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Bernau: Die gerahmte Stadt, zwei Pilgerzüge und der charmante Ziegenbock

Seit Jahresbeginn spielen sich die Temperaturen außerhalb beheizter Räume rund um den Gefrierpunkt ab, und so ist jeglicher Brandenburger Boden knochenhart und durchzogen von mildem Permafrost. Alles Kalte, was auf diesem Boden liegt, hat somit einen langen Bestand. Die großen und kleinen Schneemengen, die es gab, hat der allgegenwärtige Wind zu feinem Pulver gesiebt und irgendwo hin verblasen, nur ein paar flache Wehen hier und da zeugen noch von ihrem Dasein. Was jedoch auf harten Wegen immer wieder taute, anschmolz und über Nacht erneut gefror, wuchs zu einem buckligen Eispanzer von sagenhafter Härte. Wer zurückdenkt an den langatmigen Winter 2010, erinnert sich vielleicht noch an Szenen, wie Ladeninhaber unorthodox versuchten, den Bürgersteig vor ihrem Geschäft mit dem 10-Kilo-Hammer oder der Lötlampe freizulegen oder Autoeigner daran gingen, den kleinen Eisgebirgen rund ums eingekesselte Fahrzeug mit der Spitzhacke beizukommen, ohne dabei dessen Fassade zu zerlegen.

Stadt Bernau im Holz-Rahmen, Börnicke

Um also draußen unterwegs zu sein, sind nach wie vor Wege angeraten, die auch im Winter gangbar sind, frei von Eisglätte und Tiefschnee. Kurzgefasst: kein Wald, bevorzugt feste Beläge und große winde Weite. Dazu unbedingt regelmäßige Abwechslung fürs Auge, gern farbenkräftig bei so viel monochromer Wahrnehmung. Auch etwas Stadtnähe hilft, denn alle Spazierwege rund um Stadtgebiete sind meist frei und gut begehbar. So zum Beispiel das von Bernau.

Bernau (b Berlin)

Als Kind habe ich mich immer gewundert. Bernau war genau so eine S-Bahn-Endstation wie Oranienburg oder Erkner oder Strausberg. Doch wenn es in den Urlaub ging und der Zug über Bernau fuhr, stand dort auf den Bahnhofstafeln „Bernau (b. Berlin)“. Dass es noch andere Bernaus geben könnte, kam mir damals nicht in den Sinn, ganz und gar nicht. Schon gar nicht eins im unmittelbaren Vorland des gewaltigen, doch seinerzeit absolut uninteressanten Gebirges, das immerhin für den weltweit genutzten Begriff „alpin“ verantwortlich ist.

Südliche Bernauer Stadtmauer im Winter

Bernau ist eins von bereits andernorts erwähnten Städtchen in Berlin-Nähe, die über eine intakte Stadtmauer verfügen. Nahezu lückenlos erhalten ist sie hier und ermöglicht Einwohnern wie Besuchern, die Stadt auf stillen Wegen komplett zu umrunden. Entweder direkt innen entlang der Mauer oder – abgesehen vom Südbogen – auch im verzweigten Wegegeflecht, das den einladenden und verspielten Parkgürtel rund um die Stadt durchzieht. Hier ist neben schönen Spielplätzen und großen Wiesen viel Wasser im Spiel, so dass man auf erhabenen Dämmen spazieren kann oder entlang akkurater Teiche, bei deren Anlage Sichtachsen nicht gänzlich außer Acht gelassen wurden. Kleine und große Tore gestatten in dichten Abständen den Wechsel von innen nach außen, und der Altstadtkern mit dem Markt und der eindrucksvollen Marienkirche und ihren Gassen ist immer nur einen Katzensprung entfernt.

Ein Stein des neuen Mühlentores, Bernau

Im Parkstreifen draußen vor der Stadt herrscht in diesen Tagen der Eispanzer und hat alle Gräben und Teiche zu theoretischen Schlittschuhbahnen fixiert. Sogar die Parkwiesen zwischen dem alten Pulverturm und dem neu gemauerten Mühlentor sind großteils von Eis überzogen. Auf den Wegen schlägt das Eis harte kleine Wellen, trotzdem sind Leute allen Alters unterwegs, unbeeindruckt und vergnügt, selbst wenn keine Spikes versichernd zwischen Sohle und Weg vermitteln. Irgendwo ist zwischen zwei Schritten immer noch eine bierdeckelgroße Stelle ohne Eis, und das reicht – wenn man das will. Wer irgendwann doch genug hat, wechselt einfach nach innerhalb der Mauer und freut sich über die gute Haftung auf dem groben Straßenpflaster.

Wege-, Wasser- und Dammgeflecht unter Eis, nördlicher Mauerpark ohne Laub und Sonne

Kurz hinterm Elysiumsteich, der beiläufig auf die zweite große Kirche der Stadt ausgerichtet ist, kann man beim Hungerturm ein paar Züge Mittelalteratmosphäre atmen. Am besten in dem kleinen überdachten Gang am Steintor mit seinem groben Gebälk, der gleichzeitig Durchgang zum Külzpark ist. Wer an dieser Stelle genug vom winterlichen Spazieren hat, bleibt einfach innerhalb der Mauern, streift noch ein wenig durch die Gassen und trinkt irgendwo was Wärmendes.

Während nördlich von Bernau der große Wald beginnt und mit den herrlichen Landschaften zwischen Biesenthal und Wandlitz samt ihren glasklaren Seen lockt, empfiehlt sich jetzt im Winter eher ein südliches Ausschwärmen. Denn abgesehen von ihrer Wintertauglichkeit präsentiert die Barnimer Feldmark hier eine wohltuende Landschaft mit viel Platz und zahlreichen Gestaltungselementen, die der Wald nicht bieten kann.

Blick über den Elysiumteich auf die Herz-Jesu-Kirche, Bernau

Gleich hinterm Bahnhof überquert man die kleine Panke, die hier noch keine Seemeile alt ist. Der Spazierweg führt zwischen dem neuzeitlichen Einkaufszentrum und aus der Zeit gefallenen Gartenlauben hinüber in die kleine Plattenbauvorstadt jenseits der Panke, deren Straßen nach Göttern aus der griechischen Mytholgie benannt wurden, Venus zum Beispiel, und Pollux. Das ist insofern stimmiger als es zunächst scheint, da gleich nördlich das Nibelungen-Wohnviertel anschließt, dessen eher nordische Namen wie Hagen, Kriemhild und Wieland dort im Sinne der Windrose passend verortet sind. Etwas verloren wirkt dazwischen die Fafnirstraße – denn Fafnir gehört, wie nachzulesen ist, zur isländischen Edda. Eine angelehnte Figur namens Fafner erscheint zumindest auch im wagnerschen „Ring der Nibelungen“.

Ob zudem die Nähe des Teufelspfuhls bei der Anlage dieser Stadtviertel eine Rolle spielte und wer überhaupt zuerst da war, sei dahingestellt. Falls sich spätestens jetzt Mythologie-Experten alle Haare sträuben, bitte ich in diesem Sinne alle tiefer Interessierten um einen Gang zur Bibliothek.

Dachgang am Steintor

Am talzugewandten Rand der Siedlung liegt auf einem erhöhten Plateau ein Spielplatz,  der einen herrlichen Blick auf die Skyline von Bernau bietet – oder je nach Lichtverhältnissen und Jahreszeit auf den Scherenschnitt der Stadt kurz vor dem Ende des Tageslichts. Ganz am Rand der Siedlung öffnet sich, nun zwischen Einfamilienhäusern, am Ende eines winzigen Durchgangspfades fast unvermittelt die Landschaft mit dem schönen Namen Börnicker Feldmark, kurz darauf quert ein Jakobsweg. Der kommt von Frankfurt an der Oder und ist hier quasi auf der Zielgeraden. Das kräftige  Blau der Markierung ist wohltuend zwischen den blassen Farbtönen des diesigen Tages.

Mosaik und Details am Portal der Herz-Jesu-Kirche

Über sanft gewellte Landschaft führt der schnurgerade Weg auf eine Anhöhe, kurz dringen sogar ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolken. Es sind nur ein paar Höhenmeter, doch erst vom höchsten Punkt ist rückblickend das Stadtbild mit seinen Türmen zu sehen. Das ist durchaus erhebend. Die Wegplatten sind zum Großteil vereist und fordern das Schlagen einiger Haken und ein waches Gleichgewicht. Wer Geradlinigkeit der langsamen Variante der Hasengangart vorzieht, kann auch auf dem harten Acker ganz gut laufen. Von vorne naht, zeitig schon zu sehen, eine Handvoll Leute mit einem Kinderwagen, was bei diesen Wegebedingungen wirklich Respekt verdient. Beim Zusammentreffen sind die Blicke entsprechend düster, zumal manche Jacke eindeutig zu dünn ist für den gnadenlosen Ostwind. Da die Begegnung auf dem Pilgerweg geschieht, wirkt es nicht abwegig, dass dieser Gang vielleicht ein Bußgang ist.

Börnicker Feldmark mit leichten Schneewehen

Börnicke

Der Weg erreicht Börnicke als hochgewachsene Pappelgasse. Am Dorfeingang bietet sich der erhoffte Rastplatz, der mit einem großen Bilderrahmen effektiv Bernau in Szene setzt, das weit hinter den Feldern kauert. Auch hier ist eine Gruppe Pilger unterwegs, als Scherenschnitt und schon vom langen Weg erschöpft, und schlägt den Bogen zu vorhin. Gleich danach stehen links allerlei Tiere, deren Gehege den Rand eines verwilderten Schlossparks bilden. Gleich vorn wohnen vier enorm große Schweine, die bester Laune ihren vollen Trog bevölkern und dem benachbarten Ziegenbock nur ein bewegungsloses Kopfschütteln abringen. Wir trauen uns durch die kleine, unverschlossene Pforte und sind froh, anhand von Spendenbehältern zu sehen, dass ein Rundgang hier erlaubt ist. Überall im äußeren Grenzbereich des Sichtfeldes huscht es, und schaut man schnell genug, sieht man jeweils einen Katzenschwanz verschwinden – immer einen anderen.

Der tagesbegleitende Funkturm von Birkholzaue

Der Ziegerich springt schließlich über den Zaun seines Gatters und übernimmt unsere Führung, was wir durchaus als Kompliment nehmen. Zeigt uns zunächst den wuchtigen schottischen Hochlandzottel, dessen respektgebietendes Gehörn mit seinem einzigartigen Schwung für das Wort „formvollendet“ verantwortlich sein könnte. Wie das seit fünfzig Jahren angestrebte und nie wirklich erreichte Ideal eines Chopper-Lenkers. Dann vorbei an den Kaninchen-Ställen, quasi Mucki-Buden, zu den Ponys. Und endlich ganz hinten zu dem einen von zwei Schafen, das nicht nach uns blökt, sondern klar und deutlich „Mäh“ sagt, mehrfach und mit Nachdruck, bis wir endlich kommen. Dann ist die Führung beendet, der Gehörnte zieht sich zurück.

Viele Gatter sind jetzt leer, aufgrund der Winterkälte, und weder Wollschwein noch Lachshuhn lassen sich blicken, auch nicht das Vorwerkhuhn. In nur wenigen Wochen wird es wieder lebhaft zugehen auf dem Kinderbauernhof. Umso schöner, dass das Gelände trotzdem offen ist. Nicht zuletzt dank der charmanten Begleitung wirft man sehr gerne schwere Münzen in eine der gelben Kannen.

Pilgerzug am Rand von Börnicke

Ein Pfad führt vom letzten Gatter direkt in den Schlosspark mit seinen alten Bäumen und dieser einzigartigen Atmosphäre, die solchen Parks eigen ist. Efeudurchzogen und wild, krautig und echt und mit viel Potential für historisch angehauchte Phantasien. Die werden unterstützt durch das in sich ruhende Schloss, welches eine ähnliche Ausstrahlung hat wie sein Park. Das Bauwerk ist belebt, nicht viel, doch spürbar. Rauch steigt aus dem Schornstein, Dach und Fenster wirken intakt. Hier dürfte ein Blick in naher Zukunft interessant sein, vielleicht so in fünf Jahren. Der Weg durch den Park nimmt noch eine Insel samt zwei Brücken mit. Jenseits des Sees liegt die Gutsanlage von Börnicke mit ihren langen Backsteingebäuden, die auf ihre Weise von schlichter Noblesse sind.

Vier Schweinebuckel und eine Ziege, Kinderbauernhof Börnicke

Auf jeden Fall lohnt das Schlagen eines Hakens bis zum Dorfteich, den ein wenig Angeratmosphäre umspielt. Die meisten Häuser im Dorf sind schön und sehenswert, und auch hier versammelt sich eine bunte Mischung von ihnen. Am Rand steht das in warmes Ocker getünchte Feuerwehrhäuschen, in dem nunmehr das Feuerwehr-Haustheater ein schönes Zuhause gefunden hat. Noch einen kräftigen, wenn auch diffuseren Farbtupfer steuert eine im Saft stehende Hängeweide ab, direkt am Uferweg. Der Dorfbackofen hält Winterruhe.

Born to horn, Kinderbauernhof Börnicke

Die Häuser entlang der Hauptstraße stehen baulich in Verwandtschaft zum Gutsensemble. Es ist wirklich ein besonderes Ortsbild hier in Börnicke, das die Kirche noch komplettiert. Mit einem letzten Blick auf die graue Eminenz des Schlosses und die zahlreichen neuen Bäume rundherum verlassen wir Börnicke auf einem gemütlichen und schwarzen Sandweg, der großflächig vereist ist. Ein Mädchen kommt entgegen auf dem Rad, souverän und frei von Angst. Und in der Tat hat das Oberflächeneis mit dem feinen schwarzen Sand fusioniert und ist stumpf und griffig. Schön.

Schloss Börnicke

Elisenau

Schon den ganzen Tag werden wir begleitet vom gelben Wanderweg, der uns bis fast zuletzt die Treue halten wird. Entlang der schnurgeraden Straße durch Elisenau zeigt sich ein schöner Querschnitt durch die Wohnarchitektur der letzten sechs Jahrzehnte. Die Straße fällt sanft ab, läuft sich angenehm und führt genau auf den markanten Turm zu, der schon den ganzen Tag diesig im Hintergrund stand und aussieht wie ein Fernsehturm mit abgebissener Spitze. In der Tat diente der sogenannte „Dezimeterturm“ seit Ende der 1950er Jahre der Fernsehübertragung in der DDR, war sogar von landesweiter Relevanz für den guten Empfang der beiden Sender, die sinnigerweise DDR 1 und DDR 2 hießen. Der eigenartige Name des Turms hat mit der Länge der elektromagnetischen Wellen zu tun, die charakteristisch sind für den sogenannten Richtfunk.

Birkholzaue

Eine Kuriosität in Elisenau zeigt sich am Ortseingang. Dort stehen zwei Ortseingangsschilder, beiderseits der Straße. Östlich liegt Elisenau, das zu Blumberg und damit zur Gemeinde Ahrensfelde gehört, westlich hingegen das zu Bernau zählende Birkholzaue, die Grenze verläuft auf dem westlichen Rand der Fahrbahn. Was das für administrative Komplikationen bei der Bushaltestelle an der Straße hervorruft, möchte man sich gar nicht ausmalen.

Feuerwehr-Theater am Dorfteich, Börnicke

Gegenüber führt der Weg direkt in einen mäßig  feuchten Bruchwald, der von einem größeren See gewässert wird. Erstmals heute sind die Spikes unumgänglich, und wieder ist es eine herrliche Erfahrung, wie entspannt man sich doch auf glattem Eis bewegen kann. Das kleine Stückchen Wald tritt wirksam den Beweis an, dass es schlau ist, den Wald zu meiden in diesen Wochen. Hinterm Wald fällt der Blick dann wieder auf braune Erde, dunklen Sand und blassgrüne Wiese.

Birkenhöhe

Entlang einer Obstwiese geht es hinauf nach Birkenhöhe, vorbei an ein paar Schweinen, Ziegen und Laufenten. Hier und da hängt noch Weihnachtsschmuck in den Gärten, den jetzt wirklich keiner mehr sehen möchte. Dagegen an piepen und singen neben Meisen und Amseln jetzt auch schon irgendwelche anderen Vögel, die aus gängigen Volksliedern bekannt sind.

Weg nach Lindow mit Blick auf die Türme von Bernau

Lindow

Nach etwas Zickzack durch die Siedlung kommt nach einer Waldrand-Kurve voraus Bernau in Sicht, wirkungs- und verheißungsvoll, denn der Magen knurrt so langsam, die Vorräte sind längst schon aufgebraucht. Gefällig geht es über eine kleine Anhöhe nach Lindow, und Lindow ist schon so gut wie Bernau. Nach etwas Gewerbegebiet führt der letzte Kilometer in einer Stimmung von wunderbarer Abendruhe um die südlichen Vorstadtwiesen herum, entlang verschiedener Wasserläufchen. Einige der kleinen Panke-Zuflüsse sind zugefroren, andere offen. Auf letzteren parken auffallend brav allerhand Enten, dicht unterm Ufer und gut geschützt vor dem scharfen Wind.

Ein dem verwandter und doch seltener Anblick wird jetzt am Himmel geboten. Während die Züge der Kraniche oder die der Gänse zu den Zeiten von spätem Herbst und zeitigem Frühjahr ein stets erhebender, doch gewohnter Anblick sind, ist es selten, dass man Formationen von Enten sieht am Himmel. Jetzt jagen sie dort oben durch die Lüfte, wirken leichtfüßig und unbeschwert und sind auch sicherlich nicht auf der Durchreise, sondern der Stadt Bernau verbunden und den Pankewassern.

Der Rad- und Fußweg durch die Pankewiesen, südlich von Bernau

Auf Durchreisende hingegen trafen wir auf der Fahrt nach Bernau. Sie standen auf dem Acker, hier zwei Kraniche und kurz darauf zwei Gänse. Und trafen damit ihre Aussage. Auch der Deutsche Wetterdienst teilt diese Ansicht und stellt für die nächsten Tage Grade deutlich über Null, dazu noch manche Sonne und infolge die ersten knallenden Knospen in Aussicht. Das ist der Startschuss für die Zeit der ersten zarten Düfte.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der Regionalbahn ab Lichtenberg (halbstündlich) oder mit U- und S-Bahn (jeweils knapp 45 Min.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): Autobahn A 10 und A 11 oder über die B 2 (jeweils ca. 35 Min.)

Länge der Tour: komplett ca. 17 km (Abkürzungen gut möglich) oder
nur einmal um die Stadt herum (2-3 km) oder
einmal um die Stadt, dann nach Börnicke und auf selbem Weg zurück (ca. 11,5 km)

 

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Tourismus-Seite von Bernau

Informationen zum neu gebauten Mühlentor

Zeitungs-Artikel zu den Pilgern von Börnicke

Informationen zu Börnicke

Informationen zum Gutshof und Schloss Börnicke (2003)

Der Dezimeterturm von Birkholzaue

 

 

Einkehr: zahlreiche Möglichkeiten innerhalb der Stadtmauer

 

 

Zehdenick: Weiße Havelteiche, kalte Schlote und die glimpfliche Schlidderpartie

Der diesjährige Winter kam im Großen und Ganzen recht winterlich daher und frei von Eskapaden, kühl und grau und manchmal etwas weißgepudert. In den ersten Wochen des neuen Jahres verlieh er sich selbst etwas Nachdruck, indem er Berlin und Brandenburg mehrmals spontan in ein mitteldramatisches Schneechaos stürzte. Das war jeweils in Kürze angerichtet und von langer Nachwirkung. Aktuell scheint er Ruhe zu suchen oder neue Kraft zu sammeln. Liegt etwas lustlos auf den märkischen Äckern und Wiesen herum, gerade noch weiß genug, um nicht übersehen zu werden. Tiefer in den Wäldern sieht es da schon anders aus, denn hier ist das Kältegedächtnis besser ausgeprägt.

Abendlicher Marktplatz im Frühling, Zehdenick

Darin liegt auch das Problem in diesen Wochen zwischen Neuschnee und Schmelze, zwischen Nullpunkt und klirrender Kälte. Es ist fast unmöglich einzuschätzen, wie es auf den Wegen aussieht. Ob es rutschig ist, glatt oder spiegelglatt, pfützennass, glitschig oder matschig oder einfach so wie immer. Ob Skier zu empfehlen sind oder Schneeschuhe, Spikes an den Sohlen oder einfach der ganz normale Schuh für stundenlanges Draußensein. Je tiefer in der Botanik, desto langsamer reagiert der Aggregatzustand des Niederschlages samt seiner Grauzonen, was ja durchaus doppeldeutig sein kann in Hinsicht auf den Farbton. Ganz gute Chancen gibt es dort, wo Asphalt liegt, bevorzugt dunkler. Zum einen, da hier meist etwas Verkehr bleibt, der zumindest einen schmalen Streifen des Straßenbelags freihält, zum anderen, da dieser scheinbar schneller auf höhere Temperaturen und Wärmereize reagiert.

Oderlandbahn unterwegs nach Templin

Am besten geeignet scheint also eine Mischung aus stillen Straßen in freier Landschaft und schön geführten Radwegen. Idealerweise solche, wo es viel zu sehen gibt, denn wenn sowohl Himmel als auch Boden zwischen hell- und mittelgrau changieren, ist jede Abwechslung willkommen und jedes Fleckchen Farbe. Willkommen wäre auch eine Einkehr unterwegs, doch das ist nun Problem Nr. 2 in den erwähnten Wochen. Viele Betriebe haben Urlaub bevorzugt im Januar und Februar, was sinnvoll ist und nachvollziehbar, denn jetzt ist kaum wer unterwegs. Gut, wenn man zumindest für den Abend eine sichere Bank im Hinterkopf hat, wo es warm ist, trocken und gemütlich. Denn die schönste Einkehr und die verdienteste ist doch die nach einem langem grauen Wintertag oder einem erheblichen Aufstieg.

Zehdenick

Zehdenick ist ein Städtchen mit hübschem Kern und verfügt wie auch Storkow über eine markante Zugbrücke unmittelbar am Rande der lauschigen Altstadt. Wie in Storkow ist diese nicht nur hübscher Zierrat, sondern überbrückt eine viel und gern genutzte Wasserverbindung für Freizeitschiffer. Eine Verbindung, die vor nicht allzu langer Zeit gar nichts mit Freizeit zu tun hatte und dafür sorgte, dass große Teile Berlins so aussehen wie sie heut noch aussehen.

Wetter- und zeitgegerbte Bushaltestelle in den Tonstichen

Vor etwa 120 Jahren wurde eine Bahnverbindung von Löwenberg nach Templin gebaut. Bei den Bauarbeiten offenbarten sich Tonvorkommen, komplett unerwartet und direkt unter den Uferwiesen der Havel. Das erklärt die dichte Nachbarschaft des Flusses zu den heutigen Stichteichen, die sich in großer Zahl zwischen Zehdenick und Marienthal hinziehen. Die Vorkommen galten selbst im europäischen Vergleich als riesig und waren so umfassend, dass noch vor gut 25 Jahren aktiv abgebaut wurde. Praktisch war dabei, dass die Ziegel in den zahlreichen Ziegeleien gleich vor Ort gebrannt und über die Havel unkompliziert verschifft werden konnten – bis vor die Berliner Haustür. Es gibt dazu das zutreffende Zitat „Berlin ist aus dem Kahn erbaut“ – auch damals wuchs die Stadt rasend schnell, dehnte sich nach außen aus und schloss in ihrem Innern manche Baulücke. Unter anderem dank der havelnahen Tonvorkommen zählte Berlin in den Dreißiger Jahren zu den fünf größten Städten weltweit.

Zehdenick samt seiner Nachbarorte ist das ganze Jahr über einen Ausflug wert, und heute erfüllt es uns zudem die gewünschte Mischung für einen grauen Wintertag mit Temperaturen um den Nullpunkt. Maßgeblich ist das dem Fernradweg zu verdanken, der die Hauptstädte von Dänemark und Deutschland verbindet. Der einzige Nachteil ist der, dass die Tour ohne Reißleine auskommen muss – es gibt keinerlei Möglichkeit irgendwo abzukürzen, falls gar kein Vorankommen sein sollte. Insgesamt geht der Plan ganz gut auf, wenn auch auf einigen Passagen eine eigenartige Gangart angesagt sein wird, die eher an Schwimmbewegungen erinnert und in keinerlei Zusammenhang steht mit Coolness.

Eichlerstich unter Eis

Nach Verlassen der gefälligen Altstadt wirkt nun die nördliche Vorstadt entlang der Bundesstraße 109 stark kontrastierend. Sieht aus, als sei sie stark verkatert, schon jahrzehntelang. Der graue Himmel unterstützt noch diesen Eindruck. Kaum merkt man den Übergang zu den brachliegenden Gewerbeflächen bis hin zum Hafengelände, die mit ihren Ausmaßen und schwerer Maschinerie von lebhaften Zeiten zeugen. Die ersten Wasserflächen scheinen durch, nicht schwarz und spiegelnd, sondern lückenlos vereist mit leichtem Harsch darauf.

Hier ist der spröde Ausstieg geschafft und man findet sich direkt im Anglerparadies, das diesen Namen wirklich trägt. Über Kilometer liegen weite Teiche links und rechts, einstige Tonstiche, aufgefüllt mit Havelwasser. An vielen Stellen gibt es Parkbuchten, umgrenzt von hüfthohen Palisaden mit einladenden Durchgängen, die im Sommer mit dieser Optik einen Strand verheißen könnten. Zwischendurch zeigen sich immer wieder die spanigen Spuren der hiesigen Bibergang, die so manches Bäumchen umgelegt hat. Die Stümpfe verschwinden unter weich nachgebenden Raspelholzbergen, groß wie Ameisenhügel, die entweder davon zeugen, wie der Mensch dem Biber die Harke zeigt oder mit ihm Zahn in Hand arbeitet.

Griffige Landstraße nach Burgwall

Links der stillen Straße lungert untätig ein Gleis, so wie der ganze Tag durchzogen ist von pensionierten Gleisen und der Vorstellung etwas auf die Sprünge hilft, was hier für ein Treiben herrschte zur besten Zeit des Tonabbaus. Das Wasser zu beiden Seiten, der Damm dazwischen und das Gleis darauf lassen kurz eine finnische Impression aufblitzen, zumal gerade hier noch ein paar Birken stehen.

Ein Pensionär auf seinem Rad zieht vorbei, nur unwesentlich schneller und den Fokus streng nach vorn gerichtet. Vorn am querenden Gleis treffen wir ihn wieder, wie er vor dem Bahnübergang stoisch seine Runden dreht, ohne den Sattel zu verlassen oder einen Fuß auf den Boden zu setzen. Dieses Gleis übrigens ist aktiv, wie wir gleich hören, denn es naht ein Zug, der unterwegs ist nach Templin. Die erste kräftige Farbe an diesem Tag ist diese tiefblaue Breitseite der Oderlandbahn, sogar mit etwas Türen-Gelb. Als der Zug durch ist und das Farbspektakel verklungen, beendet der auf dem Rad die aktuelle Runde und fährt zurück gen Stadt. Das ist dann wohl ein liebes Ritual und beschäftigt uns für die nächsten Minuten mit Spekulationen in verschiedenste Richtungen.

Schmalspurlgleis bei Burgwall

Nur noch ein schmaler Damm führt jetzt hindurch zwischen Bröselstich und Neuhofer Stich, gerade breit genug für Gleis und Straße und noch etwas Uferkante. Die Landschaft mit ihrem Flickenteppich aus Teichen ist so speziell und fast etwas entrückt, dass es verwundert, immer wieder auf so etwas Sachliches wie Bushaltestellen zu treffen. Eine von ihnen markiert den Zugang zum Vorort Neuhof, wo es seinerzeit auch eine Handvoll Ziegeleien gab. Das eigenwillige Buswartehäuschen am Abzweig verfügt neben reichlich Patina über ein unverglastes Panorama-Fenster zur Wasserfläche des Neitzelstiches und sollte von Rechts wegen unter Denkmalschutz gestellt werden. Es war auch schon im Kino zu sehen, später dann im Fernsehen.

Wer nicht tiefer in das Reich der Stiche vordringen möchte und die Landstraße nach Burgwall im Sinn hat, findet hier die vorletzte Möglichkeit zum Abbiegen. Es gibt nach dem folgenden Abzweig zwar noch zwei Verbindungen weiter nördlich, doch sind diese mittlerweile nicht mehr zugänglich. Ein längeres Stück Straße ist also nicht vermeidbar ist, was auch die allgegenwärtige Beschilderung des Laufparks Stechlin bestätigt. Doch das passt heute eher gut, wie sich bald zeigen wird.

Die Havel in Burgwall

Am Eichlerstich liegen kleine Ruderboote, meistenteils aus Metall und lackiert in zurückhaltenden Farbtönen. Von hier reicht der Blick weit über den größten der Teiche, der auch ein paar Inseln im Herzen trägt. An einem kleinen Hochufer steht sie endlich, die erhoffte Bank mit freiem Wasserblick. Heute blickt sie übers Eis, das überzogen ist von Spuren aller Größenordnungen, quer hinüber bis zum jenseitigen Schilfgürtel.

Neuhof

Noch vor den ersten Häusern der Siedlung mit dem süßen Kaiserbahnhof führt ein kleiner Weg links um den See herum und bald hinein in einen verspielten Wald aus kleinen Fichten, in dem man über eine Schar huschender Kobolde kaum staunen würde. So klein der Wald ist, so tief herrscht hier der Winter mit fast lückenloser Schneedecke und fahlen Kontrasten zum tiefdunklen Grün der Nadelarme.

Die Straße ist schon zu hören, bald darauf zu sehen. Sie verläuft direkt vor dem Waldrand des ausgedehnten Forstes Zehdenick, der schon zur Kleinen Schorfheide gerechnet werden kann. Die Straße ist von tiefdunklem Asphalt, und wenn die Autos auch zügig unterwegs sind, ist ihre Zahl übersichtlich. Von links stößt die erwähnte letzte Ausfahrt hinzu. Sie trägt den Namen „Hoch- und Staplerweg“,  und so war es vielleicht eine gute Entscheidung, schon eine vorher abzubiegen.

Ziegeleipark im Winterschlaf

Nichts könnte der Schuhsohle heute so viel Traktion bieten wie diese schnurgerade Straße, die nun gute drei Kilometer den Weg bestimmt. Langweilig ist das zum einen nicht, da man die Griffigkeit genießt und das Hinterteil entspannen kann, zum anderen gibt es nach links immer einen schönen und weiten Blick, hin zur Havel und ihren Spielereien. Ein kurzer Ausweichversuch im Wald verläuft fruchtlos, denn dort ist es entweder glatt, matschig oder sehr uneben. Also eher eine Option für andere Jahreszeiten, dann jedoch lässt sich dort fast die ganze Straßenpassage schattig umgehen.

Das letzte Stück kürzen wir über die stoppelige Wiese ab, als Zielpunkt eine Stelle, wo gerade das Postauto aus dem Wald kam. Das ist uns heute schon mehrfach an entlegensten Stellen zwischen den Teichen begegnet, und auch jetzt ist nicht das letzte Mal. Vermutlich hat es hervorragende Winterreifen an, denn jetzt folgt das balanceträchtigste Stück des ganzen Tages. Selbst der Wegrand taugt kaum zum Ausweichen, da er schmal, nachgiebig und leicht ansteigend ist und man dort genauso ins Straucheln gerät wie auf der eisglitschigen Waldstraße. Nebenher verläuft wieder ein betagtes Schmalspurgleis und weckt einen kleinen Neid, da es von der glatten Straße so völlig unbeeindruckt sein kann. Sein Bett verläuft mitten durchs Kraut, doch wachsen zwischen den Schienen keine Bäumchen oder Sträucher – als wenn hier dann und wann was führe.

Radweg am Welsengraben

Der reichliche Kilometer auf dem Wasser-Eis-Mix sorgt unfreiwillig für die Entdeckung der Langsamkeit und die Gedanken schweifen für ein paar schmerzliche Augenblicke zu den viereinhalb Paar Spikes, die in der Wohnung genau dort liegen, wo man sie auch nach einem Jahr schnell findet. Letztlich erreichen wir mit trockenem Hosenboden und unversehrten Handgelenken die Straße und genießen die Errungenschaft des aufrechten Ganges, die man Tag für Tag als viel zu selbstverständlich hinnimmt.

Burgwall

Das Havelörtchen Burgwall markiert in etwa das nördliche Ende der Tonstiche, die Havel schwenkt hier klar nach Osten ab und taucht damit in eine Landschaft ein, die bestimmt wird von Wäldern. Eine Brücke führt über die Havel und bietet schöne Blicke über das Dorf. Noch vor der Brückenauffahrt steht ein Bahnhofsschild an einem winzigen Bahnsteig und nährt die Vermutung, dass über die Schmalspurgleise dann und wann ein Züglein rattert. Von Fürstenberg kommend stößt der Radweg Kopenhagen-Berlin hinzu, bis kurz vor Zehdenick unser Begleiter. Parallel läuft der Havel-Radweg. Stellt man sich vor eine der zahlreichen Karten am Wegesrand, ist es ein kurioses Bild, wie sich der Fluss mit lebhaften Schlingen eng zwischen all den Stichteichen hindurchwindet, zwischen den Ufern beider manchmal nur ein schmaler Damm übrigbleibt, gerade breit genug für einen Pfad und etwas Polstermaterial.

Uferpfad zwischen Havel und dem großen Kinderstich

An einer Rasthütte kommt es zum letzten Sichtkontakt mit Christel von der Post, die hier souverän ihren Transporter wendet, gefährlich dicht am Straßengraben. Ab und zu kommt ein Radfahrer vorbei, eher Eingeborener als Tourist, und macht Hoffnung auf gute Gangbarkeit der nächsten Kilometer. Eine ältere Dame mit älterem Damenrad und Hausrecht folgt stur und unbeirrbar ihrer schmalen Bahn durch den Eismatsch und zwingt ein altersgerechtes Allrad-Fahrzeug vorübergehend an den Randbereich.

Ziegeleipark Mildenberg

Die Schornsteine kündigen schon den Ziegeleipark Mildenberg an, ein lohnendes Ausflugs-Paradies zu Zeiten mit mehr Tageslicht, und bald schon verdichten sich die Gleise bis hin zu losen Knäulen. Wo es während der mitteleuropäischen Sommerzeit kein Problem ist, auf dem weitläufigen Gelände oder auch nur in seinem havelnahen Herzen einen ganzen Tag zu verbringen, ist jetzt eindeutig Winterpause. Nicht ein Mensch ist zu sehen und keine Kinderscharen wuseln zwischen der Marina und dem imposanten Ringofen. Die Züge mit den umgebauten Loren stehen still und halten Winterschlaf, ein wenig wehleidig. Auch die Flotte von mietbaren Hausbooten, Motor-Jachten und motorisierten Wohnwagenpontons verharrt in Stille, teils auf dem Lande, teils im Wasser. Gleich hinter der Radler-Einkehr beginnt nun wieder eine Fahrradstraße und führt auf schmalem Dämmlein zwischen Stäckebrandts Pappelstich und Döbertstich hindurch. Stäckebrandts Pappelstich – das könnte doch auch eine mittellange Erzählung sein von Theodor Fontane oder Storm. Ein Eisangler sitzt auf der angetauten Fläche und hat ein Loch geschlagen, dicht beim Schilf. Vom Schilfrand hat ihn eine Katze fest im Blick, die scheinbar keine kalten Pfoten scheut für etwas Silberschmaus.

Prerauer Stich hinterm Flussufer vor Zehdenick

Hinterm Wäldchen geht es links entlang am erstarrten Bruch des Welsengrabens, der bei den nächsten Häusern überquert wird, an einer durchaus pittoresken Stelle. In den Bäumen vertreiben sich die Krähen etwas Langeweile und warten auf Gelegenheiten, wem anderen was abzujagen. Davon abgesehen ist es schweigsam heut am Himmel, nur ein paar Gänse zogen durch vorhin, doch auch diese eher wortkarg. Aus einem Weg, den man verkehrstechnisch für hinfällig erklärt hätte, kommt ein Auto angewackelt, mit kurzem Radstand und daher nachgerade aufgebracht im Takt der tiefen Pfützengründe. Wie überhaupt heute an den seltsamsten Stellen Autos hergefahren kommen, aus kleinen und auch kleinsten Wegen und aus entlegenen Sackgassen.

Loren über Kopf, Hafen Zehdenick

An der nächsten Kreuzung weist eins von den vielen Schildern zur Einkehr im nahen Mildenberg, doch unser Ziel ist nun schon greifbar und wir biegen ab zum Bruchwald. Auf dem Weg dorthin kommt uns ein freundliches Männlein auf einem grünen Trecker entgegen. Hat eine leuchtend gelbe Warnweste an und schenkt uns damit die hellste Wahrnehmung des gesamten Tages, obendrauf noch einen freundlichen Gruß. Am Bahndamm erwischen wir dann nochmals den Zeitpunkt einer Zugdurchfahrt, diesmal in Richtung Süden und als Heidekrautbahn. Wieder eine Dosis kräftiges Blau. Doch wirkt sie jetzt fast blass, nach dieser jüngsten Impression in gelb.

Etwas Farbe am anderen Ufer, Hafen Zehdenick

Die Überquerung der Havel ist auf der Eisenbahnbrücke nicht vorgesehen, denn die ist gerade schmal genug fürs Schotterbett. Das trifft sich gut, denn jetzt folgt am diesseitigen Flussufer eine „Stadteinfahrt“ von besonderer Einzigartigkeit. Hautnah darf auf diesem kleinen Pfad miterlebt werden, wie wenig Platz zwischen der Havel und ihren Stichen bleibt. Es ist, als spazierte man auf einer Landbrücke durch einen großen See, durch den auch noch die Havel fließt. Für die Stabilität dieses schmalen Bandes bürgt anfangs eine stattliche Reihe alter Linden, später besorgen das dichte Schilfgürtel. Wenn das an einem trüben Januar-Tag schon fasziniert, wie muss es dann erst sein bei Sonnenschein und dicht belaubten Bäumen?

Fußgängerbrücke an der Schleuse, Zehdenick

Während auch hier alle Wasserflächen weiß vereist sind, ist die Havel offen und fließt spiegelglatt und schwarz. Alle bisher nicht gehörten Wasservögel treffen sich auf dem Fluss, und so ist ein ständiges Schnattern und Flattern, ein reger Austausch und scheinbar Platz für jeden Schnabel. Ein Stück weiter sind gegenüber am Hafen zahllose alte Ton-Loren über Kopf gestapelt, ein kurioses Bild. Daneben Boote auf dem Trockendock. Als einzige im Wasser liegt eine hübsche Barkasse gut vertäut, die noch einmal etwas satte Farbe sehen lässt.

Links öffnet sich jetzt der urwüchsige Bruchwald der Klienitz, während voraus schon die Türme der Zehdenicker Altstadt in Sicht kommen. Das passt gut jetzt, denn die Tour war lang und der Magen hängt schon durch. Über zwei steile Fußgängerbrücken führt der Uferweg zur Stelle, wo die Schleuse einen beeindruckenden Höhenunterschied überwindet. Rechts öffnet sich ein großes Vorbecken, tiefliegend. Hier ankert publikumswirksam ein passendes Museumsschiff in der Bucht, an dem niemand vorbeikommt, der ein Objektiv am Leibe trägt. Dasselbe dürfte für die benachbarte Zugbrücke gelten.

Die Zugbrücke am Rande der Altstadt

Wer die Altstadt nicht schon vorhin erkundet hat, kann das auch jetzt noch tun, denn gleichermaßen schön ist sie, wenn die Laternen brennen. Für den allerletzten Ausklang empfehlen sich ein paar stille Minuten am Ufer bei der Zugbrücke. Wenn man sich dort so aufs Geländer lehnt in seiner dicken Jacke und ein Bein hochstellt, die Augen etwas schlitzt und die Gedanken treiben lässt, können sich schöne Bilder öffnen. Von Jahreszeiten, in denen das Eis eine andere Rolle spielt und eher in die Hand gehört, in bunten Farben. Das ist jetzt gar nicht mehr so lange hin.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Regionalbahn in Richtung Templin (stünd. ab Berlin-Ostkreuz; ca. 1-1,25 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über Land (B 109 bzw. kleinere Straßen über Wensickendorf/Liebenwalde)(ca. 1-1,25 Std.)

Länge der Tour: ca. 21 km (keine Abkürzung möglich); Option: mit dem Bus nach Burgwall (verkehrt stündlich, guter Anschluss an Zug von Berlin) und dort in die Tour einsteigen (dann ca. 10 km); Straßenumgehung außerhalb von Schneezeiten Wegpunkte A-F

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Tourismusseite von Zehdenick

Fernradweg Berlin-Kopenhagen bei Zehdenick

Ziegeleipark Mildenberg

Tagesspiegel-Artikel von 2010 zum Ziegeleipark

Einkehr:
Hotel Klement (gute Küche, gemütlich, freundlich)
Neues Haus Vaterland (etwas modernisierte Küche)
Stadtgarten an der Zugbrücke (gute Küche, gemütlich, freundlich)
Ratskeller und Neuer Ratskeller am Markt (keine eigene Erfahrung)
Vereinsgaststätte des Wassersport-Clubs (an der Fußgängerbrücke ans westliche Havelufer)(keine eigene Erfahrung)

Burgwall:
Gasthaus Zur Fähre (keine eigene Erfahrung)

Ziegeleipark Mildenberg:
Gasthaus Alter Hafen (direkt an der Hafenkante, etwas teurer) und Bernis Café am südlichen Ausgang

Was vom Jahre übrig blieb – Sechzehner Spätlese

Wenn das Jahr auf die markanten und mit buntem Schwarzpulver-Radau verbundenen Initialen 3112 zusteuert, stellt sich dieser ewige Widerspruch ein: einerseits sind die Monate und Jahreszeiten mitsamt den verlinkten Ritualen vorbeigerauscht wie ein Regional-Express an einer parallel fahrenden S-Bahn, die eben noch beschleunigte und in Sichtweite zum nächsten Bahnhof schon wieder an Fahrt verliert. Andererseits scheinen einzelne Tage bereits ewig her zu sein, eher schon so, dass das Wort „damals“ mitschwingen möchte.

Kurzes Männergespräch zwischen Dirk und Gonzo, Falknerei Rabenstein

Unergründbar ist in dieser Hinsicht, warum eine ärmellose Berlin-Tour vom Sommer erheblich länger her scheint als das frostige Zerpenschleuser Kanalufer mit seinem metallisch blauen Eisvogel, der Anfang Januar im Ufergebüsch saß. Die Jahreszeiten sollten eigentlich bei der Zuordnung helfen, doch die Ärmellosigkeit wird zeitlich ganz einfach einen Sommer zuvor verankert.

Eine ganze Reihe von Empfehlungen wären gern ausgesprochen worden, landeten jedoch im Nähkästchen. Eine Handvoll hole ich nochmal heraus, wenigstens für ein paar Worte.

Gemütlicher Marktplatz mit Schmalspurgleisen, Cottbus

Cottbus

Cottbus hat mit Berlin unter anderem gemeinsam, dass es kurvenreich von der Spree durchflossen wird. Zudem gibt es ein Stück Stadtmauer, das Aug in Aug mit der Klosterkirche steht. Und auch hier sorgt der Fluss für eine Museumsinsel, welche direkt an die Altstadt grenzt. Im Unterschied zu Berlin steht auf der Insel jedoch nur ein Museum, während sich das andere halbe Dutzend über die Altstadt verteilt, gemeinsam mit dem Schloss, dem weithin bekannten Staatstheater und diversen anderen Spielstätten.

Branitzer Park im späten Winter, Cottbus

Ein ganz entscheidender Unterschied zu Berlin ist der, dass man ziemlich schnell ins Grüne kommt, wenn man das möchte. In Richtung Spreequelle führen schöne Parkwege und allerlei Brücklein vorbei am durchaus eindrucksvollen Stadion der Freundschaft, hin zu den ausgedehnten Parklandschaften von Spreeauenpark und Branitzer Park. Dieser ist natürlich am schönsten, wenn alle Bäume eingekleidet sind und auf dem Boden die Blümchen sprießen. Doch das weitläufige und verspielte Gelände mit seinen durchdachten Sichtachsen ist selbst im November oder Februar charmant, wenn man hier fast alleine ist und die Enten auf dem Wasser eher zusammenrücken.

Nach dem Herumstreifen im Park ist es um so schöner, zurück zum Markt zu streben, sich reinzusetzen irgendwo und zu genießen. Ganz gleich ob herzhaft oder süß.

Eine der Pyramiden im Branitzer Park, Cottbus

Wer anstatt der gefälligen Parklandschaften oder einer gemütlichen Einkehr lieber noch mehr vom Lauf der Spree und etwas zahme Wildnis sehen möchte, kann sich bei den Parks einfach dem Europaweg E 10 anvertrauen und noch um zwei drei Stunden bis nach Neuhausen verlängern, wo jede Stunde ein Zug zurück nach Cottbus fährt.

Kleiner Park zwischen Hafen und Kirche, Wustrau

Wustrau-Altfriesack

Wustrau und Altfriesack liegen am selben See wie Alt- und Neuruppin, nur am anderen Ende. Zwischen dem flächigen und gediegenen Wustrau und dem von Wasser durchzogenen Altfriesack liegt eine Halbinsel, die von zwei Armen des Rhins geschaffen wird. Der Wustrauer Rhin ist ohne viele Umschweife unterwegs in Richtung Fehrbellin, wo er besonders lieblich dem Rhinkanal zufließt. In Wustrau selbst ist er am schönsten an der alten Wassermühle zu erleben. Der Bützrhin hingegen, der bald schon Alter Rhin heißt, schlägt einen weit ausholenden Bogen zum selben Ziel und nimmt dabei das Linumer Teichland und die Hakenberger Schleuse mit, mitsamt ihren wunderbaren Landschaften. Unterwegs kommt ihm noch der Kremmener Rhin abhanden und macht den Wasserarmsalat perfekt.

Antiquitäten-Mühle am Tag der offenen Mühle, Wustrau

Sowohl das überaus pittoreske Wustrau als auch Altfriesack mit seinem kleinen „Rhindelta“ und der schönen Zugbrücke zählen zu den Brandenburger Orten, die etwas Einzigartiges haben. Verbunden sind beide nicht nur durch einen Bindestrich, sondern auch durch einen Wanderweg, der den Wald der erwähnten Halbinsel quert. Auch hier ist das – wie eben schon bei Cottbus – der E 10, was ein ganz klein wenig kurios ist und von seiner Vielfalt zeugt.

Alte Allee nach Süden ins Luch, Wustrau

Wer nicht gern denselben Weg zurückgeht, kann von Altfriesack auf dem verlängerten Triftweg einen südlichen Bogen zurück nach Wustrau schlagen. Und wer vielleicht in Altfriesack bei einer der zwei Fischerhütten eingekehrt ist und bereits am letzten Loch im Gürtel angelangt, hat die Option, diesen Bogen nach Belieben in die blickoffenen Weiten des Wustrauer Luchs zu verlängern und dann über Langen und Buskow den Weg zurück anzutreten, oft unter dem Schatten prächtiger Alleen. Das sind zwar teilweise öffentliche Straßen, doch sind die Autos zählbar. Und speziell die letzte Allee zur Südspitze des Ruppiner Sees ist eine Offenbarung der Gemütlichkeit.

Gemütliche Allee nach Wustrau-Nord

Die zwanzig grünen Hauptwege von Berlin: Nr. 3 – Heiligenseer Weg

Wer hier und da zu Fuß durch das Stadtgebiet von Berlin streift, trifft in Grünanlagen und auch dazwischen auf Wandermarkierungen, die aus einem blauen Balken und einer Zahl bestehen. Ist beim Erst- und Zweitkontakt vielleicht überrascht, hier im dicht bebauten Dörferverbund von Berlin, aus dem die Stadt gewachsen ist. Dahinter steckt Methode, und der erste Gedanke dafür ist erstaunlicherweise schon mehr als hundert Jahre alt.

Diese Wege können einem nahezu überall in der Stadt begegnen, denn legt man alle zwanzig als Linien über eine Karte von Berlin, sieht das aus wie ein voll bepacktes Einkaufsnetz mit recht gleichmäßiger Maschenverteilung. Wer jetzt keine Vorstellung davon hat, was ein Einkaufsnetz ist und wie es aussieht, fragt beim nächsten Familienfest einfach mal die erste Tante oder Oma, die einem über den Weg läuft. Und darf je nachdem mit ausholenden Beschreibungen und Anekdoten rechnen, was für beide Seiten sehr schön sein kann.

Gemütliches Alt-Tegel, am U-Bahn-Ausgang

Dass Berlin immer noch vielfältiger ist, als man ohnehin schon denkt, ist nichts Neues. Doch das Phänomen, dass man auf vielen Hundert Kilometern grüner Wege durch die Stein- und Asphaltwelten spazieren kann und die Stadt immer wieder von neuen Seiten entdecken, ist bei jedem dieser Wege aufs Neue markant.

Binnenhafen mit Wal, Tegel

Die von offensichtlichen Berlin-Kennern gefundenen und konzipierten Wege tragen so schöne Namen wie Humboldt-Spur oder Nord-Süd-Weg, Lindenberger Korridor oder Barnimer Dörferweg. Sie verlieren selten den Kontakt zum Grün und zur Natur in jedweder Ausprägung, was in vielen Fällen auch mit reichlich Wasser einhergeht. Optional lässt sich etwas Würze hinzufügen, wenn man stellenweise ausbüchst und Abstecher oder Ausflüge in spezielle Viertel oder charakteristische Stadtlandschaften macht, nach denen es dann umso schöner ist, wieder ins Grüne einzutauchen.

Mondäne Platanen-Allee der Uferpromende mit Gänsen, Tegeler See

Einige Wege führen bis an die Stadtgrenze – und keinen Meter weiter. Viele von ihnen hatten wir schon unter den Sohlen, quer durch die Jahreszeiten. Jeder hätte einen eigenen Text verdient, wirklich.

In diesem Sommer war auf einem Stück des Heiligenseer Weges viel Neuland dabei. Steigt man in Tegel zu, bietet sich vorher noch ein Abstecher zum Tegeler Schloss an, von dem ich bis dahin nicht einmal wusste, dass es existiert. Die längliche Anlage gibt sich etwas zugeknöpft und belohnt den Beharrlichen mit einer sagenhaft schönen Lindenallee und der letzten Ruhestätte der Brüder Humboldt. Dahinter liegt urwüchsiger Wald mit schönen Pfaden, die man besser Pfade sein lässt, denn dort leben extrem sportliche Wildschweine. Zum See gibt es – entgegen einzelnen Legenden – ohnehin keinen Durchgang.

Am Rand des Flughafensees, nahe des Flughafens Tegel

Vom Stadthafen Tegel mit seinem stählernen Walfisch lässt es sich herrlich die Uferpromenade entlangtrödeln, bis vor zur roten Brücke an den Häfen, wo gleichermaßen kleine Ruderboote und baumeslange Ausflugsdampfer angeknotet liegen. Wer einen luftigen Hochsommertag erwischt, kann ohne viel Zutun glauben, er säße irgendwo am Tegernsee anstatt an einer ausgeprägten Bucht der Havel, die so ähnlich heißt. An solchen Tagen drückt der Wind vom Wasser her wie echter Seewind und schmeißt schonmal die Torte auf dem Teller um, auch wenn das Stück rechte breite Schultern hat. Die turbulenten Wellen und die gut vertäuten weißen Dampfer an der gediegenen Platanen-Promenade machen es sehr leicht, Voralpenzüge hinter sich zu wähnen und sich ein wenig mondän zu fühlen dabei.

In den Rehbergen, Wedding

Wer es hier nicht schafft sich loszureißen, zeigt in keiner Weise Schwäche, sondern trifft vielmehr eine sinnvolle Entscheidung mit Augenmaß, denn hier lässt sich gut ein ganzer Nachmittag vertrödeln. Wen hingegen doch die Neugier umtreibt, der wird belohnt mit einem städtischen Kontrastprogramm von außen nach innen. Im Flughafensee lässt sich wunderbar ein Bad einschieben. Möchte man danach die Locken trocken haben, braucht man sich nur etwas weiter in die Tegeler Einflugschneise zu stellen, wo alle paar Minuten ein Turbinenwind passiert, ganz frisch gepresst und scheitelnah.

Alternativmündung der Panke beim Invaliden-Friedhof, Berlin Mitte

Nur etwas später in den schattenreichen Rehbergen gibt es Berge, Rehe und auch andere Tiere sowie am Plötzensee die nächste Möglichkeit zum Baden. Noch etwas weiter liegt in sich ruhend und unter Kastanien ein Biergarten á la Bayern, der den Faden aufnimmt von vorhin, mit Leberkäs und Weißbier. Hier trifft der Weg auf ein Ufer, das nun verschiedenen Kanälen folgt, bis hin zur Pankemündung. Und noch weiter bis zum Hauptbahnhof, wo man sich an einer der Uferbars ganz herrlich in einen Liegestuhl hängen kann.

Rotweißer Einheits-Dampfer auf der Spree am Hauptbahnhof

Burg Rabenstein im Hohen Fläming

Für luftige Sommertage, doch auch für andere Jahreszeiten gut geeignet ist ein Ausflug zur Burg Rabenstein im Hohen Fläming, wohl der klassischsten Märchenburg auf dem Gebiet Brandenburgs. Einsam im Wald, auf einem Sporn und mit hohem Rapunzelturm. Dabei überschaubar groß und richtig schön mittelalterlich. Wer diese kleine Höhenburg als Filmkulisse nutzen will, muss nicht allzu viel umbauen, kaschieren oder abschrauben, bevor die erste Klappe fallen kann.

Zugegeben – die Anfahrt ist weit. Doch sie lohnt sich. Insbesondere auch für Familien mit Kindern beliebigen Alters, die hier einen runden Tag verleben können. Schon unten im Dorf wird es schwer, in die Gänge zu kommen, denn sobald man den Burgenbus oder das Auto verlassen hat, übt ein geräumiger Spielplatz seine ganze Anziehungskraft aus, nicht nur auf Kinder und direkt gegenüber des Naturparkzentrums. Dieses unmittelbare Gegenüber ist ein schönes Angebot für eine halbstündige Aufteilung von Groß und Klein, bevor es an den Aufstieg gehen soll.

Sibirischer Uhu Fussel in seinen Gemächern, Fläming-Falknerei Rabenstein

Der gibt den Auftakt zu einem kleinen, allerliebsten Rundweg. Führt vom Spielplatz hoch zur Burg, von dort über endlose Stiegen und hügelige Pfade wieder talwärts und ist dabei kompatibel auch für die kürzesten Beinchen. Auf nicht einmal zwei Kilometern lassen sich hier gemeinsam Abenteuerwelten entdecken, und wem das Talent des Geschichten-Ausdenkens geschenkt wurde, der kann mit ein paar Gedankenstupsern die Phantasie aller anwesenden Kinder befeuern und dafür sorgen, dass der Tag allein deswegen niemals das Gedächtnis der jüngsten Verwandtschaft verlassen wird.

Seeadler Graf Luckner, Fläming-Falknerei Rabenstein

Die Burg spricht am besten für sich selbst, lässt sich gut umstreifen und entdecken. In ihrem unmittelbaren Umfeld gibt es gleich noch zwei Erlebnisspender ganz unterschiedlicher Natur. Wer nach dem minutenlangen Aufstieg zu neuen Kräften finden muss, wird gern noch die vier Stufen zum brotduftenden Innenraum des Backhauses erklimmen, wo es am Wochenende neben köstlichen Schmalzstullen auch Kuchen, kalte Getränke und Bockwurst gibt. Jeglicher Kauf erfolgt angesichts der großen Ofentür des Holzbackofens, hinter der die verlockenden Duftschwaden entstehen. Frisches Brot ohne Geheimnisse. Und ein Backofen, genügend groß für ein ganzes Dutzend großer Brotlaibe.

Gänsegeier im Tiefflug, Fläming-Falknerei Rabenstein

Das zweite Erlebnis wartet nur hundert Meter weiter, zu Füßen des denkbar unromantischen Pendants zum Burgturm. Hier befindet sich mit der Fläming-Falknerei eine der wenigen Falknereien Brandenburgs. Zu Füßen des wuchtigen Betongebildes gibt es in den Monaten der Sommerzeit jeden Nachmittag um halb drei eine Flugvorführung, nur montags nicht.

Vielleicht besteht die Frage, warum man einem und noch einem Vogel und noch anderen dabei zusehen soll, wie sie fliegen. Ähnlich wie bei der Burg lässt sich das am besten vor Ort herausfinden. Der hiesige Falkner stellt in einer Dreiviertelstunde eine ganze Reihe eigenwilliger Charaktere vor, die man in einer Entfernung von wenigen Metern erleben darf. Begleitet wird das von einer charmanten und unterhaltsamen Moderation, die über eine diskret platzierte und hervorragende Tonanlage erfolgt und die Zeit recht schnell vergessen lässt.

Gänsegeier Gonzo in der allerersten Reihe, Flugvorführung Falknerei Rabenstein

Danach ist man ein ganz klein wenig bekannt mit dem Steppenadler Xena, der ebenso gern zu Fuß unterwegs ist wie er fliegt. Und Gonzo, dem sympathischen Gänsegeier, der allen Leuten den Kopf geraderückt, die Geier bislang unsympathisch fanden. Sich freut wie drei kleine Kinder zusammen, wenn er merkt, dass er gleich dran ist und dann majestätisch mit voller Spannweite kurz über dem Boden entlanggleitet. Oder mit Fussel, dem sibirischen Uhu mit den unwiderstehlichen Bernsteinaugen, der eigentlich gar nichts machen muss und trotzdem schwer zu vergessen ist. Einprägsam sind auch die kleineren Kaliber, die Milane, Falken und Habichte, die schnell und wendig sind und Flugmanöver hinlegen, die nur mit wachen Augen zu verfolgen sind.

Falkner Grabow mit Fussel, Fläming-Falknerei Rabenstein

Dabei kann es schon mal vorkommen, dass einem einer der Vögel kurz auf den Fuß tritt, wenn er sich in seiner Neugier in den Reihen des Publikums verfranst hat. Oder man den unmittelbaren Windzug einer ausholenden Schwinge auf der eigenen Haut fühlt. Der Eindruck, den das Ganze beim Einzelnen hinterlässt, wird von Mensch zu Mensch verschieden sein, doch vergessen wird man diese knappe Stunde sicherlich nicht. Und künftig ein wenig anders in die Lüfte stieren, wenn von ganz oben ein pfeifender Laut kommt und ebendort jemand ohne viel Flügelschlag seine Kreise dreht oder in der Luft an einer Stelle verharrt, ein potentielles Mäuschen im Visier.

Wer Raben besucht und vordergründig auf lange Spaziergänge aus ist, kann den speziellen Zauber des idyllischen und flachen Plane-Tals mit den unvermittelt antretenden Höhen des kernigen Miniatur-Gebirgszuges verbinden, auf dessen Mittelpunkt die alte Feste hockt. Der Besuch der Burg lässt sich damit bestens verbinden, dasselbe gilt für die Flugvorführung – wenn man unterwegs die Uhr etwas im Auge behält. Und übrigens: der Wappenvogel Brandenburgs ist hier selbstverständlich auch vertreten. Fragen Sie bei Interesse Ihren Falkner!

Blumberger Mühle

Wer Kinder hat und mit ihnen mehrmals im Jahr ins Land jenseits der Stadtgrenze aufbricht, weiß mit Sicherheit, wie schön es an der Blumberger Mühle ist, was für runde, stressfreie und unvergessliche Tage sich hier verleben lassen. Das gilt gleichermaßen für die weitflächige Teichlandschaft als auch für das an ihrem Rande gelegene Informationszentrum, das einer Kombination aus riesiger Bienenwabe und slawischer Burganlage gleicht. Hier gibt es die schönsten Angebote, um das zu entdecken, was unter freiem Himmel so geboten wird von der guten alten Natur, die sich hier gleichermaßen als Erzählerin und Zauberin zeigt.

Weg zwischen den Fischteichen der Blumberger Mühle, bei Angermünde

Am Südrand der Teichlandschaft liegt die eigentliche Blumberger Mühle. Ein Mühlrad ist hier nicht zu finden, doch ein Gefälle zwischen zwei Teichen ist bei den Gebäuden durchaus erkennbar. Direkt dahinter beginnt ein schnurgerade Weg, der mitten durch den glänzenden Flickenteppich führt, der insgesamt doch immerhin so groß ist wie der Mündesee beim Städtchen um die Ecke. Für Wassernachschub sorgt die Welse, die von Süden wildromantisch daherkommt.

Mit der Blumberger Mühle ist es ähnlich wie mit der Burg Rabenstein – man kann sich bestens auf das Gebiet beim Informationszentrum beschränken, wobei sowohl Bewegung als auch Erlebnisse nicht zu kurz kommen werden. Die Natur kann hier in großer Vielfalt erlebt werden, was mit Sicherheit pädagogisch wertvoll ist und mit ebenso großer Sicherheit gewaltigen Spaß macht. Falls den Kindern die Energie dabei partout nicht ausgehen will, können sich die lieben Erwachsenen für einen Augenblick ins Innere der Wabe zurückziehen und dort stärken – das Essen ist hervorragend, der Kuchen selbstgebacken und die Kakaotassen groß.

Tiefschwarze Angus-Rinder auf der winterlichen Weide, Blumberger Mühle

Ausschwärmen lässt sich von der slawischen Info-Wabe wahlweise ein bisschen oder eben etwas mehr. Für wen „ein bisschen“ reizvoller klingt, der ist mit einem Spaziergang zur eigentlichen Blumberger Mühle und dem Damm zwischen den Teichen gut bedient. Falls gerade der Sommer läuft, ist es von dort durch den Wald nur eine gute halbe Stunde bis zum Strandbad am Wolletzsee – die Schilder zum Campingplatz weisen den Weg.

Und wer noch etwas mehr Bewegungsdrang verspürt oder unterwegs von der Landschaft überredet wird, kann von diesem Strand ein paar Kilometer dem Uckermärkischen Landweg gen Angermünde folgen. Zurück zum Ausgangspunkt besteht die Auswahl zwischen einem zauberhaft uckermärkischen Hügelweg oder der wiesigen Spur, die entlang der Bahn verläuft. Rechnen Sie auf der benachbarten Weide mit tiefschwarzen Rindviechern, deren Rasse nach einem australischen Gitarristen benannt wurde, sowie auf allen Wegen mit plötzlich aufstiebenden, farbenfrohen Fasanen!

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken, dann „Speichern unter…“)

Cottbus (optional Verlängerung auf dem E 11 nach Neuhausen)

Wustrau-Altfriesack (optional Verlängerung ins Luch)

Heiligenseer Weg (Tegel-Hbf.)

Burg Rabenstein

Blumberger Mühle (optional Verlängerungen Wolletzsee etc.)

Links:

Cottbus

Informationen zum Branitzer Park

Tourismus-Informationen Cottbus

Wanderweg E 10

Wustrau-Altfriesack

Ortsinformationen zu Wustrau

Wassermühle Wustrau

Ortsinformationen zu Altfriesack

Von Alt-Tegel zum Berliner Hauptbahnhof

Informationen zum Grünen Hauptweg Nr. 3 „Heiligenseer Weg“

Familien-Information zur Promenade am Tegeler See

Flughafensee am Flughafen Tegel

Invaliden-Friedhof Berlin-Mitte

Burg Rabenstein

(das Backhaus vor der Burg gibt es leider nicht mehr)

Fläming-Falknerei nahe der Burg

Naturpark-Zentrum Hoher Fläming in Raben

Blumberger Mühle

Naturerlebniszentrum Blumberger Mühle

Fischteiche Blumberger Mühle

Biberbus zur Blumberger Mühle

Niederfinow: Alte Schleusen, kleine Bäche und das gediegene Kanal-Tal

Manche Tage hinterlassen im Zusammenspiel ihrer Umstände lupenreine Poesie, teilweise schon während ihrer Laufzeit. Zu diesen Umständen zählen neben der jeweiligen Landschaft und ihren Charakterzügen das Zusammenspiel von Wetter, Licht und wie beides in die Jahreszeit oder den Monat passt. Einiges davon ist beeinflussbar oder gemäß Erfahrungswerten und Wahrscheinlichkeiten erhoffbar, anderes ergibt sich vollständig unerwartet oder schärft bisher unbekannte Gesichtslinien einer vertrauten Gegend nach.

Finowkanal in Niederfinow
Finowkanal in Niederfinow

Viele Landschaften Brandenburgs werden von fließenden Gewässern geprägt. Das müssen nicht nur die großen und kleineren Flüsse sein. Gerade auch Bäche und Fließe, die sich ohne Kopf- und Kniezerbrechen überspringen lassen, sind von markanter und bezaubernder Landschaft begleitet, für die sie in den allermeisten Fällen selbst verantwortlich sind. Sogar Kanäle, die ja nachweislich von Menschenhand geschaffen wurden und mit ihren geradlinigen Verläufen die Luftlinie anstreben, ziehen ihren Lauf durch ein exzellentes Gemisch aus Natur- und Kulturidylle mit manch gesalzener Prise Industriekultur. Und sind oft älter, als man denken sollte.

Ein Ausflug zu solchen wassergeprägten Landschaften bietet meist eine sichere Bank, wenn harmonische und abwechslungsreiche Touren mit einem Mindestmaß an Wonnigkeit gewünscht sind. Vielleicht zur Drahendorfer Spree mit ihren launigen Bögen, die in ihrem Übermut fast einmal zum Oder-Spree-Kanal durchstößt, nur unweit der Kersdorfer Schleuse. Oder die Havel nördlich von Zehdenick, die sich hier zwischen unzähligen Stichteichen hindurchschummelt. Die Dosse in ihrem Unterlauf bei Sieversdorf und Hohenofen, die kanalsachlich und doch zutiefst liebenswert durch ihr flaches Felderland gen Havel strebt. Oder der oftmals abgeschiedene Rhin, der sich in einer regelrechten Mäander-Orgie seinen Weg durch die üppigen Wälder der Ruppiner Schweiz bahnt, als wäre er von Waldgeistern ersonnen. Das könnte jetzt ohne Ende so weitergehen, wobei die voranstehende Auswahl nichts hat, was repräsentativ zu nennen wäre.

Zugbrücke und Kirche in Niederfinow
Zugbrücke und Kirche in Niederfinow

In einigen Fällen fließt direkt neben einem begradigten oder kanalisierten Fluss nach wie vor auch seine ursprüngliche Version. Wie zum Beispiel die Havel zwischen Zehdenick und Liebenwerder, deren leicht durchgeknallte Schnellversion im Vergleich zum geradlinigen Hauptfluss sicherlich dreimal mehr Flusskilometer sammelt. Ähnlich sieht das im Kleinformat bei der hochromantischen Schlaube zwischen Groß Lindow und Brieskow aus, die in Sichtkontakt zum einstigen Friedrich-Wilhelm-Kanal ihren Gefühlen freien Lauf lässt. Jener ist nicht minder romantisch, und das will schon etwas heißen.

Ein weiterer Fall von historischem Kanal und benachbartem Fluss ist der Finowkanal kurz vor seinem östlichen Ende an der Alten Oder. Der Ursprung des namensgebenden Flüsschens liegt kurz hinter dem C-Bereich des Berliner Nahverkehrs. Hinter Biesenthal gewinnt die Finow an Format, strebt weiter nach Norden und endet als Fluss faktisch am schleusenreichen Finowkanal, der trotz seiner 400 Jahre noch voll funktionstüchtig ist. Für die zeitliche Einordnung ergibt sich durchaus eindrucksvoll, dass beim ersten Spatenstich Shakespeares Hamlet noch halbwegs warm in den Regalen lag, und als der westliche Kanal-Abschnitt der Nutzung übergeben wurde, war der Großvater vom alten Bach noch Quark im Schaufenster.

Der Kanal hat mit diesem westlichen Abschnitt schon sein erstes Drittel auf dem Buckel, als Langer Trödel fast schnurgerade und doch einzigartig schön zwischen Liebenwalde und Zerpenschleuse, dann ab dem Wasserstraßenkreuz mit seinem großen Bruder schon etwas kurvenfreudiger. Ab dem Zusammentreffen mit der Finow trägt er ganz klar die Handschrift eines lebendigen Flusses, wovon auch ein paar abgehängte Altarme zeugen. In Richtung Osten wurde das keineswegs geradlinige Bett der Finow ohne nennenswerte Anpassungen übernommen und lediglich bis zur Schiffbarkeit ausgekuschelt.

Die Kirche über dem Dorfe, Niederfinow
Die Kirche über dem Dorfe, Niederfinow

Dort, wo das aufgrund enger Flußbiegungen und Auenmäander dann doch zu weit gegangen wäre, kommt es zur Aufspaltung. Ab der Försterei Kahlenberg, kurz hinter der Ragöser Schleuse, flossen Kanal und Finow getrennte Wege. Was an letzterer hier noch wild war, hat sich im Lauf der letzten hundert Jahre abgeschliffen, so dass der Ursprungsverlauf nur noch an wenigen Stellen erkennbar ist. Lediglich das Abstrakt des Grenzverlaufes bewahrt ein detailgetreues Abbild aller Biegungen, unterstützt von einigen unverdrossenen Baumreihen als Dechiffrierhilfe. Was jedoch geblieben ist, obendrein sehr dauerhaft, ist der ausgeprägte Talcharakter dieses moränenhügligen Abschnitts zwischen Eberswalde und Oderbruch, der auch unsere brennende Frage beantwortet, wie eine künstliche Wasserstraße zu einem derart bezaubernden Tal kommt. Denn eine sinnenschmeichelnde Landschafts-Modellierung solchen Umfanges hätte sicherlich selbst königliche Kassen überfordert.

Jedenfalls stand nach zwei durchwachsenen der Wunsch nach einer lieblich-kernigen und idyllischen Tour ohne große Unwägbarkeiten, was das Vorhandensein von Wegen betrifft. Wirklich einfach nur abschalten, die Füße machen lassen und genießen. Weißes Rauschen im Kopf, überzogene Kontraste und satte Farben in der Optik. Sich Wandermarkierungen anvertrauen und hier und da einen Wegesammler-Aufkleber ans schwarze Brett pappen. Führte der letzte Besuch von Niederfinow in die Berghänge und die weiten Wiesen des Oderbruchs, sollte heute voll und ganz der Finow-Kanal im Blickpunkt stehen.

Am Ortsrand mit Blick auf die Oderauen, Niederfinow
Aufstieg am Ortsrand mit Blick auf die Oderauen, Niederfinow

Niederfinow

Auf der Zugbrücke stehend wäre es für Maler vermutlich schwierig, sich für ein erstes Motiv zu entscheiden. Die attraktive Brücke selbst oder die Fachwerk-Kirche am Berg, der wonnige Wiesenpfad am Ufer oder der Blick in die wasserdurchfurchten Weiten des platten Tales der Alten Oder – das eine eher für stimmungsvolle Aquarelle geeignet, das andere für detailversessene Bleistiftzeichnungen oder Radierungen. Das dritte vielleicht für Ölgemälde und im Versuche, das Spiel mit dem Licht auf die Spitze zu treiben.

Wie auch immer, jedenfalls zog uns dieser reifknirschende Wiesenpfad hinter den Zäunen und Mauern der ersten Hausreihe umgehend hinab zum Ufer und entfesselte dort Schwärmereien und Wonnetöne, so dass glatt die kleine Extrarunde auf die Höhe vergessen wurde. Also losgerissen fürs Erste, zurück auf Anfang und Neustart bei der Brücke, vorbei unterhalb der Kirche und im Bogen durch den Ort. Am Himmel sorgen die Wetterlage und allerlei Flugzeuge für breitzerfranste Kondensstreifen, die einen kathedralenhaften Bogen über die goldglänzende Spitze der Kirche schlagen, während noch einiges höher ein Flugzeug für Nachschub sorgt.

Der Finowkanal bei der Stecherschleuse
Der Finowkanal bei der Stecherschleuse

Voraus kommen die beiden Schiffshebewerke in Sicht, das eine filigran aus stählernem Gebälk, das andere kompakt und leicht futuristisch aus Beton gebaut. Gleich darauf zweigt links diskret ein Weg ab, der vorbei an niedrigem Gebäum auf die Höhe führt. Die Aussicht liegt nicht viel höher, doch sie ist weit und panoramisch und verlangt nach einer Pause.

Der Abstieg unterhalb der Kirche bietet zum ersten Mal dieses Gefühl von lieblichem Mittelgebirge, das sich bei den oderländischen Übergängen zwischen bewegten Moränenhöhen und dem flachen Oderbruch an so vielen Orten einstellt. Bei Reitwein am gleichnamigen Sporn oder mitten in Lebus, gleichermaßen in den ausgedehnten Mini-Gebirgen rund um den Sprungschanzen-Ort Bad Freienwalde. Dazu gehören auch zahllose Bachtäler mit ihren glasklaren Wässerchen, jedes für sich von einer naturverliebten Romantik, die einem das ferne Wort „Entzücken“ mal wieder ins Gedächtnis ruft. Für Leute, die auf Fakten stehen, verweise ich auf eine mögliche Tour gleich um die Ecke bei Oderberg, die bei einer Länge von vierzehn Kilometern auf reichlich 300 Höhenmeter kommt und passabel als Vorbereitung auf einen Urlaub in den Bergen taugt.

Am westlichen Ende des Dorfes, Niederfinow
Am westlichen Ende des Dorfes, Niederfinow

Zum dritten Mal an der Zugbrücke, betreten wir zum zweiten Mal den Uferpfad, dessen Wiesen jetzt nicht mehr frostig weiß kandiert sind, sondern saftig grün und triefend nass. Das Gegenufer liegt noch komplett unter Kristall und wird das auch den Rest des Tages beibehalten. Zu beiden Seiten des Tals erheben sich gut sichtbar die Flanken des Finow-Taldurchbruches. Den gibt es in dem Sinne nicht, doch einen solchen Namen hätte diese eindrucksvolle Landschaft verdient. Drüben auf den Weiden grasen Pferde, scheinbar weit entfernt, wie hinter Dunst. Ein Eisvogel flitzt kurz über dem Wasser entlang, genau über der Kanalmitte. Sicherlich mit guten Grund. Hinter den Höhenzügen erhebt sich lautstark eine Schar von Kranichen über das Oderbruch, die immer noch größer wird und lauter.

Die Straße nach Stecherschleuse führt direkt vor dem Hang entlang und ist fast frei von Verkehr, so dass hier entspannt getrödelt werden kann. Nicht getreidelt hingegen, denn kleine Pfade, die noch vor ein bis zwei Jahrzehnten direkt am Ufer verliefen, sind in Vergessenheit geraten und dornig zugewachsen, bilden nunmehr schöne Zufluchtsorte für allerlei Getier. Immer wieder gibt es kleine Zuflüsse, teils von Rinnsalen, deren Quelle keine 500 Meter liegt von hier.

Filigrane Baumkronen am Kanal, bei Försterei Kahlenberg
Filigrane Baumkronen am Kanal, bei der Försterei Kahlenberg

Stecherschleuse

Hinter der Stecherschleuse, einem Bauwerk, das trotz moderner Überarbeitung noch immer wirksam Historie ausstrahlt, steht am Wasser eine Rastbank. Die kleine Bucht vor den winterfesten Schleusentoren ist unbewegt und hat Eis angesetzt, schon stark genug, um die dickste Katze des Dorfes zu tragen. Direkt hier beginnt ein wunderbarer Pfad, der eine halbe Stunde im Genießerschritt direkt dem Ufer folgt. Das verlangt eine Entscheidung, denn die Dorfstraße unterm Hang hat auch ihren Reiz. Und erhält den Zuschlag, dieses Mal.

Die Häuser sind hier noch dichter an den Hang geschmiegt und werden nach und nach weniger, bevor am Ortsrand die Straße endet und sich zwiegespalten fortsetzt als asphaltiertes Fahrrad-Band im Rahmen der über tausend Kilometer langen Tour Brandenburg. Parallel verläuft auf sandigem Waldboden ein gemütlicher Fahrweg. Am Waldrand stößt von links der Zubringer vom Uferweg hinzu. Der Tag ist himmelblau und sonnig, und so scheint das Licht im wipfeldichten Nadelwald regelrecht diffus, durchaus wohltuend für den Augenblick.

Die Ragöser Schleuse
Die Ragöser Schleuse

Försterei Kahlenberg

An der Försterei Kahlenberg stehen zwei prächtige Waldhäuser, die herrliche Kulissen für Märchenfilme abgeben dürften. Direkt dahinter geht der Weg in einen pittoresken Bogen, der von Buchen bestimmt ist, vom leuchtenden Laub am Boden und den glatten grauen Stämmen gleich darüber. Noch einmal verläuft er dann direkt am Ufer des Kanals, der schon abendliche Ruhe ausstrahlt, obwohl die Sonne gerade erst ihren Zenit verlassen hat. Doch der liegt eben eher so auf Kniehöhe, wenn es die Zeit ist für Adventskranzkerzen. Das Ragöser Fließ, das kurz zuvor recht keck den Oder-Havel-Kanal unterflossen hat, mündet mit elegantem Hüftschwung ein, und vorn im Blick liegt schon die gleichnamige Schleuse.

Vereistes Schleusenbecken, Ragöser Schleuse
Vereistes Schleusenbecken, Ragöser Schleuse

Ragöser Schleuse

Hier ist eine der schönsten Möglichkeiten, ans andere Ufer des Finowkanales zu gelangen, und auch diese Schleuse atmet gute alte Zeit. Drüben erstrecken sich scheinbar endlose Stoppelwiesen zwischen den Ufern des Kanals und dem Damm der eingleisigen Bahn. Gleich dahinter beginnt wieder schönes Hügelland voller Wald, mit ausgestreckten Taleinschnitten.

Einen Sohn mit seinem Vater und einer kniehohen Promenadenmischung in weiß-geschecktem Kurzstrupp zieht es förmlich hinaus in diese Weite der breiten und schmalen Halme. Man kann es gut verstehen, zumal die tiefstehende Sonne den langen Talgrund in ein spezielles Licht taucht und den Schatten manchen Grasbüschels auf dem benachbarten zu einem kleinen Schauspiel geraten lässt. Zudem greift schon der Filter des flachen Winkels, entfacht weit im Westen ein Glutlodern am Himmel und startet damit ein berauschendes Schauspiel des langwelligen Lichtes. Das klingt dick aufgetragen, doch es trifft die Sache.

Weg durch die Wiesen, unweit der Ragöser Schleuse
Weg durch die Wiesen

Schön an dieser Szene mit Vater und Sohn ist, dass es so aussieht, dass beide vollkommen offline unterwegs sind. Sowohl technisch als auch gedanklich. Da schwimmt keine Besorgnis mit, eine wichtige Nachricht zu verpassen oder irgend etwas Neuestes erst als Zweiter oder Dritter zu erfahren. Die beiden sind einfach zusammen losgezogen, das letzte Licht des Tages auszunutzen und werden dies wahrscheinlich bis ins Letzte auskosten. Sicherlich mit Taschenlampe in der Hosentasche. Der Gescheckte springt voran, tritt manchmal daneben im hohen Kraut und schaut sich in regelmäßigen Abständen um, ob die beiden auch hinterherkommen. Das tun sie, tiefenentspannt, mit weit geöffnetem Geist. Und schaufeln dabei unbemerkt Wahrnehmungen fürs Langzeitgedächtnis.

Ein leicht verwachsener Weg lockt strohig mitten über die durchfeuchteten Wiesen, auf welchen jedoch den größten Teil des Jahres schweres Weidevieh seine Fladen absetzt. Der ausgeschilderte Wanderweg, der auch das Eberswalder Zentrum flankiert, führt direkt unterhalb des Bahndammes entlang, auf dem jede Stunde ein Züglein vorbeieilt. Hier betreten wir jetzt nicht nur den Rückweg nach Niederfinow, sondern zugleich den frostigen Teil der Tour. Die Talflanke liegt nach Norden und erhebt sich ziemlich direkt und teils hoch bewaldet, so dass hier den ganzen Tag und noch viele weitere kein Sonnenlicht hinkommen wird. Alles ist von frostigen Kristallen bedeckt, was insbesondere bei den sachlichen Halmen des Ginsters wie teure, durchaus reizvolle Designer-Kunst aussieht. Fürs Foto war das Licht leider zu knapp.

Abendbrotzeit im kühlen Seitental
Abendbrotzeit im kühlen Seitental

Während unser Blick auf die grüne und farbensatte Hälfte des Tages fällt, führen unsere Schritte hier durch eine fast monochrome Winterlandschaft, ein frostiges Schattenreich aus dunklen Stämmen und weißem Ast- und Halmwerk, denn die Sonne ist nun endgültig hinter den Hängen versackt. Man ist bestrebt, äußerst flach zu atmen, um dieses stille Reich bei nichts zu unterbrechen. Wieder mischen sich zahlreiche Mittelgebirgs-Impressionen ins Bild, auch hier auf der anderen Seite des Kanal-Tales. Oben im letzten Licht steil aufragende Kuppen mit hochgewachsenen Kiefern, unten am Hang altgewachsene Eichen, die den Weg als Waldrand begleiten.

Frostiger Weg am Nordhang
Frostiger Weg am Nordhang

Wir queren ein kleines, reifweißes Seitental, das vom Walde her aussieht wie eine zugefrorene Fjordbucht. Noch eins von diesen glasigen Bächlein kommt von der Höhe und strebt weiter hinab ins Tal, den verbliebenen Höhenmeter bis zum tiefsten Punkt. Die folgende Ausbuchtung nimmt der Weg komplett mit. Hier stehen zwischen allerhand Strohrollen Kühe, denen in nächster Zeit keine Gefahr durch Sonnenbrand droht. Sie stehen still und sparen jetzt schon Energie – da scheint ein Wildnis-Gen noch seine Arbeit zu verrichten, ein letzter Rest vom sagenhaften Auerochsen. Andere stecken einfach ihren Kopf tief ins verdichtete Stroh und arbeiten sich vor zum wohlschmeckenden Kern der Rolle. Ein Kälbchen steht bestens windgeschützt unter einem strohbepackten Hänger und ist dort nicht alleine. Gegenüber in den Häusern gehen die ersten Lichter an.

Die weiße Tageshälfte im Abendlicht
Die weiße Tageshälfte im Abendlicht

Zuletzt schwenkt der Weg direkt nach Osten und gestattet damit einen weiten Blick auf das Spektakel, das der Abendhimmel von der Kette lässt. Die Wege und Wiesen sind noch stärker bereift, da die Talflanken hier noch steiler aufsteigen. Das Zusammenspiel von weißer Natur und flammendem Himmel sorgt dafür, dass wir nicht gut vom Fleck kommen, uns immer wieder umdrehen. Obwohl es langsam Zeit wird anzukommen, denn bald schon wird es zappenduster sein.

Die elektrische Befeuerung des Sportplatzes am Rande des Ortes vermeidet ungelenkes Tappen, und einen Schwibbbogen und ein Lichterbäumchen später stehen wir schon am Bahnhof. Dank zweier Kannen Thermostee nicht durchgefroren, sondern wohltemperiert. Und tagesmüde. Jetzt muss schnellstens Energie her.

Letztes Licht auf dem Dorf, Niederfinow
Letztes Licht auf dem Dorf, Niederfinow

Da passt es gut, dass nur eine Bahnstation weiter in Eberswalde der dortige Weihnachtsmarkt stattfindet, heute den achten von zehn Tagen, also schon gut warmgelaufen. Den Rahmen gibt die gekonnt ausgeleuchtete Kulisse von Rathaus und fachwerklichen Markthäusern, etwas oben von der Seite steuert der Kirchturm ein paar dezente Lichter bei. Hier gibt es neben herzigen Angeboten für Kinder und einem kleinen Bühnenprogramm vorrangig Spezereien für Gaumen und Kehle, solche für sofort und andere zum Verschenken. Der marktansässige Traditionsbäcker backt in Echtzeit Brot, und auch das regionale Handwerk ist vertreten.

Motorloses Karussell, Weihnachtsmarkt Eberswalde
Motorloses Karussell mit stromloser Musik, Weihnachtsmarkt Eberswalde

Verdienter Blick- und Lauschfang ist ein Karussell aus Omas Tagen, in dessen unrotierter Mitte musiziert wird, mit Akkordeon und großem Kontrabass. Drum herum fahren von Hand gehalten und von Bein bewegt Kaffeehaustische mit Biergartenstühlen, festgeschraubt und gut gebucht. Gleich daneben der kleine Spalierwald ist großzügig bestückt mit bunten Kugeln, am Stand dahinter gibt es feine Eberswalder Würstchen in allen Varianten. Friedlich ist es hier und schön, gut besucht und das Gedränge nicht zu dicht. Das Karussell gönnt sich gerade eine Pause, die Instrumente ruhen aus. Über all dem hängt eine zerbrechlich dünne Mondsichel und stellt für einen Augenblick die Wirklichkeit in Frage.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Regionalbahn von Gesundbrunnen über Eberswalde (ca. 1 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über Autobahn (Ausfahrt Finowfurt/Eberswalde) oder über Land auf der B 158/B 168 (jeweils ca. 1 Std.)

Länge der Tour: ca. 16 km (bis auf Weglassen des östlichen Kringels keine Abkürzung möglich)

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken, dann „Speichern unter…“)

Links:

Ortsinformationen Niederfinow

Ortsinformationen Stecherschleuse

Artikel zum Finow-Kanal (Märkische Oderzeitung)

Informationen zum Finow-Kanal (PDF)

Einkehr: Forellenhof (Fischrestaurant, Imbiss und Laden), Ragöser Schleuse

div. Gastronomie bei den Schiffshebewerken (nordöstlich des Ortes)

Ausgeschweift – Leegebruch: Hauszeichen, kleine Strände und der lange Weg zur Havel

An manchen Tagen, bevorzugt an etwas graueren, steht der Sinn nach Touren von einer gewissen Sprödigkeit – aus unbekanntem Grunde. Vielleicht ja aus Wegesammel-Leidenschaft und Freude am Vervollständigen. Oder aus Neugier auf Gegenden, die kaum jemand durchstreift. Vielleicht auch aus verschmitztem Trotz, die Motive eben dafür zumindest teilweise zu widerlegen. Lässt sich nicht fast überall irgendetwas Schönes entdecken – oder etwas Spannendes, und ist denn das Spannende zwangsläufig immer kantig?

Im vorliegenden Fall lag der Hauptteil der Neugier auf der weiten Fläche zwischen Oranienburg und Leegebruch, die sich entlang des Oranienburger Kanals zieht, gleich nördlich vom ewig hektischen Band des Berliner Rings. Auf Karten, die nicht viel älter als zehn Jahre sind, gehörte diese Landschaft zum einen dem Moorgraben, der ohne Hast aus den Wäldern bei Germendorf daherkommt, und zum anderen einem Flugplatz, der zu kaum einer Zeit seines Bestehens ein Ort der Öffentlichkeit war und verschiedene Runden der Geschichte kommen und gehen sah.

Herbstliche Siedlungsstraße in Leegebruch
Herbstliche Siedlungsstraße Karl-Marx-Straße in Leegebruch

Oft haben diese spröden Touren mit schnell befahrenen Straßen zu tun, mit Stadtrand und großflächigem Gewerbe, dichtem Gewirr von Oberleitungen aller Voltstärken und einem durchgängigen Lärmpegel, der für viele Ausschluss-Kriterium für einen erholsamen Spaziergang wäre. Völlig zu recht. Diesem letzten Kriterium lässt sich unter Beachtung der Windrichtung ein wenig von seiner Schlagkraft nehmen. Eine stark befahrene Schnellstraße kann windabgewandt fast lautlos sein, selbst wenn sie nur einen beherzten Steinwurf entfernt verläuft. Das bietet einen Hauch von Amusement, wenn Fahrzeuge etwas gereizt kurz vor der eigenen Nase vorbeirasen und dabei nicht zu hören sind. Ähnlich wie stark und wichtig mimende und gestikulierende Talkshow-Gäste im Fernsehen, wenn man den Ton stummschaltet.

Ganz davon abgesehen kann aber im Rahmen einer solchen Tour der Fokus unerwartet verrutschen und in der Nachschau etwas völlig anderes einprägsam bleiben, die trotzige Erwartung quasi überrumpelt werden. Manchmal sogar gänzlich frei von den angenommenen Ecken und Kanten, sondern bunt und unterhaltsam, trotz grauen Wetters.

In Fall von Leegebruch waren das einprägsame Siedlungshäuser, die nach späten 1930er oder frühen 1940er Jahren aussehen und sich ausgehend von der Hauptstraße in langen Reihen nach Norden und Süden erstrecken. Diese Hauptstraße bildet ganz klar das Herz des Ortes und verfügt über ein hervorragendes Konditorei-Café, eine ebendort beginnende höhergelegte Ladenzeile zu beiden Seiten der Straße und etwas abseits einen kleinen Ruheplatz, der von überdachten Arkaden umgeben ist. Am anderen Ende gibt es noch eine gemütliche Kneipe. Leegebruch erscheint lebenswert und sympathisch und als Ort, dessen Charme am besten zu Fuß zu entdecken ist.

Herbstlicher Querpfad in Leegebruch Nord
Herbstlicher Querpfad zum Mittelweg, Leegebruch Nord

In der Draufsicht passt der Vergleich eines Libellenkörpers ganz gut auf das ausgedehnte Dorf mit seinen Siedlungsstraßen, wenn diese westöstlich verlaufende Hauptstraße der Rumpf ist und die länglichen Flügel mit ihrem feinen Statikgeäst die stets leicht gekrümmten Straßen mit ihren Häuserreihen und den Querpfaden. In letzter Zeit kamen noch weitere Wohngebiete dazu, so dass es sich derzeit eher in Richtung Schmetterling entwickelt.

Charakteristische Siedlungen gibt es in vielen Orten und Städten in Brandenburg und auch sonst im Lande. Meistens entstanden sie direkt im Kielwasser großer Industriebetriebe, und fast jede von ihnen trägt recht deutlich eine eigene Handschrift. In Ludwigsfelde steht südlich der Autobahn eine eindrucksvolle Siedlung aus dunklen Holzhäusern für die damaligen Beschäftigten des Daimler-Werkes. Das ganze innere Eisenhüttenstadt in seinem imposanten Zuckerbäckerstil wurde für die Belegschaft des Eisenhüttenkombinates aus dem Boden gestampft, die seinerzeit aus allen Winkeln der DDR verlesen wurde. Vor den Toren von Eberswalde gibt es in Finow am Kanal die Messingwerksiedlung mit ihrem markanten Wasserturm, und selbst im kleinen Oderberg findet sich eine dieser besonderen Häuserrreihen. Ich glaube jedenfalls, dass es Oderberg war, doch es ist schon eine ganze Weile her. In der Tat war es dann doch Havelberg, wie Nachforschungen ans Licht brachten – doch da gibt es ja zumindest vom Wort her eine hohe Analogie zu Oderberg.

Markante Siedlungen in Berlin sind neben der bekannten Britzer Hufeisen-Siedlung das Märchenviertel in Friedrichshagen oder die Tuschkasten-Siedlung in Bohnsdorf, man kann in dieser Hinsicht jedoch auf dem ganzen Stadtgebiet viel entdecken. Wem es also Spaß macht, solche stadtplanerischen Unikate zu durchstreifen und Häuser und Gärten zu bestaunen, der braucht Leegebruch gar nicht zu verlassen, kann trotzdem ein bis zwei Stündchen an der frischen Luft unterwegs sein und dabei angemessen unterhalten werden.

Siedlungsstraße An den Schlenken in Leegebruch
An den Schlenken in Leegebruch

Unter den zahlreichen Besonderheiten der Siedlungen in Leegebruch stechen besonders die schönen und vielfältigen Hauszeichen hervor, die viele der Häuser an ihren Wänden tragen. Unter anderem sind das Zunftzeichen, Pflanzen und Tierkreiszeichen, jeweils etwa so groß wie ein Kellner-Tablett und fester Bestandteil des Mauerwerks. Streift man zu Fuß umher, sind besonders willkommen auch die zahlreichen Schleichwege, die ohne festes System zwischen den Häuserreihen oder auch parallel zu den Haus- und Gartenreihen verlaufen, meist grün und verkehrsfrei. So kann sich treiben lassen, wer das möchte, endlose Kringel und Schlaufen gehen und immer wieder Neues entdecken. Oder den Ort mit seinen Straßen ganz strukturiert aufrollen und die unterschiedlichen Gestaltungen der weitgehend baugleichen Häuser studieren. Langweilig sehen diese an keiner Stelle aus. Auffällig ist weiterhin, dass der zweite Teil des Ortsnamen im Ortsbild stets präsent ist – überall ziehen sich trockene und nasse Gräben durch die Siedlungen, so dass niemand mit feuchten Kellern Probleme haben sollte.

Noch vor etwa hundert Jahren war Leegebruch nicht viel mehr als ein Hof und hatte vordergründig mit königlich-preußischem Pferdenachwuchs zu tun, der auf seinen Wehrdienst mit dem zu erwartenden Radau vorbereitet wurde. Bis zum Einzugstermin dürften die Bemähnten es dort ganz schön gehabt haben, mit viel Auslaufplatz und saftigen Weiden.

Die Antwort darauf, wie in wenigen Jahrzehnten aus so wenig so viel wachsen, aus einem Gehöft eine Dorf so groß  wie eine Kleinstadt entstehen konnte, liefert recht verschwiegen das weite Gelände, das heute zwischen der Oranienburger Umfahrungsstraße und dem Oranienburger Kanal liegt.

An Oranienburger Kanal auf Höhe der Flugzeughalle, Oranienburg
An Oranienburger Kanal auf Höhe der Flugzeughalle, Oranienburg

Hier bauten die Heinkel-Werke in der Zeit des Dritten Reiches eine Fabrik für Kampfflugzeuge mit angeschlossenem Flugplatz. Damit die aus dem ganzen Land herbeigeholten Fachkräfte untergebracht werden konnten und auch gerne blieben, wurde in nur wenigen Jahren der Ort komplett neu entwickelt – inklusive Ladenstraße, Gemeinschafts- bzw. Kulturhaus und den direkt angebundenen Wohnsiedlungen. Die Häuser waren modern und komfortabel ausgestattet und konnten per Abzahlung erworben werden, samt Grund und Boden. Jedes hatte einen Garten von ordentlicher Größe, in den meisten Fällen vorn mit Zugang zum Haus und separater Hinterpforte im Garten. Da die Häuser über hunderte Meter von identischer Bauart waren, halfen die Hauszeichen sowohl den heimkommenden Schulkindern als auch feierabendlichen Arbeitern mit bierseliger Orientierung, nicht an ihrem Haus vorbeizulaufen oder den Schlüssel in eine fremde Türe stecken zu wollen.

Der erwähnte Moorgraben, bei Leegebruch schon deutlich zu breit zum Überspringen, ist übrigens der winzige Beginn dessen, was später unter dem erhabenen Namen Großer Havelländischer Hauptkanal bis zum Unterlauf der Havel bei Hohennauen reicht, weit im Westen von Brandenburg. Knapp hundert Fließ-Kilometer von hier, ganz kurz vor der Grenze nach Sachsen-Anhalt. Und das nicht erst seit hundert Jahren – dreihundert kommt eher hin, denn verantwortlich für den langen Kanal zeichnete der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. Das späte Zusammentreffen mit der Havel wirkt ein wenig kurios, wenn nicht sogar schrullig, schaut man auf die Karte und sieht die Havel schon hier im benachbarten Oranienburg vorbeiziehen. In kaum zwei Kilometern Luftlinie.

Herbstlicher Radweg entlang des Oranienburger Kanals, Oranienburg
Radweg entlang des Oranienburger Kanals, Oranienburg

Der junge Moorgraben zieht sich in unbeschwerten Biegen relativ diskret durch das Acker-und Wiesenland, das er maßgeblich mitgeprägt hat. Samt dem alten Legebruch, das wie erwähnt auch als heutiges Örtchen Leegebruch in allen Winkeln seine bodennasse Handschrift trägt. Als eine der einzigen über die Jahrhunderte währenden Konstanten hier dürfte er über die Zeiten wenig beeindruckt gewesen sein von all dem, was sich in östlicher Richtung so abspielte, gen Oranienburg. Da kam zunächst der Oranienburger Kanal, um die hundert Jahre jünger als der Große Havelländische und gelegen etwa auf der Mitte zwischen der hiesigen Havel und dem Moorgraben. Wieder hundert Jahre später wurden die erwähnten Fabriken samt Flugplatz gebaut, dessen Start- und Landebahn etwa so lang war wie ganz Leegebruch nach dem Bau der Siedlungen. Der blieb dann eine ganze Zeit, wurde nach dem Krieg von den russischen Besatzern weitergenutzt und verlor erst mit deren Abzug ein paar Jahre nach der Wende seine Funktion. Bis heute verfällt widerstrebend das, was noch übrig ist und bietet einen verlockenden Abenteuerspielplatz für verschiedene Interessen-Gruppen, wenn auch der Zutritt nicht gestattet ist.

Nach der letzten Jahrtausendwende wurde die längst fällige Ortsumfahrung für Oranienburg gebaut, welche fast die komplette Landebahn in ihren Verlauf einbezog. Als Nebeneffekt erhielt Leegebruch eine deutlich verbesserte Anbindung an das Schnellstraßennetz und darüber hinaus seinen eigenen Baggersee mit mehreren Stränden an den gesicherten Ufern im Osten und Süden.

Steg-Schilf-Idyll am jenseitigen Ufer
Steg-Schilf-Idyll am jenseitigen Ufer

Zwischendurch gab es verschiedene Ideen für die Nutzung des verbleibenden Flugplatz-Geländes. Die kurioseste und zugleich exotischste darunter war es, eine Art Chinatown im besten Sinne zwischen Schnellstraße und Kanal aus dem märkischen Sand zu stampfen. Es sollte ein komplett neuer Stadtteil im chinesischen Stil etabliert werden, mit allem Drum und Dran, sogar einem Tempel und einer Miniatur-Ausgabe der Chinesischen Mauer als Schallschutzmaßnahme. Das klingt gleichermaßen romantisch wie pragmatisch. Ob es für die angedachten Bewohner so attraktiv klang, mitten auf dem Acker und fernab einer größeren Stadt, fragt sich bis heute. Und ob das kleine Oranienburg so viel Exotik in dieser geballten Form verkraftet hätte. Oder ganz neu erblüht wäre, was es ja einige Jahre später in Form der Landesgartenschau tat. Die bunten Bilder, welche einem die eigene Phantasie zu Chinatown am Havelkanal vorschlug, haben auf jeden Fall neugierig gemacht. Doch mehr als eine Idee ist nicht daraus geworden, und 2008 war die Sache wieder vom Tisch.

Mitterweile verteilen sich auf dem Areal verschiedene Nutzungen. Ganz im Norden holt sich die Natur nach und nach ihren Raum zurück, dazwischen halten sich neben der großen Flugzeughalle noch einige Nebengebäude und ein Rest der Landebahn. Südlich davon steht mittlerweile ein großes Logistik-Zentrum für Waren des täglichen Bedarfs, direkt angrenzend wird etwas Sonnenenergie geerntet. Noch weiter im Süden hat sich ein Unternehmen angesiedelt, das sein Geld mit Kartonagen und Pappe verdient. Und fast schon an der Autobahn wächst seit etwa zehn Jahren ein neuer Baggersee, der schon erste Badestellen hat, während gegenüber die Bagger tüchtig Material verlagern. Zwischen den beiden Letztgenannten bleibt noch genug Platz für ausgedehnte Spaziergänge über Äcker, Wiesen und entlang von Pappelreihen. Dieser Fakt ist sicherlich dem Wasser zu verdanken, das hier mittels zahlreicher Gräben im Zaume gehalten wird.

Blick über den Leegebrucher Baggersee
Blick über den Leegebrucher Baggersee

Wer also ausführlich durch Leegebruch getigert ist und nach diesen ganzen Eindrücken noch etwas den Kopf ausschütteln und in die Länge und Weite stieren möchte, kann den Ort in Richtung Nordosten verlassen und einen weiten Bogen schlagen, der an heißen Sommertagen auch gut als Badetour funktioniert. Bis zum Oranienburger Kanal gibt es entlang der Straße einen Fuß- und Radweg, bevor man drei schöne und meist schattige Kilometer entlang des Kanales schlendern kann. Einstiegsmöglichkeiten ins Wasser bieten sich alle paar hundert Meter, wenn auch die beiden eigentlichen Strände am jenseitigen Ufer liegen. Wer dann etwas hinter der Schleuse auf Höhe des Wasserwerkes den Kanalweg verlässt, kommt nach zahlreichen Abbiegungen zu den Stränden des Sees bei Leegebruch, der noch auf einen schönen Namen wartet.

Zum Abschluss gibt es noch einen Nachschlag in Sachen Siedlung und Bruchgräben, bevor wieder die Symmetrie-Achse der Leegebrucher Schmetter-Libelle erreicht wird. Dass es hier neben königlich-preußischen Schlachtrössern, nationalsozialistischen Flugzeugfabrikanten und sowjetischen Besatzern noch eine andere Zeit gab, davon kündet die „Straße der Jungen Pioniere“, die sich ihren Namen bis heute erhalten hat. Abgesehen von all diesen überbordenden Seiten der Orts-Chronik macht Leegebruch den Eindruck, als wenn es sich ganz wohl fühlt, so wie es heute ist. Und wir freuen uns schon auf eine baldige Wiederholung des heutigen Wegeknäuels – bei weniger grauem Wetter.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): S-Bahn/Regionalbahn bis Oranienburg, von dort Bus Richtung Hennigsdorf (ca. 1-1,25 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): Berliner Ring bis Kreuz Oranienburg, dort auf die B 96 und Leegebruch ausfahren

Länge der Tour: 3,5-17 km (im Ortsgebiet Leegebruch beliebig zu variieren); Achtung: bei der großen Runde bei Wegpunkt 42 unbedingt links des Wassergrabens bleiben

 

Download der Wegpunkte

 

Links:

Ortsseite von Leegebruch

Chinatown am Kanal (Spiegel-Artikel)

Chinatown am Kanal (noch ein Spiegel-Artikel)

 

Einkehr:

Bäckerei Konditorei Joachim (am einen Ende der Eichenallee)

Gaststätte Zum Eicheneck, Leegebruch (ggbr. Kulturhaus)

Restaurant Palmenhof (Ringstr. 1)

 

 

Herzsprung: Eichenalleen, weiße Kleider und die unsichtbaren Scharen

Die ersten Nachtfröste kamen mit schnellem Schritt und haben gleich richtig zugeschlagen. Im erwachenden Licht des Tages präsentieren sie lückenlos filigranweiße Landschaften, die übersät sind mit einer unschätzbaren Menge winziger Eisnadeln, keine davon länger als ein Wimpernhaar oder kürzer als der Durchmesser eines Stecknadelkopfes. Es ist ein überwältigendes Bild. So eins, von dem man hofft, es wenigstens einmal im Laufe eines Winters zu erwischen. Dazu bedarf es jedoch einer Konstellation aus frostig klarem Sonnenhimmel, noch jungem Vormittag und nächtlicher Minusgrade, die freie Tage betreffend zumeist am zweiten Argument zu scheitern droht. Manchmal klappt es dennoch.

Stille Eichenallee zwischen Ganz und Ganz Ausbau
Stille Eichenallee zwischen Ganz und Ganz Ausbau

Erfahrungsgemäß passen zu so einem Bild in der Gleitzeit zwischen Herbst und Winter auch weit oben ziehende Formationen großer Vögel, die man zumeist erst hört. Dann den Kopf in den Nacken knickt zur Suche und meistens fündig wird nach einigen Sekunden, meist höher als erwartet. Das hat die gleiche Kraft der Faszination sowohl mitten in der Großstadt als auch über den einsamen Weiten menschenarmer Landstriche, jeweils auf seine Weise. Und stellt unweigerlich klar, dass die kalte Zeit begonnen hat, die mit den knappen Sonnen- und gemütlichen Teestunden.

In Herzsprung
In Herzsprung

Die Prignitz ist landesweit wohl ähnlich bekannt wie zum Beispiel das Hohenloher Land, der Elm-Lappwald oder das Thüringer Holzland – jede für sich besuchenswerte Gegenden mit speziellen Reizen, doch eher von regionalem Ruf. Wer schonmal von ihr gehört hat, verbindet vielleicht teils superlative Begriffe wie „Zugvogel-Paradies“, „am dünnsten besiedelt“, „absolutes Nachtdunkel“ und „östlich der Elbe“. All das ist korrekt, dazu kommen noch zauberhafte Landschaft, große Weite und eine ganze Reihe charaktervoller Städtchen, oft mit historischen Stadtkernen. In diesem Zusammenhang muss ehrlicherweise gesagt werden, dass regionale Tagesausflügler, die von der Prignitz sprechen, meist die Ostprignitz meinen, denn die Reise von irgendwo in Brandenburg oder Berlin in den äußersten Nordwesten Brandenburgs ist schon noch eine andere Entfernungsklasse, fast immer im dreistelligen Kilometerbereich.

Zaun vor Wald am Rand von Herzsprung
Zaun vor Wald am Rand von Herzsprung

Herzsprung

Etwa auf der Mitte zwischen Ost- und Westprignitz liegt, etwas südlich von Wittstock/Dosse, das Örtchen Herzsprung. Beide Ortsnamen dürften Autofahrern geläufig sein, die gelegentlich in Richtung Rostock oder Hamburg unterwegs sind. Ein hübsches Dorf mit guten märkischen Zutaten – es gibt eine Feldsteinkirche auf einem Hügel, ein Gutshaus und einen See sowie allerhand landschaftsgestaltendes Wasser drumherum. Und sogar das Hochhaus am Rande des Ortes, das meist zur Unterbringung landschaftlichen Personals errichtet wurde, in den Jahrzehnten von Hippies, Schlaghosen und Röhrenjeans und sicher auch schon davor.

Am Waldrand bei Herzsprung
Am Waldrand bei Herzsprung

An der Kirche, die souverän auf ihrem Hügel hockt, findet gerade eine Art Subbotnik statt, der jedoch eigentlich gar keiner sein kann, da er ja an der Kirche stattfindet. Der Subbotnik ist ein Begriff aus den Zeiten des Ostblocks. In einem sonnabendlichen Arbeitseinsatz sorgte die Bevölkerung im Orte pflegend und räumend für ein schönes Erscheinungsbild oder zweckmäßige Ordnung, freiwillig und entgeltlos. In der DDR verkam die gute Idee mit der Zeit zu einer Art Pflichtübung, die manchmal auch ohne eigentlichen Sinn oder Nutzen auskam. Wer jedoch nicht dabei gesehen wurde, riskierte Miskreditspunkte, wer besonders eifrig und gut sichtbar teilnahm, konnte der Genehmigung problematischer Anliegen entgegenarbeiten. Heute wird der Begriff hier und da wieder für Arbeitseinsätze wie Frühjahrsputz oder Laubbeseitigung auf Straßen und öffentlichen Flächen genutzt. Davon abgesehen gibt es in letzter Zeit – unter weniger gefärbter Bezeichnung – überall derartige Einsätze, was schön ist und die Wertschätzung jeglicher Altersgruppe am eigenen Umfeld intensiviert.

Eine einsame Brücke später - fast derselbe Wald, fast dieselbe Zeit, andere Ausrichtung
Eine einsame Brücke später – fast derselbe Wald, fast dieselbe Zeit, andere Ausrichtung

Vor dem Gutshaus ruht auf einer großen Waage, mit der sich gut Kartoffelsäcke wiegen ließen, ein kleines Rudel großer Kürbisse, farbenfroh, kältekonserviert und dennoch allmählich in die Knie gehend. In den Vorgärten hat sich trotz kräftiger Sonne an nordorientierten Büschen und Zäunen der weiße Nadelzauber erhalten, der Blumen und Beeren zu bunthäutigen Schneeigeln werden lässt. Das Vieh auf den Weiden atmet Dampfwolken aus, die sekundenlang Bestand haben, und die frühzeitig hochstehende Sonne treibt im Walde eindrucksvolle Spiele mit Wipfellücken, beschlagener Luft und eisigen Kristallen. Zurück in die Wirklichkeit bringt plötzlicher Gegenverkehr am Waldrand – ein Transporter zieht schwer an einem Anhänger voller steinharter Rüben. Der Blick übers Feld ist dunstig, der in den Wald zieht den Blick zu immer neuen Spielen der staubigen Sonnenstrahlen.

Strahlenfächer im Nadelwald zwischen Herzsprung und Ganz
Strahlenfächer im Nadelwald zwischen Herzsprung und Ganz

Zwischen zwei Wäldchen steht auf der Wiese eine Brücke, gänzlich unangebunden. Sie ist breit genug für eine Bundesstraße, in guter Verfassung und umgeben von Fragezeichen. Die eher theoretischen Auffahrten sind erdig, äußerst kurz und bestenfalls für echte Allrad-Fahrzeuge zu bewältigen. Jemand hat dem soliden  Bauwerk zu einem Zweck verholfen und den überbrückten Bereich mit stacheldrahtbewehrten Weidetoren versehen, die so hoch und ehrfurchtgebietend sind, als wären hier zu den Ruhezeiten Mammuts von launischer Natur unterbracht. Das klingt nicht vollkommen unwahrscheinlich, hier zwischen all den Eiszeitlandschaften. Hinweise auf einen verrückten Wissenschaftler gibt es jedoch keine, was ganz angenehm ist.

Hutträger im Moose
Hutträger mit transparenten Untertrikotagen im klammen Moose

In der Tat steht man hier vor einer Art stillem Denkmal, das in dunklen Zeiten gebaut wurde und als Reichsautobahn zwischen Berlin und Hamburg über irgend etwas hinüberführen sollte. Eindrucksvoll ist angesichts ihres guten Zustandes der Fakt, dass die Brücke schon stand, bevor es überhaupt diese Autobahn gab. Und zwar nicht ein paar Jahre vorher, sondern um die vier Jahrzehnte. Die deutsch-deutsche Geschichte hatte für einige Verzögerungen gesorgt und die Autobahn jetzt eher mit Putlitz und Parchim zu tun als mit Pritzwalk und Perleberg.

Feuchter Talgrund bei Ganz
Feuchter Talgrund bei Ganz

Vorbei an der Brücke führt der Weg hin zum feuchten Wiesengrund eines winzigen Baches, der unentschlossen zur Dosse strebt. Der sichtbare Wegverlauf verliert sich bald, also folgen wir den Wasserläufen zum nächsten Hochstand, da zu Hochständen erfahrungsgemäß immer ein befahrbarer Weg führt. Gehen bevorzugt entlang von Maulwurfshügeln, da diese erfahrungsgemäß immer auf trockenem Grund fußen. Das mit dem Hochstand stimmt auch dieses Mal. Enorme Buchen stehen am Damm, der den Weg eine Winzigkeit über den Talgrund erhebt, einige von ihnen sind spektakulär geborsten und lassen nochmals kurz an hungrige Mammuts in übelster Laune denken.

Haus am Waldrand, Ganz
Haus am Waldrand, Ganz

Im Wald wechseln die Baumbestände zwischen lose stehenden Kiefern, dichten Fichtenwäldern und buntbodigen Laubgehölzen. Wipfel und Sonne gestalten an mehreren Stellen imposante Lichtfächer, wie wir sie bisher selten sahen. Viele große Ameisenhaufen residieren am breiten Zubringer, den so ein Waldweg bietet. Nur wenige sind geplündert, und allen gemeinsam ist die absolute Krabbellosigkeit. Die Ameisen haben die wiederholten Bodenfröste zur Kenntnis genommen und sich zur Winterruhe in die tieferliegenden Katakomben zurückgezogen, das Arbeitsjahr beendet.

Weg hinein nach Ganz
Weg hinein nach Ganz

Ganz

Zuletzt führt der Weg über einen goldenen Laubteppich genau auf ein warmes Licht in einem Haus zu, das heimelig am Waldrand liegt und den nördlichen Vorposten des Dorfes Ganz markiert. Im Dorf stehen Ponys auf ihrer Weide, gegenüber hat sich jemand einen zauberhaften Garten geschaffen, in dem die Landlust erfunden sein könnte. Ein Turm täuscht vor, die Kirche zu sein. Die jedoch ist hier eine einfache Kapelle, der Turm hingegen gehört einem der Gutshäuser im Ort, das auf Zuwendung oder eine gute Idee oder beides wartet.

Stiller Alleeweg nach Ganz Ausbau
Stiller Alleeweg nach Ganz Ausbau

Von der weißen Friedhofskapelle führt eine urige und pulssenkende Eichenallee in Richtung Lellichow, die weite Blicke über die Felder gestattet und im Rückblick noch lange das Weiß der Kapelle im Auge behält. Rechts des Weges türmt sich ein mammuthoher Haufen Altholz verschiedenster Stärke, in dem sich ein reges Leben verschiedenster Vögel abspielt, sicher vor magenknurrenden Füchsen, Krähen oder ähnlichen Nahrungskettlern. Bei den Häusern und Wohnwagen von Ganz Ausbau beginnt eine kleine Straße, einige Hühner bringen hier Leben ins Bild, sonst niemand. Dahinter wirft der Waldrand lange Schatten gen Norden, so dass sich eine dicke Reifschicht bis jetzt auf den ungefällten Maispflanzen halten konnte und nun markant ihre Kälte abstrahlt. Wir treten ein in die frostige Hälfte dieses Tages. Von den erhofften und erwarteten Zugvögeln ließ sich bis jetzt niemand vernehmen. Erst jetzt hören wir die ersten drei Kraniche, die sich zwischen den Kiefernwipfeln am Himmel kaum ausmachen lassen.

Diesiger Ackerblick zum Postluch
Diesiger Ackerblick zum Postluch

Lellichow

Die Straße queren wir in Lellichow bei einem vielfältigen Angebot schöner Rastmöglichkeiten, doch ist gerade kein Bedarf. Zudem liegt eine ungewisse Passage voraus, und mit der hat man keine Rastruhe im Bauch, ist eher unrastig. In der Tat sieht es zunächst ganz gut aus, doch dann verschwindet der Weg entlang des klammen Schilfgürtels nach und nach oder ist versperrt von welk gewordenen, querliegenden Bäumen. Es ist ein zauberhafter und uriger Weg, der terrassenartig entlang betagter Eichen verläuft, links unter sich das frostfahle, flächige Schilf. Doch er ist am Verblassen. Viele Quellen entspringen hier, weichen mit ihrem kristallklaren Wasser den Waldboden unberechenbar auf und verbreiten eine leicht archaische Stimmung, hier im verlassenen und lautlosen Talgrund. Über dem Schilf hängen schon erste Nebelschwaden und spielen dieser Impression noch in die Karten.

Im schilfigen Grund des Kattenstiegbaches (NSG Mühlenteich)
Im schilfigen Grund des Kattenstiegbaches (NSG Mühlenteich)

Kattenstiegsmühle

Ohne Wassereinbrüche im Schuh und mit leichtem Aufatmen erreichen wir den nächsten Querweg und ein paar Abbiegungen später die Kattenstiegsmühle, die ein unerwartet reizvolles Ensemble bietet, komplett in Reif gekleidet und mit Kahnhafen, Angelteich und Badestelle. Sowie einer Einkehrmöglichkeit mit schönem Biergarten, die sogar offen hat. Der obere See ist komplett zugefroren, und während hier noch jeder Baumstamm Schatten wirft, verdichten sich weiter hinten schon die Nebel. Um die Mühle rankt sich eine kleine Sage mit Happy End, die Interessierten den ungewöhnlichen Namen erklärt. Wir müssen leider das Tageslicht im Auge behalten, mehr als wir zu diesem Zeitpunkt ahnen, und ziehen weiter ohne frisch gebrautes Heißgetränk.

Bestandsfrost an der Kattenstiegsmühle
Bestandsfrost an der Kattenstiegsmühle

Ein paar Anstiegsmeter bringen neue Wärme unter die Jacke, was durchaus angebracht ist. Oben beginnt eine Allee, abermals kräftige Eichen, und von nun an sinkt die Sichtweite unter vierzig Meter, wird alles bisher Sichtbare geschluckt. Von vorn tönt laut, fast schon bedrohlich eine Unzahl von Gänsen, Abertausend oder sogar mehr. Da sind sie endlich. Doch wir werden sie nicht sehen. Am Campingplatz trinken wir auf einer Bank am Straßenrand den vorletzten heißen Tee.

Eichenallee im aufziehenden Nebel, bei Kattenstiegsmühle
Eichenallee im aufziehenden Nebel, bei Kattenstiegsmühle

Königsberg

Kurz danach beginnt Königsberg. An der ehemaligen Schule staunen wir nicht schlecht. Hier gab es einst ein beredtes Wandrelief im real sozialistischen Stil, doch muss das doch woanders gewesen sein, denn hier steht ein Gutshaus. In der Nachschau finde ich heraus, dass der Plattenbau der Schule an das Gutshaus angebaut war und ohne eine Spur entfernt wurde. Das Gutshaus ist nun wieder unversehrt und kann mit seinen Nebengebäuden eine schöne Ensemblewirkung entfalten, sogar jetzt im dichten Nebel. Das Relief wurde vielleicht an irgendeine Scheunenwand gerettet, wenn sowas geht. Passenderweise vielleicht im Rahmen eines Subbotniks.

Eisbeeren im Vorgarten, Königsberg
Eisbeeren im Vorgarten, Königsberg

Im Zentrum des Angersdorfes liegt die Kirche, ganz leicht erhöht und nebelentrückt. Die roten Beeren in manchen Vorgärten haben sich ihre Eisnadeln bis jetzt bewahrt, bis zur Dämmerung dürfte ihnen an diesem Tage nun keine Gefahr mehr drohen. Auf dem Lychweg verlassen wir Königsberg. Hinter einem kleinen Wasserlauf ist er dann stark zugewachsen und erfordert viel Muskelarbeit für die ohnehin schon müden Oberschenkel. Der Nebel zieht sich immer dichter um uns zusammen. Leicht unterhalb liegt eine Kuhweide, an deren Hang zum Weg dickstämmige Eichen wachsen und veritable Schattenspender für das Vieh abgeben, wenn er wieder mal gebraucht wird, der Schatten. Zur Zeit sind weder Vieh noch Schatten da, noch ein Bedarf dafür.

Schemenhafter Kirchriss im letzten Licht, Herzsprung
Schemenhafter Kirchriss im letzten Licht, Herzsprung

Am nächsten Wald gibt es wieder klare Wege und das Tagesziel in guter Griffweite. Hier ist es schon recht dunkel, was die weiß kristallisierten Spinnennetze zwischen Halmen und Zweigen um so atmosphärischer wirken lässt. Ein Beweis mehr für die enorme Belastbarkeit von echtem Spinnengarn, so schwer, wie sie da hängen, wie Colliers. Hinterm Wald liegt passend dazu ein weiß bereifter Acker und wirft das allerletzte Licht des Tages dreifach stark zurück vom Boden. Am kleinen Friedhof erreichen wir Herzsprung, in den Fenstern leuchten schon die ersten bunten Lichterspiele. Die Kirche auf ihrem aufgeräumten Hügel ist nur als Schatten wahrzunehmen, sie könnte so auch tief im südwestenglischen Dartmoor stehen, unweit von Baskerville. Zum Glück bellt jetzt kein Hund – das wurde schon beim ersten Haus erledigt, ein paar Minuten früher.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): kaum praktikabel (werktags ca. 3 Std. mit mehrfachem Umstieg, am Wochenende gar nicht)

Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der Autobahn Richtung Hamburg/Rostock bis Abfahrt Herzsprung (1,25-1,5 Std.)

Länge der Tour: ca. 18 km; die Tour in der Karte hat wegen einiger Unwägbarkeiten größere Abweichungen zur beschriebenen; Weg über die zeitweilige Viehweide Wegpunkte A1-A5, verblassender Weg bei Lellichow Wegpunkte B1-B9; zwischen den Wegpunkten 9 und 10 ist der Weg auf dem Damm leicht verwachsen; zwischen den Wegpunkten 23 und 24 ist der Weg ggf. stark zugekrautet

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Download der Wegpunkte

 

Links:

Ortsinformationen zu Herzsprung

Einsame Brücke auf dem Acker bei Herzsprung

Kattenstiegsmühle

Ortsinformationen zu Königsberg

 

 

Einkehr: Kattenstiegsmühle (mit schönem Biergarten; keine eigene Erfahrung)(ganzjährig, im Winter nur um das Wochenende geöffnet)

 

Grobskizziert – Altlandsberg: Zwei Türme, vier Fließe und die Vorstadt-Eisdiele

Der Oktoberherbst hat es nun auf einmal eilig, trägt scheinbar schon die Novemberbrille auf der knollig-roten Nase. Wenn es nicht gerade regnet, zaubert er hier und da mit dem, was so rumsteht in der märkischen Landschaft. Die dunstige Luft pinselt Stille über die brachliegenden Ackerweiten, ein eben noch sangloser Chaussee-Baum in der Ferne wird durch einen wohlgezielten Sonnenstrahl zur goldgelben Sensation und die ungleichmäßig verstreuten Pferde auf den vielen Weiden des Berliner Umlandes tragen den letzten Schrei in Sachen Pferdejacken, vermutlich aus Paris. Horse couture gewissermaßen.

Herbstlicher Mauerweg am Storchenturm
Herbstlicher Mauerweg am Storchenturm, Altlandsberg

In der Berliner Innenstadt sieht die Sache etwas anders aus. Da braucht es oft hartgesottene Schöngeister oder naturromantische Ultras, um die Schönheiten dieser zeitlichen Jahresregion unter freiem Himmel ausfindig zu machen und zu genießen. Wenn auf grauem Asphalt nasses Laub und weitere Elemente erdtönerne Liaisonen voller Rätsel eingehen. Und genervt zur Stadtgrenze flüchtende Feierabendautos Bordsteinpfützen in dramatischen Wogen auf dem Bürgersteig verteilen, im unklaren Restlicht der klammen Dämmerung. In Bussen und Bahnen kein Blick nach draußen möglich ist, weil die Scheiben dauerbeschlagen sind von all den nassen Jacken. Viele bevorzugen da eher die täglich wachsende Behaglichkeit der eigenen Gemächer, rauschende Heizkörper und großzügig verteilte Teelichte.

Kirche und ???
Stadtkirche und Schlosskirche

Zwei Straßen gibt es in dieser Stadt, die überreich an Haus-Nummern sind – und die beide in starkem Maße ihre einstige Stadthälfte widerspiegeln. Das ist im Westen Berlins die Heerstraße, im Osten ist es die Landsberger Allee. Würden beide um Superlative auf dem Stadtgebiet heischen, käme es bei schneller Betrachtung zu einem klaren 1:1. Denn wo die Heerstraße auf zehneinhalb Kilometern weit über 650 Hausnummern kommt, muss die Landsberger Allee zwar mit 100 weniger auskommen, doch dafür ist sie unter gleichem Namen elf Kilometer lang. Das sind beeindruckende Werte und Umstände, die Berufsanfänger unter den Postboten sicherlich in ausufernde Verlegenheiten bringen können, zumindest in den ersten Dienstwochen.

Mauerweg westlich der Stadt bei den Pferdeweiden
Mauerweg westlich der Stadt bei den Pferdeweiden

Warum die Heerstraße ihren Namen trägt, wurde bereits vor ein paar Monaten kurz unter die Lupe genommen. Die Landsberger Allee nun ist für die meisten Leute, die sie regelmäßig benutzen wollen oder müssen, wohl einfach nur die Landsberger, so wie Einweck-Gläser eben Einweck-Gläser sind oder eine Molle eine Molle, ob mit oder ohne Korn.

Landsberg am Lech ist viel zu weit weg und zudem in völlig anderer Richtung, gleiches gilt für Landsberg bei Halle. Und das an der Warthe dürfte wohl vorrangig älteren Semestern, Geografen oder Heimatforschern geläufig sein. Hier zumindest würde die Richtung stimmen, und zwar ziemlich präzise.

Blick auf die Vorstadt am Berliner Turm
Blick auf die Vorstadt am Berliner Turm

In der Tat ist die Sache viel einfacher und mit einer kurzen Wanderschaft des Zeigefingers auf der Landkarte ergründet – folgt dieser der Landsberger Allee weiter stadtauswärts, landet er auf halbem Weg nach Strausberg schon bald im Städtchen Altlandsberg, das ähnlich nah am Berliner Stadtzentrum liegt wie Bernau oder die Glienicker Brücke.

Mit Bernau verbindet es auch die weitgehend erhaltene Stadtmauer, die sonst im näheren Umkreis Berlins selten zu finden ist. Hauptstadtnahe Stadtmauerreste finden sich noch in Potsdam und auch in Strausberg sowie im ähnlich weit entfernten Nauen, und ein paar Restmeter gibt es auch nördlich der Altstadt von Spandau. Das war’s dann aber auch.

Mauerpfad im Süden der Stadt
Mauerpfad im Süden der Stadt

Altlandsberg

Auf natürliche Weise geschützt war das Städtchen in früheren Zeiten durch sein durchfeuchtetes Umland, was bis heute nachvollziehbar geblieben ist. Da gibt es das Mühlenfließ und das Elsenfließ, das Wederfließ und das Teufelsfließ. Die kommen alle noch recht jung aus dem Dunstkreis der Nachbardörfer herbeigeschlendert und sorgen dafür, dass es nicht nur westlich und östlich der Stadt nach wie vor recht sumpfig aussieht, was sich auch in einem üppigen und vielfältigen Grüngürtel zeigt.

Im Wiesengrund
Im Wiesengrund

Bevor es die Stadtmauer gab, stand ganz am Anfang eine Burg. In deren Schatten wuchs mit der Zeit die Stadt heran, die dann vor mehr als zwanzig Generationen ihre Mauer erhielt. Wie viele andere Städte brannte auch sie von Zeit zu Zeit nieder, mal wegen personeller Unstimmigkeiten, mal aufgrund von Ungeschicken, und auch die Pest zog mehrmals hier durch und hinterließ ihre Schneise der Vernichtung. Der Burg folgten verschiedene Schlösser, derweilen Fürsten und Könige kamen und gingen. Und noch einiges später ließen beide Weltkriege die Stadt weitgehend verschont. Ein Schloss gibt es mittlerweile nicht mehr, dafür ein wiedererstehendes Gut mit schönem Gutshaus.

Obst der Saison
Obst der Saison

Heute ist Altlandsberg ein charmantes und stilles Städtchen, das zwischen seinen beiden Stadttürmen ein angenehmes Maß von Patina trägt und bestens geeignet ist für wiederholte Ausflüge. Rund um das Gutshaus und die Schlosskirche ist allerlei Schönes am Entstehen, vieles auch schon fertig. Für Freunde zünftiger Gaumenbefeuchtung sind seit Kurzem auch Brauer und Brenner an der Arbeit, verkostet werden kann mit Blick auf hölzerne Fässer oder kupferne Kessel. Das Gutsensemble soll in absehbarer Zeit durch einen barocken und wasserreichen Lustgarten komplettiert werden.

Blick über die Felder Richtung Hoppegarten
Blick über die Felder Richtung Hoppegarten

Die Stadtmauer steckt wie im Schraubstock zwischen zwei länglichen Naturschutzgebieten, die sich von Neuenhagen im Süden bis nach Werneuchen im Norden räkeln. Ihre Grenzverläufe muten an wie abstrakte Skulpturen. Das Ausschwärmen zu Fuß ist entlang der Fließe in alle Richtungen möglich und vor allem lohnend, und das eigentlich zu allen Jahreszeiten. Von Nord nach Süd und auch in Richtung Osten wird es vom Fernwanderweg E11 begleitet, der im Süden ein paar Chancen am Wiesengrund verschenkt. Reizvoll ist das Gedankenspiel, dass dieser von der niederländischen Nordsee kommende Weg in Polen über längere Passagen unweit der erwähnten Warthe verläuft – allerdings ca. 25 Kilometer südlich vorbei am dortigen Landsberg.

Stadtansicht aus dem Süden
Stadtansicht aus dem Süden

Die Natur entlang der Fließe ist üppig und vielfältig, zwischendurch gibt es viel Platz und große Weite. So kann man entlang des Langen Elsenfließes nach Steinau und weiter nach Wegendorf spazieren, wobei robustes Schuhwerk nicht schaden kann, für den Rückweg gibt es schöne Wege entlang des Mühlenfließes und vorbei an den Häusern von Neuhönow.

Steinharte Futterrüben
Steinharte Futterrüben

Oder entlang des E11 auf einer alten Allee zum Stauteich und der steinigen Fischtreppe bei Wolfshagen, wobei es viele Pferde zu sehen gibt. Der zugehörige Rückweg auf dem Radweg entlang der Landstraße führt in diesem Fall am Scheunenviertel vorbei zum rundbemützten Storchenturm, wo es eine schöne Einkehrmöglichkeit gibt mit kalkweißen Gewölben, direkt an der Stadtmauer und einer einladenden Allee.

Am Grund des Wederfließes
Am Grund des Wederfließes

Nach Süden schließlich lockt der breite Wiesengrund mit seinen alten Bäumen, der vom Mauerrund auf einem alten Bahndamm zu erreichen ist, auch hier mit einer prächtigen Allee. Wer mehr Auslauf benötigt, kann sich treiben lassen und einen weiten Bogen über das nördliche Fredersdorf schlagen, der von der Geschäftigkeit der Umgehungsstraße kaum gestört wird.

Knorrige Weidenopas auf der Pferdewiese
Knorrige Weidenopas auf der Pferdewiese

Der Weg um die Stadtmauer passt gewissermaßen in eine Hosentasche. Wer mit Kindern nach Altlandsberg kommt, ist bestens bedient mit diesem kleinen Oval, was auch für sonstige Genießer oder temporäre Faultiere gilt. Hier gibt es Pferdeweiden und ein plätscherndes Bächlein, Zauberwälder und reichlich Stoff für ausgedachte Geschichten über die vielen Pforten in der Stadtmauer. Sowie ganz im Norden und ganz im Süden des Mauerverlaufs zwei schöne Spielplätze, einer an einem Teich und einer in einer Senke des Mauergrabens. In diesem Zusammenhang gut zu wissen ist auch, dass es in Sichtweite des eckigen Berliner Turms eine Eisdiele gibt, eine richtig gute alte Eisdiele mit viel Potential für Jugenderinnerungen. Und Waffeln in Muschelform.

Herbstliche Pferde am Reiterhof nördlich der Stadt
Herbstliche Pferde am Reiterhof nördlich der Stadt

Das übrigens ist – zumindest in den Tagen des Sommers – auch die Empfehlung für solche, denen selbst das Umrunden der Stadtmauer noch zu aufreibend im Ohre klingt: einfach ein Eis holen, sich auf eine der vielen Bänke setzen und gucken, wer so guckt. Daran kann nichts Falsches sein.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der S-Bahn bis Hoppegarten, dann weiter mit dem Bus (ca. 1 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der Landsberger Allee stadtauswärts über Hönow (ca. 0,75 Std.)

Länge der Tour: ca. 12,5 km (Abkürzungen sehr gut möglich)

Download der Wegpunkte

Links:

Tourismus Altlandsberg

Seite des Heimatvereins mit vielfältigen Informationen zur Stadt

Schlossgut und Tourist-Information (auch Brauerei/Brennerei)

Traditionsreiche Eisdiele Altlandsberg (geöffnet Mitte März-Mitte Okt.)

Einkehr:
Armenhaus Altlandsberg (am Storchenturm; gute Küche, gemütliches Gewölbe)
Mühle Altlandsberg (an der Umfahrungsstraße; bisher nicht besucht)
Wirtshaus Alt-Berg (südlich des Berliner Turms)
La Dolce Vita (italienische Küche im Kellergewölbe; bisher nicht besucht)

Teupitz: Bunte Pferdestärken, ein Waldgeist und das Städtchen am Wasser

Der September ist allumfassend angekommen, endlich, nachdem sich der Hochsommer geschlagene zwei Wochen darin ausgetobt hatte. Zu merken ist das an den Düften von reifem Obst und abgeworfenem Laub, am Rascheln rund ums Schuhwerk und nicht zuletzt am gemütlichen Licht der Sonne, die auch auf ihrem Höchststand nicht mehr allzu weit oben am Himmel steht. Etwas verwirrt von der verlängerten Sommerhitze sind verschiedene Störche, die noch mit großen Fragezeichen überm langen Schnabel in der Wiese stehen, anstatt schon über Afrika zu kreisen, und auch so manche Meise, die singt, als würde der Frühling vor dem Tore stehen. Allerhand abreisebereite Gänse scheinen das souveräner zu nehmen und sind daher gar nicht erst am Himmel auszumachen. Die Krähen hingegen lassen ihre rostigen Laute schon selbstbewusster hören.

Marktplatz in Teupitz
Marktplatz in Teupitz

Südlich von Berlin und auch von Mittenwalde liegt auf halbem Weg zum Rand des Spreewaldes die kleine Stadt Teupitz, direkt an ihrem See. Ein Städtchen, in seiner pittoresken Konzentriertheit wie geschaffen für Kinder- oder Jugendbuch-Illustrationen. Auf engstem Raum gibt es in zauberhaftem Arrangement eine winzige Stadtkulisse rund um einen Dreiecksplatz, dazu etwas abseits eine Kirche und ein Schloss sowie viel Wasser außendrum. Am kleinen Marktplatz steht das Rathaus, gegenüber reiht sich Bäcker neben Optiker, Eisdiele neben Apotheke.

Und in der Tat gibt es seit einem Jahr genau solche Illustrationen der Stadt, wetterfest und ganzjährig. Vor dem Rathaus steht eine Art Vitrine mit kunstfertig bemalten Porzellanplatten und -kacheln, die Teupitz aus den verschiedensten Blickwinkeln zeigen, auf sehr sympathische Weise.

Das erwähnte Schloss steht fast in Insellage, und einer der Kacheln zufolge stand sein ältester Vorgänger, ein schlichtes Gebilde aus Erde und Holz, bereits vor etwa 700 Jahren dort. Seitdem gewann die Anlage baulich nach und nach an Stabilität und ging unterdessen zwischen wechselnden Herrschaften hin und her. Das heutige Schloss ist in privater Hand und gibt sich distanziert bis zugeknöpft, spätestens am Tor ist Schluss für neugierige Blicke. Selbst vom Wasser her ist kaum etwas zu sehen. Entlang der eigentlichen Stadt zieht sich ein gut durchtränkter Streifen aus klammer Wiese und dunklem Bruchwald. Zum See hin kommt das Städtchen auf eine respektable Küstenlinie von knapp 5 Kilometern – wenn man den Stadtteil Kohlgarten miteinbezieht. So gesehen lässt sich eigentlich von einem Wasserstädtchen reden. Die Dächer, die oben auf der Höhe aus den Wipfeln ragen, sind Teil der großen Fachklinik, die flächenmäßig größer ist als unten die Stadt am See.

Die obere Bergstraße
Die obere Bergstraße

Teupitz

Am Marktplatz verleiten der Bäcker oder die traditionsreiche Eisdiele schon zur ersten Rast. Überall locken Möglichkeiten, das Ufer aufzusuchen und wonnig stillzusitzen, einfach nur zu gucken und die Seeluft einzusaugen. Das macht es nicht leichter, auch mal loszugehen, doch wie meistens siegt die Neugier. Gleich hinterm Marktplatz wird der Bruchgürtel durchquert, mit konzentrierter Herbstluft und etwas Kühle. Entgegen kommt uns ein Enkelchen im Bollerwagen, vorgespannt die freundliche Oma, die ihre Fuhre gelegentlich umsortiert mit solchem Nesteln, wie das nur Omas können und das niemals Widerstand erzeugt. Die gehen jetzt unter Garantie ein Eis essen.

Auf dem großen unbefestigten Parkplatz beim Gasthaus stehen gleich zwei sündhaft teure Tesla-Limousinen, quasi Höchststand der Technik bei Elektroautos, die hier so überhaupt nicht hinpassen, in dieses unschuldige Ortsbild, das so frei scheint von Technisierung und übertriebener Moderne. Andererseits passen sie ganz hervorragend, denn es ist schon den ganzen Morgen auffallend und wohltuend leise hier.

Düne beim Waldsee
Düne beim Waldsee

Ein schöner Seitenweg begleitet die idyllische Straße nach Groß Köris, die hier und da still und panoramisch das Ufer des Teupitzer Sees flankiert, durchaus eindrucksvoll. Der ist durch sieben schöne Seen an die Dahme angebunden und gestattet Leuten mit souveränen Bizepsen Ruderpartien bis nach Berlin. Dafür sind dann nochmal sechs Seen zu durchqueren und etwas auf der Spree zu gondeln.

Die abzweigende Bergstraße macht ihrem Namen mehr als Ehre. Kopfsteingepflastert führt sie hinauf, vorbei an alten Villen, die voll zu sein scheinen von kleinen Geschichten. Eine akustische Interpretation der Steigung bietet uns ein Mann mit halber Glatze und ganzer Latzhose, der einen grobstollig bereiften Mofa-Anhänger den Berg hinaufzieht. Um zu sehen, warum er so sehr schnauft, ändert er schließlich die Taktik und schiebt alsbald den Hänger vor sich her. Schnauft noch mehr, und prustet, frei von scharfen Lauten. Ein weiter Bogen führt vorbei an schönen Häusern und kleineren Villen, die letzten sicherlich mit Ausblick übern See. Gemeinsam mit dem Schiebenden erreichen wir die Höhe und nicken uns zuletzt respektvoll zu, bevor wir dann getrennte Wege gehen.

Allee von Tornow Nord nach Tornow
Allee von Tornow Nord nach Tornow

Die Waldstraße durchzieht eine Siedlung, die reizvoll ist und aussieht, als hätte sie den Denkmalschutz verdient. Viele Häuser gleicher Bauart, der Sache nach 30er-Jahre-Doppelhaushälften und in Symmetrie, stehen benachbart und auch gegenüber, mit kleinen Vorgärten und Windfängen sowie Fluren, die auffordernd direkt nach hinten in den Garten führen. Dazwischen jeweils etwas freier Platz und hübsche Schuppen, ebenfalls halbiert und fachgerecht gedeckt mit Ziegeln. Gleich nach dem letzten dieser Häuser geht es in den Wald hinein.

Hier ist es noch stiller als bisher, und so zucken wir kurz zusammen, als aus dem Nichts ein Waldschrat auf den Weg tritt mit zwei Hunden, alle wortlos, er dazu bärtig und mit Hut. Wider Erwarten bedeutet er uns nichts von drei Wünschen, die wir frei hätten, also nicken wir kurz einen Gruß und ziehen weiter. Eine kleine Düne und zwei Kurven später liegt rechts ein kleiner See mit Badestelle. Am Ufer raschelt es gleich nebenan im Unterholz, zu langsam für Maus oder Eidechse und zu schnell für eine Schnecke. Überhaupt huscht den ganzen Tag immer etwas am Wegesrand. Vielleicht der Waldschrat als guter Geist in wechselnder Gestalt?

Bei der Heulese, Tornow
Bei der Heulese, Tornow

Kurz darauf brummt es tief und einschüchternd am Ohr und um den Kopf herum, dann von zwei Seiten und von oben – im Birkenstamm wohnt ein Hornissennest und wir sehen zu, dass wir Land gewinnen. Hinter der Landstraße beginnt dann ein halb leeres Gewerbegebiet, dessen großzügige Straßen auf die Ansiedlung von Gewerbe warten. Perfekte Straßen für Anfänger unter den Inline-Skatern oder für heimliche Fahrschüler – breit, von Wiesen umgeben und frei von Verkehr.

Nach etwas Wald geht die Landschaft in einen entlegenen Talgrund über, dessen träges Rinnsal für einen breiten Streifen saftigen Grüns sorgt. Ausgeprägte Bodendellen im Weg wurden mit gesenstem Wiesenschnitt verfüllt, so dass das Geherlebnis ein sehr weiches ist und überraschendes Einsinken die Augenbrauen nicht nur einmal hochschnellen lässt. Die tiefstehende Sonne sorgt für warmes Licht über all dem. Hinter einem Birkenwäldchen und einigen unterbeschäftigten Kuhfamilien beginnt die nördliche Außenstelle des Dorfes Tornow, rund um den Friedhof.

Badestelle am Tornower See
Badestelle am Tornower See

Tornow

Eine hochgewachsene Allee schafft die schattige Verbindung zum Dorf. Etwas tiefer liegt eine frisch gemähte Wiese, im Hintergrund so ein aufgebockter Heuschober, wie er im gar nicht allzu fernen Spreewald prägend ist fürs Landschaftsbild. Gut zu dieser archaisch wirkenden Szenerie passt ein älterer Mann mit einem hölzernen Rechen, einem breiten, der für Schobernachschub sorgt, indem er das gesenste Gras zusammenrecht. Wie es aussieht, kann er gleichermaßen gut mit Sense und breitem Rechen umgehen. Das erfordert Kraft und Technik. Und scheint fit zu halten, denn er wirkt nicht angestrengt.

Kleine Mühle am winzigen Klingebach
Kleine Mühle am winzigen Klingebach

Der Dorfplatz ist schön und leider ohne Bänke, doch eine Pause wäre gut. Am Ufer des Tornower Sees stehen dann zwei Bänke, unter einer Hängeweide, dazu gibt es noch frischen Wind vom Wasser. Hier beginnt ein wirklich schöner Uferweg unterhalb des Hanges, der neben einigen Badestellen auch den schwarzsumpfigen Quelltopf des winzigen und gerade mal 40 Meter langen Klingebachs bietet. Immerhin ist der glasklare und zeigefingertiefe Bach lang genug, um seine Wasser im dramatischen Bogen vorbei an einer Mühle en miniature zu schicken.

Pfad um den Briesensee
Naturnaher Pfad um den Briesensee

Einer von zwei Wegen entfernt sich vom Seeufer und begleitet kurvig einen in den Waldboden eingesunkenen Bach, der es an Schönheit und Ursprünglichkeit mit dem teils steilbewandeten jungen Rhin bei Rheinsberg oder dem zauberhaften Binenbach in der Ruppiner Schweiz aufnehmen kann. Nicht so spektakulär, doch als Bach ebenso schön. Ein mittelgroßer Frosch so braun wie Laub macht einen Satz in Richtung Ufer und ist dort kaum auffindbar, so gut ist er getarnt. Vielleicht will er stromaufwärts bis zum Briesensee, da ist eine gute Gegend für Frösche, wie wir gleich sehen dürfen. Beim ersten Sichtkontakt zum Ufer beginnt ein wirklich schmaler Pfad, nicht mehr als schulterbreit, der schulterhoch umwachsen ist von Schilf und jungen Bäumen, später auch von anderem Kraut und Farnen. Sich langsam höherwindet, bis sich der Blick aufs buchtenreiche Wasser öffnet. Aus naher Ferne tönt Musik von einem Fest und auch Geknatter von Motoren.

Briesensee
Briesensee mit Badestelle gegenüber

Oberhalb des Sees ist alles lichter Kiefernwald. Trotz lose gestreuter Bäume heißt es hier auf Spinnennetze aufzupassen, am besten einen Stock zu suchen und vor sich her zu wünscheln. Denn der Altweibersommer ist auf seiner fusseligen Höhe, während die letzten Heidekrautblüten ihre Farbe verlieren. Die haben es ja eigentlich am liebsten trocken, doch stehen auch im flachen Grund des Mühlenfließes, ganz nah am schilfigen Quellteich. Von hier reichen die Wiesen breit und wasserdurchzogen bis nach Neuendorf, woher auch die Musik und das Knattern kommen, jetzt wieder lauter.

Neuendorf

Am Ortsrand ist noch nichts zu ahnen, doch bald schon stehen erste Trekker bunt am Straßenrand. Rund um das Haus der Feuerwehr läuft hier ein wunderschönes Fest, wo alles sich um die Traktoren dreht und das, was sie so können. Hinter dem Gebäude stehen in einer sagenhaften Farbenpracht die Kandidaten aufgereiht. Die Atmosphäre ist grundfriedlich, niemand in den Schlangen für Gegrilltes, Getränke oder Kuchen ist genervt. Alle scheinen aus der näheren Gegend zu kommen und kennen irgendwen, den sie hier treffen. Von einer kleinen Bühne spricht eine Mikrofonstimme und kündigt Vorführungen an von teils jahrhundertalter Technik, die bis heute problemlos läuft. Darunter ein leise säuselnder Elektromotor, Dampfmaschinen, deren Zündungen man ohne Atemnot zählen kann oder eine von diesen schönen Dreschmaschinen, diesen großen Holzkästen auf Rädern, die bis in die letzten 60er Jahre noch genutzt wurden und an Schweizer Taschenmesser denken lassen.

Trekker von vorn, Neuendorf
Trekker von vorn, Neuendorf

Während wir unseren Hunger stillen, bieten sich bezaubernde Szenen von Kinderträumen. Hinten gibt es einen kleinen Bagger, wo jeder mal ein Loch ausheben kann und wieder zuschütten, der sich das zutraut, ganz egal wie jung. Den Blick drauf hat ein Junge im besten Teeni-Alter, der zugleich Respektsperson sein sowie zentimeternah Glückseligkeit erleben kann. Somit haben alle was davon. Vorn auf der Straße dann ein Sohn von einem Traktor-Eigner, vielleicht acht Jahre alt, der Papas hochbeinigen Traktor hin- und herrangiert und rückwärts dann nach hinten fährt, alles zwei Meter über dem Geschehen. Mit allem Drum und Dran und auch den kurzen Sätzen, die die grobe Kupplung einfordert, all das im dichten Publikumsgedränge. Sicherlich macht er das nicht zum ersten Mal, dennoch ist das schon ein starkes Zeugnis von Vertrauen zwischen ihm und seinem Alten.

Trekker von hinten, Neuendorf
Trekker von hinten, Neuendorf

Neben der Grundversorgung, die auf solchen Festen das Wesentliche ist, gibt es noch einen Stand für Schmalzstullen und Kornschlückchen, einen mit Honigsortiment sowie frisch geräucherte Forellen aus den Bächen um die Ecke. Und schließlich noch einen schönen Trödelstand mit Büchern, Kram und Spielen, zum Wohl der Jugendfeuerwehr. Eine Mutter kommt, vor sich ihren Jungen im Rollstuhl, auch so um die sieben Jahre alt. Der dreht zwar nicht selbst die Räder, strebt jedoch durch Oberkörperschaukeln zielstrebig auf ein Puzzle zu, ein buntes mit Figuren drauf. Als würde er höchstselbst beschleunigen. Er greift die große Schachtel, sofort als sie in Reichweite ist, drückt sie an sich und küsst sie innig. Seine Mutter erklärt noch voll Geduld, dass es ein Puzzle ist, keine Figuren, doch da ist die Liebe jetzt schon hingefallen. Keine Chance. Das Ding geht mit. Muttern schwatzt dann noch mit einer Freundin, deren Junge sich derweil auf Rollstuhlhöhe das Puzzle zeigen lässt. Irgendwer rempelt oder stupst und der Freundin schwappt etwas Kaffee auf die Bluse. Sie fragt schlagfertig, ob eena ma ne Brosche hat. Hat aaba keena, also bleibt der Kaffeefleck im Lichte.

Trekker von der Seite mit Schmalzstullenstand, Neuendorf
Trekker von der Seite mit Schmalzstullenstand, Neuendorf

Als das Gespann den Stand verlässt, fällt sein Blick nach rechts und seine volle Aufmerksamkeit auf mich. Also mich im Dresscode von Wald und Acker und Spinnennetzen. Er knickt den Kopf hoch Richtung Mutter und fragt „Manndaautrekka?“, sie darauf „Na dann musst Du ihn mal fragen!“. Blitzschnell dreht er den Kopf zu mir herum und fragt nochmals „Duauntrekka?“. Ich verneine, sinke trotzdem nicht in seiner Achtung, denn er besteht darauf, mir jetzt die Hand zu geben. Tauschen wir also einen deftigen Handschlag unter Nichttraktoristen und gemeinsame Anerkennung für den Neuerwerb, wobei ich staune, wie kräftig doch seine kleine weiche Fünftelhand in meine greift. Dann ist alles gut, alles erledigt, was noch anlag. Er schaut geradeaus und gibt Muttern Bereitschaft, den Umkreis des Standes nun bitte zu verlassen.

Die wunderschöne Mittelmühle bei Neuendorf
Die wunderschöne Mittelmühle bei Neuendorf

Gegenüber ist gerade die Vorführung des automatisierten Dreschens vergangener Jahrzehnte zu Ende gegangen, der endlose Riemen zwischen Dreschmaschine und Antriebsaggregat abgenommen und die Zuschauer am Zerstreuen. Wir reißen uns los, glücklich, denn auf solche Feste stößt man wirklich nur durch Zufall. Davon weiß nicht einmal das Internet, was irgendwie beruhigend klingt. Der letzte Traktor, den wir sehen, ist strahlend blau lackiert. Auf seinem Schutzblech sitzt ein Teddy von idealer Teddygröße, geflochten aus Stroh und rundum gelungen. Mit blaukarierter Schleife und ausdrucksvollen Bernsteinaugen. Am Dorfende bilden zwei Jungs von der Jugendfeuerwehr die Torwächter des Festes zur Welt der größeren Ortschaften hin.

Mittelmühle

Ein romantischer Weg führt entlang tiefschwarzen Sumpfwaldes zur Mittelmühle, einem der am schönsten gelegenen Gasthäuser in ganz Brandenburg. Das war eigentlich unser Ziel, doch waren andere schneller und feiern hier drei Tage und auch Nächte Hochzeit mit allem Drum und Dran, was ein großer Scherbenhaufen bezeugt. Das nenne ich Glück gehabt und gut entschieden.

Weg von Mühle zu Mühle
Weg von Mühle zu Mühle

Hier an der Mühle fällt das Wasser tief hinab vom Mühlteich, dennoch wird das Sägewerk mittlerweile mit anderer Kraft als der des Wassers betrieben. Direkt dahinter steigt ein wohliger Weg hinauf in den Wald und führt halboffen quasi als Intermühlenweg zur Hohen Mühle am Tornower See. Dort beschreibt ein wunderschönes und weitläufiges Anwesen, das zunächst nach einem forstbotanischen Garten aussieht, mannigfaltig den Begriff Dekadenz, gekrönt vom privaten Sandstrand hin zum Tornowsee.

Durch die Wiesen nach Teupitz
Durch die Wiesen nach Teupitz

Hinter der Straße setzen sich die schönen Wege fort, vom warmen Abendlicht beschienen, und fordern mit Nachdruck zum Genießen auf. Also verlangsamen wir den Schritt. Die Wiesen atmen schon kühl aus, die Vögel sitzen lautlos in den Büschen und die bereits Falten schlagenden Hagebutten an den Rosenbüschen leuchten fast schon goldrot, wenn es das geben sollte. Ein laternenbestandener Spazierweg führt ein zweites Mal durchs Stadtbruch, vor zur Bushaltestelle.

Seebrücke in Teupitz
Seebrücke in Teupitz

Am Markt holen wir noch ein Eis und schlendern vor zur gerade mal fünf Jahre alten Seebrücke, deren metallisches Ende ein Segelboot zitiert. Der See liegt glatt, ein geduldiger Angler frohlockt, dass die Tagesgäste weg sind, und wir beenden diesen Tag in der duftenden Stille und zwischen den ruhigen Farbspielen der offenen Teupitzer Kirche.

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): 1,5 – 2 Std. (S-Bahn/Regionalbahn und Bus)

Anfahrt Pkw (von Berlin): 0,75-1 Std. (Autobahn)

Länge der Tour: 16,5 km (Abkürzungen an vielen Stellen möglich)

Download der Wegpunkte

Links:

Seite der Stadt Teupitz

Teupitzer Bilderbuch auf dem Marktplatz (bemalte Keramik)

Einkehr:

Mittelmühle bei Neuendorf (drinnen wie draußen am Mühlteich gemütlich, gute Küche)
Am Tuptzer Hafen, Zugang vom Teupitzer Marktplatz (mit Blick auf den See)

Restaurant Schenk von Landsberg (am großen Parkplatz, keine eigene Erfahrung)

Berlin/Buch: Die Panke, der Jungwald und der Fahrtwind der Anderen

Die Panke ist ein kleiner Fluss, vielleicht auch ein großer Bach, und wird von Anfang bis Ende treu  von der Berliner S-Bahn begleitet. Wer den Lauf dieses kristallklaren Gewässers erkunden will, kann das zu Fuß an einem knackigen Tag erledigen oder die einzelnen Entdeckungen passend portioniert auf zehn S-Bahn-Stationen verteilen, die sich auf drei Linien abspielen. Wahlweise lässt sich auch etwas U-Bahn untermischen – bevorzugt natürlich der Bahnhof Pankstraße, der so betrachtet also nichts mit rebellischer Jugendkultur, zentrischen Frisuren und effizienter Drei-Akkord-Musik zu tun hat.

Blick auf den Grund der Panke
Blick auf den Grund der Panke

Die ursprüngliche Panke-Quelle soll etwas nördlich des Bernauer Bahnhofs liegen, auf Höhe der Siedlung Pankeborn, ihre ursprüngliche Mündung knapp 30 Flusskilometer später in Sichtweite zum S-Bahnhof Friedrichstraße. Beide sind zutiefst unromantisch. Was sich jedoch dazwischen abspielt, ist an den meisten Stellen verspielt, charmant und zauberhaft zu nennen und lässt einen effektiv abkoppeln vom Tempo und der baulichen Dichte der Stadt, durch die man sich bewegt.

Berlin hat zwar schon ganz klar den September erreicht, doch die Stadt ist nach drei kurzen Tagen unterhalb der 25-Grad-Marke schon lange wieder großflächig aufgeheizt und versucht sich Tag für Tag im Erreichen und Übertreffen der 30. Dank des tiefen Sonnenstandes bringen die Nächte etwas Linderung, doch die tageswarme Bausubstanz kann dazu nur kalt lächeln. Zum Ende der Woche ist einmal aufs Neue das allerletzte Sommer-Wochenende des Jahres angesagt, und die Ufer der Spree werden überall in der Stadt dementsprechend entspannte Impressionen bieten, bevölkert von verschiedensten Konstellationen von Menschen.

Brennesselpfad entlang der Panke in Buch
Brennesselpfad entlang der Panke in Buch

Wer eine geringe Bevölkerungsdichte unmittelbar um sich herum ersehnt, kann auch zwischen der Panke und dem Seegraben, einem ihrer Zuflüsse, nach warmen Tagen und einer kurzen S-Bahn-Fahrt oder ein paar Fahrrad-Kilometern angenehm Zuflucht finden. Für letzteres steht ab dem inselgelagerten Berliner Dom der Fernradweg Berlin-Usedom zur Verfügung, und allein das Wort Usedom klingt ja schon erfrischend, denkt man an den weit mehr als pankelangen Sandstrand, der zugleich die Mutgrenze zur immer etwas zu kalten Ostsee bildet.

Reinspringen und ein paar Züge schwimmen kann man an Panke und Seegraben zwar nicht, doch einer Erfrischung im Liegen steht dem nicht im Wege, der sich der beachtlichen Kälte des flach fließenden Wassers gewachsen fühlt. Und den erstaunten Blicken von etwaigen Passanten – je nachdem, welche Körperhälfte mit der nötigen Diskretion gerade gewässert wird.

Radweg Berlin-Usedom hinter der S-Bahn-Unterführung
Radweg Berlin-Usedom hinter der S-Bahn-Unterführung

Auch zu Fuß lässt es sich hier gut aushalten an Tagen, wo die Sonne gnadenlos brezelt und die Luft flirrt beim Blick in nahe Fernen. Die meisten Wege lassen vergessen, wie heiß es draußen ist, und die Luft scheint immer etwas bewegt zu sein. Das liegt an den vielen Bäumen, die lose genug gestreut sind, um bei fast jedem Blick nach oben freie Sicht zum Himmel zu gestatten, jedoch auch nah genug beisammen und am Weg stehen, um wohltuenden Schatten zu liefern.

Da einiges in dieser Landschaft noch relativ neu ist, trifft man hier auf kuriose kleine Wälder, die allesamt noch etwas niedrig sind. Dazwischen stehen unvermittelt betagte Baumriesen wie zum Beispiel eine enorme Buche. Eingebunden in das Ganze sind ausgedehnte Waldweiden, eingezäunte Gebiete, die durch Tore betreten werden dürfen. Innerhalb dieser Tore vertreiben sich englische Parkrinder und osteuropäische Konikpferde ihre Tage, ferner schottische Hochlandrinder sowie doppelt befellte Galloways. Auch wenn die Chance recht gering ausfällt, den internationalen Wiesenrupfern direkt zu begegnen, sollte man auf ein entsprechendes Treffen vorbereitet sein. Am wichtigsten dabei sind Respekt und Abstand, beides in ausreichendem Maße.

Weg entlang der Panke bei den Karower Teichen
Weg entlang der Panke bei den Karower Teichen

Buch

Unweit des Bahnhofs Buch locken gleich zwei Uferwege an die grasigen Bettkanten der eingesenkten Panke, die hier schon circa einen Meter breit ist und beeindruckend glasklar über ihren sandigen Grund eilt. Der fühlt sich so weich an, als wäre er aus märkisch eingefärbtem Sahara-Sand gelegt worden. Wer einmal so mutig war, seinen Zeigefinger in die unheimlich pulsierende Kochquelle bei Kunsterspring nördlich von Neuruppin zu halten, kennt ein ähnliches Sandgefühl.

Alles, was hier wächst im Bach, sieht so appetitlich aus, frisch und knackig grün, dass es wohl kein Salatfreund von seinem Teller weisen würde. Am rechten Ufer verläuft der Pankeweg, biegt aber schnellstens ab, als es geradeaus kaum erkennbar durch die hohe Wiese pfadet. Wer dennoch geradeaus geht, sollte lange Hosen tragen oder unempfindliche Unterschenkel haben, doch lohnend und schön ist es. Ein pensionierter und zahnloser Bahndamm hilft hinüber ans linke Ufer, wo zwischen hohen Brennesseln ein klitzekleiner Pfad direkt entlang des urwüchsigen Ufers führt, ein paar Minuten nur. Die Panke tut hier ein winziges Bisschen, als flösse sie gerade im Mittelgebirge.

Zwischen Ententeich und Schilfteich, Karower Teiche
Zwischen Ententeich und Schilfteich, Karower Teiche

An der Brücke stößt von links der Pankeweg hinzu, der für kurze Hosen, und voraus ist das rege Speichentreiben auf dem beliebten Radweg nicht zu übersehen. Noch davor beendet die Feuerwehr gerade eine Übung, auf einem eigens dafür vorgesehenen Übungsgelände, und macht langsam Feierabend. In den Fahrerhäusern erleichterte Gesichter der alltäglichen Helden, die hoffentlich gleich ihre schweren und warmen Monturen verlassen können.

Direkt hinter der Bahnunterführung lockt ein herrlicher Pfad über die Wiesen vorbei an einer einzelstehenden Prachteiche, vielleicht ist es auch eine Linde. Doch wir wollen ein Stück Richtung Stadt und schwenken auf den Radweg ein. Vor der Autobahn lockt noch so ein Pfad, danach wird der Weg etwas schmaler und ein gegenseitiges Ausweichen mit den Radfahrern bleibt nicht aus. Fast alle fahren in Richtung Stadtgrenze, so dass man sich Sorgen machen muss, ob in Berlin überhaupt noch ein paar Radler übrigbleiben. Alle sind zügig unterwegs, die einen wirken dabei sportlich verspannt, die meisten anderen genießerisch entspannt. Das ständige Ausweichen macht irgendwann etwas quengelig, doch die großen und kleinen Pedal-Verbände bringen zumindest regelmäßige Windschwälle mit sich, die ähnlich erfrischend sind wie der Anblick der etwas tiefer fließenden Panke.

Aussichtsplattform auf den Schilfteich, Karower Teiche
Aussichtsplattform auf den Schilfteich, Karower Teiche

Nachdem auch mal zwei Räder von hinten kamen, verlassen wir den Weg an einer Gruppe von größeren Kindern, die von zwei Erwachsenen gerade etwas Spannendes hören, was hier mit den Teichen zu tun hat. Ein angenehm halbschattiger Damm mit einigen größeren Bäumen führt zwischen Ententeich und Schilfteich hindurch, beides einstige Fischteiche, die auf blubbernde Weise in fließender Verbindung stehen. An drei Stellen gibt es leicht erhöhte Aussichtsplattformen, von denen sich das behäbige Teichtreiben des heißen Nachmittags beobachten lässt. Beteiligt sind neben sympathietragenden Schwänen und Enten auch ein paar Kormorane, die auf zwei ehemaligen Bäumen mitten im Teich wohnen.

Westlich der Karower Teiche
Westlich der Karower Teiche

Vor der Landstraße biegt ein schöner Weg entlang eines Wiesenstreifens ab, mit einem schier endlosen knorrigen Holzgeländer entlang von Rosen- und Holunderbüschen. Am Ende stehen wir jenseits der Straße vor einer Unklarheit des Wegeverlaufes und infolgedessen mit einem Fuß im Schlamm eines strömungsarmen Froschparadieses. Doch die Beschilderung führt schließlich auf den rechten Weg und auf der richtigen Seite des Wassers unter der Autobahn hindurch.

Fischtreppe mit knietiefem Wasser, südlich des Bogensees
Fischtreppe mit knietiefem Wasser, südlich des Bogensees

Passende Rastbänke waren bisher keine, und gerade als es höchste Zeit für eine Pause ist, sehen wir links eine aus klobigen Steinquadern gebaute Fischtreppe, die flossenlahmen oder dehydrierten Fischen dabei hilft, mehrere Zentimeter Gefälle zu überwinden und dabei vom fast schon eisigen Wasser des Lietzengrabens durchrannt wird. Das klingt erfrischend, liegt halbwegs schattig, und die Uferböschung ist sogar mit frischem Schilfstroh ausgelegt. Die vierstufige Treppe ist noch neu, so sagt die Tafel nebenan, doch ihre groben Stufen sind schon herrlich ausgelatscht. Das Wasser hier so tief, dass ein mehr als knöcheltiefes Fußbad bestens möglich ist. Das ist perfekt jetzt.

Zwischen den Karpfenteichen, Bogensee-Kette
Zwischen den Karpfenteichen, Bogensee-Kette

Durch ein metallenes Tor betreten wir die erste Waldweide. Zugegeben, der Puls erhöht sich um zwei Schläge pro Minute, ungefähr. Gleich danach geht es zutiefst romantisch zwischen zwei weiteren Teichen hindurch, der eine mit einer stattlichen Schilfinsel, der andere mit flächigen Blumenteppichen, durch die sich Enten ungerade Wege bahnen. Unter den Sohlen knacken frische und auch abgelagerte Eicheln, denn hohe Eichen stehen stattlich hier im Uferschatten und bilden einen gefälligen Kontrast zum lichten Birkenwäldchen, das als nächstes kommt, mit frischem Wiesenteppich drunter. Ein paar Minuten später liegt links des Weges ein zappendunkles Fichtenstück, ähnlich jung wie die Birken und so komplett anders vom Erscheinungsbild.

Zweiergespann im Laubteppich
Zweiergespann im Laubteppich

Der Hauptweg ist zuletzt eine ausgewachsene Allee von borkenstämmigen Linden. Mit etwas gutem Willen sieht es aus wie hier und dort auf dem Gebiet der weiten Streusiedlung Burg im Spreewald. Am Auslasstor zur Straße kommt ein Rennrad zum Stehen. Es ist zu sehen, dass er nicht friert, der Fahrer. Gekleidet ist er in ein ziemlich schniekes Wams aus Neopren, das schnellen Fahrtwind sicher abhält, doch auch die Rumpf- und Herzenswärme eher drinlässt. Fragt nach dem See, von dem wir gerade kommen. Doch der ist eher zum Schlammwaten geeignet und zum tragischen Versinken, und wir empfehlen ihm anstatt, sich analog zur Panke von vorhin ausgestreckt in den kalten Seegraben zu legen, nur ein paar Meter weiter.

Er lehnt ab und fragt nach Seen in der Nähe. Als mir der Gorinsee nicht einfallen will, hat er schon voraus die Arkenberge gesichtet, die jüngst den Teufelsberg im Grunewald in die Schranken verwiesen haben und seit Kurzem als Berlins höchste Gipfel gelten. Soweit ich weiß, liegt unterhalb des Osthangs ebenfalls ein See. Das gefällt ihm, liegt auch eher in seiner Richtung, also saust er los nach schnellem Dank und hängt sich eiligst in den würzigen Windschatten eines kreuzenden Treckers.

Birkenwald im Bucher Forst
Birkenwald im Bucher Forst

Der Seegraben bildet hier die Außengrenze eines ausgedehnten Bruchwaldes und erinnert nochmals an den Spreewald, jetzt durchaus den inneren. Eine Familie hat ihr Picknick ausgepackt an einem Rastplatz und genießt den kühlen Platz im Schatten, der erstaunlicherweise nicht von Mücken bevölkert ist. Ein seltsames Phänomen schon diesen ganzen Sommer. Vielleicht sind auch die Vögel effizienter diese Jahr und schnappen sich immer genau so viele Mücken wie gerade ausgewachsen sind.

Pappelreihe kurz vor der Schönerlinder Chaussee
Pappelreihe kurz vor der Schönerlinder Chaussee

An der erwähnten Riesenbuche geht es wieder in den Schattenwald hinein. Am großen Hauptweg, der schnurgerade ist und scheinbar keine Enden hat, lockt bald ein Schild zum Hobrechtsfelder Speicher, der schon Erwähnung fand vor etwa einem Jahr, Stichwort Energy Balls. Doch die Hitze dieses Tages hockt bestärkend auf dem inneren Schweinehund, und so wunderbar ein Kaffee wäre in absehbarer Zeit an diesem schönen Ort, so sehr lockt auch das faule Herumsitzen in einem schattigen Biergarten. Also kürzen wir ein wenig ab und gehen weiter geradeaus. Der Weg führt leicht verwachsen vorbei an üppiger Goldroute und an riesigen Stößen gründlich abgelagerten Laubholzes. Dazu der Duft von Laub der Pappeln, der unweigerlich und sehnsuchtsvoll in diesen Monat gehört.

Bei Hobrechtsfelde-Süd
Bei Hobrechtsfelde-Süd

Entlang der Schönerlinder Straße verläuft ein Rad- und Fußweg, der ebenso breit ist wie die Straße selbst, doch etwas tiefer liegt und fast wie ein Parkweg wirkt, nicht langweilig. Autos kommen nur selten, auch wenn die großzügige Breite anderes befürchten lässt. Es läuft sich hervorragend jetzt, nachdem zuletzt die Beine etwas storchengängig waren.

Zepernick

Direkt hinter dem Gelände des Seniorenheims führt unauffällig ein kleiner Schleichpfad in den Wald, der wie erhofft an der Buchenallee endet, in einem Wohngebiet mit einigen schönen Villen. Am Ende geht es wieder in den Wald hinein, den feuchten und ganz besonders schattigen. Noch vorher lockt eine Bank zum Beinestrecken. Ein Schäferhund an einer Leine kommt von links und schlägt Krawall. Der am anderen Ende der Leine sagt, dass er sich aufregt, weil dort, wo wir jetzt sitzen, gestern niemand saß. Ob der alt werden wird, der Hund, wenn er sich über Dinge dieser Größenordnung jedesmal ernsthaft aufregt?

Herrlicher Dammweg durch die Pankewiesen, Röntgental
Herrlicher Dammweg durch die Pankewiesen, Röntgental

Röntgental

Nach dem zweiten Unterqueren der S-Bahn-Gleise unweit des Bahnhofs Röntgental darf man direkt geradeaus und spaziert bald auf einem urgemütlichen Dammweg über die Wiesen der Panke. Mitten im saftigen Grase sitzen Leute und genießen die schon spürbar nahende Abendluft des Bachtales. Der Tag atmet aus, kühl und beruhigend, was vom frischen Heu der jüngsten Mahd noch bekräftigt wird. Auf dem Weg nach Usedom dreht sich kaum noch ein Rad, die Panke plätschert friedlich nebenher und die Sonne steht schon tief. Auch darauf ist Verlass jetzt im September, da kann sie heizen wie sie will den ganzen Tag, die liebe Sonne.

Spreewald-Impression an der Insel im Bucher Schlosspark
Spreewald-Impression an der Insel im Bucher Schlosspark

Zum schönen Abschluss biegen wir links ab in den Schlosspark Buch, der uns neben einladenden Wegen und schattigem Baumbestand mit weiteren Spreewald-Impressionen versorgt, inklusive Laub und Enten auf dem stillen Wasser der verzweigten Pankearme – und so mancher Brücke. Was jetzt noch fehlt, ist nur ein Tisch unter Kastanien, darauf ein frisch gezapftes Eis. Es soll sich finden, direkt hinter dem Süd-Portal des Parkes.

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der S-Bahn bis Buch (ca. 30 Min. ab Zentrum)

Anfahrt Pkw (von Berlin): ca. 40 Min. (über Autobahn oder über die Dörfer)

Länge der Tour: ca. 14,5 km, Abkürzungen gut möglich

Download der Wegpunkte

Links:

Karower Teiche

Bogenseekette und Lietzengraben-Niederung

Schlosspark und Stadtgut Buch

Einkehr: in Buch verschiedene gastronomische Angebote (meist Imbiss),
Ristorante Il Castelle mit schönem Kastanien-Biergarten (am östlichen Schlosspark-Portal)

Berlin/Marzahn: Grüne Wege und große Vielfalt – durch die Plattenprärie im wilden Osten

Berlin ist schon seit Wochen hin und hergerissen zwischen dem immer wieder angekündigten Ende des Sommers und seiner stets überraschenden Rückkehr, die manchmal ein paar Tage andauert, manchmal auch nur zwanzig Stunden. Die wärmste Jahreszeit fand in diesem Jahr eher in Mai und Juni statt als wie gewohnt von Juli bis August. Es ist Ferienzeit und die Stadt voller als gewöhnlich von Touristen, während eine Großzahl derer, die alle vier Jahreszeiten hier zubringen, die Flucht ergriffen hat. Das ist ganz gut so, denn dem Brauch folgend werden allerlei Sperrungen von Zugstrecken, Straßen und Fusionen von beidem in diesen Wochen abgehandelt, was für Touristen sicherlich zum Abenteuer Berlin gehört, für die Berliner jedoch eher nervig ist während der kostbaren Tage des Urlaubs.

Blick vom Ahrensfelder Berg nach Westen
Blick vom Ahrensfelder Berg nach Nordwesten zur Ahrensfelder Kirche

Wer nicht außerhalb weilt oder schon von dort zurück ist und noch freie Tage übrig hat, kann innerhalb der Stadtgrenzen enorme Vielfalt und Überraschendes aus verschiedensten Richtungen und Bereichen finden. Häufig ist beides auch dort zu finden, wo man eher wenig damit rechnen würde. Und es kann ein Tag daraus werden, der von Stunde zu Stunde immer größer wird und verschiedenste Welten und Landschaften miteinander verbindet.

Bahnhofsvorplatz in Wartenberg
Wohlwollender Blick auf den Bahnhofsvorplatz in Wartenberg

Wer zum Beispiel einen Stadtteil aufsucht, bei dessen Namen man sofort an Grau denkt, kann mit sehr viel Grün überrascht werden, und wer sich am dicht besiedelten Stadtrand aufhält, kann innerhalb des Stadtgebiets in eindrucksvolle Landschaften eintauchen. So ist es keineswegs ein Widerspruch, den ganzen Tag Plattenbau-Siedlungen zu durchstreifen und dennoch Haken für Haken auf einen Wunschzettel setzen zu können, auf dem Worte wie Berggipfel, Flusstal, Dorf und Sumpfwiese oder auch Windmühle und Kuhweide stehen. Kleiner Hinweis: wer mit Kindern unterwegs ist, sollte bei der Zeitplanung beachten, dass an vielen Stellen großzügige Spielplätze im Grünen einladen, von denen keiner dem anderen ähnelt und deren Angebote nicht nur Leute unter einem Meter Körpergröße neugierig machen. Der Stefan aus dem Buch „Die Insel der Schwäne“ wäre wohl heute sehr zufrieden, wenn er sehen würde, was aus den „kleinen Wiesen“ geworden ist, für die er dreißig Jahre zuvor gekämpft hatte.

Parkfläche unweit des Bahnhofs, Wartenberg
Parkfläche unweit des Bahnhofs, Wartenberg

Wenn man also heute durch Marzahn oder Hellersdorf spaziert und keine Plattenbau-Phobie hat, lässt sich wahrnehmen, dass die Stadtplaner in den Siebzigern und Achtzigern eine Vision hatten und das, was davon umgesetzt werden durfte, über die Jahrzehnte aufgegangen ist. Bei allem Grau des flächig verbauten Betons sind lebenswerte Siedlungen gewachsen, deren Straßen über viel Grün verfügen. Die dürren Baumschulabgänger von einst verfügen mittlerweile über beachtliche Laubdächer, und viele der grauen Hauswände sind jetzt bunt. Dazwischen gibt es zahlreiche Grünflächen und Parks, so dass beim Durchstreifen der Anlagen das Gefühl erwächst, sich durch eine ausgedehnte Parkanlage zu bewegen. Die Spaziertage in den Plattenbau-Vierteln in Ost und West zählen zu den eindrücklichsten in Berlin – eben wegen der Kontraste und Widersprüche, die aus Erwartung und Erleben entstehen.

Wiesenbrache hinterm Falkenbogen, Wartenberg
Wiesenbrache hinterm Falkenbogen, Wartenberg

Nach Wartenberg fährt direkt vom Alex die S-Bahn. Einen stufenloseren Transfer von der Innenstadt in die Welt der standardisierten Hochhäuser ermöglicht jedoch die Straßenbahn, die ebenfalls hier abfährt, nur ein Stockwerk tiefer im Parterre und dann quer übern Platz – von so viel Bodenhaftung kann die S-Bahn nur träumen. Nach längerer Fahrt hält die M 4 kurz vor Ihrem Ziel Falkenberg am S-Bahnhof Hohenschönhausen. Wiederum ein Stockwerk tiefer ist es dann nur noch eine Station nach Wartenberg.

Am Seegraben bei Falkenberg Dorf
Am Seegraben bei Falkenberg Dorf

Wartenberg

Nicht so hoch wie die in Marzahn sind die Plattenbauten von Wartenberg, die herangewachsenen Bäume wirken daher größer. Der verwaist wirkende Bahnhofsvorplatz bietet ein kleines Wäldchen mit schattigen Bänken und ein paar zaghafte Möglichkeiten für eine Stärkung. Wenig später schon lockt der erste Pfad in einen offenen Park mit sanft geschwungenen Wegen und damit zu den ersten Spielplätzen dieser Tour. Schon dieser Einstieg macht mit dem Umstand vertraut, dass die Tour zum größten Teil durchs Grüne führen wird, stärkerer Verkehr oder Autolärm nur an einigen wenigen Stellen anzutreffen ist. Präsenter sind da eher die Flugzeuge, die sich im Landeanflug auf Tegel befinden.

Blumengerahmte Eichenallee am Tal der Neuen Wuhle
Blumengerahmte Eichenallee am Tal der Neuen Wuhle

Nach etwas Straße quert ein Pfad über eine wildwüchsige Wiese, welcher der gartenpflegerische Sparkurs zu einer bunten Vielfalt verholfen hat. Direkt dahinter befindet sich der Falkenbogen, ein mittelmodernes Center mit ein paar Geschäften, Gastronomie und einem Kieztreff. Vorn an der breiten Falkenberger Chaussee befindet sich hier ein berlinweites Kuriosum für Notfälle der besonderen Art: der Streubelsche Bäckerbetrieb bietet ähnlich wie Apotheken einen Nachtschalter an. Wer also eines Nachts hochschreckt, hellwach ist und das dringende Verlangen nach Crémetorte oder einem frischen Stück Kuchen empfindet, kann hier zu jeder Zeit an der Nachtglocke läuten und wird Hilfe bzw. konditorische Erstversorgung erhalten.

Allee mit östlicher Blüte
Allee mit östlicher Blüte

Eine Grünfläche später steht man vor der ICE-langen Fassade einer kombinierten Schule, an deren Ende etwas alte Dorfstraße beginnt. Gleich hier biegt ein motorfreier Weg ab, direkt in die naturgeschützte Botanik der Wartenberger Feldmark mit ihren baumgesäumten Wiesen, ihren Weiden und Obstgärten. Die folgende Stunde bis zum Bahnhof Ahrensfelde verläuft vollständig durch Parks und Grünanlagen, die jede fürs sich ihren eigenen Charakter und dementsprechend ihren eigenen Reiz haben. Für Orientierung sorgt die blaue Markierung der Zwanzig Grünen Hauptwege der Stadt Berlin, von denen diese Tour gleich mehrere benutzt oder berührt.

Hinterhof in Ahrensfelde
Hinterhof in Ahrensfelde

Falkenberg

Nach einem kurzen Blick auf das Dorf Falkenberg setzt sich der Weg fort, durch etwas jungen Wald und mit Obstbäumen am Wegesrand, die in wenigen Wochen interessant sein dürften, jetzt noch nicht. Hinter einem kleinen Graben geht es dann durch die Trockenwiesen – entweder breit und bequem für Rad und Fuß oder ufernah als struppiger Trampelpfad. Überall sind Radfahrer unterwegs und Jogger, ältere Damen und junge Paare mit ihrem Nachwuchs im Kinderwagen. In allen Blicken lässt sich die Stimmung dieses einzelnen Sommertages ganz klar ablesen. Entspannt und zufrieden, ein bisschen glücklich. Und beruhigt darüber, dass sich der Herbst noch etwas Zeit lässt.

Zwischenhof unweit des Havemannplatzes
Zwischenhof unweit des Havemannplatzes

Nach ein paar Metern entlang der Hohenschönhauser Straße kommen voraus zwei Dinge in Sicht, die um Aufmerksamkeit buhlen. Gleich rechts ragen im Schatten kleiner Bäume große, geschwungene Gehörne aus den hohen Wiesen, und voraus steht eine riesige bunte Blume am Beginn einer äußerst geraden Allee. Wenn ich nicht irre, ein Sonnenhut, vielen vielleicht aus der Erkältungszeit als Echinacea bekannt. Eine Blume, die so aussieht, wie ein älteres Kind eine Blume malen würde. Das wonnige Gewächs ist knapp vier Meter hoch und innen wie außen komplett mit Mosaiksteinen gepflastert.

Schöner Ort für eine Pause oder mehr
Schöner Ort für eine Pause oder mehr

Rechts zeigen sich noch einmal die herausragenden Hörner der Brummochsen, die sich hier um die Offenhaltung einer großen eingezäunten Fläche kümmern, ihren Dienst mit großer Ruhe und Sorgfalt angehen. Voraus erstreckt sich akkurat die Allee aus jugendlichen Eichen, und in den Wiesen verlocken unterschiedliche Gerätschaften aus Holz oder Metall dazu, mit Spaß an der Freude die Gelenke mal wieder durchzuschmieren oder zu prüfen, wie es um die Körperkoordination steht. Oder sie einfach nur als Spielplatz zu nutzen.

Gleisbett der Straßenbahn, Ahrensfelde
Gleisbett der Straßenbahn, Ahrensfelde

Es gibt auch einen ganz harmlosen und völlig sportfreien Rastplatz oberhalb der leicht eingesenkten Neuen Wuhle. Dass deren Bett so großzügig ausfällt, erklärt sich damit, dass hier früher das Klärwerk Falkenberg große Mengen Wassers bereitstellte, die beim Zusammenfluss mit der eigentlichen Wuhle unweit des Dorfes Eiche deren Volumen ca. verzehnfachten. Als das Klärwerk 2002 stillgelegt wurde, musste sich die nun winzige Wuhle mit ihrem breiten Bett gänzlich neu arrangieren. Das hat sie bis heute ganz gut hinbekommen, wobei verschiedene Maßnahmen geholfen haben und noch immer helfen.

Grüne Wogen und ein krummes Rohr im Seelgrabenpark
Grüne Wogen und ein krummes Rohr im Seelgrabenpark

Für die Mosaikblume von vorhin gibt es übrigens am Ende der Eichenallee ein Gegenstück mit aufgefächertem Blattwerk und einer klaren Neigung zu Orangetönen. Auf der Verlängerung der kleinen Allee über die Wolfener Straße hinaus kreuzen voraus hin und wieder S-Bahnen oder Regionalzüge. Parallel zu den Gleisen verläuft der Grünstreifen mit teils schattigen Parkwegen vorbei an einer schönen Plansche, bis man schließlich relativ unvermittelt von der Überführung zum Bahnhof Ahrensfelde angegähnt wird. Die ist absolut ungeschminkt, und so wirkt es am anderen Ende regelrecht kuschlig, wenn neben den allgemeinen Hinweisen zu Ausgang, Bus und WC auch einer zum Barnimer Dörferweg aufgeführt ist, der an dieser Stelle für diesen und jenen durchaus eine Verlockung darstellen könnte. Zu Recht, durchaus. Doch wir wollen in Berlin bleiben, denn die meisten Spezialitäten am Weg stehen noch aus.

Kurz vor dem Gipfelplateau, Ahrensfelder Berg
Kurz vor dem Gipfelplateau, Ahrensfelder Berg

Ahrensfelde

Den speziellen Charme rund um den Bahnhof Ahrensfelde muss man schon mögen. Ein kleiner Schwenk nach links lohnt dennoch, wenn man im direkten Vergleich sehen möchte, wie sich durch Wegnehmen und Hinzufügen aus rein quaderförmigen Standard-Platten recht ansprechende und individuelle Mehretagenhäuser mit unterschiedlichen Grundrissen, Terrassen und offenen Bereichen machen lassen. Das ist bestimmt eine dankbare Aufgabe für einen Architekten. Für uns ergibt sich als kleiner Nebeneffekt noch das Auffinden von Original-Drehschauplätzen für das Video eines bezopften Köpenicker Lokalbarden, der musikalisch gern die Werbetrommel für seinen schönen Bezirk rührt.

Blick vom Gipfel auf die südlichen Nachbarberge
Blick vom Gipfel auf die südlichen Nachbarberge (ganz hinten das Müggelgebirge)

Die Dichte an Spielplätzen auf den kleinen Grünflächen zwischen den Blocks steigt jetzt massiv an, so dass Familien ab hier vermutlich nicht allzu flüssig vorwärtskommen werden. Warum auch, wenn es sich doch schön verweilen lässt. An der Straßenbahn, die bezirkstypisch über ihr ureigenes bequemes Bett verfügt, liegt jenseits der Havemannstraße der Barnimplatz, großzügig angelegt, doch etwas verloren. Etwas heimeliger ist da schon der hügelige Innenhof zwischen zwei kurvigen Hochhauszügen, auf dem oberhalb des Spielplatzes auch ein übermannshoher Fliegenpilz wächst.

Abstiegsstufen kurz hinterm Gipfel, Ahrensfelder Berg
Abstiegsstufen kurz hinterm Gipfel, Ahrensfelder Berg

Zwei Jungs, nee zwei Steppkes hängen im vierten Stock am Fenster und schauen raus, noch einer steht unten und versucht angenehm gelangweilt, im Stand auf seinem Fahrrad nicht umzufallen, während er zu den beiden hochstiert. Ferien eben. Die beiden von oben rufen uns zu „Ihr seht top aus!“. Das hört man natürlich immer gern, speziell, wenn es nicht von Leuten kommt, die erheblich älter sind als man selbst. Ob sie jetzt „Topp“ meinten, lässt sich nicht heraushören, also nehmen wir mal das Erstgenannte an. Und ob unsere jeweils strohgedeckten Köppe gemeint sind oder das teils pragmatisch, teils modisch zusammengestellte Gesamtarrangement der sommerlichen Stadtspazeure, auch das darf offen bleiben.

Ein paar Meter von dem Balancierenden steht eine Pumpe, die jetzt willkommen ist, um endlich mal die Spuren der Kuchenpause abzuwaschen und auch schlichtweg den Puls abzukühlen, denn ist es wirklich Sommer heute. Einer von den dreien schreit noch rüber, dass dit dauan kann und man lange pumpen muss, bis watt kommt. Und es dauert, doch das kennen wir von den höherliegenden Innenstadtpumpen bestens. Da können schon mal ein paar Minuten ins Land gehen. Doch die Ausdauer lohnt, gleich der erste eiserne Schwapp ist eisig und herrlich erfrischend.

Wuhletal-Weg am Straßenbahnhof Marzahn
Wuhletal-Weg am Straßenbahnhof Marzahn

Für den Gaumen hätten wir auch gern was Erfrischendes, und auch eine Stärkung für den anstehenden Aufstieg wäre richtig schön, doch am Straßenbahnhof Niemegker Straße gibt es zwar etwas, doch die schönsten Draußentische sind schon besetzt und drinnen ist ganz klar zu wenig Wind. Also weiter, und ein paar grüne Höfe später überrascht uns eine Golfanlage, mit der man hier wirklich nicht gerechnet hätte. Eingeschmiegt zwischen Straßenbahntrasse, Apfelbäumen und Sportplatz liegt ein winziges Areal mit einer turnierfähigen Minigolf-Anlage darin. Dass das hier alles reinpasst, liegt an geschickter Verschachtelung der achtzehn verschiedenen Bahnen. Umgeben ist das Ganze von Gebüsch und Geheck, so dass man drinnen denken könnte, man wäre irgendwo auf dem Lande und es kämen gleich Kinder um die Ecke, die Annika, Lisbeth oder Rasmus heißen.

Teichquerung im Wiesenpark, Wuhletal
Teichquerung im Wiesenpark, Wuhletal

Neben der Möglichkeit zum Abschlag gibt es hier auch ein kleines gastronomisches Angebot und gemütliche Außenanlagen. Das ist sehr willkommen, denn der Proviant ist knapp geworden. Die Anlage ist gut genutzt von Leuten aller Altersklassen, von Paaren, Familien und angemeldeten Gruppen, die allerhand unterhaltsame Kommentare hören lassen und meistenteils sehr vernügt sind.

Birkenplateau am Fuße des Holzsofas
Birkenplateau am Fuße des Holzsofas

Jenseits der Gleise liegt nördlich des Tals der Neuen Wuhle der Borkheider Teich, mit kleinem Entenstrand. Hinter einem Wäldchen jagen im Seelgrabenpark Delphine durch die Wiese, weiter hinten träumt ein Walfisch vor sich hin und am Spielplatz zieht die geschwungene Rutsche alle Aufmerksamkeit auf sich. Ein Trampelpfad führt durch anhängliches Buschwerk ans Südufer der Neuen Wuhle, wo der Ahrensfelder Berg schon seine steile Nordflanke mit ihrer breiten Rodelpiste ins Bild hält. Hinter Sumpfwiesen und einer Weide, die von schottischen Hochlandrindern betreut wird, zweigt rechts der Zustieg ab.

Aussichtsplattform oberhalb des Wiesenparks
Aussichtsplattform oberhalb des Wiesenparks

Der eigentliche Aufstieg zum Gipfel führt pulssteigernd ohne jegliches Drumherum durch den steilen Waldhang auf das fünfzig Meter höher gelegene Gipfelplateau, das am Erreichen der Baumgrenze kaum Zweifel lässt. Die Sicht von hier ist gewaltig und gestattet Blicke auf die beiden Nachbarberge in Richtung Süden, aber auch auf alle ebenbürtigen Berliner Gipfel wie den bekuppelten Charlottenburger Teufelsberg im Westen, die seeüberragenden Pankower Arkenberge im Norden oder die betürmten Müggelberge im Südosten Berlins. Darüber hinaus reicht der Blick weit ins Land Brandenburg hinein, und auch die unmittelbaren Stadtteile zu Füßen des Berges geben ein eindrucksvolles Bild ab. Eine längere Pause ist hier kein Problem, auch wenn es keine bewirtschaftete Alm gibt.

Altes Dorf Marzahn
Altes Dorf Marzahn

Ahrensfelder Berg

Der Gipfel ist gut besucht, doch es verteilt sich angenehm. Ein Pärchen versucht im wohlwollenden Dialog, einen Drachen in den Wind zu bringen, trotz frischer Brise relativ erfolglos. Eine Familie kann ihre vier sommerlichen Kinder unbesorgt auf die Wiese ausschwärmen lassen. Andere haben ihre Decken ausgebreitet, und manche sitzen einfach nur auf einer Bank oder dem kleinen Mäuerchen des Gipfelplateaus und genießen still das Exklusive dieses Ortes.

Mühle überm Dorf
Mühle überm Dorf (mit Zehngeschosser im Hintergrund)

Der Abstieg durch die strauchigen Blumenwiesen beginnt auf urig ausgelatschten, groben Holzstufen, später geht es weiter auf einem schmalen Pfad durch schattigen Hangwald. Alternativ gibt es einen bequemen Abstieg auf einem breiten Weg. So oder so, der Weg hinab verläuft relativ flach über einen langen Sporn und lässt sich dadurch ausgiebig genießen. Sein Ende liegt am Tal der Wuhle.

Am Marzahner Dorfanger
Am Marzahner Dorfanger

Ein schmiedeeisern anmutendes Portal zur Landsberger Allee führt zur fast einzigen lauten und verkehrsreichen Stelle des gesamten Weges. Drüben setzt sich der Wuhle-Wanderweg fort, unterhalb großer Weiden dem Ufer folgend. Kleine Abstecher lohnen sich und führen unter anderem zu einem Weiher mit Plankenweg, einem riesigen Holzsofa oberhalb eines Birkenwäldchens und weiteren Spielplätzen mit viel Platz in alle Richtungen. Voraus ist der Kienberg zu sehen, auf den in greifbarer Zeit eine Seilbahn fahren soll, im Rahmen der Internationalen Gartenbauausstellung.

Blick auf den tiefsten Punkt der Marzahner Promenade
Blick auf den tiefsten Punkt der Marzahner Promenade

Ein breiter Talboden wird der Wuhle an dieser Stelle genehmigt, so dass jegliches Spielen auf den Spielplätzen vom windflüchtenden Stammwald und dem blauen Walfisch besonders grenzenlos sein muss. Gen Westen setzt eine kleine Geländekante dem Wohnungsbau eine natürliche Grenze entgegen. Dort oben lockt eine frisch bewaldete Aussichtsplattform mit roten Bänken zum ausgiebigen Rumsitzen oder dem Beobachten des langsamen Schattenwachstums auf den warm beschienenen Nachmittags-Wiesen.

Der Weg durch das neuere Wohnviertel schafft mit seinen Straßennamen Lust auf kommende Ausflugstage, alles Orte im Umkreis von Strausberg. Hinterm Blumberger Damm steht der nächste Spielplatz bereit, und jenseits einer im Sinkflug befindlichen Ladenpassage lässt sich eintauchen in die gemütliche Welt eines märkischen Angerdorfes mit allem Drum und Dran. Sogar eine Mühle gibt es hier, mit echtem Müller und gemahlenem Mehl. Nur fällt im Vergleich zu den meisten anderen Dörfern nicht der Schatten von hochgewachsenen Pappelreihen auf die Häuser oder der von tiefhängenden Wolken, jedenfalls nicht vorrangig. Mit Schatten werfen hier vornehmlich hochgeschossene Quader, die zu kuriosen Kontrasten verschiedenster Gebäudekanten führen.

Das Tor zum Osten, gesehen vom Straßenbahnsteig
Das Tor zum Osten, gesehen vom Straßenbahnsteig

Angerdorf Marzahn

Zwischen den Hochhäusern steht der alte Dorfkern von Marzahn stillvernügt und völlig unbeschadet mit seiner allumfassenden Dörflichkeit, inklusive stufengiebliger Ziegelkirche, gemütlichem Dorfkrug und märkischer Hausfassaden entlang des länglichen Angers. Vor dem Dorf auf einem Hügel die erwähnte Mühle sowie Viehweiden und landwirtschaftliches Gerät. Und natürlich ein schöner kleiner Spielplatz. Wer noch etwas Zeit übrig hat und der Neugier folgen möchte, kann am westlichen Ende des Angers ergründen, was es mit dem Kulturgut Marzahn und dem hübschen Wort Schamottchen auf sich hat.

Ein Sommerabend im Volkspark Friedrichshain
Ein Sommerabend im Volkspark Friedrichshain, gesehen vom schönen Kiosk am Westeingang

Ein letzter Weltenwechsel wartet hinter der Landsberger Allee, nun wieder direkt in der Platte. Vom offenen Platz vor dem Freizeitforum Marzahn, langjährigen Einwohnern vielleicht noch bekannt als Plattmar Formzahn, geht es vorbei an zwei schönen Spielplätzen direkt auf die Marzahner Promenade, die derzeit auf ihrer Länge mehrere Gesichter hat. Breit und etwas verlassen steigt sie von der höchsten Ebene stufenweise tiefer, bis eine überdachte und gut besuchte Passage beginnt. An einem einladenden kleinen Platz liegt der tiefste Punkt der Promenade. Danach schmiegt sie sich baumschattig entlang des Einkaufscenters Eastgate und führt zu besten Schienen-Kontakten in die Stadt. Kein Tourist ist hier zu sehen weit und breit, man hört fast ausschließlich den Berliner Dialekt und oft auch die russische Sprache.

Vor dem Freiluftkino Friedrichshain im gleichnamigen Volkspark
Vor dem Freiluftkino Friedrichshain im gleichnamigen Volkspark

Wer vielleicht nach dieser facettenreichen Wildost-Expedition eine neue Jeans benötigt, vielleicht auch eine Waschmaschine oder ein Duftwasser, lässt die letzten beiden Kurven weg und kommt direkt zu den betreffenden Händlern. Und wer nach so viel Abstinenz doch noch etwas Touristengetümmel braucht, steigt einfach in die nächste Straßenbahn und fährt zum Volkspark Friedrichshain. Oder etwas weiter bis zum Alex. Womit sich dann der Bogen der elektrischen Oberleitung schließt.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit Straßenbahn und S-Bahn bis S-Bhf. Wartenberg

Anfahrt Pkw (von Berlin): nicht sinnvoll, da Streckentour

Länge der Tour: ca. 15,5 km (vielfältig modifizierbar, da alle paar Minuten der ÖPNV berührt wird)
für eine kürzere Tour mit Kindern (ca. 6 km) empfiehlt sich der Einstieg an der Straßenbahn-Haltestelle Niemegker Str. (GPS-Wegpunkt 33) bis zum Dorf Marzahn mit der Mühle (Wegpunkt 68), hier hält dieselbe Straßenbahnlinie

 

Download der Wegpunkte

 

Links:

Bäckerei Streubel (Werkverkauf mit Nachtschalter)

Wartenberger Feldmark

Information zur Neuen Wuhle

Seelgrabenpark

Neue Idee für die Ahrensfelder Berge

Ausflugsziel Dorf Marzahn

Mühle Alt Marzahn

Freizeitforum Marzahn

 

Einkehr: Alter Dorfkrug, Marzahn (am Anger; gemütlich, freundlich, sehr gute Küche, mit kleinem Biergarten),
vorher und nachher entlang des Weges diverse weitere Möglichkeiten