Der Monat, der seine alljährlichen Tage wie kein anderer mit Gelb- und Goldtönen zelebriert, ist so gut wie da. Der September hat ihm den Weg geebnet, auch wenn alles ein wenig mit heißer Nadel gestrickt war – nur wenige Augenblicke vor dem kalendarischen Herbstanfang fand die monatelange Sonnenglut mit kurzem, doch effektreichem Krawall ihr Ende und bewirkte einen Temperaturrutsch von 30 auf 14 Grad binnen einer Spielfilmlänge.
Aus tropischen Nächten wurden frostige, während luftige Strohhütchen dünnen Kopfstrümpfen wichen, die jede Unebenheit des Schädels ehrlich abbilden oder jeglichen Spiegelaufwand des zeitigen Tages zunichte machen. Die Bekleidungsszenarien von frühem Morgen und spätem Nachmittag bieten massive Kontraste, lassen die eine morgens frieren und den anderen nach der Arbeit schwitzen und liefern aufmerksamen Beobachtern manchen Anlass zum Grinsen. Erkältungen und volle Wartezimmer sind vorprogrammiert, so dass die tägliche Dosis Tee aus guten Kräutern oder scharfen Knollen ab jetzt eine Überlegung wert ist.
Auch tagsüber ist die Luft stellenweise schon so frisch, dass sogar die Sonnenmüden bereits wieder den Schatten meiden und den Simultankontrast aus kalter Luft und warmen Strahlen aufrichtig genießen. Hinzu kommen die Farben und Düfte von Laub und erdigen Äckern sowie den reichlich gefallenen Früchten von Obst- und Waldbäumen. Damit nichts vom Beschriebenen zu kurz kommt, empfiehlt sich für diese Tage eine runde Mischung aus sanfthügeligen Feldern, laublastigem Wald und klassischen Brandenburger Seen.
Eine besonders reiche Auswahl findet sich im Ruppiner Land oder grob gesagt zwischen Neuruppin, Rheinsberg und dem immer wieder besonders schönen Städtchen Lindow, das von zwei edlen Seen kontaktfreudig umworben wird. Von dort ragt über den Wutzsee hinaus noch ein inoffizieller und vollwertiger Ausleger dieser Landschaft bis hinüber nach Gransee, das landschaftlich schon eher havellastig ist.
Wer in Lindow eine Pause einlegt, läuft Gefahr in dem pittoresken Erholungsort hängenzubleiben. Gut verteilt gibt es hier viel zu Entdecken, dazwischen finden sich zur Genüge gastronomische Angebote an schönen Orten, und der etwa zweistündige, in keiner Weise eintönige Weg um den Wutzsee ist ein Klassiker im besten Sinne. Zudem bedarf er keinerlei Vorbereitung und verspricht gemeinsam mit dem Besuch des Städtchens fast garantiert einen schönen Tag.
Baumgarten
Wer es geschafft hat, Lindow mit seiner gütig-schelmischen Nonne im See zu verlassen, kommt durch Keller nach Baumgarten. Zwischen fünf Seen liegt das Dörfchen und bietet mehr als eine Handvoll Varianten, die gewünschten Sinneseindrücke in einem Zeitraum zwischen dreißig Minuten oder mehreren Stunden zu genießen. Die Minimalvariante wäre es, dem urigen Waldweg entlang eines Bächleins hinab zur Badewiese zu folgen und dort beliebig lange von einer der Bänke oder einer Picknickdecke aufs Wasser zu schauen. Vielleicht mit frischem Brot, Käse und Heißem oder Kaltem in der Flasche. Am anderen Ende der Messlatte lockt der Gedanke, keinen der fünf Seen unberührt zu lassen und dafür am Abend entsprechend breiter gefächerte Impressionen mit nach Hause zu nehmen. Sollten unterwegs doch Bedenken erwachen, gibt es ausreichend Möglichkeiten zum Abkürzen, und jedes Segment für sich hat ausreichend Schönes zu bieten.
Die Gaststätte in Baumgarten gibt es schon seit ein paar Jahren nicht mehr, dafür schräg gegenüber den Hungerturm. Durch die Essenluke werden Kaffee und Kuchen gereicht oder wahlweise auch ein kleiner Mittagstisch, dazu bei Wunsch etwas Schnack mit den Wirtsleuten. Offen ist, wenn offen ist, und am Wochenende stehen die Chancen meist gut. Zum Kaffee gibt es noch ein paar Empfehlungen für Ganztagesfußgänger, und gleich nach dem Queren des genannten Bächleins geht der Weg schon in die Vollen. Begleitet wird er von schwarzlastigem Bruchwald, der trotz der endlosen Dürre noch etwas Matsch und Wasser hat und also etwas Morgenkühle übrig. Das begleitende Dölschfließ findet im nahen Seenpaar seinen Anfang und steht nach Information von Einheimischen über den Rhin in direkter Verbindung mit der Hansestadt Hamburg, von wo es ja auch nicht mehr weit ist zu den Weltmeeren.
Zwischen den Seen sitzt also ausreichend Wasser im Boden und lässt alles, was hier wächst, besonderes saftig aussehen und entsprechend duften. Nach rechts glitzert zwischen den Stämmen der Kirchsee hindurch, der als Baumgartener Haussee gelten kann und in der Tat direkt unterhalb der Kirche liegt. Von Norden kommend sollte sich so ein besonders gefälliges Dorfbild ergeben. Der Salchowsee ist mit seinem breiten Ufergürtel nur zu erahnen, doch dafür hat er eine kleine Insel, die der erforderlichen Phantasie etwas Spielraum gibt. Die Erlen übergeben an Robinien und diese bald darauf ans offene Feld, das am alleedurchbrochenen Horizont so einige Kirchtürme erahnen lässt.
Nach etwas stiller Landstraße beginnt eine urige Allee, die gesäumt ist von windschützendem Buschwerk und teils uralten Robinien mit einer Rinde, in deren tiefen Furchen man Schokoladentafeln verstecken könnte. Hinter der Landstraße übernimmt dann flächiger Wald, mal mit Fichten, dann wieder mit Robinien und zuletzt mit Eichendominanz. Überhaupt ist an Waldesstille noch immer nicht zu denken, denn alle paar Sekunden knallt oder huscht es im Unterholz. Eine Weile dauert es, bis große oder kleine Tiere sowie Vögel aus dem Verdacht geraten und man darauf kommt, dass es die Eicheln sind, die nach mehreren Sekunden freien Falls auf grüne glatte Blätter am Ast oder braune kruschlige am Boden knallen, teils über Bande.
Entlang des Lindower Rhins hat sich hier im dichten Wald der Baumgartener Heide ein saftiger Wiesengrund geöffnet, der ein wenig an den des Stobberbaches in der Märkischen Schweiz erinnert, östlich der Pritzhagener Mühle. Mal ist er breiter, dann wieder tailliert, und fast immer ragen vom Waldrand her ausladende Eichenarme hinein soweit es geht und fischen dort nach Licht, so scheint es.
An einer besonders offenen Stelle steht am sanften Hang ein großkroniger Apfelbaum und hat scheinbar im Affekt all seine Früchte abgeworfen. Groß und rund und gelb liegen sie dicht an dicht in der Wiese und sind kaum angebissen oder faulig. In der Tat schmeckt dieser Apfel extrem sauer und zugleich bitter, wie man es selten unterm Gaumen hatte. Nix zum Runterschlucken, doch gut geeignet für Grimassen, und so sehen es wohl auch die Tiere auf ein bis zwei Beinpaaren und selbst die Würmchen.
Die Waldstraße von Baumgarten quert den langsam fließenden und glasklaren Lindower Rhin, gegenüber führt ein schmaler Pfad durch dichtes Kraut und hohe Hopfenskulpturen. Am Hang des feuchten Grundes deutet sich schon der Buchenwald an, der die nächste Stunde Weges spektakulär begleiten soll. Nach dem Abzweig zur Baumgartener Badewiese gewinnt er an Deutlichkeit und lässt oben ein helles, weites Land erahnen, direkt hinterm oberen Rand. Gleich darauf beginnt der im Wald eingesenkte Huwenowsee, der offenbar Freude an gekrümmten Uferlinien hat und fast rundum von steilen Waldhängen umgeben ist. Ausnahmen bilden hier nur der Austritt des Lindower Rhins und nach Süden hin ein flacher Wiesengrund, der ebenso saftig grün ist wie der vorhin und weit ins angrenzende Land vernetzt.
Der gediegene und großzügige Uferweg umschifft im Spielraum seiner Breite so manchen dicken Buchenstamm oder aufgeworfenes Wurzelwerk vom letzten Sturm und hat alle paar Minuten eine gute Stelle für einen Wassergang zu bieten. Fast schilffrei ist das Ufer, das Wasser klar und der Boden unter Wasser meist von diesem weichen, kühlen Sand, wie er für die Gegend charakteristisch ist. Das Gegenufer ist nur zweihundert Meter entfernt, und so wird es in warmen Zeiten manchen locken, ohne viel Aufwand und Heldenmut einen See zu durchschwimmen.
Für die zwei Kilometer sollte man ruhig einen Gang runterschalten und genießen, denn es ist eine von diesen Passagen, wie sie diese Gegend zwar vielerorts zu bieten hat, die jedoch immer ganz besonders bleiben. Niemals gewöhnlich und nie normal, auch wenn es für märkische Verhältnisse Stubekammerküche ist. Touristen aus Übersee könnte man diese Passage sicherlich als den sagenumwobenen Stechlin verkaufen, mit dessen Ufern sie locker mithalten kann.
Die Buchenfüße sind bisweilen so gewaltig und nachgerade modelliert und ausgeformt, dass sich zwischen ihren Zehen kleine Vogeltränken bzw. –badewannen befinden. Zwischen den Stämmen treten hin und wieder Rinnsale aus, teils eisenhaltig, die es zwischen Quelle und Mündung kaum auf 15 Meter bringen. Doch der Bezug zu Hamburg und dem Ozean gilt auch für sie – falls das von Belang ist für so ein kurzes, sorgenfreies Sal, das dem See ja ebenso taufrisches Wasser zuführt wie jedes Bächlein von größerem Format.
Hier und da sitzen Angler am Ufer, die dank ihrer Kleidung fast im Ufergrün verschwinden und deren versteinerte Buckel ausdrücklich um Ruhe bitten, wenn Plappervolk mit Rucksack passiert. Kurz vor Meseberg dann zieht am Hang ein groß angelegtes Rondell aus jungen Bäumen den Blick an. Dezentral steht darin kleinlaut und unfertig ein kleiner Tempel, ein Mausoleum für zwei historische Leute mit Bezug zu Meseberg.
Oben dann ist endlich der Blick von der oberen Hangkante möglich, der zum Wasser hin eine ordentlichen Seesicht bietet, ins Land hingegen eine kürzlich angelegte Streuobstwiese. Umgeben ist sie von einem dieser schönen Zäune, die scheinbar aus handgeschnitzten Stecken und Draht zusammengeknibbelt wurden und an denen nichts gerade, einheitlich oder wiederholend ist. Das eben macht sie so charmant, und der Kenner weiß, dass das auch seinen Preis hat. Gut angelegtes Geld, denn bei jedem Anblick wird man sich aufs Neue freuen.
Meseberg
Ferner sind Augenschmeichler hier besonders willkommen, denn direkt gegenüber die Mauer und der stabile, elegante Eisenzaun hegen das Schloss Meseberg ein. Das exklusiv überm See gelegene Anwesen mit seinen französisch geprägten Parkanlagen ist gewissermaßen eine der guten Stuben der Bundesregierung und die ländliche Alternative zum Schloss Bellevue, das im Herzen Berlins direkt an einem Spreenbogen liegt. Wenn es in Meseberg den größten Teil des Jahres ganz besonders still ist, so gibt es auch Zeiten, wo großer Bahnhof und Hochsicherheit für Unwägbarkeiten und Helikopterlärm sorgen und man das Dorf umgehen sollte, möglichst großräumig. Ein aktueller Blick in die Zeitung kann also nicht schaden, wenn eine Tour in dieser Gegend ansteht.
Heute ist einer von den überwiegenden Tagen, den stillen. Die kräftige Septembersonne wird von eindrucksvollen und ausufernden Wolkengebilden in unregelmäßigen Abständen in die Schranken gewiesen und taucht das Dorf in wechselnde Szenenbilder aus Licht und Schatten. Gegenüber des Friedhofs werden musikalische Vorbereitungen auf die anstehende Jagdsaison getroffen, die mit vielkehligem Gesang und goldglänzendem, wetterfesten Blech zu tun haben. Vorn im Dorf hält jemand Fleißiges mit seiner Kreissäge dagegen, was manchmal zufällig zu Harmonien führt. Ein musikfühliger Hofhund protestiert kurz mit überschlagender Stimme, und kurz darauf kehrt wahrhaftig Ruhe ein von allen Seiten. Ist es vielleicht Punkt eins?
Die Flucht der gemütlichen Dorfstraße führt den Blick direkt mittig auf das Schloss, während die Straße selbst sich etwas sträubt und lieber der kleinen Dorfkirche einen sanften Schwenk zubilligt. Hinter der Kirche liegt der Dorfkrug, sehr willkommen jetzt. Die beiden Schirme sind so groß, dass sie vermutlich nur einmal im Jahr aufgespannt und im späten Herbst wieder zugemacht werden, denn dafür muss das rustikale Mobilar komplett weg. Stabil genug für jeden Sturm dazwischen sehen sie aus. Hier ist jetzt ein herrlicher Platz für eine ausgedehnte Pause, mit Blick zu Kirche und Schloss und allem, was so auf der Straße vor sich geht. Die Hälfte aller vorbeitrottenden Autos tragen ferne Kennzeichen, viele von ihnen sind geliebte Oldtimer auf tiefenentspannter Schönwetter-Ausfahrt.
Gegenüber fällt zwischen Dächern und großen Lindenkronen ein intensiver Sonnenfleck auf die Wiese, über dem sich hunderte kleine Flügler tummeln, solange die Wärme da ist. Sorgt eine Wolke für Schattenwurf, ist gar kein Schwirren mehr, um beim nächsten Strahl wieder in Gänze und alter Form da zu sein. Leute kommen und gehen, je nach Altersklasse wählen sie den gut geheizten Innenraum oder die Bänke an der frischen Luft und lassen sich das hervorragende Essen schmecken.
Eine kleine Runde ums Dorf belohnt neben einer mühelosen Handvoll Walnüsse mit einem Wiesenblick auf das Schloss und seine nicht minder schönen Nebengebäude, führt dann vorbei an einer Eichenruine, die sicherlich gut ist für verschiedenste Geschichten. Nach höllisch lautem Gänsegeschnatter verlassen wir das Dorf auf einer ansteigenden Pflasterstraße. Nach dem letzten Haus beginnt rechts ein zauberhafter Weg über die wogenden Felder, der sich in einigen Schwüngen zum Waldrand hinüberhangelt. Von dort schaut man auf Meseberg hinab und hat danach einen der schönsten Waldrand-Kilometer vor sich, die Brandenburg zu bieten hat. Wie über den Wäldern eines Mittelgebirges nimmt der Weg mehrere Wellen mit, und auch hier bilden wieder gewaltige Eichen mit ausladenden Armen die Wächter des Waldes, der im Innern allerlei Kiefern untermischt. Auch hier sollte man langsam gehen und ausgiebig genießen.
Unten quert ein stilles Sträßchen. Zwei Radfahrer mit daumendicker Bereifung biegen auf den Asphalt ab und sind sichtlich froh, wieder unverkniffen fahren zu können. Bis zur Badestelle ist der Weg noch breit und führt dicht am tiefen Bruchwald entlang, der eine Umrundung des Großen Dölschsees etwas größer ausfallen ließe. Ab hier wird der Uferpfad verspielt und vielfältig und erklärt nun die Freude der Radler über glatten Untergrund. Zu Fuß ist es ein Traum, wenn auch sich nur selten ein Blick auf den See öffnet, ebenso rar sind Badestellen. Die Wasserfläche liegt schon abendlich geglättet und jede ziehende Ente hinterlässt eine langwährende, meditative Spur. Aus der Ferne ist ein Kranichpaar zu hören, nicht das erste Mal heute. Ansonsten ist hier absolute Ruhe, keine Eichen hier im Wald.
Ein Brücklein erlaubt den Durchgang zwischen den beiden Dölschseen, und am kleineren von ihnen beginnt nun der abschließende Kilometer des Tages. Durch einen letzten Bruchwald erreichen wir den Rand von Baumgarten, das ganz klassisch über „das Hochhaus am Rande der Stadt“ verfügt, so klein, wie es ist. Gleich dahinter an der Kirche lockt ein kleiner Stichweg zum Ufer des Kirchsees. Doch heute ist den Schönheiten des Tages wirklich nichts mehr hinzuzufügen. Nicht einmal in Lindow.
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): von Berlin-Gesundbrunnen Regionalbahn nach Gransee, dann mit dem Bus nach Baumgarten oder Meseberg (nur Mo-Fr, ca. stündlich)
Anfahrt Pkw (von Berlin): Landstraße über Löwenberg (B 96), wahlweise kleinere Straßen über Lindow (Mark)
Länge der Tour: ca. 16 km (Abkürzungen vielfach möglich)
Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)
Links:
Faltblatt Meseberg-Gransee (PDF)
Geschichte des Schlosses Meseberg
Einkehr: Imbiss am Trafoturm in Baumgarten (schräg ggbr. der alten Waage), keine festgelegten Öffnungszeiten, ggf. an der Glocke läuten
Dorfkrug Meseberg (sehr gute Küche, gemütlich, freundlich)
Schlosswirt, Meseberg (gehobene Gastronomie)
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Danke für die vielfältigen Anregungen zum Wandern im schönen Brandenburg. Da möchte ich gerne dranbleiben…