischen Auffahrten sind erdig, äußerst kurz und bestenfalls für echte Allrad-Fahrzeuge zu bewältigen. Jemand hat dem soliden  Bauwerk zu einem Zweck verholfen und den überbrückten Bereich mit stacheldrahtbewehrten Weidetoren versehen, die so hoch und ehrfurchtgebietend sind, als wären hier zu den Ruhezeiten Mammuts von launischer Natur unterbracht. Das klingt nicht vollkommen unwahrscheinlich, hier zwischen all den Eiszeitlandschaften. Hinweise auf einen verrückten Wissenschaftler gibt es jedoch keine, was ganz angenehm ist.

Hutträger im Moose
Hutträger mit transparenten Untertrikotagen im klammen Moose

In der Tat steht man hier vor einer Art stillem Denkmal, das in dunklen Zeiten gebaut wurde und als Reichsautobahn zwischen Berlin und Hamburg über irgend etwas hinüberführen sollte. Eindrucksvoll ist angesichts ihres guten Zustandes der Fakt, dass die Brücke schon stand, bevor es überhaupt diese Autobahn gab. Und zwar nicht ein paar Jahre vorher, sondern um die vier Jahrzehnte. Die deutsch-deutsche Geschichte hatte für einige Verzögerungen gesorgt und die Autobahn jetzt eher mit Putlitz und Parchim zu tun als mit Pritzwalk und Perleberg.

Feuchter Talgrund bei Ganz
Feuchter Talgrund bei Ganz

Vorbei an der Brücke führt der Weg hin zum feuchten Wiesengrund eines winzigen Baches, der unentschlossen zur Dosse strebt. Der sichtbare Wegverlauf verliert sich bald, also folgen wir den Wasserläufen zum nächsten Hochstand, da zu Hochständen erfahrungsgemäß immer ein befahrbarer Weg führt. Gehen bevorzugt entlang von Maulwurfshügeln, da diese erfahrungsgemäß immer auf trockenem Grund fußen. Das mit dem Hochstand stimmt auch dieses Mal. Enorme Buchen stehen am Damm, der den Weg eine Winzigkeit über den Talgrund erhebt, einige von ihnen sind spektakulär geborsten und lassen nochmals kurz an hungrige Mammuts in übelster Laune denken.

Haus am Waldrand, Ganz
Haus am Waldrand, Ganz

Im Wald wechseln die Baumbestände zwischen lose stehenden Kiefern, dichten Fichtenwäldern und buntbodigen Laubgehölzen. Wipfel und Sonne gestalten an mehreren Stellen imposante Lichtfächer, wie wir sie bisher selten sahen. Viele große Ameisenhaufen residieren am breiten Zubringer, den so ein Waldweg bietet. Nur wenige sind geplündert, und allen gemeinsam ist die absolute Krabbellosigkeit. Die Ameisen haben die wiederholten Bodenfröste zur Kenntnis genommen und sich zur Winterruhe in die tieferliegenden Katakomben zurückgezogen, das Arbeitsjahr beendet.

Weg hinein nach Ganz
Weg hinein nach Ganz

Ganz

Zuletzt führt der Weg über einen goldenen Laubteppich genau auf ein warmes Licht in einem Haus zu, das heimelig am Waldrand liegt und den nördlichen Vorposten des Dorfes Ganz markiert. Im Dorf stehen Ponys auf ihrer Weide, gegenüber hat sich jemand einen zauberhaften Garten geschaffen, in dem die Landlust erfunden sein könnte. Ein Turm täuscht vor, die Kirche zu sein. Die jedoch ist hier eine einfache Kapelle, der Turm hingegen gehört einem der Gutshäuser im Ort, das auf Zuwendung oder eine gute Idee oder beides wartet.

Stiller Alleeweg nach Ganz Ausbau
Stiller Alleeweg nach Ganz Ausbau

Von der weißen Friedhofskapelle führt eine urige und pulssenkende Eichenallee in Richtung Lellichow, die weite Blicke über die Felder gestattet und im Rückblick noch lange das Weiß der Kapelle im Auge behält. Rechts des Weges türmt sich ein mammuthoher Haufen Altholz verschiedenster Stärke, in dem sich ein reges Leben verschiedenster Vögel abspielt, sicher vor magenknurrenden Füchsen, Krähen oder ähnlichen Nahrungskettlern. Bei den Häusern und Wohnwagen von Ganz Ausbau beginnt eine kleine Straße, einige Hühner bringen hier Leben ins Bild, sonst niemand. Dahinter wirft der Waldrand lange Schatten gen Norden, so dass sich eine dicke Reifschicht bis jetzt auf den ungefällten Maispflanzen halten konnte und nun markant ihre Kälte abstrahlt. Wir treten ein in die frostige Hälfte dieses Tages. Von den erhofften und erwarteten Zugvögeln ließ sich bis jetzt niemand vernehmen. Erst jetzt hören wir die ersten drei Kraniche, die sich zwischen den Kiefernwipfeln am Himmel kaum ausmachen lassen.

Diesiger Ackerblick zum Postluch
Diesiger Ackerblick zum Postluch

Lellichow

Die Straße queren wir in Lellichow bei einem vielfältigen Angebot schöner Rastmöglichkeiten, doch ist gerade kein Bedarf. Zudem liegt eine ungewisse Passage voraus, und mit der hat man keine Rastruhe im Bauch, ist eher unrastig. In der Tat sieht es zunächst ganz gut aus, doch dann verschwindet der Weg entlang des klammen Schilfgürtels nach und nach oder ist versperrt von welk gewordenen, querliegenden Bäumen. Es ist ein zauberhafter und uriger Weg, der terrassenartig entlang betagter Eichen verläuft, links unter sich das frostfahle, flächige Schilf. Doch er ist am Verblassen. Viele Quellen entspringen hier, weichen mit ihrem kristallklaren Wasser den Waldboden unberechenbar auf und verbreiten eine leicht archaische Stimmung, hier im verlassenen und lautlosen Talgrund. Über dem Schilf hängen schon erste Nebelschwaden und spielen dieser Impression noch in die Karten.

Im schilfigen Grund des Kattenstiegbaches (NSG Mühlenteich)
Im schilfigen Grund des Kattenstiegbaches (NSG Mühlenteich)

Kattenstiegsmühle

Ohne Wassereinbrüche im Schuh und mit leichtem Aufatmen erreichen wir den nächsten Querweg und ein paar Abbiegungen später die Kattenstiegsmühle, die ein unerwartet reizvolles Ensemble bietet, komplett in Reif gekleidet und mit Kahnhafen, Angelteich und Badestelle. Sowie einer Einkehrmöglichkeit mit schönem Biergarten, die sogar offen hat. Der obere See ist komplett zugefroren, und während hier noch jeder Baumstamm Schatten wirft, verdichten sich weiter hinten schon die Nebel. Um die Mühle rankt sich eine kleine Sage mit Happy End, die Interessierten den ungewöhnlichen Namen erklärt. Wir müssen leider das Tageslicht im Auge behalten, mehr als wir zu diesem Zeitpunkt ahnen, und ziehen weiter ohne frisch gebrautes Heißgetränk.

Bestandsfrost an der Kattenstiegsmühle
Bestandsfrost an der Kattenstiegsmühle

Ein paar Anstiegsmeter bringen neue Wärme unter die Jacke, was durchaus angebracht ist. Oben beginnt eine Allee, abermals kräftige Eichen, und von nun an sinkt die Sichtweite unter vierzig Meter, wird alles bisher Sichtbare geschluckt. Von vorn tönt laut, fast schon bedrohlich eine Unzahl von Gänsen, Abertausend oder sogar mehr. Da sind sie endlich. Doch wir werden sie nicht sehen. Am Campingplatz trinken wir auf einer Bank am Straßenrand den vorletzten heißen Tee.

Eichenallee im aufziehenden Nebel, bei Kattenstiegsmühle
Eichenallee im aufziehenden Nebel, bei Kattenstiegsmühle

Königsberg

Kurz danach beginnt Königsberg. An der ehemaligen Schule staunen wir nicht schlecht. Hier gab es einst ein beredtes Wandrelief im real sozialistischen Stil, doch muss das doch woanders gewesen sein, denn hier steht ein Gutshaus. In der Nachschau finde ich heraus, dass der Plattenbau der Schule an das Gutshaus angebaut war und ohne eine Spur entfernt wurde. Das Gutshaus ist nun wieder unversehrt und kann mit seinen Nebengebäuden eine schöne Ensemblewirkung entfalten, sogar jetzt im dichten Nebel. Das Relief wurde vielleicht an irgendeine Scheunenwand gerettet, wenn sowas geht. Passenderweise vielleicht im Rahmen eines Subbotniks.

Eisbeeren im Vorgarten, Königsberg
Eisbeeren im Vorgarten, Königsberg

Im Zentrum des Angersdorfes liegt die Kirche, ganz leicht erhöht und nebelentrückt. Die roten Beeren in manchen Vorgärten haben sich ihre Eisnadeln bis jetzt bewahrt, bis zur Dämmerung dürfte ihnen an diesem Tage nun keine Gefahr mehr drohen. Auf dem Lychweg verlassen wir Königsberg. Hinter einem kleinen Wasserlauf ist er dann stark zugewachsen und erfordert viel Muskelarbeit für die ohnehin schon müden Oberschenkel. Der Nebel zieht sich immer dichter um uns zusammen. Leicht unterhalb liegt eine Kuhweide, an deren Hang zum Weg dickstämmige Eichen wachsen und veritable Schattenspender für das Vieh abgeben, wenn er wieder mal gebraucht wird, der Schatten. Zur Zeit sind weder Vieh noch Schatten da, noch ein Bedarf dafür.

Schemenhafter Kirchriss im letzten Licht, Herzsprung
Schemenhafter Kirchriss im letzten Licht, Herzsprung

Am nächsten Wald gibt es wieder klare Wege und das Tagesziel in guter Griffweite. Hier ist es schon recht dunkel, was die weiß kristallisierten Spinnennetze zwischen Halmen und Zweigen um so atmosphärischer wirken lässt. Ein Beweis mehr für die enorme Belastbarkeit von echtem Spinnengarn, so schwer, wie sie da hängen, wie Colliers. Hinterm Wald liegt passend dazu ein weiß bereifter Acker und wirft das allerletzte Licht des Tages dreifach stark zurück vom Boden. Am kleinen Friedhof erreichen wir Herzsprung, in den Fenstern leuchten schon die ersten bunten Lichterspiele. Die Kirche auf ihrem aufgeräumten Hügel ist nur als Schatten wahrzunehmen, sie könnte so auch tief im südwestenglischen Dartmoor stehen, unweit von Baskerville. Zum Glück bellt jetzt kein Hund – das wurde schon beim ersten Haus erledigt, ein paar Minuten früher.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): kaum praktikabel (werktags ca. 3 Std. mit mehrfachem Umstieg, am Wochenende gar nicht)

Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der Autobahn Richtung Hamburg/Rostock bis Abfahrt Herzsprung (1,25-1,5 Std.)

Länge der Tour: ca. 18 km; die Tour in der Karte hat wegen einiger Unwägbarkeiten größere Abweichungen zur beschriebenen; Weg über die zeitweilige Viehweide Wegpunkte A1-A5, verblassender Weg bei Lellichow Wegpunkte B1-B9; zwischen den Wegpunkten 9 und 10 ist der Weg auf dem Damm leicht verwachsen; zwischen den Wegpunkten 23 und 24 ist der Weg ggf. stark zugekrautet

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Download der Wegpunkte

 

Links:

Ortsinformationen zu Herzsprung

Einsame Brücke auf dem Acker bei Herzsprung

Kattenstiegsmühle

Ortsinformationen zu Königsberg

 

 

Einkehr: Kattenstiegsmühle (mit schönem Biergarten; keine eigene Erfahrung)(ganzjährig, im Winter nur um das Wochenende geöffnet)

 

Grobskizziert – Döberitz: Wegevielfalt und Ginsterpracht in der Döberitzer Heide

Es gibt Landschaften, deren jetzige Einzigartigkeit auf einer eigenartigen Kausalität beruht. Wo vor mehr oder weniger vielen Jahren oder Jahrzehnten die Motoren extrem schwerer Kettenfahrzeuge dröhnten und den Boden vibrieren ließen, so dass es auch für Nichtindianer noch im zivilen Gelände wahrzunehmen war, konnte schon zu diesen Zeiten die Natur einen Grundstein für das legen, was in Zeiten des Stillstands und der Stille wachsen würde. Dort, wo Maschinerie, Munition und die steuernden Hände und Köpfe dazwischen auf bestmögliches Zusammenspiel geprüft und strategisches Handeln in einen konsequenzarmen Probelauf geschickt werden konnte, gibt es heute die sichersten Refugien für zahlreiche Tiere und Pflanzen – eben weil hier eine wirklich gute Motivation besteht, ausgeschriebene Wege nicht zu verlassen, so wie es Schilder alle paar hundert Meter einfordern.

Steg über den Schwanengraben
Steg über den Schwanengraben

So hinterließen die Wirren und Unklarheiten in der Nachwendezeit sowie der mehr oder weniger geordnete Abzug ehemals allierter Truppen bis Mitte der neunziger Jahre zahlreiche, teils enorm weitläufige Flächen, die plötzlich ungenutzt und regelrecht herrenlos waren und auf die sich kein Mensch herauftrauen konnte, dem sein Leben lieb und der noch ganz bei Trost war. Demzufolge konnte die Natur hier zu annähernd hundert Prozent ihr Ding machen, was sie auch tat. Eines der schönsten Sinnbilder dafür kam vor einiger Zeit in einer Reportage vor. Da brütete eine bedrohte Vogelart, die es sonst in Deutschland kaum noch gibt, in einem schwer zugänglichen Platz unter der drehbaren Kanonenhaube eines verrostenden Panzers. Kaum erreichbar für Tiere, die ein paar Nahrungskettenglieder höher stehen. Dicker Panzerstahl, sicherer Schatten und darunter pelzköpfige Küken, die frohgemut und kaum hörbar tschilpen, egal wer da draußen auch herumschleicht oder -schwebt.

Uferweg am Schwanengraben
Uferweg am Schwanengraben

Viele dieser Gebiete sind heute Heideflächen und liegen weiter entfernt von Berlin, wie z. B. das ausgedehnte Areal nördlich von Jüterbog mit dem Keilberg und seiner grenzenlosen Aussicht, der vom Wasser der Havel umspielte Annenwalder Brand westlich von Templin oder die Reicherskreuzer Heide östlich von Lieberose, die im spätesten Spätsommer mit einem unvergleichbaren Teppich aus blühendem Heidekraut bedeckt ist – nur der Heideblüte wegen muss also niemand den weiten Weg nach hinter Lüneburg antreten.

Wellenreicher Hauptweg in der Döberitzer Heide
Wellenreicher Hauptweg in der Döberitzer Heide

Näher an Berlin liegt da die recht kleine Schönower Heide um die Ecke von Bernau und nicht zuletzt auch die Döberitzer Heide kurz hinter der Stadtgrenze bei Spandau. Diese erstreckt sich unmittelbar gegenüber des Olympischen Dorfes, wo ja im Wettbewerb um die Nutzung mittlerweile auch die Natur schneller vorankommt als der Mensch, der sich in Anbetracht des historischen Schwergewichts und der erschlagenden Dimension des Ganzen mit Entscheidungen schwer tut. Was zu verstehen ist.

Aus dem Staub gemacht
Aus dem Staube

Die Döberitzer Heide

Glaubt man leicht verfügbaren Quellen, gab es erste militärische Nutzungen dieser Heide schon vor 300 Jahren. Zu dieser Zeit muss es von Berlin bis zur Havel und weiter nach Döberitz noch eine kleine Tagesreise oder ein forscher Halbtagesritt gewesen sein, wenn man das damalige Wegenetz bedenkt.

Als Truppenübungsplatz groß aufgebaut und fortan regelmäßig benutzt wurde die Heide unter dem Kaiser. Das klärt auch die Frage, warum die Heerstraße von Westend bis zum Berliner Ortsausgangsschild Heerstraße heißt – auf fast 11 Kilometern Länge und über knapp 700 Hausnummern. Gut doppelt so lang reichten ihre verlängerten Geraden vom Berliner Stadtschloss bis zur Döberitzer Heide. Wenn man darauf achtet, fällt ins Auge, dass sie fast auf ganzer Länge in einzigartiger Weise als breite und repräsentative Straße verläuft. Daran hat sich auch durch 28 Jahre Ost- und Westberlin nichts geändert.

Blumiger Grasweg am Hasenheider Berg
Blumiger Grasweg auf dem Weg zum Hasenheider Berg

Während der Olympischen Spiele 1936 musste die Heide für militärische Wettkämpfe herhalten. Gleich gegenüber wurde das erwähnte Olympische Dorf errichtet, das über die Heerstraße perfekt an die Hauptstadt und auch an andere relevante Sportstätten wie das Olympiastadion angebunden war.

Die regelmäßige militärische Nutzung der Döberitzer Heide ging über hundert Jahre, bis 1991 dann Schluss war – und fortan Ruhe im Karton. Nur in Richtung Groß Glienicke gibt es noch ein Eckchen, wo die Bundeswehr bisweilen übt – jedoch ohne scharfe Munition.

Obelisk an der weiten Freifläche
Obelisk an der weiten Freifläche

Was von dieser Periode noch sichtbar ist, verleibt sich die Natur langsam und stetig ein. Am ehesten sichtbar sind noch alte Bunkeranlagen und Panzergräben, die mehr und mehr von Gras, Nadeln und Baumbewuchs überformt werden. Ansonsten bestimmt üppige, vielfältige Natur das Bild.

Döberitz

Es war schon herauszulesen – Döberitz liegt kurz hinter der Stadtgrenze und ist schnell erreicht, ob nun auf breitem Asphalt oder auf schmalem Stahl. Das heutige Döberitz liegt zwischen den alten märkischen Dörfern Dallgow und Rohrbeck, verfügt jedoch selbst über keinen Dorfkern. Das ursprüngliche Döberitz lag weiter südlich war selbst so ein Dorf, bis es Ende des 19. Jahrhunderts schließlich das Pech hatte, inmitten eines preußischen Truppenübungsplatzes zu liegen. Das Dorf durfte zunächst noch stehenbleiben, doch die Geschichte war letztendlich nicht gnädig. Ende der 1950er Jahre zog die Sowjetarmee in die Döberitzer Heide ein. In diesem Rahmen wurden alle damaligen Bewohner enteignet und Döberitz dem Erdboden gleichgemacht, samt seiner Kirche. Die einstige Kolonie Neu Döberitz ist heute das eigentliche Döberitz und vor allem ein Ort des Wohnens, und über dem Grundriss des alten Dorfes mitten in der Heide staksen heute in Abgeschiedenheit große Pflanzenfresser umher, auf dem wohlwollend verordneten Weg in die Selbständigkeit.

Rastplatz und Aussichtsturm beim Obelisken
Rastplatz und Aussichtsturm beim Obelisken

Kurz nach der jüngsten Jahrtausendwende gab es in der Döberitzer Heide noch kein ausgeschildertes Wegenetz, weder für Reiter noch für Radfahrer oder Spaziergänger. Es ließ sich auf gut Glück durch das vorhandene Wegenetz streifen in der Hoffnung, nicht irgendwo auf ein unüberwindbares Hindernis wie einen Zaun oder ein dorniges Gebüsch zu treffen. Das hatte den speziellen Charme, den solche Entdeckerstreifzüge eben haben, und ging in unserem Fall auch ohne großes Verlaufen und zähe Rückwege ab. Mittlerweile ist hier alles sehr geordnet, was aber überhaupt nicht groß auffällt. Trotz des dichten Wegenetzes und der vielen Gatterzäune ist man durchaus der Meinung, sich durch so etwas wie eine stadtnahe Wildnis zu bewegen.

Waldrand entlang der weiten Freifläche
Waldrand hin zur weiten Freifläche

Irritierend sind dabei nur die Flugzeuge, die die Landepiste in Tegel anvisieren, und das zu gewissen Zeiten im Vier-Minuten-Takt. Egal ob Düsentriebwerke oder Propeller – laut sind sie alle in ihrem Landeanflug. Wenn dann aber die Schwarmzeit überstanden ist, erscheint die Stille im Inneren der Heide umso zauberhafter und beglückender.

Schafherde im Konzentrat mit Ziegen-Ammen am Rand
Schafherde im Konzentrat mit Ziegen-Amme am Rand

Unterwegs in der Heide

Der innere Bereich der Heide, die heute „Sielmann Naturlandschaft Döberitzer Heide“ heißt, besteht aus einer sogenannten Wildniskernzone, die von einem mehrfachen Zaun umgeben ist und ausgewilderten Tieren ein weitgehend unbeeinflusstes Entfalten gewährleisten soll. Aktuell gewöhnen sich dort, wie weiter oben erwähnt, schon einige Dutzend großer Pflanzenfresser wie Wisente, Przewalski-Pferde und Rothirsche an das unbehelligte Leben. Rund um diesen ausgedehnten Bereich verläuft der große Rundweg, der ziemlich lang ist (länger als der Weg zwischen Döberitz und dem Berliner Schloss) und bei all seinen möglichen Abstechern und Optionen mit dem Fahrrad am meisten Spaß machen dürfte – ein schöner und erlebnisreicher Tag kann hier problemlos gefüllt werden. Nur sollte die Bereifung nicht zu schmal sein.

Rastbank im Ginster
Rastbank im Ginster

Möchte man diese Landschaft zu Fuß entdecken, bieten sich kleine Runden an, die Fahrland und Kartzow oder Kartzow und Priort mit dem inneren Wegenetz im Bereich des Ferbitzer Bruchs kombinieren, dem feuchten Kontrast zur meistenteils staubtrockenen Döberitzer Heide. Wer jedoch eben diese landschaftlich vielfältige Heide im kleinräumigen Konzentrat erleben will, dem empfehle ich den Bereich nördlich der Wildniskernzone, der zudem mit den Öffentlichen hervorragend zu erreichen ist. Hier lässt sich die Tour alle paar Minuten verlängern, verkürzen oder komplett umkrempeln. Die Ausschilderung hilft beim Variieren.

Sandiger Weg entlang des Wildniskernzone
Sandiger Weg bei der Hasenheide

Es gibt mehrere Möglichkeiten, direkt in die Heide einzusteigen, sei es nun vom Einkaufszentrum Havelpark oder am Südrand von Döberitz bei der Unterführung der Bundesstraße. Da es dann jedoch stundenlang ohne jegliche Häuser, Kirchturmspitzen und Dorfplätze durch die Natur geht, ist ein wenig Ortslage als Kontrast und Abwechslung sehr zu empfehlen. Diese Kombination bietet sich am besten mit dem Bahnhof Dallgow-Döberitz als Ausgangspunkt.

Kesse Lupine am Gitterventil
Kesse Lupine am Gatterventil

Von dort führt ein zauberhafter und schattiger Pfad entlang des länglichen Schwanengrabens, immer dicht am Wasser und an vielen Stellen regelrecht verwunschen. Nach ein paar Minuten Gewerbegebiet und Straßenlärm übernimmt bald wieder der Waldschatten und mit ihm die Natur samt ihren Düften und Tönen – die Bundesstraße ist kaum noch zu hören, und die Flugzeuge ignoriert man so gut wie möglich. Bald steht der erste Übersichtsplan am Weg und der Einstieg in die Heide bevor. Nach ein paar hundert Meter breiten Weges wird es schon bald kuschliger und es kann entschieden werden, welchen Schildern man folgen möchte.

Schöner Waldrandweg am Grunde
Schöner Waldrandweg am Giebelfenn

Die Wege des ausgeschilderten Netzes sind allesamt einladend. Mal verlaufen sie schnurgerade zwischen Waldrand und offener Weite oder kurvig einer sanften Talflanke folgend, mal direkt durch den blumenreichen Trockenrasen oder breit und staubig über Dünenbuckel voll Erika und Kiefern. Oft auch schattig und kühl durch jungen Laubwald oder entlang dichter Eichenreihen. Zur nächsten Wegekreuzung ist es nie sehr weit, und so stellt sich beim planlosem Umherstreifen an jeder von ihnen aufs Neue die schwierige Frage, welchem der einladenden Abzweige man folgen möchte.

Weg in den Wald
Weg in den Wald bei Sperlingshof

Die Vielseitigkeit der Döberitzer Heide zeigt sich auch darin, dass die Landschaften etwa alle Viertelstunde wechseln. Sei es nun der Wechsel zwischen Waldgebieten und offenem Grasland, zwischen konstruierter Wegesystematik und solchen Wegen, die der Beschaffenheit des Reliefs folgen oder zwischen kleinräumigen Abschnitten und der großen Weite rund um den liebesbedürftigen Obelisken. Von hier aus reicht der Blick weit ins Land und lässt im Gedanken durchaus den Vergleich zur Lüneburger Heide aufblitzen. Zwischen Rastplatz und Obelisk verläuft eine winzige und allerliebste Wegschleife auf trockenen Gräsern, die von Optik und Duft her auch auf einer norddeutschen Insel liegen könnte und im niedrigen und warmen Abendlicht besonders schön sein muss.

Große Ginsterweite südlich der Bundesstraße
Große Ginsterweite südlich der Bundesstraße, Nordheide

Die Vegetation ist üppig, vielfältig und reich an Baumbewuchs – Heidekrautflächen sind in dieser Heide jedoch die Ausnahme. Dafür blüht im späten Mai an vielen Stellen großflächig der Ginster, wie wir es bisher nur selten gesehen haben. Ein guter Ausgleich für lila Blütenmeere im September.

Worauf wir noch getroffen sind, das waren eine muntere Schar von Pfadfinderinnen und ein großes Halbrund von hochbeinigen Bienenstöcken mit einem eindrucksvollen Klangteppich aus hunderttausenden Flügelschlägen. Ferner eine im Schatten vereinigte Schafherde mit zwei freundlichen Ammen-Ziegen, die verwaisten Lämmchen zur Verfügung standen. Wer die oben erwähnten größeren Tiere sehen möchte, kann sein Glück südlich vom Natur-Erlebniszentrum versuchen. Zwischen Wolfsberg und Wüste kann man mit etwas Glück ein behuftes Bein, ein beschweiftes Heck oder sogar einen bemähnten Kopf zwischen den Bäumen entdecken. Weniger rar machen sich kleinere Leute wie eben die Wildbienen, Grashüpfer und Schmetterlinge, die im gesamten Gelände für einen charmanten Buschfunk sorgen.

Parkstreifen
Parkstreifen in der westlichen Siedlung Döberitz

Für den Rückweg zum Bahnhof gegen Ende der Tour spricht nichts dagegen, wieder den Uferweg am Schwanengraben zu nehmen. Wer bei seinen Streifzügen weiter westlich bei der Zufahrt nach Rohrbeck gelandet ist, kommt durch ein Wohngebiet und einen hübschen Parkstreifen ebenfalls zurück zum Bahnhof. Dort bieten sich für den großen und kleinen Hunger mittlerweile vier Möglichkeiten zur Einkehr an. Mit etwas Heidestaub im Scheitel.

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der Regionalbahn bis Dallgow-Döberitz (ca. 45 Min.), wahlweise weiter mit dem Bus zum Havelpark

Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der B 5 Richtung Nauen (ca. 45 Min.)

Länge der Tour: wie unten zu sehen 13,5 Kilometer; darüber hinaus beliebig variierbar; Empfehlung: der Rastplatz am Obelisken sollte dabei sein

 

Download der Wegpunkte

 

Links:

Historische Karte der Döberitzer Heide (1936), altes Dorf Döberitz im Zentrum

Sielmann-Naturlandschaft Döberitzer Heide

Einkehr: mehrere Möglichkeiten am Bhf. Dallgow-Döberitz

Grobskizziert – Falkenhagen/Mark: Tausend Schnäbel, sechs Seen und das Krokusrätsel

Wer im zeitigen Frühjahr die Ankunft und Zwischenrast der Zugvögel miterleben möchte, muss dafür nicht unbedingt bis in die Prignitz oder ins Oderbruch reisen. Sehr gut geht das auch in den Ländchen rund um Linum, im Havelland oder zum Beispiel in der wasserreichen Landschaft rund um Falkenhagen, und zwar dem etwas südlich von Seelow. Na gut, da ist man dann auch schon fast im Oderbruch, doch auch ein paar Nummern kleiner haben ihren Reiz.

Hintertürchen zum Kirchhof
Hintertürchen zum Kirchhof

Falkenhagen liegt liebenswürdig eingesenkt in eine dieser schönen Landschaftsrinnen, wie sie im Osten Brandenburgs an mehreren Stellen zu finden sind und die eigentlich alle ganz besonders schöne Landschaften hervorbringen. Relativ bekannt ist das unvergleichliche, bezaubernde Schlaubetal. Doch auch der langgezogene Gamengrund, der sich über vierzig vielfältige Kilometer von den Berliner Randdörfern bis hinauf zum Oderbruch streckt, oder jener besonders waldreiche, der am Kurpark von Bad Freienwalde als Brunnental beginnt, schaffen jeweils ganz eigene, zurückgezogene und gleichzeitig einladende Welten. Den unausweichlichen Bezug zur Eiszeit lasse ich heute einmal dort, wo er gerade ist und bekräftige ihr nur kurz meinen Dank für diese Landschaften.

Buntes Altarraumfenster gen Osten
Buntes Altarraumfenster gen Osten

Auch die Rinne, an der Falkenhagen liegt, zeigt mit etwas Toleranz und ohne zuviel Wissenschaftlichkeit betrachtet eine beachtliche Länge, ist erstaunlicherweise kaum kürzer als das Schlaubetal oder der Gamengrund. Vom Tal der stark mäandernden Spree bei Drahendorf im Süden könnte man ihre Kontur auf einer reichlich überhöhten Reliefkarte vorbei an Briesen, Lietzen und Diedersdorf fast bis an den Rand des Oderbruchs bei Platkow nachfahren, ohne mit dem Finger großartig abrutschen zu können.

Falkenhagener Superlativ im Gesamt-Panorama
Falkenhagener Superlativ im Gesamt-Panorama

Falkenhagen/Mark

Falkenhagen ist von vielen Seen und Teichen umgeben, so dass es hier vermutlich keine Erwähnung wert ist, wenn man vom eigenen Haus aufs Wasser blickt. Nicht zuletzt aufgrund dieser natürlichen Gegebenheit ist das schöne Dorf bestens ausgestattet für angenehmes Verbringen freier Zeit. Mehrere Restaurants gibt es und das Oderlandcamp, das einiges Auf und Ab hinter sich hat und aktuell wohl für eine Falkenhagener Betten-Gesamtzahl von 338 sorgt. Vor allem aber gibt es eine großzügige Badestelle unterhalb eines robinienbestandenen Wiesenhangs – Berg und Tal sind in der Ortslage allgegenwärtig, und die Kirche steht immerhin zwanzig Meter höher als die Stelle, wo man den ersten spitzen Badefuß ins Uferwasser setzen könnte. Gegenüber der Badestelle ankert sogar eine schmale Insel mit mageren Bäumen, die vermutlich an keiner Stelle einem Fuß oder einem Knie festen Boden bietet, doch allemal ein schönes Ziel darstellt für hin und zurück oder „Wer erster da ist!“. Platz für einen sommerlichen Eiswagen auf dem pensionierten Fundament eines mutmaßlichen Kiosks ist auch vorgesehen.

Gänse über dem buchtenreichen Galgsee
Gänse über dem buchtenreichen Galgsee

Auf dem Weg zur Badestelle liegen ein Sportplatz mit sensationellen Tribünenplätzen, ferner ein ansprechender Spielplatz sowie eine Strandmuschel für kleine Aufführungen, wie man sie von Bäderorten am Meer kennt. Nur eben eine Nummer kleiner. Doch so abwegig scheint das nicht, wenn man hier und in der Umgebung einen Tag verbracht hat mit viel frischer Luft – Bad Falkenhagen in der Mark.

Radweg nach Arensdorf oberhalb der Weiherkette
Radweg nach Arensdorf oberhalb der Weiherkette

Die vielen Seen und die Lage des Dorfes in ihrer Mitte gestatten viele Variationen des Lustwandelns oder Spazierens, ohne sich jeweils weit vom Badestrand bzw. der nächsten Möglichkeit für ein kaltes oder heißes Getränk entfernen zu müssen. Die umgebende Natur ist nicht nur einfach schön oder dezent spektakulär, sondern bei aller Kleinräumigkeit von großer Vielfalt. So gibt es verschiedenste Formen von Wald und stille Talgründe, weite Wasserflächen und dichte Feuchtwälder oder Sumpfland, wahlweise auch die große Weite mit stets leicht erhabenen Blicken über umschilfte Weiher und sanft-welliges Land.

Bei Jochenshof
Bei Jochenshof

Für die Verbindungen dazwischen sorgen neben breiten und weichen Wegen auch naturnahe Pfade und zwischen Schwarzem See und Schmielensee ein leicht abenteuerlicher und sehr verspielter Bohlenweg mit zwei stabilen Brücklein und einem kleinen Pass dazwischen. Das war jetzt im zeitigen Frühjahr mit seinen knappen Farbkontrasten schon von spezieller Schönheit und dürfte mit Laub an den Bäumen und Farbvielfalt im Spektrum fast ein wenig berauschend sein, dort nur wenige Zentimeter über dem Nassen über die Planken und durch die Botanik zu wackeln.

Weg zurück Richtung Falkenhagen
Weg zurück Richtung Falkenhagen

Am Beginn des Dammes zwischen Burgsee und Schwarzem See stand einst auf einem Hügel ein Schloss englischer Bauart über dem Wasser. Vom Schloss ist nichts mehr zu sehen, doch der Schlossberg ist noch da samt einigen Pfaden, die hinauf locken. Wer planlos nach Falkenhagen fahren möchte, kann sich am Parkplatz an der Kreuzung nördlich der Kirche die Karte anschauen und auf passende Ideen kommen. Hier ist gut dargestellt, wo am besten langgeht, wer eine, zwei oder drei Stunden unterwegs sein möchte – großartig verlaufen kann sich eigentlich niemand. Fünf Seen stehen bereit zur Umrundung, und von einem einzelnen bis zur Kombination aller fünf stehen alle Optionen bereit. Da sind dann noch nicht die weiten Hügelländer im Westen dabei und ebenso wenig die ausgedehnten Wälder der Falkenhagener Heide im Osten.

Im kleinen Talgrund am Mühlenteich
Im kleinen Talgrund am Mühlenteich

Apropos: wer seinen Wunschweg gegangen ist und womöglich nach so viel Lieblichkeit und Schönheit das Verlangen nach einem kalten Schauer an jedem einzelnen Wirbel des Rückgrats verspürt, kann diesem Verlangen mit einem Abstecher in diese Wälder nachkommen. Zunächst trifft man dort auf hierzulande eher seltene Tannen und Roteichen ebenso wie auf frühjahrslichte Buchen- und märchendunkle Fichtenwälder. Davon abgesehen sind der Wald und die Gegebenheiten stellenweise recht abweisend, was gut so ist und irgendwie passend. Was sich hier verbirgt, zum Teil unter der Erde, ist eine während des Zweiten Weltkrieges geplante und gebaute Fabrik-Anlage mit direktem Bahnanschluss. Hier sollten im großen Stil chemische Kampfstoffe hergestellt werden sollten, im Detail das Nervengas Sarin. Zum großen Glück kam das Ende des Krieges rechtzeitig, um diese Produktion gar nicht erst anlaufen zu lassen. Das einstige Verbindungsgleis von Falkenhagen hinauf zur Fabrik baute die sowjetische Besatzungsmacht im Rahmen von Reparationen ab, so dass nur Fachkundige im Ort selbst noch Spuren dieser Zeit ausmachen können. Auch das ist eigentlich gut so, denn ich finde, man darf die heutige Zeit doch ruhig die heutige Zeit sein lassen, solange die Geschichte nicht vergessen, an sie erinnert wird.

Steg am Burgsee
Brauner Steg am Schwarzen See

Denn einfacher als im teils spröden Gewirr der Waldwege und dennoch unvermindert effektiv geht es auch mit einem Besuch der wuchtigen Kirche, die zwischen den dicken Grundmauern ihres noch wuchtigeren Turmes eine kleine und gelungene Ausstellung zum Thema eingerichtet hat, hier im Herzen des Ortes. Diese bringt es gut auf den Punkt – und lässt einen nach dem Besuch erleichtert aufatmen, wenn sich drei dicke Türen später wieder der freie Himmel hoch über dem Scheitel wölbt und ein Hahn schreit irgendwo im Dorf oder ein davonstiebendes Huhn aufgackert.

Verwirrendes Spiegelschilf am Ufer des Schwarzen Sees

Und was sich unter diesem Himmel zur Zeit so abspielt, führt nun zurück zum Anfang. Allgegenwärtig ist das Hin- und Herziehen der lärmenden Gänsescharen, die sich von all den Seen hier scheinbar am mehrfach taillierten Galgsee mit seinem breiten Schilfgürtel und den flachen umliegenden Feldern am wohlsten fühlen. Die lose Weiherkette Richtung Jochenshof haben wiederum die Kraniche des heutigen Tages als passend ausgewählt, die einmal so nah wie noch nie neben uns auffliegen. Überall in den noch unbelaubten Wipfeln und im Buschwerk entlang der Wege und alten Bahndämme zwitschert und plappert es, die Vielfalt der Stimmen nimmt jetzt von Woche zu Woche rasant zu. Eine Geräuschkulisse wie ein freundlicher Tritt in den Hintern des Winters, auch wenn er sich den jetzt noch nicht klanglos bieten lassen wird.

Plankenpfad zwischen den Seen
Plankenpfad zwischen den Seen

Das unterstützen auch mit großem Einsatz Horden von Schneeglöckchen, die weit entfernt von irgendwelchen Gärten überall hier ganze Flächen weiß färben. Übrigens geht in dieser Hinsicht am nördlichen Ufer des Burgsees im Märzen eine charmante Idee auf, davon abgesehen ein schönes Suchspiel für Groß und Klein, wenn man unterhalb des Waldhanges den Uferweg entlangspaziert. Hier steht am Wegesrand ungefähr alle dreißig Meter ein kesser Krokus, leuchtend im nachwinterwurstigen Waldboden, und nie ist gewiss, ob es vielleicht der letzte war oder doch noch einer kommt. Als dann wirklich keiner mehr kommt, ist der gesamte Boden mit einem Teppich aus Efeu überzogen, der bis fast zum Schlossberg reicht. Da wäre es vielleicht vergebene Liebesmüh gewesen, das Spiel noch fortzusetzen, denn der immergrüne Efeu ist ja nicht nur immergrün, sondern auch höher als so ein Krokus.

Brücke beim Matheswall
Brücke beim Matheswall

Egal, ob man nun auf einer Bank am Wegesrand oder am Ufer sitzen möchte und den ganzen Tag nur gucken, ein Ründchen um einen der Seen spazieren und danach gleich hineinspringen oder sich längere Zeit im Schlurfschritt zwischen den Ortseingangsschildern von Falkenhagen treiben lassen – jede dieser Optionen ist lohnend, besonders natürlich, wenn das Licht schon länger bleibt und keine Mütze mehr benötigt wird. Doch auch zur Zeit der Laubfärbung, bei zugefrorenen Seen oder eben jetzt im spätwinterlichen Vorfrühling mit seinen ersten zarten Düften und vereinzelten Farbpunkten lohnt es, sich hierher auf den Weg zu machen.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): nur wenige und umständliche Verbindungen am Tag (2,25-3 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über B 1 nach Müncheberg, dort Richtung Frankfurt/Oder und in Petershagen links nach Falkenhagen (ca. 1,5 Std.)

Länge der Tour: variabel 5-14 km

 

Download der Wegpunkte