Zweieinhalb Millionen Menschen leben in Brandenburg – etwa halbsoviele wie in Norwegen oder auch Finnland. Nur ein Drittel davon verteilt sich auf die unzähligen Dörfer, deren Antlitz mal naturromantisch, mal spröde oder einfach ganz lebensnah aussieht. Neben all diesen Dörfern gibt es gut hundertelf Städte und Städtchen in Brandenburg, die den restlichen zwei Dritteln Unterschlupf bieten.
Ungefähr jede vierte verfügt über einem ganz ordentlich erhaltenen historischen Stadtkern. In einigen dieser gut dreißig Städte steht noch der größte Teil der mittelalterlichen Stadtmauer, die sich meist im Rahmen einer genießerischen Runde erkunden und erleben lässt. Davon abgesehen finden sich auch solche mit intakter Stadtmauer, deren Inneres jedoch vom letzten Weltkrieg stark gebeutelt wurde und nun bauzeitlich gesprenkelt oder mit sprödem Charme erstrahlt. Den schönen Spaziergang gibt es jedoch auch hier, und wer offenen Auges unterwegs ist, kann auch hier noch allerhand Historisches finden. Wenn auch die Vorstellung des bedeutsam ausschreitenden Nachtwächters mit langem Mantel, Hellebarde und Fackel in solchen Fällen ein wenig Anstups benötigt.
Anfang der letzten Neunziger Jahre war an der historischen Bausubstanz überall im Land vieles am Bröckeln, schaute grau aus seinen Fugen oder schien kaum noch zu retten. In drei Jahrzehnten ließen sich einige Wunden heilen, wurde vieles wiederhergestellt und nachgebildet, und heute ist jede dieser Städte umso mehr einen Besuch wert. Vier von ihnen liegen übrigens direkt vor den Toren von Berlin, eine sogar noch im C-Bereich der S-Bahn.
Beeskow
Etwas weiter ist es in die Spreestadt Beeskow, die sowohl Laien als auch Kenner ihr Leben lang gern mit Beelitz oder auch Belzig durcheinanderhauen. Etwas Linderung verschafft, dass Belzig mittlerweile ein Bad vorangestellt wurde und Beelitz irgendwie ganz klar mit Spargel assoziiert ist. Eine nur mäßig hilfreiche Eselsbrücke zu Beeskow ist das doppelte e, das auch die durchfließende Spree in sich trägt. Wer Eisen auf Eisen dorthin reist, steigt in Königs Wusterhausen um oder wahlweise auch in Frankfurt an der Oder.
Der Stadtkern innerhalb der Mauerlinie misst im Durchmesser gut fünfhundert Meter, das Durchlaufen der äußeren Stadt vom Bahnhof bis zum südlichen Rand füllt gut zwanzig Minuten, und doch kann man hier problemlos und gut unterhalten die Länge eines winterlichen Tageslichts verbringen, wenn das Wegenetz in der Art eines Schneckengehäuses aufgerollt wird.
Spreeinsel und Kietz
Am schönsten einsetzen lässt sich, alternativ zum Bahnhof, am Flößerplatz unterhalb der Burg – falls also vom Bahnhof in Kürze der 400er Bus abfährt, ist man schon nach wenigen Minuten am Ostkreuz, unweit der Spreebrücke, die zur Insel übersetzt. Die Burg erhebt sich eindrücklich auf dieser Flussinsel, die breit zwischen den Wassern der Spree ruht. Diese spannt hier im Osten der Stadt eine weite und schilfreiche Wasserlandschaft auf, die der Insel ausreichend Platz bietet und zugleich der Burg die Schutzfunktion über ihre Stadt erleichterte, ein paar Jahrhunderte zuvor.
So klein die Insel ist, so vielseitig und vollgepackt zeigt sich ihr sanft gewölbter Buckel. Die nördliche Hälfte bleibt recht sachlich vor allem dem Hafen und allerlei Zweckbauten vorbehalten. Die von einem Grüngürtel umgebene Burg, teils Ruine und mit ihren Flügeln und dem Burgfried manchen Detail-Blick wert, bestimmt die Mitte der Insel, die zur Stadt hin von einem durchgehenden Spazierweg am Nebenkanal begleitet wird. Innerhalb der alten Mauern gibt es Kultur in vielen Ausprägungen, ferner ein Museum sowie eine Freilichtbühne – und natürlich etwas Gastronomie. Zu Füßen der Burg können Flöße ausgeliehen werden, um die Spreelandschaft mit ihren Seen und Altarmen auf besonders entspannte Art zu erkunden. Zum Freischalten wird bislang kein mobiles Endgerät benötigt.
Wahrhaftige Inselatmosphäre verströmt dann der Kietz, der trotz seiner geringen Ausdehnung mit einer ganzen Reihe von Gassen aufwarten kann. Keine einzige von ihnen sollte man sich entgehen lassen – wenn man schon mal hier ist. Selbst im vergleichsweise farbleeren Januar zeigen sie ihren Charme, und ganz im Süden lädt noch eine schöne Liegewiese ein – mit freier Sicht aufs Wasserreich rund um den oder die Bahrensdorfer See.
Vom jeweils einen Ende der Querstraße sieht man die Laternenköpfe am anderen Ufer. Auch eine der allerschönsten Stadtansichten findet sich hier – am Ende der Fischerstraße – und an der Brücke über die Spree ein schönes Gasthaus direkt am breiten Wasser. Ein Fußgängersteg verbindet die Inselmitte auf kürzestem Wege mit der Stadtmauer, die noch knapp drei Viertel von Beeskows Innerem umgibt.
Historischer Ortskern
Die Mauer ist zum Teil so niedrig, dass man einen Medizinball hinüberwerfen könnte, an anderen Stellen hingegen so hoch, dass man mit der längsten Leiter kaum hinüberkäme. Ausgebessert wurde sie dem Anschein nach immer bei Bedarf mit dem, was gerade verfügbar war. Mal verläuft der Weg innerhalb, dann wieder außerhalb, stellenweise besteht die Wahl. Die westliche und teils auch südliche Mauer begleitet ein breiter Grünstreifen, der Platz lässt für Spielplätze und Parkwiesen. Wer möchte, kann unterwegs die Türme mit ihren einschlägigen Namen zählen – oder gleich alle turmartigen Bauwerke, die sich längs der gepflasterten Spur finden, seien sie nun achteckig, viereckig oder rund.
Von jedem Turm sind es nur ein paar Minuten bis zum Markt, der von der benachbarten Kirche bestimmt wird. Das weite Rechteck präsentiert neben den regelmäßigen Markttagen einen Brunnen mit blaulastigem Humor in Backstein und einer schönen Spree-Madame. Darüber hinaus bekommt man an den vier Seiten des Platzes fast alles, was man so brauchen könnte.
Die wuchtige Marienkirche hat ganz klar den höchsten aller Türme hier. Dessen Spitze zeigt sich jedem schon frühzeitig, der sich von irgendwoher auf Beeskow zu bewegt. Den Kirchvorplatz verbinden allerhand extraschmale Gassen mit dem befahrbaren Wegenetz, und so lässt sich vermuten, dass die Stadt ausgehend von hier in die Breite ging. Besonders pittoresk und ebenso kurz ist die Pfarrgasse, eine der wichtigsten Direktverbindungen von damals und auch heute – von der Kirche zum Markt und umgekehrt. Dass auch Beeskow zu den Städten zählt, die der Krieg gehörig durchgeschüttelt hat, fällt auf den ersten und auch zweiten Blick kaum auf.
Außerhalb der Stadtmauer
Wer vom Kirchplatz die richtige Gasse trifft, gelangt über eine unauffällige Toreinfahrt zur Spreepromenade, die sich jenseits einer saftigen Uferwiese entlangzieht. Sämtliche Enten der Innenstadt sind hier unweit der Brücke anzutreffen. Vom südlichsten Turm der Stadtmauer, der mit der Herstellung von Bier zu tun hatte, gelangt man über eine hügelige Parkanlage zum südlichen Stadtwald, der im Stadtplan als Irrgarten ausgewiesen ist und in der Tat über ein gewisses Wegenetz verfügt. Parallel verläuft in Richtung Badeanstalt eine unauffällige Straße, die von verschiedensten Straßenlaternen begleitet wird. Überhaupt fällt im gesamten Stadtgebiet eine große Laternen-Vielfalt auf.
Kurz vor der Badeanstalt, die bis heute so heißt, führt ein Durchschlupf für Fußgänger zum Freizeitpark mit dem alten Kulturhaus. Gleich gegenüber des großen Parkplatzes beginnt nun der Einstieg in den äußeren Stadtring für Spaziergänger. Der zeigt sich zunächst recht urwüchsig und überrascht ein paar Schritte später mit einem ausgedehnten Rehgehege. Die zutraulichen Fellträger machen hinreißende kleine Geräusche und lassen sich aus nächster Nähe bestaunen. Ein kleiner Ruderboothafen markiert das Ende eines schmalen Wasserlaufes, der sich als Luchgraben im weiten Bogen um die halbe Stadt zieht, im nördlichen Teil sogar in Begleitung eines Uferweges.
In Hörweite zum Bahnhof weitet sich die Landschaft und spannt unweit der Bahnhofsanlagen eine Wiese auf, die nun erstmals den Blick freilässt. Beim Ende des Luchgrabens beginnt zwischen Kleingärten und Spreeufer ein zauberhafter Pfad, der sich entlang des breiten Flusses als Parkweg in Richtung Inselhafen fortsetzt. Wahlweise bleibt man einfach drauf oder wechselt schon bei der ersten Möglichkeit auf die Insel, von der sich Ausblicke auf den ruhig dahinströmenden Fluss und die jenseitgen Spreewiesen öffnen.
Ganz gleich, ob nun der Hunger ruft oder der nächstbeste Zug nach Hause – weder zum Markt noch zum Bahnhof ist es weit. Wenn jetzt hingegen nach dem ganzen Schlendern mit ständigem Stehenbleiben, Gucken und Bilder machen noch etwas ungebremster Auslauf gut täte, etwas schnelle Luft um die Nase und in den Lungen, geht das ganz einfach – mit einem Wechsel ans andere Spreeufer.
Spreewiesen oder mehr
Je nach Lust und Beinkraft kann man hier eine gut halbstündige Runde über die Spreewiesen drehen oder weiter ausschweifend noch ein unregelmäßiges Viereck aus zumeist geraden Wegen anhängen, das die Wahrnehmungskanäle mit Wald, Feld und Dorf sowie einem einzigartigen Konzentrat aus landwirtschaftlichen Geruchssensationen versorgt. Letzteres am südlichen Rand von Oegeln, auf halbem Weg zum Bahnübergang. Sowohl von den Spreewiesen als auch von den geraden Wegen ist die Marienkirche oder die Spitze ihres Turmes zu sehen, und egal von wo, so richtig weit weg scheint sie nie zu sein.
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): von Berlin-Ostkreuz Regionalbahn über Frankfurt/Oder (ca. 1,25-1,75 Std.)
Anfahrt Pkw (von Berlin): Autobahn bis Fürstenwalde Ost, dann über Land; wahlweise auch Autobahn bis Abfahrt Mittenwalde, dann länger über Land (B 246)(ca. 1,25-1,75 Std.)
Länge der Tour: komplett ca. 16,5 km; nur Mauerstadt ca. 3 km; nur westlich der Spree 8 km (Abkürzungen vielfach möglich)
Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)
Links:
Internetauftritt der Stadt Beeskow
Historische Stadtkerne – Beeskow
Einkehr: div. Angebote im Stadtgebiet
Kirchenklause, zwischen Markt und Kirche
Sportlerklause, auf dem Freizeitgelände südlich der Stadt