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Alt-Temmen: Holzschindeln, die Frühlingsliste und das nahe ferne Dommeln

Er ist endlich da, nun wirklich, wie es scheint – der Frühling. In einen einzigen Tag kurz nach der Mitte des April steckt so viel von ihm, dass es in der Langzeitempfindung die ganzen zurückliegenden Wochen mit Dauerfrösteln und Novemberszenerien nahezu ausgleicht. Es ist so herrlich, Jackenknöpfe zu öffnen oder die Mütze in die Tasche zu stecken, und je nach Windrichtung kann das schon mal ein genüssliches Stündchen andauern. Der Reißverschluss darf endlich Zähne zeigen.

Bei Temmen

Die freigelegten Ohren werden weit geöffnet, damit der Wind ganz ungehindert durch den Kopf rauschen kann, dabei alle lästigen Gedankendauerschleifen auseinanderbläst. Und den Weg frei macht für alles und nicht mehr als das, was Nase, Ohren, Haut und Augen an die Denkzentrale kabeln. Ganz davon abgesehen sammelt dieser Tag ein selten erlebtes Konzentrat von Frühlingssymbolik – erste Störche und Marienkäfer, klamme Zitronenfalter, flauschige Lämmchen und Saft in den Birken. Zur Abenddämmerung ist wieder so ein Weg geboren, den man alle Jahre einmal brauchen wird.

Hügelweg im Walde

Alt-Temmen

Temmen liegt eingeschmiegt zwischen der Ringenwalder und der Poratzer Moränenlandschaft und macht aus seiner Eiszeit-Vergangenheit kein Geheimnis. Das hügelige Land bedient in seiner Mischung von Seen und weiten Wäldern, gebogenen Talgründen und archaischen Buckelpisten viele Uckermark-Klischees, die nicht nur beruhigend und schön, sondern allesamt richtig und wahr sind. Das Dörfchen mit seinem schönen Gutshof liegt dementsprechend zwischen drei Seen, die zum Teil auch Badestellen anbieten.

Gedenkkreuz am Kloster St. Georg, Göttschendorf

Die kleinen Straßen zu den Nachbardörfern Neu-Temmen oder Hohenwalde gehen von Schönheit, Unterhaltungswert und Verkehrsarmut glatt als Wanderwege durch, so dass sich schon im näheren Umkreis ein schöner Tag verbringen ließe. Doch wir wollen heute viel von all dem. Bekommen werden wir noch weit mehr, inklusive einer Überraschung etwa auf der Mitte.

Klosterkinder ODER Yin und Yang nach Feierabend

Angesagt war ein trüber Tag, doch bereits in Temmen zeigen sich erste blaue Fetzen am Himmel. Der Hofladen der weiten Gutsanlage hat leider schon zu, doch beim Blick fällt dieser auf den ersten selbstgesehenen Storch dieses Jahres, der auf einem meterhohen Horst hockt und seinen Schnabel auf der plustrigen Brust abgelegt hat, wie das am besten Enten können.

Leuchten am Waldboden

Von dort oben dürfte der Ausblick über den Düstersee noch besser sein, der bereits vom Ufer weit bis zu den jenseitigen Waldeshöhen reicht. Das Schilf ist noch fahl, die Wiese noch platt von allen letzten Wettern, und auch alle Baumwipfel stehen so kahl da wie schon seit November. Es ist immer wieder erstaunlich, wie spät es wirklich losgeht mit dem grünen Laub im großen Stil.

Hinter Hohenwalde

Am Dorfausgang steht neben einigen Kühen im gewohnten Format ein enormer Bulle mit Türsteherstatur, von dem man nicht missverstanden sein will. Beim Passieren gibt er über mehrere Sekunden so einen fast elektronisch klingenden Blechdosentiefton aus, den man eher als Welle spürt als dass man ihn hört. Blick und Stirn bleiben dabei unbeweglich und wir stehlen uns mit dem angemessen Respekt vorbei. Denn zwei dünne Drähtchen sind eben nur zwei dünne Drähtchen und Logik auch nur Logik.

Lindenallee nach Hohenwalde

Auf der anderen Seite des Weges steht auf einem Hügel sein Pendant als Baum – ein knorriger Kern mit großen und kleinen Blässuren, umgeben von lebhaftem Nachwuchsgeäst, das jeweils selbst schon als Baum durchgehen würde. Einzwei Blitze könnte er schon überstanden haben, und Standort und Statur sollten Stoff für ein paar schaurige Dorfmären hergeben. In denen sicherlich der Vollmond eine Rolle spielt, vielleicht auch ein unnatürlich großer Rappe mit glänzendem Fell.

Schon an der folgenden Gabelung wird es wieder unbeschwerter im Gemüt. Links unten werden Pferde von geeignetem Personal bewegt, direkt in der Gabel steht ein geräumiger Rastpavillon. Dahinter liegen im Karree unzählige Findlinge in allen Korngrößen zwischen Kinderfaust und Pferdehintern. Etwas weiter nördlich in Skandinavien würde man bei sowas gleich an eine vorgeschichtliche Stätte denken. Ein bisschen tut man das auch hier, denn Form und Ausmaß sind durchaus charakteristisch.

Klarer See, Alt-Temmen

Bevor noch die Gedanken sich dem verspielten Wegeverlauf hingeben und der Kopf auf Durchgang schalten kann, hüpft das Herz vor Freude angesichts der ersten gesichteten weißen Buschwindröschen, durchmischt mit den gelben Glanzsternen des Scharbockskrautes. Eine unschlagbare Mischung am nachwinterfahlen Waldboden. Hier und da kontrastieren dazwischen ein paar sattviolette Veilchen.

Guter Platz überm Gutshof, Alt-Temmen

Gleich danach wird es wieder nichts mit dem sinkenden Puls, denn voraus auf einem spillrigen Strommast sitzt hoch oben ein großes Nest, das durch einen aufsitzenden Vogelumriss bald als Horst erkannt wird. Die spätere Vergrößerung bestätigt wahrhaftig den Weißkopfseeadler, maßgeblich anhand der typischen Statur und des Weißes in Kopf und Heckpartie.

Alter Kämpe am Dorfrand, Alt-Temmen

Im Uferbereich des Klaren Sees entdecken wir am Boden des trockenen Bruchwaldes mehr und mehr Blütensternchen – je länger man den Blick fixiert, desto mehr werden es. Das ist jetzt eine gute Einleitung für den Ruhemodus. Herrliche Kurven schlägt der Weg in der nächsten halben Stunde, umrundet Wäldchen und Hügel, nimmt schilfige Senken, verschwiegene Weiher und weite Wiesengründe mit. Links die Weite, rechts die bewegten Grasmatten mit bereits saftigem Grün. Dazwischen zieht sich der Bild gewordene Autopilot in Form des Weges, dessen Wiesennarbe mal filigran ist, dann wieder dominant. Immer gegenwärtig sind die dicken Steinbrocken, als vom Gletscher rundgeschmirgelte Riesenmurmeln oder als gratkantige Quader, die eher nach Steinbruch aussehen.

Weniger alter Kämpe am Dorfrand, Alt-Temmen

In den Wipfeln einer Birkengruppe hängen gelangweilt dicke Mistelballone und planen vermutlich irgendwelchen Unfug oder Schabernack mit den Passanten. Wir sind durch den Ochsentypen noch sensibilisiert und weichen dem aus, indem wir am Waldrand rechts über die Wiese abkürzen. Am Ende der noch ruhenden Weide beginnt eine längere Partie durch den Wald, der alle paar Minuten sein Gesicht ändert.

Beim Klaren See

So gut wie nie gibt es hier den lichten Brandenburger Kiefernwald, dafür weite Hallen aus hochgewachsenen Buchen, die ein paar Wochen noch nach oben offen sind. Dazwischen immer wieder größere Fichtenwäldchen, teils kontrastierend benachbart zu weißen Birkenstämmen. Die nun prahlen schon mit dem allerersten Laubgrün des Waldes, das eher noch flirrender Eindruck ist als konkrete Farbe. Zu Füßen der Fichten liegen im Dustern dieselben Steinbrocken wie gegenüber bei den Buchen oder Birken, doch sind sie hier von dickem Moos überzogen und lassen zum Teil offen, ob ein Ameisenhügel, ein alter Baumstumpf oder eben einen Stein verhüllt ist. Eine stets angenehme und recht verbindliche Antwort gibt nur der Drucktest mit Hand, Knie oder Nase. Überhaupt scheint hier der gesamte Waldboden von dickem Moos bedeckt zu sein.

Arnimswalder Wald

Ein liegender Stamm bietet einen schönen Pausenplatz, wo nun der hoffentlich letzte Unterwegstee dieses Frühjahrs dampfen wird. Zwischen linkem und rechtem Schuh spielt sich derweil im aufgewühlten Laub eine weitere Frühlingsszene ab. Eine Blattwanze, die weitaus schöner und prächtiger aussieht als ihr Name annehmen lässt, hat sich aus dem kühlen Waldboden gegraben und zwei kruschlige Buchenblätter erklettert, die eine Art Grat als Abflugplatz bilden.

Huflattich an der Ecke

Der Panzer des Käfers hat die feierliche Form eines Wappenschildes und wird später vermutlich ein kunstvolles Muster tragen. Noch ist er komplett grün und vermutlich butterweich. Der Sechsbeiner bewegt sich wie nach einer durchzechten Nacht – vielleicht ein ähnliches Gefühl wie ein im Waldboden verbrachter Winter. Steife Glieder, kraftlos und desorientiert, labbriger Pulli und kein Bock. Dann beschert die Gunst der Stunde ein paar Sonnenminuten, der Pulli gewinnt an Fasson und der Laufstil wird bestimmter. Ehe wir noch groß beobachten und staunen können, macht er den Abflug.

Hügelweg im Walde

Parallel zu diesem Vorgang flattert weiter hinten ein Zitronenfalter vor den dunklen Nadelbäumen entlang, tingelt allmählich in unser offenes Waldstück. Setzt sich einmal kurz auf die Teekanne, fliegt eine Ehrenrunde um unsere Köpfe und ist auf einmal zu zweit. Und wieder weg. Nachdem der Käfer weg ist, sind die drei gelben Flatterer wieder da und kurz darauf zu viert. Nee, zu fünft. Dann wieder weg und wenig später ganz woanders am Tun. Wie schon gesagt, der Frühling inszeniert mit Nachdruck.

Rastplatz am Radweg

Nach dem ersten Abbiegen seit langem sind wir mit einem Mal im Mittelgebirge gelandet. Aus dem Nichts taucht voraus ein VW-Bus mit orangefreiem Hirschlogo auf, der von einer tiefen Wegesenke komplett verschluckt war und auf der Suche ist nach irgendwas. Einige Male in Folge geht es tief hinab und gleich wieder hoch, so dass allein diese Viertelstunde für den Großteil der heutigen Höhenmeter sorgt. Passend zu den überraschenden Kapriolen des Reliefs wird der Weg von dichtem Fichtenwald begleitet, der aussieht wie beschrieben.

Weg nach Göttschendorf

Mit leisem Schnaufen beenden wir den letzten der Aufstiege und erreichen beim einstigen Großen Karutzsee einen ruhigeren Weg mit angenehmem Abwärtstrend. Hier folgt nun das nächste Kapitel der Waldblümchen. Eingeleitet wird es von einer ganzen Herde Huflattichköpfe, die alle in eine andere Richtung schauen, als liefe eine angeregte Diskussion quer übern Marktplatz. Davon unbeeinflusst hat sich ein klammer Zitronenfalter am mittigen Kissen einer Blüte angedockt und wartet dort auf etwas Sonnenwärme. Fällt kraftlos ins Buchenlaub und arbeitet sich wieder genau zur selben Stelle. Die Beharrlichkeit wird belohnt, denn die Sonne schiebt sich kurz zwischen den Wolken hervor und zeigt umgehend ihre Kraft. Keine Minute später sitzt der Schmetterling aufrechter und flattert bald davon.

Station des Mythengartens, Göttschendorf

Die Forststraße wird zu einer dieser rumpligen Pflasterstraßen, die so gut in diese Landschaft passen, und steuert geradewegs auf drei Rastraufen zu, die zu einem großen Pausenareal gehören. Hier sollte sich ganz wunderbar eine kleine Waldweihnacht feiern lassen. Ein paar Minuten später endet das große Waldgebiet, voraus liegt ein leicht gewundener Alleeweg, der sanft nach Götschendorf hin abfällt. Wo ansonsten meist eine Lerche pro Acker zu hören ist, jubelt es hier gleich von drei Richtungen aus der Höhe. Zu sehen ist wie immer keins der Vögelchen.

Klosterkirche, Göttschendorf

Götschendorf

Am Rand von Götschendorf liegt der kleine Friedhof, kurz danach steht am Wegabzweig ein mannshoher Stein des Uckermärkischen Mythengartens, dessen Logo sich auch als Mosaik an den Flanken findet. Die in Edelstahl geprägte Sage handelt vom Hecht mit dem Goldzahn und dem Rucksack, was unbestritten Neugier erzeugt. Weiter unten zeigt eine Karte weitere Standorte solcher Steine.

Klosterküche

Weiter hinten im Dorf gibt es laut Karte eine Kirche, also schieben wir einen kleinen Abstecher ein. Der lohnt sich wirklich, denn aus der Kirch-Signatur auf der Karte wird eine besondere kleine Stunde. Ein Zwiebelturm, gedeckt mit Holzschindeln und gekrönt von einem goldenem Kreuz, bestätigt die teils in russisch gehaltenen Plakate am schwarzen Brett des Dorfes. Zur Turmknolle gehört ein ungewöhnliches Kirchgebäude jüngeren Baujahres, ein baufälliges Schloss sowie ein weitläufiges Gelände, auf dem es viel zu gucken und zu entdecken gibt.

In der Klosterkirche

Russisch-orthodoxes Kloster St. Georg

Kurz vor dem Gotteshaus steht ein Schild an der Straße und kündigt eine geöffnete Küche an. Das würde gut passen, Einkehr am Wege und ausreichend Zeit hinterher, alles ein bisschen zu verteilen. Wärmebedarf spielt bei der Energieaufnahme keine große Rolle mehr, denn mittlerweile sind die Jacken offen, die ersten Arme liegen frei und Mützen wechseln zwischen Kopf und Tasche.

Arnimsches Gutshaus

Noch vor dem Tor zeigt sich das gesamte Ensemble und ergibt insgesamt eine kuriose Zusammenstellung. Zur Straße hin steht eine Gulaschkanone, aus der es dampft und duftet, etwas eingerückt auf dem Grundstück die Fassade des Schlosses. Auf der Wiese davor gibt es zwischen vereinzelten Bäumen ein prächtiges goldenes Kreuz, groß wie ein Denkmal, zur Kirche hin einen ausgelagerten Glockenstuhl mit zwei Handvoll Glocken mit Kalibern von kirchturmtauglich bis Schiffsglocke. Dazwischen verteilt ein paar Pavillons, wo in normalen Zeiten das verschmaust werden kann, was die Küche so bietet.

Hinterm Gutshaus bei den Beeten

Besonders schön und selten erlebt sind die freilaufenden Schafe und Ziegen. Auch hier gibt es verschiedenste Größen, die Schafe haben Schulterhöhen von Dreirad bis Motorroller – so große Schafe hat man wirklich selten gesehen. Die hochbeinigen Ziegen sind eher groß und klettern auf den umgestürzten Bäumen im unteren Uferwald herum.

Klosterschafe in zahlreichen Ausfertigungen

Hintern Schloss kommen zielstrebig zwei größere Schafe angelaufen und prüfen, was es zu holen gibt. Gibt aber nix. Dem Anstand geschuldet warten sie noch ein paar Sekunden in der Nähe und zerstreuen sich dann wieder, soweit das bei zwei Schafen möglich ist. Zu Füßen der Schlossterrassen gibt es ein kleineres Gatter, das komplett mit Stroh ausgelegt ist. Das Tor steht offen in Richtung zweier großer Strohquader, die auf die Größe eines Speisesaals auseinandergelatscht wurden.

Bootshaus am See

In den Flanken der einstigen Quader und dazwischen im bauschigen Stroh oder an Elternteile gekuschelt liegen verschlafen winzige Lämmer, die so frisch sein müssen, dass selbst das Liegen noch zu lernen ist. Schwarze gibt es und weiße, kohlrabenschwarze, graumelierte und auch ein weißes mit schwarzem Kopf. Je tiefer man den Blick ins Strohgeschehen gräbt, desto mehr Lämmer werden es. Die Schafe dazwischen, sämtlich noch im Winterpelz, sind alle verschieden hoch und reichen von braun über grau bis weiß. Schwarze sind keine zu finden.

Vergnügte Klosterziegen

Zwischen den Orten des Geschehens schlendert ein tiefenentspannter Hund und schaut beiläufig nach dem Rechten. Auf der Rückbank eines staubigen Autos sitzt ein noch tiefentspannterer und lässt die träge Schnauze und ein Ohr aus dem offenen Fenster hängen.

Unten am See schließlich gibt es noch ein kleines Bootshaus mit Steg und zwei rustikalen Terrassenöfen Marke Eigenbau. Vom Steg fällt der Blick weit über den langgestreckten Kölpinsee, der bis ins nahe Milmersdorf reicht. Einige Ruderboote sind unterwegs – oben am Eingang waren Bootsverleih und Sauna angeboten, und Bootsverleih ist ja auch derzeit möglich.

Externes Geläut

Die Klosterkirche selbst ist samt aller Rundungen komplett mit Holzschindeln gedeckt, die weißen Wände sind mit Ziegelsteinen verkleidet. Der Innenraum überrascht mit enormer Deckenhöhe und einer prächtig ausgemalten Halbkuppel über dem Altarraum, auf einem Tisch liegen Bücher und Ikonen kleineren Formats zum Kauf. Während die Wände noch das blanke Baumaterial zeigen und dicke Kabel auf ihre Schächte warten, ist der Boden lückenlos mit riesigen schweren Teppichen ausgekleidet, Verstärkung liegt noch zusammengefaltet am Rande. Jeder Schritt wird gedämpft, und ebenso gedämpft ist das Staunen darüber, einer Kirche beim Werden zuschauen zu können. Wie zur Bestätigung spielt der lebhafte Wind gelegentlich mit der provisorischen Pforte und jammert ein wenig in den Ritzen.

Bei Gotts See

So faszinierend kontrastreich und leicht verrätselt wie das Kircheninnere und dazu noch ziemlich abgefahren ist auch die Geschichte, die sich in mehreren Kapiteln an bekannten Namen aus verschiedensten Ecken entlanghangelt. Vor dem Zweiten Weltkrieg diente das einst arnim’sche Gutshaus einem der Allerobersten der Nazizeit als Jagdhaus, einiges danach nutzten es Volksarmee und Staatssicherheit für Urlaubszeiten. Wie viele vergleichbare Objekte stand es nach der Wende leer und begann zu verfallen, ein Prozess, der bis heute andauert.

Waldsauerklee am Ochsenbruch

Wie die flüchtigen Quellen des Netzes berichten, stieß ein Herr Kuchinke, einstiger Spiegel-Journalist und Russland-Experte mit besonderem Interesse für orthodoxe Kirchengesänge, vor fünfzehn Jahren auf die vergehende Anlage und fand, dass hier ein guter Platz für ein Kloster sein könnte, ein russisch-orthodoxes. Ließ die Gedanken fließen und spann die junge Idee noch ein wenig weiter, bis hin zu einem Lebensmittelladen, einer Bibliothek und einer Gastwirtschaft mit russischer Küche. Und sah vor sich einen besonderen Ort für bedeutsame Treffen, gern auch auf höheren Ebenen.

Uckermärkische Basismöblierung in der Ringenwalder Moränenlandschaft

Nun musste zuerst das Wohlwollen der Dorfbewohner her, dann noch ein großer Haufen Geld. Bei ersterem half neben vorgeführten Filmen über diese Religion maßgeblich ein Pfarrer Kasner. Der stand im nahen Templin lange Zeit im Dienst der Kirche und hatte eine heute fast vierundsechzigjährige Tochter, die seit längerem Bundeskanzlerin ist.

Das Wohlwollen wurde erlangt und die ganze Anlage ging für den symbolischen Euro über den Tisch, mit der Bedingung, dass binnen fünfzehn Jahren drei Millionen in den ihren Ausbau zu stecken waren. Am sichtbarsten sind die geflossenen Mittel an der Kirche, die im nordrussischen Stil neu erbaut wurde. 2013 erfolgte die Weihe des kuppelkrönenden Kreuzes durch einen Erzbischof.

April im Buchenwald

Was die Millionen betrifft, war es nützlich, dass Herr Kuchinke in Russland recht bekannt war, ein bisschen wie ein bunter Hund. So ergab sich ein Besuch in der Datscha von Präsident Putin, der wiederum Herrn Kuchinke bereits aus seinem Lieblingsfilm kannte, wo dieser Anfang der Siebziger einen dänischen Professor gespielt hatte. Kuchinke kommentierte die Sache geistreich, der Humor gefiel dem Präsidenten und die Idee des Klosters bei Berlin konnte überzeugen. Telefonate wurden geführt, und bald darauf wies eine russische Bank einen siebenstelligen Betrag an. 2007 wurde das Kloster gegründet, das in seiner Art einzigartig ist in Westeuropa, vier Jahre später bezogen die ersten Mönche ihre Kammern und widmeten sich dem Motto „Bete und arbeite – ora et labora“. Die Arbeit dürfte so schnell nicht ausgehen.

Urige Lindenallee nach Hohenwalde

Was von all dem jetzt Legende ist und was nicht, ist eigentlich egal, denn selbst diese lückenhafte Kurzform zeigt schon die kuriose Abfolge von Ereignissen und ihre unterhaltsamen Kurvenausschläge. Und wer braucht schon zuviel Wahrheit, wenn eine Geschichte gut ausgedacht und schnurrig erzählt ist? Die Vision des Herrn Kuchinke jedenfalls, Vorbehalte abzubauen und verschiedenste Köpfe an gemeinsame Teetafeln zu bringen, ist nicht mehr nur eine Vision. Und neben kulturellen Traditionen und geistlichem Austausch wird es am Tisch wohl auch mal ganz schlicht um Piroggen gehen und um Getränke in kleinen dickwandigen Gläsern.

Hohenwalder Entree

Apropos Gaumenfreuden: aus den Kesseln der Kloster-Feldküche, die noch von den Vornutzern stammen könnte, gibt es gut bestückten Borschtsch, kräftige Soljanka und anderes, dazu passen gut die Piroggen mit drei verschiedenen Füllungen. Einmal über die Straße liegt eine kleine Wiesenböschung, zu der wir das Tablett mitnehmen dürfen, als Tischschmuck gibt es ungepflückte Veilchen. Zu uns gesellen sich einige Ameisen, die zielgerichtet den Piroggen zustreben, insgesamt aber friedlich sind. Mit spannender Vorderpartie verlassen wir diesen besonderen Ort, an dem wir kein einziges Verbotsschild finden konnten.

Kunsthaus Hohenwalde

Am Mythenstein verlassen wir das Dorf, wieder hinein in die Stille des Waldes. Gleich um die Ecke liegt Gotts See, in direkter Nachbarschaft zum Ochsenbruch. Beide ruhen in einer Stimmung, die sich schon ein bisschen nach Abendsonne anfühlt. Doch das ist noch eine Weile hin, gut so, denn der Tag soll nicht so schnell zu Ende gehen.

Wurzel am Dorfrand, Hohenwalde

Nach und nach wird es wieder hügeliger und wir stoßen auf Parallelen einer Tour, die jetzt fünf Jahre zurückliegt und eher in der Zeit der allerersten Frühblüher spielte. Nach und nach übernimmt der Buchenwald, mittlerweile sonnenlichtdurchflutet, und dementsprechend geht es jetzt richtig los mit Buschwindröschen, die so anmutig im leisesten Windhauch wackeln können. Sogar mitten auf dem Weg wachsen sie, durchmischt mit den erwähnten gelben. Auch die extrasmarten zarten Blüten des Waldsauerklees, die stets ganz stark nach Jugendstil aussehen und deren grasgrüne Laubblätter bisweilen eine perfekte Herzform ergeben, finden wir hier. Wenn irgendein Waldblümchen besonders liebenswert ist, dann wohl dieses.

Weg zum Düstersee

Immer mehr wird es und immer dichter mit den Blütenteppichen, die sich nicht davon stören lassen, dass viele der umgebenden Brüche und Sümpfe schon länger trocken liegen. Auch direkt neben der Landstraße breitet sich bei den Bootsschuppen am Proweskesee hin noch so ein herrlicher Blütenmeer aus. Nach dem Queren eines zaghaften Vorkommens frühester Ucker, die hier dem Großen Krinertsee entgegenrinnt, beginnt eine der urigsten Pflasterstraßen der Uckermark, gesäumt von uralten und teils dramatisch geborstenen Lindenbäumen. Da sind sie wieder, die Höhenmeter, wenn auch sensationell verpackt. Die halbe Stunde Pflaster unter der winterfaulen Sohle wird sich am nächsten Tag noch in Erinnerung rufen.

Marie auf Leder

Hohenwalde

Kurz vor der Ortsmitte, die im Wesentlichen ein Buswarte-Kabuff mit dem Feuerlöschteich bildet, senkt sich die Straße etwas ab, vorbei an blühenden Obstbäumen und einer Fachwerkfassade. Irgendwo im Ort soll auch eine Pfarrerstochter ihre Datsche haben. Im Kabuff liegt vergessen eine oft gelesene Kitschschwarte, gegenüber hat man im Künstlerhof Freude an Farbe und Gestaltung. Am Teich steht auf bdeutender Tafel ein Hinweis auf den Fernreit- und Kutschweg Berlin-Usedom, der eher Legende ist als Realität. Nach Süden setzt sich, bereits bekannt, eine weitere der besonderen Lindenalleen in Gang, die das Dorf im leichten Anstieg in Richtung Ringenwalde verlässt. Doch heute kommt noch einmal Neuland – ein oft schon angepeilter Weg, aus dem dann nie etwas wurde.

Herbstgruß gleich daneben

Wie von einem Burghügel senkt sich die staubige Fahrspur hinter den letzten Feldsteinscheunen langsam ab in den grünen Grund, der voraus schon zu sehen ist. Rechts am Rand liegt ein enormer Wurzelstubben. Er ist so groß wie zwei der Bullen von vorhin, die meisten Wurzeläste sind ähnlich dick wie die nicht mehr junge Eiche gleich daneben. Der freiliegende Stumpf wirft einige Fragen auf. Falls er nicht von hier kommt, sondern hergebracht wurde, hätte es dazu mindestens vier solcher Bullen gebraucht, dazu einen sehr stabilen Ochsenkarren. Und irgendeinen guten Grund.

Weg nach Alt-Temmen

Für die letzte Pause, die nicht der Notwendigkeit, sondern einer feinen Leckerei vom Bäcker geschuldet ist, findet sich ein sanfter Wiesenhang unter einer Birke mit kunstvoll gewundenen Ästen, die vom aufkommenden Wind ins Schaukeln gebracht werden. Von hinten wärmt die Sonne den Pelz, nach vorn heraus liegt eine malenswerte Szene, und der erste Marienkäfer legt auf der Schuhspitze eine Pause ein. Unten vom See her ist zweimal laut und deutlich der Basston einer Rohrdommel zu hören, einem Vogeltier von imponierender Größe. Das ist kein alltägliches Erlebnis, doch Zweifel bleibt keiner, denn der Ton ist äußerst charakteristisch.

Uferwiesen am Großen Krinertsee

Mehrmals verschieben wir den Aufbruch, im Wissen, dass es gerade zum Abend hin immer schwerer wird, wieder in Gang zu kommen, wenn man grad so herrlich sitzt. Es ist einfach so schön, so vollkommen. Nichts treibt uns, genügend Licht ist auch noch übrig. Und Geschenke wollen erkannt sein.

Weidenopas am Düstersee

Zeit also fürs Zusammensuchen der ganzen Frühlingssachen der letzten Stunden: Birkensaft und erwachende Käfer, Meere von Frühblühern und hinreißende Lämmchen, der erste Pirol und der werbende Rohrdommler, nicht zu vergessen den dösenden Storch und den torkelnden Marienkäfer. Und dann gab es ja auch noch das Rudel erwachender Zitronenfalter und weit mehr Lerchen als üblich. Dickes Ding.

Blick übern See nach Alt-Temmen

Der vorausliegende Weg ist zauberhaft, also siegt irgendwann die Neugier. Wieder durchzieht er launig die Landschaft, wie zu Beginn der Tour, streift Wäldchen, Hügel und quert Bächlein. Versteckt hinter einer Baumreihe liegt zum See hin ein feuchter Wiesenstreifen, der abermals dicht bedeckt ist mit Blüten, die zum Abend hin verstärkt ihren Duft verströmen. Noch nie probiert, doch jetzt wird sich gebückt trotz müder Beine, und hat sich gelohnt. Sanft und aromatisch, und tausende Blüten vom Wind zusammengefasst sind ein genüssliches Erlebnis.

Auf dem Weizberg Ostgipfel, Alt-Temmen

Kurz ist zu sehen, dass es zwischen dem Großen Krinertsee und dem Düstersee hindurchgeht. Auch am kleinen Badestrand gibt es nochmal Blüten, ebenso am Ufer des Düstersees. Bereits mit Blick auf die Dächer von Temmen wird der krumme Weg von wuchtigen Weiden flankiert, die nahezu in die Waagerechte geborsten sind und schon im vollen Saft stehen.

Direkt vor dem Dorf liegt der Weizberg mit zwei Gipfeln. Die steile Flanek hin zum See erstrahlt im Abendlicht vor unzähligen Blüten – wir müssen einfach noch mal hoch. Es ist kaum zu fassen. Und gut zu wissen für Leute, denen tausend Schritte und fünf Höhenmeter völlig reichen.












Anfahrt ÖPNV (von Berlin):
Regionalbahn über Angermünde nach Wilmersdorf, dann weiter mit dem Bus; Regionalbahn über Eberswalde nach Milmersdorf, dann weiter mit dem Bus (jeweils ca. 2-2,5 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): wahlweise über Landstraße (über Milmersdorf) oder Autobahn (über Joachimsthal)(ca. 1,25-1,5 Std.)

Länge der Tour: ca. 18.5 km (Abkürzungen möglich)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Information zu Alt-Temmen

Hofladen Gut Temmen

Kloster Göttschendorf

Artikel über Herrn Kuchinke

Kunsthaus Hohenwalde

Kutsch- und Reitweg Berlin-Usedom

Einkehr: (Bauernstübchen, Alt-Temmen)
Klosterküche, Göttschendorf

Neuzelle: Oderbarock, die idyllische Treibjagd und das Ballett der besonderen Füße

Der angenehm durchwachsene Sommer in Berlin zeigt sich luftig – zum einen hinsichtlich allerhand bewegter Luftmassen, zum anderen in Gestalt von Bürgersteigen ohne hohes Verkehrsaufkommen und breiten Hauptverkehrsstraßen, die sich auch abseits von Ampeln gut überqueren lassen. Die Bewohner der Stadt haben das Weite gesucht, das in diesem Jahr nicht ganz so weit ausfallen darf, und die Besucherscharen aus jeder Art von Übersee müssen sich zum großen Teil in Geduld üben und ihre Pläne eher auf das nächste oder übernächste Jahr vertagen.

Blick auf Neuzelle mit der Klosterkirche

Den Hiergebliebenen geht es da ähnlich zwiespältig wie den Syltern, Venezianern oder anderen Stammbewohnern einschlägiger Touristen-Hochburgen – einerseits ist es einmalig und friedenstiftend, den eigenen Heimatort mal halbwegs ohne Gedrängel selbst neu entdecken zu können, andererseits natürlich bedrückend, wenn man an alles denkt, was den Bach runtergegangen ist oder längerfristig die Nachfolgen nicht überdauern wird. Ein menschenleerer Platz zwischen Adlon und Brandenburger Tor oder eine lose gefüllte Straßenbahn M 10 in der Nacht von Freitag zu Sonnabend, ein Berghain ohne Schlange – faszinierend und gleichermaßen unheimlich.

Wiesen über Neumühle

Wer also seine geplante Langreise an Karibikstrände, bunte Kulturschmelztiegel oder Orte mit markigem Abenteuer-Aroma nicht antreten konnte, dem werden in diesem Wochen in den meisten Printmedien inländische Ziele und Aktivitäten schmackhaft gemacht. Für die meisten Leute sind die meisten davon mit einem altbackenen Geschmack im Antwortsatz auf die Urlaubsfrage verbunden, der ja für viele auch einiges Imagegewicht trägt.

Doch nun bietet sich eine seltene Gelegenheit, der Berechtigung dieses Geschmacks auf den Grund zu gehen, ohne ein mitleidiges Nick-Lächeln des auftrumpfenden Gegenübers zu riskieren. So tauschen zwei radelnde Duracell-Häschen die Tour längs über die britische Hauptinsel ein gegen eine mehrwöchige Reise vom allernördlichsten Punkt Deutschlands zum allersüdlichsten – vom Sylter Nordstrand zum Haldenwanger Eck bei Oberstdorf oder von Null auf Tausendneunhundert – und ernten reichlich Soci-Medi-Grinsedaumen. Ein bahnfahrender Eurotrotter schmeißt seine geplanten Schwedenwochen zugunsten des zauberhaften und langen Albsteigs über Bord und eine Liebhaberin von Mittelmeerinseln birgt mal wieder ein paar lange nicht besuchte Kleinode Brandenburgs, schlendert durch fränkisches Fachwerk oder erklimmt die Berliner Hütte im Zillertal.

Wer ohnehin gern innerhalb der Landesgrenzen bleibt und seit jeher Spaß daran hat, die Vielfalt zwischen den kleinsten Gesteinsbrocken des Strandsands und den größten in den Gipfeln der Alpen zu entdecken, wird in diesem Jahr staunen, wenn hier und da etwas mehr Betrieb herrscht oder man im Biergarten fümmunneunzig Sekunden länger auf sein kühles Getränk warten muss.

Neumühle

Untern den erwähnten Kleinodien in Brandenburg gibt es einige mit dem Anspruch auf Einzigartigkeit, im Gegenzug wird manchmal eine weitere Anreise fällig. Die muss im Falle guter Verbindungen zeitlich nicht länger ausfallen als solche zu gängigen Zielen wie Neuruppin oder dem Spreewald. Nach Neuzelle zum Beispiel braucht die Bahn vom Ostkreuz nicht mal anderthalb Stunden, und selbst von Prenzlau oder Wittenberge aus sind es tagesausflugstaugliche vier Stunden – wenn man halbwegs gerne auf der Schiene sitzt.

Neuzelle

Die Einzigartigkeit in Neuzelle liegt vor allem und unbestritten in der bayrisch prächtigen Klosterkirche mit all ihren Anlagen, die am Rand des platten Oderlandes steht, direkt unterhalb der kleinen, doch ausgeprägten Höhenzüge, welche den überschaubaren Ort durchziehen und umgeben. Über die Pracht und Schönheit der barocken Kirche lässt sich an zahlreichen Stellen nachlesen und über Bilder staunen. Auch der Kreuzgang, die in Stufen angelegte Parkanlage und alle sonstigen Gebäude des Klosters stehen dem kaum nach.

Schöner Rücken im hohen Grase

Am erhebendsten ist es, sich der Silhouette des Ortes von der Oder kommend zu nähern, wo die zahlreichen Türme zunächst dunstig in der Ferne liegen, kaum greifbar und eher einer Erscheinung gleichend. Nach und nach schärft sich der Kontrast, treten Details und Konturen hervor und werden mit jedem Steinwurf des Näherkommens konkreter. Das hinzubekommen soll an diesem Tag seinen Preis haben. Doch wird am Ende keine Frage stehen, ob es das wert war.

Wer nicht gleich zur Sache kommen muss und sich den Höhepunkt des Tages fast schon schmerzhaft bis zum Ende aufbewahren möchte, kann der beschriebenen Spur folgen. Vom Bahnhof sind es keine fünf Minuten, bis ein kleiner Bergweg erste Höhenmeter abfordert, die jedoch werden gleich darauf mit einem Blick auf die Klosterkirche und einen begrünten Höhenzug belohnt. Das war‘s dann auch fürs Erste. Durch schattigen Wald ziehen sich Pfade über den Priorsberg, vorbei an einer Sportanlage mit zeitweiligem Ausschank, wenig später am Denkmal für eine Berliner Frauenrechtlerin.

Blick von oben auf Neumühle

Winzige Pfadpassagen wechseln mit braven Wohnstraßen, bevor an einem großen Stall ein schnurgerader Feldweg beginnt, thematisch unterstrichen von würziger Landluft. Hinterm Wäldchen ragen aus dem niedrigen Korn vier aufrechte Ohren, zeigen sich für eine Sekunde zwei jugendliche Rehköpfe mit ihren schwarzen Augen. In der nächsten Sekunde liegen zwei beherzte Sprünge aus dem Stand und in der folgenden dann das urplötzliche Verschwinden, wie das so nur Rehe hinbekommen. Keine Ähre wackelt, nichts raschelt.

Im Wegewirr des Fasanenwaldes

Hinter einer morschen Scheune liegt leicht abfallend eine struppige Wiese, die auf den ersten Blick nichts Besonderes hat. Doch bald stocken die Schritte, ob der Farbenpracht, die es mit der einer Bergwiese gut aufnehmen kann. Zugleich angelegt und wild sieht diese Fläche aus, die nicht viel größer ist als hundert Meter im Quadrat. Auf dem kargen Boden drängelt sich eine Blumenvielfalt, die wiederum eine ebenso große Vielfalt von Insekten anlockt. Hatte man bisher das Gefühl, es gäbe weniger Schmetterlinge als in den letzten Sommern, wird das hier geradegerückt. Zwischen all den Bienen und Hummeln tummeln sich auch winzige und größere Käfer sowie Fliegen der eleganten Sorte, teils in schillernden Metallic-Farben, als kämen sie gerade aus der Lackiererei. Oder hätten sich in altertümliches Bonbon-Papier gekleidet.

Ernteballett bei Neuzelle

Doch für das größte Staunen sorgt zum einen die herrlich große Menge von Schmetterlingen, mehr aber noch die selten gesehene Mannigfaltigkeit der scheinbar planlosen Flügelschläger. Große und kleine, klassisch geformte und eher sportlich schlichte – und dann die Farben, die Muster, die Kontrast-Varianten! Einem Schmetterologen dürfte sich hier das Herz weiten, und auch Fotografen solcher Materie dürften stark ins Schwärmen, vor allem aber ins Knien kommen. Unsere diesbezügliche Ausstattung ist vergleichsweise kindlich, doch wir nehmen mit, was geht.

Auf den Höhen über Neuzelle

Nach diesem genüsslichen Nichtvorankommen folgt ein kurzer Abstieg. Die Blütenvielfalt weicht hier purer Blütenfülle in violett, die Sechsbeinigen werden nicht weniger. Unten an der Kapelle müssen wir erstmal wieder auf den Teppich kommen und nutzen das schattenspendende Vordach für eine erste Rast. Das schützt für die Länge des Verzehrs auch vor weniger niedlichen und nervig sirrenden Sechsbeinern, die uns frisch entdeckt haben, doch scheinbar eine gewisse Ehrfurcht vor dem Gottesdach hegen, zumindest fünf Minuten lang. Dann jedoch fällt jeder Anstand, und wir haben schlichtweg zu wenig Arme, um die Dürstenden auf Abstand zu halten. Also weiter.

Bergwiese vor Kummro

Kummro

Wie so oft an der imposant durchwirkten Geländekante am Rand des platten Oderlandes nehmen jetzt die Vergleiche zu höheren Bergregionen ihren Lauf, Stammleser dürften das aus früheren Beiträgen kennen. So erweist sich auch das schöne Kummro der Gebirgskulisse würdig, mit steilen Hängen, bunten Blumenwiesen und dem kleinen platten Talgrund. Viele Grundstücke unterhalb des Hanges haben mehrere Etagen, die je nach Kontostand mehr oder weniger gestalterisch ausgelebt werden. Wobei sich zeigt, dass kostspielige Details oftmals weniger zur gemütlichen Landlust-Illustration taugen, sondern eher die mit Patinacharakter. Der Kenner weiß, dass diese mitunter noch weit teurer kommen.

Farbknallige Schmetterlinge in der Wiese

Neumühle

Jenseits des Dorfbaches, der schmal und lebhaft gen Neuzelle plätschert, beginnt der schattige Weg zur Neumühle. Die liegt schön eingeschmiegt im Bachtal, direkt dahinter spannt sich zwischen den Waldrändern eine weite Wiese voller Gesumm und Geschwirr auf. Ein ufernaher Pfad ist vor lauter Vegetation nicht zu erkennen. Das Verbleiben auf dem breiten Fahrweg schenkt uns im Ausgleich gleich noch eine hinreißende Reh-Episode. Wieder schauen vier Ohren aus den dichten hohen Halmen der fußklammen Uferwiese, doch nicht gleich hoch. Das untere Paar ist kaum zu sehen.

Intensiver Blicktausch mit Muddern

Die Begegnung verläuft sehr ruhig, so als hätten Kitz und Ricke in verbalfreier Verständigung für die Taktik der Unauffälligkeit entschieden. Ein direkter, tiefer Blick zwischen der Alten und uns hält lange an, so einer, dem dann meistens das vorhin erlebte Aufspringen und Enteilen folgt. Doch die beiden bleiben der gewählten Methode treu und entfernen sich langsam Richtung Ufer, wie auf Zehenspitzen mit dem zugehörigen, leicht waalkes’schen Gang. Die Ohren sind noch lange zu sehen.

Pfad an der Neumühle

Neben der Mühle führt ein reizvoller Pfad entlang des Zauns. Am Ende möchte man gern dem Wegweiser zur Schwerzkoer Mühle in den schattigen Weg folgen, der direkt und gefühlt mit nassen Füßen dem Bachlauf folgt. Der tränkt hier viel Waldboden zu schwarzem Modder. Folgerichtig ist da der unmittelbare Venenzugriff dutzender Winzlinge, die scheinbar schon alles Nutzvieh der Umgebung leergesogen haben und ohne jegliches Sondieren zum Stich schreiten.

Wiesengrund bei Neumühle

Gut also, dass es ohnehin der falsche Weg war, im schnellen Rückzug zurück zur Wiese und noch ein paar Wanderer auf den rechten Weg gebracht, auch wenn der mitten durch die Mückentränke führt. Doch sie wollen es so. Bei jedem Storchenschritt durch die hohe Wiese schnibben friedliche Grashüpfer durch die Luft und werfen die Frage auf, wie man in solch einem hochgewachsenen Halmwald überhaupt abspringen kann.

Bei Neuzelle

Am Ende einer zugeknöpften Waldsiedlung mit halbherzigen Durchgangshindernissen wird der Wald lichter, und bald öffnet sich die Landschaft. Ein Zaun begrenzt eine weitere Wiesenfläche, wo auch junges Gebäum heranwächst. Hier wird nun das nächste Kapitel an Schmetterlingsfreude aufgeführt, sich dabei halbwegs an den Verlauf des grobmaschigen Zaunes gehalten. Den mitlaufenden Knipsversuchen entgehen die edel Gewandeten dadurch nicht.

Da alle Bilder Gurken werden, genießen wir die Pracht vor Ort und versuchen uns ein paar Muster ins Kurzzeitgedächtnis zu legen, später digital oder analog nachzuschlagen. Diese durchflatterten Blumenwiesen erschaffen gemeinsam mit dem ausdrucksstarken Wolkenhimmel einen sagenhaften Sommertag, dessen zeitweilige Hitze ein gelegentlicher Wind angenehm entschärft.

Hinter dem querenden Fahrweg liegt eine große Wiese, hügelig und mit Aussicht auf baldige Ausblicke. Auf ihr gibt es ein paar Wege, die nicht sichtbar sind und dazu einladen, mit der Euphorie eines freigelassenen Kindes freudenquietschend loszurennen und sich durch die weiten Wogen des Reliefs treiben zu lassen. Zwischendurch beim Rennen die Augen zu schließen oder sich einfach ins stoppelige Gras fallen zu lassen. Um dann nach ein paar Augenblicken mit fest zugekniffenen Augen und Sonnenpunkten unter den Lidern den Hang hinabzurollen oder zweidrei Purzelbäume zu schlagen.

Blick hinab zum Stadtrand

Gleich hier spielt am oberen weichen Rand eines üppig grünen Hanges das dritte Kapitel von farbstarken Blüten und buntem Geflatter in immer neuen Gestalten. Unten im Tal ruht wie in einem Ölschinken über Omas Sofa gemalt Kummro, eingekuschelt in dunkle Waldhänge. Das Relief des Weges bringt uns ganz von allein auf Spur, so wie ein Wassertropfen auf einem gewellten Lotosblatt ganz klar seine Bahn finden würde.

Unten ist nicht ganz klar, ob es ein offizieller Weg für jeden ist. Der zuständige Hofhund stellt lautstark dieselbe Frage, sollte jedoch an seinem Timbre arbeiten. Das folgende Wohngebiet bietet für einige Grundstücke den seltenen Luxus eines eigenen Hausberges, der mit Stiegen, Serpentinenwegen und Hochterrassen für die Abendbank hinreichend zelebriert und gewürdigt wird. Eine abzweigende Straße für eine neue Wohnsiedlung trägt verheißungsvoll den Namen Klosterblick. Das erweist sich als Marketing-Gag und erinnert einmal aufs Neue daran, dass man das Kleingedruckt immer mit der richtigen Brille lesen sollte.

Eine schöne Aussicht zum Spinnberg gibt es trotzdem und dazu gleich mehrere schöne Wege über die Wiesen, die nun hier das vierte Kapitel aufklappen. Wir bleiben auf der Höhe, passieren große Ställe und das wohl bestgestützte Storchennest weit und breit, das ohne Überhänge auskommt. Dementsprechend groß fällt die Besatzung aus, die ohne statische Bedenken da oben rumturnt.

Klosterkirche und Hochofen und Bergwiese

Wenn der bisherige Weg der Zustieg war, kommt dieser jetzt in seine finale Phase, bevor es charakterlich in höhere Regionen geht, wenn auch unterhalb der Baumgrenze. Wer keinen Wert auf Vollständigkeit in der langen Reihe der Gipfel legt, kann gleich jenseits der Straße ins Wegesystem einsteigen, das etwas Interpretationsfreude und Wagemut verlangt. Heute auch etwas Leidensfähigkeit, denn aktuell herrscht eine regelrechte Mückenplage, wie die Zeitung des nächsten Tages auf ihren ersten Seiten verrät. Am besten folgt man an den zahlreichen Abzweigungen grob einer Himmelsrichtung.

Miniaturgebirgslandschaft Fasanenwald

Wir bleiben dem breiten Weg treu bis zum südlichsten aller Gipfel, von dem sich nun endlich der ersehnte Blick auf das Kloster mit allen seinen Accessoires ergibt. Faszinierend und vielleicht einzig diesem waldoffenen Punkt vorbehalten ist, dass der Blick zugleich auf die Kirche aus dem 18. Jahrhundert und den gewaltigen Eisenhüttenstädter Hochofen aus dem 20. Jahrhundert fällt, der dort die Hauptachse des Stadtbildes mitbestimmt. Um den Punkt zu erreichen, muss man sich kurz vor einem Hochstand rechts hinüber zu Wald halten, dabei etwa auf selber Höhe bleiben. Der Pfad ist derzeit nicht sichtbar, der stark ausfallenden Vegetationsperiode geschuldet, denn wir staksen hier mitten durch der Flatterwiesen fünftes Kapitel.

Im dichten Fasanenwald (der Weg ist das links da)

Als wir uns kurz verbeugen und in den dichten Laubwald eintreten, staunen wir und stoßen auf eine kuriose Analogie. Unweit der sozialistischen Planstadt Schwedt, damals wie heute einem wichtigen Industriezentrum in dünn besiedelter Landschaft, gibt es auf polnischer Seite das wildromantische und zauberhafte Tal der Liebe, das hier vor einem Jahr ausgiebig besungen wurde. Starkes Relief auf kleinstem Raum, üppige Natur durchschlungen von einem System von Wegen und Pfaden und erkennbare Spuren einer gezielten Anlage. Dazu die Odernähe und direkt benachbart die flachen Flussweiten. Ein hinreißendes Netz von Pfaden, das zum Verfransen herzlich einlädt.

Nun finden wir hier in Nachbarschaft zu Eisenhüttenstadt, der Planstadt der sozialistischen Planstädte, eine ganz ähnliche Landschaft, wenn auch hier die verspielten fürstlichen Zutaten wie Teiche, Statuen und Ruinchen oder die ganz besonderen Aussichtsplätze fehlen, denn die sind zum Großteil zugewachsen. Doch auch das Tal der Liebe hielt lange Jahrzehnte einen Dornröschenschlaf, und wenn irgendwann der Klostergarten fertig ist, fällt auch in Neuzelle vielleicht jemandem ein, dass man ein paar Säckchen öffentliches Geld dafür verwenden könnte, hier dies und das in Angriff zu nehmen. Am besten Anfang der Dreißiger mal wieder hier vorbeischauen!

Höhenpfad im Fasanenwald

Wo nun an und für sich die herrlichen Anstiegspfade und Höhenwege, Rastbänke und betagten Schautafeln zum Genießen und Verweilen einladen, gestaltet sich dieser erste Besuch des Fasanenwaldes zur atemlosen Hatz. Zwischen Mondberg und Kreuzberg, Flaschenberg und Herzberg veranstalten die Mücken mit uns eine milde Form der Treibjagd und holen alles nach, wovon wir im letzten Sommer verschont geblieben waren. An solchen Stellen, wo es ein meterbreiter Sonnenstrahl bis zum Waldboden schafft und eine flirrende Beam-Säule in den Wald stellt, sieht man das ganze Ausmaß, die dichten Wolken lüsterner Rüsselträger in wildem Ritual-Tanz.

Selbst ein Foto zu machen ist schon ein kleines Wagnis, denn das sekundenlange Verharren wird auch hier ohne die Suche nach der besten Einstichstelle genutzt. So bleibt nach hintenraus neben allerhand schlecht verschlossenen Zapfstellen an Beinen und Armen sowie einigen hastig eingefangenen Gedankenbildern die Erkenntnis, hier in besonders feuchten Phasen des Sommers lange Ärmel im Rucksack zu haben – oder mal im Herbst oder Frühling herzukommen, um die Sache in Ruhe zu genießen.

Weite in der Oderaue

Nach einer guten halben Stunde fuchtelnden Geländelaufes gibt uns der Wald frei, nun wieder unten auf dem Niveau der Wiesenaue, die friesisch flach zwischen Bahn und Oder liegt. Auch am Fahrweg direkt unterhalb des Fasanenwaldes lauern sie noch, doch wir wollen ohnehin hinüber ins offene Land. Doch die Querung der Bahn ist problematisch, denn eine einstige Option, von der noch ein rostiges „Durchfahrt verboten“-Schild erzählt, ist komplett verwachsen.

Da heute in Sachen Leidensfähigkeit gut gestählt, versuchen wir uns irgendwie zum Gleisbett durchzuarbeiten. Auch wenn die Strecke gut einsehbar ist, jede Stunde nur ein Zug vorbeisaust, ist von der Querung grundsätzlich abzuraten – nicht zuletzt deswegen, weil man im weglosen Dornenkraut hervorragend umknicken kann. Außerhalb der Vegetationsperiode sollte es besser sein, doch hier und heute lassen wir es sein und bleiben auf dem bequemen Weg, der die nackten Beine weder sticht noch kratzt noch verknickt.

Heuernte vor Neuzelle

Mit der Öffnung zur Bahntrasse hin werden die Mücken weniger. Um unseren eingangs erwähnten Wunsch nicht in den Wind zu schießen, planen wir indessen verwegen, uns selbst recht hübsch was vorzumachen. Gucken betont nicht zu allem, was an Türmen oben rausschaut, wenden uns am Ortsrand nach rechts und schwärmen nach dem Überqueren der Schienen mit großen Schritten aus in Richtung Oder, mitten in die weite Wiesenaue. Um ganz draußen wieder umzudrehen und ehrfurchtsvoll dem Kloster zuzustreben. Wer sich hinsichtlich dessen an die Stirn tippt, hat zunächst recht – doch nach hinten raus so gar nicht.

Erntehelfer in der Oderaue

Denn was wir jetzt erleben, ist nicht nur die schönste Art der Annäherung an die Neuzeller Turmlandschaft. Die laufende Phase des Sommers schenkt uns zusammen mit dem Wettergeschehen und landwirtschaftlichen Notwendigkeiten ein Ballett, das sich direkt vor der Kulisse des diesig entfernten Klosters abspielt und mit gar nichts geizt. Für später ist Gewitter angesagt, mit starkem Regen, und auf den Wiesen liegt in langen Bändern das gemähte Heu bereit. Daraus entsteht ein klares Spannungsfeld, was den Blickwinkel des Landwirts betrifft.

Während auf den Wiesen jeweils ein schwergewichtiges Pärchen aus Mähdrescher und behängertem Traktor in blau ein leichtfüßiges Tänzchen aufs Parkett legt, eilt vom Ort her der nächste Tanzpartner herbei. Dies tut er jeweils im weiten Bogen und mit der gebotenen Eile, die von Partnerwechsel zu Partnerwechsel noch im Tempo anzieht – etwaigen Fußgängern dürften beim Platzmachen am Wegesrand aufwändige Frisuren in Bedrängnis geraten. Der weite Bogen wird von einem kleinen, doch ausreichend breiten Wassergraben diktiert. Der Partnertausch vollzieht sich in respektvoller Entfernung, dabei aber so dicht, dass dem Dreschwerk keine nennenswerte Wartezeit entsteht.

Klostergarten Neuzelle

Ergänzend zu diesem Ballett der Elefanten findet ein weitaus grazileres statt, direkt daneben, mit um die fünfzig paar schwingender Tanzbeine in rot. In absoluter Seelenruhe spazieren Störche neben den röhrenden Maschinen, flattern elegant auf, legen jedoch nur dann ein paar hingeschlurfte Meter in der Luft zurück, wenn der Abstand zu groß geworden ist. Die Tanzenden stehen kaum in künstlerischer Korrespondenz, sondern geben sich ganz dem jeweils eigenen Ausdruck hin, gleichzeitig dem Genuss taufrischer Leckerbissen, die das verwirbelte Heu freigibt. Nur ein besonders hungriger Storch befindet sich als Einziger im regelmäßigen Aufholflug, damit ihm wirklich nichts entgeht. Ein anderer hat wohl genug für heute und gleitet im weiten Bogen und leicht bräsig in Richtung Nachtlager. Das Zwiegespräch zwischen spindeldürren Beinen und extradicken Treckerreifen im meterkurzen Abstand schafft die besondere Note dieser sommerlichen Vorstellung. Was die Anmut der Großen in den Drehbewegungen ist die der Hochbeinigen in jedem einzelnen Schritt.

Schon einmal durften wir ein Spektakel zahlloser großer Vögel vor der Kulisse des Klosters erleben, in einem knackig kalten Winter. Im letzten nachmittäglichen Sonnenlicht zogen Hunderte Gänse von den Futterplätzen ins Nachtlager, mit dem zugehörigen Schnabelspektakel, das über Kilometer zu hören ist. Mitten durch den unten schon beschnittenen, glühenden Feuerball – wie einst E. T. vor dem vollen Mond. Wir derweilen sahen mit großen Schritten zu, dass wir Neuzelle noch vor der Dunkelheit erreichen, denn eine Lampe war nicht in der Tasche und die Oderaue kann sehr dunkel sein. Der hochwertig neonbeleuchtete Kosmetiksalon am anderen Rand des Klosterteiches hieß seinerzeit noch Bier Beauty, doch das hat wohl der Phantasie der potentiellen Kundschaft zu viel abverlangt. Das heutige Hair Beauty klingt zwar vergleichsweise trocken, erlaubt jedoch leichter greifbare Assoziationen zu gängigen Inhalten von Schönheit.

Heckengang im Klostergarten

Auf dem nun endlich erlangten Weg von der Aue auf das Ortsbild zu machen wir alle paar Minuten den eilenden Gummiwalzen Platz, die nun sichtlich gegen die herannahende dunkle Wolkenfront anfahren. Die Umrisse der Klosterbauten gewinnen zunehmend an Schärfe, werfen den Grauschleier der Distanz ab und machen nun neugierig darauf, was das warme Licht der späten Sonne mit den zahlreichen Gelbschattierungen der Klostermauern veranstaltet.

Arkadengang bei der Orangerie

Kloster Neuzelle

Über das Kloster, die Kirche und den Park mit Kräutergarten muss hier nichts geschrieben werden. Es ist schlichtweg zauberhaft, auch wenn der Kräutergarten gerade komplett umgekrempelt wird. Wo einst Kleingärten stündlich vom Wind der vorbeieilenden Züge umweht wurden, wird derzeit die barocke Struktur der Gartenanlage wiederhergestellt. Hart für die Parzellanten, doch angesichts der Einmaligkeit der Klosteranlage eine nachvollziehbare Entscheidung für den kleinen Ort. Nächstes Jahr soll alles fertig sein, dann mit Gärtnerei, dem eigentlichen Kräutergarten und zahlreichen Obstbäumen.

Klosterkirche über den Wiesenstufen

Der Park unterhalb der großen Wiesenstufen scheint soweit komplett und erlaubt verspielte kleine Spazierereien zwischen dem Wasserbassin, hohen Hecken und gelungenen Kantenmodellen einstiger Pavillons, Arkaden oder Aufgänge. Hin zur Orangerie ergeben sich so reizvolle Perspektiven, die ein bisschen an ein Labyrinth denken lassen. Das Café ist mehr als gut geeignet für das Vertrödeln einer ganzen Weile. Beim Eintreten nimmt der Blick automatisch eine etwas feierliche Note an, und eine Bestellung würde man womöglich in lippenaktivem Hochdeutsch tätigen. Es riecht nach wandhohen Gemälden, salbungsvollen Trauungsworten und aufwändigen Kristallüstern – auch wenn es gerade nichts davon gibt. Im Winter übrigens stehen in den beiden hohen Räumen in der Tat die Bäumchen und sonstigen Großtopferten.

Tränke am Klosterteich, Neuzelle

Der feierliche Blick bleibt auch noch beim Erklimmen der Stufen, hinauf zur Ebene des weiten Innenhofes, die wie geschaffen scheint für einen schönen Weihnachtsmarkt. Und weicht beim Betreten der Kirche ganz naturgemäß dem staunenden Blick, der den Mund selten ganz geschlossen lässt. Insbesondere in einer alpenfernen Region, wo nicht in jedem fünften Ort so eine Anballung barocker Elemente wartet. Die Uhr schlägt gerade vier, und so bleiben uns noch ein paar Minuten der Kulanz, bevor sich der riesige Schlüssel für heute zum letzten Mal im Türschloss dreht.

Stiege zur Aussichtsbank

Hinter großen roten Türflügeln fliegt der Blick auf glattes Pflaster entlang einer weißstämmigen Lindenallee und gleich die nächste Anhöhe hinauf, bevor er schnellstens zurücksaust und sich der hübschen Szenerie rund um den Klosterteich widmet. Nicht zuletzt durch den jüngsten Anstieg macht sich spontan der Hunger bemerkbar – der Klosterkrug kommt jetzt mehr als gelegen. Leider sind alle Tische draußen schon besetzt, doch ein Seitenblick entdeckt noch zwei tieferliegende Decks mit einem freien Tisch. Kein Wasserblick, doch dafür der in den Garten und weniger Leute, die dicht am Teller vorbeilaufen könnten.

Klosterblick vom Priorsberg

Auch alles andere passt perfekt, und nach erfolgtem Energieausgleich und einem Zuwachs an momentaner innerer Zufriedenheit ist nun die Runde um den Klosterteich besser als jedes Kompott. Überall fließt es, teils nicht ganz logisch, und der Weg passiert trotz seiner Kürze eine lange Mauer, eine zum Abend ausatmende Wiese und sogar eine Insel, die als Refugium für all die Enten dient, die hier den Teich bevölkern.

Oben am Kirchturm gleißt das blau-goldene Ziffernblatt, als würde es gleich schmelzen und über die Kanten abfließen, wie bei Dalí. Gleich dahinter läuten nun die Glocken aus vollem Hals und geben uns einen stillen Stüber für die letzte Viertelstunde bis zum Bahnhof.










Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Regionalbahn über Frankfurt/Oder (1,5 Std.) oder Cottbus (2 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): Autobahn und Landstraße in beliebiger Mischung (1,75-2,5 Std.)

Länge der Tour: ca. 17 km (Abkürzungen mehrfach möglich)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Amt Neuzelle

Zeitungsartikel Fasanenwald Neuzelle

Kloster Neuzelle

Einkehr: Klosterkrug, Neuzelle (am Kloster)
Zum Zickenzeller (Bahnhofstr.)
Sportlerheim (am Priorsberg, Birkenweg)