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Wernsdorf – Schlafende Pilze, der alte Arm und ein Gruß aus Sachsen

Es ist kaum zu fassen, wie lange jetzt schon der Frühling mit dem Winter rangelt, letzterer schon ganz quarkblass und entkräftet wirkt, doch wie der längst abgemurkste Unhold in gängigen Filmen immer nochmal aufsteht und aus dem Off angestakst kommt.

Brücklein am Oder-Spree-Kanal
Brücklein am Oder-Spree-Kanal

Der Frühling pariert die Stänkereien souverän, so als würde er mit der einen Hand beiläufig das Florett führen und mit der anderen gleichzeitig eine flache Tasse Tee trinken, mit leicht gehobenen Augenbrauen. Und erficht so manchen einzelnen Tag von großer Schönheit, mit bühnenreifen Himmeln und ergreifenden Lichtstimmungen.

Dennoch bleibt die klamm-graue Jahreszeit dominant, und so wurden schon etliche Male hochflorige Mützen und Handschuhe in den Schrank gestopft und bald darauf kleinlaut wieder herausgefingert. Die Vorfreude aufs nicht mehr Frieren ist schon lange unbändig, langsam schlägt sie nun auf die allgemeine Laune durch, was vielfältig zu beobachten ist.

Dorfblick Neu Zittau über die Spreewiesen

Unbeeindruckt davon sind neben vielem Geblüm auch die allerersten Lerchen, die schon vor Mitte März ihre Botschaft fröhlich in die Luft krakeelten, mit scheinbar grenzenloser Ausdauer. Einen Monat später sind endlich erste grüne Schimmer im Holz von Büschen und Sträuchern wahrzunehmen – wenn man etwas guten Willen mitbringt und die Gewächse gegen das Licht betrachtet. Die Ahornblüten täuschen wie jedes Jahr kronenfüllendes Laub vor und lassen es schon etwas heller werden im wintergebeutelten Herzen. Dank des immer wiederkehrenden Regens leuchtet in manch dunklem Wald der Boden grün vom gesättigten Moosteppich.

Am Bruch nördlicher Wernsdorfer See

Trotzdem – manche Frühlingstouren hätte man schon gehen wollen, die von blühenden Bäumen, Wäldern voller Bodenblüher oder schönen Lichtstimmungen leben und sehnsuchtsvoll erwartet in diese Zeit des Jahres gehören. Doch die einen konnte es nicht geben, weil die Blüten vor lauter Kälte in ihren Knospen blieben, die anderen, weil Licht eindeutig Knauserware war an allen Tagen, wo man hätte ausschwärmen können ins Ländchen, ganz gleich in welche Richtung. Vieles hat sich also aufgeschoben oder wurde aufgehoben, in der Hoffnung, dass der Zeitverzug manches später stattfinden lässt und irgendwann dann Sonne, Wolken und Himmel in ihrer schönsten Mischung ins Spiel kommen. Doch denkste. Daraus wurde auch Mitte April nichts.

In der Heide Paschenfeld

Um trotzdem einen schönen Tag zu haben, waren also besondere Wege und Landschaften gefragt, dazu ein gut Teil Wald, damit Wind und Regen uns nicht schon innerhalb der ersten Stunde durchweichen. Von den östlichen Wäldern rutschte der Finger auf de Karte immer mehr in Richtung Stadtgrenze. Ganz kurz davor kam er schließlich mit kleinem Ruck zum Stillstand, zumal sich gleich noch die Erledigung einer pragmatischen Angelegenheit einbauen ließ.

Schmöckwitzwerder

Wo sich die Wasser von Dahme und Spree so nahe kommen wie selten sonst, liegt die Insel Schmöckwitzwerder zwischen drei Seen und einem Kanal. Nur zwei Straßenbrücken und einen stattlichen Fußgängersteg gibt es, auf denen man die Insel erreichen oder verlassen kann. Dazu viel Wald, herrliche Uferpassagen und ganz im Süden die Siedlung Rauchfangswerder, die selbst fast wie eine eigene Insel wirkt. Die Fähre nach Zeuthen ist leider seit Jahren Geschichte – zumindest die Fährallee erinnert mit ihrem Namen noch an sie. Eine Neuauflage als Linienbetrieb zwischen Schmöckwitz und Königs Wusterhausen wird derzeit konkreter, und man darf gespannt sein, ob Berlin bald eine Fähre mehr statt einer weniger im Fahrplan aufführen darf.

Alte Linde an der Wernsdorfer Kirche

Wernsdorf

Ganz im Nordosten der Insel liegt nach deren Verlassen Wernsdorf. Ein hübsches Dorf entlang einer gekrümmten Dorfstraße, das neben etwas Fischerkietzigkeit mit einem einladenden Dorfplatz sowie ebenso ansehnlichen gelben Dorfkirche aufwarten kann. Ein kleiner Pfad führt dicht an deren Turmseite vorbei und zwingt Passanten zum kurzen Knicks vor den tief gebeugten Ästen einer sagenhaften Linde, deren Krone dank ausgefuchster Prothetik eine größere Fläche überdacht. Ein ehrfürchtig stimmender Anblick von Kraft und Anmut und etwas Ewigkeit.

Liebevolle Erhalts-Maßnahme am Kanal

Die Brücke von Wernsdorf hinüber zum Schmöckwitzerwerder ist so ein Platz, wo man gut einzwei Stunden am Geländer lehnen und einfach nur aufs Wasser und das Geschehen darauf gaffen könnte. Unten am Ufer liegt ein größerer Dampfer vertäut, mit einem halben Dutzend Schirmen auf dem Oberdeck, die nur darauf warten, am ersten sonnigen Tag vom Stiel zum Pilz zu werden. Im Dauerniesel wirken sie etwas verzagt, doch bald wird es soweit sein.

Neue Fußgängerbrücke über den Oder-Spree-Kanal

Auf direktem Weg und im fußweichen Bogen durch den satt getränkten Wald steht man bald am breiten Oder-Spree-Kanal, wo zwischen transportierenden Kähnen flanierende Bötchen noch die Ausnahme sind. Der scharfe Kiel des Patrouillenbootes der Wasserpolizei sorgt am Kanalrand bald für etwas schicke Brandung, sonst liegt das Wasser ruhig zwischen den Ufern.

Voraus liegt unübersehbar die neue Fußgänger- und Radfahrerbrücke, die Ende März erst eingeweiht wurde. Die alte Brücke wirkte ihrerzeit schon gewaltig, jetzt schwebt nur der enttreppte Mittelteil überm Wasser und wirkt neben dem wuchtigen Beton-Bauwerk regelrecht gebrechlich. Die neue Brücke macht es nun für alle mit Rädern unterm Hintern erheblich leichter. Dort an der Tafel mit der Wanderkarte hat jemand liebevoll einen wettergegerbten Wegesammler-Aufkleber wiederbefestigt, etwas in dieser Art haben wir noch nicht gesehen. Herzlichen Dank an die helfende Hand!

Wernsdorfer Schleuse in Wernsdorf

Gleich am Fuß der Brücke beginnt ein Pfad der Sonderklasse, über knapp einen Kilometer. Der wiesige Uferweg brückt bei den letzten Gärtchen über einen verträumten Wasserarm und geht dann in einen Dammpfad über, auf dem man sich bald wie mitten auf dem See fühlen kann. Nach Norden erstreckt sich weit der schilfumkränzte Wernsdorfer See, der nach Norden hin immer urwüchsiger und undurchdringlicher wird, so dass selbst mit dem leichtesten Kajak ein Anlanden problematisch sein kann.

Nördlicher Dammweg am Kanal

Entlang des Kanals reichen die Blicke hier tunnelartig bis zum Seddinsee, einem breiten Bauch der Dahme, dort zur recht eindrucksvollen Wernsdorfer Schleuse mit ihrem mittigen Breitband fallenden Wassers. Gen Süden öffnet sich mit dem Alten Wernsdorfer See ein herrliches Wasserreich mit unegalen Uferlinien, das manche an Skandinavien erinnern wird. Im Hintergrund ist bei der Durchfahrt zum großen Krossinsee nochmal der Dampfer mit seinen wartenden Schirmen zu sehen.

Blick zum jenseitigen Dammufer

In der Mitte des Dammes laden einige Stellen zum Sprung ins Wasser ein, nicht heute, jedoch meistens, und ganz in der Mitte schließt ein hochbeiniges Brücklein die Verbindung, die es am Damm gegenüber nicht gibt, und gestattet besegelten Kajaks die Durchfahrt ohne Masteinholen.

Am Bruch nördlicher Wernsdorfer See

Kurz vor der Schleusenbrücke geht hinter einer Handvoll Häuser ein gemütlicher Weg los, zwischen klatschnassen Wiesenlichtungen, dahinterliegendem Bruchwald und einem ganz anständigen kleinen Höhenrücken, der rechts seine bemooste Flanke steil ansteigen lässt. Überall zeigt sich, dass es in den letzten Wochen immer wieder Regen gab, wie auch heute den ganzen Tag. Der Plan mit dem Wald geht auf, der Regen erwischt uns vor allem oben und die Schirme können ohne Gezerre ihren Job machen.

Flanke der renaturierten Halde

Unerwartet beginnt ein massiver Zaun, hinter dem sich ein überdimensionierter Deich erhebt. Beim Blick auf die Karte entpuppt sich der großflächige Wiesenhang als begraste Deponie. Über fünfzig Jahre wurde hier Berliner Hausmüll aufgetürmt, bis 2005 damit Schluss war und der entstandene Berg nach und nach renaturiert wurde. Einige weit verstreute Zeugen waren bereits auf dem Kanalpfad zu sehen, und auch wenn die Margarinedeckel und Konservendosen mit EVP-Preisen von gewissem historischen Wert sind, ist es doch um so erfreulicher, dass es lokal ein Häuflein Leute gibt, die den ganzen Mist nach und nach aus der Natur sammeln. Auch hier ein herzliches Dankeschön!

Pfad am Fließ der Gosener Hauswiesen

Gosener Hauswiesen

Die grüne, doch sachliche Szenerie währt nur ein paar Minuten. Schon kurz nach dem Abzweig des Rundweges nach Gosen lockt links ein kleiner Pfad, der urig und auch wurzlig zwischen Waldrand und einem kleinen Wasserlauf mit reichlich Schilf verläuft. Links erscheinen die weiten Gosener Hauswiesen wie ein verlandeter See. Hier und da steht eine Insel aus hochgewachsenem Gebüsch, auf den Wiesen steht flächig das Wasser.

Die Wiesen hier sind nur eine kleine Außenstelle der weitläufigen Gosener Hauswiesen, die sich nördlich von Neu Zittau bis hin zur Spree ausdehnen, zum Großteil weglos und daher bei Wasservögeln sehr beliebt. Mit im Spiel sind in den benachbarten Schmöckwitzer Bruchwiesen der geradlinige Gosener Kanal, der schon krummere Gosener Graben und der kleine und äußerst kringlige Große Strom. Mittendrin liegen die Fischerei Kaniswall und das Freilandlabor mit dem gleichen Namen, letzteres ein grüner Lernort mit schönen Außenanlagen.

Ortsmitte Neu Zittau

Neu Zittau

Wir bleiben im südlichen Teil und biegen bald ab in einen schönen Pfad, der direkt im Örtchen Neu Zittau endet, einem ausgewachsenen Straßendorf. Nach einem Bogen durchs Wohnviertel gibt es fast am selben Fleck drei empfehlenswerte Möglichkeiten sich zu stärken. Einen schönen Kirchblick, eine Ampel und ein paar Abbiegungen später landet man auf dem Ablageweg direkt an der Spree, wo ein ufernaher, teils pfadschmaler Weg losgeht. Hier zeigt sich wieder einmal die Schönheit dieses kleinen Flusses, der an so vielen Stellen etwas wild und zugleich sanft wirkt. Und dieser Tage gut Wasser führt, was sich teils auch hier bemerkbar macht.

Spreeufer bei Neu Zittau

An herrlichen Badestellen geht es vorbei und durch kleine Waldstücken, über ein Brücklein und entlang der Wochenendhäuschen am Wurgel, wo hier und da ein Ruderkahn vertäut liegt. Über die Wiesen ergeben sich erste schöne Rückblicke auf die Kulisse von Neu Zittau, die vom Kirchturm bestimmt wird und tatsächlich ein wenig an die Oberlausitz denken lässt, wo man das ursprüngliche Zittau findet. Und wo es auch viele langgezogene Straßendörfer gibt. Selbst den leicht angezwiebelten Kirchturm würde man eher in Sachsen verorten als in Brandenburg, kurz vor Berlin.

Pfad am Altarm der Spree

Bis zur Reitanlage ließe sich diesem herrlichen Weg am Fluss noch treu bleiben, doch das Abbiegen auf Höhe eines abgekoppelten Altarms lohnt sich. Ein zauberhaftes Pfadstück beginnt hier, das sich zwischen struppig-büscheligen Feuchtwiesen und der eigenen Welt des alten Spreebogens hindurchquetscht und manche Verbiegung des Oberkörpers einfordert. Die Pfeiler für den Weidezaun stellen alte Eisenbahnschwellen aus Holz, deren zweite Haupteigenschaft ja die langfristige Wetterfestigkeit ist.

Spreewiesen mit teils bekleideten Pferden

Am Ende übernimmt ein gemütlicher Wiesenweg zwischen saftig grünen Wiesen und Weiden, führt in Kurven vorbei an verschmitzten Pferden, die halbverborgen im Unterholz ausharren und dem Regen die nasse Schulter zeigen. Wuchsfreudige Weidenreihen ziehen geradlinig über die Grasflächen. Bei einem Grundstück, das nur so strotzt vor Phantasie in Anlage, Bau und Ausführung von Garten und Behausungen, wird schließlich der Blick frei und macht nun das sächsische gefärbte Panorama rund – hinter einen Wiesensenke Neu Zittau mit Kirche am sanften Hang. Wir geben uns dem gerne hin..

Runder Wiesengrund in Neu Zittau

Gerade als der Regen dichter wird, liegt am Weg eine verspielte Rasthütte mit akkuratem Wetterschutz von drei Seiten und schönem Blick auf den grünen Grund. Der heiße Tee ist jetzt genau richtig, um für die letzte Stunde der Tour noch bei guter Laune zu bleiben. Der anschließende Weg unterhalb der Gärten hätte diesen Job selbst ohne Tee gut erledigt, es ist nun schon die dritte Zufallsentdeckung extraschöner Pfade an diesem Tag. Mehr und mehr geht der Plan des Tages auf.

Heimat-Museum an der Kirche

Neu Zittau Kirche

Vorbei an der Kirche, die auf einem winzigen Rondelltellerchen und gegenüber des ebenso winzigen Heimatmuseum und weiteren Dorfkaten steht, beginnt nun der Aufstieg in den Höhenzug des Kesselberges, der sich in mehreren Phasen vollzieht und keineswegs belächelt werden sollte. Die erste Höhenstufe ist am Friedhof erklommen und führt direkt hinter dessen Außenmauer entlang. Die ist leicht geneigt, doch noch gerade so, dass man ohne Sorgen ihrer Linie folgt.

Im Forst am Kesselberg

Heidefläche Paschenfeld

Nach diversen Abbiegungen im neonmoosgrünen Wald, weiteren Höhenstufen und einem im Sinne des Wortes liegengebliebenen Radfahrer endet der Wald an einer halboffenen Heide, die sicherlich mal Militärgelände war. Jetzt ist der sandige Boden von Weißmoos, Heidekraut und anspruchslosem Grünzeug bedeckt, Kieferchen versuchen sich am Großwerden und unzählige Wege laufen kreuz und quer. So grau der Tag, so erstaunlich grün ist es hier. Der Radfahrer hockt wieder im Sattel und fährt nun dort, wo er zu Fuß vermutlich schneller wäre.

Kronenkiefer in der Heide Paschenfeld

Einen absoluten Mehrwert schenkt uns der anschwellende Regen des Tages schließlich über Bande. Im ersten Teil der Tour war die Schießbahn des hiesigen Schützenclubs sehr präsent, wenn auch hintergründig, und irgendwann tatsächlich nervend. Seit dem Wiedereintauchen in deren akustischen Einzugsbereich ist jedoch Ruhe im Wald, was der nassen Witterung geschuldet sein könnte – ganz gleich, ob nun die Schützen, die Flinten oder die Projektile nicht so gern nass werden oder schlichtweg die Sicht zwischen Korn und Ziel bei stäubendem Niederschlag zu dürftig ist.

Oberes Hafenbecken vor der Wernsdorfer Schleuse

An einer kurzstämmigen Kiefer mit makellos runder Krone wird dann die Historie anhand von gefassten Schützengräben und dem eingezäunten Areal der Schießanlage greifbarer, was die umgebende Natur mit einem milden Lächeln quittiert und sich überhaupt nicht in ihrem Langzeitvorhaben stören lässt. Dementsprechend weiter verbuscht, überwächst und mit Nadeln bedeckt, was da zu bedecken ist.

Schleuse Wernsdorf

Der ausstehende Abstieg zum Oder-Spree-Kanal ist kurz und erfordert durchaus etwas Federn in den Knien, auch wenn der Waldboden schon gutgehend dämpft. Zwischen Weg und Kanal liegen Pferdeweiden, Gärten und kleine Gehöfte, einige tapfere Obstbäume halten ihre leuchtend weißen Blüten ins fahle Nachmittagslicht und die Pfützen auf dem Weg empfehlen uns manchmal an dessen äußersten Rand.

Alte Dorfstraße in Wernsdorf

Die Bucht vor der Schleuse wird im eleganten Bogen von einer gut befestigten Uferkante aus grobem Schotterbruch eingefasst. Direkt an der Schleuse ruft ein vergehendes Wirtshaus vergangene Zeiten wach, und in Verbindung mit dem Rauschen des Wasserfalls flammt kurz so etwas wie Hafenflair auf. Mit ein wenig Zickzacklauf lässt sich jenseits der Brücke der alten Dorfstraße nachspazieren, die teils noch unbefestigt ist und zuletzt direkt am schönen Dorfplatz endet. Gegenüber zieht das halbe Dorf zum örtlichen Krug, der hell erleuchtet ist, und wird wohl bis weit in die Nacht Tante Hannelores Achtzigsten feiern. Die passende Musik dringt schon gedämpft durch die Fenster und bringt drinnen die ersten beblusten Oberkörper ins Schwingen.








Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit Bahn bis Schönefeld oder Königs Wusterhausen, dann Bus (ca. 1-1,25 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): übers normale Straßennetz (ca. 1 Std.)

Länge der Tour: ca. 15 km (Abkürzungen vielfach möglich)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Gosener Hauswiesen (PFD)

Informationen zu Neu Zittau

Grobskizziert – Döberitz: Wegevielfalt und Ginsterpracht in der Döberitzer Heide

Es gibt Landschaften, deren jetzige Einzigartigkeit auf einer eigenartigen Kausalität beruht. Wo vor mehr oder weniger vielen Jahren oder Jahrzehnten die Motoren extrem schwerer Kettenfahrzeuge dröhnten und den Boden vibrieren ließen, so dass es auch für Nichtindianer noch im zivilen Gelände wahrzunehmen war, konnte schon zu diesen Zeiten die Natur einen Grundstein für das legen, was in Zeiten des Stillstands und der Stille wachsen würde. Dort, wo Maschinerie, Munition und die steuernden Hände und Köpfe dazwischen auf bestmögliches Zusammenspiel geprüft und strategisches Handeln in einen konsequenzarmen Probelauf geschickt werden konnte, gibt es heute die sichersten Refugien für zahlreiche Tiere und Pflanzen – eben weil hier eine wirklich gute Motivation besteht, ausgeschriebene Wege nicht zu verlassen, so wie es Schilder alle paar hundert Meter einfordern.

Steg über den Schwanengraben
Steg über den Schwanengraben

So hinterließen die Wirren und Unklarheiten in der Nachwendezeit sowie der mehr oder weniger geordnete Abzug ehemals allierter Truppen bis Mitte der neunziger Jahre zahlreiche, teils enorm weitläufige Flächen, die plötzlich ungenutzt und regelrecht herrenlos waren und auf die sich kein Mensch herauftrauen konnte, dem sein Leben lieb und der noch ganz bei Trost war. Demzufolge konnte die Natur hier zu annähernd hundert Prozent ihr Ding machen, was sie auch tat. Eines der schönsten Sinnbilder dafür kam vor einiger Zeit in einer Reportage vor. Da brütete eine bedrohte Vogelart, die es sonst in Deutschland kaum noch gibt, in einem schwer zugänglichen Platz unter der drehbaren Kanonenhaube eines verrostenden Panzers. Kaum erreichbar für Tiere, die ein paar Nahrungskettenglieder höher stehen. Dicker Panzerstahl, sicherer Schatten und darunter pelzköpfige Küken, die frohgemut und kaum hörbar tschilpen, egal wer da draußen auch herumschleicht oder -schwebt.

Uferweg am Schwanengraben
Uferweg am Schwanengraben

Viele dieser Gebiete sind heute Heideflächen und liegen weiter entfernt von Berlin, wie z. B. das ausgedehnte Areal nördlich von Jüterbog mit dem Keilberg und seiner grenzenlosen Aussicht, der vom Wasser der Havel umspielte Annenwalder Brand westlich von Templin oder die Reicherskreuzer Heide östlich von Lieberose, die im spätesten Spätsommer mit einem unvergleichbaren Teppich aus blühendem Heidekraut bedeckt ist – nur der Heideblüte wegen muss also niemand den weiten Weg nach hinter Lüneburg antreten.

Wellenreicher Hauptweg in der Döberitzer Heide
Wellenreicher Hauptweg in der Döberitzer Heide

Näher an Berlin liegt da die recht kleine Schönower Heide um die Ecke von Bernau und nicht zuletzt auch die Döberitzer Heide kurz hinter der Stadtgrenze bei Spandau. Diese erstreckt sich unmittelbar gegenüber des Olympischen Dorfes, wo ja im Wettbewerb um die Nutzung mittlerweile auch die Natur schneller vorankommt als der Mensch, der sich in Anbetracht des historischen Schwergewichts und der erschlagenden Dimension des Ganzen mit Entscheidungen schwer tut. Was zu verstehen ist.

Aus dem Staub gemacht
Aus dem Staube

Die Döberitzer Heide

Glaubt man leicht verfügbaren Quellen, gab es erste militärische Nutzungen dieser Heide schon vor 300 Jahren. Zu dieser Zeit muss es von Berlin bis zur Havel und weiter nach Döberitz noch eine kleine Tagesreise oder ein forscher Halbtagesritt gewesen sein, wenn man das damalige Wegenetz bedenkt.

Als Truppenübungsplatz groß aufgebaut und fortan regelmäßig benutzt wurde die Heide unter dem Kaiser. Das klärt auch die Frage, warum die Heerstraße von Westend bis zum Berliner Ortsausgangsschild Heerstraße heißt – auf fast 11 Kilometern Länge und über knapp 700 Hausnummern. Gut doppelt so lang reichten ihre verlängerten Geraden vom Berliner Stadtschloss bis zur Döberitzer Heide. Wenn man darauf achtet, fällt ins Auge, dass sie fast auf ganzer Länge in einzigartiger Weise als breite und repräsentative Straße verläuft. Daran hat sich auch durch 28 Jahre Ost- und Westberlin nichts geändert.

Blumiger Grasweg am Hasenheider Berg
Blumiger Grasweg auf dem Weg zum Hasenheider Berg

Während der Olympischen Spiele 1936 musste die Heide für militärische Wettkämpfe herhalten. Gleich gegenüber wurde das erwähnte Olympische Dorf errichtet, das über die Heerstraße perfekt an die Hauptstadt und auch an andere relevante Sportstätten wie das Olympiastadion angebunden war.

Die regelmäßige militärische Nutzung der Döberitzer Heide ging über hundert Jahre, bis 1991 dann Schluss war – und fortan Ruhe im Karton. Nur in Richtung Groß Glienicke gibt es noch ein Eckchen, wo die Bundeswehr bisweilen übt – jedoch ohne scharfe Munition.

Obelisk an der weiten Freifläche
Obelisk an der weiten Freifläche

Was von dieser Periode noch sichtbar ist, verleibt sich die Natur langsam und stetig ein. Am ehesten sichtbar sind noch alte Bunkeranlagen und Panzergräben, die mehr und mehr von Gras, Nadeln und Baumbewuchs überformt werden. Ansonsten bestimmt üppige, vielfältige Natur das Bild.

Döberitz

Es war schon herauszulesen – Döberitz liegt kurz hinter der Stadtgrenze und ist schnell erreicht, ob nun auf breitem Asphalt oder auf schmalem Stahl. Das heutige Döberitz liegt zwischen den alten märkischen Dörfern Dallgow und Rohrbeck, verfügt jedoch selbst über keinen Dorfkern. Das ursprüngliche Döberitz lag weiter südlich war selbst so ein Dorf, bis es Ende des 19. Jahrhunderts schließlich das Pech hatte, inmitten eines preußischen Truppenübungsplatzes zu liegen. Das Dorf durfte zunächst noch stehenbleiben, doch die Geschichte war letztendlich nicht gnädig. Ende der 1950er Jahre zog die Sowjetarmee in die Döberitzer Heide ein. In diesem Rahmen wurden alle damaligen Bewohner enteignet und Döberitz dem Erdboden gleichgemacht, samt seiner Kirche. Die einstige Kolonie Neu Döberitz ist heute das eigentliche Döberitz und vor allem ein Ort des Wohnens, und über dem Grundriss des alten Dorfes mitten in der Heide staksen heute in Abgeschiedenheit große Pflanzenfresser umher, auf dem wohlwollend verordneten Weg in die Selbständigkeit.

Rastplatz und Aussichtsturm beim Obelisken
Rastplatz und Aussichtsturm beim Obelisken

Kurz nach der jüngsten Jahrtausendwende gab es in der Döberitzer Heide noch kein ausgeschildertes Wegenetz, weder für Reiter noch für Radfahrer oder Spaziergänger. Es ließ sich auf gut Glück durch das vorhandene Wegenetz streifen in der Hoffnung, nicht irgendwo auf ein unüberwindbares Hindernis wie einen Zaun oder ein dorniges Gebüsch zu treffen. Das hatte den speziellen Charme, den solche Entdeckerstreifzüge eben haben, und ging in unserem Fall auch ohne großes Verlaufen und zähe Rückwege ab. Mittlerweile ist hier alles sehr geordnet, was aber überhaupt nicht groß auffällt. Trotz des dichten Wegenetzes und der vielen Gatterzäune ist man durchaus der Meinung, sich durch so etwas wie eine stadtnahe Wildnis zu bewegen.

Waldrand entlang der weiten Freifläche
Waldrand hin zur weiten Freifläche

Irritierend sind dabei nur die Flugzeuge, die die Landepiste in Tegel anvisieren, und das zu gewissen Zeiten im Vier-Minuten-Takt. Egal ob Düsentriebwerke oder Propeller – laut sind sie alle in ihrem Landeanflug. Wenn dann aber die Schwarmzeit überstanden ist, erscheint die Stille im Inneren der Heide umso zauberhafter und beglückender.

Schafherde im Konzentrat mit Ziegen-Ammen am Rand
Schafherde im Konzentrat mit Ziegen-Amme am Rand

Unterwegs in der Heide

Der innere Bereich der Heide, die heute „Sielmann Naturlandschaft Döberitzer Heide“ heißt, besteht aus einer sogenannten Wildniskernzone, die von einem mehrfachen Zaun umgeben ist und ausgewilderten Tieren ein weitgehend unbeeinflusstes Entfalten gewährleisten soll. Aktuell gewöhnen sich dort, wie weiter oben erwähnt, schon einige Dutzend großer Pflanzenfresser wie Wisente, Przewalski-Pferde und Rothirsche an das unbehelligte Leben. Rund um diesen ausgedehnten Bereich verläuft der große Rundweg, der ziemlich lang ist (länger als der Weg zwischen Döberitz und dem Berliner Schloss) und bei all seinen möglichen Abstechern und Optionen mit dem Fahrrad am meisten Spaß machen dürfte – ein schöner und erlebnisreicher Tag kann hier problemlos gefüllt werden. Nur sollte die Bereifung nicht zu schmal sein.

Rastbank im Ginster
Rastbank im Ginster

Möchte man diese Landschaft zu Fuß entdecken, bieten sich kleine Runden an, die Fahrland und Kartzow oder Kartzow und Priort mit dem inneren Wegenetz im Bereich des Ferbitzer Bruchs kombinieren, dem feuchten Kontrast zur meistenteils staubtrockenen Döberitzer Heide. Wer jedoch eben diese landschaftlich vielfältige Heide im kleinräumigen Konzentrat erleben will, dem empfehle ich den Bereich nördlich der Wildniskernzone, der zudem mit den Öffentlichen hervorragend zu erreichen ist. Hier lässt sich die Tour alle paar Minuten verlängern, verkürzen oder komplett umkrempeln. Die Ausschilderung hilft beim Variieren.

Sandiger Weg entlang des Wildniskernzone
Sandiger Weg bei der Hasenheide

Es gibt mehrere Möglichkeiten, direkt in die Heide einzusteigen, sei es nun vom Einkaufszentrum Havelpark oder am Südrand von Döberitz bei der Unterführung der Bundesstraße. Da es dann jedoch stundenlang ohne jegliche Häuser, Kirchturmspitzen und Dorfplätze durch die Natur geht, ist ein wenig Ortslage als Kontrast und Abwechslung sehr zu empfehlen. Diese Kombination bietet sich am besten mit dem Bahnhof Dallgow-Döberitz als Ausgangspunkt.

Kesse Lupine am Gitterventil
Kesse Lupine am Gatterventil

Von dort führt ein zauberhafter und schattiger Pfad entlang des länglichen Schwanengrabens, immer dicht am Wasser und an vielen Stellen regelrecht verwunschen. Nach ein paar Minuten Gewerbegebiet und Straßenlärm übernimmt bald wieder der Waldschatten und mit ihm die Natur samt ihren Düften und Tönen – die Bundesstraße ist kaum noch zu hören, und die Flugzeuge ignoriert man so gut wie möglich. Bald steht der erste Übersichtsplan am Weg und der Einstieg in die Heide bevor. Nach ein paar hundert Meter breiten Weges wird es schon bald kuschliger und es kann entschieden werden, welchen Schildern man folgen möchte.

Schöner Waldrandweg am Grunde
Schöner Waldrandweg am Giebelfenn

Die Wege des ausgeschilderten Netzes sind allesamt einladend. Mal verlaufen sie schnurgerade zwischen Waldrand und offener Weite oder kurvig einer sanften Talflanke folgend, mal direkt durch den blumenreichen Trockenrasen oder breit und staubig über Dünenbuckel voll Erika und Kiefern. Oft auch schattig und kühl durch jungen Laubwald oder entlang dichter Eichenreihen. Zur nächsten Wegekreuzung ist es nie sehr weit, und so stellt sich beim planlosem Umherstreifen an jeder von ihnen aufs Neue die schwierige Frage, welchem der einladenden Abzweige man folgen möchte.

Weg in den Wald
Weg in den Wald bei Sperlingshof

Die Vielseitigkeit der Döberitzer Heide zeigt sich auch darin, dass die Landschaften etwa alle Viertelstunde wechseln. Sei es nun der Wechsel zwischen Waldgebieten und offenem Grasland, zwischen konstruierter Wegesystematik und solchen Wegen, die der Beschaffenheit des Reliefs folgen oder zwischen kleinräumigen Abschnitten und der großen Weite rund um den liebesbedürftigen Obelisken. Von hier aus reicht der Blick weit ins Land und lässt im Gedanken durchaus den Vergleich zur Lüneburger Heide aufblitzen. Zwischen Rastplatz und Obelisk verläuft eine winzige und allerliebste Wegschleife auf trockenen Gräsern, die von Optik und Duft her auch auf einer norddeutschen Insel liegen könnte und im niedrigen und warmen Abendlicht besonders schön sein muss.

Große Ginsterweite südlich der Bundesstraße
Große Ginsterweite südlich der Bundesstraße, Nordheide

Die Vegetation ist üppig, vielfältig und reich an Baumbewuchs – Heidekrautflächen sind in dieser Heide jedoch die Ausnahme. Dafür blüht im späten Mai an vielen Stellen großflächig der Ginster, wie wir es bisher nur selten gesehen haben. Ein guter Ausgleich für lila Blütenmeere im September.

Worauf wir noch getroffen sind, das waren eine muntere Schar von Pfadfinderinnen und ein großes Halbrund von hochbeinigen Bienenstöcken mit einem eindrucksvollen Klangteppich aus hunderttausenden Flügelschlägen. Ferner eine im Schatten vereinigte Schafherde mit zwei freundlichen Ammen-Ziegen, die verwaisten Lämmchen zur Verfügung standen. Wer die oben erwähnten größeren Tiere sehen möchte, kann sein Glück südlich vom Natur-Erlebniszentrum versuchen. Zwischen Wolfsberg und Wüste kann man mit etwas Glück ein behuftes Bein, ein beschweiftes Heck oder sogar einen bemähnten Kopf zwischen den Bäumen entdecken. Weniger rar machen sich kleinere Leute wie eben die Wildbienen, Grashüpfer und Schmetterlinge, die im gesamten Gelände für einen charmanten Buschfunk sorgen.

Parkstreifen
Parkstreifen in der westlichen Siedlung Döberitz

Für den Rückweg zum Bahnhof gegen Ende der Tour spricht nichts dagegen, wieder den Uferweg am Schwanengraben zu nehmen. Wer bei seinen Streifzügen weiter westlich bei der Zufahrt nach Rohrbeck gelandet ist, kommt durch ein Wohngebiet und einen hübschen Parkstreifen ebenfalls zurück zum Bahnhof. Dort bieten sich für den großen und kleinen Hunger mittlerweile vier Möglichkeiten zur Einkehr an. Mit etwas Heidestaub im Scheitel.

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der Regionalbahn bis Dallgow-Döberitz (ca. 45 Min.), wahlweise weiter mit dem Bus zum Havelpark

Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der B 5 Richtung Nauen (ca. 45 Min.)

Länge der Tour: wie unten zu sehen 13,5 Kilometer; darüber hinaus beliebig variierbar; Empfehlung: der Rastplatz am Obelisken sollte dabei sein

 

Download der Wegpunkte

 

Links:

Historische Karte der Döberitzer Heide (1936), altes Dorf Döberitz im Zentrum

Sielmann-Naturlandschaft Döberitzer Heide

Einkehr: mehrere Möglichkeiten am Bhf. Dallgow-Döberitz