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Grobskizziert – Döberitz: Wegevielfalt und Ginsterpracht in der Döberitzer Heide

Es gibt Landschaften, deren jetzige Einzigartigkeit auf einer eigenartigen Kausalität beruht. Wo vor mehr oder weniger vielen Jahren oder Jahrzehnten die Motoren extrem schwerer Kettenfahrzeuge dröhnten und den Boden vibrieren ließen, so dass es auch für Nichtindianer noch im zivilen Gelände wahrzunehmen war, konnte schon zu diesen Zeiten die Natur einen Grundstein für das legen, was in Zeiten des Stillstands und der Stille wachsen würde. Dort, wo Maschinerie, Munition und die steuernden Hände und Köpfe dazwischen auf bestmögliches Zusammenspiel geprüft und strategisches Handeln in einen konsequenzarmen Probelauf geschickt werden konnte, gibt es heute die sichersten Refugien für zahlreiche Tiere und Pflanzen – eben weil hier eine wirklich gute Motivation besteht, ausgeschriebene Wege nicht zu verlassen, so wie es Schilder alle paar hundert Meter einfordern.

Steg über den Schwanengraben
Steg über den Schwanengraben

So hinterließen die Wirren und Unklarheiten in der Nachwendezeit sowie der mehr oder weniger geordnete Abzug ehemals allierter Truppen bis Mitte der neunziger Jahre zahlreiche, teils enorm weitläufige Flächen, die plötzlich ungenutzt und regelrecht herrenlos waren und auf die sich kein Mensch herauftrauen konnte, dem sein Leben lieb und der noch ganz bei Trost war. Demzufolge konnte die Natur hier zu annähernd hundert Prozent ihr Ding machen, was sie auch tat. Eines der schönsten Sinnbilder dafür kam vor einiger Zeit in einer Reportage vor. Da brütete eine bedrohte Vogelart, die es sonst in Deutschland kaum noch gibt, in einem schwer zugänglichen Platz unter der drehbaren Kanonenhaube eines verrostenden Panzers. Kaum erreichbar für Tiere, die ein paar Nahrungskettenglieder höher stehen. Dicker Panzerstahl, sicherer Schatten und darunter pelzköpfige Küken, die frohgemut und kaum hörbar tschilpen, egal wer da draußen auch herumschleicht oder -schwebt.

Uferweg am Schwanengraben
Uferweg am Schwanengraben

Viele dieser Gebiete sind heute Heideflächen und liegen weiter entfernt von Berlin, wie z. B. das ausgedehnte Areal nördlich von Jüterbog mit dem Keilberg und seiner grenzenlosen Aussicht, der vom Wasser der Havel umspielte Annenwalder Brand westlich von Templin oder die Reicherskreuzer Heide östlich von Lieberose, die im spätesten Spätsommer mit einem unvergleichbaren Teppich aus blühendem Heidekraut bedeckt ist – nur der Heideblüte wegen muss also niemand den weiten Weg nach hinter Lüneburg antreten.

Wellenreicher Hauptweg in der Döberitzer Heide
Wellenreicher Hauptweg in der Döberitzer Heide

Näher an Berlin liegt da die recht kleine Schönower Heide um die Ecke von Bernau und nicht zuletzt auch die Döberitzer Heide kurz hinter der Stadtgrenze bei Spandau. Diese erstreckt sich unmittelbar gegenüber des Olympischen Dorfes, wo ja im Wettbewerb um die Nutzung mittlerweile auch die Natur schneller vorankommt als der Mensch, der sich in Anbetracht des historischen Schwergewichts und der erschlagenden Dimension des Ganzen mit Entscheidungen schwer tut. Was zu verstehen ist.

Aus dem Staub gemacht
Aus dem Staube

Die Döberitzer Heide

Glaubt man leicht verfügbaren Quellen, gab es erste militärische Nutzungen dieser Heide schon vor 300 Jahren. Zu dieser Zeit muss es von Berlin bis zur Havel und weiter nach Döberitz noch eine kleine Tagesreise oder ein forscher Halbtagesritt gewesen sein, wenn man das damalige Wegenetz bedenkt.

Als Truppenübungsplatz groß aufgebaut und fortan regelmäßig benutzt wurde die Heide unter dem Kaiser. Das klärt auch die Frage, warum die Heerstraße von Westend bis zum Berliner Ortsausgangsschild Heerstraße heißt – auf fast 11 Kilometern Länge und über knapp 700 Hausnummern. Gut doppelt so lang reichten ihre verlängerten Geraden vom Berliner Stadtschloss bis zur Döberitzer Heide. Wenn man darauf achtet, fällt ins Auge, dass sie fast auf ganzer Länge in einzigartiger Weise als breite und repräsentative Straße verläuft. Daran hat sich auch durch 28 Jahre Ost- und Westberlin nichts geändert.

Blumiger Grasweg am Hasenheider Berg
Blumiger Grasweg auf dem Weg zum Hasenheider Berg

Während der Olympischen Spiele 1936 musste die Heide für militärische Wettkämpfe herhalten. Gleich gegenüber wurde das erwähnte Olympische Dorf errichtet, das über die Heerstraße perfekt an die Hauptstadt und auch an andere relevante Sportstätten wie das Olympiastadion angebunden war.

Die regelmäßige militärische Nutzung der Döberitzer Heide ging über hundert Jahre, bis 1991 dann Schluss war – und fortan Ruhe im Karton. Nur in Richtung Groß Glienicke gibt es noch ein Eckchen, wo die Bundeswehr bisweilen übt – jedoch ohne scharfe Munition.

Obelisk an der weiten Freifläche
Obelisk an der weiten Freifläche

Was von dieser Periode noch sichtbar ist, verleibt sich die Natur langsam und stetig ein. Am ehesten sichtbar sind noch alte Bunkeranlagen und Panzergräben, die mehr und mehr von Gras, Nadeln und Baumbewuchs überformt werden. Ansonsten bestimmt üppige, vielfältige Natur das Bild.

Döberitz

Es war schon herauszulesen – Döberitz liegt kurz hinter der Stadtgrenze und ist schnell erreicht, ob nun auf breitem Asphalt oder auf schmalem Stahl. Das heutige Döberitz liegt zwischen den alten märkischen Dörfern Dallgow und Rohrbeck, verfügt jedoch selbst über keinen Dorfkern. Das ursprüngliche Döberitz lag weiter südlich war selbst so ein Dorf, bis es Ende des 19. Jahrhunderts schließlich das Pech hatte, inmitten eines preußischen Truppenübungsplatzes zu liegen. Das Dorf durfte zunächst noch stehenbleiben, doch die Geschichte war letztendlich nicht gnädig. Ende der 1950er Jahre zog die Sowjetarmee in die Döberitzer Heide ein. In diesem Rahmen wurden alle damaligen Bewohner enteignet und Döberitz dem Erdboden gleichgemacht, samt seiner Kirche. Die einstige Kolonie Neu Döberitz ist heute das eigentliche Döberitz und vor allem ein Ort des Wohnens, und über dem Grundriss des alten Dorfes mitten in der Heide staksen heute in Abgeschiedenheit große Pflanzenfresser umher, auf dem wohlwollend verordneten Weg in die Selbständigkeit.

Rastplatz und Aussichtsturm beim Obelisken
Rastplatz und Aussichtsturm beim Obelisken

Kurz nach der jüngsten Jahrtausendwende gab es in der Döberitzer Heide noch kein ausgeschildertes Wegenetz, weder für Reiter noch für Radfahrer oder Spaziergänger. Es ließ sich auf gut Glück durch das vorhandene Wegenetz streifen in der Hoffnung, nicht irgendwo auf ein unüberwindbares Hindernis wie einen Zaun oder ein dorniges Gebüsch zu treffen. Das hatte den speziellen Charme, den solche Entdeckerstreifzüge eben haben, und ging in unserem Fall auch ohne großes Verlaufen und zähe Rückwege ab. Mittlerweile ist hier alles sehr geordnet, was aber überhaupt nicht groß auffällt. Trotz des dichten Wegenetzes und der vielen Gatterzäune ist man durchaus der Meinung, sich durch so etwas wie eine stadtnahe Wildnis zu bewegen.

Waldrand entlang der weiten Freifläche
Waldrand hin zur weiten Freifläche

Irritierend sind dabei nur die Flugzeuge, die die Landepiste in Tegel anvisieren, und das zu gewissen Zeiten im Vier-Minuten-Takt. Egal ob Düsentriebwerke oder Propeller – laut sind sie alle in ihrem Landeanflug. Wenn dann aber die Schwarmzeit überstanden ist, erscheint die Stille im Inneren der Heide umso zauberhafter und beglückender.

Schafherde im Konzentrat mit Ziegen-Ammen am Rand
Schafherde im Konzentrat mit Ziegen-Amme am Rand
Unterwegs in der Heide

Der innere Bereich der Heide, die heute „Sielmann Naturlandschaft Döberitzer Heide“ heißt, besteht aus einer sogenannten Wildniskernzone, die von einem mehrfachen Zaun umgeben ist und ausgewilderten Tieren ein weitgehend unbeeinflusstes Entfalten gewährleisten soll. Aktuell gewöhnen sich dort, wie weiter oben erwähnt, schon einige Dutzend großer Pflanzenfresser wie Wisente, Przewalski-Pferde und Rothirsche an das unbehelligte Leben. Rund um diesen ausgedehnten Bereich verläuft der große Rundweg, der ziemlich lang ist (länger als der Weg zwischen Döberitz und dem Berliner Schloss) und bei all seinen möglichen Abstechern und Optionen mit dem Fahrrad am meisten Spaß machen dürfte – ein schöner und erlebnisreicher Tag kann hier problemlos gefüllt werden. Nur sollte die Bereifung nicht zu schmal sein.

Rastbank im Ginster
Rastbank im Ginster

Möchte man diese Landschaft zu Fuß entdecken, bieten sich kleine Runden an, die Fahrland und Kartzow oder Kartzow und Priort mit dem inneren Wegenetz im Bereich des Ferbitzer Bruchs kombinieren, dem feuchten Kontrast zur meistenteils staubtrockenen Döberitzer Heide. Wer jedoch eben diese landschaftlich vielfältige Heide im kleinräumigen Konzentrat erleben will, dem empfehle ich den Bereich nördlich der Wildniskernzone, der zudem mit den Öffentlichen hervorragend zu erreichen ist. Hier lässt sich die Tour alle paar Minuten verlängern, verkürzen oder komplett umkrempeln. Die Ausschilderung hilft beim Variieren.

Sandiger Weg entlang des Wildniskernzone
Sandiger Weg bei der Hasenheide

Es gibt mehrere Möglichkeiten, direkt in die Heide einzusteigen, sei es nun vom Einkaufszentrum Havelpark oder am Südrand von Döberitz bei der Unterführung der Bundesstraße. Da es dann jedoch stundenlang ohne jegliche Häuser, Kirchturmspitzen und Dorfplätze durch die Natur geht, ist ein wenig Ortslage als Kontrast und Abwechslung sehr zu empfehlen. Diese Kombination bietet sich am besten mit dem Bahnhof Dallgow-Döberitz als Ausgangspunkt.

Kesse Lupine am Gitterventil
Kesse Lupine am Gatterventil

Von dort führt ein zauberhafter und schattiger Pfad entlang des länglichen Schwanengrabens, immer dicht am Wasser und an vielen Stellen regelrecht verwunschen. Nach ein paar Minuten Gewerbegebiet und Straßenlärm übernimmt bald wieder der Waldschatten und mit ihm die Natur samt ihren Düften und Tönen – die Bundesstraße ist kaum noch zu hören, und die Flugzeuge ignoriert man so gut wie möglich. Bald steht der erste Übersichtsplan am Weg und der Einstieg in die Heide bevor. Nach ein paar hundert Meter breiten Weges wird es schon bald kuschliger und es kann entschieden werden, welchen Schildern man folgen möchte.

Schöner Waldrandweg am Grunde
Schöner Waldrandweg am Giebelfenn

Die Wege des ausgeschilderten Netzes sind allesamt einladend. Mal verlaufen sie schnurgerade zwischen Waldrand und offener Weite oder kurvig einer sanften Talflanke folgend, mal direkt durch den blumenreichen Trockenrasen oder breit und staubig über Dünenbuckel voll Erika und Kiefern. Oft auch schattig und kühl durch jungen Laubwald oder entlang dichter Eichenreihen. Zur nächsten Wegekreuzung ist es nie sehr weit, und so stellt sich beim planlosem Umherstreifen an jeder von ihnen aufs Neue die schwierige Frage, welchem der einladenden Abzweige man folgen möchte.

Weg in den Wald
Weg in den Wald bei Sperlingshof

Die Vielseitigkeit der Döberitzer Heide zeigt sich auch darin, dass die Landschaften etwa alle Viertelstunde wechseln. Sei es nun der Wechsel zwischen Waldgebieten und offenem Grasland, zwischen konstruierter Wegesystematik und solchen Wegen, die der Beschaffenheit des Reliefs folgen oder zwischen kleinräumigen Abschnitten und der großen Weite rund um den liebesbedürftigen Obelisken. Von hier aus reicht der Blick weit ins Land und lässt im Gedanken durchaus den Vergleich zur Lüneburger Heide aufblitzen. Zwischen Rastplatz und Obelisk verläuft eine winzige und allerliebste Wegschleife auf trockenen Gräsern, die von Optik und Duft her auch auf einer norddeutschen Insel liegen könnte und im niedrigen und warmen Abendlicht besonders schön sein muss.

Große Ginsterweite südlich der Bundesstraße
Große Ginsterweite südlich der Bundesstraße, Nordheide

Die Vegetation ist üppig, vielfältig und reich an Baumbewuchs – Heidekrautflächen sind in dieser Heide jedoch die Ausnahme. Dafür blüht im späten Mai an vielen Stellen großflächig der Ginster, wie wir es bisher nur selten gesehen haben. Ein guter Ausgleich für lila Blütenmeere im September.

Worauf wir noch getroffen sind, das waren eine muntere Schar von Pfadfinderinnen und ein großes Halbrund von hochbeinigen Bienenstöcken mit einem eindrucksvollen Klangteppich aus hunderttausenden Flügelschlägen. Ferner eine im Schatten vereinigte Schafherde mit zwei freundlichen Ammen-Ziegen, die verwaisten Lämmchen zur Verfügung standen. Wer die oben erwähnten größeren Tiere sehen möchte, kann sein Glück südlich vom Natur-Erlebniszentrum versuchen. Zwischen Wolfsberg und Wüste kann man mit etwas Glück ein behuftes Bein, ein beschweiftes Heck oder sogar einen bemähnten Kopf zwischen den Bäumen entdecken. Weniger rar machen sich kleinere Leute wie eben die Wildbienen, Grashüpfer und Schmetterlinge, die im gesamten Gelände für einen charmanten Buschfunk sorgen.

Parkstreifen
Parkstreifen in der westlichen Siedlung Döberitz

Für den Rückweg zum Bahnhof gegen Ende der Tour spricht nichts dagegen, wieder den Uferweg am Schwanengraben zu nehmen. Wer bei seinen Streifzügen weiter westlich bei der Zufahrt nach Rohrbeck gelandet ist, kommt durch ein Wohngebiet und einen hübschen Parkstreifen ebenfalls zurück zum Bahnhof. Dort bieten sich für den großen und kleinen Hunger mittlerweile vier Möglichkeiten zur Einkehr an. Mit etwas Heidestaub im Scheitel.

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der Regionalbahn bis Dallgow-Döberitz (ca. 45 Min.), wahlweise weiter mit dem Bus zum Havelpark

Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der B 5 Richtung Nauen (ca. 45 Min.)

Länge der Tour: wie unten zu sehen 13,5 Kilometer; darüber hinaus beliebig variierbar; Empfehlung: der Rastplatz am Obelisken sollte dabei sein

 

Download der Wegpunkte

 

Links:

Historische Karte der Döberitzer Heide (1936), altes Dorf Döberitz im Zentrum

Sielmann-Naturlandschaft Döberitzer Heide

Einkehr: mehrere Möglichkeiten am Bhf. Dallgow-Döberitz

Stadtrandtour Erkner – Seewind, Gipfelglück und die erwachte Lagune

An die See oder in die Berge? Diese Frage, die Jahr für Jahr unzählige Familien im Rahmen der Urlaubsplanung beschäftigt, kann auch für einen Tagesurlaub im Berliner S-Bahn-Bereich gestellt werden. Eine der möglichen Antworten darauf ist: warum nicht beides – und dazu noch ein Lagunendorf, eine alte Fischersiedlung sowie ein Fährhafen mit Verkauf von frischem Fisch. Schließlich zum Ausklang eines der schönsten Ausflugsziele im Umland von Berlin und dann noch die Fahrt mit einer mittelhistorischen Bahn. Der Einsatz dafür ist nicht allzu hoch, hoch hingegen ist die Anzahl potentieller Anwärter für eine Pause.

Der Dämeritzsee in Erkner
Der Dämeritzsee in Erkner

Schon die Fahrt gleicht einer Transformation vom bewegten Puls des Stadtalltags mit all seinen stets präsenten Fragen von Unerledigtem im Hinterkopf hin zum ruhigen Atemzug eines morgendlichen Waldmoments. Etwa ab Ostkreuz setzt sich dieser Prozess in Gang und wird erstmals bekräftigt durch die etwas längere Station zwischen Karlshorst und Wuhlheide, einem Bahnhof mitten im gleichnamigen Wald. Auch der Name Hirschgarten spricht für sich. Der kleine Bahnhof wird umkurvt von den mündungsnahen Kapriolen des romantischen Mühlenfließes, das zauberhaft und stark verspielt weit aus dem Märkischen nördlich von Altlandsberg her geflossen kommt.

Nach dem Durchfahren schöner Vororte, eigentlich schon kleine Städte mit eigenem Charakter, folgen zwei lange Stationen durch tiefen Wald, dessen Bäume allesamt noch in die Berliner Statistik einfließen. Wenn sich Fenster öffnen lassen, sollte das getan werden. Danach ist im Idealfall der Ruhepuls erreicht und tiefes Einatmen möglich. Wenn der Zug in Erkner zum Stehen kommt, befindet man sich bereits seit einer Minute auf brandenburgischer Schiene.

Mondäner Kanalblick in Neu-Venedig
Mondäner Kanalblick in Neu-Venedig

Erkner

Der Bahnhof hatte bis vor einiger Zeit noch den rustikalen Charme eines Kleinstadt-Bahnhofs, wovon sein stattliches Portal weiterhin kündet. Vor Kurzem wurde er modernisiert, was besonders auch den Umsteigevorgängen in die Regionalbahn entgegenkommt. Erkner ist eine Stadt inmitten von Wasser und durch dieses – wenigstens theoretisch – verbunden mit Strausberg, Buckow und Wriezen respektive der Oder, darüber hinaus mit allem, was an Spree und Dahme liegt. Schon eine Unterführung und einen Kreisverkehr später beginnt diese Wasserwelt mit dem Dämeritzsee, der mit einem glasklaren Gemisch aus Löcknitz- und Spreewasser gefüllt ist. Der See ist bewegt, die Wellen dazu geeignet, die zahlreichen Paddelboote freundlich umherzuschubsen oder Stehpaddler in Verlegenheit zu bringen. Prompt wird klargestellt, dass es sich hier auch um eine Wasserstraße handelt, als ein langer Frachtkahn von Ost nach West vorbeizieht und die Frage offenlässt, woher er kommen könnte. Etwa von Rüdersdorf, vom Kalk?

Ein stiller Uferweg führt vorbei am Hafen und der Rettungsstation, der mancher sein zweites Leben verdankt – dafür an dieser Stelle großen Respekt und besonderen Dank. Gleich bei den Sportplätzen liegt der Badeplatz mit großer Wiese, und nach ein paar Metern Straße beginnt an einer ehemaligen Industriebrache ein schattiger Weg durch den ufernahen Laubwald. Kleine Pfade führen hinab ans Ufer, wo manchmal eine Bank steht. Am anderen Ufer liegt in aller Breite Erkner mit der markanten Spitze des Hotels, das aus der Ferne aussieht wie eine von Kinderhand ausgedachte und mit Zunge im Mundwinkel konzentriert gemalte Raketenstartbasis.

Gemütlicher Kanal in Neu-Venedig
Gemütlicher Kanal in Neu-Venedig

Hessenwinkel

In Hessenwinkel gibt es nicht nur schöne Villen mit Seeblick, sondern auch einige Uferstellen, deren Rastbänke schon wieder sirenisch singend locken. Die unterhalb eines Waldhügels gelegene Siedlung gibt mit dem Hubertussee und den Spreearmen schon einen Vorgeschmack auf das benachbarte Lagunendorf. Neu-Venedig wird ganz standesgemäß mit dem Rialtoring eröffnet. Wie im Spreewald sind die Kanäle mit Spreewasser gefüllt, wie im italienischen Venedig jedoch von Menschenhand angelegt – im Spreewald soll das ja der Leibhaftige besorgt haben.

Neu-Venedig

Das Wassernetz ist hier so dicht, dass so gut wie jedes Grundstück etwas Wasserkante hat, und da das Wetter sonnig ist und warm die Luft, schippern alle möglichen Sorten von Booten und Bötchen hin und her und kreuz und quer, was sich besonders gut vom nächsten Rastbank-Kandidaten am Ende des Lagunenwegs beobachten ließe. Wenn dort nicht gerade jemand mit dem Trennschleifer Wegplatten halbieren würde. Unter jeden schattigen Uferbaum hat sich ein Paddelboot geklemmt, um für einen Augenblick der kräftigen Mai-Sonne zu entrinnen. Motorbootkapitäne zeigen ihre kugelrunden braungebrannten Bugpartien, Teenies fläzen wie C-Promis auf dem kleinen Vorderdeck und eine ganze Familie hat sich unter dem Schutz eines Sonnenschirmes in ein winziges Schlauchboot gerollt und genießt bei niedriger Drehzahl ihren schönsten Ort auf Erden. Da das neu-venezianische Wassernetz etwa quadratisch ist, sieht man sich wie im Leben auch hier meist zweimal.

Altes Fischerdorf Rahnsdorf
Altes Fischerdorf Rahnsdorf

Rahnsdorf

Am Ende einer Kleingartenanlage liegt an einem kleinen Stichhafen eine schöne Gartenkneipe, und kurz darauf besteht die Option auf einen in vielen Hinsichten lohnenden Abstecher. Das alte Fischerdorf Rahnsdorf verbindet den Charakter eines klassischen Angerdorfs mit der sackgassigen Eigenschaft eines Rundlings, was dem umgebenden Wasser zu verdanken ist. Doch ganz stimmt das nicht mit der Sackgasse, zumindest für Fußgänger und Radfahrer, denn in der warmen Jahreszeit wird Berlins kleinste Fähre über die Müggelspree gerudert, die nach oben offen ist und auch ein paar Fahrräder pro Tour mitnehmen kann.

Am Fährhafen, Rahnsdorf
Am Fährhafen, Dorf Rahnsdorf

Die Fähre zählt zur Flotte der BVG und wird in ihrem Bestand immer wieder bedroht, doch aktuell rudert der freundliche und seebärige Fährmann wieder. Dabei muss er bei jeder Passage auf eine Lücke lauern, denn der Bootsverkehr auf dem Fluss ist dicht und nicht jeder Freizeitkapitän beherrscht sein Gefährt oder das Regelwerk des gesunden Menschenverstandes bis ins Letzte. Ab und zu kreuzt auch würdevoll ein alter Dampfer mit viel Messing und glänzendem Bootslack auf den Planken. Es gibt hier also viel zu gucken, und das lässt sich ganz wunderbar verbinden mit einem Besuch des gemütlichen Biergartens rund um den Fisch-Stand. Manchmal hockt sich auch ein zurückhaltender Herr in den Hintergrund und setzt sein Schifferklavier in Gang. Dann könnte man für einen Augenblick glauben, man wäre wirklich irgendwo an der Küste.

Blick vom Biergarten an der Fähre, Dorf Rahnsdorf
Blick vom Biergarten an der Fähre, Dorf Rahnsdorf

Wilhelmshagen

Wenn es irgendwann gelungen ist sich loszureißen, steht nun ein Landschaftswechsel bevor. Mit der dörflichen und flachen Welt des Spreewassers im Rücken ist bald die einzige verkehrsreiche Straße dieser Tour zu überqueren, die Köpenick mit Erkner verbindet, mit fast demselben Namen auf immerhin elf Kilometern. Hier fährt auch ein Bus, der die S-Bahnhöfe Rahnsdorf, Wilhelmshagen und Erkner auf seiner Strecke hat.

Gleich danach steht der erste Anstieg bevor. Der bald folgende Abstieg auf einem wurzligen Pfad wirft einen direkt in eine kleine Heidelandschaft mit blumenreichen Trockenrasen aus, deren Trampelpfade gern als Abkürzung genutzt werden. An ihrem Rand beginnt der Zustieg zu den Püttbergen, die im Winter ein beliebtes und nicht zu unterschätzendes Rodelrevier sind. Direkt vom Ende der Straße geht es hinauf zum dünensandigen Kammweg, und kurz vor dem höchsten Punkt sieht man doch wahrhaftig die Kirche sehr präsent im Tal stehen, umgeben vom dichten Blätterdach der baumreichen Gärten von Wilhelmshagen.

Kleine Heide am Fuß der Püttberge, Wilhelmshagen
Kleine Heide am Fuß der Püttberge, Wilhelmshagen

Der Abstieg vom wurzligen Dünenkamm kann direkt erfolgen oder auch gemäßigt, und nach dieser Gebirgsüberquerung kommt es gerade recht, dass an der Westflanke des Höhenzuges die Püttbaude liegt, und das schon eine ganze Weile. Neben dem gemütlichen langen Gastraum liegt eine Stufe höher doch tatsächlich ein quadratisches Separee, das so aussieht wie das Innere einer Baude irgendwo im Mittelgebirge. Wenn da nicht alle paar Minuten die S-Bahn zu hören wäre oder einer der Regionalzüge.

Auf dem Kamm kurz vor dem Gipfel, Püttberge
Auf dem Kamm kurz vor dem Gipfel, Püttberge

Schon ein paar Minuten später am grünen Bahnhofsvorplatz von Wilhelmshagen wartet die nächste Pausenverlockung. Wer vielleicht in der Püttbaude eingekehrt ist und noch entsprechend träge jetzt, kann gleich hier am Bahnhofskiosk Café Zweiblum noch den Kaffee nachholen, schöne Plätze gibt es sowohl draußen als auch drinnen. So lässt sich in schöner Trägheit den Bussen beim Kommen und Gehen zuschauen. Gegebenenfalls die Tour schon hier beenden und einfach in die S-Bahn steigen. Nichts spricht dagegen.

Blick von der Gipfelbank auf die Kirche von Wilhelmshagen
Blick von der Gipfelbank auf die Kirche von Wilhelmshagen

Wir haben noch Lust auf mehr und raffen uns dann auf, nach einiger Zeit. Hinter der Bahnhofsunterführung beginnt der weite Wald des Wilhelmshagen-Woltersdorfer Dünenzuges, zu dem auch die Püttberge gehören, und verrät damit die nähere Zukunft und das schöne Ziel des Tages. Durchaus wohltuend ist der Waldschatten, denn der Tag hat sich langsam hochgeheizt. Hinter dem Wald liegt die Bahnhofssiedlung mit ihrem markanten Straßenoval, die von einem schönen Spazierweg gequert wird. Jenseits der Siedlung führt ein kleiner Pfad ein Stück direkt entlang des Ufers, das zum Flakensee gehört. Voraus und gegenüber liegen Sportboothäfen, darüber hoch im Wald der Kranichsberge lugt der Aussichtsturm heraus. Hier und dort ankert ein Boot, das ähnlich träge wirkt wie wir vor einer halben Stunde.

Café Zweiblum am S-Bahnhof Wilhelmshagen
Café Zweiblum am S-Bahnhof Wilhelmshagen

Nach etwas Straße führt ein unscheinbares Trepplein hinab zu einem Weg zwischen den Gärten, voraus blüht in letzter Euphorie ein Apfelbaum. Nach schönen Blicken auf den Bauernsee liegt voraus der Kalksee, der seinen Namen nicht nur so aus Spaß und Zierde trägt, sondern tatsächlich bis zu den fossilienreichen Kalkbrüchen von Rüdersdorf reicht. Was wieder an den Äppelkahn vom Beginn der Tour erinnert und die Frage, wo er herkam.

Spazierweg quer durch die Bahnhofsiedlung Erkner
Spazierweg quer durch die Bahnhofsiedlung Erkner

Woltersdorf

Die letzte Passage entlang des Kanalufers ist ähnlich schön wie das an ihrem Abschluss stehende, wirklich zauberhafte Ensemble rund um die Woltersdorfer Schleuse. Fast wähnt man sich in einem Kurort, und das nicht nur auf den ersten Blick. Die Seebucht vor der Schleuse mit der Uferpromenade und der Servier-Terrasse liegt direkt vor dem steilen Waldhang, und etwas südlich gibt es am Flakensee eine hübsche Strandpromenade. Ein guter Ort hier für Verliebte und welche kurz davor, auch wenn die echte Liebesquelle im Hang vor Jahren schon versiegte. Dank beherzter Woltersdorfer und zahlreicher Spenden kann man sich dort dennoch laben.

Die letzte Pause lockt, und das mit Nachdruck, in Gestalt des Cafés Knappe. Ein herrliches Café der alten Schule, würdig dieses Ortes, gemütlich und an schönsten Tagen rechtschaffen überfüllt. Direkt davor fährt die Straßenbahnlinie 87 ab, die zu den meisten Zeiten alle zwanzig Minuten durch Woltersdorf und dann durch den Wald zum S-Bahnhof Rahnsdorf fährt. Als Besonderheit tut sie dies mit historischen Wagen, den sogenannten Gothawagen, die mittlerweile um die 50 Jahre alt sein dürften und verschiedenste kernige Geräusche erzeugen, die bei vielen Berlinern Kindheit und Jugend oder das ganze Leben mitgeprägt haben.

Historische Straßenbahnwagen vor der Woltersdorfer Schleuse
Historische Straßenbahnwagen vor der Woltersdorfer Schleuse

An besonderen Tagen werden auch ein paar Wagen aus der Halle geholt, die etwa doppelt so alt sind. Zwei von ihnen sind bereits seit 1913 mit der Strecke vertraut, dem Eröffnungsjahr dieser kurzen Straßenbahnlinie, und werden dem Anschein nach sehr liebevoll instandgehalten.

Oft sind sie nicht, diese besonderen Tage, und damit ist es umso erhebender, das heute erleben zu können. Man muss keinerlei Affinität zu Schienenfahrzeugen mitbringen, um so zu empfinden, denn allein das ausgestrahlte Zeitkolorit dieser Wagen und die resultierenden Phantasiebilder im Kopfkino verursachen eine kleine innere Euphorie. Weich glänzenden Bootslack, Messing und kräftige warme Farben gab es ja bereits vorhin, am Fährhafen. Doch jetzt kommt als weitere Dimension noch das von jedwedem Kunststoff freie Rumpeln, Klingen und Rattern hinzu und direkt vom Menschen das Bimmeln der Glocke und das durchdringende Ausrufen der Stationen mit unangestrengtem Bahnerbariton.

Rangieren der ältesten Wagen der Flotte
Rangieren der ältesten Wagen der Flotte

Durch den ganzen Ort schiebt sich die Bahn das teils starke Gefälle hinauf und passiert schließlich das fröhliche Fest, dem die heutigen Sonderfahrten zu verdanken sind. Entlang der Strecke lauern Wissende mit korpulenten Objektiven und lichten das Gespann in der Summe geschätzte 685 Mal ab.

Relativ direkt ist dann der Wechsel auf den Abschnitt, der direkt durch den duftenden Wald verläuft. Die Führerstände sind offen und die Wagen dementsprechend luftdurchströmt. Alles grinst versonnen, und wären noch mechanische Auslöser in Gebrauch, wäre wohl jede zweite Sekunde ein entsprechendes Klicken zu vernehmen, ebenfalls metallisch. So wie dort draußen also auch hier drinnen.

Gemütlicher Innenraum der alten Straßenbahn, Woltersdorf
Gemütlicher Innenraum der alten Straßenbahn, Woltersdorf

Eine ältere Dame sitzt gleich gegenüber, schwärmt mit knappen Worten von diesem Wagen, leicht ergriffen, und gleich erfahren wir warum. Sie kennt diese Bahn noch aus ihrer Kindheit, hat als Mädchen schon in diesem Waggon gesessen. Mitten auf der Waldstrecke erinnert sie sich, an den Schaffner gewandt, dass hier ab den 1950er Jahren ein Kontrollpunkt bestand und die Kontrollen seitens der Kontrollorgane oftmals stark in die Länge gezogen wurden. Berlin stand damals unter dem Viermächtestatus und grenzte an die sowjetische Besatzungszone, die nun seit ein paar Jahren DDR hieß. Vom Kabuff der Grenzkontrolleure ist nichts mehr zu ahnen, und auch abgesehen davon fällt es schwer, sich etwas derartiges aus heutigem Blickwinkel vorzustellen – es wirkt schlichtweg nur absurd.

Umso schöner, als fröhlich plapperndes Volk am S-Bahnhof Rahnsdorf mit einem lachenden und einem weinenden Auge die Bahn verlässt, noch letzte Bilder knipst im warmen Licht der Abendsonne und jeder eine Erinnerung fürs Leben im Langzeitgedächtnis abheften kann. Es bleibt vielleicht nicht die einzige an diesem bunten Tag am Stadtrand.

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Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Anreise mit der S-Bahn oder Regionalbahn bis Erkner; Rückfahrt mit der Woltersdorfer Straßenbahn nach Rahnsdorf, dann weiter mit der S-Bahn

Anfahrt Pkw (von Berlin): durch die Stadt über Köpenick und Rahnsdorf nach Erkner; wahlweise über den Berliner Ring, Abfahrt Erkner

Länge der Tour: ca. 18 km, Abkürzungen und Varianten per ÖPNV sehr gut und an vielen Stellen möglich; Option: wer im Dorf Rahnsdorf mit der Fähre übersetzt, kann am Ufer des Großen Müggelsees in ca. 11 km zum S-Bhf. Friedrichshagen laufen oder schon unterwegs in den Bus steigen

 

Download der Wegpunkte

 

Links:

Verschiedenes über Neu-Venedig (u. a. Geschichte)

Fähre Rahnsdorf-Müggelheim

Informationen über die Püttberge

Artikel zur Püttbaude

Woltersdorfer Straßenbahn

 

Einkehr:
Alt-Rahnsdorf, Fisch-Imbiss mit Biergarten an der Fähre
Püttbaude, Wilhelmshagen
Café Zweiblum, am S-Bhf. Wilhelmshagen (auch breit gefächertes herzhaftes Angebot)(s. u.)
Gasthaus Klabautermann (mit schönem Blick auf den See), Woltersdorf
Café Knappe, an der Woltersdorfer Schleuse

 

AKTUELLE INFORMATION 2017:

Wegen raumgreifender Bahnbauarbeiten ist das gesamte Bahnhofsensemble in Wilhelmshagen eine Baustelle, das Café Zweiblum gibt es leider nicht mehr. Eine vergleichbare Alternative in der Nähe fehlt bislang.

Nur am Rande – Baumblütenfest: Wein, Weib und Gesang in Personalunion

Vor ein paar Tagen auf einem der Obsthöfe bei Werder an der Havel: die kräftige Sonne ergänzt sich angenehm mit dem kühlen Wind des Tages und die meisten Stühle und Bänke zwischen den blühenden Kirsch- und Apfelbäumchen sind lose belegt. Dazwischen stehen aneinandergelehnt kleine Fahrradrudel und geben vielen der Genießer das trügerische Gefühl, keine Punkte ganz im Norden Deutschlands zu riskieren.

Konservierte Fruchtsäfte
Haltbar gemachte Fruchtsäfte

Elternteile liegen bäuchlings entspannt auf weichen Decken und ausgestreckte Kinder der Länge nach auf den Elternteilen, und zu jedem Zeitpunkt bewegt sich irgendjemand quer hindurch, um heiße schwarze oder prozentige bunte Getränke verlustfrei durch den Hindernisparcour zu lavieren, der harmlos ist, solange der Gleichgewichtssinn noch ungetrübt ist. Dazu je nachdem Gebackenes oder Gebratenes. Ein mattweiß verstaubter Bus der Blütenrundfahrt bringt nur eine Handvoll Nachschub, so dass die Schlange bei den Hütern der acht Weinballons entspannt bleibt.

Pause zwischen den Blüten
Ausgedehnte Pause zwischen den Blüten

Eine Gruppe gereifter Persönlichkeiten, die sonst vermutlich sich zum Wandern treffen, sitzt unweit nur vom Ausschank und frönt aufrichtig der harmlosen Heiterkeit, die geleerte Krüge und Karaffen hinterlassen. Eine stämmig kleine oder auch kompakte Dame in Rot, die indiskutable Bestimmtheit ausstrahlt, lässt Ihrer Stimme freien Lauf, die Tonhöhe sicher, die kräftige Schallausgabe etwas alterswacklig, und gibt ein Lied zum Besten vor den Freunden, das sicherlich ein Volkslied ist und von Natur erzählt und Heimatwonnen.

Sie greift entschlossen dann den leeren Krug vom Tisch und setzt sich in Bewegung, zielt auf den Ausschank, weiter kräftig singend. Trällert Vers für Vers und reiht Strophen aneinander. Das Personal bei den Ballonen zeigt wohlwollend und auch wissend Contenance, verbunden mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken der Anerkennung. Ein paar der Umstehenden geben nach dem Strophenende einen kleinen klapsenden Applaus, dennoch folgt die nächste Strophe. Da die Rotgekleidete nur den leeren Krug hinreicht und keine Zeichen zeigt, den Fluss der Melodie zu unterbrechen, kommt bei mir kurz der Gedanke auf, dass sie das Zahlen mit klingender Münze zu sehr wörtlich nimmt. Wie viele Strophen wären das wohl noch für einen vollen Krug?

Bus im Staub
Bus im Staube, daneben Kirschbäume gereiht und gestapelt

Wir sitzen in gewisser Entfernung und verkosten selbst zwei Sorten des süffigen Obstweines, eine rot, die andere weiß. Dann ist der Zeitpunkt da, wo man sich wünscht, dass dies die letzte Strophe sei, der frisch gezapfte Liter mit einem Lächeln beglichen wird und man wieder die Bienen summen hört dort in den Blüten und die Hummeln. Es bleibt ein Wunsch, auch wenn das Lächeln im Gesicht anhält bei den meisten Leuten. Von der Bank hinter mir höre ich aus einer Männerkehle nicht laut, doch herzlich Worte, die auch ganz stark nach Heimat klingen: „Die Tante da kricht ahr keen Wein mehr!“

Stilles Gebrabbel von den Nebentischen

Dann kehrt tatsächlich Ruhe ein, alles wieder zu seinen Gesprächen zurück und die Dame zu Ihren Dürstenden. Der nächste Bus ist da, bringt viele neue Leute mit und fröhliches Gebrabbel. Nebenan unter den Kirschbäumen sitzen zwei Mädchen und flechten Haarkränze aus frischen Butterblumen, ganz vertieft. Wir machen Platz, ziehen im leichten Schwebeschritte weiter und verschwinden bald im blütenweißen Staub des nächsten Busses.

Grobskizziert – Gräbendorf: Die Dubrow, der Pätzer Strand und das Leben als Riesenkäfer

Die erste Schwalbe dieses Jahres saust schwalbenstill und pfeilschnell über den butterblumengelben Wiesen lang – jetzt muss es doch bald vorbei sein mit dieser zähen Kälte! An der Oder rutschen die Nachttemperaturen noch immer weit unter Null und fordern Härte ab von liebenswerten Schlüsselblumen und Adonisröschen, und tagsüber ist es selbst im überheizten Berlin noch äußerst frisch und eine Mütze in der Tasche ratsam nach wie vor. Doch all die Bäume, die schon dicht von Blüten überplüscht sind, lassen sich davon gar nicht beeindrucken, ob auf dem Lande oder in der Stadt, und sorgen sogar tief im lichten Kiefernwald für duftende Überraschungen.

Forsthaus Frauensee bei Gräbendorf
Forsthaus Frauensee bei Gräbendorf

Schon kurz hinter Königs Wusterhausen, dem letzten S-Bahn-Außenposten Richtung Südosten, beginnt bis fast zum Spreewald eine Landschaft mit viel Wald und vielen Seen, darunter einigen großen. Dank der kleinen Dahme haben Sie alle Anschluss an das Wassernetz, das bis nach Berlin reicht und damit über die Spree auch zu Havel und Elbe führt, respektive zum Pazifik und den Osterinseln.

Der Türsteher mit der lockenden Kurbel, Haus des Waldes
Der Türsteher mit der lockenden Kurbel, Haus des Waldes

Mittendrin liegt die Dubrow. Dubrow ist der slawische Begriff für Eiche, und so wie dieser Name slawisch klingt, so weisen auch die Art der Landschaft und die Richtung darauf hin, dass der die nördlichen Ausläufer des Spreewaldes und das Einzugsgebiet der sorbischen Kultur nicht mehr allzu weit entfernt sind. Das ist übrigens auch daran zu merken, dass beim hervorragenden Bäcker und Konditor im Ort die Chancen auf ein Glas Buchweizenhonig ganz gut stehen. Der hat einen bedrohlich starken Charakter (der Honig, nicht der Bäcker), ganz gleich, ob er fast weiß ist wie Raps- oder Akazienhonig oder tiefdunkel wie solcher aus dem Walde, und mit Sicherheit trifft er nicht jedermanns Geschmack. Für andere ist er die Krönung eines ausgedehnten Sonntagsfrühstücks. Davon abgesehen ist er hierzulande schwer zu kriegen, in nahen Polen stehen die Chancen da schon besser.

Feuer- und Rastplatz, Haus des Waldes
Feuer- und Rastplatz, Haus des Waldes

Das Naturschutzgebiet Dubrow ist leicht hügelig, komplett bewaldet und erstreckt sich zwischen den Ufern von Schmölde- und Hölzernem See und dem Gipfel von Richters Berg. Obwohl das Areal recht klein ist, hat der Wald hier erstaunlich viele Gesichter und damit zumeist belaubte Kontraste zum guten alten Kiefernwald. In Ufernähe führt eine schöner Pfad hindurch, doch das ist Stoff für einen anderen Tag.

Einstieg in die Unterwelt, Haus des Waldes
Einstieg in die Unterwelt und ins Käferdasein, Haus des Waldes

Rund um die Dubrow liegen tief im verschwiegenen Wald ein Zeltplatz sowie mehrere gut ausgestattete Ferienlager, jeweils direkt am See und gleichermaßen einladend für Klassenfahrten oder Familienurlaub. Die sind jeweils so großzügig angelegt, dass es nicht unangenehm auffällt, wenn gleichzeitig alle Betten belegt sind. Jeweils gut zu Fuß zu erreichen ist das Haus des Waldes. Es liegt beim Forsthaus Frauensee am Rand von Gräbendorf und ist ein ganz herrlicher Ort. Familien mit Kindern können hier einen richtig schönen Tag verbringen, und auch wer ohne Kinder unterwegs ist, wird seine Pause deutlich ausdehnen und sich mancher Neugier hingeben.

Stammplatz, Haus des Waldes
Stammplatz, Haus des Waldes

Frei von wissensvermittlerischer Trockenheit und pädagogischen Fingern, die gen Himmel weisen, kann man hier die verschiedensten Fragen und Gedanken zum Wald am eigenen Leib erfahren, ggf. erst finden und sich dann selbst beantworten. Sich rundum wohlfühlen und dabei entdecken und staunen, und das über Stunden. Wer als Kind einmal hier gewesen ist und eigentlich nichts mit Wald am Hut hatte, wird das danach anders sehen, zumindest ein bisschen. Und auch ein paar Muskeln spüren, von denen er vorher gar nichts geahnt hatte. Den Duft des Waldes kennen, in vielen seiner Ausprägungen.

Option auf ein Lied, Haus des Waldes
Option auf ein Lied, Haus des Waldes

Es kann auch ganz einfach gespielt werden, denn überall lockt es zum Klettern und Kriechen, zum Balancieren und Hangeln. Auch zum Lachen, zum Springen und zum Musizieren. Ein ganz besonderes Angebot und sicherlich ein anhänglicher Höhepunkt in den Erinnerungen am Abend, wenn vor der Schlafenszeit die Erlebnisse des Tages als Dauerschleife durch den Kopf laufen, ist die Hirschkäferwelt. Da der Hirschkäfer zu den größten Käfern Europas zählt, ist es vielleicht leichter, in seine Haut bzw. seinen Panzer zu schlüpfen als in den eines winzigen Krabbelkäferchens.

Wissen von Generationen
Wissen von Generationen

Wer bereit ist, seinen Blickwinkel eine Zeitlang gegen den eines Hirschkäfers zu tauschen, traut sich hinein in den dunklen Panzer des Käferweibchens, wird erst zum Ei und dann zur Larve. Ehe aus der Larve die Puppe geworden ist, dauert es richtig, richtig lange. So lange, dass es niemand vergessen wird, der es erlebt hat. Aus der Puppe schlüpft vergleichsweise schnell der Käfer, der sich sofort ohne fremde Hilfe im Wald mit all seinen Hindernissen zurechtfinden muss. Die Flugfunktion gibt es erst später, die will zunächst zu Fuß verdient sein. Auch die ersten Flugversuche haben ihren Preis, und wenn das endlich klappt, kommt schon bald die Konkurrenz aus den eigenen Reihen ins Spiel. Wenn sich schließlich alle gefunden haben, gibt es zum Abschluss ein kleines, harmloses und köstliches Saufgelage.

Vom Wald der Dubrow Richtung Pätz
Vom Wald der Dubrow Richtung Pätz

Wer sich nicht für derlei Käfereien angemeldet hat, kann die Kinder einfach ausschwärmen lassen in das sympathische Gelände und mit aufgesperrten Elternohren das erste „Kommstemaher!“ oder „Guck mal hier!“ erwarten. Oder mit ihnen gemeinsam losziehen, sauber strukturiert oder herrlich planlos. Mitmachen oder anfeuern, loslassen oder an die Hand nehmen beim Erkunden. Wo man auch hinschaut, ist Holz, und egal in welche Richtung der Blick gewendet wird, bleibt er hängen und ändert die Bewegungsrichtung, um rasch nachwachsende Neugieren zu stillen.

Es lässt sich also ein schöner Tag verbringen, wenn man vom märkischen Angerdorf Gräbendorf zum Forsthaus spaziert, einiges später von dort den Pfad durch den Wald mit seinen Portalen nimmt und dann die stille Straße zurück ins Dorf.

Badeufer in Pätz
Badeufer in Pätz

Für mehr Spazierlust, vielleicht nach Pätz mit seinem schönen Badplatz, lässt sich die Landschaft des Waldes gegen die freie Sicht der Weiden und Wiesen eintauschen. Die sind von Gräben durchzogen, die sich gerade so noch überspringen ließen. Das ist nicht nötig, denn es gibt Übergänge jeweils dort, wo sie gebraucht werden.

Wer in Pätz nicht die lange Straße bis zum Dorfplatz gehen möchte, kann auch direkt zum Wiesenstrand abbiegen. Direkt hier beginnt eine kleine Seepromenade, auf der man rund um den Pätzer Vordersee zum Bahnhof von Bestensee käme.

Von Pätz Richtung Tonstichsee
Von Pätz Richtung Tonstichsee

In Pätz wurden einst Ziegel gebrannt, und die wenigen Spuren, die es davon noch gibt, führen zu einem anderen See. Der gern zur Erfrischung genutzte Tonsee ist über einen winzigen Pfad zu erreichen, dessen Einschlupf leicht zu übersehen ist. Wer die eigenartig-faszinierende Gestalt von Tonstich-Landschaften kennt, vielleicht schon bei Klausdorf am Mellensee unterwegs war oder in den Glindower Alpen und den Zauber solcher kleinräumigen Reliefdramatik erlebt hat, wird am östlichen Ausgang von Pätz schon die Nachtigall trapsen hören, wenn er versucht, die wildwüchsige Botanik mit seinem Blick zu durchdringen. Apropos – während in Berlin schon seit zwei Wochen die Nachtigallen an den lautesten Stellen ihrer Wahl dem Stadtlärm die zarte Stirn bieten, war hier im Ländchen erst in diesen Tagen die erste dieser virtuosen Kehlen zu vernehmen.

Butterblumiger Schwalbenflugplatz
Butterblumiger Schwalbenflugplatz kurz vor Gräbendorf

Vom Tonsee führt entlang eines Wassergrabens ein direkter Weg mit freiem Blick über die Wiesen zurück nach Gräbendorf. Wer noch immer nicht genug hat und dazu etwas Waldlust übrig, kann alternativ der Waldsiedlung Uhlenhorst und dem Weinberg einen flüchtigen Besuch abstatten. Auch hier gibt es den freien Blick auf dem letzten Kilometer, und wer Glück hat, wird am Ortsrand von Schafen erwartet, die nach kurzer Prüf- und Fremdelphase ihre Lämmchen vorzeigen, aus sicherer Entfernung. Und einem hinterherschauen dann, fürsorglich. Bis der Sichtkontakt abbricht.

Spaziergänger in der jüngsten Saat
Spaziergänger in der jüngsten Saat

Zurück in Gräbendorf bleibt nach diesem Tag das Gefühl, vier verschiedene Landschaften gesehen zu haben, und das an mindestens zwei Tagen. Im Ohr klingt noch manch Schnabel nach, die Lungen sind gefüllt mit Wald und Frühling und später dann, im Traum, wird sicherlich ein Käferchen durch die Kulissen latschen.

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): von Berlin-Alexanderplatz über Königs Wusterhausen, dann mit dem Bus; von Berlin-Ostkreuz über Zeesen, dann mit dem Bus (ca. 1-1,25 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über die Autobahn, dann Abfahrt Bestensee; reizvoller: über die Berliner Vororte (Königs Wusterhausen, Wildau, Zeuthen, Eichwalde, Schmöckwitz)(ca. 1-1,25 Std.)

Länge der Tour: ca. 14,5 km, Abkürzungen sehr gut möglich (mit Kindern kleine Rundtour von Gräbendorf zum Haus des Waldes, ca. 5 km; bis Wegpunkt 8, dann direkt zurück zu Wegpunkt 1)
(Abkürzung vom Abzweig Tonsee bei Pätz direkt nach Gräbendorf Wegpunkte A-E)

Download der Wegpunkte

Links:

Gräbendorf/Dubrow

Märkisches Haus des Waldes (am Forsthaus Frauensee)

KiEZ Ferienlager Frauensee

KiEZ Ferienlager Hölzerner See

Informationen zu Pätz

Einkehr: in Pätz Imbissangebote (Lindenhof, Café am Pätzer See) zwischen Dorfplatz und Badestelle, sonst erst wieder in Bestensee

Monis Imbiss (nahe Bhf. Zeesen)(große Auswahl vollwertiger Gerichte); direkt am Bhf. Zeesen Restaurant Zum Schwiizer

Töplitz: Der Inseltag, die Wappenkirsche und der Weinhang am Klosterberg

Es ist immer wieder erstaunlich. Da tingelt man seit Jahren durch alle möglichen Teile Brandenburgs und ist noch nie darauf gestoßen, dass es da um die Ecke von Potsdam eine bewohnte Insel gibt, komplett umschlossen vom Wasser der Havel und dabei so groß wie ein Berliner Stadtteil. Mit richtigem kleinen Inselflair, das von den Bewohnern auf herzliche Weise gepflegt wird und keineswegs konstruiert ist. Sicherlich – die jenseitigen Küsten sind an den meisten Stellen nicht mehr als einen Steinwurf oder Pfeilschuss entfernt und mancher See-Insulaner mag milde lächeln, doch Fakt ist ebenso, dass Töplitz für motorbetriebene Fahrzeuge nur über eine einzige Straße zu erreichen ist, von Osten her.

Wegweiser in Neu Töplitz
Wegweiser in Neu Töplitz

Ähnlich Fehmarn in Schleswig-Holstein wird die Insel von einer Autobahn gequert und ist daher auch auf diesem Wege gut zu erreichen, unter Nutzung der erwähnten Straße. Ebenso gut lässt sich per Rad auf die Insel gelangen, denn seit der letzten Jahrtausendwende führt ebenfalls von Osten ein Fußgängersteg in ansehnlichem Bogen auf die Insel. Der passende Bahnhof ist der von Golm, einem Dorf etwas westlich des Parks von Sanssouci. Vor einigen Jahrzehnten gab es von Phoeben noch eine Fährverbindung nach Töplitz, über deren saisonale Reaktivierung aktuell nachgedacht wird. Über die ganze Insel zieht sich ein Netz von Wander- und Radwegen, das Optionen für das abwechslungsreiche Verbringen mehrerer Tage bietet und die Entscheidung für nur eine Tour keineswegs leicht macht.

Im innersten Zentrum des Ortes Töplitz
Im innersten Zentrum des Ortes Töplitz

Töplitz ist ein Ortsteil von Werder und führt einen Kirschzweig im Wappen. Das sieht man der Insel an vielen Stellen noch an, auch wenn die Spuren allmählich verblassen. Auf der leicht erhobenen nördlichen Hälfte der Insel ist von fast jedem Punkt eine Obstplantage oder Streuobstwiese zu sehen, meistensteils Kirschen, wie sich versteht.

Der Töplitzer Süden ist meistenteils friesisch platt und wasserdurchtränkt, doch zwischendurch erheben sich eindrücklich und an mehreren Stellen kleine Höhenzüge oder regelrechte Berge. Einer von ihnen steht frei in seiner topfebenen Umgebung und präsentiert am langen Südhang einen schönen Weinberg, der sicherlich irgendeinem Superlativ genügt. Das zugehörige Weingut schmiegt sich östlich an den Fuß des Berges, zum Dorf Neu Töplitz hin. Die wiederbelebte Weintradition wurzelt irgendwo bei den Aktivitäten des Klosters Lehnin, das in der Geschichte der Insel eine relevante Rolle spielte.

Rebenhang am Klosterberg, Neu Töplitz
Rebenhang am Klosterberg, Neu Töplitz

Töplitz betont seine Insellage, ist aber diesbezüglich nicht extra touristisch aufgebrezelt worden. Aus meiner Sicht ist es grundehrlich und gibt ein echtes Stück vom Brandenburger Leben wider. Der direkte Kontakt zur Küstenlinie ist nur an einigen Stellen möglich, doch dann ist es um so eindrucksvoller, wenn sich vor einem die weite Fläche des Göttinsees aufspannt, je nach Wind und Wetter aufgepeitscht oder ruhig und blau. Oder sich am jenseitigen Havelufer über Phöben die steil ansteigenden Höhen der Phöbener Heide erheben, mit ihrem leuchtend in die Bergflanke gegossenen Dünenhang. Auch der leicht verwunschene, schmale Übergang bei Einhaus oder das geradelinige Ufer des Kanals im Norden sind den Besuch wert und unterstreichen die Vielgestalt der Töplitzer Gestade.

Obstwiese im Inselnorden
Obstwiese im Inselnorden

Töplitz

Beim Bäcker kurz vorm Ortskern ist es schon zu beobachten, was in der Ortsmitte fortgeführt wird. Diese Stimmung von Insel. Bevorzugtes Verkehrsmittel für den kurzen Weg zum Besorgen der Brötchen oder der Butter fürs Frühstück oder auch des Biers zum abendlichen Grillen ist hier ein solides Fahrrad ohne viel Zierrat. Das Tempo ist entspannt, das Fahrradschloss bleibt in den meisten Fällen ungenutzt. Allein bei diesem Anblick fühlt man sich schon im Urlaub, wenigstens ein bisschen. Ganz gleich bei welchem der Geschäfte, es ist stets ein leichtes, angenehm entspanntes Kommen und Gehen.

Gegenüber des zentralen Schwarzen Bretts an der meistgenutzten Kreuzung der Insel liegen in friedlicher Koexistenz zwei Geschäfte, die sich gegenseitig ergänzen, fast ohne Überlappung. Im Inselmarkt gibt es alles, was sich verzehren lässt oder alle wird in absehbarer Zeit, die Waren also des täglichen Bedarfs. Waren des monatlichen, jährlichen oder einmaligen Bedarfs hingegen und fast ausschließlich solche, die als unverdaulich gelten, bietet in einer kaum fassbaren Mischung der Töplitzer Einkaufsmarkt. In nur drei bunt-gemischten Regal-Reihen gibt es hier alles, was man sich an drei langen Abenden am Lagerfeuer hätte ausdenken können, nur um auf etwas zu kommen, was sie dann doch nicht haben hier.

Robinienwald auf dem Weg zum Göttinsee
Robinienwald auf dem Weg zum Göttinsee

Vergebens vermutlich, denn hier gibt es wirklich so gut wie alles. Von der handgetöpferten Butterdose über Filzstifte und –pantoffeln bis hin zu 5-Kilo-Hämmern und Autolack, Angelsehne oder einzelnen Schrauben. Auch ein Set fürs Entenangeln bekommt man oder ein Schnapsglas oder Vogelfutter. Angeschlossen ist ein gut sortierter Blumen- und Pflanzladen, und betrieben wird das Ganze von zwei Damen, die das Herz am rechten Fleck haben und den größten Teil der Kundschaft mit dem Namen ansprechen. Wer hier war, kommt gerne wieder. Ergänzt wird dieser Kiez durch ein Hotel, von dem direkt die Stichstraße zum Strand zu führen scheint.

Der Frühling hat das Land unwiderruflich erreicht, da kann es an einzelnen Tagen der Woche gern noch kalt grau und und wettrig sein, doch das Erwachen aller Natur ist angelaufen. Dementsprechend sind alle draußen in ihren Gärten, mit einem Lächeln in den Sinnen oder im Gesicht, und auch beim Kindergarten wird der Spielplatz aufgehübscht, ein neues Segelschiff zusammengenagelt und frischer heller Sand verteilt. Am Ortsrand geht es kurz hinab und macht erst klar, das Töplitz etwas auf der Höhe liegt, was sinnvoll scheint und darum einleuchtet für den Hauptort einer Insel. Unterhalb eines kleinen, zerfurchten Höhenzuges voller Kiefernwald, einem Spielparadies für Kinder und Mountainbiker, ruhen ungestört zwei Angelteiche mit schönen Uferstellen.

Uferplatz in Göttin
Uferplatz in Göttin

Neu Töplitz

Auf den wenigen Metern zwischen dem Ortsschildern von Töplitz und Neu Töplitz rückt der Klosterberg ins Bild, der prägnanteste Berg der Insel, und präsentiert stolz seinen flachen Südhang, bedeckt mit langen Reihen von Rebstöcken. Schöne Wege locken hin zum Berg, der sich komplett umrunden lässt. Solcherart einladend sind viele Wege auf der Insel, und in der Tat sind den ganzen Tag über Radfahrer und Spaziergänger anzutreffen, ganz gleich in welchem Winkel. Östlich von Neu Töplitz zieht sich ein sumpfiger Gürtel aus Bruchwald hin, der mal etwas Zuwendung von Menschenhand vertragen könnte und über den Abzugsgraben in den Sacrow-Paretzer Schifffahrtskanal entwässert. Gleich dahinter beginnt der einsame und weite Norden der Insel mit weiten Blicken bis nach Potsdam oder Nauen.

Hölzernes Stillleben bei Göttin
Hölzernes Stillleben bei Göttin

Streuobstwiesen wechseln ab mit Kiefern-, dann mit Birkenwald, und voraus schiebt sich die Kajüte eines Schubverbandes durch die Landschaft und markiert klar den Verlauf des erwähnten Kanales, der für eine direktere Verbindung zwischen den Städten Brandenburg und Potsdam sorgt. Schließlich führt ein Weg vorbei an klammen Auenwiesen schnurstracks hin zum Göttinsee, zuletzt noch durch ein Wäldchen von Robinien, die mit erstem diffusem Laub schon jetzt das typisches Licht solchen Waldes schaffen. Am gegenüberliegenden Ufer des weiten Sees sind einige Häuser von Paretz zu sehen, weiter hinten in hellem Grau der hohe Speicher im Hafen von Ketzin.

Göttin

Wer einen Fuß in den See stecken möchte oder noch mehr von sich, kann dies direkt in Göttin tun, wo es einen einladenden Rastplatz gibt mit Seeblick-Schaukel und Bänken. Entlang des Uferwegs liegen schöne Gärten, einer ist klein und besonders verspielt und warnt ausdrücklich mit den Schildern „Spielen erwünscht“ und „Betreten der Baustelle nur für Kinder“. Gleich dahinter liegen Teiche schwarz im Bruchwald, und gegenüber am Seeufer haust eine Weide, spektakulär aufgespalten, mit langarmig abgelegtem Holz. Gleich daneben ruhen landunter zwei  Holzkähne an ihrem Steg. Oben in den Wipfeln halten ein paar kohlrabenschwarze Raben eine angeregte, geordnete Debatte. Ohne Aggression, doch mit Nachdruck in den Argumenten, so zumindest klingt es.

Kuhweiden zwischen Göttin und Klosterberg
Kuhweiden zwischen Göttin und Klosterberg

So wie nördlich von Göttin liegen auch hier im Süden des Weilers ausgedehnte Weiden, die lose bevölkert werden von Kühen und allerlei Kälbchen, die ihre ersten Schritte schon ein paar Tage hinter sich haben. Von vorne kommen Radfahrer, die mit Sicherheit keine Insulaner sind, gerade vom Sattel rutschen und gemeinsam die Kuhweide im Detail entdecken. Gesteuert wird der Verband von der Mutter, die sich und ihre zwei Jungs im höheren Grundschulalter vom Helm bis zum Clickpedal-Schuh in hauteng sitzende High-Tech-Kleidung mit dezent eingenähten Protektoren verpackt hat. Die Farbgestaltung sieht hochpreisig und nach Profi-Rennen aus, ebenso die Mountain-Bikes. Der zu vermutende Zeitaufwand in der Ankleide lässt hoffen, dass er gerechtfertigt war und alle Berge und Höhenzüge der Insel mindestens einmal bezwungen wurden bzw. noch werden. Oder die Familie einfach so einen schönen Tag auf der Insel hat, ganz frei von einem Pensum oder Plan.

Der Klosterberg mit seinem langen Südhang
Der Klosterberg mit seinem langen Südhang

Hinter einem Waldstreifen öffnet sich dann eine teilweise wasserdurchtränkte Weite, die an das Vorland von Salzwasserküsten erinnert. Weit voraus sind Reihen von hochgewachsenen Pappeln zu sehen und der markante Fernmeldeturm auf dem Wachtelberg bei Phöben, rechts liegen feuchte Flutwiesen mit umgestürzten Pappeln, die unbeeindruckt weiterwachsen. Dahinter ein Schilfgürtel und das Wissen um die Bögen der breiten Havel. Beim Blick Richtung Binnenland zeigt noch einmal der Klosterberg sein elegantes Profil, mit dem weit auslaufenden Rebenhang gen Süden. Das dürfte über ein paar Fläschchen so zum Spaße weit hinausgehen, wenn die Töplitzer Weinlese ansteht und sich der diesjährige Ertrag abschätzen lässt. Falls es ein Winzerfest gibt später im Jahr, sollte man sich den Termin schon mal vermerken.

Plattes Land im Inselsüden

Im weiten Bogen führt der Wiesenweg um den Berg herum bis zur Alten Fährstraße, deren über die Straßenmitte gebeugtes Ziegelstein-Pflaster mit den Zeiten rundgeschliffen wurde. Die Eichenallee führt auf direktem Weg zur Havel, zu der Stelle am Ufer, wo die Fähre nach Phöben übersetzte. Jetzt sitzt dort ein Angler, glücklich über diesen Tag und euphorisch im Auswerfen seines Blinkers. Direkt daneben steht die perfekte Bank für ein verschwiegenes Päuschen. Der Blick fällt aufs gegenüberliegende Ufer, wo fast schon pittoresk eine Reihe bunter Lauben dicht am Ufer hockt, mit winzigen Parzellen drumherum und ziemlich sicher einem Steg für jede einzelne von ihnen. Ein Motorbötchen, so eins mit Windschutzscheibe und Lenkrad, läuft gerade ein im großen Bogen und tut das so würdig und erhaben, wie es eben geht in dieser Größenordnung. Krönt das Glück dieses Tages am anderen Ufer.

Alte Ziegelsteinallee
Alte Ziegelsteinallee

Voraus ins Land ragt eine lange Reihe alter, baumeshoher Weidenbüsche. Die Eichenallee setzt sich fort bis an den Rand von Töplitz. Nach rechts bietet sich ein Bild, wie es selten ist im Land Brandenburg – weit hinten streckt sich kilometerbreit die Autobahn übers flache Tal, gestützt auf breite Pfeiler. Ist nicht zu hören, dank des Windes, der eher von Westen kommt. Ein schmaler Pfad führt vorbei an Pferdekoppeln und einem alten Schlot. Aber hier geht es jetzt eine Weile am Wasser lang, nicht direkt am Ufer, doch mit Sichtkontakt zur kleinen Havelwelle. Und einem hübschen Badestrand mit Liegewiese.

Phöbener Ufer gegenüber
Phöbener Ufer gegenüber

Töplitz

Ein schön geschwungener Plankenweg gibt den Auftakt für den leichten Zickzack-Kurs, der vorbei am zugeknöpften Hafen und hinter den Grundstücken wieder etwas Uferkontakt gestattet und damit einen kurzen Blick über den Kleinen Zernsee. Vorn die Straße ist schon wieder staubig trocken, obwohl noch gestern Regen fiel, doch das ist bekannt hier von der Gegend. An ihrem Rand wird Wild vom Insel-Jäger angepriesen.

Die Brücke der Autobahn ist erst zu sehen, dann zu hören, und gleich dahinter steht das Tor zum Hafen Ringel offen, das ist der für die Sportboote. Wobei angesichts der vielen Motoryachten und der wenigen Segelboote das mit dem Sport relativ zu sehen ist. Vier Männer, zwei davon mit ausgeprägter Ringmuskulatur, tragen im wiegenden Gleichschritt vier Gerüststangen vom Hafengelände zu einem Platz außerhalb des Hafengeländes und verdienen sich damit die Anerkennung Anwesender und den redlichen Genuss der Abendbiere. Fast schon unter der Autobahnbrücke steht auf dem Trockenen und scheinbar hoch über seinem Kiel ein smartes Dampferchen mit schmaler Taille und dem Namen „Andrea Doria“, der verschiedene Deutungen zulässt.

Lange Brücke über dem Haveltal
Lange Brücke über dem breiten Haveltal

Gleich nach dem Gelände des Hafens beginnt unmittelbar eine andere Welt – die des Wolfsbruchs. Nur ein einziger Weg führt auf diese große Halbinsel, die ein Paradies für Wasservögel sein muss. Die unmittelbare Nähe der Autobahn ist kaum wahrzunehmen. Direkt voraus wäre quer über den Großen Zernsee theoretisch die Insel mit der Altstadt von Werder zu sehen. Praktisch ist es eher die Brücke am Südende des Sees, vielleicht mit den Werderaner Kirchturm dahinter oder dem nach oben zeigenden Flügel der Bockwindmühle. Das wäre dann ein Blick von Insel zu Insel, quasi interinsulär.

Plankenweg am Ufer in Töplitz
Plankenweg am Ufer in Töplitz

Einhaus

Am Rande des Wolfsbruches lässt sich unterhalb des Schwarzen Berges ein komplett zweckfreier, doch reizvoller Abstecher aufs Festland einschieben. Der schattige Alleeweg endet an einer sehenswerten Fußgängerbrücke, die hinüber führt nach Einhaus. Um dem Abstecher mehr Gewicht zu verleihen als das bloße Wechseln des Ufers, steht hier vor dem Rückweg eine winzige Runde bereit. Wer gleich auf dem Festland bleiben will, kann von hier in ca. 3 Kilometern den Bahnhof Golm erreichen.

Geschäftiges Hin und Her am Sportboothafen
Geschäftiges Hin und Her am Sportboothafen

Vom Schwarzen Berg führt der Weg zwischen Waldhang und Bruchwald nach Leest. An einer Stelle scheint ein riesengroßer Müllsack mit mittlerweile historisch wertvollen DDR-Abfällen geplatzt zu sein, die sich weitflächig über den Bruchwald verteilt haben. Da sind alte Spülmittel-Flaschen, Fischdosen, Margarine-Deckel, Kaffee-Tüten und auch Gläser und Flaschen aller Art, die eindrucksvoll zeigen, wie farbecht das damals alles war – einiges ist verblasst, vor allem auf Metal, doch die Farben auf Kunststoffverpackungen sind noch kräftig wie eh. Vielleicht ließe sich jemand finden, der begeisterter Sammler ist und den ganzen Kleinkram aus der Botanik klaubt – und damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Am Sportboothafen
Am Sportboothafen

Danach kommen wir vorbei an einigen Ufergrundstücken, die auf spartanische und zugleich luxuriöse Weise dem Verbringen schöner Stunden der Freizeit gewidmet sind – wirksam konzentriert auf das Wesentliche. Als Maßnahmen der Vorbereitungen einer abendlichen Herrenrunde knackt schon ein Lagerfeuerchen, um das zwei von ihnen sitzen. Ein Dreibein steht bereit mit einem Hängerost. Ein Dritter älteren Semesters steht konzentriert auf seinem Kahn in einem Teich, der nicht viel größer als der Kahn ist, und zielt mit einer ebenso konzentrierten Angel auf den Teich. Ein Vierter schließlich eilt herbei auf Frauchens Rad, und ebenfalls von ihr stammt auch der weiche Korb aus Schilfgeflecht, der mittig am Lenker hängt. Darin sorgsam abgelegt wie ein Neugeborenes sind Bierflaschen, Hals zu Hals gestapelt oder Krone zu Krone. Die sind vermutlich gleichzeitig Plan A, Plan B und sichere Bank für alle vier, falls der im Kahn nichts für das Dreibein liefern kann.

Leest

Hinter einem Pferdehof geht es im Bogen hinauf zur Landstraße und über die Autobahn, rechts davon liegen zwischen Leest und Eichholz die beiden höchsten Erhebungen der Insel. Hinter der Obstplantage begrüßt ein großes Schild die Gäste auf der Insel, und am abzweigenden Wege treffen wir nun auf die ersten blühenden Kirschbäume dieses Jahres – ein wunderbares Geschenk zum Abend und eine schöne Vorausschau auf die Zeit der Obstblüte am Ende dieses Monats.

Der Fußgängersteg bei Einhaus
Der Fußgängersteg bei Einhaus

Zurück in Töplitz lockt hinterm Friedhof noch ein kleiner Schleichweg hin zur Kirche, deren Kirchhof trotz seiner Winzigkeit verzweigt und auch verwunschen wirkt. Die Kirche selbst ist offen, drinnen empfängt eine große Klarheit in der Gestaltung, dazu die unvergleichliche Stille eines solchen Raumes und nicht zuletzt die charakteristische Luft aus Holz und Stein und Kerzenwachs. Ein bunter Strauß steht am Altar und zeigt hier noch einmal, wie fortgeschritten schon der Frühling ist.

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): 1-2stündlich mit Regionalbahn und Bus 612 über Potsdam und Bhf. Golm (ca. 1,25-1,5 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über Land (Charlottenburg-Spandau-Groß Glienicke-Neu Fahrland-Marquardt, dann kurz Berliner Ring, wahlweise auch Steglitz-Wannsee-Potsdam-Bornstedt-Leest) oder über den Berliner Ring, Ausfahrt Leest (ca. 1 Std.)

Länge der Tour: ca. 18,5 km, Abkürzungen, Teilung und Varianten sehr gut möglich (die Insel hat ein dichtes Netz an Wanderwegen)

Download der Wegpunkte

Links:

Tourismus-Informationen von der Insel

Weingut Töplitz

Informationen zum Werderaner Ortsteil Töplitz

Ideen für ein Wassertaxi zwischen den Ortsteilen von Werder

Einkehr: Hotel Mohr, schräg gegenüber der Töplitzer Kirche (keine eigene Erfahrung)
Landgasthaus Mühlenberg (an der Straße Zur alten Fähre)(zwischen Töplitz und Neu Töplitz) (keine eigene Erfahrung)
Besenwirtschaft des Weingutes auf dem Weinberg, Neu Töplitz (keine eigene Erfahrung)
Hafenrestaurant und Biergarten am Yachthafen Ringel (italienische Küche)

Stadtspaziergang Prenzlau: Roter Stein, blaues Glas und etwas Ucker-Wildnis

Von einem Tag auf den anderen ist es Frühling geworden, nachdem zunächst krauchkalte und himmelgraue Wochen die zweite Märzhälfte fest in Schach hielten und sich einen Teufel um den Termin des Frühlingsanfangs scherten. All die Knospen und schüchternenen ersten Blüten knallen unter der kräftigen Sonne ungeduldig auf, schon am Morgen, und entknittern ihre geschickt verpackten Blätter zu einer Schönheit, deren Anblick tief und glücklich einatmen  lässt. Der Tag verlangt nach reichlich freiem Himmel, einen großen See und vielen kleinen Gärten.

Stadtmauer und Steinturm
Stadtmauer und Steinturm

Ganz im Norden Brandenburgs liegt die Stadt Prenzlau. Sie hat noch einen ganzen Teil ihrer Stadtmauer und auch in diesem Rahmen zahlreiche Wolkenkratzer aus historischem Backstein. Im Mittelalter zählte Prenzlau zu den bedeutendsten Städten der Mark Brandenburg. Heute ist es noch die größte Stadt da oben und verfügt standesgemäß über einen schönen Bahnhof, an dem es durchaus lohnt, den Zug zu verlassen oder das Auto abzustellen und ein paar Viertel- oder Dreiviertelstunden durch die Stadt zu streifen oder vielleicht gleich übers Wochenende zu bleiben.

Prenzlau liegt an der Nordspitze des langgezogenen Unteruckersees, und diese Lage prägt die Stadt entscheidend mit. Das alte Prenzlau, also das, was von der mittelalterlichen Stadtmauer und ihren Lücken umschlossen wird, liegt sanft erhaben über der Weite des Sees, zum Ufer hin und auch nach Süd und Ost fällt ein kleiner Hang ab, direkt vom Fuß der Mauer. Zwischen Steintorturm und Wasserpforte, wo dieser Hang direkt nach Süden ausgerichtet ist, gab es über lange Zeit einen kleinen Weinberg. Nach weiteren Jahrhunderten Pause kam vor ein paar Jahren die Idee auf, die Weinbautradition neu zu beleben. Und so geideihen nun im Rahmen der Landesgartenschau von 2013, die im Stadtgebiet an vielen Stellen erfreuliche Spuren hinterließ, seit über fünf Jahren wieder Rebstöcke am Prenzlauer Südhang. Unterstützung deutsch-deutscher Art gibt es dabei aus der Weinregion Rheinhessen.

Verbraucher und Erzeuger
Stillgelegte Verbraucher und tätige Erzeuger

Dass die Stadt einmal sehr bedeutsam war, davon zeugt neben den vielgestaltigen Türmen der Stadtmauer auch die gewaltige und weithin sichtbare Marienkirche, die in den nächsten Jahren grundlegend in Schuss gebracht werden soll und in diesem Rahmen sogar eine neue Orgel erhalten könnte. Vor der Kirche wurde auf dem Marktberg ein einladender Stadtplatz mit Terrassen und allerlei Wasserspielen geschaffen, an dem sich ganz wunderbar beliebige Mengen an Zeit vertrödeln lassen, bevorzugt natürlich in der mützenlosen Zeit. Vom Bahnhof erreicht man die Innenstadt mit ihrer Bummelmeile in ein paar Minuten, in dem man einfach auf den ersten Turm zuläuft, der zu sehen ist.

Wer vorher noch etwas gezähmte Wildnis um sich haben möchte, kann einen kleinen Ausflug zur Ucker einschieben. Nach etwas Stadtrand-Gewerbe zweigt ein Feldweg Richtung Fluss ab, in Richtung Norden türmen sich hinter einer Mauer bunte Stapel von Autowracks vor entfernten Windrädern und lassen den Geist nach einem wortgewandten Sinnbild suchen.

Die Ucker nördlich von Prenzlau
Die Ucker nördlich von Prenzlau

Hinter einem Gleis, auf dem bis zur Jahrtausendwende noch Züge nach Templin ratterten, sind wir mittendrin in der Ucker-Landschaft. Ein kleiner Steg führt übers Flüsschen, dessen klares Wasser zügig fließt, fast eilig, als wär noch Schnee geschmolzen etwas weiter südlich. Noch liegt das blassblonde Gras in seinen Büscheln winterplatt und saftlos hier auf dem feuchten Grund, was auch fürs Schilf gilt, doch schon in wenigen Wochen wird es hier dicht und üppig grünen und mit satten Düften nur so um sich werfen. Mittendrin stehen ein paar Ponys und scheinen wild zu leben hier, wie Vagabunden.

Von der Ucker Richtung Vossberg
Von der Ucker Richtung Voßberg

Voraus liegt weites Wiesenland, begrenzt durch einen sanften Hang, der vor der Erhebung des Voßberges liegt. Ein weit entfernter Wanderschäfer schickt scheinbar seinen Hund los, die Herde zu sortieren. Er selbst befindet sich im Kampf mit einem aufgerollten Zaun in leuchtendem Orange. Aus gleicher Richtung tönt ein Modellflugzeug. Und: es ist kein Hund zu sehen noch zu hören, dennoch rennt die Herde hin- und wieder her – ist das nun bloß der Stand der Technik in der Schäferei – ein Schäferflugzeug mit hochaufgelöster Bildübertragung in Echtzeit? Oder vielleicht der nächste neue Youtube-Star? Und ist das eigentlich steuerfrei, zumal als Nebenerwerb?

Fort von dieser Schar von Fragen führt der Weg über die recht breite Quillow, die mit reizvoll umständlichem Windungen aus dem Mecklenburgischen kommt, am erwähnten Voßberg vorbeischrammt und nur einen Flusskilometer später in die Ucker mündet, deren Dimension mehr als verdoppelnd. Dann ist der angenommene Schnee doch eher in Mecklenburg geschmolzen.

Laubenpfad zur Uckerbrücke
Laubenpfad zur Uckerbrücke

Kurz hinter der Brücke ruht reich an Uferschilf ein Teich, der ein beliebter Treffpunkt für den Abend sein dürfte. Hinterm Bahndamm liegen Kleingärten, und wenn dort die Tore offen stehen, lässt sich ein hübscher mopedbreiter Pfad direkt entlang der Ucker nutzen, die hier ursprünglich durch ihr flaches Bett schleicht. Sind keine Tore offen, kommt man trotzdem zum Pfad, nur etwas später. Eine kleine Brücke führt ans andere Ufer, und dort ist man sofort in Prenzlau. Jenseits der ersten großen Straße wird die Spur der Stadtmauer aufgenommen. Fast direkt vor der Mauer steht die kleine Kirche St.-Maria-Magdalena. Zu ihrer Bauzeit vor reichlich hundert Jahren hieß die heutige Neubrandenburger Straße noch Kuhdamm, und die verbliebene Stadtbefestigung nahm langsam ihre touristische Funktion auf.

Innerhalb der Stadtmauern hat das letzte Kriegsjahr 1945 fast nichts verschont, kaum Altes stehenlassen. Doch da das Neue nicht zu hoch gebaut wurde, wirkt die Stadt nicht unterkühlt, bringt leise Ihren schon nördlichen Charme zum Spielen. Dabei helfen maßgeblich die meist backsteinernen Bauten aus vergangenen Jahrhunderten, die fast überall im Stadtbild präsent sind, meistens hochkant von Gestalt. Von nahezu jeder Stelle ist einer der vielen Mauertürme zu sehen, die Mauer selbst oder ein Kirchturm.

Friedrichstraße Richtung Norden
Friedrichstraße Richtung Norden

Etwas Zickzack führt zur Friedrichstraße, der gemütlichen Laden- und Bummelzeile der Stadt, die in etwa zwischen Stettiner Torturm und Steinturm verläuft, ein Stück davon als Fußgängerzone. Im Zentrum des Mauerrings wurde hier auf dem Marktberg der erwähnte Stadtplatz mit den Wasserspielen geschaffen, der Modernes und Altes recht gelungen verbindet. Um ein Haar hätte hier ein Einkaufszentrum gestanden, doch die dazu befragten Prenzlauer entschieden zweifelsfrei dagegen – und damit für ihre einladende Friedrichstraße sowie für einen klaren Charakterzug in der Stadtmitte.

Vielfältiger Blick vom Marktberg
Blick vom oberen Plateau des Marktberges

Vom oberen Plateau des kaum drei Jahre alten Platzes bietet sich ein eindrucksvoller Panorama-Blick, bestehend aus der wuchtigen Ostfassade der Marienkirche, den Türmen von Heilgeistkirche und Mitteltor und den Fontänen des unteren Plateaus, die immer in Bewegung sind und scheinbar gut gelaunt. Bleibt der Blick am Turm des Mitteltores hängen, kann es sein, dass ein Groschen fallen will und nicht gleich fällt – eben dieser war Inspiration für beide Türme auf Berlins schönster Spree-Brücke, wo ehemals der Oberbaum der Stadt kurz überm Wasser hing und dafür sorgte, dass kein Wegezoll durch städtische Lappen ging.

Turm-Ruine mit Durchblick
Turm-Ruine mit gut gelauntem Durchblick

In der Steinstraße, der Verlängerung der Friedrichstraße nach Süden, wird der Blick mehrfach abgelenkt, zuerst vom schifflos dastehenden Ruinen-Turm der einstigen Nicolaikirche mit seinem kleidsamen Bullauge. Von dort tönt diffus Musik wie von einem großen Glockenspiel und lockt hinein in den Hof. Bis zuletzt ist unklar, ob die Klänge oben vom Turm her kommen oder dahinter ein bepackter Straßenmusiker steht und spielt an diesem Platz – es ist keine Melodie, dennoch uneingeschränkt melodisch und passt ganz wunderbar zur Atmosphäre dieses Ortes. Wir treten durch das hohe Portal und sehen dahinter ein Mädchen still begeistert hin- und herspringen, unter ihr neun Stahlplatten mit neun Tönen, angeordnet im Quadrat.

Pfad entlang der Stadtmauer

Zurück auf der Straße zieht der Steinturm den Blick wieder nach vorne, doch kurz darauf schweift er erneut nach rechts, diesmal zum ruhigen Hof des Dominikaner-Klosters, auf dem ein lebensgroßer bunter Harlekin sein Schalkwerk treibt. Von hier ist die Stadtmauer zu sehen, in ihr eine Pforte, und auch diese lockt. Das tut sie ganz zu Recht – direkt dahinter beginnt unmittelbar vor der Mauer ein zauberhafter Gang, erst schmal, doch wenig später schon zwei Leute breit. Zu Füßen dieses leicht erhabenen Mauerpfades liegen die kreisrunden Gärten der Landesgartenschau, der junge Weinberg mit seiner steilen Treppe zu den Gärten und die Freiluftbühne. Durch alles zieht sich markant eine Spur aus blau-weiß-gläsernen Beeten, in denen die Sonne ihre Spiele treibt, sowohl von Nahem als auch von hier oben. Ein kleiner Vorgriff auf den Unteruckersee, dessen weite Fläche sich mit gewisser Sogkraft voraus erstreckt.

Seepromenade am Unteruckersee
Seepromenade am Unteruckersee

An der Wassertorpforte führt ein Weg von der Stadtmauer hin zur Uferpromenade mit dem neuen Stadthafen, wo sich schon ärmellos die Leute tummeln und das Gras plattliegen, an diesem lang ersehnten ersten Tag mit reichlich Frühlingssonne. Selbst griesgrämigen Menschen zieht es heute die Mundwinkel eher nach oben als nach unten, ob sie es wollen oder nicht.

Kussgarten und Weinberg
Kussgarten und Weinberg vor der Stadtmauer

In die andere Richtung führt die breite Promenade als alte Allee zum Bade hin, vorbei am unteren Tor zum LaGa-Park mit seinen Gärten. Wer dort nur mal kurz reinschauen will, läuft Gefahr, am Ende doch alle Gärten besucht zu haben, denn ein Garten macht neugierig auf den nächsten. Das jedoch ist selbst in Familie und mit verschiedenen Interessen kein Problem, da man sich nahezu von überall gegenseitig entdecken und zuwinken kann. Das gilt auch für den fantasievollen Spielplatz dicht am Ufer.

Blauweißer Glasmulch auf den Beeten
Blauweißer Glasmulch auf den Beeten

Hinter dem Kreisverkehr am Bad neigen sich die Stämme der Allee landeinwärts – ein ganz spezieller Fall von Windflüchtern, da sie in langer Doppelreihe stehen und baumeshoch gewachsen sind. Wie ein im Tanz erstarrtes Ballett von meterdicken Ballerinas – oder doch eher Ballerinos. Zwischen den zurückweichenden Platanen strömen jetzt neben den schlendernden Spaziergängern etwas hastiger kleine Scharen von großen Jungs und Mädchen. Den Strom zieht es zum Sportplatz, denn dort ist irgendwas im Gange, ein Fest oder ein Spiel.

Betagte Windflüchter an der Uferstraße
Gestandene Windflüchter an der Uferstraße

Noch vorher lockt die Option zur Abgeschiedenheit, ein Wiesenpfad folgt dem Lauf eines Rinnsals zu den Gärten in der zugehörigen Senke. Früher oder später führen die Wege über den Städtischen Friedhof zurück in die Stadt, die außerhalb der Mauer. Vorbei an einer neuen Schule und einem knuffigen Imbiss mit Biergarten ist man bald im langgezogenen Stadtpark, der mit seinen hochgewachsenen Bäumen unterhalb der Mauer liegt. Er wirkt ein wenig wie ein Refugium der Einheimischen, wenn sich an Südmauer und See die Stadtbesucher drängen. Auch hier stehen Türme auf der Mauerlinie, und die lichten Wiesen tief unter den teils krähenbewohnten Wipfeln sind hier und da überzogen von Frühblühern, solchen der ersten Stunde.

Im Stadtpark an der Ostmauer
Im Stadtpark an der Ostmauer mit dem Hexenturm

Vorbei an einem letzten kleinen Park, von vorn kommt auf dem Rad ein Junge mit dem Lenker in der einen und zwei Pizzen in der anderen Hand, die Krönung dieses Tages dicht voraus. Von hier sind es nur noch ein paar Schritte bis zum Bahnhof, wo der facettenreiche Kreis sich schließt. Das Tageslicht hingegen ist lang noch nicht am Ende.

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): regelmäßig mit der Regionalbahn (ca. 1,5 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): entweder über Land (B 109, ca. 1,75 Std.) oder über die Autobahn (A 11, ca. 1,25 Std.)

Länge der Tour: max. 11 km (Abkürzungen sehr gut möglich)

Download der Wegpunkte

Links:

Tourismus-Informationen zu Prenzlau

Informationen zur Landesgartenschau 2013

Weinbau in Brandenburg (PDF)

Marktberg – Prenzlaus neue Mitte

Oberbaumbrücke in Berlin

Dominikaner-Kloster Prenzlau

Einkehr: zahlreiche Möglichkeiten im Stadtgebiet, konzentriert in der Friedrichstraße

Grobskizziert – Falkenhagen/Mark: Tausend Schnäbel, sechs Seen und das Krokusrätsel

Wer im zeitigen Frühjahr die Ankunft und Zwischenrast der Zugvögel miterleben möchte, muss dafür nicht unbedingt bis in die Prignitz oder ins Oderbruch reisen. Sehr gut geht das auch in den Ländchen rund um Linum, im Havelland oder zum Beispiel in der wasserreichen Landschaft rund um Falkenhagen, und zwar dem etwas südlich von Seelow. Na gut, da ist man dann auch schon fast im Oderbruch, doch auch ein paar Nummern kleiner haben ihren Reiz.

Hintertürchen zum Kirchhof
Hintertürchen zum Kirchhof

Falkenhagen liegt liebenswürdig eingesenkt in eine dieser schönen Landschaftsrinnen, wie sie im Osten Brandenburgs an mehreren Stellen zu finden sind und die eigentlich alle ganz besonders schöne Landschaften hervorbringen. Relativ bekannt ist das unvergleichliche, bezaubernde Schlaubetal. Doch auch der langgezogene Gamengrund, der sich über vierzig vielfältige Kilometer von den Berliner Randdörfern bis hinauf zum Oderbruch streckt, oder jener besonders waldreiche, der am Kurpark von Bad Freienwalde als Brunnental beginnt, schaffen jeweils ganz eigene, zurückgezogene und gleichzeitig einladende Welten. Den unausweichlichen Bezug zur Eiszeit lasse ich heute einmal dort, wo er gerade ist und bekräftige ihr nur kurz meinen Dank für diese Landschaften.

Buntes Altarraumfenster gen Osten
Buntes Altarraumfenster gen Osten

Auch die Rinne, an der Falkenhagen liegt, zeigt mit etwas Toleranz und ohne zuviel Wissenschaftlichkeit betrachtet eine beachtliche Länge, ist erstaunlicherweise kaum kürzer als das Schlaubetal oder der Gamengrund. Vom Tal der stark mäandernden Spree bei Drahendorf im Süden könnte man ihre Kontur auf einer reichlich überhöhten Reliefkarte vorbei an Briesen, Lietzen und Diedersdorf fast bis an den Rand des Oderbruchs bei Platkow nachfahren, ohne mit dem Finger großartig abrutschen zu können.

Falkenhagener Superlativ im Gesamt-Panorama
Falkenhagener Superlativ im Gesamt-Panorama

Falkenhagen/Mark

Falkenhagen ist von vielen Seen und Teichen umgeben, so dass es hier vermutlich keine Erwähnung wert ist, wenn man vom eigenen Haus aufs Wasser blickt. Nicht zuletzt aufgrund dieser natürlichen Gegebenheit ist das schöne Dorf bestens ausgestattet für angenehmes Verbringen freier Zeit. Mehrere Restaurants gibt es und das Oderlandcamp, das einiges Auf und Ab hinter sich hat und aktuell wohl für eine Falkenhagener Betten-Gesamtzahl von 338 sorgt. Vor allem aber gibt es eine großzügige Badestelle unterhalb eines robinienbestandenen Wiesenhangs – Berg und Tal sind in der Ortslage allgegenwärtig, und die Kirche steht immerhin zwanzig Meter höher als die Stelle, wo man den ersten spitzen Badefuß ins Uferwasser setzen könnte. Gegenüber der Badestelle ankert sogar eine schmale Insel mit mageren Bäumen, die vermutlich an keiner Stelle einem Fuß oder einem Knie festen Boden bietet, doch allemal ein schönes Ziel darstellt für hin und zurück oder „Wer erster da ist!“. Platz für einen sommerlichen Eiswagen auf dem pensionierten Fundament eines mutmaßlichen Kiosks ist auch vorgesehen.

Gänse über dem buchtenreichen Galgsee
Gänse über dem buchtenreichen Galgsee

Auf dem Weg zur Badestelle liegen ein Sportplatz mit sensationellen Tribünenplätzen, ferner ein ansprechender Spielplatz sowie eine Strandmuschel für kleine Aufführungen, wie man sie von Bäderorten am Meer kennt. Nur eben eine Nummer kleiner. Doch so abwegig scheint das nicht, wenn man hier und in der Umgebung einen Tag verbracht hat mit viel frischer Luft – Bad Falkenhagen in der Mark.

Radweg nach Arensdorf oberhalb der Weiherkette
Radweg nach Arensdorf oberhalb der Weiherkette

Die vielen Seen und die Lage des Dorfes in ihrer Mitte gestatten viele Variationen des Lustwandelns oder Spazierens, ohne sich jeweils weit vom Badestrand bzw. der nächsten Möglichkeit für ein kaltes oder heißes Getränk entfernen zu müssen. Die umgebende Natur ist nicht nur einfach schön oder dezent spektakulär, sondern bei aller Kleinräumigkeit von großer Vielfalt. So gibt es verschiedenste Formen von Wald und stille Talgründe, weite Wasserflächen und dichte Feuchtwälder oder Sumpfland, wahlweise auch die große Weite mit stets leicht erhabenen Blicken über umschilfte Weiher und sanft-welliges Land.

Bei Jochenshof
Bei Jochenshof

Für die Verbindungen dazwischen sorgen neben breiten und weichen Wegen auch naturnahe Pfade und zwischen Schwarzem See und Schmielensee ein leicht abenteuerlicher und sehr verspielter Bohlenweg mit zwei stabilen Brücklein und einem kleinen Pass dazwischen. Das war jetzt im zeitigen Frühjahr mit seinen knappen Farbkontrasten schon von spezieller Schönheit und dürfte mit Laub an den Bäumen und Farbvielfalt im Spektrum fast ein wenig berauschend sein, dort nur wenige Zentimeter über dem Nassen über die Planken und durch die Botanik zu wackeln.

Weg zurück Richtung Falkenhagen
Weg zurück Richtung Falkenhagen

Am Beginn des Dammes zwischen Burgsee und Schwarzem See stand einst auf einem Hügel ein Schloss englischer Bauart über dem Wasser. Vom Schloss ist nichts mehr zu sehen, doch der Schlossberg ist noch da samt einigen Pfaden, die hinauf locken. Wer planlos nach Falkenhagen fahren möchte, kann sich am Parkplatz an der Kreuzung nördlich der Kirche die Karte anschauen und auf passende Ideen kommen. Hier ist gut dargestellt, wo am besten langgeht, wer eine, zwei oder drei Stunden unterwegs sein möchte – großartig verlaufen kann sich eigentlich niemand. Fünf Seen stehen bereit zur Umrundung, und von einem einzelnen bis zur Kombination aller fünf stehen alle Optionen bereit. Da sind dann noch nicht die weiten Hügelländer im Westen dabei und ebenso wenig die ausgedehnten Wälder der Falkenhagener Heide im Osten.

Im kleinen Talgrund am Mühlenteich
Im kleinen Talgrund am Mühlenteich

Apropos: wer seinen Wunschweg gegangen ist und womöglich nach so viel Lieblichkeit und Schönheit das Verlangen nach einem kalten Schauer an jedem einzelnen Wirbel des Rückgrats verspürt, kann diesem Verlangen mit einem Abstecher in diese Wälder nachkommen. Zunächst trifft man dort auf hierzulande eher seltene Tannen und Roteichen ebenso wie auf frühjahrslichte Buchen- und märchendunkle Fichtenwälder. Davon abgesehen sind der Wald und die Gegebenheiten stellenweise recht abweisend, was gut so ist und irgendwie passend. Was sich hier verbirgt, zum Teil unter der Erde, ist eine während des Zweiten Weltkrieges geplante und gebaute Fabrik-Anlage mit direktem Bahnanschluss. Hier sollten im großen Stil chemische Kampfstoffe hergestellt werden sollten, im Detail das Nervengas Sarin. Zum großen Glück kam das Ende des Krieges rechtzeitig, um diese Produktion gar nicht erst anlaufen zu lassen. Das einstige Verbindungsgleis von Falkenhagen hinauf zur Fabrik baute die sowjetische Besatzungsmacht im Rahmen von Reparationen ab, so dass nur Fachkundige im Ort selbst noch Spuren dieser Zeit ausmachen können. Auch das ist eigentlich gut so, denn ich finde, man darf die heutige Zeit doch ruhig die heutige Zeit sein lassen, solange die Geschichte nicht vergessen, an sie erinnert wird.

Steg am Burgsee
Brauner Steg am Schwarzen See

Denn einfacher als im teils spröden Gewirr der Waldwege und dennoch unvermindert effektiv geht es auch mit einem Besuch der wuchtigen Kirche, die zwischen den dicken Grundmauern ihres noch wuchtigeren Turmes eine kleine und gelungene Ausstellung zum Thema eingerichtet hat, hier im Herzen des Ortes. Diese bringt es gut auf den Punkt – und lässt einen nach dem Besuch erleichtert aufatmen, wenn sich drei dicke Türen später wieder der freie Himmel hoch über dem Scheitel wölbt und ein Hahn schreit irgendwo im Dorf oder ein davonstiebendes Huhn aufgackert.

Verwirrendes Spiegelschilf am Ufer des Schwarzen Sees

Und was sich unter diesem Himmel zur Zeit so abspielt, führt nun zurück zum Anfang. Allgegenwärtig ist das Hin- und Herziehen der lärmenden Gänsescharen, die sich von all den Seen hier scheinbar am mehrfach taillierten Galgsee mit seinem breiten Schilfgürtel und den flachen umliegenden Feldern am wohlsten fühlen. Die lose Weiherkette Richtung Jochenshof haben wiederum die Kraniche des heutigen Tages als passend ausgewählt, die einmal so nah wie noch nie neben uns auffliegen. Überall in den noch unbelaubten Wipfeln und im Buschwerk entlang der Wege und alten Bahndämme zwitschert und plappert es, die Vielfalt der Stimmen nimmt jetzt von Woche zu Woche rasant zu. Eine Geräuschkulisse wie ein freundlicher Tritt in den Hintern des Winters, auch wenn er sich den jetzt noch nicht klanglos bieten lassen wird.

Plankenpfad zwischen den Seen
Plankenpfad zwischen den Seen

Das unterstützen auch mit großem Einsatz Horden von Schneeglöckchen, die weit entfernt von irgendwelchen Gärten überall hier ganze Flächen weiß färben. Übrigens geht in dieser Hinsicht am nördlichen Ufer des Burgsees im Märzen eine charmante Idee auf, davon abgesehen ein schönes Suchspiel für Groß und Klein, wenn man unterhalb des Waldhanges den Uferweg entlangspaziert. Hier steht am Wegesrand ungefähr alle dreißig Meter ein kesser Krokus, leuchtend im nachwinterwurstigen Waldboden, und nie ist gewiss, ob es vielleicht der letzte war oder doch noch einer kommt. Als dann wirklich keiner mehr kommt, ist der gesamte Boden mit einem Teppich aus Efeu überzogen, der bis fast zum Schlossberg reicht. Da wäre es vielleicht vergebene Liebesmüh gewesen, das Spiel noch fortzusetzen, denn der immergrüne Efeu ist ja nicht nur immergrün, sondern auch höher als so ein Krokus.

Brücke beim Matheswall
Brücke beim Matheswall

Egal, ob man nun auf einer Bank am Wegesrand oder am Ufer sitzen möchte und den ganzen Tag nur gucken, ein Ründchen um einen der Seen spazieren und danach gleich hineinspringen oder sich längere Zeit im Schlurfschritt zwischen den Ortseingangsschildern von Falkenhagen treiben lassen – jede dieser Optionen ist lohnend, besonders natürlich, wenn das Licht schon länger bleibt und keine Mütze mehr benötigt wird. Doch auch zur Zeit der Laubfärbung, bei zugefrorenen Seen oder eben jetzt im spätwinterlichen Vorfrühling mit seinen ersten zarten Düften und vereinzelten Farbpunkten lohnt es, sich hierher auf den Weg zu machen.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): nur wenige und umständliche Verbindungen am Tag (2,25-3 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über B 1 nach Müncheberg, dort Richtung Frankfurt/Oder und in Petershagen links nach Falkenhagen (ca. 1,5 Std.)

Länge der Tour: variabel 5-14 km

 

Download der Wegpunkte

Rieben: Ein Gipfelkreuz, das Pfefferfließ und die schöne Niederung

Viele brandenburgische Landstriche werden maßgeblich bestimmt von Urstromtälern, was auch für die Stadt Berlin gilt. Für wen das Wort „Urstromtal“ weder nach guter alter Zeit klingt, noch in der Vorstellung verschiedene reizvolle Landschaftsbilder aktiviert oder abseits von jeglichem Sinngehalt einfach nur wohlklingend ist, stellt es möglicherweise ein sanft-traumatisches Überbleibsel aus dem Geographie- bzw. Erdkunde-Unterricht dar.

Rückblick nach Rieben
Rückblick nach Rieben

Falls von Interesse (falls nicht, geht es unter dem Waldbild weiter): so wie ich das behalten habe, liegt am Ende des unfassbar lange dauernden Bremsvorgangs eines jeden Gletschers ein Haufen Schutt und Gerümpel von unterwegs. Die Endmoräne. Diese ist zugleich eine Art Souvenir-Sammlung von überall, wo der Gletscher vorbeigekommen ist, schmirgelt diesem als Grundmoräne quasi in Echtzeit den weiteren Weg frei und hat letztlich, wenn sich einfach zu viel angesammelt hat, den endgültigen Stillstand der formlosen Eismasse zu verantworten. Mancher dicke Fels, der vielleicht lieber in Skandinavien geblieben wäre, verbringt sein weiteres Dasein daher beispielsweise kurz hinter Prenzlau. Am Ende klebt der Gletscher bewegungslos hinter seiner Endmoräne, fängt irgendwann an abzutauen und sickert und rinnt durch das ganze Geröll und Gestein ins davorliegende Land. Der stete Zufluss formt sich ein Tal, und da ist es dann irgendwann, das Urstromtal. Bleibt noch die Frage, wer die Täler dann bewässert, wenn der Gletscher einmal alle ist. Doch das scheint sich jeweils gefunden zu haben.

Im morgendlichen Kiefernwald am Hoheberg
Im morgendlichen Kiefernwald am Hoheberg

Eines dieser Urstromtäler zieht sich, benannt nach dem Städtchen Baruth, südlich von Berlin entlang. Es reicht von der Elbe im Westen vorbei am Spreewald bis hin zur Oder im Osten und sorgt unterwegs unter anderem für die besonderen Landschaften im Einzugsbereich der Nuthe. Mittendrin liegt der Naturpark Nuthe-Nieplitz, benannt nach seinen zwei bestimmenden Flüsschen, und durch den zieht sich länglich die unter Naturschutz stehende und sehr wasserreiche Nuthe-Nieplitz-Niederung, in der beide Flüsse zusammenfinden. Hier und da stehen mittendrin auch ein paar Berge.

Strand am Glienicksee
Strand ohne Badegäste am Glienicksee

Rieben

Am Rande dieser Niederung liegt, nicht weit von der Spargelstadt Beelitz, das hübsche Dorf Rieben. Alle Gärten sind besonders aufgeräumt, wie das so ist, wenn der Frühling erwartet wird, aber noch nicht losgelegt hat. Gleich von hier verleiten Schilder zum kompakten Rundweg um den Riebener See oder dem mittellangen Sieben-Seen-Weg, und in der Tat sind hier auffällig viele Menschen freizeitlich und bester Dinge unterwegs. Doch wir wollen heute länger draußen sein, denn dieser Tag ist nach einer schmuddelig-stürmischen Woche mit Schneetreiben und waagerechtem Regen durchdrungen von Vorfrühling, die Sonne kräftig und ihr Licht so klar und verlockend, dass man jede Stunde davon nutzen will. Der Februar sieht heute schon sehr nach März aus.

Direkter Aufsteig zum Weinberg
Direkter Aufsteig zum Gipfelkreuz des Weinberges

Rieben ist ein flämingtypisches Straßendorf, dementsprechend gibt es viele von diesen riesigen Hoftoren in kräftiger Farbe, die oben sanft gerundet sind, und vor jedem vierten davon steht ein bunter Wagen oder Stand, wo man Eier kaufen kann oder Kartoffeln, wahlweise auch süß oder herzhaft gefüllte Konservengläser aus heimischer Produktion. Das Gasthaus hat noch Winterpause bis zum nächsten Wochenende, und damit es ist nicht das einzige im Umkreis. Es ist eben doch noch Februar, zumindest gastronomisch.

Moderater Abstieg vom Weinberg
Moderater Abstieg vom Weinberg

Vorn auf der Straße unterhalten sich zwei Fahrende, einer sitzt im Auto, einer auf dem Rad. Vom Dorfrand steigt ein Weg auf durch lichten Kiefernwald, hinauf in die bewaldeten Hügel des Hohebergs. Das niedrige Sonnenlicht fällt durch die hohen Stämme staubig auf den weichen Boden und lässt dem Wald noch seine Morgenkühle, daher wird auch in jedem Ameisenhaufen am Weg noch kein Finger gekrümmt. Mitten im Walde liegen gut windgeschützt beackerte Felder, der dunkle und frisch aufgeworfene Boden wirkt regelrecht erwartungsfroh. Und muss noch etwas warten. Weiter oben sind die Waldarbeiter zu hören.

Kirchentür in Dobbrikow
Kirchentür in Dobbrikow

Plötzlich liegt voraus ein großer, unerwartet umzäunter Campingplatz, genau da, wo wir eigentlich lang wollten. Glücklicherweise ist eine kleine Hinterpforte offen, und auch beim Ausgang beim Glienicksee haben wir Glück, das eigentlich versperrte Tor ist gerade offen, weil heute klar Schiff gemacht wird für die Saison-Eröffnung im März. Naja, ansonsten hätte man außenrum gehen können. Am teils noch vereisten Glienicksee gibt es vom Campingplatz aus einen Strand mit schönem Terrassencafé. Aber eben erst ab nächste Woche.

Teils nasser Weg bei Dobbrikow
Teils nasser Weg bei Dobbrikow

Nach der Teepause mit Blick auf den Strand führt ein schnurgerader Weg durch raschelndes Laub vom Glienicksee zum Vordersee, begleitet von einem Pappelwäldchen am sanften Hang. Das Ufer des Hintersees bietet ein paar schöne Badestellen an, und gegenüber ist schon Dobbrikow zu sehen. Langsam klärt sich die ungestellte Frage, wie der Sieben-Seen-Weg zu seinen sieben Seen kommt, denn allein rund um Dobbrikow liegen schon vier kleinere. Der Ort selbst liegt zwischen Vordersee und Bauernsee, die sogar miteinander verbunden sind.

Weiche Katzen am Wegesrand
Weiche Katzen am Wegesrand, mit Hardcover

Dobbrikow

Doch liegt Dobbrikow auch am Weinberg, einer kleinen, doch bemerkenswerten Erhebung mit steiler Nordflanke. Wer über diese an kalten Tagen den Aufstieg wagt, wird oben nicht mehr frieren. Keineswegs übertrieben scheinen daher auch das Gipfelkreuz und die Schutzhütte, von denen sich ein weiter Panorama-Blick in Richtung Osten bietet. In dieselbe Richtung liegt ein herrlicher Rodelhang, auf dem sich im Winter alle Altersgruppen tummeln. Heute könnten das eher die allerersten Bienen sein, doch im Detail treffen wir keine von ihnen.

Wärmendes von innen
Wärmendes von innen für draußen

Der kernige Zustieg von Norden und der gelassenere von Süden sind mit knorrigen Geländern ausgestattet, die im Zusammenspiel mit alten Eichen und sandig-wurzeligem Boden schöne Bilder schaffen. Am Ende des Abstiegs liegt ein sumpfiges Tal mit benachbartem Bruchwald, aus dem extrem laut exotische Vogelstimmen tönen – jedoch nur als Widerhall, wie sich herausstellt. Ein paar Minuten später lokalisieren wir die Voliére in einem Garten und wissen hier vor Ort, wie laut die Vögel wirklich sind. Zwischen den Seen spazieren wir durch das schöne Dorf, in dessen Herzen eine kleine private Sternwarte möglichst finsteren Nächten entgegenfiebert. Das dürfte hier ganz vielversprechend sein, tief in der Nuthe-Nieplitz-Niederung.

Wäldchen bei Hennickendorf
Wäldchen bei Hennickendorf

Vorbei an der Kirche mit ihrer schönen blauen Tür und Vorgärtchen, die bunt sind von Frühblühern, berühren wir kurz das Ufer des Bauernsees und die nächste Einkehrmöglichkeit, die in Kürze ihre Winterpause beendet. Zwei eilige Schwäne queren in wenigen Sekunden den See, mit dem eindringlichen Tönen Ihres Flügelschlags.

Der nächste Weg steht zum Teil unter Wasser. Da ohne Gummistiefel, nutzen wir die hohe Kante, die das struppige Gras zwischen Wegrand und breitem Wassergraben aufbäumt. Ganz hoch am Himmel, gerade so noch sichtbar, zieht eine einzige Gans nur Richtung Hauptstadt und krakeelt wie ein ganzer Schwarm von ihresgleichen. So viel zur Lautstärke von Vögeln – es ist doch immer eine Frage der Relation.

Rückblick auf Hennickendorf
Rückblick auf Hennickendorf

Nach einem Stück entlang der Straße und einem Wäldchen machen wir die Bekanntschaft des Pfefferfließes, dem hier auch eine eigene Wanderrunde gewidmet ist. Von Süden bei Luckenwalde kommt es her und ist hier schon so breit, dass man nicht ohne Weiteres darüberspringen könnte. Gemeinsam mit der Nieplitz landet es im großen Blankensee und beide schließlich einen See und wenig später in der Nuthe.

Im stillen Grunde des Pfefferfließes
Ponytrek im stillen Grunde des Pfefferfließes

Der nächste Waldhügel lässt sich auf einem Pfad vorbei am Gipfel queren und wirft uns aus an Station 6 von einem Trimm-Dich-Pfad. Was man hier machen soll, wird in der Darstellung „Flanken“ genannt. Die zeichnerische Umschreibung wirft Rätsel auf, was die verfügbare Körperbeherrschung normal muskelbefähigter Menschen betrifft. An einem schräg ansteigenden Rundholz soll man, gestützt auf einen einzigen ausgestreckten Arm, den kompromisslos ausgestreckten Körper jeweils von einer auf die andere Seite bringen. Zum kleinen Trost und zur verlustarmen Erhaltung des eigenen Selbstwertgefühls wird in den Ausführungs-Empfehlungen zwischen Sportlern und Nichtsportlern unterschieden. Doch falls das Zweck der Sache war: der Ehrgeiz ist geweckt. Doch der Zeitpunkt will partout nicht passen. Wie zur Bekräftigung des kaum gefassten Vorsatzes fliegt leichten Schrittes und bester Laune ein Mädchen aus dem Wald an uns vorbei, wirft einen freundlichen Gruß hinüber ohne knappe Atemluft und strebt der vorausliegenden Station entgegen, sich dort zu trimmen.

Im Talgrund des Pfefferfließes
Im Talgrund des Pfefferfließes

Hennickendorf

Hinter einer wohlgesetzten Eiche mit perfekter Krone liegt ein Hügel, dahinter Hennickendorf, ein weiteres von diesen schönen Dörfern und das letzte für heute. Die Kirche ist von auffälliger Gestalt und gewisser Raffinesse, wenn auch aus bewährten märkischen Zutaten. Backsteinumrahmt sind die hohen Mauern aus Feldsteinen, der turmlose Giebel gestuft und doch mit einer Uhr. Oben auf dem höchsten Giebelzinken hockt etwas gewagt ein ausgewachsenes Storchennest, im Rahmen der Sicherheit der Langbeinigen angepflockt mit einem eigens installierten eisernen Kruzifix. Das sollte halten, mit Gottes Hilfe.

Schilf am Pfeffergraben
Schilf am Pfeffergraben

Vorbei an einer Krokuswiese bei der Kreuzung mit den vielen Armen halten wir auf den Mühlstückenberg zu und verlassen den Ort über die Straße Am Schwemmegraben. Ein Blick zurück zeigt ein friedliches Dorfbild, am Rande flammt kräftig ein großes Feuer aus knochentrockenem Holz und macht Vorfreude auf etwaige Osterfeuer in Monatsfrist. Vom Waldrand kommen in tiefer Gelassenheit vier Gestalten getrödelt, zwei Menschen, ein Esel und ein Hund. Später alle paar Minuten Mädchen zu Pferde oder zu Pony, mal mit sagenhaft langem Zopf, mal mit kurzem Pferdeschwanz am Haupt und allesamt fröhlich.

Holz für Rieben
Holz für Rieben

Das Pfefferfließ hat sich zwischen den Dörfern einen verzauberten Talgrund geschaffen, still und breit und saftig grün, den die sinkende Sonne jetzt mit abendlicher Wärme versieht. Ein herrlich gemütlicher Weg begleitet den Waldrand, kurzeitig sogar als hohle Gasse unter den randständigen Wipfeln. Am Fuß einer wuchtigen Eiche hockt ein mit einfachsten Mitteln zusammengenageltes Bänkchen, zwei dicke Baumscheiben und ein Brett, perfekt hier und jetzt für eine Rast. Kurz öffnet sich am querenden Waldweg ein weiter Blick nach Norden, quasi in die allernächste Zukunft des Pfefferfließes, das hier im Grunde keinerlei Umweg macht, weiter südlich jedoch besonders verspielt seine Mäander ausprägt und einst sogar zwei Mühlen in Schwung brachte.

Verkleideter Steg am Riebener See
Verkleideter Steg am Riebener See

Zwischen Pfefferfließ und Pfeffergraben liegt im Wald ein  Forsthaus, dezent und leicht zu übersehen. Kurz hinter der kleinen Holzbrücke über den Pfeffergraben bietet sich dann die schönste Rastbank des Tages unter einer Gruppe von Birken und mit einem Blick über die klammen Wiesen bis hin zum Hoheberg, dem höchsten Berg im weiteren Umkreis. Ein kleiner roter Traktor mit allerhöchstens zwei Zylindern unter der schmalen Haube zottelt eine Fuhre ätherisch duftenden Kiefernholzes über den sandigen Weg, die wohl für Rieben bestimmt ist.

Riebener See
Breiter Schilfgürtel am Riebener See

Ein Wäldchen später steht rechts ein seltsames Gebilde im Uferschilf – ein Vogelbeobachtungssteg, wie er noch nicht gesehen wurde. Der lange Zugang bis zur kleinen Plattform am Ende ist bis auf verschiedene Gucklöcher komplett mit dünnem Holz verkleidet, so dass sich unbeobachtet anpirschen kann, wer Neugier auf die gefiederte Privatsphäre verspürt. Am Ende wartet ein gemütliches Kabäuschen mit Sichtschlitzen für jede Beinlänge und Kopfhöhe. Viel ist nicht los auf dem Riebener See, bis auf zwei lümmelnde Schwäne am seezugewandten Rand des breiten Schilfgürtels und einen Versteck spielenden, sehr agilen Haubentaucher sind keinerlei Schnäbel oder Bürzel zu sehen. Der See liegt glatt und eben auch still. Das dürfte ein paar Wochen später gänzlich anders aussehen und auch völlig anders klingen. Andererseits – was wissen wir denn, was sich im Verborgenen im Schilf schon jetzt abspielt!

Apfelbaumallee vor Rieben
Abendliche Apfelbaumallee vor Rieben

Das letzte Stück nach Rieben liegt voraus. Am Ende des vorletzten Wäldchens beginnt eine junge Allee von Apfelbäumen und führt bis zum finalen Berglein der Tour direkt am Rand des Dorfes, dem Kolberg.

Auch Rieben strahlt jetzt diesen Abendfrieden aus, hier wird ein Schwatz gehalten, da ein privates Blümchen noch verkauft am Straßenstand. Das Licht des Tages ist noch da, doch zieht der Himmel langsam zu mit Wolken und damit die Dämmerung ein wenig vor. Es ist ja schließlich noch nicht März.

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der Regionalbahn bis Michendorf, von dort mit dem Bus Richtung Dobbrikow (Bus verkehrt leider sehr selten)(ca. 1,75 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): entweder Bundesstraße über Ludwigsfelde, Trebbin, dann Richtung Beelitz und über Zauchwitz nach Rieben (ca. 1,25 Std.),
oder Autobahn bis Abfahrt Michendorf, dann über Beelitz und Zauchwitz nach Rieben (ca. 1 Std.)

Länge der Tour: ca. 19 km, Abkürzung oder Teilung möglich (breiter Feldweg von Dobbrikow zum Forsthaus zwischen Pfefferfließ und Pfeffergrund)

Download der Wegpunkte (wer probieren möchte, ob am Campingplatz Glienicksee die Tore geöffnet sind: bei WP8 weiter mit WP41-48, dann in Dobbrikow weiter bei WP13)

Links:

Naturpark Nuthe-Nieplitz

Rundwanderweg Riebener See (PDF)

Campingplatz am Glienicksee

Seite des Ortes Dobbrikow

Einkehr:

Landgasthof Rieben, Rieben (noch nicht besucht)
Gaststätte im Feriendorf am Weinberg, Dobbrikow (noch nicht besucht)
Sommerkiosk am Vordersee, Dobbrikow (noch nicht besucht)
Café Die Scheune, Dobbrikow (noch nicht besucht)
Zur alten Brauerei, Beelitz (noch nicht besucht)
Jägerhof Seddin, Seddin (gute Küche, schöne Terrasse zum See)

Ringenwalde: Blühende Dörfer, alte Alleen und der gelungene Gletscherschliff

Wenn an hellen Tagen die Luft besonders klar ist und schon eine Ahnung des Vorfrühlings geschäftig durch den letzten Wintermonat geistert, gleicht diese Stimmung einer kleinen Befreiung – sei es nun von der lichtärmeren Zeit des Jahreskreises, vom umfänglichen An- und Ausziehen oder von der Jahreszeit des weitgehenden Stillstands in der Natur. Zu spüren ist dieser zarte Freiheitsschlag am Tönen und Huschen der Schnabelwesen oben in den Wipfeln und unten im dichten Geäst der Büsche, an den kräftigen Farbtupfern der Frühblüher in der von Erdtönen beherrschten Landschaft oder an den Düften der abgetauten und aufgebrochenen Erde und des ersten Grüns an den Büschen.

Die Dorfstraße von Ringenwalde
Die Dorfstraße von Ringenwalde

Zudem ist die Sonne im fortgeschrittenen Februar schon spürbar kräftig, kalt ist es an sonnigen Tagen nur dort, wo sie nicht hinkommt und der Wind durchgeht. Wo den ganzen Tag Schatten liegt, kann der Raureif bis zur Abenddämmerung überstehen, währenddessen an der Hauswand gegenüber schon ganze Horden euphorischer Krokusse vor dem aufgewärmtem Mauerwerk leuchten.

Möchte man so etwas vor Feldsteinmauerwerk sehen, empfehle ich eine Reise in die Uckermark. Hier gibt es auffällig viele Dörfer mit solchen Häusern, die von ihren Bewohnern anscheinend besonders geliebt werden. Ob das nun am Klischee vom rückbesinnlich bauernden, finanzkräftigen Wochenend-Berliner mit dem Haus in der Uckermark liegt, sei dahingestellt, doch die Impressionen beim Durchqueren der Dörfer sehen schon nach vorwiegend Einheimischen aus.

Stille Allee nach Julianenhof
Stille Allee nach Julianenhof

Zudem geht das im Februar noch relativ niedrige Licht der Sonne mit der sanft geschwungenen Landschaft, den vielfältigen Wäldern ihrer teildurchtränkten Moränenlandschaften und all den resultierenden Schatten eine sehr einnehmende Liaison ein. Bei all den Hügeligkeiten kann es da durchaus vorkommen, dass man den ganzen Tag an irgendwelchen schönen Seen vorbeispaziert, aber nicht einen von ihnen zu sehen bekommt, da sie stets leicht eingesenkt hinter dem nächsten Buckel liegen.

Ringenwalde

Ringenwalde, eins von zweien im Land Brandenburg, ist eines dieser schönen Dörfer, die ich meine. Umgeben von sanften Tälern und offener Landschaft, mit einer schönen Kirche, zwei Gaststätten und sogar einem alten Bahnhof, der jedoch schon seit zehn Jahren keinen regulären Zug mehr sah. Früher hielt hier die Linie von Templin nach Joachimsthal, das erledigt jetzt ein Bus. Im weiten Bogen um das Dorf zieht sich ein fast geschlossener Ring von dichten Wäldern, wogend mit viel Auf und Ab. Dazwischen immer wieder feuchte Senken, meist morastig und versunken in sich selbst.

Kraniche jenseits des Talgrundes
Kraniche jenseits des Talgrundes

Schon ein paar Minuten später wird er erfüllt, der Wunsch von weiter oben. Auf der linken Straßenseite liegt reifgewordener blasser Frost im Schatten der Häuser, während nördlich der Straße vielfarbige Blüten straußig und ganz dicht am Feldstein sprießen, als wäre es nichts. Ein Ringenwalder beendet gerade einen Schwatz mit einer Ringenwalderin an der doppelflügeligen Haustüre und setzt sich in Bewegung Richtung Westen. Sein Schritt ist ruhig, dabei zielgerichtet und vermittelt damit das Gefühl, es wäre endlos lang, das Dorf. Denn allerhand Minuten ist er so zu sehen, beim Gehen durch Ringenwalde. Am letzten Haus ist er dann da, zuhause. Von hier führt eine Allee recht alter Linden mit freien Blicken nach Julianenhof, das kaum drei Hausnummern haben dürfte. Jenseits des kleinen Talgrundes zur Linken stehen die Kraniche und wirken bester Dinge dort.

Feuchte Senke im Moränenwald
Feuchte Senke im Moränenwald

Julianenhof

Das letzte Grundstück wirkt wie ein Tagebuch vergangener Kraftwagen eines Lebens, die zum Teil vollständig erhalten sind, zum Teil als Fragment. Platz haben sie genug, um hier in Stille zu sinnieren. Wenig später beginnt der Wald, der gleich damit loslegt, alle paar Minuten seine Gestalt zu ändern. Abgesehen vom geschwungenen Verlauf, den der Gletscherschliff vor geraumer Zeit hinterließ, scheinen auch die Böden variantenreich zu sein, ergo ihr Bewuchs. So gibt es erst den klassisch märkischen Kiefernwald, dahinter dann gemischtes Laub und bald darauf ein kurzes Vergnügen mit dichtstehenden Fichten. Wo es feucht am Fuß ist, versammeln sich naturgemäß meist Erlen, und zwischendurch gibt es immer wieder die Buchenwälder, die bis auf Weiteres noch viel vom klaren Licht des Himmels durchlassen. Dazwischen steht mal eine alte Eiche, mal auch ein Kastanienbaum, meist als Einzelstück.

Waldweg unweit des Sees
Waldweg unweit des Sees

Besonders markant und durchaus charakteristisch für den Norden dieser Landschaft sind die Linden, oft gewaltig alt, die so gut wie nie im Walde stehen, sondern die jahrhundertealten Verkehrswege über die Felder begleiten und allen Reisenden Sicherheit und Zuversicht vermitteln. Das muss ein wahrer Rausch sein, wenn diese Bäume dann in Blüte stehen in ihrer vollen Größe und diesen ganz bestimmten Duft ausströmen, konzentriert. Doch bis dahin ist noch etwas Zeit.

Das Wegenetz im Wald ist dicht, wenn man der Karte glauben will, und die Wahrscheinlichkeit hoch, dass nicht mehr alle existieren bzw. noch sichtbar sind für Leute, die notfalls auch die Beine stärker heben. Doch die Forstwirtschaft ist tüchtig hier, was an vielen Stellen sichtbar ist, und das ist gut für uns. So wird es nur zwei Stellen geben, wo etwas kleiner Wagemut und Interpretation gefragt sind.

Alte Allee nach Hohenwalde
Alte Allee nach Hohenwalde

Immer wieder kommen wir vorbei an feuchten Flächen von Morast und Sumpf und wissen nicht, ob diese nur knietief sind oder ein stehendes Mammut verschwinden lassen könnten. Mit dem nötigen Respekt erlauben wir uns einen kurzen Blick ins bodenlose Schwarz des unbewegten Wassers und sind auch dann nicht schlauer. Die Ausstrahlung dieser stillen Wasserflächen mit den seltsame Wurzeln schlagenden Inselbäumen wird nie ihre Magie verlieren.

Alte Lindenallee aus dem Ort heraus, Hohenwalde
Alte Lindenallee aus dem Ort heraus, Hohenwalde

Nach viel bergab, einem Flecken Märchenwald und etwas Sucherei liegt der Proweske-See voraus. Ein seltsamer Name für einen See – Proweske. So wie auch Libbesicke, das als Ort vorhin beim Eintritt in den Wald und auch danach an vielen Stellen ausgewiesen war und woanders einem weiteren See zu einem seltsamen Namen verhilft. Der Proweske ist dünn vereist und derzeit Heimat von zwei Schwänen, die auf den offenen Stellen ansehnlich hin- und hergondeln. Irgendwas zupft unter Wasser mit wenig Unterlass am Uferschilf herum und plätschert dabei leise. Ansonsten ist es hier so still, dass es kaum zu fassen ist. Selbst die Straße gegenüber schickt nur alle paar Minuten ein Auto vorbei.

Der Uferweg führt vorbei an einem Paar symmetrisch angeordneter Bootshäuser mit spitzen Dächern, die auf jeden Fall den Urlaubsprospekt dieses Sees zieren würden, wenn es den gäbe. Sie sind in der Mitte durch Ruderbootgaragen verbunden, somit quasi zwei Doppelhaus-Hälften direkt auf dem Wasser. Exklusiv.

Alte LIndenallee in den Ort hinein, Hohenwalde
Alte LIndenallee in den Ort hinein, Hohenwalde

Hohenwalde

Am Buswartehäuschen an der Landstraße beginnt die stille Straße nach Hohenwalde und quert alsbald ein Bächlein, das nördlich zum Großen Krinertsee führt. Links erstreckt sich eine Weide bis hinab zum Ufer, lose bestanden von offenkundig glücklichen Kühen. Die nun folgenden Alleen rund um Hohenwalde sorgen für so umfangreiches Entzücken, dass ständig die Kamera herausgefummelt wird, der Auslöser kaum zur Ruhe kommt und sicherlich der Film voll geworden wäre, würden wir noch Zelluloid belichten anstatt eines CCD-Sensors. Doch so können wir ungehemmt in die Botanik knipsen und später eine Auswahl treffen.

Jugendlicher Buchenwald am Kutschweg

An der Kreuzung in der Dorfmitte biegt auch der – klingt das nicht schön – Fernreit- und Kutschweg Berlin-Usedom ab in diese sagenhafte Allee, deren gewaltigste Linde um die zwei Meter stark ist. Der erwähnte Weg für die unmittelbaren Pferdestärken ist schon heute eher Legende als durchgehende Realität, die schöne Idee dabei, ihre letzten Spuren im märkischen Sand zu lassen. Etwas weiter unten im Wald stehen besonders junge Buchen mit makellos glatter Haut so dicht, dass sich dort nicht mal ein wendiges Reh hindurchbewegen könnte, trotz der extraglatten Rinde. Hinter den Steinbergen sind die Buchen dann wieder hochgewachsen und stehen mindestens im Hängemattenabstand zueinander. Ein lichter Wald, der sich abgesehen von sumpfigen Stellen auch gut kreuz und quer durchstreifen lässt. Kurz darauf können wir eben das gut gebrauchen, denn der gerade noch kutschenbreite Weg ist nicht mehr zu erkennen. Nach logischen Argumenten, Himmelsrichtung und Satellitenhilfe verfolgen wir die angenommene Linie, bis der Weg nach zehn Minuten auf einmal wieder da ist, in voller Breite. Vorbei am letzten Sumpfloch geht es heraus aus dem Wald, sogleich mit freier Sicht über die gewellte Wiesenweite. Zum letzten Mal lässt sich der Specht vernehmen, mit einem seiner vier markanten Geräusche, die den ganzen Tag über zu hören waren.

Weicher Wiesenhang vor Ringenwalde
Weicher Wiesenhang vor Ringenwalde

Eine alte gepflasterte Allee führt über die letzte Anhöhe nach Ringenwalde. Auf dem höchsten Punkt stößt von rechts der Kutschweg hinzu, links scheint die letzte Abendsonne auf einen samtweich geschwungenen Wiesenhang. Erst ganz zuletzt kommt das Dorf in Sicht, doch ehe man sich auf die letzten Meter entlang der entspannten Dorfstraße freuen kann, lockt rechts ein lichtes Wäldchen, das irgendwie nach Lenné-Park aussieht. Und in der Tat hatte wohl der allgegenwärtige Meister hier ein wenig Einfluss, will man der Zeitleiste neben der Übersichtskarte glauben. Beide sind handgezeichnet. Der Park ist schön und bietet, so klein er ist, einige kulturelle Besuchsziele. Doch wir staunen jetzt vor allem über die großzügig verstreuten Büschel von mehr oder weniger großen Schneeglöckchen, die wir den ganzen Tag noch nicht gesehen hatten und die jetzt auf anmutige Weise den Kreis schließen, den die Tour mit einem erfüllten Wunsch in Multicolor begonnen hatte.

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): über Eberswalde und Joachimsthal, dann weiter mit dem Bus (ca. 1,5 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der Autobahn bis Ausfahrt Joachimsthal, dann über Joachimsthal und Friedrichswalde nach Ringenwalde (ca. 1,5 Std.)

Länge der Tour: ca. 14 km (bereinigte Tour ohne die erwähnten Problemstellen), Abkürzungen nicht sinnvoll möglich (Landstraße)

 

Download der Wegpunkte

 

Links:

Zeitungsartikel über Ringenwalde von 1991

Ortsseite von Ringenwalde

Seite des Amtes Gerswalde

 

Einkehr: Landgasthof Zum grünen Baum, Ringenwalde (keine eigene Erfahrung)
Gasthof Zur Eisenbahn, Ringenwalde (vermutlich geschlossen)
Zum Kaiserbahnhof, Joachimsthal (am gleichnamigen, wunderschönen Bahnhof)

 

Stadtrandtour Seeberg: Ferne Länder, verspielte Bäche und die Spur der Hufe

Bewegt man sich am Rande einer Stadt, sei sie nun so groß wie Jüterbog, Berlin oder Cottbus, stellen oder legen sich oft großformatige Hindernisse in den Weg, die wenig oder gar nichts zu tun haben mit Begriffen wie pittoresk oder landschaftlich ansprechend. Das sind an vielen Stellen Umspannwerke mit dem resultierenden Netzwerk aus Hochspannungsleitungen und Masten, oft ist es auch die Autobahn oder eine Schnellstraßenumfahrung, durch die alte Wege gekappt wurden. Und natürlich die allgegenwärtigen und überlebenswichtigen Gewerbegebiete. Überlebenswichtig für den Bestand der Region sind sie allesamt, diese Hindernisse, denn ohne sie würde das zeitgemäße Leben, wie man es kennt und schätzt, nicht funktionieren.

Der Zochegraben
Der Zochegraben

Um so erstaunlicher kann es werden, wenn man sich davon nicht groß beeindrucken lässt. Überall geht das nicht, denn in vielen Fällen lässt sich auch zwischendurch wenig Reizvolles finden. An manchen Stellen wäre man zudem förmlich gefangen zwischen schnellen Verkehrswegen und auch Wasserstraßen, denn „Brücke“ ist in dieser Hinsicht noch immer ein entschlossenes Zauberwort, wie schon vor tausend oder vor dreitausend Jahren, die Abstände zwischen Brücken manchmal schlichtweg zu groß für Tagesausflüge zu Fuß.

Doch manchmal ergibt sich eine nachgerade zauberhafte, im Vorhinein kaum erahnte Mischung, die durch ihren Kontrastreichtum dem nächstfolgenden Schönen stets noch etwas mehr Kontur verleiht. Und im vorliegenden Falle gleich die Randbereiche von zwei Städten mitnimmt, wenn auch von unterschiedlich großen.

Talgrund zwischen Waldhang und Bruchwald des Zochegraben
Talgrund zwischen Waldhang und Bruchwald des Zochegraben, mit verblassenden Loipen

Erwartet hatte ich für diesen Weg eine eher herbe Mischung, und in der Tat waren im letzten Drittel einige solcher Passagen dabei. Doch im Rückblick fielen diese durch den häufigen Landschaftswechsel weniger ins Gewicht, und das trotz trübem Wetter und feinstem Nieselstaub. Klar überwogen haben die nachgerade bezaubernden Passagen, noch dazu gab es weit mehr Naturnähe, als aus der Karte ersichtlich war.

Gleich hinter der Stadtgrenze mit den Hochhausvierteln von Hönow zieht sich ein regelrechter Gürtel von breitgewachsenen, schönen Dörfern bis hin nach Strausberg, fast ohne Unterbrechung und jedes mit seiner eigenen S-Bahn-Station. Nördlich davon, kurz hinter dem Berliner Ring, liegt das Städtchen Altlandsberg, mit einer fast komplett erhaltenen Stadtmauer samt zwei Türmen.

Blick aus dem Tal auf die Auen
Blick aus dem Tal auf die Auen

Seeberg Dorf

Vorgelagert und fast eingeklemmt zwischen Autobahn und schneller Landstraße liegt das klassisch märkische Dörfchen Seeberg. Im Dorf selbst merkt man bei günstigem Wind nicht allzu viel von den lauten Straßen. Etwas daneben liegt ein Logistikzentrum von nahezu derselben Fläche, das dem Abbiegeschild ins Dorf eine etwas stiefmütterliche Optik verleiht. Doch der Kirchturm lockt.

Es hat geschneit den ganzen Vormittag, recht unerwartet nach den mäßig kalten Tagen und dem ganz aktuell verheißenen Tauwetter. Alles ist weiß eingedeckt, der Schritt gedämpft und die Straße gleich noch etwas weniger zu spüren. Unter dem Schnee ist es stellenweise höllisch glatt, speziell auf der kleinen Brücke über die Autobahn. Erst beim Abbiegen ins Feld stellt sich Entspannung ein beim Setzen der Schritte.

Eisdrachen in der Strömung
Eisdrachen in der Strömung

Das einzige, was hier den Verlauf des Weges verrät, sind die Büschel trockener Gräser, die Spur dazwischen ist nur zu ahnen. Mit der Straße im Rücken und einem markanten Waldhang voraus sind wir augenblicklich in der Stille und könnten sonstwo sein in Brandenburg, ganz tief. Eine hochgewachsene Baumreihe prophezeit einen Wasserlauf. Links in dessen Auflächen, wenn ich sie mal so nennen darf, liegen kleine Bauminseln, die bei näherem Hinsehen aus nur einer einzigen effektvoll gespaltenen Weide mit ein paar Nachbarbäumen bestehen. Das wirkt besonders eindrucksvoll, so in der weiten weißen Ebene.

Voraus jagen ein paar eher kleine Hunde durch den Schnee, gekleidet in Lederponchos mit Fellfütterung, die durchaus kernig wirken. Etwas dahinter prägt eine Langläuferin ihre eigene Loipe durch den Waldstreifen, in Gedanken und still genießend. Sicherlich waren die Skier längst wieder an ihrem angestammten, staubigen Platz im Keller gelandet. Noch vor dem meterbreiten Zochegraben warnt ein großes Schild in großen Buchstaben vor Rennpferden und dem Betreten auf eigene Gefahr. Was beim Gedanken an teure Traber im Trainings-Tiefflug zunächst ein versonnenes Lächeln aufs Gesicht bringt, wird beim Blick auf die Karte plausibler – direkt nebenan befindet sich eine ausgedehnte Trainierbahn für Galopp-Tempo.

Verblüffende Altarme des Zochegrabens
Verblüffende Altarme des Zochegrabens

Zwischen dem Hangwald mit seinen Kiefern und dem Erlenbruchstreifen entlang des Zochegrabens erstreckt sich scheinbar endlos ein Talgrund, der zu jeder Jahreszeit seinen Reiz haben dürfte, so auch jetzt. Und wieder fühlt man sich weit weg von Berlin. Jenseits des Grabens steht ganz für sich eine beeindruckende Eiche. Ist sich ihrer Wirkung bewusst, wie es scheint. Auch dort sind Langläufer unterwegs, die unverhoffte Gunst des Tages nutzend.

Hönower Siedlung

Vor der Landstraße, einer schönen Allee, führt ein Pfad hinab zum Wasser, und tatsächlich lässt sich hier die Straße ohne großes Leitplankengekletter queren. Der Zochegraben blubbert unterm Eis bescheiden vorbei an der noch relativ jungen Hönower Siedlung, zeigt dann aber, was er sonst noch so drauf hat. Wie ein altgestandener Fluss im Miniatur-Format gebärdet er sich in schnieken Mäandern und selbstgebastelten, doch recht überzeugenden Altarmen, an seinen Ufern einen über lange Zeit gewachsenen Baumbestand. Noch dazu senkt sich das Wasser hier recht tief ins breite Tal ab und erzeugt zusammen mit dem trüben Schneelicht eine Stimmung, welche das vorausliegende Birkenstein wie ein Städtchen am Fuß des Mittelgebirges aussehen lässt. Wirklich. Ein faktisches Beweislein dafür liefert der sanfte Anstieg über die Felder, der stattliche 20 Höhenmeter überwindet. Ein Tiroler wird dafür nicht einmal ein müdes Lächeln andeuten, doch für ein Land, dessen höchste Erhebung um die 200 Meter liegt, ist das schon die Erwähnung wert.

Blick vond er Hochebene übers Tal auf die Berliner Seite
Schneetrüber Blick von der Hochebene übers Tal auf die Berliner Seite

Dank reichlich dicker Kleidung und dem noch kaum zerstapften Schnee sind wir oben nun definitiv auf Betriebstemperatur. Vor dem Eintreten ins Wohnviertel quert ein laternenbestandener Fußweg von Ost nach West das Tal und untermauert an dieser Stelle mit genau diesem Blick nochmals den beschriebenen Eindruck. Auf der anderen Talseite verläuft die Landesgrenze zwischen Brandenburg und Berlin, voraus lockt ein ähnlich reizvoller Fußweg hinab. Wir nehmen keinen von beiden und spazieren bald auf dem Grünen Bogen zwischen den Häusern entlang, nun wieder auf unterfrorenen Straßen. Nach dem Ende der Straße liegt voraus ein ausgedehnter Talgrund mit vielen kreuzenden und zweigenden Wegen, noch vorher sausen Kinder über den Weg, mit Schlitten unterm Hintern, befeuert von einer kurzen, doch knackigen Rodelbahn mit zwei winzigen Schanzen im Gefälle.

Auch dieses Tal und der angrenzende Wald werden von einer Trainingsbahn durchzogen, wenn auch nirgends ein Warnschild zu entdecken ist. Direkt benachbart liegt ein Gestüt, zwischen beiden verläuft ein ruhiger Weg, der schließlich in den Wald führt. Nach dem Überqueren eines Bächleins kommt man vorbei an einer Wohnanlage mit einem Kirchlein und steht kurz darauf vor dem S-Bahnhof Hoppegarten – und hat nun einen griffigen Reim auf die ganzen Pferdehinweise des bisherigen Weges. Na klar, hier liegt doch etwas südlich die Galopp-Rennbahn mit ihrer bald 150-jährigen Geschichte, und rundherum gibt es drei Trainingsbahnen, eine im Süden und eben die beiden hier im Norden. Da erstaunt es fast ein bisschen, dass bisher kaum Pferde zu sehen waren.

Über dem Bahnhof Hoppegarten
Über dem Bahnhof Hoppegarten

Hoppegarten

So schön, prächtig und erhaben das ganze frische Weiß dieses Tages ist, so angenehm ist nun der kräftige und flächige Farbtupfer, den die rote Überführung zum Bahnsteig bietet. Drüben führt eine alte Pflasterstraße entlang schöner Stadtvillen in Richtung Zentrum, so wie es eigentlich an jedem der zahlreichen Schilderbäume der nächsten Zeit ins Zentrum geht. Da jedoch die Dörfer hier so fließend ineinander übergehen, ist nicht ganz klar, welches Zentrum jeweils gemeint ist. Aber schön ist es allemal, und verheißungsvoll, denn ein Zentrum ist immer eine willkommene Abwechslung, gerade an nahezu monochromen Tagen.

Im bezaubernden Tal des Neuenhagener Mühlenfließes
Im bezaubernden Tal des Neuenhagener Mühlenfließes

An der nächsten großen Kreuzung, links ginge es ins Zentrum, biegen wir rechts ab ins Tal des nächsten fließenden Wassers. Was hier als Neuenhagener Mühlenfließ den Weg kreuzt, ist Berlinern vielleicht als Erpe bekannt, als die es schließlich in die Spree mündet. Doch bis dahin sind es noch ein paar Kilometer. Dieses Fließ eröffnet augenblicklich einen angenehmen Bann, denn obwohl sich zu beiden Seiten dichte Siedlungen befinden, gebärdet es sich so zauberhaft und schlingenfreudig, dass man sich erneut im Mittelgebirge wähnen könnte. Drumherum steht hochgewachsener Wald, und beim Eintritt ins naturgeschützte Tal von der verkehrsreichen Straße ruft uns eine ältere Dame zu, dass sie vor einer Stunde eine Wildschwein-Bande hätte durchziehen sehen, wir auf der Hut sein sollten. Dementsprechend wacheren Blickes folgen wir dem munter über seinen gewellten Sandboden strömenden Fließ, bis hin zu einem Brücklein, das hinüber ins nächste Wohnviertel führt. Das mit den unterfrorenen Straßen klappt jetzt schon ganz gut und dauert auch nur kurz, denn bald geht es weiter am Mühlenfließ entlang, nun auf dem Liebermannweg. An dessen Ende liegt das Freibad Neuenhagen, direktverbunden mit dem S-Bahnhof durch einen verspielten Zubringer in Spreewald-Manier.

Vor dem Bahnhof Neuenhagen
Vor dem Bahnhof Neuenhagen

Neuenhagen

Die Unterführung des Bahnhofs ist mit individualisierter Lokal-Werbung im allerbesten Sinne gestaltet und hat dadurch nichts vom Unangenehmen einer klammen Unterführung, regt vielmehr zum Stehenbleiben an. Drüben führt eine noble Übereck-Treppe auf Bahnsteigniveau, darüber ein weiterer Farbtupfer, hier nun in kräftigem Blau. Das macht direkt neugierig auf die S-Bahnhöfe von Fredersdorf und Petershagen.

Der Bahnhofsvorplatz ist so gestaltet, dass man hier ganz gern aussteigt, ein paar Läden und Kioske scharen sich drumherum. Vom Schilderbaum weist ein Schild ins Zentrum. Die Fichtestraße führt vorbei an alten und neueren Häusern schnurgerade zur Autobahn, die erst kurz davor zu hören ist – der Schallschutz ist gut, der Schnee dämpft und der Wind steht günstig. Nach ein paar Metern Gewerbegebiet, das so aussieht, wie ein Gewerbegebiet eben aussieht, beginnt unvermittelt ein Weg durch die weiten Wiesen des nächsten Bachtales, das Naturschutzgebiet Wiesengrund. Das Fließ ist noch dasselbe wie vorhin, gegenüber steht ein Fachwerkhaus im dunklen Hang des Waldes und bezieht sich noch ein letztes Mal auf die mittelhohen Berge.

Im Naturschutzgebiet Wiesengrund
Im Naturschutzgebiet Wiesengrund

Die Naturromantik im schönen Wiesengrund verlangt ab hier ein wenig Phantasie, an diesem weißen Tag, wo keine Grille zirpt und sich keine bunten Gräser in den artenreichen Trockenwiesen wiegen, kein milder Wind um nackte Arme streicht. Was sich bisher moderat verteilte, das gibt es jetzt geballt, auch wenn man es zum Teil nur weiß und gar nicht sieht. Im Rücken die Autobahn, links das distanzierte Gewerbegebiet von Altlandsberg, und quer über das stille Tal hängen die kräftig zirpenden Hochspannungsleitungen, die ganz frisch den Strom aus mehreren Himmelsrichtungen zum Umspannwerk anliefern. Das verspielte Mühlenfließ lässt sich davon nicht stören und versteckt sich zuletzt in einem Streifen Wald, der tief wirkt und verwunschen. Am nördlichen Ende des Wiesengrundes gibt es unter der Brücke der Landstraße noch eine letzte Teepause am Mühlenfließ, bevor uns adäquat gekleidete Kühe und Lamas in Seeberg Siedlung Willkommen heißen.

Willkommenskommando in Seeberg Siedlung
Willkommenskomitee in Seeberg Siedlung

Seeberg Siedlung

Hinter dem neuen Komplex aus Seniorenzentrum und Kindergarten geht es direkt auf die Wiesen in Richtung Röthsee, dort vorbei an einer kleinen Badestelle. Je nach Wind rauscht hier die Umgehungsstraße mehr oder weniger. Vorn an der Hönower Chaussee noch unweit der Holländermühle vorbei, im Bockwindmühlenland Brandenburg doch eher die Ausnahme, und jetzt ist es besonders schön zu wissen, dass wir in absehbarer Zeit trocken sein werden. Und satt. Ein überraschender Schneetag geht zu Ende, wohl nicht der letzte dieses Winters, mit Sicherheit jedoch der letzte dieses Januars, denn Tauwetter ist angesagt und Werte deutlich über Null. Das geht in Ordnung, fürs Erste.

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): direkt nach Seeberg Dorf keine Anbindung; alternativ S-Bhf. Hoppegarten, S-Bhf. Neuenhagen (ca. 45 Minuten); wahlweise von U-Bhf. Hönow mit ca. 1,5 km Zuweg

Anfahrt Pkw (von Berlin): Landsberger Allee stadtauswärts, dann vorbei an Hönow Landstraße Richtung Altlandsberg, am Abzweig Altlandsberg rechts nach Seeberg (ca. 45 Minuten)

Länge der Tour: ca. 16 km (Abkürzungen nur schlecht möglich)

 

Download der Wegpunkte

 

Einkehr: Zur Mühle, Altlandsberg (bei Seeberg), darüber hinaus mehrere Möglichkeiten im Ortsgebiet von Neuenhagen