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Bad Freienwalde – Rote Kronen, pfundige Blüten und der Kamin im Schafstall

Der Sommer war nass, der Sommer war kalt, der Sommer war auch heiß und trocken und lang, doch jetzt schleichen sich nach und nach die alten Weiber in die Szenerie. Wehende Weben segeln durch den Wald, die man erst sieht, wenn man sie schon fühlen durfte. Allerhand Früchte wie Eicheln, Bucheckern und erste Kastanien liegen schon am Boden und verleiten Verspielte zum Zickzackgang, um ein paar davon per Sohle aufzuknacken.

Nicht der schlechteste Platz – am Papenteich in Bad Freienwalde

Die Bahn der Sonne hängt insgesamt schon tiefer, in der Folge sieht man in den gemäßigten Randzeiten des Tages dieses unvergleichliche Licht, das zu den Grundqualifikationen des September-Monats zählt. Warm, wohlig, auch etwas nostalgisch – und mit der Bekräftigung der soliden Tatsache, dass die Gluthitze nach heißen Tagen schon etwas früher gebremst wird. Bedauerlich für Sonnenanbeter, besänftigend für Leute, die Spätsommer und Frühherbst genießerisch entgegenblicken.

Waldgaststätte an der Alten Köhlerei

Die Botanik ist allerorten noch in ihrer Üppigkeit zu bestaunen, Vögel hingegen sind kaum noch zu hören. Nur hier und dort wittern schon Eichelhäher und gefiederte Schwarzkittel etwas Morgenluft und krächzen ihren Anspruch auf übernächste Monate in die Waldesstille. An vielen dieser brütend heißen Tage steht die Luft unbewegt, doch zwischendurch gibt es immer wieder solche, wo ein leichter, wohltuender Wind durch Sonnenblumen-Felder oder Waldbäume streicht und jegliches Laub leise rauschen lässt. Mehr und mehr finden sich bunte Flecken in den Kronen, einiges Laub sammelt sich auch schon am Boden und kruschelt unter den Sohlen.

Vor den östlichen Bergen bei Altranft

Wer an solchen Tagen den Halbschatten sucht und zugleich die Seele streicheln will, weil das Leben manchmal ganz schön teigig sein kann, ist rund um Bad Freienwalde gut aufgehoben. Zwar kommt man hier an vielen Stellen durch attraktiv servierte Höhenmeter ebenso ins Schwitzen, doch das ist selbstgewählt und per Aufstiegstempo regulierbar. Die beiden Höhenzüge, östlich nach Falkenberg, westlich nach Altranft, lösen ohne Kompromisse die Versprechungen von Mittelgebirgsstimmung ein, welche der Märkische Bergwanderpark vielerorts verheißt.

Deichweg am Freienwalder Landgraben

Diese noch recht junge Geschichte ist nicht nur bloßes Marketing, um dem Bad vor Freienwalde eine weitere Berechtigung zu liefern. Vielmehr stecken neben beständigem Mobiliar und bester Ausschilderung viel Herzblut, Ideenreichtum und auch eine Prise Humor darin. Dass man neben all den Pfaden, Talscharten und Aussichtspunkten, den steilen Stiegen, Aussichtstürmen und abgeschiedenen Kammwegen auch eine zünftige Baude nicht missen muss, war am heutigen Tag eine willkommene Erkenntnis, ein wunderbarer Neuzugang in der inneren Datenbank der Einkehrorte.

Bad Freienwalde

Bad Freienwalde ist auch so ein Ort, wo altgediente Wegesammler meinen, die meisten Wege schon gegangen zu sein, zumal einer, wo es einen immer wieder hinzieht, und nicht zuletzt eines der Kronjuwelen unter den märkischen Landschaften. Auch an dieser Stelle wieder einen innigen Dank an die letzte Eiszeit!

Im Villenviertel, Bad Freienwalde

Keine zehn Kilometer liegen zwischen Falkenberg und Altranft. Doch in diesem kleinen Waldgebiet von teils dramatischem Relief lassen sich, insbesondere unter Einbindung des flachen, oderzugewandten Vorlandes und des immer wieder überraschenden Stadtgebiets, so viele Spaziertage der besonderen Art finden, dass häufiges Wiederkehren kein Problem ist.

Vom Bahnhof aus fällt vor dem Hang schon die Kirche in den Blick, von der es wiederum nicht weit ist zum Schlosspark. Der ist wegen mitgenommenen Baumbestandes immer noch zu großen Teilen abgesperrt, doch vorbei an der Schlosshöhe ist in wenigen Minuten der Sowjetische Soldatenfriedhof an der Berliner Straße erreicht.

Zaunpfähle in der August-Heese-Straße

Schräg gegenüber links kommt man vom großen Stadtparkplatz zu einer steilen Treppe, landet kurz darauf am höchsten Punkt bei einem eindrucksvollen Mahnmal und steigt sogleich wieder ab zu den Wohnhäusern. Wer sich im Angesicht zahlreicher zu erwartender Aufstiege noch etwas schonen möchte, geht schräg gegenüber rechts zur August-Heese-Straße, die von bemerkenswerten und bemerkenswert schönen Villen und Grundstücken gesäumt ist. Der wilde Wein leuchtet schon in seinem deftigen Rot.

Auch hier ist der Aufstieg spürbar, zugleich gibt es viel zu gucken und eine Ahnung, wie mondän es hier einmal zuging. Unvermittelt endet die Straße, kurz hängt ein Fragezeichen über der Stirn, doch tatsächlich geht es hier weiter. Erst ganz zuletzt zeigt sich der Einschlupf in einen dieser guten alten Abstiegswege, die entlang wettergegerbter Eisengeländer durch eine Geländescharte führen. Erst auf langen, dann steiler auf kurzen Stufen geht es schnell tiefer.

Stiege hinab zum Kurpark

Kurpark

Eine weitere Stiege stößt von rechts hinzu, und kurz darauf steht man vor dem winzig kleinen Kurpark, der bei nahezu jedem Besuch sehr stimmungsvoll ist. So auch heute. Rechts steht das mondäne Gebäude des Kurmittelhauses, auf der anderen Seite wie immer im rechten Licht die ebenso mondäne Villa Papenmühle. Die bräuchte für ihre einzigartige Ausstrahlung nicht den spiegelnden Weiher und die wehenden Vorhänge der Trauerweide, doch sind sie nun einmal da und werden wohl jeden mit einer Art von Kamera zum Zücken veranlassen.

Auch das gefällige Gebäude direkt vor dem modernen Klinikbau passt in diese Kategorie, mit großer Terrasse und einem schnieken Park mit Theatermuschel im Hinterhof. Rechts liegt jemand Jüngeres lang ausgestreckt auf der Wiese und zählt das Blau am Himmel, links lümmelt jemand Älteres auf seinem Rollator und beweist damit, dass das geht.

Septemberlicht im Kurpark

Beim Umrunden des Kurparks kommt man von der Brücke am Papenteich zum Fürstensteig. Direkt am Waldrand wird dieser von einem Bächlein begleitet, das hier noch keine 500 Meter alt ist. Eine erste Stiege lockt mit steilen Stufen hinauf, in Richtung Siebenhügelweg. Doch wir wollen das schöne Brunnental, das seit jeher ohne Bach auskommt, zumindest kurz berühren.

Haus Papenmühle hinterm Papenteich

Brunnental

Auch gilt es zu prüfen, ob wir es schaffen, den schönen Talweg zu verlassen, dem man über Stunden folgen könnte – erst vor Rädikow verlässt er an einem Rastplatz den Wald. Kurz gesagt: es klappt. Vorher bleiben wir gegenüber der Kurfürstenquelle noch kurz am Barfußpfad und dem Spielplatz für Erwachsene hängen, freilich ohne uns in eine der wetterfesten Stallagen zu hängen und das Duracell-Häschen zu geben. Es ist schlichtweg zu heiß, wir sind ganz klar zu träge, und verbrannt wird ja heute im Auf und Ab noch genug.

Märkischer Bergwanderpark – Aufstieg zur Kapelle

Nach nur wenigen Metern weisen Schilder nach links, wo auch gleich eine sagenhafte Stiege beginnt. Steile Stufen, von klobigen Bohlen gehalten, führen in immer neuen Windungen in die Höhe, Halt für die rechte Hand bietet bis zuletzt ein extradickes Tau, das unterwegs nach links wechselt.

Kapelle überm Brunnental

Kapelle

Nach der letzten Stufe erreicht man eine einwandige Kapelle, die auch als pittoreske Ruine irgendwo oberhalb von Sanssouci rumstehen könnte. In den Mauersteinen, welche die Aussicht nach Norden rahmen, finden sich unzählige eingeritzte Namen – mal mit eiligem Nagel und ohne Fingerkraft hingekritzelt, mal fast schon professionell gesteinmetzt. Dieser Ort ist ein schöner, direkter Lohn für den knackigen Aufstieg aus dem Brunnental.

Schattiger Höhenweg überm Brunnental

Ein weiterer Lohn ist der anschließende Höhenweg, der ein schönes Stück oberhalb des Tales läuft, ohne dabei viel von der erklommenen Höhe herzugeben. Links stehen seltsamerweise mitten im Wald vereinzelte Menschen herum, was sich kurz darauf durch den Waldfriedhof Eichenhain erklärt. Der wäre ohne die Schilder kaum zu bemerken, markant sind ferner die Pausenbänke mit winzigem Unterstelldach daneben. Ob das wirklich als notdürftiger Regenschutz gedacht ist, sei dahingestellt. Zur Rechten steigt der Hang steil an, der Weg wird nun gediegener.

An der Alten Köhlerei

Alte Köhlerei

Am nächsten Abzweig wagen wir einen kleinen Abstecher zur Alten Köhlerei, wo einen umgehend der herrliche große Spielplatz mit tollen Gerätschaften und hinreißenden Holzfiguren gefangen nimmt. Doch weiter hinten gibt es, was noch willkommener ist, ein Blockhaus mit großer Essenluke, wo rund ums Jahr wohlschmeckende und ansehnliche Energie sowohl für großes Besteck als auch für Kuchengabeln durchgereicht wird, nur montags und dienstags bleibt die Luke dicht. Den Service betreiben die Stephanus-Werkstätten, und so erfolgt die freundliche Bedienung hier keinesfalls von der Stange.

In der Waldgaststätte Alte Köhlerei

Für wärmere Monate gibt es sehr schöne Außenanlagen, dabei neben mehreren gemütlichen Holz-Pavillonen auch einen großen überdachten Bereich in Gestalt eines Schafstalls, der nach zwei Seiten winddicht ist und sogar über einen wuchtigen Kamin verfügt.

Für kältere Zeiten findet sich direkt neben der Küche ein großer Raum, der sich kaum hinter einer gemütlichen Baude im nächstgelegenen Mittelgebirge verstecken muss – groß und rustikal, mit Wagenrad-Kronenleuchtern und auch hier einem angemessen dimensionierten Kamin. Da freut man sich jetzt schon auf einen Besuch Ende November!

Oben in den Wäldern

Wir sind gerade die einzigen Gäste und genießen die Waldesstille in der hohen Lage. Während des Nachtisches füllt es sich dann langsam und liefert im gut vernehmbaren Theken-Schnack gleich noch die Erklärung, warum es heute so leer ist: unten im Tal ist Altstadtfest, seit gestern schon und zum ersten Mal nach dreijähriger Pause. Und das wird so richtig gefeiert, mit Fahrgeschäften, Live-Musik und allerhand anderem Lärm, mit unterschiedlichen Märkten, Theater und zweitaktknatternder Parade der Simson-Freunde als Ouvertüre des Spektakels.

Weg über die Hügel

Schon nach zwei Minuten biegen wir an einer Sechsfachkreuzung rechts ab, dem „Weg über die Berge nach Altranft“ folgend. Der führt durch vielfältigen Wald, ist wunderschön und wogt in der Tat in ständigem, sanften Auf-und-Ab auf der Höhe entlang. Das Septemberlicht gibt im lichten Wald alles, zugleich merken wir auch dank der steten Brise nichts von der Affenhitze, die jenseits der Wipfel stattfindet.

Höhenweg nahe der Juliusecke

Der Weg ist wirklich hinreißend schön, schlägt enge Kurven, quert Senken und passiert Abzweige, die durch Scharten gen Tal locken. Manchmal staunt man, wie steil der Hang nach rechts hin abfällt, dann wieder geht es durch ein Stück ausgeprägten Hohlweges. Die unterhaltsame Partie endet an einem Querweg, dem wir kurz nach rechts folgen und darauf hoffen, dass an der nächsten Ecke ein links abzweigender Pfad noch sichtbar ist.

Am Kammpfad vor dem Abstieg

Das ist er gerade so, doch bereits nach wenigen Schritten zeigt er sich ausgeprägter. Mehr und mehr wird er dann zum Kammpfad, wenn auch der Kamm recht platt ist. Zwischendurch verschwindet die Spur mal kurz im Kraut und auch ganz am Ende ist ein wadenhohes Brombeergestrüpp zu durchdringen, doch wieder nur für ein paar Meter.

Zusammentreffen am Waldrand

Links wird der Waldrand sichtbar, zugleich der Rand der hiesigen Berge, und ein paar Hütten begleiten den Pfad. Dahinter treten wir hinaus aufs freie Feld und erhalten nun endlich den weiten Nordblick zur Neuenhagener Oderinsel, der im Wald schon hier und da durchblitzte. Im nahen Vordergrund sorgen ziegelrote Dächer für stimmige Farbakzente. Das war ein herrliches Stück Weg in dieser ersten Tageshälfte. Was jetzt noch kommt, wird sich dahinter nicht verstecken müssen.

Katen in Altranft

Bald wird der schattige Waldrand gesäumt von einem überreifen Sonnenblumen-Feld. Viele der gelbgekränzten Blüten sind mustergültig, jede dritte hat grad Besuch von einer Hummel, deren sich keine von irgendeinem Paparazzo irritieren lässt. An einzelnen, übermannshohen Stämmen hängen mit Blick zum Boden riesige Blüten, prall voller Körner, doch ohne ein einziges gelbes Blatt. Geschätzte fünf Pfund wiegt die schwerste von ihnen.

Lindenbank an der Kirchwiese, Altranft

Im Spiel von Waldhang, Wegkurve und Feld voller Köpfe ergeben sich immer wieder Rückblicke solcher Art, wie man sie im September sehen möchte. Die Sonne schon tiefer, die nachmittägliche Luft leicht dunstig und die Farbkomposition aus allem einfach nur wonnig und augenschmeichelnd.

Schlossparkmauer und Brücke über den Landgraben

Altranft

Kurz vor dem nächsten Dorf verschwindet einer der Gablungswege im Wald und erreicht bald in einer schönen Hohlgasse die ersten Häuser. Eine sonnige Abendbank für langer Tage müde Knochen steht bereit. Vorn saust mit wiederkehrendem Hornprusten einer der kleinen Züge vorbei, eilig auf dem Weg nach Wriezen.

Schloss Altranft

Der große Parkplatz zum Oderbruchmuseum ist fast leer, naja, Altstadtfest in Bad Freienwalde, oder es ist einfach schon zu spät. Entlang der fürs Oderbruch charakteristischer Katen streben wir dem Spitzhelmchen der Kirche zu und genießen die Steigungsfreiheit dieser Tageshälfte.

Deichweg am Landgraben

Auf dem wiesengrünen Dorfplatz bei der Kirche steht eine betagte Linde mit hoher Krone und schattiger Halbrundbank am Stamm. Doch das nächste Päuschen soll am Wasser sein, also noch weiter. Auch den schönen Schlosspark lassen wir heute da, wo er ist, und schlurfen auf dem urgemütlichen Schleichweg entlang der Parkmauer bis zum Brücklein über den Freienwalde Landgraben. Das Wasser ruht unter lückenloser Entengrütze.

Ebereschenallee auf dem Deich

Die Schafe vom Schlosspark haben heute frei oder sind sehr gut im Verstecken, doch der Blick auf die Rückseite des Schlosses ist selbst ohne sie ein schöner. Jenseits der Landstraße beginnt nun ein anmutiger Deichweg, dem auch der ferne Lärm der nahen Landstraße nicht viel von seinem Reiz nehmen kann. Schattig von kleinen Bäumen bestanden, hinter denen schon bald der Schilfgürtel des Landgrabens sichtbar wird und es teilweise bis hoch zur Wegspur schafft. Das Vernügen ist von längerer Dauer und erfüllt ebendiesen Wunsch.

Freienwalder Landgraben am Stadtrand

Bei der ersten Brücke ergibt sich endlich der erhoffte Platz für die letzte kleine Rast, Schwindelfreie können ganz gut auf dem Geländer hocken. Hier beginnen nun auch die Wochenendgärten, deren jeder einzelne ein Glücksgriff ist von seiner Lage. Apfel- und Birnenbäume hängen ächzend voll, hier und da halten sich auch noch ein paar vollreife Pflaumen.

Deich über den Kleingärten, Bad Freienwalde

Auf den letzten Metern liegen unten am Ufer große Kürbisse und erwecken den Anschein, dass jeder am nächsten Morgen ein bisschen woanders liegen könnte. Irgendwo von ferne lässt sich wieder mal ein Kranichpaar hören, das war lange nicht und macht schon Vorfreude auf die Geräuschkulisse der Gänseschwärme, die abends von ihren Futterplätzen zum Nachtquartier wechseln.

Ufergemüse

Herrliche Ansichten und Lichtspiele ergeben sich und es ist wahrhaft ein rechtes Schwelgen, hier entlangzugehen. Das Wasser selbst ist nur ganz selten mal zu sehen, doch es fehlt nichts. Wenn man den Schritt nur etwas drosselt, lässt sich der Genuss auf eine volle Stunde ausdehnen. Und wenn man den besonderen Bäumen am Rand jeweils etwas Aufmerksamkeit schenkt, bedürfte es nicht mal dieser Drosselung. Durch regelrechte Hohlgassen geht es, später auch entlang einer kurzen Allee von Ebereschen, die gerade voller roter Beeren hängen. So etwas haben wir noch nicht gesehen.

Kurz vor Bad Freienwalde

Bad Freienwalde

Die große Baustelle, die schon seit Längerem für allerhand Einschränkungen sorgt, besteht noch immer. Nach dem Unterqueren einer neuen Brücke ist bald die Ladestraße hinterm Bahnhof erreicht, das Fest tönt fern herüber und man meint schon Popcorn und Langos von den Festbuden zu riechen. Vom Bahnübergang ziehen die Massen gen Markt, wo tüchtig die Post abgeht. Die Blumenampeln am Platz sind so großzügig bemessen, dass sie in all der Buntheit und Ablenkung keinesfalls untergehen.

Altstadtfest Bad Freienwalde

Wir bahnen uns den Weg durch die Menge und freuen uns nach ein paar Denkschleifen darüber, dass man wieder einfach so dicht aneinander vorbeigeht, dass viele Menschen ein Fest besuchen können, dass das einfach so geht. Aufs Verweilen, Schnabulieren und Stöbern an sonen und solchen Ständen haben wir heute keine Lust, dazu ist der Kontrast zum bisherigen Tag irgendwie zu markant. Doch es ist schön, dass das Fest gut besucht ist, wieder stattfinden kann und dass das hübsche Bergstädtchen von buntem Leben erfüllt ist.

Freienwalder Schloss

Ein letzter Anstieg steht noch aus, Bad Freienwalde kann so was ja auch bestens im Stadtgebiet. Also biegen wir an der hübschen Fachwerkkirche, die heute eine Konzerthalle ist, ab und erklimmen vorbei am schönen Hof des Kindergartens der „Gartenkinder“ die Schlosshöhe. In dem hübschen Bau, der wie ein feines Stück Torte dasteht, heiratet heute irgendwer oder feiert sonstwas. Alle die rauskommen oder reingehen, sind in Schale geworfen, ungeachtet der Temperatur respektive Schwitzgefahr. Man kann sich ja extrem langsam bewegen und so Gröberem vorbeugen.

Vorbei am Teehäuschen ist gegenüber schon die erwähnte steile Treppe vom Anfang zu sehen, darüber durchaus eindrucksvoll der ansehnliche Turm auf dem Galgenberg, in seiner Halskrause ein paar Anwärter auf das hiesige Turm-Diplom. Dank der hohen Lage des Schlosses verschwindet mit jedem Schritt hinab ein Dezibel vom Festtreiben, bis unten an der Straße nichts mehr übrig ist.












Anfahrt ÖPNV (von Berlin):
von Berlin-Gesundbrunnen mit Regionalbahn, umsteigen in Eberswalde (ca. 1-1,25 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): B 158 nach Bad Freienwalde (ca. 1-1,25 Std.)

Länge der Tour: ca. 16 km (Abkürzungen vielfach möglich)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Bad Freienwalde

Turm-Diplom

Alte Köhlerei

Einkehr: Waldgaststätte Alte Köhlerei, oberhalb von Bad Freienwalde
Gaststätte Kolberg, Altranft
Schloss-Café, Altranft
China-Restaurant Sachsenhof, Altranft
zahlreiche Möglichkeiten im Bad Freienwalder Stadtgebiet

Berliner Spaziergang – Kreuz-/Schöneberg: Bienenkraut, stilles Blau und der Knick im Kanal

Der Sommer feiert sich selbst im ganzen Land und hat durch den steten Wechsel von Sonnenkraft und Wolkenbruch eine Farbenfreude und Üppigkeit wie schon lange nicht mehr. Die Vielfalt aller erblühten Pflanzen lässt kaum einen Farbton ungenutzt und der Duft aus reifem Korn und blühenden Linden wird von einer steten Brise durch Gärten und Landschaften getragen, wo er seinen jeweils letzten Schliff erhält. Es ist ein Sommer der Düfte, so viel ist klar.

Engelbecken

Freie Tage, lange Wochenenden oder ganze Urlaubswochen lassen sich in den meisten Gesichtern ablesen, die wunderbare Entspannung in so vielen Dingen ist nahezu greifbar, ein geschmeidiger Seelenbalsam nach dem ganzen Bangen und Zweifeln, was die Ferienzeit betrifft. In den Städten sind die Parks gut gefüllt, die Stimmung friedlich und ohne große Fragezeichen. Die momentanen Möglichkeiten werden ergriffen, umarmt und gewürdigt, zugleich noch besonders und schon wieder normal empfunden.

Streetart an der Bülowstraße

In der größten Stadt an der Spree sind nun wieder Hartplasterollen auf Gehwegpflaster zu hören, dazu ein paar mehr Sprachen von außerhalb und die auch öfter. Touristen von da und dort ertasten zaghaft die besuchte Stadt, die noch nicht ganz auf voller Fahrt läuft. Und scheinen auf eigene Faust ganz eigene Reize zu entdecken, die eher nicht in Damusstehin-Empfehl-Büchern stehen, sondern der ganz eigenen Neugier entspringen, vielleicht befeuert von Freundestipps über drei Ecken.

Im Park am Gleisdreieck

Für Leute von hier ist dieser Sommer eine ganz besondere Möglichkeit, ihr Städtchen selbst unter Lupe und Latsch zu nehmen – nicht so beklemmend stillgelegt wie noch vor wenigen Monaten, doch auch noch nicht so hackentretend überfüllt, wie es beliebten Touristenzielen eben beschieden ist. Alle Botanik ist saftig, grün und voll Volumen, die Tierwelt dem Anschein nach präsenter als gewöhnlich.

Am Urbanhafen

Wer die vielen grünen Korridore nutzt, kann so auch stundenlang flanieren, ohne klimatisch in Bedrängnis zu geraten. Ein kühler Ayran, die beste Wahl für heiße Tage, oder ein zapffrisches Blondes mit oder ohne Geschmack oder Umdrehungen ergibt sich in regelmäßigen Abständen, die Dichte der Gelegenheiten nimmt freilich in Richtung Speckgürtel nach und nach ab, der Literpreis im Gegenzuge eher zu.

Bunter Mittelstreifen auf dem Tauentzien

Ostbahnhof

Der Vorplatz hinter dem Ostbahnhof war zu besten Lebzeiten des Kaufhauses erfüllt von einem beschaulichen Markttreiben mit Klamotten, Kartoffeln und Krimskrams. Das ist über die Jahre eingelaufen zu einer kurzen Zeile von Nahrungshändlern, die ein Quäntchen Vertrauensvorschuss voraussetzen. Eine schöne Zusammenfassung des jetzigen Vorplatzes bietet das Schild des orangenen Containers „Bei Joe/Pizza Picos, Deutsche Küche/Pizza Pasta Cocktails“, das bei voller Außenbestuhlung und offenem Schirm durchaus einladt. Die Quoten-Grünpflanze und der beigestellte Touri-Zocke-Geldautomat machen das Service-Pack komplett – mehr bracht man erstmal nicht, wenn man nach langer Zugfahrt aus dem Bahnhof gefunden hat.

Kirchblick von den Bikini-Terrassen

Das Kaufhaus, das dem Ostbahnhof in der Vergangenheit zu einigem Gewusel verhalf, war während der letzten gut zehn Jahre der DDR das modernste und größte aller Centrum-Warenhäuser, geriet aber zuletzt durch die jüngeren Kaufgewohnheiten ins Hintertreffen, wurde von Jahr zu Jahr stiller und letztlich stillgelegt. Nach dem chassiserhaltenden Umbau trägt der große Quader jetzt neben viel Fassadenglas einen Namen, der dem Zeitgeist genügen soll. Diesem und den genannten Kaufgewohnheiten entspricht auch der aktuelle Hauptmieter, der auf seine Art auch wieder ein Kaufhaus ist.

Neu verputztes Centrum-Warenhaus am Ostbahnhof

Luisenstädtischer Kanal

Von der Schillingbrücke fallen in beide Richtungen spannende Flussblicke, nach Osten zur schönen Oberbaumbrücke und dem Treptower Park, in die andere Richtung hin zum Fernsehturm und der Wiege Berlins. Jenseits der Spree lässt sich schon bald unter die Straßenebene abtauchen, wie das in Berlin nur an wenigen Stellen so reizvoll möglich ist. Vor langer Zeit teilte sich der Luisenstädtische Kanal mit der Spree und dem Landwehrkanal das Wasser und stellte zwischen beiden eine Kanalverbindung von markanter Form dar. Das ist nicht ohne Grund so, denn hier hatte wieder einmal der Landschaftsarchitekt und Stadtplaner Lenné seine fähigen Finger im Spiel. Er wollte nicht nur eine pragmatische Abkürzung, sondern im selben Streich ein Stück städtisches Schmückwerk, das einem neuen Stadtviertel seine eigene Note verleiht. Der Plan ging auf und brachte für längere Transportschiffe die Herausforderung mit, auf dem kleinen Engelbecken im Winkel von neunzig Grad abzubiegen.

Die Spree am Ostbahnhof

Einiges später kamen nach drei entstellenden Jahrzehnten als Schuttdepot und Todesstreifen Arbeiten in Gang, die dem Kanalverlauf bereits sechs Jahre nach dem Mauerfall große Teile seiner einstigen Anmut zurückgaben, wenn auch ohne Wasserweg. Weitere folgten mit den Jahren, und mittlerweile kann man vom Urbanhafen bis kurz vor der Spree spazieren und wird dabei nur von einer größeren Straße unterbrochen.

Der Luisenstädtische Kanal auf dem Trockenen

Nur wenige Stufen sind es jeweils von der Straße hinab zum Grund des Engelbeckens, das gern synonym für den sperrigen, wenn auch schönen Kanalnamen verwendet wird, doch diese Stufen entführen in eine andere Welt. Würde man nicht ab und an den Kopf heben, ließe sich glatt vergessen, dass mitten durchs dicht besiedelte Kreuzberg spaziert wird. Blickfangend ist im ersten Teil die Thomaskirche mit ihrer großen Zylinderkuppel, später dann die Michaelkirche mit ihrer markanten Fassade, in deren Schiff unter freiem Himmel das Pfarrhaus und eine größere Wiese zu finden sind.

Engelbecken mit bewirtschafteter Terrasse

Engelbecken

Am Platz vor der Kirche liegt nahezu quadratisch das eigentliche Engelbecken, die einzige Stelle des Kanals, auf der Schwäne und Enten schwimmen können, ohne Staub aufzuwirbeln. Dafür haben sie reichlich Platz, denn eine Umrundung beansprucht mindestens fünf Minuten, immerhin. Wer die Vogelwelt oder auch die anderen Gäste ausführlich studieren möchte, kann sich auf ein kaltes oder heißes Getränk ins Café setzen.

Falls man nun gar nicht so weit gekommen oder nach dem Umrunden des Engelbeckens wieder auf dem Bethaniendamm gelandet ist, muss der Kurs nicht korrigiert werden, denn schon bald lockt ein kleiner Einschlupf in den Nachbarschaftsgarten Ton-Steine-Gärten. Dieser bietet nicht nur den beteiligten Gründaumen Seelenfrieden und innere Rast, sondern auch durchreisenden Besuchern vielfältige Eindrücke sowie verschiedensten Sechsbeinern Speis und Trank.

Nachbarschaftsgarten hinter dem Haus Bethanien

Der bunte Nutz- und Bauerngarten ist nicht groß, doch eine ganze Reihe krautiger Pfade führt hindurch und erweckt den Wunsch, nicht einen von ihnen zu verpassen. Köstlich duftet es von überall, würzig vermischt sich mit duftig und streng mit aromatisch. In den Blütenständen verschiedenster Gestalt tummeln sich weit mehr als die drei Schmetterlingsbildnisse, die man eben so kennt, oftmals teilen sich Summende, Schwebende und Flatternde oder auch Käfernde dieselbe Stängelei. Bei Leuten, die gern kochen, werden sofort einige Ideen für morgen durch den Kopf geistern.

Großnasige mit Niederdruck am Mariannenplatz

Mariannenplatz

Vor dem Haus Bethanien mit seiner hellen, detailverliebten Fassade erstreckt sich breit der Mariannenplatz, auf dem sich über viele Jahre manch chemisch erzeugte Träne ihren Weg gebahnt hat, bevorzugt um Anfang Mai herum. Heute liegt auch hier der Sommer mit seinem Frieden über dem Tag, wird sich gesonnt oder mit den Kindern Ball gespielt. Von weiter hinten ist ein gedämpftes Problemgespräch zu vernehmen, das trotz seiner Leisheit plakativ wirkt und einer Spontanperformance gleicht. Würde durchaus passen. Immer wieder besuchenswert sind auch die wackeren Feuerwehrleute am Brunnen mit ihren dicken Sattelnasen. Der Wasserdruck reicht heute nur bei einer der beiden Spritzen für einen schönen ballistischen Bogen.

An der Adalbertstraße beginnt nun einer der Teile von Kreuzberg, der Türkei-Liebhaber vielleicht ein bisschen in Urlaubsstimmung versetzen kann. Zwischen unzähligen Kneipen, Bars und Restaurants mit bunten Namen und einfallsreichen Fassaden gibt es immer wieder orientalische Impressionen, die dem laufenden Publikum und den Sprachfetzen, den Düften der Gemüsemärkte und Imbisse sowie der Stimmung insgesamt geschuldet sind. Es ist noch immer so besonders hier, wie es das kurz nach der Wende oder überhaupt schon immer war.

Am Kottbusser Tor

Kottbusser Tor

Gegenüber des Dönerladens mit der schärfsten Soße überhaupt liegt fast übersehbar ein kleiner Hof mit Wasserspielplatz, der gleichberechtigt auch das Friedrichshain-Kreuzberg-Museum beherbergt. Eine winzige Oase im lauten Gewühl des Verkehrs rund ums Kottbusser Tor, dessen Kreisverkehr auf ewig eine gewisse Unsicherheit beim Abbiegen mitbringt, egal ob man nun auf dem Rad oder im Auto unterwegs ist.

Wer direkt zwischen Unterführung und Kreisverkehr Hunger bekommt, muss sich nicht wundern bei all den Düften. Schwierig dürfte jedoch die Entscheidung fallen, denn hier lagern dicht an dicht zahlreiche Imbisse mit unentrinnbaren Argumenten für Nase und Auge, die schon beim bloßen Schauen direkt an die Zunge durchstellen. Der Gemüsestand mit den weitläufigen Auslagen tut sein Übriges.

Wenig Verkehr in der Admiralstraße

Jenseits der Skalitzer mit ihren Verkehrswirbeln gibt es zur Admiralstraße eine weitere Haus-Unterführung, hinter der es nun wieder herkömmlicher aussieht, auch die Welt der Düfte betreffend. Hinter einer hohen Sanduhr mit in Blech geschlagenen Charakteren drumherum und der Architektur jüngerer Jahrzehnte ist schon die Admiralbrücke zu sehen, auf der zu dieser frühen Mittagsstunde noch kein Mensch sitzt. Beim Späti fragen wir nach einem kalten Ayran, bekommen stattdessen einen Döner angeboten und zuletzt den Wunsch mit auf den Weg, die Sonne zu genießen.

Breiter Blick auf das Urban-Hafenbecken

Urbanhafen

Rund um den Urbanhafen wird auf der Hafenmauer sitzend oder auf den Uferwiesen fläzend neben der Sonne gleich der ganze Tag genossen, verquatscht oder einfach nur vertan, und wie immer steht hier am weiten Hafenbecken eine große Schar von Schwänen, die sich teils versammeln, teils unters Volk mischen. Schatten gibt es genau so viel wie Sonnenplätze, Angebot und Nachfrage passen aufeinander. Nur selten quatscht jemand lauter als nötig in sein Endgerät, ebenso selten wird auf seinen Weg bestanden, wenn ein Ausweichen nötig ist. Keine verbiestert rammelnden Stromräder, allenfalls genießerische Zügigkeit aus der eigenen Wade. Die Kreuzberger Entspanntheit fühlt sich echt an im Vergleich zu einzelnen anderen Kiezen, wo die Selbstpräsentation bereits in Fleisch und Blut übergegangen ist und den eigentlichen Menschen überlagert. Es ist durchweg angenehm.

Hafenkiosk mit Räumlichkeiten

Schwierig wird es nun, am Hafenkiosk des fest vertäuten schwarzen Zweimasters vorbeizukommen. Wir verschwenden keine Kraft mit Gegenwehr und finden einen der vielen schönsten Plätze mit Wasserblick. An den Nebentischen wird auf besonders schattigen oder besonders sonnigen Plätzen gelesen, palavert oder mit loser Hand skizziert. Auch zeigen junge Leute ihren Eltern aus der ferneren Provinz die schönsten Seiten ihrer neuen Heimat, Kreuzberg is gar nicht mehr so, küssen Großmütter feucht die Wangen ihrer zu langsam weggedrehten Enkel und wissen ihren Kindern guten Rat für dies und das. Dennoch finden die niedersächselnden Besucher wortreich, dass es doch nirgends so schön ist wie in Hannover.

Blick von Bord des vertäuten Zweimasters

Mehrfach wird am Ausschank das bestellt, was die Dame da zwei vor mir hatte, das sah so köstlich und erfrischend aus oder auch so frisch und knackig. Gemeint waren unter anderem der Eismilchkaffee oder die herrlich-farbenfreudige Salatschale aus Blättern, Körnern und Bohnen. Unter Deck werkeln elegante Thresenmänner, an der frischen Luft darf jeder Platz gewählt werden. Auch der, wo Kate-Winslet einst auf der Titanic stand. Drum herum und zwischendrin fliegen die stillen Schwalben ihre gewagten Manöver, etwas vor der Uferkante quäkt der Blesshuhn-Nachwuchs seine vorwurfsvolle Laute.

Hinter der Baerwaldbrücke teilt sich die Straße und lässt einem breiten Mittelstreifen Raum. Gleich zu Beginn darf eine kunterbunte Wiesenfläche in die Höhe krauten, nicht viel größer als zwei Klassenzimmer. Vom Pfad zwischen den beiden Pforten können halbwegs Geduldige auch hier eine große Vielfalt an Bienen und dergleichen entdecken und nehmen als Andenken vielleicht einen echten Mückenstich oder einen Brennesselbiss mit. Mehr und mehr gibt es solche Flächen kleiner Wildnis in der Stadt, bei denen es weniger auf Größe als auf gleichmäßige Verteilung ankommt. Angenommen werden sie gut, wie klar zu sehen ist.

Gern besuchter Insekten-Garten

Hinter der Kindervilla Waldemar mit ihren schattigen Spielflächen liegt einer der schönsten Biergärten am Kanal, der leider vor Kurzem abbrannte und erst wieder aufgebaut werden muss. Schräg gegenüber der Heilig-Kreuz-Kirche, die nicht nur als Gotteshaus dient, liegen drei Friedhöfe, die tagsüber einen ruhigen Durchgang zum Mehringdamm gestatten, zu anderen Zeiten ist die südlich verlaufende Baruther Straße eine gute Alternative. Wer die Augen ein bisschen aufsperrt und mit der Berliner Historie grundlegend vertraut ist, kann auf den Grabsteinen einige Namen entdecken, die direkt und nachwirkend mit der Stadt zu tun haben. Anmutige Grazien klappern auf Omas altem Rad über den Friedhof, gerade schnell genug, damit das offene Haar links und rechts des versonnenen Blickes schon etwas weht.

Mehringdamm

Nach dem Verlassen des Friedhofs auf dem lärmigen Mehringdamm ist gegenüber die Kastellburg der Dragoner-Kaserne kaum zu übersehen, die ein wenig nach Lego aussieht und heute das Finanzamt beherbergt. Dahinter liegt das Dragoner-Areal, um das seit längerem hart verhandelt wird – mit Erfolg, zumindest teilweise, denn Sozialwohnungen wurde hier dem Vernehmen nach der Vorzug gegenüber Luxusappartements gegeben, so sagt es ein gewichtiger Vertrag.

Park am Gleisdreieck Nahe Möckernkiez

Am ersten regulären Wohnhaus steht gewunden eine Schlange, so lang, wie sie noch vor zwei Monaten an den Teststellen zu sehen waren, als wieder ging, was lange Zeit nicht ging. Als ein positiver Test mehr Mehrwert brachte als nur im Baumarkt die dringend benötigten Schrauben zu erwerben oder das Teflonband zum Abdichten des lecken Rohrs. Hier geht es konkret um einen Gemüsedöner, der entweder richtig gut ist oder in einem dieser Bücher steht, die jetzt so langsam wieder an Gewicht gewinnen.

Wer das wohl im letzten knappen Jahr im Blick behalten hat, wo man unbedingt gewesen sein muss oder wo unbedingt hineinzubeißen ist? Wer Trends beobachtet hat, wo gar keine Leute waren? Oder einfach erfinderisch genug war und tatsachentolerant? An der gleich benachbarten Currywurst-Legende jedenfalls wartet kein Mensch, ebenso beim gewöhnlich gut besuchten Döner Ecke Yorckstraße.

Historische Ladenstraße des Technik-Museums am Gleisdreieck

Hinterm Rathaus Kreuzberg, das genauso aussieht, wie man es sich vorstellt und so ganz anders als das zinnenbewehrte Finanzamt um die Ecke, geht die Yorckstraße in ihre erste Biege. Zu Fuß kann man problemlos geradeaus auf der Hornstraße weitergehen, deren begrünter Mittelstreifen Schatten, Spielplätze und gelangweilte Bildschirmrumwischer auf Bänken bietet. Deren fließende Sitzhaltungen zeigen an, dass die berockte Großmutter ganz weit weg ist und ihnen daher nichts husten kann.

Wie ein Entree liegen mit einem Mal die extrabreiten Stufen zum Park am Gleisdreieck da. Oben gibt es einen herrlichen Niederflur-Kletterwald voller Stangen, zwischen diesem und dem Imbiss schon wieder eine kleine wilde Insel für Insekten, voll hüfthohen Krautes. Allein im Stangenwald ließe sich mit Kindern gut ein halber Schultag füllen, ein paar Meter weiter liegt dann entlang der Wiesenterrasse noch einen Streifen voller Entdeckungspotential. Anstatt Spielgeräten gibt es hier etwas Relief und liegende Stämme, verschiedene Untergründe und Wasser, Platz für Platsch und Mansch und dazwischen allerlei Pflanzen und Getier.

Im Park am Gleisdreieck

Möckernkiez

Direkt benachbart ist der relativ neue Möckernkiez, der in der Planung sicherlich gut gemeint war, aber so gar nicht nach seinem gemütlichen Namen aussieht. Insgesamt wirkt er blutleer und hat ein paar schöne Chancen verschenkt, was insbesondere in der charaktervollen Nachbarschaft zum Gleisdreieck-Park auffällt. Davon abgesehen dürfte eine Wohnung hier trotzdem ein Treffer sein.

Zum Park am Gleisdreieck muss nichts gesagt werden – in allem Neuentstandenen in Berlin findet sich hier ein einzigartiger Ort, der mitten in der Stadt so weitläufig sein darf, so viele Gesichter trägt und herrliche Blickachsen öffnet. Hier kann man sich herrlich verlieren oder einen schönen Platz finden und diesen für Stunden nicht verlassen.

Umschlossen von seinem Areal ist das Technikmuseum, von dem eigentlich immer irgendetwas heraussschaut. Zwischen Festplatz und Landwehrkanal spannt sich schnurgerade die sogenannte Historische Ladenstraße. In zwei Zeilen von Lagerhäusern mit langen Vordächern parken in dieser nahen Außenstelle des Museums unzählige verschiedene Geräte zum Bewegen von Menschen und Waren.

Im Schankgarten Eule

Die Straße endet vor dem Kanal am emporragenden Rotorblatt eines Windrades, sicherlich nicht dem derzeit größten und dennoch sehr eindrucksvoll. Eine Fahrradbrücke führt über den Landwehrkanal zum Parkteil am Anhalter Bahnhof, das dortige Tempodrom mit seinen Dachzacken war vorhin schon gut zu erkennen. Doch heute bleiben wir südlich des Kanals und spazieren auf der Luckenwalder Straße zum seltsam verloren gelegenen Eingang zum Kreuzungsbahnhof Gleisdreieck, an dem die meisten ja eher umsteigen.

Gleisdreieck

Verloren ist hier heute gar nichts, denn unzählige Rucksackler aus aller Welt bzw. in alle Welt stranden hier für eine knappe Stunde oder mehr. Der Grund ist eine der Teststationen, wo man kurzfristig das große Besteck der Testerei, sprich einen PCR-Test, machen kann, der Verbleib gestattet, verordnet oder eben Weiterreise möglich macht.

Weg zum Bülowbogen

Unter der U-Bahn-Trasse führt ein Durchschlupf zurück ins Parkgelände mit seinen verschiedenen Spielflächen für Kurz und Lang. Zwei Hochbahntrassen in Reihe liegen voraus, so dass fast zu jeder Minute ein schnell kriechender gelber Zug zu sehen ist, der mit dem unteren oder oberen Gleisdreieck-Bahnsteig zu tun hat. Dass die U-Bahn hier so gar nichts mit U zu tun hat, stört da überhaupt nicht. Die nördliche Hochtrasse klemmt eng zwischen neuen Häusern des teuren Segments und lässt damit einige Fragen offen.

Neben den rollenfreundlichen Asphaltbändern gibt es immer wieder offenen Schotter und Sand, aber auch große Holzterrassen und weite Wiesen, so dass hier gut vergnüglicher Sport getrieben werden kann, zugleich aber auch verschiedenste Kleinstbiotope im Spiel sind. Im Kontrast zu den offenen Flächen steht der herrlich schattige Waldspielplatz an der Kleingartenkolonie, die in ihrem Noch-Immer-Bestehen in dieser Lage selbst ein kleines Wunder ist und an ein gallisches Dorf denken lässt. Oder einfach Glück gehabt hat.

Amerikanische Kirche im Bülowbogen

In einem Dschungel aus üppig bewachsenen Pflanzenkübeln und mannigfaltig verbauten Holz-Paletten, vertischten Kabelrollen und aus Holzresten generierter Bestuhlung kann man sich im Café Eule einem wohltemperierten Päuschen hingeben, mit Sicht auf die Parzellen. Ganz am Rand des gepflasterten Areals steht ein Kiosk, wo es eine bunte Mischung aus allem gibt, was Kehle und Gaumen zur Sommerzeit erfreut. Zu empfehlen an heißen Tagen sei besonders die eiskalte, frisch gepresste Zitrone, auch die Optik des Kuchens hält, was sie verspricht.

In der Bülowstraße

Bülowbogen

Den südlichen Rand der Schrebergärten markiert die Hochbahntrasse, unter der man zum Bülowbogen durchkommt. Auch hier gibt es wieder eine großzügige Bienenweide, entlang der Rampe zum kleinen Skaterpark. Der Bülowbogen, den manche noch mit dem Namen Pfitzmann verbinden werden, umschmiegt die Amerikanische Kirche auf dem Dennewitzplatz. Auch hier steht eine Schlange an, ähnlich lang wie die vorhin, doch mit höherem Altersdurchschnitt. Und hat nichts zu tun mit Reiseführern für Berlin, denn hier gibt gerade eine der zahlreichen Tafeln aus, was übrig blieb.

Streetart in der Bülowstraße

In der Alvenslebenstraße stoßen wir überraschend auf die Kirchbachspitze, einen lehmbraunen Kletterfelsen des DAV mit Gipfelstange, derzeit gesperrt. Ihr alpin-reales Gegenstück ist in der Texelgruppe in Südtirol zu finden und liegt gut dreitausend Meter höher. Was ja jetzt auch nicht so viel ist. Gleich gegenüber des Gipfels geht es los mit der großflächigen Straßenkunst, welche die nächste Viertelstunde begleitet. Der Detailreichtum ist groß, die Fassade kommt dem zum Teil sogar dreidimensional entgegen.

Weitere Streetart ein paar Schritte weiter

Galerie Bülowstraße

Die Steinmetzstraße wurde als Promenade gestaltet, ist weitgehend verkehrsfrei. An der Ecke stehen zweimal zwei Brunnen, die allesamt baugleich sind und irgendwie zwischen Siebzigern und Achtzigern aussehen. Der linke Bürgersteig der Bülowstraße duftet dann nach Rasierwasser und Haarpflegeprodukten. Alle Herren auf dem Bürgersteig sehen so aus, gehen so aufrecht und duften, als ob sie frisch vom Coiffeur oder Barbeur kämen. Keinesfalls einfach nur vom Friseur oder Haarschneidermeister. Elegant, glänzend und mit dem letzten Schliff thront jedes Haupt über seinem Brustkorb, Maskulinesse und Revierehre schwingen mit in jedem Schritt und seiner Richtung.

An der Ecke Potsdamer Straße geht es dann in die Vollen mit der Fassadenkunst, die es in Größen von Miniposter bis traufhöhenhoch gibt. In zich Stilen, eins von der größeren Sorte wird gerade frisch hochgezeichnet. Der Ehrenkodex wurde an keiner Stelle verletzt, alles ist intakt. Bildgeschichten werden erzählt von einer ganzen Wand voller Einzelheiten oder nur einem einzigen Gesicht, einem markanten Blick, einer Körperhaltung. Manches kommt ohne Farbe aus, anderes feiert die Buntheit, wieder anderes deren Nuanciertheit.

Begegnungsstraße Maaßenstraße am Nollendorfplatz

Noch vor dem Nollendorfplatz drehen wir ab, um den Schatten der kurzen Nollendorfstraße zu genießen. Ungewöhnlich – hier steht eine kurze Reihe hoher Laubbäume wie nach Konzept in einer ebenfalls verkehrsfreien, gepflasterten Straße zwischen eleganten alten Hausfassaden. Eine besondere Straße, selbst für Berlin mit seiner stadtweiten verspielten Vielfalt in diesen Dingen.

Regenbogenkiez

Rechts fällt der Blick auf den U-Bahnhof Nollendorfplatz, hinter dem die U-Bahn in Richtung Westen wieder die Unterwelt abtaucht. Was nachts die Beleuchtung seiner Kuppel in alle Richtungen mitteilt, lässt sich auch beim taghellen Hindurchflanieren wahrnehmen, in der entspannten Verspieltheit des Straßenlebens, in den Fassaden der Bars und den Themen vieler Geschäfte. Die Gegend zwischen vier schönen Berliner Plätzen gilt als weltweit erster Regenbogenkiez, der schon in den Goldenen Zwanzigern des letzten Jahrhunderts für sein Nachtleben und seine Buntheit bekannt war und das bis heute lebendige Bild dieser lebensdurstigen Zeit mitgeprägt haben dürfte.

Viktoria-Luise-Platz

Nachdem hier mit vielen gelassenen Haaren das Dritte Reich überstanden war, erwachte der Kiez aufs Neue und ließ sich auch von den verstaubten Jahrzehnten der jungen Bundesrepublik nicht unterkriegen, in der Abweichungen vom gewohnten Hetero-Rollenbild strafrechtlich verfolgt wurden. Zuletzt war das in der Ausnahme-Fernsehserie Kudamm 56/59/62 anschaulich zu sehen. Der betreffende Paragraph übrigens verschwand tatsächlich erst Mitte der 1990er Jahre aus den Gesetzbüchern.

Abgesehen vom lebhaften Treiben auf den Trottoirs und den allgegenwärtigen Regenbogenfarben geht es hier wieder besonders friedlich und entspannt zu, wozu auch eine noch junge Idee beiträgt. Die Maaßenstraße wurde zwischen Nollendorf- und Winterfeldtplatz zu einer Begegnungsstraße umgestaltet, und das keinesfalls halbherzig wie an anderen Stellen in der Stadt. Eine Hälfte der Fahrbahn bietet nun reichlich Platz für Bänke, Pflanzkübel und Bistro-Tische, hat stark einladenden Charakter und wird von allen Altersgruppen gern angenommen.

Kurz vor dem Regen am südlichen Wittenbergplatz

Einzelne hochgezüchtete und hingebungsvoll polierte Karossen drehen auch hier ihre Runden wie um den Marktplatz einer Provinzstadt, doch auf Interesse oder gehobene Blicke können die Lenker kaum hoffen, auch wenn der lässig heraushängende Arm noch so ansehnlich ist. Hier ist alles andere interessanter, seien es gewagte Hüte, extrahohe Sohlen oder die Haltungsbestnote auf dem Elektroroller, dessen Trittbrett jedes Paar Sohlen in einen unvorteilhaften Dialog zwingt – eigentlich. Oder einfach nur die Omi, die schon immer hier wohnt und nicht einfach rausgeht, wenn sie rausgeht, sondern sich schon etwas in Schale wirft. Jegliche Spielart von Bohnenkaffee in den Cafés ist besonders wohlgeraten, eventueller Schaum überdauert locker eine Viertelstunde, ohne seine Fassung zu verlieren.

Lebensalterbrunnen auf dem Wittenbergplatz

In der Motzstraße gibt es zwei normale Fahrspuren für Autos, trotzdem wirkt sie fast genauso gemütlich wie die Maaßenstraße und könnte so auch im sympathischen Erlangen, Potsdam oder auch dem herrlichen Viertel südlich des Sendlinger Tors in München liegen. In der Farbenmischzentrale, die thematisch kaum besser platziert sein könnte, kann man internationale Tapeten bekommen. Von all dem abgesehen steuert die Motzstraße auf den ovalen Viktoria-Luise-Platz zu, dessen Fontäne schon zeitig zu sehen ist. Rund um den Brunnen sitzen Leute auf den Bänken, viele mit einem Eis auf der Faust, für das jetzt der richtige Moment ist, endlich.

Viktoria-Luise-Platz

Auf dem steinernen Bankenrund haben sich zwei Damen niedergelassen, die gedämpft über Literatur palavern. Ein junger Vater fängt immer wieder sein wieselflinkes Erstgeborenes ein, während das Zweitgeborene seiner Mutter auf den Leib gebunden schläft und noch nicht älter als zwei Nächte sein kann. Ein Mädchen in kunstvollem Komplettschwarz hat sich gekonnt auf die glatte Steinfläche gegossen, ist verschmolzen mit der Musik aus den Ohrstöpseln und müsste eigentlich hier und jetzt gemalt werden.

Klassischer Blick auf dem aufgemoppelten Tauentzien

Währenddessen wird es langsam ernst mit dem Gewitter, das sich schon länger ankündigt. Eine Zwischendämmerung dimmt das Licht, Staub und Blätter werden auf Augenhöhe gewirbelt und von allen Seiten scheint es still zu raunen. Der Schlenderschritt weicht einem entschlosseneren, der rasch zum Wittenbergplatz führt, welcher ganz im Zeichen der Außengastronomie steht. Das Wetter hält sich noch kurz zurück und lässt einen langen Moment zum ausführlichen Beschauen des Lebensalterbrunnens.

Tauziehnstraße

Den Tauentzien sind wir ewig nicht lang, und das lohnt sich jetzt, denn nach langen stiefmütterlichen Jahren ist der Mittelstreifen mit seinen symbolträchtigen Blickachsen richtig schön geworden, fast ein bisschen prächtig. Die Neugier uns zieht weiter Richtung Kirchdoppel, denn vom Breitscheidplatz mit seinem verspielten Weltkugelbrunnen ist Live-Musik zu hören, als liefe heut die Féte de la Musique.

Breitscheidplatz mit Turmbauten

Was hier zu hören ist, bietet jedoch anstatt räumlicher Verteilung zeitliche Langstrecke. Über volle drei Monate findet nach einer stark eingedampften Straßenmusiksaison der Kultursommer 2021 statt, der eine Handvoll verschiedener Formate unter einem Dach vereint. Musiker, Kulturgruppen und Theater können sich hier einem breiteren und vor allem leibhaftigen Publikum zeigen und prüfen, ob der Funke überspringt. Alle, die hängenbleiben, saugen es sichtlich auf, direkt vor einer Bühne zu stehen, die doch so ganz anders ist und so viel mehr als ein gleichgroßes Projektorbild vom hochauflösenden Livestream. Der Regen stört niemanden, zumal die Bühnen überdacht sind und somit weder Klampfen, Künstler noch Kostüme großartig nass werden können.

Wer übrigens vor dem Gang zum ruppigen Mikrokosmus des Bahnhofs Zoo noch kurz einen Emporenplatz über der Bühnenlandschaft haben möchte, steigt ein paar Stufen aufs Oberdeck des Bikini-Hauses und kann dort entweder Affen mit roten Hintern, Einkäufern unter Glas oder eben der Musik auf dem Platz seine Aufmerksamkeit schenken.

Auf den Bikini-Terrassen

Und wer nach einiger Zeit vielleicht genug gehört hat und neben Ruhe für die Ohren auch gleichzeitig Ruhe für die Augen wahrnehmen möchte, sollte nicht am achteckigen Schiff der Neuen Kirche vorbeigehen, die mittlerweile seit fünfzig Jahren hier steht. Nach dem Platznehmen im Innenraum beginnt der Blick langsam zu schweifen, der Kopf folgt mit kreisenden Bewegungen. Der Puls wird ruhig und betont bald jeden seiner Schläge. Um wieder aufzustehen, bedarf es einiger innerer Überredung. Diese blaue Puderdose, sie ist ein besonderer Ort.












Anfahrt ÖPNV (von Berlin):
mit der S-Bahn nach Ostbahnhof

Anfahrt Pkw (von Berlin): nicht sinnvoll

Länge der Tour: ca. 14 km (beliebig erweiterbar, per ÖPNV beliebig abkürzbar)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Einkehr: große Vielfalt von Angeboten direkt am Weg

Potsdam Südost: Zwei Waldstädte, ein Wolfsrudel und die Herausforderung der Geschicklichkeit

Jeder, der schon einmal dort war, wird es gerne bestätigen: Potsdam ist eine landesweite Spezialität – oder anders gesagt: stellt man sich das Land Brandenburg als gut sortierte Konditorei vor, dann ist Potsdam die Vitrine mit den kunstvoll drapierten und edlen Kleinigkeiten der Confiserie. Hier ist auf überschaubarer Fläche so viel Schönheit, Anmut und Einzigartigkeit versammelt, wie es das so konzentriert nur selten gibt. Das macht die Stadt mit allem, was dazugehört, zu einer Kategorie für sich. Da Potsdam schon immer vor der Haustüre lag, immer schon einfach so da war und noch dazu von überall gut zu erreichen, lässt sich das manchmal leicht vergessen – dieses Besondere.

Entspannter Bär in der Waldstadt

Dabei ist schwer zu sagen, welches das schwerwiegendste Pfund der schönen und sympathischen Stadt ist. Da ist zum einen die Lage zwischen drei einzigartigen Parks, die jeder für sich einen eigenen Charakter tragen und zum Teil über Europa hinaus bekannt sind. Dort stehen über Dutzende Stellen verteilt und gern auch unerwartet Bauwerke in der Landschaft, die so ansehnlich sind und so trefflich arrangiert, dass sie andernorts schon ganz allein ein Ausflugsziel abgeben würden.

Dazu kommt noch die Allgegenwärtigkeit des Wassers der Havel, wie man sie ähnlich gelungen nur in der Stadt Brandenburg findet. Der Fluss umschmiegt Potsdam regelrecht verschwenderisch, und die Uferlinien haben so liebevolle Verläufe, als hätten selbst hier die namhaften Gartenplaner des 18. und 19. Jahrhunderts mit der Natur Hand in Hand gearbeitet und dafür unermessliche, mehr als nur königlich-preußische Budgets gehabt.

Nicht zuletzt und wohl am meisten charakterprägend ist es die einladende Stadt selbst mit ihrer freundlichen Atmosphäre, die auch abseits von pittoresker Innenstadt und Holländischem Viertel stets ein bisschen nach Altstadt aussieht, dabei immer echt und selten nur zugerechtgemacht erscheint. Allein der Eintritt vom Hauptbahnhof über die beiden Havelarme wird auch für regelmäßige Besucher stets besonders bleiben, immer etwas erhebend, wie ein freundlicher Empfang.

Abgesehen davon gibt es auch jenseits der allseits bekannten Areale vieles zu entdecken, was dessen wert und gut zu Fuß erreichbar ist. Sei es nördlich vom Park Sanssouci das Dörfchen Bornstedt mit seinem sehenswerten Gut und bunt-rasselnden Traditionen, oder im Westen des Parks die halbstundenlange, schnurgerade Lindenallee, zugleich die wohl ehrfürchtigste Annäherung an das Neue Palais. Die lässt sich übrigens gut mit dem Erklimmen des Reiherbergs bei Golm verbinden, auf dem es eine schöne Aussichtsplattform gibt nach Westen, auf das Wasserreich der Havel, das dort die Insel Töplitz schafft.

Blick in den herbstlichen Kletterpark auf dem Telegrafenberg, Potsdam

Von den pittoresken holländischen Fassaden im Neuen Garten wiederum ist es nur ein Katzensprung zur russischen Kolonie Alexandrowka, die mit ihren besonderen Häusern und deren bemerkenswerter Anordnung in eine völlig andere, detailfreudige Welt entführt. Und im Osten ist es von der weltbekannten Glienicker Brücke am weiten Havelwasserkreuz nicht weit zum Babelsberger Park. Durch den kann man ins böhmische Dorf Babelsberg spazieren  – wenn man sich nicht zu oft festguckt oder wiederholt im Kreise geht, mit oder ohne Absicht.

Südlich der Stadt gestatten ausgedehnte Wälder stunden- oder tagelanges Genießen von Waldeinsamkeit, von Duft und Stille, und fordern dabei die Beinmuskulatur nennenswert heraus – es geht zur Sache, wenn man es drauf anlegt. Während der westlich gelegene Wildpark noch recht übersichtlich zwischen den Seen der Havel liegt, begleiten die östlichen Wäldereien die Uferlinien bis nach Caputh und Ferch und bleiben auch dann noch lange Zeit geschlossen und dicht. Erst bei Beelitz gibt der Wald wieder Weite frei, was maßgeblich der Nieplitz zu danken ist und ihrem Tal.

Weniger spektakulär und dennoch lohnenswert geht es im Südosten Potsdams zu. Vom Hören bekannte Eckpunkte sind vielleicht der Telegrafenberg, die Waldstadt und der Ortsteil Schlaatz, der sich entlang der Nuthe streckt. Viel Natur ist hier im Spiel, darunter reichlich hügeliger Laubwald auf der Höhe und die flachen Landschaften der Nuthe im Tal, nicht zuletzt auch ein Stück von den erwähnten Parks, die irgendwie dazugehören zu einer Tour bei Potsdam.

Balgende Wölfe, Waldstadt II (zwischen Am Jagenstein und Kiefernring)

Mittlerweile hat der November begonnen und der Herbst ist auf seinem farblichen Höhepunkt angelangt, so dass es bunter nicht mehr werden dürfte und nach und nach die Farben aus dem Landschaftsbild verschwinden. Die Temperaturen, der Regen und der Wind verlangen lückenlos verschließbare Kleidung, und das Tageslicht wird mit jedem Tag sparsamer verteilt. Eine der schönsten und friedlichsten Kampfansagen an die immer kürzeren Tage sind die Laternenumzüge, bunt und vielfältig und überall. Und immer ein Bild des Friedens.

Wer davon abgesehen an klammen Tagen die Kinder vor die Tür locken möchte, findet neben der beliebig variierbaren Tourenlänge noch ein gewichtiges Argument in dieser Gegend: abwechslungsreiche und großzügige Spielplätze, die jeweils die Geschicklichkeit herausfordern und bis ins mittlere Teenageralter noch Interesse wecken dürften.

Potsdam Hauptbahnhof/Templiner Vorstadt

Wer also den Südosten von Potsdam erkunden will, kann damit direkt am Hauptbahnhof beginnen. Die Lage östlich der Havel ist insbesondere bei drohenden Nasswetterlagen von Vorteil, denn die Havel hat ein großes und erwiesenes Talent, dunkle Wolkenwände aufzuhalten. Nicht weit vom Bahnhof beginnt nach dem Queren aller Bussteige und zweier Straßen der Aufstieg auf den Doppelgipfel aus Brauhausberg und Telegrafenberg, letzterer mit seinem halben Dutzend Sternwart-Kuppeln, darunter auch der märchenhafte Einsteinturm. Auf halber Höhe schon löst der Wald die Häuser ab und lockt mit kleinen Pfaden in den herbstlich gelben Abgrund, denn nach links fällt der Hang steil ab und lässt erahnen, wie weit eine Aussicht reichen würde.

Gut gelagerter Findling in der Waldstadt II

Dem auf die Spur gehen lässt sich bodenfern schon drei Minuten später, denn hier wartet mit dem Kletterwald eine schöne Option, den Rest des Tages zu verbringen – selbst wenn die Kinder doch lieber zu Hause geblieben sind. Ansonsten kann sich die ganze Familie in die Seile hängen oder zum Teil auch unten bleiben – wer nicht klettert, vom schwingungsfreien Boden lieber Fotos schießt oder sich derweil im Waldbistro stärken will, muss auch keinen Eintritt zahlen. Alle anderen können in die Wipfel steigen und der Option auf Aussicht auf den Grund gehen, unter anderem.

Potsdam Waldstadt

Ist der November bereits fortgeschritten, fällt der Kletterwald in seinen Winterschlaf. Das ist nicht schlimm, denn nach beliebig langem oder kurzem Streifen durch die tausend Pfade dieses Waldes stößt man an den Rand der Waldstadt, die trotz ihrer Plattenbauten eine erstaunliche Behaglichkeit ausstrahlt, ihren Namen ganz zu Recht trägt. Die Wohnblöcke sind lose angeordnet und durchwebt von kleinen Wegen, und es ist immer Wald im Blick, nie nur eine Betonfassade. Direkt bei den Sportplätzen beginnt ein langgezogener Spielplatz, der es mit dem Kletterwald gut aufnehmen kann, noch dazu kostenlos. Überall hier stehen durchweg gelungene Holzfiguren – zunächst milde Waldgeister mit gewagten Frisuren, am kleinen Platz dann eine respektgebietende und zugleich knuffige Familie von Wölfen, denen ein tiefenenspannter Bär fortlaufend zeigt, wie es zugehen soll im Walde. Allein diese Figuren sind den Weg hierher wert, sei es nun über den Telegrafenwald oder von der nächstgelegenen Straßenbahnstation.

Uferweg an der Nuthe bei Schlaatz

Bald darauf geht es weiter auf einem Weg, der vom Charakter her an einen waldnahen Kurpark denken lässt. Kurz vor der Straße Am Moosfenn liegt klein, doch fein der nächste Spielplatz, auf dem unter anderem ein unegaler Findling von der Größe eines Schafes über einem Qualitätslager befestigt wurde. Das Gewicht des Brockens gestattet keine übermäßig schnelle Rotation, und doch ist es eine Herausforderung an die Balance, sich darauf zu halten – ein Platz, an dem man die Sportart Rodeo-Yoga aus der Taufe heben könnte.

Am Waldstadtcenter kreuzt die Straßenbahn, die hier zu beiden Seiten von schönen Spazierwegen begleitet wird, und auch diese geben dem Namen Waldstadt Recht. Die unaufgeregte Trasse dieser Bahn bildet die Grenze zwischen Waldstadt I und Waldstadt II. Schräg gegenüber stoßen wir auf die Gaststätte Zum Keiler und bemerken unsere knurrenden Mägen. Im Inneren erwartet uns keine Zeitreise und auch keine Ostalgie, vielmehr eine authentische Einrichtung, die etwa so alt sein dürfte, wie die Deutsche Demokratische Republik insgesamt geworden ist. Das Interieur wurde damals mit Bedacht ausgewählt, denn alles befindet sich in bestem Zustand. Wer mit Hammer, Sichel und geflochtenem Getreide aufgewachsen ist, dürfte sich mit dem nötigen Abstand auf angenehme Weise erinnert fühlen, wer ohne, kann sich hier ein gutes Bild machen, wie eine Gaststätte seinerzeit ausgesehen hat. Wir haben Glück, dass noch ein Tischlein frei ist, denn heute sind fast alle Plätze für Martinsgans-Esser vorbestellt. Die gute Küche gibt ihnen Recht, nicht nur, was die Gans betrifft.

An der Nuthe kurz vor dem Potsdamer Hauptbahnhof

Von hier aus ist es eigentlich nicht weit zu den Drewitzer Nuthewiesen, die durch den Kontrast zwischen dem nahen Industriegelände und der wasserdurchzogenen weiten Natur faszinieren. Um von der Waldstadt aus in den Genuss dieser Landschaft zu kommen, müsste man jedoch eine mittelgroße Kröte schlucken und zunächst das graue Industriegelände queren. Eine schöne Alternative dazu sind die verschiedenen Arten von Siedlung, welche die offenere Waldstadt I von der Nr. II unterscheiden und durch die sich ein direkter Weg zum Ufer der Nuthe ergibt.

Schlaatz

Der kleine Fluss strömt nach den Regenfällen der letzten Tage zügig seiner Mündung entgegen, die maushohen Wogen sind klar und alle versammelten Enten sehr beschäftigt. Direkt entlang des Ufers führt ein schöner, teils gediegener Spazierweg vorbei am Neubauviertel Schlaatz. Das sieht nun schon eher nach klassischer Platte aus, weniger nach Waldstadt. Am Zuweg liegt erneut ein kleiner Spielplatz mit Geräten, die das Geschick herausfordern – für große und kleine Füße. Im Herzen des Viertels gibt es unterhalb des Rewe-Marktes einen kleinen Marktplatz. Zwischen diesem, den Sportplätzen und dem Jugendklub Alpha liegt der gestaltete Parkstreifen Schlaatzer Welle, und rund um diesen dürfte wohl der Puls dieser Wohnstadt schlagen.

Schnittstelle zwischen Potsdam, Dorf Babelsberg und dem gleichnamigen Park

An den Wegen von der Nuthe und wieder zurück liegen neben dem erwähnten drei weitere Spielplätze, am Uferweg selbst harren herausfordernd amtliche Sportgeräte wie Reck und Barren. Dort am Ufer setzt sich der grüne Weg fort, oft schattig und bis zum Gleisgewirr, das dem Potsdamer Hauptbahnhof vorgelagert ist. Bis dorthin zeigt die Nuthe dem beständigen Rauschen der nahen Schnellstraße die kalte Schulter und lenkt die Wahrnehmung vom Ohr aufs Auge, das hier abwechselnde über Ufernatur und allerhand undurchdringbare Feuchtgebiete schweifen darf. Ganz zuletzt liegt auf der linken Seite still ein Weiher, beliebt bei Enten, Gänsen und dem hiesigen Graureiher. Angesichts des Wassers zu beiden Seiten kann auf diesem Wegstück durchaus ein kurzer Gedanke an den Spreewald aufflackern.

Portal in den südlichen Babelsberger Park

Der nächste knappe Kilometer geballten Verkehrsraums schleudert einen mit allerhand Asphalt, Schienenstahl und Rohrleitungen hart in die Stadt zurück und gleicht einem Tänzchen mit der Nutheschnellstraße – erst hin und hoch zu ihr, dann Aug in Aug und drunterdurch, zuletzt nochmal auf Tuchfühlung, doch nur fast. Und als wäre es nur ein Traum gewesen, ruht der Blick im nächsten Augenblick auf urigen Babelsberger Straßen, gepflastert, mit gemütlichen Häuslein und wunderschön dörflich.

Park Babelsberg

Gänzlich vergessen ist die kurze Grausequenz, wenn man durch das herrschaftliche Portal den Babelsberger Park betritt und sich in einer Märchenfilmkulisse wiederfindet, die gern ein wenig übertreibt. Der freigelassene Blick trifft auf alte Bäume, die gewaltige Kronen ausbilden konnten und mit kräftigen Ästen nach dem Boden greifen. Auf grüne Wiesenhügel und ein entferntes blaues Meer mit Segeln und Gestaden voller Grazie. Und auf Schlösser mit Türmen und Balkonen, Zierbrücken und goldenen Details und auch einen spätherbstlich leuchtenden Bauerngarten mit selbstgeschnitztem Zaun. Was für ein Wechselbad in dieser letzten Viertelstunde!

Bauerngarten im südlichen Babelsberger Park

Hinterm Strandbad steht dann endlich die erhoffte Bank für eine Pause, mit Blick auf die markante Uferlinie der Berliner Vorstadt und den eigenwilligen Bau des Hans-Otto-Theaters, dessen Architekt vielleicht einmal selbst in Sydney war und von fern die Oper sah, umspielt vom Wasser. Ganz im Nordosten ahnt man leise die Glienicker Brücke. Kaum Leute sind jetzt unterwegs in diesem schönen Park. Ein Grund dafür könnte die gewaltige Wolkenfront in dunkelblau am anderen Havel-Ufer sein.

Nach dem vorläufig letzten Kontakt mit der Nutheschnellstraße beginnt der Nuthepark, rund um die Mündung des kleinen Flusses in die große Havel. Die teilt sich genau an dieser Stelle in zwei Arme und schafft damit die Freundschaftsinsel. Direkt gegenüber der Nuthe-Mündung steht ein hohes Gebäude in Gestalt einer Kirche, das man mit seinem stählern-filigranen Turm für eine Kathedrale des Mobilfunks halten könnte. St. Smafo – in diesen Tagen keineswegs ein absurder Gedanke. Die Messen wären sicher gut besucht, der Blick gemeinschaftlich gesenkt und jedes Antlitz blass und blau erleuchtet.

Heilgeist gegenüber der Nuthemündung

In der Tat stand hier einmal die Heilig-Geist-Kirche, die es in den letzten Kriegstagen so übel erwischte, dass sie schließlich nach und nach abgerissen wurde – bis nichts mehr übrig war. Nachdem die Stelle über zwei Jahrzehnte brachlag, wurde Ende der neunziger Jahre ebendort eine Seniorenresidenz gebaut. Das prägnante Bauwerk zitiert die Umrisse der Kirche recht genau, inklusive der stählernen Turmspitze, die im urbanen Raum eben zunächst an eine Antenne denken lässt.

Nach dem überdachten Steg über das Nuthe-Finale verlaufen die letzten Schritte zurück zum Hauptbahnhof mit direktem Blick auf die Freundschaftsinsel. Das macht neugierig, und so steht jetzt schon fest, womit der nächste Potsdam-Tag eröffnet werden wird. Sicherlich bald schon.

 

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit S-Bahn oder Regionalbahn nach Potsdam Hbf. (ca. 30-45 Min.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): wahlweise gemütlich über die B 1 oder schneller über Avus und Nuthe-Schnellstraße (45-75 Min.)

Länge der Tour: 14 km, mittels ÖPNV beliebig verkürzbar; Kletterwald bei Wegpünkt 4 (ca. km 1), großer Spielplatz rund um WP 16 (ca. km 4), kleiner Spielplatz mit drehbarem Findling WP 19 (ca. km 4,5), Spielplatz für geschickte Füße (ca. km 8, am Abzweig direkt vor den Sportplätzen Richtung Schlaatz gehen), weitere Spielplätze rund um WP 32

 

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

 

Links:

Kletterwald auf dem Telegrafenberg

Potsdamer Ortsteile im Südosten

Informationen zum Park Babelsberg

 

Einkehr:

Bistro am Kletterpark auf dem Telegrafenberg
Zum Keiler, Friedrich-Wolf-Str. 11, Potsdam Waldstadt I
Restaurant Die Meise, Meisenweg 13, Potsdam Waldstadt I
Gartenlokal Zur Gurke, Zur Nuthe 2, Potsdam Schlaatz