Alle Beiträge von Wegesammler

Reichenberg: Stöbbermühlen, schneller Kornduft und der Echsen-Schwank

Es ist Juli, und über Stadt und Land sorgen die blitzschnellen und verwegenen Mauersegler mit ihrem schrillen Pfeifen für eine verlässliche Bestätigung der Jahreszeit. Dasselbe gilt für die Grillen, die schon aus kleinsten Wiesenflächen unüberhörbar zirpen, und sei es nur der Mittelstreifen einer breiten Ausfallstraße oder ein vergessenes Wiesenstück an einer lauten Kreuzung. Dementsprechend intensiver sind ihre Klangteppiche über uferlosen Wiesen oder Weiden auf dem Lande. Die Sonne zeigt sich eher punktuell, doch wenn sie da ist, beeindruckt sie sofort mit hochsommerlicher Kraft.

Im mittleren Stöbbertal zwischen den Mühlen

Der Sommer hat in den letzten Jahren gezeigt, dass er Freude gefunden hat an Superlativen. Ausgedrückt hat er das diesmal nicht in Grad Celsius, sondern in selten gemessenen Werten der niederschlagenden Millimeter-Skala. Auf dem Wetterradar sah das aus wie ein erboster Strudel, den seine Suche nach sich selbst über ganz Norddeutschland gefangen hielt. Selbst im vergleichsweise winzigen Einzugsgebiet von Berlin gab es bei diesen Wetterereignissen enorme Unterschiede, so dass es in einzelnen Bezirken einfach nur sehr stark schüttete, währenddessen rund um Oranienburg binnen eines Tages so viel Wasser herunterkam wie sonst in einem halben Jahr nicht.

Zwischendurch gab es dann wieder arglose Phasen, und dieser Tage ist wieder ein gefälliges Maß an Sommerwetter erreicht, das fast jedem Geschmack etwas gerecht wird. Es ist die beste Zeit im Jahr für schöne Hochzeitsfeste, die nackte Schultern ermöglicht und Sonne auf dem Scheitel, Tanzen und Feiern bis in die morgendliche Nacht, beseeltes Schweigen unterm Sternenzelt beim Sound von tausend Grillen in den Wiesenhalmen. Leuten, die befürchten, sie könnten eines Tages ihren Hochzeitstag vergessen, empfiehlt sich in diesem Jahr der erste Tag des Monats Juli, doch nur wer schnell genug gewesen ist oder wen in der Verwandtschaft hat, der jemand kennt, wird seinen liebsten Menschen gewissermaßen frisch gebacken in den zweiten Juli führen.

Gräserner Kirchgang in Reichenberg

Als Ort für so einen besonderen Tag gibt es unzählige Möglichkeiten, die alle das hochrelevante Merkmal der ziemlichen Einzigartigkeit bieten. Wer dabei glaubt, mit Fähren oder Leuchttürmen, Schlössern oder Bohrinseln oder gar historischen Ruinen wäre es im Wesentlichen getan, kann sich gern noch überraschen lassen. Zum Beispiel von übergroßen, teils ächzenden Metall-Skulpturen, die imposant weit verstreut auf einer endlosen Wiese stehen, benachbart zu drei zauberhaften Rückzugsorten komplett verschiedener Größe. Oder einem wunderschönen Saal mit eigenem Strand zum Müggelsee, mitten in der Stadt Berlin.

Wenn nach einer Woche der Nachhall all der schönen Erinnerungen und wohligen Töne langsam leiser wird, da irgendwo im Hinterkopf, wird es manche gleich zur nächsten Hochzeit ziehen, andere in die grüne Stille. Geeignete Zutaten, die bestens in den Sommer passen, wären zum Beispiel ein saftig grünes Bachtal von Romantik und Zurückgezogenheit auf der einen, duftende und winddurchwogte Kornfelder auf der anderen Seite. Dazwischen ein paar Dörfchen und auch Mühlen, gerne auch ein Einkehrort direkt am Weg. Eine entsprechende Datenbank-Abfrage würde neben anderen das Stöbbertal ausgeben.

In der Kornduftschneise hinter Reichenberg

Die Stöbber ist keine dreißig Kilometer lang, doch sie verbindet verschiedenste Landschaften. Da ist zunächst das flache Rote Luch bei Strausberg, unscheinbar und schön. Die stöbberschen Wasser trödeln von hier in zwei grundverschiedene Richtungen und adeln das Luch damit zur Wasserscheide zwischen Nord- und Ostsee. Später fließt der oderstrebige Arm durch das mittelgebirgig anmutende Zentralmassiv der Märkischen Schweiz, zuletzt dann durch die reichhaltige Teichlandschaft bei Altfriedland, die Unmengen von Vögeln als Brut- und Rastplatz dient. Zwischen den letzten beiden zieht sich in tiefer Idylle das mittlere Stöbbertal und bietet einen sanften und genießerisch langgezogenen Übergang von der höhenmeterfreudigen Schweiz zur hügeligen Ringenwalder Heide an. Die wiederum gibt Anhängern der frühesten Blümchen eines jeden Jahres viel Anlass zu kleinen spitzen Seufzern.

Es gibt einige Landschaften, denen man das Prädikat „Nummer Sicher“ verleihen könnte, wenn es um einen schönen und auch runden Tag geht unter freiem Himmel. So auch dieser Teil des Stöbbertals. Damit die Kornfeldquote stimmig ist, empfiehlt sich als Startpunkt eines der nördlich gelegenen Dörfer. Zum Beispiel Reichenberg.

Zustieg zur Einkehr an der Pritzhagener Mühle

Reichenberg

Über Reichenberg liegt Stille. Zwei Pferde trotten nach Hause, genauso viele Bengels hängen ihre Angelhaken in den Teich und irgendwo fegt jemand irgendwas. Das einzig Dialogische kommt von den Hühnern hinterm wiesengrünen Kirchgang, über dem die Kirche auf dem Hügel lagert, wie auf einer Insel.

Gleich hinterm Dorf weht einem der kräftige Wind den erhofften Sommerduft nach gut gereiften Ähren direkt in die Nüstern. Ein Weg lockt in die Wiesen und verliert hinterm Galgenberg an Höhe. Seinen Rand säumt die blauweißgelbe Feldrandmischung dieser Wochen, und voraus liegen gefällige Landschaften in vielfältiger Abwechslung und perfekter Anordnung – als hätten sie sich in Pose geworfen für das Auge des Betrachters. Unten im Wald duftet es würzig nach regengesättigtem Erdreich, und gleich danach kommt uns der Weg abhanden. Ist nicht mehr übrig zwischen Mais und Gerste. Ein netter Trecker hat jedoch ein paar Meter westlich eine gangbare Spur gelegt, durch die sich lautstark staksen lässt, mit ständigem Gekitzel von den langen blonden Grannen.

Schattige Passage im Stöbbertal, ganz dicht am Bach

Pritzhagen

Dass die Alternative auf der Straße kein Problem wäre, zeigt sich auf dem kurzen Stück zum Abzweig nach Pritzhagen. Kaum Autos sind hier unterwegs und man läuft wie auf einem Kamm, mit weitem Blick und scheinbar über allem. Über allem liegt auch das Dorf Pritzhagen. Ein Mädchen schlägt mitten auf der Straße makellose Räder, so unbeschwert und ergiebig, als wenn schon Ferien wären im Lande Brandenburg. Hinten am Teich bei der Kirche ist heute die Ostsee-Quadrille zu Gast, ein zerfasert abgeparkter Convoi von Anhängern und Zugmaschinen, der offensichtlich mit Pferden zu tun hat. Ein großer Mann in Schwarz ist mit seinem großen schwarzen Pferd scheinbar in denselben Traum versunken.

Gabelung an der alten Eiche

Direkt hinterm Dorf fällt die Straße entlang einer saftigen Weide ab, bald schon stärker, links gähnt ein steiler Waldhang. Ein Fröschlein, kleiner als ein Hemdknopf, quert behende die Straße. Geschlagene fünfzig Höhenmeter weiter unten ist am Tornowsee der tiefste Punkt erreicht. Kurz überm Wasser hängt an einer einladenden Badestelle ein langes Tau und kann speziell im Sommer hilfreich sein, wenn man das Loslassen üben will. Nach dem nächsten Abbiegen hört man sie dann endlich rauschen, die Stöbber, die hier mit einer tosenden Fallstufe ihre verträumte und kurvige Passage durch den Wald beendet. Das andere Ende liegt beim Schweizerhaus am Rand von Buckow.

Eine der schönsten Rastbänke, Stöbbertal

Pritzhagener Mühle

Ob nun hungrig oder nicht, auf jeden Fall sollte man sich den Ver- und Gebotsschildern trotzend zur benachbarten Pritzhagener Mühle durchschlagen und bei einem kräftigen Kakao diesen wunderschönen Ort genießen, der dank seiner vordergründigen Hintergrundmusik verlässlich von einer süßen Melancholie umweht wird. Obwohl hier keineswegs alles perfekt ist, birgt dieser Ort leichtes Suchtpotential. Gleichermaßen schön ist es vorne draußen, innen drinnen und hinten unten. Wobei hinten unten auch nah dran ist an den Stöbberflächen und dieser Tage eher gut, wenn man kleine Dosen Blut loswerden will. Schilder besagen, dass es hier ab 16.30 Uhr nur Champagner gibt und Kaviar nach Gewicht – vielleicht schreckt das ja erprobt die Mücken ab.

Brummochsen mit ähnlichen Frisen im mittleren Stöbbertal

Während wir sitzen und schlürfen, spielt sich rund um den gepflasterten Türbereich eine hinreißende und tragikomische Szenerie des Verpassens ab, wie in einem Theaterstück, wo ständig die Türen klappen und alle aneinander vorbeirennen. Insgesamt sind drei Darsteller beteiligt, die sich alle zum Verwechseln ähnlich sehen und von jetzt auf gleich mit dem Granitgestein der Katzenköppe verschmelzen können oder so in einer der Zwischenfugen versinken, dass passierende Kundschaft keine Gefahr darstellt. Letztlich laufen alle Verabredungen schief und die drei Eidechsen verlassen den Schauplatz in drei grundverschiedene Richtungen.

Dezente, doch eindeutige Einladung in den Garten der Besinnung, Eichendorfer Mühle

Hier beginnt nun dieses Wegstück, das zu den Klassikern brandenburgischer Spazierwonnen zählt. Auf knapp vier Kilometern ist im steten Wechsel so viel Schönheit und Idyll versammelt, dass es im Schlurfschritt das Füllhorn eines einzigen Tages zum Überlaufen bringen kann. Tiefer, kühler Wald mit zufließenden Bächen wechselt mit ausschweifenden Wegkurven um üppige Wiesen, einzelstehende Kroneneichen leiten direkt über zu sommerlich bunten Wiesenhängen mit einer der schönsten aller Rastbänke. Im nassen Weidegrund der Stöbberaue stehen knuffige Galloways, denen die Halme bis zur halben Körperhöhe reichen, und sorgen wortkarg für etwas Ordnung.

Balken für die Ewigkeit, Eichendorfer Mühle

Eichendorfer Mühle

Kurz vor der Eichendorfer Mühle liegt hinter einer unverschlossenen Pforte ein sorgsam gestalteter Garten, ganz ohne Verbotsschild. Im Garten der Besinnung gibt es neben einem Teich ein Wassertretbecken und einen schönen Barfußpfad sowie verschiedenste Gärten mit Beschriftungen für Neugierige. Die Eichendorfer Mühle selbst dient als vielschichtiges Therapiehaus, wo fern von allem der Weg von der Abhängigkeit in die Unabhängigkeit begleitet wird. Der Garten und sein hervorragender Zustand sind ein ständiges Ergebnis dieser Prozesse.

Grobkörniges Stillleben im Mühleninnern, Eichendorfer Mühle

Auch die eigentliche Mühle lädt ein mit weit offener Türe und ermutigendem Kopfnicken von jedem, der einem über den Weg läuft. Feldsteinmauern und dickes Gebälk vermitteln ewige Stabilität. Ein Mühlrad dreht sich hier nicht mehr, doch innen wirft schon der erste Schritt auf den knarrenden Bohlen das Kopfkino an, unterstützt vom knochentrockenen Duft betagten Holzes, wie man ihn auch auf alten Dachböden oder in kleinen Holzkirchen wahrnehmen kann, und dem Anblick riesiger Zahnräder aus hartem Holz.

Freier Blick nach dem Aufstieg

Der folgende Austieg aus dem Bachtal gestaltet sich nun haarig, da alle Mücken, die uns bisher verschont haben, hier zusammengefunden haben und zusehen, wie jede zu ihrem Stich kommt. Dazu kommen noch diese kleinen klebrigen Viecher, die man so gut wie gar nicht abstreifen kann. Die führen zwar nichts im Schilde, doch loswerden möchte man sie dennoch. Jeder hat im Augenblick ein paar Hände zu wenig, um der Sache Herr zu werden, also sehen wir zu, auf dem durchweichten Boden oder zwischen den Pfützen schnellstmöglich und aufrecht vorwärts zu kommen und die feuchte Niederung zu verlassen, hin zu lichtem Wald mit etwas Wind.

Blick zu den Kreuzbergen bei Julianenhof

Oben ist es besser, der erhoffte Wind wirklich da, und die Mücken bleiben ihrem Tal treu, da dort insgesamt mehr zu holen ist, auch haben viele ihre Chance genutzt. Weit oben knarren die windgebeugten Stämme der Kiefern aneinander und sorgen gemeinsam mit dem lästernden Krächzen von Hähern und Krähen für etwas Unheimlichkeit, trotz all des Lichts. Bald öffnet sich nach links wieder die Weite der Kornfelder und liefert den dezenten Duft als große Rahmenhandlung dieses Tages.

Der letzte Weg zeigt uns nochmal die Harke. Diesmal ist kein Ausweichen ins Feld möglich, da struppiger, gereifter Raps nicht mehr als ein paar Meter zu durchschreiten ist, ehe alle Bewegung zum Erliegen kommt. Hier hilft auch keine Trecker-Spur. Die wunderschöne Busch- und Baumallee ist nicht zugewachsen, doch durch den Regen der letzten Wochen ist alles in die Höhe geschossen. Vor uns liegt also eine Dreiviertelstunde Storchengang, und das mit tagesmüden Beinen. Jemand muss vor kurzer Zeit hier langgefahren sein, und so bleibt der Trost, der in vielen Fällen bleibt: es könnte schlimmer sein.

Kindliche Streuobstwiese von übermorgen, kurz vor Reichenberg

Kurz vor Reichenberg wurden auf sanften Wiesenhängen winzige Bäumchen eingelocht, nicht viel größer als ein langer Wanderstock, die einmal eine schöne Streuobstwiese abgeben werden. Am Dorfrand schauen uns dann von oben lustige Köpfe an, hinter einem Gürtel aus Schafen und an langen Hälsen. Zwei Bewohner einer Straußenfarm zeigen ihre Neugier und stelzen hinterm hohen Bohlenzaun hin und wieder her. Irgendwo im Wiesenschatten sitzt eine unentdeckte Katze.

Neugieriger Blick von hinter den Schafen

Die Jungs am Dorfweiher sind immer noch beim Angeln, jetzt an einer anderen Stelle. Zum Abend wird der Wind nun leiser, die Grillen gewinnen an Präsenz, und in das Farbenspiel des Abendhimmels ganz im Westen drängen von irgendwo Gewitterwolken. Eine letzte Lerche tobt sich noch aus, so kurz vor Feierabend, sinkt langsam tiefer und gibt schließlich Ruhe für die Ruhe vor dem Sturm.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): wochentags S-Bahn nach Strausberg Nord, dann mit dem Bus (ca. 1,5-1,75 Std., mehrere Verbindungen tägl.); am Wochenende keine Verbindung

Anfahrt Pkw (von Berlin): Landstraße über Strausberg (ca. 1,25 Std.)

Länge der Tour: ca. 17 km (Abkürzungen gut möglich); der gezeigte Track ist (wie die Download-Wegpunkte) frei von Problempassagen

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)
(A-C nur außerhalb der Vegetationsphase zu empfehlen)

Links:

Informationen zur Gemeinde Märkische Höhe

Oberbarnimer Feldsteinroute

Eichendorfer Mühle

Fledermausmuseum Julianenhof

Straußenfarm Reichenberg

Einkehr:
direkt an der Route:
Pritzhagener Mühle (vor allem Fisch)
Gasthof Pritzhagen (in Pritzhagen am Teich, nur mittags geöffnet)

Gasthaus Fischer, Bollersdorf

Grobskizziert – Groß Fredenwalde: Uckermärkische Schwärmerei

Die Landschaft der Uckermark ist viel und oft besungen worden, und selbst mit gutem Willen lässt sich eigentlich kein Argument finden, das dagegen spricht. Schon auf der topographischen Karte versprühen die Höhenlinien eine wahre Euphorie, knäueln sich hier dicht zusammen, tanzen da umeinander herum und bilden dort regelrecht expressionistische Formen aus. Dieses Spiel der braunen Linien begeistert vielleicht sogar Leute, die sonst mit topographischen Karten nicht viel am Hut haben.

Geschwungener Pflasterweg zwischen Willmime und Arnimswalde

Löst man vor Ort den Blick vom Kartenwerk und lässt ihn mit gehobenem Haupt panoramisch über die Landschaft streifen, zu der Städte zählen wie Templin und Angermünde oder Prenzlau, wirkt schon der bloße Anblick wie eine visuelle Symphonie. Doch das allein ist es nicht, auch wenn es ausreichend wäre. Es sind darüber hinaus die Düfte und der oft präsente Wind, der lustvoll an den Wipfeln zieht, ganze Kornfelder zum Wogen bringt und immer schon ein bisschen nach Küste schmeckt. Dazu kommen noch die energischen Lichtspiele der Wolkenbänder, die von allen märkischen Landschaften hier am verlässlichsten anzutreffen sind und die mit ihrem breiten Schattenpinsel permanent das Landschaftsbild retuschieren.

Topf-Brunnen am Dorfplatz in Groß Fredenwalde

Hügelig ist es überall und teilweise von so steiler Flanke, dass man sich fragen muss, wie solcherart gerundete Felder zu bewirtschaften sind. Viele der resultierenden Senken sind mit Wasser gefüllt, das rein theoretisch noch geschmolzenes Eis sein könnte. Die windgekräuselten Wasserflächen liegen nicht unnahbar, doch meist weitab der Wege und  sorgen dort für unzählige Glitzerpunkte, während des Weihers andere Hälfte völlig glatt liegen kann, dunkel und scheinbar bodenlos. Drin baden werden wohl nur Unerschrockene.

Weiter Blick vom Weinberg bei Groß Fredenwalde

Jedem Maler, der von einem Dorf zum anderen geht, muss das Werkzeug in der Tasche zucken oder in der Hand, zumal ein und dieselbe Stelle vielleicht schon zwanzig Schritte später ein neues Bild abgibt. Dementsprechend kann so ein Weg für ekzessive Nutzer ihrer Sinne fast schon rauschhaft werden. In der langfristigen Folge wird ein wohliges Verlangen dafür sorgen, dass man immer wieder zurückkehren will in dieses sanft gewellte Reich der weiten Blicke, in diese Uckermark.

Unterhalb der Hügel nach Willmine

Von der Jahreszeit her lässt sich nicht viel falsch machen – irgendwelche Trümpfe werden immer ausgespielt. Neben den ganzjährig verfügbaren Lichtstimmungen sind es im Herbst die Farbspiele in den alten Alleebäumen und nicht zuletzt auch in den großen Buchenwäldern, die ihresgleichen suchen weit und breit. Im Winter schafft das monochrome Spiel von kahlen Bäumen und erdbraunen Hügeln eine dramatische Stille, deren einzige Laute gelegentlich von schwarzgekleideten Vögeln herausgekrächzt werden und wie automatisierte Klagen klingen.

Imkes Gedenksekunde

In den Wochen hingegen, wo es noch Frühling und schon Sommer ist, gibt es kaum woanders in Brandenburg eine größere Garantie für rotblauweiße Kornfeldränder oder ganze Weiten voller Mohn, an denen man sich nur schwer sattsehen kann. Die Bienen hingegen interessieren viel mehr die blauen und geräumigen Kelche des dickstammigen Natternkopfes, die neben ihrem Nektar mit einer gewissen Wohnlichkeit locken, wie so ein Sessel aus den Sechzigern.

Alle Blüten haben jetzt kräftige und eindeutige Farben, blasse oder zurückgenommene Schattierungen sind die Ausnahme. Zwischendurch weht an einzelnen Stellen der Duft von frischer Kamille vorbei, die kleine weiße Inseln schafft inmitten all der bunten Pracht und mit ihrem Aroma die Atemwege streichelt.

Innenstadt von Willmine

Zwischen vielen der Dörfer liegen unberührt alte Feldstein-Straßen, buckelige Pisten, wie es sie so auch auf Rügen gibt. Bucklig in sich durch ihr rundliches Gestein, das jede Art von Fortbewegung etwas poltrig macht, dazu oft schwingend im Verlauf durch die Wellen in der Landschaft. Autos trauen sich kaum hierher, eben deswegen, und selbst auf dem Fahrrad muss man etwas hart gesotten sein oder eben weich gefedert. In diesem Zusammenhang passt es gut, dass an einigen Stellen noch Schilder eines Kutschfernweges hängen, der bis zur Ostseeküste führt und jedes Jahr ein bisschen mehr an Wirklichkeit verliert.

Wilde Rosen und Holunder am Weg zwischen Willmine und Arnimswalde

Abgeschirmt werden die alten und archaisch wirkenden Verbindungswege meist durch dichtes Buschwerk, oft wilde Rosenbüsche und Holunder, sowie alte Bäume, gern auch solche, an denen später süße Früchte hängen. Birnen kann man dann genießen und auch Äpfel sowie Pflaumen, Kirschen oder eben den Holunder. Der steht gerade jetzt in bester Blüte und ist damit in bester Verfassung, um in Eierkuchenteig verbraten zu werden.

Durstig machender Ausblick vom Spitzberg bei Willmine

Das Gehen oder Schlendern auf solchen Straßen ist allein durch ihren Anblick pulssenkend und zugleich doch anregend, da jeder Schritt bedacht und gut gesetzt sein will. Reizvoll ist der Gedanke, dass viele der Pflastersteine nur ein paar Meter zu bewegen waren, bevor sie vom Hindernis für den Ackerbauer zum Komfortmerkmal für den Kutschenreisenden wurden. Auch in den Hausfassaden ist das lokale Gestein allgegenwärtig und sorgt für schöne Dörfer und ewige Mauern. Ob es hier immer schon so farbenfroh zuging, was Fensterläden und Türen betrifft sowie alles, was verspielt im Garten herumsteht?

Talgraben zu den Feldsteinwällen

Von Groß Fredenwalde lassen sich Touren bis Willmine, Klein Fredenwalde oder Arnimswalde aufspannen, die jede für sich eine runde Sache sind. Alle Varianten verlaufen zu einem Teil auf Straßen, doch das macht überhaupt nichts, da kaum Autos unterwegs sind und jede diese Straßen wunderschön verläuft – eher wie ein zu breit geratener Wanderweg.

Wer übrigens an den betagten Buckelpisten seine wahre Freude hat, kann das besonders zwischen Willmine und Arnimswalde auskosten und sollte auch nicht versäumen, Klein Fredenwalde östlich zu verlassen, der Weg ist ausgewiesen.

Steinwälle unter Eichen südlich von Klein Fredenwalde

Beim Prüfen der Optionen ist nur eine einzige Querverbindung mit Vorsicht zu genießen – der Weg, der sich Klein Fredenwalde von Südwesten nähert, beginnt unweit des Spitzbergs entlang des kleinen Grabens und gibt sich in der Vegetationsphase kaum zu erkennen, verlangt dann also Storchengang und etwas Orientierungssinn. Dort, wo er dann auf eine ausgeprägte Fahrspur trifft, lohnt ein kleiner Abstecher nach links, hin zu eindrucksvollen, breiten Feldsteinwällen, die als stromlose Vorgänger des heutigen Weidezauns gelten können. Darüber spannen große Kastanien ihre Kronen auf und sorgen für eine wohlige Stimmung.

Dorfplatz mit Lehmbackofen in Klein Fredenwalde

Auch der Wunsch nach Wald lässt sich erfüllen. Der hochgewachsene Arnimswalder Forst zeigt schon beim kurzen Eintauchen eine Art Werkschau des Baumbestands im Lande – selbst wenn man nur den kleinen Schlenker gleich bei Arnimswalde nimmt. Im Sommer bleibt zum entspannten Betrachten wenig Zeit, da der Wald durchfeuchtet ist, die regionale Mückenzucht auf Hochtour läuft.

Mit dem Weinberg und dem Spitzberg liegen zwei lohnende Gipfelbesteigungen am Weg, die man nicht belächeln sollte. Die Spitzkehren im waldigen Osthang des Weinbergs bei Groß Fredenwalde enden mit ein paar nostalgischen Stiegen auf einer weiten Wiese. Die steht voll mit wogenden Gräsern und öffnet nach Nordwesten eine herrlich weite Sicht.

Eingang in den Arnimswalder Forst

Hinauf zum Spitzberg bei Willmine führt unter freiem Himmel ein allerliebster Wiesenpfad, der von filigran-blauen Libellen umschwärmt wird und oben an einer perfekt platzierten Aussichtsbank endet. Das morsche Sitzmöbel gestattet fast einen Rundumblick, weit nach Süden, scheinbar unendlich in Richtung Norden. Der anziehende Blick über den Sabinensee und seine allernächste Verwandtschaft erinnert irgendwie an Kinowerbung für schäumendes Getreidebräu und macht augenblicklich durstig.

Pflasterstraße hinter Arnimswalde

Eventueller Durst oder Hunger lassen sich leider nicht direkt am Wege stillen, doch ein nördlicher Bogen im Rahmen der Rückfahrt bietet in Gerswalde, Kaakstedt und vor allem Flieth schöne Optionen. Und verstärkt auf der Passage das Verlangen, bald wieder hier zu sein und neue Wege zu entdecken.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): leider nur wenige, umstiegsreiche Verbindungen, daher kaum praktikabel (2,5-3 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): Autobahn Richtung Prenzlau bis Ausfahrt Pfingstberg, dann ein Stück Landstraße; reizvoller ist, über Joachimsthal und dann über kleine Landstraßen zu fahren

Länge der Tour: ca. 14 km, diverse Abkürzungen sehr gut möglich (zw. WP 8 und 20, zw. WP 11 und 19, zw. WP 13 und 16)

 

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

 

Links:

Informationen über Groß Fredenwalde

Tourismus im Amt Gerswalde

 

Einkehr: im näheren Umkreis der Tour nichts
Zum Kastanienhof, Flieth (gemütlich, gute Küche, schattiger Biergarten im Hof)
(weitere Möglichkeiten in Gerswalde und Kaakstedt)

 

Berliner Spaziergang: Nördliche Dörfer, zirpende Gemälde und ein Botanischer Volkspark

Lange hat es gedauert in diesem Jahr und diesem Frühling, doch mit der zweiten Maihälfte ist die Zeit der nächtlichen Bodenfröste und morgendlichen Gedanken an Handschuhe nun endlich vom Tisch. Selbst Abergläubische und Skeptiker werden ihre Winter- und Übergangsjacken ohne große Bedenken in den dunklen Tiefen irgendeines Schrankes archiviert haben, wenigstens für ein knappes halbes Jahr. Aufatmen ist angesagt, direktes Sonnenlicht für Schultern und Knie sowie dichtes Laub auf allen Bäumen, selbst den gerne zaudernden Eichen und Platanen.

Bahnhofsvorplatz in Hermsdorf

Wie von den letzten Jahren gewohnt gibt es auch gleich die ersten Hochsommer-Tage, zunächst noch vereinzelt. Das freut vor allem einige hunderttausend zusätzliche Berlin-Besucher, die ein mehrtägiger Kirchentag, ein eintägiger Herrentag sowie ein mehrstündiges Fußball-Spiel in die Stadt gespült haben. Sie alle konnten Mütze und Schal zuhause lassen. Kurioserweise ist die erhöhte Bevölkerungsdichte jenseits der Innenstadt kaum spürbar, da viele Berliner das lange Wochenende irgendwo anders verbringen. Ganze Straßenzüge freier Parkplätze gähnen selbst in den dahingehend angespannten Stadtvierteln, auch nach halb acht noch. Das ist ungewöhnlich.

Rund um Berlin schnappt sich der spielfreudige Wind alle tausend Düfte des Wonne- und Blütenmonats Mai, verdichtet sie in unberechenbaren Wirbeln zu immer neuen Mischungen und reibt sie allen unter die Nase, die draußen unterwegs sind. Wer an so etwas seine Freude hat, muss die Stadt nicht unbedingt verlassen, denn nicht nur, doch gerade in seinen Randlagen bietet Berlin viel Grün in schmaler und breiter Form, dabei immer in großer Vielfalt. Dass man dabei auf ein paar der 20 Grünen Hauptwege trifft, ist nicht verwunderlich.

Berlin ist vor etwas weniger als 800 Jahren aus zwei Städten entstanden, die aus heutiger Sicht nicht größer als ein Dorf waren. Cölln lag südlich der Spree rund um die Petrikirche, Berlin nördlich des Flusses rund um die Nicolai-Kirche, die heute das älteste Gebäude der Stadt ist. Über die Jahrhunderte wuchs die Stadt und schloss Dorf für Dorf mit ein ins Stadtgebiet. Bis heute dauert das an. Bei vielen von ihnen ist der alte Kern sichtbar geblieben, meist mit Kirche in der Mitte. Gute Beispiele dafür sind Wittenau oder Kaulsdorf, Mariendorf oder Marzahn.

Am Tegeler Fließ zwischen Hermsdorf und Waidmannslust

Wer eine grüne Stadtrandtour machen möchte, braucht eigentlich nur ein paar Dörfer auszusuchen, die halbwegs in einer Reihe liegen, und diese über die passenden Grünzüge zu verbinden. Im wasserreichen Süden ist dabei auf das Vorhandensein von Brücken oder Fähren zu achten. In den meisten Fällen wird sich dann ein schöner und abwechslungsreicher Tag ergeben, der sich alle halbe Stunde per Bus oder Bahn beenden lässt, falls Kondition oder Wetter das nahelegen.

S-Bahn-Linie S1

Die S-Bahn-Linie nach Frohnau weist schon mit poesievollen Namen wie Schönholz, Wilhelmsruh oder Waidmannslust darauf hin, dass nun die Natur mehr und mehr übernimmt, die Hinterhöfe der Altbauten werden von den Gärten der Häuser und Villen abgelöst. Wer noch eine Station weiter in Hermsdorf die Bahn verlässt und auf einen der drei schönen Bahnhofsvorplätze tritt, ist vom Empfinden her ebenso fern von Berlin, wie das in Wilhelmshagen oder Rahnsdorf im Südosten der Stadt der Fall ist.

Wege am Packereigraben

Hermsdorf

Was zwischen den Bahnhofsplätzen liegt, lässt eine erste Pause als alternativlos erscheinen. Überall laden Geschäfte, Cafés und Biergärten zum Verweilen ein. Nicht unbedingt, weil es bereits nötig wäre, sondern weil es einfach viel zu schön ist, um fokussiert und plangemäß loszugehen. Ein gemütlicher Kiez ist das hier, der am südlichen Ende einen halbrunden Platz mit kleinem Markt und einem ganz besonderen Café Achteck bereithält, das quasi in Blumen gebettet ist. Das berlintypische grüne Klo-Häuschen ist umgeben von bunten Beeten und sieht von außen aus wie überall in der Stadt. Im Innern wurden jedoch die Zahl der Achtel nicht nur gerecht für Weiblein und Männlein halbiert, sondern weiterhin unterteilt in alle benötigten Bereiche, die einen adäquaten Rückzug sowie eine gewisse Gleichzeitigkeit gestatten. Wer es nutzt, empfindet ein wenig Noblesse, wenn er bedenkt, um was für ein Bauwerk es sich handelt.

Rückblick am Klötzgraben

Große Bäume an den Straßen sorgen für Schatten. Das ist willkommen an diesem Tag, der als erster im Jahr die 30°C-Marke knacken soll und sich schon jetzt alle Mühe gibt. Im Oval der Brandtstraße gibt es einige besondere Villen zu bestaunen, bevor gleich dahinter die erste konzentrierte Dosis Stadtnatur ihren wirkungsvollen Auftritt feiert. Ein kleiner Weg biegt ab auf den schattigen Bohlenweg entlang des Tegeler Fließes. Die wenigen Meter entlang des still gurgelnden Baches haben eine solche Ausstrahlung, dass man sofort in Versuchung kommt, dem geplanten Weg untreu zu werden und dem stillen Fließ weiter zu folgen, bis zum Stadthafen in Tegel und der Uferpromenade am Tegeler See. Eine Überlegung ist das auf jeden Fall wert, nicht nur des schönen Zieles wegen.

Weg über die Felder zum Zabel-Krüger-damm

Nach dem Losreißen vom schattigen Bachtal folgt etwas Geplänkel auf Straßen, deren Namen alle irgendwie mit der Jagd zu tun haben. Das passt durchaus, denn nördlich des Fließtales beginnt der große Tegeler Forst, der gemeinsam mit seinen Nachbarwäldern in einer Liga mit dem Grunewald spielt oder den weiten Waldgebieten im Bezirk Treptow.

Waidmannslust

Beim S-Bahnhof Waidmannslust gibt es eine kleine Unterführung, und hinter dem sachlichen Oraniendamm beginnt mit dem ersten Grünzug des Tages der Auftakt zu den weiter oben erwähnten Landschaften. Ab hier kann man nun fast lückenlos über Wiesen und Felder, entlang von Wasserläufen oder im Baumschatten bis nach Rosenthal gelangen. Teilweise sind der Weg und seine Stimmungen so romantisch und von ländlicher Idylle, dass einem Gemälde in den Sinn kommen – wild gemischt von Renaissance bis Impressionismus.

Hermsdorfer See

Der behutsam fließende Packereigraben beginnt zurückhaltend und mit einem großen Kletterschritt ans linke Ufer, da eine benachbarte Brücke abhanden kam. Die meisten Wege entlang des kleinen Wasserlaufes sind schattig, doch zweimal öffnet sich das Tal zu breiten Wiesen, die derzeit blütengelb gesprenkelt sind. Dass rundherum hohe Plattenbauten stehen, fällt nur selten auf, denn der Blick nach oben endet am dichten Laub. Erst beim Rückblick über die Wiese sieht man die grauen Türme, die in der dichten Nachbarschaft zum Idyll einen ganz besonderen Kontrast bilden, immer wieder.

Birkenallee am Tegeler Fließ

Vor dem Zusammenfluss von Packereigraben und Klötzgraben läuft am anderen Ufer gerade ein jugendliches Fußball-Spiel, und es scheint um was zu gehen, so laut wie angefeuert wird. Kurz merkt man wieder, dass man in der Stadt ist. Doch zwei Minuten später öffnet sich die nächste bunte Wiese, der Weg hindurch als hochgewachsene Allee. Am Ende quaken Frösche und auch Enten, die zwischen den Ufern von Insel und Teich hin- und herpendeln, ganz klar ohne Eile.

Die weiten Feuchtwiesen des Tegeler Fließes im ehemaligen Grenzgebiet

Die erste Kleingartensiedlung liegt am Weg, und am Ende des Tages wird der Gedanke leichterfallen, dass es gut 70.000 solcher Gärtchen geben soll auf dem Berliner Stadtgebiet. Hinter dem Zabel-Krüger-Damm, der Tegel fast als Luftlinie mit dem Dorf Lübars verbindet, beginnt völlig unerwartet ein bestelltes Feld. Mitten hindurch quert ein dörflicher Pfad eine Senke zum nächsten Wohnviertel. Am Getreiderand leuchten die ersten Mohnblumen, in kräftigem Blau auch schon ein paar Kornblumen. Der fast verblühte Raps steckt voller Bienen, und senkt man seinen Kopf zwischen die Halme, summiert sich das Gesumme eindrucksvoll.

Geschwungener Weg nach Lübars

Ein kleiner Fußweg verlässt die Siedlung und taucht ein in einen schattigen Waldstreifen mit hohen Bäumen. Von rechts sind eindeutige Strandgeräusche zu hören, laut und fröhlich. Freude über die gute Synchronisierung des freien Tages mit dem ersten heißen Tag. Die vergnügten Töne gehören zum Freibad Lübars, dessen Strand am Ziegeleisee liegt. Im weiten Bogen führt der Weg zwischen ihm und dem Hermsdorfer See vorbei. Der ist eine Verbreiterung des Tegeler Fließes, das nun den Weg ein Stück begleitet. Länger als vorhin, doch dafür unsichtbar, da es seine gefälligen Mäander durch üppige Feuchtwiesen schickt, tief versunken durch all die Gräser fließt. Doch wie vorhin führt auch hier ein zauberhaftes Wegstück über breite Planken, und spätestens bei der bequemen Aussichtsplattform schlägt sie zu, die große Idylle und Naturversonnenheit. Das Land Brandenburg ist von hier wirklich nur einen Steinwurf entfernt, und das Tegeler Fließ tut alles dafür, dies zweifelsfrei zu lassen. Zu Zeiten des Mauerbaus brachte das breite und unwegige Auland die Planer der Grenzanlagen in echte Verlegenheit und zwang sie dazu, ein Stück deutschen demokratischen Republik-Bodens hinter der Grenzbefestigung zu lassen. Das sorgte mit Sicherheit für Schmerz und Schmach bei den zuständigen Organen.

Blick von Lübars Richtung Märkisches Viertel

Am Ende des Bohlenweges öffnet sich die weite Wiesenlandschaft. Im pittoresken Bogen führt der Weg auf das alte Dorf Lübars zu, das erhaben oberhalb eines weit auslaufenden Hanges liegt und das dörflichste Dorf von Berlin sein dürfte. Rückblickend sind noch einmal die Wohntürme zu sehen, voraus das Kontrastprogramm mit Pferdekoppeln, Treckern und Scheunen. Überall wiehert, schnaubt oder trabt es. Damit das auch so bleibt, sind ständig Trecker unterwegs, die weiß eingewickelte Strohpäckchen herankarren.

Lübars

Eine gute Gelegenheit für eine gemütliche und freundliche Alt-Berliner Rast sitzt gleich am Anger, noch vor der Kirche und schon seit langem. Wahlweise vorn auf der Terrasse mit Blick aufs Dorfgeschehen und die aktuellen Busabfahrten, drinnen im gediegenen Gastraum oder hinten im süßen Biergarten gibt es im Dorfkrug jede Form von Stärkung. Gleich gegenüber steht leicht erhöht das Kirchlein mitten auf dem Anger, wie sich das gehört. Rundherum ein schönes Dorfbild für ein warmes Herz und an der Ecke kurz vorm Ausgang aus dem Dorf dann noch ein Kräutergarten mit allerlei Kleinvieh. Am Beginn der klassischen Allee nach Blankenfelde verlockt erneut ein schöner Weg zur Untreue, wie vorhin schon der Barnimer Dörferweg, die Nr. 13 von den Grünen Hauptwegen.

Dorfstraße in Lübars

Nach einem Stück Allee quert rechts wieder ein uriger Weg durchs bestellte Feld, der diesmal über eine Anhöhe. Ganz oben steht ein Reh, mit dem Wind im Rücken, daher steht es dort sehr lange. Guckt durchdringend in unsere Richtung wie Reinhard Mey vom Plattencover, bevor es uns dann wittert und umgehend verschwunden ist vom Erdboden. Mittlerweile hat man sich nun daran gewöhnt, dass es auch auf Berliner Stadtgebiet so aussehen kann wie hier. Ein Quäntchen Staunen ist dennoch übrig.

Feldweg zur Lübarser Höhe

Freizeitpark Lübars

Nach einem kurzen Treffen mit dem baumlosen Feldspatzenweg führen Wege hinein in den Schatten eines Parks. Hier spazieren nun Damen mit Hunden, Mädchen mit Ponys und Jungs mit funkgesteuerten Modellflugzeugen, die seltsame Töne erzeugen. Wie Hornissen auf LSD. Im weiten Bogen schraubt sich ein breiter Weg hinauf zur Lübarser Höhe. Auf deren Hälfte liegt eine Aussichtsplattform mit Feuerplatz für Holzscheite jeder Größe. Der freie Blick reicht von hier in alle Richtungen, die mit Westen zu tun haben. Eine und auch zwei Etagen tiefer verlaufen gern genutzte Spazierwege. Die agilen Modellflugzeuge sind von hier aus betrachtet genauso groß wie die Flieger etwas weiter links, die eben noch in Tegel auf der Startbahn rollten.

Blick aus halber Höhe vom Freizeitpark Lübars

Die eigentliche Lübarser Höhe müsste mal zum Friseur. Wer sich in südlicher Ausrichtung und auf Zehenspitzen auf die breite Mauer des Plateaus stellt, erntet ein passables Breitbild in Richtung Innenstadt, aus dem markant der Fernsehturm sticht. Viel mehr als das ist ohne Leiter nicht zu holen, doch immerhin. Beim Abstieg gibt sich die Höhe ganz Berg und schlägt in Serpentinen eine Handvoll Haken durch den bewaldeten Hang, bevor ganz unten ein breiter Weg entlang des Fasaneriegrabens quert. Vorbei an einem vergessenen Frosch-Teich und durch niedrigen, doch besonders schattigen Wald steht man plötzlich vor einem Bahnübergang mit einem Gleis, das keineswegs nach Abstellgleis aussieht. In der Tat trügt der Schein nicht, denn hin und wieder dampft hier tatsächlich ein Zug entlang. In schönster Nostalgie wird dann die Zeit der schnaufenden Heidekrautbahnen wachgerufen. Die Züge fahren an solchen Tagen vom nahe gelegenen Wilhelmsruh bis nach Basdorf im Barnim, wo beim Heidekrautmuseum die Lokschuppen fürs kleine Schwarze warten.

Südliches Sichtfenster von vom Gipfelplateau

Gleich dahinter erinnert der querende Mauer-Radweg kurz daran, dass hier einmal ein Todesstreifen verlief. Angesichts der grünen Üppigkeit ringsum fällt es besonders schwer, sich den vier Meter hohen Betonwall vorzustellen, der hier einmal die Gegend zerschnitt. Ein davon völlig unbeeindruckter Trampelpfad nimmt über die Wiese den kürzesten Weg zur Friedhofsmauer. Dahinter kann das Studium der Berliner-Lauben-Vielfalt weitergehen. Das darf ganz exklusiv von oben herab erfolgen, denn ein Damm bildet die Grenze zwischen Gartenland und üppiger Wiesenweite, die bis zur klassischen Dorfansicht von Blankenfelde reicht.

Altes Gleis der Heidekrautbahn

Von diesem ausgeprägten Damm, der auch schwer nach ehemaliger Bahntrasse aussieht, bietet sich nun eine Sicht auf den Berliner Ortsteil Blankenfelde, dem man wirklich nur schwer abnehmen möchte, dass er noch innerhalb der Stadtgrenze liegt. Die weiten und saftigen Moorwiesen reichen ohne größere Sichthindernisse bis zum Dorf und geben ein urmärkisches Bild ab. Mitten durch die Moor-Wiesen, für deren tiefreichendes Wassermanagement der Zingergraben verantwortlich ist, ziehen sich Wege. Mit großer Geste fordern Sie dazu auf, den schützenden Dammschatten aufzugeben und sich in die Geräuschkulisse zirpender Grillen und raschelnder Halme zu begeben. Die Bäume sind noch niedrig, doch im Wind rauschen können Sie schon wie die ausgewachsenen Weiden auf dem Damm.

Zuweg zur Zingergrabenniederung

Botanischer Volkspark Blankenfelde

Ein unscheinbarer Trampelpfad verlässt den breiten Hauptweg und endet kurz darauf an einer Treppe. Unten quert einer der Gräben, die mit dem Zingerteich zu tun haben. Das Tor gleich dahinter ist der Nordeingang zum Botanischen Volkspark Blankenfelde, einem relativ unbekannten Volkspark. Überall schlendern, sitzen und fläzen entspannte Menschen, die picknicken, spielen, entdecken oder einfach nur genießen. Junge und alte Alleen begleiten die Hauptwege. Am einen Ende des Großen Zingerteiches rasten Gänse mit ihrem unendlich weichen Nachwuchs, am anderen Ende haben zwei Familien mit ihren Kindern einen schönen Tag im Grünen, über Gras und unter Laub. Auf großen, flachen Steinen können Leute aller Beinlängen eine Furt über den träge fließenden Zulauf zum Teich queren. Thematische Wälder gibt es zu entdecken und eine geologische Wand, die zunächst unscheinbar wirkt. Lässt man sich jedoch etwas ein und stellt sich vor, was hier an Zeiten und Orten präsentiert wird, alles komfortabel vereint auf wenigen Metern, kann man schon ins Staunen kommen.

Junge Allee in der Zingergrabenniederung

Wo letztlich die Wege aller Park-Besucher zusammenlaufen, liegt ein schönes Gewächshaus in Form einer riesigen Hantel. Zwischen Palmen und anderen gewichtigen oder stachligen Gewächsen wird hier von einer freundlichen interkulturellen Besatzung kredenzt, was fast jeden mit einem Lächeln den Kassenbereich verlassen lässt. Trotz der bretternden Sonne ist es im Gewächshaus erstaunlich angenehm, zu verdanken schlicht einer ausgeklügelten Durchlüftung. Schöner ist es heute dennoch im weitläufigen Kaffeegarten, wo verbunden durch eine sanfte Brise Menschen sämtlicher Altersgruppen sitzen, liegen oder lümmeln, wahlweise in der Sonne oder im Schatten der großen Bäume. Weiter hinten passt eine große Familienrunde mit vielen Kindern gerade so auf eine riesige Decke und spielt mit Affengeduld und großer Begeisterung irgendein zentral platziertes Spiel.

Im Botanischen Volkspark Blankenfelde

Wem das Genannte nicht reicht als Grund für einen Ausflug hierher, der kann sich auch einem kulinarischen Wildpflanzenspaziergang anschließen, einen tieferen Blick in die Imkerei werfen oder einen Zeichenkurs unter freiem Himmel besuchen. Oder im südöstlichen Bereich des Volksparkes den Leuten beim Stadtgärtnern auf großen kreisrunden Beeten zuschauen, wo alles herangezogen wird, was gut schmeckt und auf dem Teller einen schmalen Fuß macht.

Am Haupteingang kann man sein Scherflein zur Nutzung dieser vielfältigen Anlage beitragen, zur Zeit ein Euro pro Person. Der Automat nimmt jedoch keine Münzen an, die größer sind als dieser Preis, also am besten schon bei Wechselgeldern im Tagesverlauf auf genügend kleines Kleingeld achten. Das Durchschreiten des großen Portals ist ein guter Zeitpunkt, den Tag zu beenden, denn direkt hier befindet sich die Bushaltestelle des 107er Busses, der alle 10-20 Minuten fährt und bald schon auf die Straßenbahn trifft, die zum Kupfergraben ins Herz des alten Berlin rattert.

Pflanzenhaus im Botanischen Volkspark

Wer noch immer keine müden Beine hat und Lust, ein ganz spezielles Berliner Ufer kennenzulernen, biegt zweimal rechts ab und landet kurz darauf an einem haushohen Hochufer. Der Nordgraben, ein naher Verwandter der Panke und noch keine hundert Jahre alt, plätschert zwischen Kräuterweg, Gebirgskräuterweg und Feldkräuterweg so erstaunlich tief dahin, dass sein gekräuseltes Wasser nur dann sichtbar wird, wenn man sich auf die Zehen stellt. Direkte Blicke gestatten einige Brücken, die auf hohen Stelzen den tief eingefurchten Graben queren.

Nutzgärten im Botanischen Volkspark

Rosenthal

Nach den breit gefächerten Eindrücken des Tages ist diese schnurgerade und schattige Passage entlang der Kleingärten eher meditativ und somit gut geeignet, schon mal nach und nach die geistigen Aktivitäten soweit herunterzufahren, dass es gerade noch zum Anheben eines gläsernen oder irdenen Trinkgefäßes reicht, verbunden mit einem zufriedenen Dreinblicken. Ein paar Abbiegungen und eine Kirche später ist das passende Ausflugslokal erreicht, welches gemeinsam mit der Haltestelle der Straßenbahn und einer alten Berliner Wasserpumpe mit ausgeprägter Zugschwäche das Herz von Rosenthal bildet.

Das ruckelige Tempo der Straßenbahn und die vielen Kurven auf der Strecke ermöglichen ein behutsames Wiedereintauchen in die inneren Schichten der Stadt. An einigen Stationen locken im warmen Abendlicht noch schöne Optionen für Unersättliche, bevor dann S- und U-Bahn-Zeichen unumstößlich mit der Wirklichkeit verbinden. Was jetzt durchaus willkommen ist.

 

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der S1 Richtung Frohnau bis Hermsdorf

Anfahrt Pkw (von Berlin): nicht sinnvoll

Länge der Tour: ca. 17,5 km (beliebig verkürzbar)

 

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

 

Einkehr: diverse Möglichkeiten in Hermsdorf am Bahnhof
Dorfkrug in Lübars
Café Mint im Botanischen Volkspark Blankenfelde
Gasthaus Dittmann in Rosenthal

Berliner Spaziergang – Havelufer West: Küstendörfer, tausend Segel und die verborgene Düne

Eine liebenswerte ältere Dame saß einmal auf der schwarzledernen Rückbank eines Berliner Taxis und erzählte mir auf der Fahrt vom Flughafen Tegel nach Spandau-Wilhelmstadt, dass die Havel eine gewichtige Wetterscheide ist. Keineswegs ohne Grund, denn während der Flughafen in schönstes Sonnenlicht getaucht war, braute sich am Fahrtziel Düsteres am Himmel zusammen. Die Plauderei während der Fahrt war rundum angenehm, das Erwähnte blieb bereitwillig hängen, wurde verinnerlicht und seitdem oft berücksichtigt. Was ebenfalls hängen blieb war die Information, dass Spandauer sich keinesfalls als Berliner sehen, sondern eben als Spandauer. Da sie häufig anderes Wetter als die größere Nachbarstadt am anderen Flussufer haben, ist das nachvollziehbar. Und in der Tat wirkt Spandau sehr wie eine eigenständige Kleinstadt, mehr als die meisten anderen Berliner Stadtteile.

Olympiastadion im Ruhemodus

Wenn in Berlin also lausiges Wetter angesagt ist und auch so stattfindet, lohnt es sich bei einer fünfzigprozentigen Chance durchaus herauszufinden, ob das Wetter jenseits der Havel wonnig ist oder eben noch viel lausiger. Am besten per S-Bahn oder Regionalbahn, denn gegebenenfalls kann man im schier endlosen Spandauer Bahnhof gleich wieder in den nächsten Zug Richtung Innenstadt steigen und dort aus dem lediglich lausigen Wetter das Beste machen. Eventuell vorher noch gut verzurrt in die Spandauer Altstadt spazieren und am Markt eine Institution in Sachen Konditor-Handwerk aufsuchen – damit die Fahrt nicht ganz umsonst war.

Da der April sich weiterhin äußerst selbstbewusst verhält und sein Naturell auslebt, obendrein noch mit Wärme geizt, schöpft man also alle Potentiale gern aus, dem aus dem Weg zu gehen. Verbinden lässt sich das mit einer womöglich vorhandenen Neugier auf eine lockende Wasserlandschaft, die bei jeder Querung der Havel auf der Heerstraße erneut angestoßen wird.

In der Murellenschlucht an der Waldbühne

Neu Westend

Die U-Bahn nach Ruhleben nimmt man im seltensten Fall bis zur Endstation. Das war anders, solange es in ganz Berlin nur eine Möbelhalle unter schwedischer Flagge gab, und sorgte damals sicherlich oft für die Fragestellung, wie groß etwas sein darf, damit es durch eine U-Bahn-Tür passt, und ab welcher Größe ein sperriger Karton eine eigene Fahrkarte benötigt.

Die vorletzte Station ist Olympia-Stadion und wird eher ruckweise beansprucht, dann jedoch sehr intensiv. Noch eine davor liegt der U-Bahnhof Neu-Westend direkt unter dem Steubenplatz. Scheinbar nicht allzu tief, denn in kellerlägigen stillen Örtchen am Platz fühlt es sich so an, als würde die U-Bahn auf Augenhöhe mit der Keramik verkehren. So zum Beispiel im herrlichen Wiener Caffeehaus, das ebenfalls als Westberliner Institution betrachtet werden kann und in gut zehn Jahren seinen Hundertsten feiert. Hinterm Torten-Tresen wieseln vier Damen geschäftig hin und her, die beständig nachwachsende Schlange jenseits der Vitrinen gibt ihnen Recht. Im Gastraum geht es beschaulicher zu, doch wer hierher kommt, hat ohnehin Zeit unterm Hosenboden. Ein perfekter Ort für gepflegte Damenkränzchen und akademischen Austausch unter ergrauten Schopfträgern, auch bestens geeignet für Einheimische, die Freunde zu Gast haben und ihnen zeigen wollen, wie das Berliner Leben in weniger globalen Zeiten ausgesehen haben könnte.

Wohnraumkontraste in Alt-Pichelsdorf

Olympia-Stadion

Nach gediegenen Gärten mit internen Höhenunterschieden beginnt hinter der Olympischen Brücke mit ihrem weiten Blick bis zum Heizkraftwerk Reuter West eine andere Welt und mit ihr ein anderes Kapitel in der Zeitleiste. Wie die Schlange das Kaninchen nimmt einen die großspurige Symmetrie des Olympiastadions in ihren festen Blick, bis man schließlich gebannt zwischen den beiden Säulen vor dem großen Tor steht. Der Weg dorthin führt über einen großen Parkplatz, auf dem die Jungs in menschenleeren Zeiten gern neu erfundene Runen in den Asphalt radieren – mit Vollgas und Handbremse als Schreibwerkzeug.

Wer neugierig ist auf das Stadion-Gelände, zahlt Eintritt und kann sich in den Bann der Details begeben, was lohnend sein dürfte, zeitfordernd und ein Schmaus für Freunde visueller Perspektivspiele. Ansonsten zeigt sich das gesamte Sportgelände ziemlich zugeknöpft. Wer also auf der Durchreise ist, muss große Bögen in Kauf nehmen, um das riesige Areal zu umrunden, welches auch noch das Maifeld und das restmondäne Reiterstadion einschließt.

Bootsstege an der Scharfen Lanke, Alt-Pichelsdorf

Das Pendant zu den beiden wuchtigen Säulen vom Osteingang ist zwischen Maifeld und Waldbühne der schnörkellose Glockenturm, wie das Korn zur Kimme eingebunden in die erwähnte Symmetrie. Nach dem Abschreiten und Sichten all dessen wirkt die benachbarte Waldbühne regelrecht winzig. Das passt gut als Überleitung zu einem unerwarteten Abstecher in die Murellenschlucht, der beachtlich tief hinab führt. War eben noch alles lärmig, grau und abweisend, taucht man hier in starkem Kontrast ein in das grüne, stille Reich, zwischen Hochhäusern, Bahntrasse und historischem Bombast. Ein tiefes, leises Tal, das die Natur einst schuf und dessen Name geheimnisvoll klingt. Eine lange Treppe führt die Talflanke hinab, die dicht bedeckt ist von saftigem Kraut mit kleinen weißen Blüten, bekannt als Berliner Bärlauch oder Wunder-Lauch. Mit beiden Namen passt es bestens an diesen Ort, zu erleben ist es auch im Treptower Park zwischen Baumschulenweg und der Insel der Jugend. Der intensive Knoblauchduft erfüllt die ganze Schlucht.

Mediterran anmutender Weg über der Haveldüne

Den Weg begleiten Spiegel mit rotweißen Rändern, wie man sie von schlecht einsehbaren Straßen-Ausfahrten kennt. Während noch Fragezeichen überm Kopf wachsen, ist bald schon eingravierter Text zu erkennen in einer der Spiegelflächen. Unaufdringlich, doch bald schon eindringlich und ohne senkrechten Zeigefinger tragen die Spiegel dazu bei, eines der unzähligen pestschwarzen Kapitel der NS-Zeit vor dem Vergessen zu bewahren. Sogenannte Denkzeichen sind die Spiegel für einen Schauplatz speziellen Unrechts. Das Lesen der spiegelnden Texte erfordert etwas Kopfgymnastik.

Die Murellenschlucht hätte mit Schanzenwald, Murellenberg und Fließwiesen noch viel zu bieten, doch heute lockt das Land jenseits der Havel, also zweigen wir bei erster Gelegenheit in den Aufstieg ab, noch immer durchs grüne Lauch. Nach dem S-Bahn-Graben und dem äußersten Rand der Pichelsberger Plattenbauten lärmt vorn schon die Heerstraße, die ab hier schnurgerade der Stadtgrenze entgegenstrebt. Von der Stößenseebrücke öffnen sich nun Blicke auf ein regelrechtes Fjordreich aus Havelwasser, gesäumt von unzähligen Stegen, an denen zumeist weiße Bootskörper vertäut liegen – vermutlich noch nicht allzu lange, doch schon ungeduldig.

Blick von der Haveldüne zum Grunewald

Ein Seitenweg senkt sich direkt hinter der Brücke zu einem dieser Ufer ab und vermeidet ein Stück Straßenlärm. Der Pichelswerder, um ein Haar eine Insel, bietet ein einladendes Imbiss-Reich und ein Stück Wald, bevor die Havel höchstselbst auf einer relativ neuen Brücke überquert wird. Die Konzentration der Stege hält an und lässt daran zurückdenken, dass zu Westberliner Zeiten die großen Wasserflächen eher die Ausnahme waren. Hier beginnt nach Süden ein Segel- und Schipperrevier, das bei üppiger Breite zehn Kilometer bis zum Hafen Wannsee reicht. Es war das mit Abstand ausgedehnteste, was das ummauerte Westberlin zu bieten hatte.

Alt-Pichelsdorf

Nach Pichelsberg am Nordrand des Grunewalds und dem havelumspülten Pichelswerder findet man sich nach dem zügigen Verlassen der Heerstraße in Pichelsdorf wieder, einem alten Dörfchen, das an einigen wenigen Stellen noch selbstbewusst durchscheint. Das wirkt kurios, in direkter Nachbarschaft zur eigenwilligen Bebauung aus jüngeren Jahrzehnten. Nördlich des Dorfes und der Heerstraße gibt es mit dem Grimnitzpark und dem Südpark zwei wasserreiche Grünanlagen, die gemeinsam mit der Scharfen Lanke im Süden den Eindruck erschaffen, auch Pichelsdorf wäre ein Teil des genannten Fjordreiches und von Wasser umgeben.

Kirchhof in Alt-Gatow

Unversehrt ist der dörfliche Charakter in den Kleingartenkolonien, die sich um die Scharfe Lanke schmiegen. Da stehen so einige Lauben, die einem zille’schen Pinsel entsprungen sein könnten, und erwecken vor dem geistigen Auge entsprechende Episoden zum Leben. Zeitlich halbwegs passend verrät eine kleine Tafel, dass auch der markant frisierte Albert Einstein hier einen Garten hatte, dazu ein kleines Boot. Auch das eine schöne Vorstellung – der humorvolle Pfeifenraucher auf dem Rand eines nicht gänzlich dichten Bötchens, das der launige Wind über die Havel scheucht.

Ab hier beginnt nun ein Weg, der bis hinein nach Kladow ohne größere Unterbrechung den seebreiten Fluss im Auge behält. Die einzige nennenswerte Havelpause gibt es rund um Alt-Gatow, und das ist dankenswert, wie sich zeigen wird. Der Weg am Flussufer, wieder mal einer der 20 grünen Hauptwege Berlins, ist voller Abwechslung, unterhaltsam und idyllisch. Doch die eigentliche Würze erhält diese entspannte Passage durch ein paar kleine Abstecher, jeweils nicht weit, doch markant.

Aufstieg zum Mühlberg, Alt-Gatow

Die Bucht der Scharfen Lanke ist komplett eingefasst von Stegen, die bis zu hundert Meter ins Wasser hineinragen und bei dichter Belegung mit kleineren und größeren Bootsleibern für eine effiziente Nutzung dieses gut angebundenen Uferstreifens sorgen. Viele von ihnen gehören zu Bootsclubs mit so hakeligen und auf ia endenden Namen wie Arminia Cheruskia und Gothia oder Arkonia und Dresdenia. Die Namen gehören zu Segel- und Rudervereinigungen oder auch zum Altherrenverband einer akademischen Turnverbindung, was weder ausgedacht ist noch aus einem alten Buch entnommen.

Südlich davon übernimmt schon bald die Natur, so dass es nur noch vereinzelt Stege gibt. Noch vorher winkt überzeugend der erste Abstecher in einen steilen Aufstieg über alte Stufen. Die führen hoch auf die Haveldüne, eine kleine Lokal-Prominenz. Von der Düne oder ihrem Sand ist hier so gut wie nichts zu sehen, doch die Anhöhe überrascht mit einem Weg in Kurpark-Breite, der durchaus an die Oberkante einer Steilküste denken lässt und sogar etwas mediterranes Flair ausstrahlt.

Eiche auf dem Gipfelplateau des Mühlberges, Alt-Gatow

Zwischen platten Kronenkiefern stehen herrliche Aussichtsbänke, die den Grunewald in panoramischer Breitseite bieten. Inbegriffen sind der backsteinerne Grunewaldturm, die zerfledderten Horchkuppeln auf dem Teufelsberg und zu ihren Füßen das Restaurant-Schiff Alte Liebe, seit einem Neuanstrich noch weißer als zuvor. Im Süden reicht der Blick in die jüngste Vergangenheit, zu den Plattenbauten von Pichelsberg und dem hohen Funkmast an der Heerstraße. Und direkt zu den Füßen wird die Havel nun minütlich weißer, denn jeder, der ein Boot mit einem Segel hat, will heute diesen Tag ausnutzen. Ein eleganter Zweimaster macht sich auf den Weg nach Spandau und wird später dann zum zuverlässigen Begleiter. Direkt neben uns setzt sich eine Amsel in die kräftige Gabel einer Kiefer und zwitschert präzise Richtung Teufelsberg – als wollte sie die rundlichen Überbleibsel des Kalten Krieges verjuxen.

Rückseite der Windmühle, Alt-Gatow

Nach dem letzten Steg beginnen die grünen Wege. Fast immer dabei ist eine ausgeprägte Geländekante, die das Haveltal als solches betont. Häufig besteht die Wahl zwischen einem ufernahen Spazierweg und einem Radweg, jeweils reizvoll zu gehen. Zwischen beiden wurde auf dem Pless’schen Gelände eine Streuobstwiese angelegt. Direkt benachbart liegt die Villa Lemm und besteht auf ihr ganz persönliches Stück Ufer. Die gesamte Anlage ist sehr mondän und beschreibt anschaulich die Bedeutung des Wortes „konsequent“, auch bekannt als „wenn schon, denn schon“. Drum herum schmiegen sich schon die Ausläufer von Alt-Gatow.

Alt-Gatow

Im Ortsbereich muss also ab dem lemm’schen Fingerzeig das Havelufer verlassen werden, was davor bewahrt, an einer liebenswerten Mischung dörflicher Elemente versehentlich vorbeizulaufen. Obwohl sich der Durchgangsverkehr weiter westlich auf der Bundesstraße 2 abspielt, ist auch hier einiges los. Da heute nicht nur für Segelboote ein guter erster Tag ist, sondern auch für Motorräder, sind einige wohlklingende als auch lärmige Aggregate zu hören.

Gutshof Gatow

Bereits nach wenigen Minuten bietet sich als Gegenentwurf der Kirchhof rund um die Dorfkirche an, der genau so auch auf irgendeiner Ostsee-Insel liegen könnte. Sofort ist es stiller, und sowohl der Duft als auch die Optik versetzen den Besucher in ein entlegenes Dörfchen. Etwas die Straße hinter beginnt ein winziger Pfad hinauf zum Mühlenberg, der nun die Düne von vorhin fürs Auge nachholt. Ein sandiges Wegenetz mit klobigen Holzgeländern führt hoch zum weiten Plateau, das von vielfältigem Trockenrasen bedeckt ist. Weiterhin steht hier eine einzelne Eiche, eine Mühle hingegen nicht.

Gärtnerei-Café, Alt-Gatow

In der Eiche tummeln sich ein buntgekleideter Vater und eine ganze Horde gleichfalls bunter Kinder, die rein rechnerisch nicht alle die eigenen sein können. Die Eiche ist noch nicht sehr alt. Da sie jedoch der einzige Baum hier oben ist, hat sie eine ausufernde Krone aufgespannt und streckt die meisten Äste gerade und weit vom Stamm. Mit sichtlicher Freude turnt der Vater behende und elastisch wie ein Artist durchs Astwerk, das teils erheblich nachgibt. Das Beherzte und die Freude übertragen sich ohne Umweg auf die Kinder, die überhaupt nicht angefeuert, ermutigt oder gebändigt werden müssen. Als der Vater in drei Schwüngen die nachgiebigen und elastischen Außenäste zum Boden hin verlässt, dauert es nicht mehr als anderthalb Minuten, bis alle Kinder wohlbehalten unten sind. Plaudernd trollen sie sich, wahrscheinlich zum gemeinsamen Kakaotrinken. Und haben was Schönes zu erzählen am nächsten Schultag.

Grunewaldturm gegenüber

Eine hochgewachsene Allee begleitet den Abstieg und liefert schließlich noch die Mühle nach zum Berg. Die ist nicht mehr die originale, vielmehr eine Zugezogene aus der Prignitz, und scheint sich gut eingelebt zu haben. Aus den Schildern vor Ort geht hingegen hervor, dass die heutige Mühle fast nur aus fachgerecht konstruierten Neuteilen besteht und mit Lottogeldern finanziert wurde. Wie auch immer, fest steht, dass die Mühle namens Regine wunderschön ist, über ein markantes Dach verfügt und hier einen passenden Standort gefunden hat, an dem sich bestens Feste feiern lassen.

Das gilt auch für den Gutshof Gatow einen halben Wiesenhang tiefer. Hier steht der zur Mühle passende Holzbackofen. Die alten Gebäude rund um den gepflasterten Hof atmen Atmosphäre und schaffen einen einladenden Ort zum Verweilen. Im Hofladen mit Café ist ein kleines Fest im Gange, und zwischen den Beinen der Tanten, Opas und Familienfreunde tummeln sich Kinder mit Kränzen im Haar, geflochten aus den Butterblumen vom erwähnten Wiesenhang. Nicht nur der Hof bezaubert, auch im Café geht es höchst gemütlich zu. Kräftige und grob behauene Holzbalken liegen frei, und in der Raummitte steht groß ein zylindrischer Ofen, dem viel zuzutrauen ist.

Nasses Havelufer an der Laubenkolonie

Wem es hier vielleicht zu voll ist und zu trubelig, der braucht nur eine Pforte weiter zu gehen. In einer kleinen Gärtnerei gibt es unter freiem Himmel und auch drin im alten Wachshaus ein Café, ganz genauso gemütlich wie nebenan und doch völlig anders. Zwei Räume gibt es, in denen man herrlich versacken kann. Dazu tragen neben den kulinarischen Möglichkeiten zwei fähige Öfen, zahllose Zeitschriften und Bücher sowie einige Sessel bei, die einen nicht so leicht loslassen werden, wenn man erstmal drinsitzt. Beiden Orten gemeinsam ist die freundliche Atmosphäre, die das Personal ausstrahlt. Wenn man fünf Minuten später wieder dem Havelufer folgt, wird man gern zurückdenken an Alt-Gatow und sich schon freuen aufs nächste Mal.

Nach etwas Straße biegt schon bald ein Weg ab, der vorbeiführt an Obstwiesen und zaghaft daran erinnert, dass die Zeit der Obstbaumblüte läuft. Am Uferweg ist einiges gemacht worden, Pflasterungen und auch viele neue Bänke. Von den zahlreichen Badebuchten fällt der Blick immer wieder auf den Grunewaldturm, der die ganze Zeit schon sichtbar war und jetzt direkt gegenüber aus den Wipfeln ragt, wie ein vergessener Spargel. Unter ihm schippern weiße Dampfer durchs klare Havelwasser und geben eine Vorausschau auf die nähere Zukunft.

Streuobstwiese unterhalb des Gutshauses, Gutspark Neukladow

Am Ende der Wiesen beginnt nun wieder eine Laubenkolonie, die erneut an Zille denken lässt. Schlicht sind die Lauben, winzig und sehr pittoresk, die meisten mit direktem Wasserblick. Die Kante zur Havel ist hier so niedrig und unmittelbar, dass der beharrliche Wind der letzten Tage den Weg immer wieder mit Wogenwasser überspült. Auch ein Bild, das eher an ein norddeutsches Inselufer denken lässt und die Urlaubswirkung dieses Tages noch verstärkt. Nicht zu verachten ist in dieser Hinsicht auch, dass sich die Sonne immer wieder zeigt, den Himmel zeitweise bis zur Bläue leergeräumt hat. Jetzt ziehen neue Wolken auf und es scheint gut, das Ziel in Griffweite zu haben.

Im Gutspark Neukladow

Gutspark Neukladow

Nach den Lauben übernimmt nochmal die üppige Natur zwischen Hang und Uferkante, bevor der Gutspark Neukladow beginnt. Mit vergleichbarer Sogkraft werben ein flacher Weg am breiten Wiesengrund und der ansteigende Pfad über den laubbestandenen Parkhügel um den Vorrang der Schritte, ein stiller Wettbewerber ist mit dem Reiz des weiten Wassers die Fortsetzung des Uferweges. Auch wer den Hügel umrundet, kommt nicht um die sanfte Steigung herum, die schließlich herrschaftlich am Gutshaus Neukladow endet, einem überschaubar großen Anwesen in schönster Aussichtslage. Um von hier wieder auf Havelniveau zu gelangen, steht eine erfahrene Treppe bereit, die zu einer Uferwiese voller jugendlicher Obstgehölze führt. Der gediegene Weg entlang dieser Wiese endet schließlich an einer Mauer. Der Bogen darin, vor dem sich lange Menschen beim Durchschreiten etwas verneigen müssen, überführt in eine baumschattige Straße und schließlich zur alten Allee, die direkt vom Gutshaus her nach Alt-Kladow führt. Wem das als Abschluss zu direkt ist, der kann vorher noch rechts in eine trockene Rasenkule voller Pfade abbiegen und oben die belebte Ortsmitte von Kladow mitnehmen.

Kladow

Spätestens von der Kirche führen alle Weg hinab zum Hafen, wo jede Stunde ein riesiges vollverglastes Fährboot anlegt, mit reichlich Platz für Bollerwagen voller Kinder und knapp zweihundert Fahrräder, Passagiere auch. Berechtigt ist jegliches Bedauern, dass diese ausgedehnte Passage aufgrund knochentrockener und rationaler Argumente seit einigen Jahren nicht mehr mit frischer Seeluft und Wind um die Nase einhergeht. Der Ausflugsdampfer zum wohl zweitromantischsten Normaltarif der Stadt ist zum praktischen Wasserbus geworden. Auf der anderen Seite ist es schön, dass die regelmäßige Verbindung überhaupt noch besteht, und rausgucken lässt sich nach wie vor bestens. Den Rest muss die Phantasie ausgleichen, vorher und danach beim windzerzausten Stehen an der Hafenkante.

Wenn die Fähre gerade weg ist – Biergarten am Hafen, Kladow

Jede erwartete Fähre zeigt sich erst ganz zuletzt, da fast die gesamte Route von der Vogel-Insel Imchen verdeckt wird, die schützend vor dem Kladower Hafen liegt und wirklich Imchen heißt. Scheinbar ebenso lang wie die zwanzigminütige Überfahrt dauert wohl das Aus- und Einsteigen an beiden Häfen, so dass es rein rechnerisch eigentlich kaum möglich ist, dass nur ein einziges Schiff die Linie F 10 bedient. Der Zeitplan stark auf Knirsch gestrickt ist. Doch es funktioniert.

Auf halbem Weg nach Wannsee gesellt sich von den Potsdamer Havelgewässern kommend der historische Dampfer Rheinland hinzu, lässt der Fähre als Linienverkehr aber Vorfahrt beim Einlaufen. Gebaut wurde er an den klaren Gewässern bei Rüdersdorf. Wie das Schiff zu seinem Namen kam, bleibt im Bereich der Spekulation. Die Optik des 80 Jahre alten Pottes lässt Kenner der alten Fähre noch einmal wehmütig seufzen, doch das ist bei der ersten Brise kurz nach dem Aussteigen rasch wieder vergessen.

Wannsee-Fähre mit MS Rheinland backbord

Wie der Tegeler See ist auch der Wannsee eine ausgeprägte Bucht der Havel, und so liegen zwischen Hafen und Bahnhof ein paar Höhenmeter. Wer sich oben noch einmal umdreht und zurück aufs Wasser schaut, möchte den Tag vielleicht noch etwas verlängern. Eine gute Möglichkeit dafür ist der große Biergarten gleich gegenüber, der weitere Höhenmeter einfordert und direkt auf ein großzügiges Aussichtsplateau führt. Hat man oben einen schönen Platz gefunden und sich mit dem Nötigsten versorgt, liegt beim Blick auf die urige Almhütte oder die glitzernde Wasserfläche der Gedanke mehr als fern, dass in nächster Zukunft ein AB-Fahrschein irgendeine Rolle spielen könnte.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der U-Bahn bis Neu-Westend

Anfahrt Pkw (von Berlin): nicht praktikabel

Länge der Tour: ca. 17,5 km

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Informationen über Neu-Westend

Informationen über die Murellenschlucht

20 grüne Hauptwege Berlin

Bericht über die Haveldüne

Hannes Café in Alt-Gatow

Gutshof Gatow

Gutspark Neukladow

Einkehr:
Imbiss an der Heerstraße auf dem Pichelswerder, mit Biergarten
Hannes Café, Alt-Gatow (nur Wochenende)
Dorfkrug Alt-Kladow, Kladow ggbr. der Kirche
Biergarten am Hafen Kladow
Biergarten und Restaurant Loretta am Hafen Wannsee

Grobskizziert – Wolfshagen: Schlummernde Schönheit ganz am Rand

Weit im Norden Brandenburgs, ganz hart an der Grenze zum Mecklenburgischen, liegt wie in einem verstaubten Regal im hintersten Winkel eines riesigen Dachbodens eine kleine Schatztruhe. Ein Dorf, in dem man gleich morgen einen Märchenfilm drehen könnte, ohne viel verändern, kaschieren oder abbauen zu müssen. Die Zutaten sind reichlich, darunter auf den ersten Blick sichtbar ein buchtenreicher See, über seinem Ufer eine Burgruine und direkt gegenüber ein Park mit einer Brücke, deren allererste Aufgabe es ist, schön zu sein, das Auge zu erfreuen.

Obelisk in Wolfshagen

Wer länger hinschaut, entdeckt noch interessant gescheitelte Feldsteinhäuser ganz besonderer Bauart und eine elegante Kirche á la Schinkel, darüber hinaus einen kleinen Rosengarten und einen großen Obelisken. Nimmt man sich Zeit und das ganze Dorf in Ruhe unter die Lupe, kommt man auf den rekordverdächtigen Wert von knapp vierzig Baudenkmälern. In einem Dorf, in dem nur ein paar Hundert Leute leben.

Der kleine Rosengarten im Vorfrühling

Die ganze Uferlinie von Wolfshagen ist in einen Park eingebunden, der reich an wirklich alten Bäumen ist und an den vermutlich schlaflosen Gartenbaumeister Lenné denken lässt. Und wahrhaftig hatte er auch hier seine Finger im Spiel. Wo dieser Mann in nur 77 Lebensjahren überall tätig war, und das zu einer Zeit, wo allein das Hin und Her weit mehr Zeit beanspruchte als heute, bleibt schon rein logistisch ein Rätsel.

Blick über den Haussee zur Ruine der Blankenburg

Von der gestalterischen Qualität und der Üppigkeit der Ausstattung her würde Wolfshagen durchaus in die Umgebung von Potsdam und Babelsberg passen. In der Tat liegt es jedoch weit abgeschlagen und so weit im Norden, dass sich kaum jemand hierher verirrt. Auch die Zahl der Durchreisenden dürfte übersichtlich bleiben, seit die Autobahn eine Alternative zur B 198 bietet.

Brücke am Uferstreifen

Umso bezaubernder ist ein Spaziergang durch dieses besondere Dorf, in dem man alle paar Minuten erstaunt stehen bleibt, einen Betrachter-Schritt zurücktritt oder die Perspektive wechselt, um einer vergilbten oder aufgefrischten Sichtachse des Gesamtkonzepts auf die Schliche zu kommen.

Beginn des Uferweges

Auch außerhalb des Dorfes umgibt sich der See mit Reizvollem. Selbst ist er verspielt und von gebogener Uferlinie, kann euphorisch glitzern oder einfach schwarz oder tiefblau daliegen, wenn der frische Wind des Nordens und die uckermärkischen Wolkenbilder für schnelle Stimmungswechsel sorgen. Am Ortsrand steht auf einem Hügel ein Denkmal, ähnlich der abgebissenen Kirchturmspitze auf dem Berliner Kreuzberg. Hier beginnt an der Sitzbank unter einem gewaltigen dreigeteilten Bergahorn ein idyllischer und keinesfalls eintöniger Weg rund um den See, gleich oberhalb des kleinen Badestrandes. Am Ostufer läuft er direkt unter einer kleinen steilen Flanke, während er am bereits mecklenburgischen Westufer in gut gelaunten Bögen durch flachen und blickweiten Laubwald schlendert.

Wald voll weißer Anemonen

Im April sind sowohl die Uferhänge als auch die krautigen Waldböden bedeckt vom weißen Zauber der Buschwindröschen, hier und da ist auch eine Schüsselblume zu finden, deren Name sich dem sofort erklärt, der schon einmal einen alten Kirchtür-Schlüssel in der Hand halten durfte. An vielen Stellen stehen vereinzelt betagte Baumriesen, darunter Eichen, Buchen und Platanen. Drei davon gruppieren sich am Ende der kleinen Runde als Burgwächter gegenüber des Turms der Blankenburg, ihrem einzigen, doch völlig ausreichenden Rest. Dass dessen Mauern mehrere Meter stark sind, steht nicht nur auf einer Tafel, es lässt sich auch persönlich überprüfen. Von der schmiedeeisernen Gitterpforte am kleinen Burgplateau schaute man zu früheren Zeiten über den See auf ein passables Schloss, jetzt bildet die erwähnte Brücke den Haupt-Blickfang.

Blick von der Burg übern See

Der breiteste der vielen Frischwasserspender für den Haussee kommt auf direktem Weg von einem ausgedehnten Bruchwald her und beschert gleich zwei Zuflüsse – einen im Wald nördlich des Burgturms, einen im Park, der ufernah das ganze Dorf durchzieht. Sicher gibt es noch allerhand zu sehen in Wolfshagen, doch das darf gerne warten – die nächste Rückfahrt von der Ostsee kommt bestimmt!

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): nur sehr aufwändig mit mehreren Umstiegen (ca. 3-4 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): Autobahn bis Prenzlau, von dort B 198 bis zur Landesgrenze (ca. 1,5-2 Std.)

Länge der Tour: ca. 6 km

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Artikel aus der ZEIT zu Wolfshagen

Informationen auf der Gemeindeseite

Informationen zum Park Wolfshagen

Berliner Spaziergang – Moabit: Stille Mauern, alte Gleise und die Walfisch-Rücken

Es ist April, wie es selten April war in den letzten Jahren. Verschiedenste Wetterlagen wechseln im Viertelstundentakt. Relativ unbeeindruckt davon zeigt sich die frisch eröffnete Internationale Gartenausstellung, die zuletzt den Nordlichtern Rostock und Hamburg zusätzlichen Glanz verlieh. In ihrer neuesten Auflage tut sie dies im Osten von Berlin und hegt die Absicht, die große Welt an die kleine Wuhle zu locken und gleichzeitig dem landesweit bekannten Begriff „Marzahn“ zu ein paar neuen Gesichtszügen zu verhelfen. Nachdem sie am Donnerstag vor dem Osterwochenende erste wetterfeste Besucher empfing, ist ihr umgehend der Osterhase mit seinen freien Tagen auf den Fersen und veranlasst Tourismus-Experten zu Besucher-Prognosen in Millionenhöhe für die Stadt.

Sommergrünes Wuhletal beim Kienberg

Je nach Geschmack kann man sich nun mitten ins internationale und multikulturelle Getümmel der Innenstadtlagen stürzen und nach Herzenslust diese turbulente Seite der Stadt auskosten. Oder gar nicht weit entfernt vom bunten Treiben schauen, was sich denn an einem der grünen Nebenschauplätze der IGA getan hat. Denn abseits vom Marzahner Areal rund um die Gärten der Welt und den wuhleflankierten Kienberg wurden quer übers Stadtgebiet zwanzig weitere Grünflächen unter das gartenplanerische Auge und den zugehörigen Spaten genommen. Darunter sind bekanntere wie Treptower Park, Lietzenseepark und Großer Tiergarten, doch auch weniger prominente wie der Stadtpark Steglitz, der Landschaftspark Herzberge oder der kleine Rosengarten im vorderen Hinterland der Karl-Marx-Allee. Ein weiterer der zwanzig Auserwählten ist der Kleine Tiergarten im Herzen der einstigen Industrie-Siedlung Moabit, wo jegliche Bemühungen sehenswerte Früchte tragen, auch wenn sein Charakter stark verändert wurde. Da das Wetter an diesem April-Wochenende mehr als monatstypisch ist, kann es zudem nicht schaden, alle paar Minuten in einem Buswartehäuschen oder einem Café Zuflucht suchen zu können vor spontanem Niederschlag und frostigen Winden.

Bernauer Straße an der Mauergedenkstätte

Der Weg nach Moabit und wieder zurück lässt sich mühelos mit ein paar reizvollen Extrabögen würzen und führt am Ende zu einem mehrstündigen Spaziergang, nach dem das aktuelle Bild von Moabit  gefällig nachgeschärft ist. Wahlweise als Runde ausgehend vom Hauptbahnhof, wer es etwas ausgedehnter wünscht, nimmt als Ausgangspunkt den U-Bahnhof Eberswalder Straße oder den S-Bahnhof Nordbahnhof.

U-Bhf. Eberswalder Straße

Zwischen beiden liegt die Bernauer Straße, die vor einiger Zeit von Grund auf renoviert wurde. Die seinerzeit gepflanzten Bäume sind fast alle gut gediehen und geben der breiten Straße Jahr für Jahr mehr von dem Charme zurück, den sie durch ihre ausgewachsenen Straßenbäume vormals hatte. Je nach Wochentag wälzen sich auf den ersten 500 Metern Ströme von Menschen über den rechten Bürgersteig, mit Kurs auf Mauerpark und Trödelmarkt. Ab dort übernimmt der linke Bürgersteig mit der stilisierten Berliner Mauer aus unzähligen Stahlrohren, die je nach Blickwinkel durchlässig oder eben absolut undurchlässig ist – eine der gelungensten wortlosen Metaphern für dieses eigenartige Bauwerk, das es wirklich einmal gab. Ab hier ist der Menschenstrom meist überschaubar, bevor es dann an der großartigen Mauer-Gedenkstätte kurz vor dem Nordbahnhof wieder bevölkerter wird. Das ist gut so, denn dieser Platz vermittelt anschaulich und direkt Geschichte, die noch greifbar nah zurück liegt und damit zwar absurd, aber kaum abstrakt ist.

S-Bhf. Nordbahnhof

Das kleine Oberstübchen des Nordbahnhofs linste von Baustellen umtost lange Zeit verloren aus seinem verborgenen Unterbau heraus, wie der kleine Bürzel eines tief gründelnden Entleins. Mittlerweile ist die kleine Backstein-Festung von Bebauung und Gleiskurven umgeben, hat irgendwie ihren Platz gefunden und wirkt dort richtiggehend charmant. Neben den aktiven Gleisen, auf denen Straßenbahnen aus großen Teilen Berlins in einer nassforschen Biege die lange ersehnte Zielgerade zum Hauptbahnhof antreten, werden gleich um die Ecke dezent und doch effektvoll die zahlreichen Gleise des alten Stettiner Bahnhofs zitiert, der jahrzehntelang von einem sonderbaren Grenzverlauf durchzogen wurde. Diese lassen die Frage offen, ob sie noch die originalen sind, auf denen schwere Dampflokomotiven mit viel Wasserdampfgeschnaufe ihre Züge zum Stehen brachten. Sie beantworten aber zugleich klar und sehr gut lesbar, wohin die Reise gehen konnte von diesem Sackbahnhof im Herzen von Berlin. Darunter finden sich eher regionale Ziele wie Eberswalde und Angermünde, vor allem jedoch polnische wie Stargard, Kolberg oder das namengebende Stettin. Zur Bauzeit des Bahnhofs lagen diese in der preußischen Provinz Pommern.

Vor dem Naturkundemuseum in der Invalidenstraße

Die nächste Menschenansammlung wartet vor dem Museum für Naturkunde, das selbst eine gute Lösung für einen verregneten Tag darstellt. Doch heute wechseln die Wetter alle paar Minuten, was bedeutet, dass sich in jeder Stunde des Tages auch ein bisschen Sonnenschein ereignet, meist eingerahmt von spektakulären Wolkenbildern. Das Museum muss also noch warten.

Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal Richtung Invalidenfriedhof

Hinter der Brücke über den Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal thront der Hamburger Bahnhof, ebenfalls ein Kopfbahnhof, der für die nordwestliche Richtung zuständig war und in seinem wunderschönen Inneren das Museum der Gegenwart beherbergt. Wer nun neugierig wird, welche Pendants solcher Kopfbahnhöfe es noch gab oder gibt, kann zum Beispiel in der Nachbarschaft des Ostbahnhofs oder in Kreuzberg am Askanischen Platz und dem Görlitzer Park auf sichtbare Spuren stoßen. Insgesamt gab es einmal elf Kopfbahnhöfe mit klar verteilten Zuständigkeiten.

Hauptbahnhof

Gleich darauf erstreckt sich auf der linken Seite der Hauptbahnhof, dieses riesige Ding. Die Vorstellung fällt schwer, dass hier vor relativ kurzer Zeit noch ein unscheinbarer S-Bahnhof kauerte, den man mit der Spree kaum in Verbindung brachte und dessen Namen man immer wieder vergaß. Der heutige Bahnhof ist umtost von der Einfahrt zu einem unterirdischen Stück Stadtautobahn, das eigentlich keine ist, ferner der Straßenbahn und den Bussen sowie dem ständigen Hin und Her von Ausflugsdampfern auf der Spree. Dazu kommt noch der eigene Lärm bremsender und anfahrender S-Bahnen, Regional- und Fernzüge, gemischt mit hallenden Durchsagen .

Auf dem einstigen Gelände des Zellengefängnisses Moabit

Umso faszinierender ist es, wenn man sich schräg gegenüber durch den unscheinbaren, fast verborgenen Eingang in einer hohen Ziegelstein-Mauer wagt. Die gehörte zum Zellengefängnis Moabit, das in seiner aktiven Zeit als eines der fortschrittlichsten Gefängnisse galt. Das erklärt sich insbesondere durch die Art und Weise seiner Anlage. Wer neugierig auf Details ist, findet an den zwei Eingängen wohlkonzipierte Informationstafeln zum Thema. Das Gefängnis wurde vor etwa 60 Jahren abgerissen, die Außenmauer blieb jedoch großteils erhalten.

Wer also durch diese Mauer getreten ist, findet sich umgehend in eindrucksvoller Stille wieder, umgeben von Freiraum, mittelalten Bäumen und einer parkartigen und freundlichen Anlage, die gänzlich ohne Zaunpfahl auf das hinweist, was hier einmal stand. Die Mauer ist nur ein paar Meter hoch, doch sie filtert das meiste von dem Lärm, der sich ebenfalls nur ein paar Meter entfernt abspielt. Fast fühlt es sich an wie der Eintritt in einen Klosterhof, in einen Raum der Stille, einen Rückzugsort. Es ist absolut faszinierend.

Ruheoase mitten im Stadtlärm

Gegenüber des Ausgangs zur Lehrter Straße befindet sich der Hauptsitz der Berliner Stadtmission, die sich bereits seit 130 Jahren um all die Menschen in der Stadt kümmert, die es aus der Bahn geworfen hat, die direkt oder gedanklich ausgegrenzt werden und über die man im Stadtbild gern hinwegsieht. Gleich benachbart stehen die weitläufigen Gebäude des Jugendgästehauses Hauptbahnhof, in sinnvoller Nachbarschaft zu zahlreichen Sportanlagen, einer Kletterhalle des Deutschen Alpenvereins und einem kleinen Park. Wer sich gern im Wasser oder im Wasserdampf aufhält, wird vom Stadtbad Tiergarten oder der benachbarten Wohlfühl-Sauna-Oase bestens bedient. Ein unmittelbares Nebeneinander verschiedenster Welten, das einen typischen Berliner Gesichtszug recht gut charakterisiert.

Der kleine Park übrigens ist der Fritz-Schloß-Park und gilt immerhin als größte Grünanlage von Moabit. Er verfügt über ein  Gipfelchen, dessen sekundenlanges Erklimmen durchaus einen leicht erhöhten Puls abfordert. Eine Aussicht wird oben nicht geboten, doch dafür gibt es zwei schön geschwungene Liegen und eine Holzplattform, auf der man sich lang ausstrecken kann. Zahlreiche Wege und Pfade durchqueren das dichte Grün, und auch auf einer der vielen Bänke hier lässt es sich gut abschalten.

Auf dem Gipfelplateau im Fritz-Schloß-Park

Turmstraße

Die kurze und gemütliche Pritzwalker Straße endet an der Turmstraße, die ein klarer Identitäts-Bestandteil von Moabit ist. Gegenüber erhebt sich imposant und durchaus einschüchternd das Kriminalgericht, das über ein unterirdisches Gangsystem in direkter Verbindung mit dem Gefängnis steht und damit allerhand Geld, Komplikationen und Risiken beim Hin und Her zwischen Zelle und Gerichtssaal einspart. Im Kopf von Cineasten werden bei diesem Anblick sicherlich zwei Handvoll Filmszenen aufploppen. Gericht und Gefängnis nehmen einen vollständigen Straßenblock ein, und auch sie machen einen Teil davon aus, wofür Moabit bekannt ist.

In der Pritzwalker Straße

Kleiner Tiergarten

Auf der anderen Seite der Turmstraße liegt der sogenannte Kleine Tiergarten, der über die Länge von fast einem Kilometer den Raum zwischen Turmstraße und Alt-Moabit ausfüllt, fast wie ein Anger. Der längliche Park erhielt in zurückliegenden Jahrzehnten wenig Beachtung, wurde aber im Rahmen von Förderprogrammen und zuletzt im Zusammenhang mit der IGA umgestaltet. Das Ergebnis ist eine gelungene Anlage, die bewusst offen und unverwinkelt gestaltet wurde. Das war leider nicht nur gestalterisch eine Notwendigkeit, da der Kleine Tiergarten seit einigen Jahren als Kriminalitätsschwerpunkt gilt und bevorzugt bei hohem Sonnenstand und eher abseits der Stromstraße besucht werden sollte.

Im Park gibt es zahlreiche lichte Sitzecken, teils mit Springbrunnen, und überall wurden große Sitzhügel angelegt, denen man ihren Beton nicht ansieht, die vielmehr an die rundgeschliffenen Uferfelsen mancher Schärenküste erinnern. Auf den sanft gerundeten Walfischrücken kann man bestens sitzen, fläzen oder lümmeln, allein oder zu zehnt. Dass sie viel Geld verschlungen haben und nicht jeden Geschmack treffen, scheint den gelassenen Kolossen ziemlich egal zu sein. Ganz im Osten nahe der Johannis-Kirche gibt es einen großen Spielplatz und eine kleine Carrera-Bahn für Bambi-Räder, mit Über- bzw. Unterführung und ein paar sanften Huckeln in der Piste. Alle angetroffenen Knirpse strahlen breit und wirken sehr beschäftigt.

Sogenannte Sitzkiesel im Kleinen Tiergarten

Die Turmstraße selbst ist westlich der Heilandskirche eine belebte Straße mit Gastronomie und Geschäften, wo an mehreren Stellen ein wirklich guter Döner zu bekommen ist. Direkt an der Kirche erstreckt sich als kleines Berliner Unikat die Thusnelda-Allee über ganze 50 Meter Straßenlänge, die durch diesen Superlativ und ihren markanten Namen jedem Berliner Taxifahrer für immer im Gedächtnis haften bleibt.

Wer sich im Kleinen Tiergarten veranlasst sah, seinen Schritt zu beschleunigen, kann diesen unerwünschten Adrenalin-Stoß schon wenige Minuten später am Ufer der Spree ausgleichen. Dorthin führen südlich von Alt-Moabit gemütliche Straßen, die teilweise über Parkcharakter verfügen und im Rahmen ihrer Vorgärtchen schöne Cafés, Biergärten und sogar eine einladende Kaffee-Rösterei anbieten. Nach einem nordrhein-westfälisch gefärbten Zickzackkurs durch Bochumer, Essener, Elberfelder und Dortmunder Straße glitzert ein paar Meter tiefer auf einmal die Spree, die hier eine ganze Serie von euphorischen Kurven zieht. Auf diesen flanieren all die Dampfer, die sich über die Standard-Partie zwischen Mühlendammschleuse und Kanzler-Riegel hinaus wagen oder sogar regelmäßige Kontakte mit dem Treffpunkt von Spree und Havel unweit der Spandauer Altstadt pflegen.

Im Kleinen Tiergarten nach dem Aprilregen

Spree-Bogen

Auf dem einstigen Gelände der Bolle-Meierei befindet sich jetzt der Spree-Bogen, der stellenweise alte Fabrik-Substanz mit neuer Architektur verbindet und dabei an vielen Stellen Phantasie und Freude am Blickwinkel bewiesen hat. Das Schönste am Spree-Bogen ist ein durchgängig begehbarer Uferstreifen, darunter auch ein sandiger Spielplatz in Gestalt eines lebensgroßen Schiffes, das fast in Rufweite zu den Walen von vorhin vor Anker liegt. Die etwa 12 Meter lange Rutsche sorgt nicht nur bei Kindern für Vergnügen und spitze Stimmlaute.

Spreeufer gegenüber des Hauptbahnhofs, noch ohne Bar und Liegestühle

Eine letzte kleine Grünanlage verbirgt sich im Hof zwischen Spener- und Paulstraße und braucht den Vergleich mit dem Fritz-Schloß-Park samt Hügel nicht zu scheuen – sie ist nur eben drei Nummern kleiner. Eine Kreuzung später liegt in ihrer ausufernden Wendeschleife die bisherige Endstation aller Straßenbahnen, die den Hauptbahnhof anfahren. Es ist keine Haltestelle zum Einsteigen, da die Züge von hier direkt auf ihren Pausenhof fahren. Wer trotzdem gern von Westen aus mit der gelben Stretch-Limo beim Hauptbahnhof vorfahren möchte, kann das auch von der nur wenige Minuten entfernten Station Clara-Jaschke-Straße tun. Alternativ kann man einmal durch den Hauptbahnhof gehen oder um ihn herum, die Spree überqueren und sich drüben mit einem passenden Getränk in einen der Liegestühle hängen – wenn das April-Wetter mitspielt und die Bar schon aufgebaut ist.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): U-Bhf. Eberswalder Straße, S-Bhf. Nordbahnhof, Hauptbahnhof

Anfahrt Pkw (von Berlin): nicht sinnvoll

Länge der Tour: 10 km, als Runde von Hbf.  gut 6 km

 

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

 

 

Plaue: Gartenstadt, Stahlfachwerk und die weite Havelsee

Der April hat in den letzten Tagen unartig im März herumgewildert, sich regelrecht ausgetobt und probiert, wie viele verschiedene Wettersorten sich in eine Handvoll Stunden stopfen lassen. Herumgescheucht und hin und wieder eingeweicht wurde alles, was Beine hat, und alles andere ohne Puls und Herzschlag wurde auf hinreichende Befestigung geprüft. Nach diesem Säbelrasseln fällt es schwer, an sonnige Tage und moderat sinkenden Luftdruck zu glauben, doch genau die sind prophezeit.

Seegartenbrücke zwischen Plaue und Kirchmöser

Für die Wochen des zeitigen Frühjahrs bedeuten solche Tage klare Luft, satte neue Farben sowie knackige Kontraste und verlangen damit weite Sicht, freien Himmel und große Wasserflächen, die diesen Himmel widergeben können. Gut geeignet ist da zum Beispiel die Havel hinter Brandenburg, die hier ihre Wasser zu weiten Seen aufspannt. Die beherbergen manche große Insel und sind reich an Buchten aller Größen, sodass die Havelwogen teils bis tief ins Festland vordringen. Von dort kommen im Gegenzug die Flüsschen Buckau und Temnitz und liefern ein weiteres Argument für das klare weiße Wasser dieses Küstenreiches. An gewissen Tagen kann ebendieses Wasser so unfassbar blau aussehen, wie man es sonst nur dem Eismeer abnehmen würde.

Plaue

Die Stadt Brandenburg erreicht mit all ihren Ortsteilen eine erstaunliche Ausdehnung und ist daher rein flächenmäßig größer als die brandenburgische Landeshauptstadt oder auch die von Niedersachsen. Weit im Westen liegt der Ortsteil Plaue, der seinem nördlichen Ausläufer den Beinamen „Gartenstadt“ verdankt. Plaue ist fast vollständig von Wasser umgeben, das im Osten und Süden weite Blicke gestattet. Darüber hinaus gibt es hier einiges zu entdecken, was sich mittels einer verwinkelten Rundtour gut verbinden lässt.

Hauptstraße in Plaue mit Gruß von der sächsischen Elbe

Schon bei der Fahrt nach Plaue wird die Havel viermal überquert. Nur einmal sieht sie dabei aus, wie ein Fluss in der Regel aussieht. Links ein Ufer, rechts ein Ufer, dazwischen eine Brücke breit Wasser und die Ufer in etwa parallel. Bei der letzten Überquerung kurz vor dem Ziel öffnet sie sich zum Plauer See, über den der Blick schonmal drei Kilometer bis zum anderen Ufer schweifen kann.

Beim örtlichen Konditor stehen noch keine Stühle draußen, doch könnte es schon morgen soweit sein. Ein Mann fährt vor mit einem Pudel auf dem Beifahrersitz. Der Pudel sitzt sehr aufrecht und scheint eher der Ansicht, dass ein Pudel vorfährt mit einem Chauffeur auf dem Fahrersitz. Von außen ist hinter der Fensterkante nur sein rassetypisches Scheitelpolster sichtbar. Der Chauffeur trägt eine knallrote und knappe Strickmütze ohne Pudel auf dem Kopf, was guten Stoff für weitere Spekulationen hergibt.

Allee zum Schloss Plaue

Von der Rückbank holt er ein großes bedrucktes Tuch, das aussieht wie eins von diesen Mangeltüchern, zwischen denen in zurückliegenden Zeiten die Wäsche in Kaltmangeln glattgepresst wurde. Schonend und energiesparend. Das Tuch ist zu einem großen Sack vernäht, der flachgelegt etwa einen Meter lang und einen halben breit ist. Schon als er den Laden betritt, kommt ihm die Verkäuferin wissend entgegen und hält halbwegs hochkant ein Brot zwischen ihren Händen, dass die volle Länge des Sackes beanspruchen wird. Ein wunderschönes Brot wie aus dem Bilderbuch, mit schrägen Mehlsenken und einen ganzen Meter lang. Als es fachkundig eingerollt auf der Rückbank verstaut und die Tür verschlossen ist, scheint der Pudelkopf knapp und wohlwollend zu nicken.

Schlosscafé an der Havel, noch frühjahrsmüde

Vom Wasser her wird Plaue bestimmt durch die hübsche Kirche, die auf einem kleinen Hügel mitten im Ort steht, und das Schloss, das seine Hauptfassade zum Wasser hin ausrichtet. Zum Schlosstor führt eine Allee aus eindrucksvollen Platanen, ähnlich alt wie das Schloss selbst. Das riesige Gebäude trägt flache, doch zahlreiche Runzeln, die vom zahlreichen Auf und Ab der Zeiten zurückblieben. Im nördlichen Teil hat sich schon einiges getan, was dem aktuellen Besitzer zu verdanken ist. Gleich benachbart gibt es ein einladendes Café mit schönem Biergarten am Wasser. Von dort fällt der Blick auch auf die eindrückliche Stahlfachwerk-Brücke, sicherlich ein weiteres Wahrzeichen von Plaue, dem seine Patina irgendwann zum Verhängnis werden könnte.

Vom Hochufer vor dem Schloss wird der Blick angezogen von den Türmen und Schloten auf der Halbinsel Kirchmöser, die neben ihrem ungewöhnlichen Namen eine ebenso ungewöhnliche Mischung von Kurort-Charme, Industriekultur, idyllischen Naturräumen und pittoresker Siedlungsarchitektur bereitstellt. Mit einigen spröden Einschlägen zwischendurch.

Theo F. von links unten

Der gediegene Schlosspark ist durchzogen von großen und kleinen Wegen, und etwas Wasser sorgt dafür, dass manche Hängeweide schon extrem im grünen Saft steht. Auch auf dem Boden des hügeligen Laubwaldes spielt sich auf Augenhöhe mit dem Laubteppich schon einiges ab. Kleine bunte Blüten, aber auch künftige Bäume haben sich durch die harten Blätter ans Licht gewunden. Zum Wasser hin residiert ein groß angelegtes Plateau, das in seiner Pracht etwas verloren wirkt. Bewacht wird es von einem Widder und einem Bären, beide überlebensgroß und mit Blick gen Brandenburg.

Im Stadtpark am Plauer See

Die Brücke nach Kirchmöser ist sehr verlockend. Relativ neu, überaus ansehnlich und wohl eine klare Referenz an die Brücke von vorhin. Von hier führen Trampelpfade über einen kleinen Stadtwald in eine Wohnsiedlung, die durchaus ihren eigenen Charakter trägt. Hier und dort gestattet sie Durchblicke zwischen den Häusern und lässt hinten einen Deich vermuten, mit einem Meer dahinter. So ganz falsch ist das ja nicht. Eine ältere Dame steigt gerade über den vermuteten Deich, und ihr gestärkter Rock wird vom frischen märkischen Seewind in maritimes Flattern gebracht.

Seegartenbrücke

Jenseits der ersten Bundesstraße im Lande beginnt nun eine ganz andere Welt. Verträumt, ja fast etwas verschlafen liegt hier die Große Freiheit, die so gar nichts mit Hamburg und Rotlicht zu tun hat. Große Freiheit bietet sie für allerlei Getier sowohl mit Gefieder als auch Fell und im Schlepptau auch für eine Handvoll Menschen. Ein paar Gärten quetschen sich im Norden in ein kleines Eck. Auf einer der Schollen steht ein wettergegerbter Wohnwagen, der hier das Basislager bildet für ein junges Berliner Pärchen, das offensichtlich kein Verächter von urbanen Modeströmungen ist. Hier, weit von der Stadt und jeglicher Form von Darstellungszwängen, sind sie einfach nur entspannt und fröhlich, Mann und Frau im Garten, frei von jeglichem Zaumzeug. Ihr Halbwuchs steht draußen vor dem Garten mitten auf dem staubigen Acker und genießt es voller Begeisterung, seinen Fußball beliebig weit und beliebig hoch schießen zu können, ohne dass dieser irgendwo anstößt oder ohne dass sich irgendwer beschwert. Es ist ein herrliches, ein grundsympathisches Bild.

Siedlung Plaue West

Wir schwenken links ein auf die Straße Große Freiheit, deren Haus-Nr. 7 etwas südlich von hier liegt. Die gepflasterte Straße schickt ihre eleganten Biegen durch ein trockenes Bruchgebiet in Richtung Charlottenhof. Das Pflaster ist exzellent verlegt, für jede Art von Vorwärtskommen geeignet. Noch vor dem Ort biegt links der Weg ab, der die Große Freiheit umrundet, nun durch verschiedenen Wald. Während drüben der Blick nicht weit durchs Schilf kam, gibt es hier jetzt einige Blicke aufs Wasser und seine Bewohner. Die Fläche liegt spiegelglatt, bis ein Schwan für symmetrische Wellen sorgt, mit verlässlicher Eleganz.

Im Vorfrühlings-Wald westlich der Großen Freiheit

Nach dem zweiten Überqueren der erstaunlich ruhigen Bundesstraße, die ja immerhin einmal quer durch Deutschland führt, beginnt an der Plauer Schleuse ein lieblicher Pfad direkt am Ufer des Woltersdorfer Altkanals. Der stellt trotz seiner Beschaulichkeit einen netten Bezug zur weltbekannten Großen Freiheit her, da er nur eine Binnenalster breit später in den Elbe-Havel-Kanal mündet.

Blick aufs Wasser der Großen Freiheit

Unsere Schritte sind regelrecht befreit vom lang erwarteten und tatsächlich eingetretenen Frühlingswetter, und bei jedem zwölften von ihnen springt ein dösender Uferfrosch fast lautlos ins Kanalwasser. Die sind also auch wieder da, was nicht zuletzt die Störche freuen wird, auf die ganz aktuell dasselbe zutrifft. Bald beginnen Gärten rechts der Straße, von denen jeder dritte für einen allerliebsten Uferplatz gesorgt hat. Gegenüber hinterm anderen Ufer erhebt sich hochgewachsener Laubwald, Buchen oder Erlen oder so. Auch dort verläuft ein Weg, genutzt von vielen Leuten auf dem Rad.

Bewerbungsgespräch in Bodennähe

An der Straße nach Woltersdorf kommen uns drei Jungs im Brause-Alter entgegen, auf Rädern und mit Dosen in der Hand. Mit fröhlich-kessem Tonfall rufen Sie, ob wa auchn Bier hamm wolln, denn inna Koofe gibt’s heute Freibier im Sonderangebot. Nö, wollma jetz nonnich, doch schönen Dank. Die Jungs treten in die Pedalen und wiederholen ihr Angebot beim nächsten Passanten.

Woltersdorf

Noch vor dem Dorf winkt uns ein herrlicher Weg in die Wiesen hinein, der entlang eines breiten Wassergrabens hinterm Dorf entlangführt und mit Eseln, Pferden und einem Dorfpanorama aufwartet. Wer nicht unbedingt noch extra viel Auslauf braucht, sollte sich das Dorf nochmal von innen anschauen und dann die Eins nach Norden überqueren, mit Kurs Charlottenhof. Wir brauchen Auslauf und finden uns bald auf dem beruhigenden Dorfverbinder wieder, der durch den Wald von Neubens- nach Altbensdorf führt. Mit einem schönen Extrapfad für Fußgänger am Rande. Am Dorfrand wird mit allerlei Motorkraft Großholz zu Kleinholz gemacht oder Sperriges zu Stapelbarem.

Am Woltersdorfer Altkanal

 Altbensdorf

Bensdorf nennt sich Spargelgemeinde, und da ist in der Tat was dran. Das ruft einem gleich ins Gedächtnis, dass schon in einem Monat überall der Spargel auf den Tellern landet, was über die Jahre immer etwas Besonderes geblieben ist. Nach einem Waldstück beginnen akkurat gefurchten Felder, von denen einige Pause haben in diesem Jahr. Auf anderen liegen schon die schwarzen Planen, die über regelrecht scharfe Kanten der endlosen Wälle gespannt sind. Dazwischen ziehen sich einige Wassergräben, was nicht von Schaden sein dürfte für den Boden. Auch liegt hier ein Flugplatz, an dessen Rand ein Schild darum bittet, ihn nicht zu befahren. Auf demselben Schild steht dann noch „Bitte nicht bereiten!“ mit einer untermalenden Signatur mit Pferd und gibt dem Wort „bereiten“ erstmals einen weiteren Sinn. Ein tüchtiger Maulwurf nimmt das Schild beim Wort und tut ohne jeglichen Verstoß das, was er mit am besten kann. Rechts auf den unbestellten Äckern palavern kleine Gänsegruppen auf dem Boden, leise und verstohlen.

Gartenstadt Plaue

Charlottenhof

Nach einem kleinen Rastplatz im Walde beginnt der lange gerade Weg nach Charlottenhof, erst auf Asphalt, dann wieder sandig. Einige Pferdeställe gibt es hier und eine Handvoll Häuser sowie den Briefkasten im innersten Zentrum. Von hier ist es nicht mehr weit zur kleinen Gartenstadt, auf die wir jetzt gespannt sind. Es ist eine besondere Atmosphäre, bestimmt von vielfältig bunten Fassaden und Fensterläden, lockenverzierten Giebeln und einem so dichten Abstand zwischen Bürgersteig und Wohnraum, dass man sich fast ein bisschen indiskret fühlt auf dem Trottoir, schon halb im Wohnzimmer. Die Gärten schließen sich hinten an die Häuserreihen an und bleiben im Verborgenen, was gewissermaßen einen Ausgleich bringt für die Privatsphäre der Siedelnden. Am nördlichen Rand zeigt sich erneut die Wasserverbundenheit von Plaue, selbst im Inneren.

In der Gartenstadt Plaue

Der Rückweg führt vorbei an zahlreichen Bootslagern und Marinas und beim Fischimbiss ein letztes Mal über die Bundesstraße Nr. 1. Die Kietzstraße mit ihren frisch gestutzten Kopfweiden visiert genau die alte Brücke an. Von dort lässt sich sich jetzt zum Abend besonders schön der weite Blick genießen, denn die Sonne steht schon tiefer und ihr Licht ist dementsprechend warm. Ein winziges Boot schippert raus auf den See, das allererste heute und das einzige. Mit einem kleinen Hauch von Großer Freiheit.

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Regionalbahn bis Brandenburg-Kirchmöser, dort mit dem Bus nach Plaue (stündlich)(ca. 1,5 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): wahlweise Autobahn Magdeburg oder durchgehend B 1 oder verschiedene Mischungen aus beidem (1,5-2 Std.)

Länge der Tour: ca. 16 km (Abkürzungen vielfältig möglich), mit Erweiterung über die Spargelgemeinde Bensdorf ca. 19,5 km

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Schloss Plaue mit Café am Havelufer

MAZ-Artikel von Ende 2016 über die alte Plauer Brücke

Informationen zur Gartenstadt Plaue (PDF-Dokument)

Informationen zum Elbe-Havel-Kanal

Spargelgemeinde Bensdorf

Einkehr:
Menzels Garage, Plaue Gartensiedlung
Zum Angler (Vereinsheim des DAV), unterhalb der Seegartenbrücke auf der Seite von Kirchmöser
Zum Fischerufer (ebenfalls auf der Seegartenbrücke nach Kirchmöser, dann hinterm Oval-Verkehr links)
Restaurant Seeblick (an der Plauer Schleuse)
Dorotheenhof (unweit der Plauer Schleuse, Südufer)

Rhinow/Stölln: Beflügelte Lebensfreude, die Rhinfalle und eine Wiesen-Lady

Manchmal, eher selten, hat man recht klar eine Tour vor Augen, die hervorragend zur Jahreszeit und zum vorhergesagten Wetter passt. Was grob skizziert vor dem geistigen Auge schon großartig aussah, scheint bei der konkreten Vorbereitung regelrecht großes Kino zu verheißen. Wenn es sich dann noch in einer selten besuchten, da entlegenen Gegend abspielt, die bisher ausschließlich charakterstarke Tage hervorbrachte, wächst die Vorfreude in der Erwartung auf Grandioses.

Die große Weite vor dem Gollenberg

Umso schmerzlicher ist es, wenn die bereits bunt ausgemalte Vision an einem kleinen Hindernis grandios kentert. Das fordert vor Ort große innere Stärke, insbesondere wenn man im Sternzeichen des Stiers geboren wurde. Stier gleich stur, unter anderem. Gut ist es dann, wenn jemand dabei ist, der mit grober Masche und dicker Wolle gestrickte Hörnlinge dabei hat und diese mit einem klugen Satz über das Stiergehörn streift. Gut und rettend, weil so ein Tag dann mit etwas Glück noch viel besser werden kann. Wenn auch völlig anders.

Der Rhin auf dem Weg zum Gülper See

Es gibt Landschaften, die im eigenen Empfinden besonders gut zu bestimmten Jahreszeiten passen. Oder zu passen scheinen. In den Randbereichen des Winters fallen mir da der Hohe Fläming und das Oderbruch ein, im Herbst der Untere Spreewald oder die Hügelländer und Buchenwälder der südlichen Uckermark. Im zeitigen Frühjahr sind es unter anderem die Gegend zwischen Dahme und Spreewald im Südosten oder die weit entlegene Partie des westlichen Havellands, wo Havel, Dosse und der Große Havelländische Hauptkanal die Wasserzufuhr dominieren. Rhin und Jäglitz mischen auch noch mit. Schaut man zurück in der eigenen Unterwegs-Historie, verschlägt es einen in solche Regionen fast immer zu ähnlichen Zeiten. Vermutlich werden hier erfolgreich und weitgehend verlässlich Sehnsüchte bedient, und Verlässlichkeit kann etwas sehr Schönes sein.

Die Rhinower Voralpen

Als verschmitzter Hintergedanke kam noch dazu, dass es bei verstopften Atemwegen nicht von Schaden sein kann, einen Ort aufzusuchen, der Rhinow heißt und von viel Weite, Wind und klarer Luft umgeben ist. Später vor Ort wurde dem wortspielerisch noch eins draufgesetzt, denn obwohl die Stadt Rhinow nicht sehr groß ist, gibt es hier ein Autohaus. Vertrieben wird eine französische Automarke, die fast genauso heißt wie der Ort und eine merkelsche Raute im Schilde führt.

Weg nach Neugarz, zumindest theoretisch

Rhinow liegt fast schon in Sichtweite zu Sachsen-Anhalt. Das ermöglicht der große Gülper See, der fast bis ans östliche Ufer der Havel reicht, die hier die Ländergrenze markiert. Zugleich lässt sie ein wahrhaft gewaltiges Gewirr von Nebenwassern, Altarmen und undurchdringlichem Nassland von der Leine, über viele Kilometer.

Der See selbst ist mitsamt seinem Zubehör auch charakterprägend für Rhinow. Jahr für Jahr gibt es hier gewaltige Spektakel zu sehen von allen möglichen Geflügelten, die auch weit über seinen Einzugsbereich hinaus allgegenwärtig sind. Alles hier ist fast schon friesisch weit und in vergleichbarer Weise von Wasser durchzogen. Jäglitz, Dosse und Rhin gibt es jeweils in mehreren Ausfertigungen, und dazwischen ziehen sich unberechenbare Netzwerke von schmalen und breiteren Gräben, die Spaziergängern bei einer flapsigen Wegeplanung zum Verhängnis werden können. Für alle Zugvögel und sonstiges Getier ist es eine geniale Heimstatt, sei es nun für einen Durchreisestopp gewisser Länge oder gleich für ein ganzes halbes Jahr.

Der Große Rhin mit den Bergen im Hintergrund

Sachsen-Anhalt liegt nicht um die Ecke, und so braucht es seine Zeit, ehe die goldene Murmel auf dem Rhinower Kirchturm zu sehen ist. Die Art und Weise der Entlegenheit von Städtchen wie Friesack oder Rhinow ist vergleichbar mit solchen im Oderbruch wie Letschin oder Neutrebbin. Wer dorthin mit dem Auto will, muss häufig am Lenkrad kurbeln und gut auf die Schilder achten. Findet auch nicht ohne weiteres denselben Weg zurück. Dabei lassen sich noch Landstraßen erleben, die sich anfühlen wie eine Dampferfahrt auf der bewegten Müritz, darunter uralte und knorrige Alleen sowie nostalgische Pisten aus fachgerecht verlegten Katzenköppen. Nicht das übliche „Autobahn bis Abfahrt Dings, dann über Bums nach Sowieso und gut“. Die Bahn kommt seit über zehn Jahren nicht mehr direkt nach Rhinow, doch über Rathenow gibt es eine gute Anbindung per Bus, die sich im Zeitvergleich sehen lassen kann.

Am Zusammenfluss von Bültgraben und Dosse

Flatow

Den Bäcker in Flatow erreichen wir kurz vor Ladenschluss, doch die gute Frau lässt uns ohne jegliches Stirnkräuseln noch zwei große Tassen durchlaufen, frisch und dampfend. Auf dem schon archivierten Reste-Blech liegen nur die schönsten Sachen und machen die Entscheidung schwer. Als wir versorgt sind, kommt Punkt Feierabend noch ein dritter Kunde, ein freundlicher Kerl mit Rad und kernigem Zottelhund, und nimmt grinsend unser zweites Frühstück zur Kenntnis. Aus seinem Pferdeschwanz ist er schon ein bisschen rausgewachsen, und so hat der Fahrradhelm seine liebe Not, alles unter einen Hut zu bringen. Vielleicht ja einer von den Stadtflüchtern aus dem sieben Kilometer entfernten Kuhhorst oder vom benachbarten Ziegenhof. Er hält einen netten Plausch mit der Bäckersfrau, aus dem wir erfahren, dass einer vom Dorf sich jetzt ein Haus hat bauen lassen in Ägypten und dort das kalte halbe Jahr verbringt seither. Die Bäckersfrau verweist darauf, dass der Flug dorthin doch ganz schön reinhaut mit 350 Euro, und wir einigen uns schließlich alle darauf, dass es nicht groß auffallen dürfte bei jemandem, der sich nebenher ein Häuschen in Ägypten leisten kann. Eine kuriose Konstellation – Flatow im Wechsel mit Ägypten. Rhinluch versus Nildelta.

Stare beim Start aus dem Baum

Kurz hinter Flatow überqueren wir die Autobahn. Sieht man einmal von den weiteren Tentakeln des äußeren Berliner Rings ab, ist die nächste Autobahn von hier aus mehr als 200 Kilometer entfernt und liegt dann schon in Niedersachsen. Kurz vor Kuhhorst vorbei am Abzweig nach Karolinenhof, wo es im gemütlich verkramten Café zum Ziegenhof ein sagenhaftes Panoramafenster in die Unendlichkeit der Felder gibt, mit Abertausenden von Kranichen und anderen Zugvögeln. Über Kuhhorst, wo tatsächlich mitten im Dorf eine lebensgroße Kuh auf ihrem Horst hockt, und Königshorst kommen wir in den Ort mit dem irritierend-exklusiven Namen Lobeofsund. Am Hydranten zeigt grad die Feuerwehr ihrem Nachwuchs, wie man professionell schnelles Wasser zapft, daneben steht motivierend das Tor zur Garage mit dem großen roten PS-Boliden offen, den wohl jeder zweite in der Spielzeugkiste hatte.

Stars in stripes

Rhinow

Während die Horst-Orte im ackerflachen Dunstkreis des Ländchens Bellin liegen, erreichen wir nach Überqueren der ICE-Trasse nun die wald- und hügelreicheren Ländchen Friesack und Rhinow mit ihren gleichnamigen Städten. Von Friesack kommt man dann bis Rhinow ohne weitere Abbiegung aus. Die goldene Murmel sehen wir erst, als wir direkt vor der Kirche stehen, denn das Land ist im Nebel versunken, alles über einer gewissen Höhe beschnitten. Später wird er sich hoffentlich verziehen, denn ein Aussichtspunkt von besonderer Qualität liegt am Weg.

Rhinow ist ein stilles Städtchen mit ganz spezieller Lage. Ähnlich wie Städte, die im flachen Alpenvorland vor dem Hang der ersten Vorhöhen hocken, gibt Rhinow aus der Ferne gesehen eine überzeugende Miniatur-Version davon zum Besten. Denn während sich die topfebene Weite ewig nach Norden ausdehnt, erstreckt sich dahinter ein durchaus markanter Höhenzug. Aus der Entfernung sieht das aus wie ein gut sichtbares Vorgebirge vor vernebeltem Hauptkamm.

Die Dosse auf dem Weg zur Havel

Die Weidenallee hinterm Ortsausgangsschild hat bereits ihren radikalen Schnitt erhalten, die Geschorenen wirken mehr als bereit für den neuen Wuchs. Hinter dem letzten von ihnen führt eine Brücke über den Mühlenrhin. Seine genießerischen, fast etwas lasziven Mäander auf dem Weg zum Gülper See liegen glatt, grau und komplett frei von Reflexionen, denn der Nebel lässt keinerlei Licht hindurch. Überall lagern kleine und große Scharen von Gänsen, teils im gedämpften Dialog. Weiter oben zieht alle paar Minuten eine große Formation gen Osten, sicherlich zu den Futterplätzen.

Weg durch die südlichen Dossewiesen

Hier beginnt ein stiller Weg in das durchtränkte Land zwischen Mühlenrhin und Großem Rhin. Überall auf den Wiesen stehen große Pfützen, fast schon kleine Seen. Und dann hören wir sie – die allererste Lerche dieses Jahres. Dieser winzige Vogel, der klingt, als hätte er das letzte halbe Jahr bei den Kartäusermönchen verbracht und müsste nach dem endlosen Schweigen nun umso mehr seine Lebensfreude in die Welt schreien. Doch dieser Klang verliert nicht seine Kraft, ab jetzt bis zu den letzten Tagen im Spätsommer. Schon heute bleibt er uns den ganzen Tag erhalten.

Rechts des Weges läuft ein Graben, davor liegt torfiger Aushub mit allerlei Schilfwurzeln und diesen urtümlich wirkenden Spiral-Schnecken, die typisch sind für den Rhin. Das weiche Torfzeug gibt eine komfortable Sitzbank für die erste Pause ab. Drüben liegt Rhinow still vor seinen Bergen, der Funkturm steckt noch immer halb gekappt im grauen Dunst. Neben den Gänsen, einigen Kranichen und den stets präsenten Lerchen kommen jetzt viertelstündlich neue Stimmen dazu.

Vorbildliche Weidenreihe

Wenn wir aus klammer Erfahrung bestens wissen, dass der Rhin an vielen Stellen schwer zu überqueren ist und gut und gern ein wirkliches Hindernis bilden kann, so hätten wir nicht mit dem gerechnet, was uns jetzt ausbremsen würde – eine Sackgasse, die eigentlich keine ist. Nach einem Kuhstall mit einem Kuhbauern sowie dem Queren des stillgelegten Damms der Bahn zwischen Rathenow und Neustadt/Dosse stehen wir vor einem sperrangelweit geöffneten Tor zu einem privaten Hof. Dort bellt ein von sich überzeugter Schäferhund in unsere Richtung.

Dann eben außen rum, wie so oft in solchen Fällen. Doch das geht hier nicht, denn links liegt breit der Große Rhin, rechts genauso breit der Mühlenrhin. Von den Bahnbrücken stehen nur noch die Köpfe, scheinbar grienend. Und Badewetter ist noch keins. Siebzig Meter, die eigentlich nicht versperrt sind, doch der Hund ist Meister seines Faches. Vor dem geistigen Auge zerbricht die schöne Tour, die von ihrem Kontrast zwischen flachem Wasserland und aussichtsreichen Waldhöhen lebt, darüber hinaus noch einigen speziellen Accessoires.

Weg nach Rhinow

Also zurück zum Bauern, allen Charme rausgeholt und gefragt, ob er eine Idee hat, wie wir durch den Hof vorbei am Hund zur Straße kommen. Sein Auto stand bereit, er wäre auch befugt. Er hingegen ruft beim Hofbesitzer an, der nimmt nicht ab. Mehr ist leider nicht zu wollen, trotz konkreter Frage. Sein Tipp zum Abschied ist das Wehr etwas flussabwärts, da käme man hinüber.

Etwas bockig nehmen wir die zwei Kilometer Umweg in Kauf, um vor Ort zu sehen, dass das Wehr zwar über etwas hinüber führt, doch nicht über den Großen Rhin. Die Seifenblase mit der schönen Aussicht platzt jäh. Da nimmt die Frau an meiner Seite meinen Kopf, schüttelt ihn mit ein paar sanften Worten und verursacht im Resultat und nach etwas stierem Zeitverzug ein Umdisponieren, das dem Tag und dessen Fortgang seinen Glanz zurückgibt, und zwar nicht zu knapp.

Blick zurück zur Dosse

Die maßgeschneiderte Papierkarte hat damit ausgedient, jetzt schlägt die Stunde des GPS-Empfängers. Mit dessen Hilfe und etwas Restrisiko auf Sackgassen lässt sich etwas zurechtstricken, was uns nicht nur sicher und trocken hier herausbringt, sondern auch schön, ausgewogen und arm an Doppelungen. In der halben Stunde auf dem wiesenweichen Deichweg des Bültgrabens ändert sich komplett das Wetter und mit ihm der Himmel. Erst die Sonne, dann nach und nach mehr Blau am Himmel und zuletzt nur noch zählbar viele weiße Wolkenfetzen. Was könnte tröstlicher und stimmungsaufhellender sein?

Überflutete Wiesen mit Gänsen

Rund um die Mündung des Bültgrabens in die Dosse gibt es nun gleich drei Möglichkeiten, ans andere Ufer zu gelangen, doch das hat sich ja erledigt. Nach Rübehorst führt eine provisorische Brücke, so eine, die man zusammenklappen und einem Sattelschlepper auf den Buckel schnallen kann. Vermutlich liegt sie dort schon immer, triftige Gründe dagegen sind nicht erkennbar. Einmal wechseln wir also wenigstens das Ufer, zum einen, da wir es nun können, zum anderen, da dort ein kleiner Rastplatz steht.

Edle Rhinkurven am Abend

Dank der fast schon vergessenen Verlegenheit können wir nun also ein Stück Hand in Hand mit der entspannten Dosse gehen, deren breite Flutwiesen weitgehend trocken liegen. Zu Zeiten überschüssigen Wassers kann hier ein knöcheltiefes Meer liegen, das sich zwischen Dosse und Jäglitz mehr oder weniger lückenlos aufspannt. Gegenüber steht eine einzelne, asymmetrische Eiche, die als Ausgangsbasis dient für einen Starenschwarm. Diese großen schwarzen Vogeltrauben, die ihren unbegreiflichen Formationsflug am Himmel inszenieren, wie ein entfesseltes Tagesgespenst auf weicher Droge oder wie eine nur aus Ruß bestehende Flamme, die ihrer wild geschwenkten Riesenfackel träge folgt.

Weidenallee nach Rhinow am Abend

Trotz ihres sichtlichen Fließtempos liegt die Dosse spiegelglatt und gibt das Blaugrau wider, das der Himmel gemischt hat. Voraus sehen wir das erste Wäldchen des Tages. Ein schöner Anblick, zumal wir jetzt vom Deich absteigen und den ätherischen Duft erwärmter Nadeln am Waldrand inhalieren dürfen. Ging auf dem Deich noch der kalte Wind durch die Ärmel, ist es jetzt hier unten warm und windgeschützt, dass die obersten drei Zwiebelschichten gelockert werden. Im Westen ist der Himmel fast schon wolkenlos, sodass die Sonne ungehindert ihre Strahlen fließen lässt. Nach dem nächsten Abbiegen wird dann alles wieder schnell verschlossen und verzurrt, denn der Wind hat uns wieder. Richtung Rhinow hat sich eine hinreißende Reihe mittelwüchsiger Weiden brav in einer Reihe aufgestellt, sodass man immer wieder hinschauen muss. Offensichtlich hat ein knorriger Weidezaun bei der Ausrichtung geholfen – Weide hilft Weide.

Blick vom Hauptgipfel des Gollenberges

Auf der langen gerade Plattenpiste nach Buchhorst kommt ein Radfahrer von hinten, später eine Radfahrerin von vorn, darüber hinaus gibt es wenig Aufregung. Das nächste Wäldchen bietet einen harten Wettkampf zwischen zwei Rasthügeln. Links am Waldrand eine charismatische Kiefer mit zottigem Langgras, links am Feldrain eine winzige Eiche mit markanter Krone, darunter kurz gestoppeltes Polstergras. Der Fairness halber warten wir noch etwas mit der Pause. Bei Buchhorst gönnen wir den geschundenen Atemwegen dann den letzten lauwarmen Tee und sitzen dabei in einem Stück Wald, in dem nächste Woche oder in zwei Tagen oder schon nachher die ersten Veilchen durchs harte Bodenlaub schlüpfen könnten. Davon abgesehen scheint Rhinow schon zu wirken, denn die Nase atmet freier, das ist spürbar.

Sanfter Aufstieg zum Nebengipfel

Schon von ferne blinkt jetzt die goldene Kugel auf dem Kirchturm. Auf der Brücke von vorhin queren wir erneut den Rhin, der fast noch genauso ölig glatt liegt, doch auch vereinzelt glitzert. Zwischen den frisierten Weiden parkt ein Fahrrad, die Frau dazu streift durch die nahen Wiesen und sammelt ganz bestimmte Halme.

Stölln

Jetzt greift Plan B. Wir fahren ein Dorf weiter ins hübsche Stölln, das sich seit ein paar Jahren Lilienthal-Gemeinde nennen darf, ganz offiziell. Das ist angemessen, denn hier steht der Gollenberg als einer der weltweit bedeutendsten Orte für die Fluggeschichte der Menschheit. Darüber hinaus gibt es hier noch ein relativ neues Lilienthal-Museum sowie die Pfade, Pflanzungen und Anlagen, die nach der Bundesgartenschau von 2015 blieben. Und natürlich einen Flugplatz, komplett bedeckt von artenreichem Stoppelrasen, der im Sommer die Herzen von Botanikern und Insektenkundlern höher schlagen lässt. Einzigartig ist wohl der Umstand, dass auf halber Hanghöhe ein ausgewachsenes Langstreckenflugzeug parkt, pensioniert, doch gut besucht. Die russische IL 62 ist weniger historisch, als man denken sollte – vor 20 Jahren noch wurden Flugzeuge mit dieser Bezeichnung gebaut, und ein paar davon sollen noch heute ihren Dienst versehen.

Die Lady Agnes, der Spielplatz und die Einkehr

Nicht zuletzt dank der weiten Picknick-Wiesen und des herrlichen Spielplatzes mit seinem Kletterparcour ist das hier ein Ausflugsziel für Familien jeglicher Konstellation, das als genial zu bezeichnen ist, das Wort passt wirklich. Hier lässt sich sowohl bewegungsarm als auch in freizeitlicher Bewegtheit ein ganzer Tag verbringen, ohne sich mehr als einen Kilometer entfernen zu müssen – wer den Weg ins Dorf und zum Museum nehmen möchte, wird von blauen Säulen sicher geleitet. In Sichtweite zum Spielplatz steht beeindruckend die „Lady Agnes“, das erwähnte Flugzeug, das den Namen von Otto Lilienthals Frau trägt. Ihm zu Füßen lässt sich auf das Beste einkehren.

Der frühe Mond überm Gollenberg

Wer Kindern oder seinem liebsten Menschen oder sonstwem zeigen will, wie ein Berg funktioniert, findet im Gollenberg einen dankbaren Verbündeten. Der spürbare Aufstieg ist kurz und vielfältig sowie gefällig für Auge und Fuß und bietet oben den Lohn der Aussicht, womit das Prinzip klar sein dürfte. Schon vom Nebengipfel ist das beeindruckend, vom Hauptgipfel mit dem kleinen Lilienthal-Denkmal dann regelrecht ergreifend. Nach Norden scheint sich die Ebene endlos zu erstrecken, und die steile Hangflanke lässt nachvollziehen, warum sich Lilienthal gerade diesen Berg aussuchte. Wer gern einmal eine Nordwand bezwingen möchte, folgt unten im Ort ein Stück der Hauptstraße und nimmt dann den steilen Aufstieg über zahlreiche Treppen, die ähnlich alt sein dürften wie die Lady Agnes. Apropos Lady Agnes: Familien, die erst noch welche werden wollen, können sich hier gegenseitig Ringe an die Hand stecken und dazu nicken.

Lady Agnes mit Kollegen zu Gast

Durch die verqueren Umstände des Tages erreichen wir den Gipfel des Gollenberges bei ungetrübter Sicht und zu dem Zeitpunkt, wo das warme Licht der sinkenden Sonne die Kiefernstämme vergoldet und den Wald in schöne Schattenspiele taucht. Das ist so ein Moment, wo man gern die Zeit anhalten möchte. Wo zum Abend alles still wird und nur noch eine Amsel singt. So dehnen wir den Abstieg über die langen Stufen durch Langsamkeit, bestaunen kleine Eichen, die wie große tun und greifen tief ins Heidekraut, um zu ermitteln, ob es trocken ist. Wären Pilze da, dann würden wir sie zählen. Stattdessen zählen wir die ersten wilden Bienen.

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): nach Rhinow: alle zwei Stunden von Berlin Hbf. mit der Regionalbahn nach Rathenow, weiter mit dem Bus nach Rhinow (letzte Rückfahrt ca. 22 Uhr)(1,75-2 Std.);
nach Stölln: nicht praktikabel (optional von Rhinow ca. 1 Std. zu Fuß)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über die A 24 Ausfahrt Fehrbellin, dann Landstraße über Friesack nach Rhinow (1,5-1,75 Std.);
alternativ schon Ausfahrt Kremmen abfahren Richtung Kremmen, dann in Staffelde links nach Flatow und über Königshorst, Warsow und Friesack nach Rhinow (1,75 Std.)

Länge der Tour: Rhinow ca. 15 km, Stölln 1,5-2 km

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Amt Rhinow

Gülper See (NABU)

Otto-Lilienthal-Verein Stölln

Gollenberg (NABU)

Blog-Beitrag zu Lady Agnes (Reiseland Brandenburg)

Artikel zum Absturz von Otto Lilienthal 1906

Einkehr: Zum Schwalbennest, am Gollenberg in Stölln (sehr gute Küche, freundliche Bedienung, schöne Terrasse)

Glienicke: Tanzende Kiefern, singende Eiswürfel und das Dorf auf der Platte

Nun hat sie wahrhaftig begonnen, die Zeit der ersten zarten Düfte. Herbeigesehnt und als eingetretene Tatsache bekräftigt von all den Scharen am Himmel, die in den vorausgehenden Tagen schon überall lautstark klarstellten, dass der Winter in dem Sinne dieses Jahr ausgedient hat. Riesige Formationen von Kranichen und Gänsen, die trotz ihrer enormen Flughöhe noch beachtliche Schallpegel bis zum Boden schicken, die selbst im Lärmgewühl der erwachenden Stadt nicht überhörbar sind. Immer noch zu erwarten sind winterliche Protestaktionen in Form von Kälteeinbrüchen und weißen Landschaften, doch das ändert nichts am beständig zunehmenden Tageslicht und dem intensiven Bestreben aller Natur nach mehr Farbe und auch sonstigen Tönen.

Zwei Pferdestärken in Glienicke

In den Dörfern bietet sich um diese Zeit ein Bild großer Aufgeräumtheit. Kleine und große Wiesen liegen noch platt vom letzten Schnee, und von den Straßen und Gehwegen hat die Schneeberäumung alle Zweiglein und Steinchen verschwinden lassen, auch alles, was manchem aus der Hand gefallen war. In den Gärten wurde aufgelesen, was die letzten Stürme so herunterholten, und wartet aufgehäuft auf seine 15 Minuten Ruhm beim großen Osterfeuer. Was die lebendige Botanik betrifft, wird mit Zurückhaltung und Feingefühl erstes Farbgesprenkel ins Spiel gebracht, bevorzugt in den schmalen Vorgärten unterhalb besonnter Häuserwände. Weiß von den Schneeglöckchen, die schon länger im Spiel sind und sich gern vom Wind in Szene setzen lassen, und stellenweise flächiges Gelb von den stets wohlgelaunten Winterlingen. Die Farbpalette der Krokusse ist noch als Rarität zu betrachten, solange der Monat Februar heißt.

Einteiler auf dem Weg nach Beeskow

Der Schnee ist verschwunden und auch das Eis, die Landschaft grün und braun und Bodenhaftung auf den Wegen als gegeben hinzunehmen. Es ist wie ein Befreiungsschlag, dieser Moment im Jahr, wo man wieder Herr der eigenen Schritte ist. Obendrein entfällt auch das besondere Augenmerk aufs Tageslicht, denn das steht jetzt ausreichend zur Verfügung. Beides zusammen ist wie ein lose geschnürtes Korsett, das fürs nächste gute halbe Jahr im Schrank verschwinden darf. Und dann durchaus bereitwillig wieder angelegt wird, wenn es an der Zeit ist. Dass es bereits im Schrank gelandet ist, zeigt uns am Abend unser Durchschnittstempo, zum eigenen Erstaunen. Das war wohl nötig.

Glienicke

Glienicke ist so ein Name, der allein im Bereich von Berlin und Umgebung schon zu teuren Taxi-Rechnungen führen kann, wenn man zuvor einen feucht-fröhlichen Abend hatte und dem Droschken-Kutscher nicht in aller Klarheit sagte, wo genau man hin will. Ganz pur, groß, klein oder alt bzw. Norden, Westen, Südwesten oder Südosten. Davon abgesehen gibt es Glienicke gar nicht so oft in Brandenburg, mir sind nur noch zwei bekannt. Eins davon liegt auf halbem Weg zwischen dem schönen Bad Saarow und der alten Spreestadt Beeskow. Obwohl das Dorf auf der Beeskower Platte liegt, einer Hochebene weit über dem nahegelegenen Scharmützelsee, ist es für Fahrzeuge und Tiere mit wenig Tiefgang an die Weltmeere angeschlossen. Fünf Seen und der verbindende Blabbergraben schaffen die Verbindung bis zur Spree, wobei Blabbergraben eher nach entspanntem Tempo klingt und zunächst Geduld einfordert von dem, der salziges Fahrwasser im Sinne hat.

Weg zwischen Glienicke und Behrensdorf mit Licht am Ende des Tunnels

Auch Glienicke scheint regelrecht zu glänzen, aufgeräumt, doch nicht geleckt, zufrieden und still belebt. Die schönen Straßenlaternen stehen besonders gerade. Zwei Herzen hat der Ort, das eine ist die Kirche, das andere der südlich anschließende Anger. Mitten drauf ein geräumiger Spielplatz, der einlädt und sich mit dem Angerdrumherum als Treffpunkt für alle Altersklassen eignet. Entlang der Straße stehen Häuser, Höfe und Scheunen, und in den Vorgärten findet das erhoffte kleine Spektakel der hartgesottenen Blümchen statt. Zwei Damen haben sich große Pferde untergeschnallt und lassen diese im Ortsbereich gemächlich warmlaufen, bevor sie dann am Ende des Asphalts die Hufe höher fliegen lassen und bald schon außer Sicht sind.

Ein kleiner Zug saust Richtung Beeskow. Direkt vor den Gleisen biegt ein Weg ab, der bald zu einer stattlichen Allee von alten Kirschbäumen wird und schnurgerade eine Senke nimmt. Im Rückblick erwächst Neugier darauf, wie es hier wohl in zwei Monaten aussehen wird, wenn alles buschig weiß in Blüte steht.

Dorfpanorama von Glienicke

Ebenfalls schnurgerade führt ein buschbestandener Weg über die Höhe nach Behrensdorf. An einem eisfreien Graben hat sich ein Schwanenpaar eingerichtet, das auf dem benachbarten Acker gerade Siesta hält und dann und wann in edler Pose Blicke schweifen lässt. Im Westen jenseits des Scharmützelsees erheben sich bewaldete Höhen, vermutlich die Duberowberge. Das mit dem Duberowberg ist hier in der Gegend keineswegs eine eindeutige Sache, denn ihn höchstselbst sowie auch Wortverwandte gibt es allerhand. Nicht weit von hier im Norden erheben sich markant die Dubrower Berge nahe Fürstenwalde, die es auf knapp 150 Meter Höhe bringen, ohne ihren eingezäunten Mast. Weit im Westen gibt es am Hölzernen See die Dubrow, ein Waldgebiet, und auch dort noch einen Dubrowberg, einen lütten, und jetzt da drüben eben wie erwähnt die Duberowberge. So gesehen ließen sich noch diverse Eichhölzer in der Nähe ins Feld führen, denn Dubrow ist das slawische Wort für Eiche.

Waldrandweg auf der Höhe

Da die Sonne schon bei Kraft ist und die Wälder nicht mehr klamm, strömt aus dem lichtdurchkämmten Wald ein schöner Duft nach Erde, Moos und Nadeln. Überhaupt sind das Licht und die üppigen Wolkenbilder am Himmel heute ein Geschenk, nachdem die letzten Tage von Orkanwinden, Dämmerlicht und Sturzfluten bestimmt waren. An windgeschützten Sonnenplätzen kann man jetzt schon mal die Mütze weglassen, was nach den kopfbedeckten Monaten ein schönes Gefühl ist. Dann ist ganz klar zu spüren, dass die Haut auch atmet, selbst unterm Kopffell.

Im geschwungenen Kiefernwald der Behrensdorfer Heide

Wie eine Tunnelgasse führt der Weg durch ein Stück Wald. Ganz hinten das Licht am Ende des Tunnels verspricht mit einem strahlend weißen Fleck irgendetwas Großes, das Meer oder die unbegrenzte Weite einer Abbruchkante. In der Tat war es dann doch nur ein gut inszeniertes Dorfrand-Dach mit Reflexionen.

Waldschneise mit vielfältigem Bewuchs

Behrensdorf

Im aufgeräumten Behrensdorf steht die erhoffte Pausenbank, doch wohnt direkt gegenüber ein Hund mit großem Redebedarf, womit er nicht der einzige im Dorfe ist. Also weiter, vielleicht klappt es am nächsten Waldrand. Und letztlich sind wir den Kläffern zu Dank verpflichtet, denn tatsächlich wartet direkt am Waldrand gerade noch im Sonnenlicht der perfekte Pausenplatz. In eine kleine Kronenkiefer mit barockem Astgewirr haben sich Kinder eine schöne Plattform gezimmert, und direkt darunter stecken zwei Steine im märkischen Sand, die perfekte Sitze abgeben. Windgeschützt und lichtbeschienen.

Uferpfad unterm Hang, am Glubigsee

Das ist dann auch das Abschiedslicht. Die Sonne zieht sich langsam zurück in ihre Gemächer und überlässt dem Wolken-Vorhang die gesamte Bühne. Das fällt nicht so sehr auf, da wir jetzt in den weiten Wald der Behrensdorfer Heide eintauchen. Der ist stets leicht beschwingt im Relief und trotz seines fast reinen Kiefernbestandes äußerst vielgesichtig. Die langen dünnen Streichholz-Kiefern mit dem Blondgrasboden sind hier eher die Ausnahme. Dafür ist viel Platz da und aufgewühlter Boden, wie aufgeworfen von Kämpfen riesiger Urzeit-Eber. In der wogenden Landschaft sind die Bäume eher lose verteilt, manchmal stehen dicht bewaldete Inseln mittendrin. Auf den sanften Buckeln der moosbedeckten Landschaft sind einige der Kiefern wie Eichen großgewachsen und mit wohlgeformten Kronen, dann wieder knorrig krumm und holzgelockt wie in einem Zauberwald. Zwischen all dem zieht der weiche Weg seine Bahn wie eine altersmilde Achterbahn und überrascht nach jeder Kurve mit neuer Raumgestaltung.

Nach dem Absinthgenuss, beim Springsee

Zwei Mountainbiker kommen uns entgegen, auch eher altersmilde und bei bester Stimmung sowie in diversem Einklang. Dahinter beruhigt sich der Wald und sieht nun aus wie solcher, wo man gern Pilze sammeln geht. Eine breite Schneise kreuzt. Ihre Hochspannungsleitungen hängen imposant durch über dem Tal der Seenkette, und der jenseitige Hang wirkt einschüchternd steil, was die Höhenlinien in der Karte bezeugen. Den Waldboden zwischen den riesigen Masten teilt sich eine illustre Mischung aus strohblonden Gräsern, struppigem Heidekraut und flächigem Weißmoos im Zwischenstadium zwischen weich und borstig.

Genau hier beginnt der Abstieg, knieschonend gepolstert mit einer schönen Fusion aus Nadeln, Moos und Wiese. Der Wald ist jetzt dichter. Ein paar Bäume vom letzten Sturm liegen noch quer, scheinbar erst kurz, denn es haben sich noch keine Umgehungen ausgeprägt. Unten angelangt leuchtet die Fläche des Springsees durch die Stämme, teilweise noch von Eis bedeckt. An dieser Stelle liegen wieder besonders phantasievolle Kiefernhügel in der Kurve, bei deren Anblick einem das Bild „Nach dem Absinthgenuss“ von Walter Moers in die Gedanken kommen kann. Oder die Vorlage dafür, der „Tanz“ von Henri Matisse. Auf jeden Fall ein abgedrehtes Treiben da droben auf den Hügeln.

Hochufer über dem Glubigsee

Mittendurch führt jetzt auch ein Radweg, der für lustige Verkehrsschilder mitten im Forst sorgt. Ein freundlicher Läufer kommt entgegen, bald darauf ein paar Spaziergänger und noch welche. Das erklärt sich schon bald durch die Reha-Klinik und eine Ferienhaus-Siedlung am Glubigsee. Auch der ist zum Teil noch gefroren. Am flachen Strand hat sich das Eis zu ungleichmäßig runden Eiswürfeln zerstoßen, wobei die meisten Stücke etwa so groß sind wie eine Katzenfaust. Ein ganzer Teil ist jedoch erheblich größer, und alles zusammen in der Bewegung von Wind und Wasser sorgt für ein entrücktes Klanggewirr. So wie zwei Dutzend kleiner und großer Windspiele auf mehreren Südstaaten-Veranden ineinandergemischt, von einem Tontechniker, der sein Handwerk versteht. Bei einem gleichbleibenden Geräusch-Pegel, der dennoch den Anschein erweckt, als würde sich die Lautstärke langsam steigern, Spannung aufbauen und immer mehr Dezibel anhäufen. Es ist ansatzweise berauschend und sieht zudem hochästhetisch aus.

Mitgenommener Plankenweg durchs Bruch

Der romantische Uferweg unterm Hang wird stellenweise zum Pfad, auf dem hier und da ein dicker Baum zu umsteigen ist. Bänke bieten sich immer wieder an, auch ein kleiner Rastpavillon über dem See. Links und rechts vom Weg wimmelt es nur so von Privat-Schildern, so dass man das Wort irgendwann nicht mehr sehen möchte. Das Problem löst sich bald von selbst, als der Weg auf stillen Pfaden durch ein verwunschenes Bruchwäldchen führt. Der offizielle Wanderweg ist umgeleitet, denn die angelegten Bohlenwege sind in die Jahre gekommen und teilweise leicht geneigt, so dass man bei feuchter Witterung leicht auf Abwege gerät. Das kann bei der Bruchquerung sehr nass enden, auch wenn es nur ein paar Meter sind.

Abendliche Stege am Scharmützelsee, bei Wendisch Rietz Siedlung

Daher ist es dann durchaus wohltuend, oben eine Asphaltstraße zu erreichen. Deren Wassergrundstücke liegen am leicht tiefergelegten Kleinen Glubigsee. Zwischen den Gärten wird am Ende eines Stichweges ein Aussichtspunkt angeboten, mit Blick über den See bis hin zur noblen Anlage eines Fisch-Restaurants.

Nichts für Schlittschuhläufer, dafür etwas für Klangbegeisterte, bei Wendisch Rietz

Wendisch Rietz Siedlung

Jenseits der Bahngleise setzen sich die Wassergrundstücke fort, etwas im Hintergrund bleibt die relativ neue Luxus-Wohnanlage auf der Husareninsel. Immer wieder queren kleine Bäche den ufernahen Weg, meist nicht älter als einzwei Kilometer und dementsprechend glasklar. Auf Höhe des Dampferanlegers strömt nun schon kühle Abendluft aus dem Wald. Vom Steg lässt sich mit etwas gutem Willen der kleine Leuchtturm der skandinavisch inspirierten Ferienhaus-Anlage von Wendisch-Rietz ausmachen. Viel spannender ist hier jedoch die zweite Auflage der Eis-Symphonik von vorhin. Hier am riesigen Scharmützelsee sind auch die Eisstücke gleich ein bisschen größer, und dementsprechend mischen sich mehr von den tiefen Tönen in den gläsern-klirrenden Soundteppich.

Waldfrieden

Nach der Badestelle wird ein stiller Wiesengrund umrundet, der ein regelrecht zu Tale stürzendes Rinnsal aufnimmt und gründlich ausbremst auf seinem letzten Stück zum See. Beim einstigen Forsthaus Waldfrieden verlassen wir endgültig den Dunstbereich des Märkischen Scharmützel-Meeres und setzen den Fuß zum ersten Schritt eines langen, sanften Anstiegs, der anwährt bis zum ersten Haus von Glienicke. Hinterm Wald quert in einer parkartigen Hügel-Landschaft ein letztes lebhaftes Rinnsal, bevor der Weg in eine dichte Gasse aus Buschwerk und Bäumen eintaucht. Richtig dunkel ist es hier, und das, obwohl unübersehbar einiges gestutzt wurde in den letzten Tagen, scheinbar in großer Eile. Im Boden dieser sonnenfernen Gasse steckt noch der Frost und hält an der Oberfläche, was schon aufgetaut war. So ist etwas Slalom angesagt auf dem matschig schwarzen Erdreich. Auch dieser Weg weckt Neugier darauf, wie er wohl im vollen Laub aussieht.

Parklandschaft am Beginn des langen Anstieges

Regelrecht hell ist es jetzt hier oben in Glienicke, und der zurückliegende Anstieg kann als klarer Beweis für die Existenz der Beeskower Platte gelten. Ein paar Kinder gehen nochmal zum Spielplatz, im abendlichen Hopserlauf. Vom benachbarten Herzberg klingen über die Felder und den See handgeläutete Kirchenglocken, und am Himmel saust zielgerichtet eine ganze Formation von Schwänen in ebendiese Richtung. Auch in Herzberg muss es also schön sein, vielleicht Einkehr geben. Wir prüfen das sofort.

 

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): per Regionalbahn oder S-Bahn nach Königs Wusterhausen, von dort per Regionalbahn nach Wendisch Rietz, von dort 1 km Zuweg zur Tour oder mit dem Bus (wenige Verbindungen) nach Glienicke (ca. 1,75 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über Berliner Ring Nord oder Süd zur A 12, dann Landstraße über Storkow oder über Bad Saarow (ca. 1,25-1,5 Std.)

Länge der Tour: ca. 18,6 km (Abkürzung prinzipiell möglich)

 

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

 

Links:

Informationen zu Glienicke und Behrensdorf

Walter Moers: Nach dem Absinthgenuss

Henri Matisse: Tanz

 

Einkehr: Hafenrestaurant am Scharmützeleck (an der Südspitze des Scharmützelsees bei Neue Mühle nördlich der Bahn)(keine eigene Erfahrung)
Landgasthof Simke (im Nachbardorf Herzberg)(sehr empfehlenswert)

 

Bernau: Die gerahmte Stadt, zwei Pilgerzüge und der charmante Ziegenbock

Seit Jahresbeginn spielen sich die Temperaturen außerhalb beheizter Räume rund um den Gefrierpunkt ab, und so ist jeglicher Brandenburger Boden knochenhart und durchzogen von mildem Permafrost. Alles Kalte, was auf diesem Boden liegt, hat somit einen langen Bestand. Die großen und kleinen Schneemengen, die es gab, hat der allgegenwärtige Wind zu feinem Pulver gesiebt und irgendwo hin verblasen, nur ein paar flache Wehen hier und da zeugen noch von ihrem Dasein. Was jedoch auf harten Wegen immer wieder taute, anschmolz und über Nacht erneut gefror, wuchs zu einem buckligen Eispanzer von sagenhafter Härte. Wer zurückdenkt an den langatmigen Winter 2010, erinnert sich vielleicht noch an Szenen, wie Ladeninhaber unorthodox versuchten, den Bürgersteig vor ihrem Geschäft mit dem 10-Kilo-Hammer oder der Lötlampe freizulegen oder Autoeigner daran gingen, den kleinen Eisgebirgen rund ums eingekesselte Fahrzeug mit der Spitzhacke beizukommen, ohne dabei dessen Fassade zu zerlegen.

Stadt Bernau im Holz-Rahmen, Börnicke

Um also draußen unterwegs zu sein, sind nach wie vor Wege angeraten, die auch im Winter gangbar sind, frei von Eisglätte und Tiefschnee. Kurzgefasst: kein Wald, bevorzugt feste Beläge und große winde Weite. Dazu unbedingt regelmäßige Abwechslung fürs Auge, gern farbenkräftig bei so viel monochromer Wahrnehmung. Auch etwas Stadtnähe hilft, denn alle Spazierwege rund um Stadtgebiete sind meist frei und gut begehbar. So zum Beispiel das von Bernau.

Bernau (b Berlin)

Als Kind habe ich mich immer gewundert. Bernau war genau so eine S-Bahn-Endstation wie Oranienburg oder Erkner oder Strausberg. Doch wenn es in den Urlaub ging und der Zug über Bernau fuhr, stand dort auf den Bahnhofstafeln „Bernau (b. Berlin)“. Dass es noch andere Bernaus geben könnte, kam mir damals nicht in den Sinn, ganz und gar nicht. Schon gar nicht eins im unmittelbaren Vorland des gewaltigen, doch seinerzeit absolut uninteressanten Gebirges, das immerhin für den weltweit genutzten Begriff „alpin“ verantwortlich ist.

Südliche Bernauer Stadtmauer im Winter

Bernau ist eins von bereits andernorts erwähnten Städtchen in Berlin-Nähe, die über eine intakte Stadtmauer verfügen. Nahezu lückenlos erhalten ist sie hier und ermöglicht Einwohnern wie Besuchern, die Stadt auf stillen Wegen komplett zu umrunden. Entweder direkt innen entlang der Mauer oder – abgesehen vom Südbogen – auch im verzweigten Wegegeflecht, das den einladenden und verspielten Parkgürtel rund um die Stadt durchzieht. Hier ist neben schönen Spielplätzen und großen Wiesen viel Wasser im Spiel, so dass man auf erhabenen Dämmen spazieren kann oder entlang akkurater Teiche, bei deren Anlage Sichtachsen nicht gänzlich außer Acht gelassen wurden. Kleine und große Tore gestatten in dichten Abständen den Wechsel von innen nach außen, und der Altstadtkern mit dem Markt und der eindrucksvollen Marienkirche und ihren Gassen ist immer nur einen Katzensprung entfernt.

Ein Stein des neuen Mühlentores, Bernau

Im Parkstreifen draußen vor der Stadt herrscht in diesen Tagen der Eispanzer und hat alle Gräben und Teiche zu theoretischen Schlittschuhbahnen fixiert. Sogar die Parkwiesen zwischen dem alten Pulverturm und dem neu gemauerten Mühlentor sind großteils von Eis überzogen. Auf den Wegen schlägt das Eis harte kleine Wellen, trotzdem sind Leute allen Alters unterwegs, unbeeindruckt und vergnügt, selbst wenn keine Spikes versichernd zwischen Sohle und Weg vermitteln. Irgendwo ist zwischen zwei Schritten immer noch eine bierdeckelgroße Stelle ohne Eis, und das reicht – wenn man das will. Wer irgendwann doch genug hat, wechselt einfach nach innerhalb der Mauer und freut sich über die gute Haftung auf dem groben Straßenpflaster.

Wege-, Wasser- und Dammgeflecht unter Eis, nördlicher Mauerpark ohne Laub und Sonne

Kurz hinterm Elysiumsteich, der beiläufig auf die zweite große Kirche der Stadt ausgerichtet ist, kann man beim Hungerturm ein paar Züge Mittelalteratmosphäre atmen. Am besten in dem kleinen überdachten Gang am Steintor mit seinem groben Gebälk, der gleichzeitig Durchgang zum Külzpark ist. Wer an dieser Stelle genug vom winterlichen Spazieren hat, bleibt einfach innerhalb der Mauern, streift noch ein wenig durch die Gassen und trinkt irgendwo was Wärmendes.

Während nördlich von Bernau der große Wald beginnt und mit den herrlichen Landschaften zwischen Biesenthal und Wandlitz samt ihren glasklaren Seen lockt, empfiehlt sich jetzt im Winter eher ein südliches Ausschwärmen. Denn abgesehen von ihrer Wintertauglichkeit präsentiert die Barnimer Feldmark hier eine wohltuende Landschaft mit viel Platz und zahlreichen Gestaltungselementen, die der Wald nicht bieten kann.

Blick über den Elysiumteich auf die Herz-Jesu-Kirche, Bernau

Gleich hinterm Bahnhof überquert man die kleine Panke, die hier noch keine Seemeile alt ist. Der Spazierweg führt zwischen dem neuzeitlichen Einkaufszentrum und aus der Zeit gefallenen Gartenlauben hinüber in die kleine Plattenbauvorstadt jenseits der Panke, deren Straßen nach Göttern aus der griechischen Mytholgie benannt wurden, Venus zum Beispiel, und Pollux. Das ist insofern stimmiger als es zunächst scheint, da gleich nördlich das Nibelungen-Wohnviertel anschließt, dessen eher nordische Namen wie Hagen, Kriemhild und Wieland dort im Sinne der Windrose passend verortet sind. Etwas verloren wirkt dazwischen die Fafnirstraße – denn Fafnir gehört, wie nachzulesen ist, zur isländischen Edda. Eine angelehnte Figur namens Fafner erscheint zumindest auch im wagnerschen „Ring der Nibelungen“.

Ob zudem die Nähe des Teufelspfuhls bei der Anlage dieser Stadtviertel eine Rolle spielte und wer überhaupt zuerst da war, sei dahingestellt. Falls sich spätestens jetzt Mythologie-Experten alle Haare sträuben, bitte ich in diesem Sinne alle tiefer Interessierten um einen Gang zur Bibliothek.

Dachgang am Steintor

Am talzugewandten Rand der Siedlung liegt auf einem erhöhten Plateau ein Spielplatz,  der einen herrlichen Blick auf die Skyline von Bernau bietet – oder je nach Lichtverhältnissen und Jahreszeit auf den Scherenschnitt der Stadt kurz vor dem Ende des Tageslichts. Ganz am Rand der Siedlung öffnet sich, nun zwischen Einfamilienhäusern, am Ende eines winzigen Durchgangspfades fast unvermittelt die Landschaft mit dem schönen Namen Börnicker Feldmark, kurz darauf quert ein Jakobsweg. Der kommt von Frankfurt an der Oder und ist hier quasi auf der Zielgeraden. Das kräftige  Blau der Markierung ist wohltuend zwischen den blassen Farbtönen des diesigen Tages.

Mosaik und Details am Portal der Herz-Jesu-Kirche

Über sanft gewellte Landschaft führt der schnurgerade Weg auf eine Anhöhe, kurz dringen sogar ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolken. Es sind nur ein paar Höhenmeter, doch erst vom höchsten Punkt ist rückblickend das Stadtbild mit seinen Türmen zu sehen. Das ist durchaus erhebend. Die Wegplatten sind zum Großteil vereist und fordern das Schlagen einiger Haken und ein waches Gleichgewicht. Wer Geradlinigkeit der langsamen Variante der Hasengangart vorzieht, kann auch auf dem harten Acker ganz gut laufen. Von vorne naht, zeitig schon zu sehen, eine Handvoll Leute mit einem Kinderwagen, was bei diesen Wegebedingungen wirklich Respekt verdient. Beim Zusammentreffen sind die Blicke entsprechend düster, zumal manche Jacke eindeutig zu dünn ist für den gnadenlosen Ostwind. Da die Begegnung auf dem Pilgerweg geschieht, wirkt es nicht abwegig, dass dieser Gang vielleicht ein Bußgang ist.

Börnicker Feldmark mit leichten Schneewehen

Börnicke

Der Weg erreicht Börnicke als hochgewachsene Pappelgasse. Am Dorfeingang bietet sich der erhoffte Rastplatz, der mit einem großen Bilderrahmen effektiv Bernau in Szene setzt, das weit hinter den Feldern kauert. Auch hier ist eine Gruppe Pilger unterwegs, als Scherenschnitt und schon vom langen Weg erschöpft, und schlägt den Bogen zu vorhin. Gleich danach stehen links allerlei Tiere, deren Gehege den Rand eines verwilderten Schlossparks bilden. Gleich vorn wohnen vier enorm große Schweine, die bester Laune ihren vollen Trog bevölkern und dem benachbarten Ziegenbock nur ein bewegungsloses Kopfschütteln abringen. Wir trauen uns durch die kleine, unverschlossene Pforte und sind froh, anhand von Spendenbehältern zu sehen, dass ein Rundgang hier erlaubt ist. Überall im äußeren Grenzbereich des Sichtfeldes huscht es, und schaut man schnell genug, sieht man jeweils einen Katzenschwanz verschwinden – immer einen anderen.

Der tagesbegleitende Funkturm von Birkholzaue

Der Ziegerich springt schließlich über den Zaun seines Gatters und übernimmt unsere Führung, was wir durchaus als Kompliment nehmen. Zeigt uns zunächst den wuchtigen schottischen Hochlandzottel, dessen respektgebietendes Gehörn mit seinem einzigartigen Schwung für das Wort „formvollendet“ verantwortlich sein könnte. Wie das seit fünfzig Jahren angestrebte und nie wirklich erreichte Ideal eines Chopper-Lenkers. Dann vorbei an den Kaninchen-Ställen, quasi Mucki-Buden, zu den Ponys. Und endlich ganz hinten zu dem einen von zwei Schafen, das nicht nach uns blökt, sondern klar und deutlich „Mäh“ sagt, mehrfach und mit Nachdruck, bis wir endlich kommen. Dann ist die Führung beendet, der Gehörnte zieht sich zurück.

Viele Gatter sind jetzt leer, aufgrund der Winterkälte, und weder Wollschwein noch Lachshuhn lassen sich blicken, auch nicht das Vorwerkhuhn. In nur wenigen Wochen wird es wieder lebhaft zugehen auf dem Kinderbauernhof. Umso schöner, dass das Gelände trotzdem offen ist. Nicht zuletzt dank der charmanten Begleitung wirft man sehr gerne schwere Münzen in eine der gelben Kannen.

Pilgerzug am Rand von Börnicke

Ein Pfad führt vom letzten Gatter direkt in den Schlosspark mit seinen alten Bäumen und dieser einzigartigen Atmosphäre, die solchen Parks eigen ist. Efeudurchzogen und wild, krautig und echt und mit viel Potential für historisch angehauchte Phantasien. Die werden unterstützt durch das in sich ruhende Schloss, welches eine ähnliche Ausstrahlung hat wie sein Park. Das Bauwerk ist belebt, nicht viel, doch spürbar. Rauch steigt aus dem Schornstein, Dach und Fenster wirken intakt. Hier dürfte ein Blick in naher Zukunft interessant sein, vielleicht so in fünf Jahren. Der Weg durch den Park nimmt noch eine Insel samt zwei Brücken mit. Jenseits des Sees liegt die Gutsanlage von Börnicke mit ihren langen Backsteingebäuden, die auf ihre Weise von schlichter Noblesse sind.

Vier Schweinebuckel und eine Ziege, Kinderbauernhof Börnicke

Auf jeden Fall lohnt das Schlagen eines Hakens bis zum Dorfteich, den ein wenig Angeratmosphäre umspielt. Die meisten Häuser im Dorf sind schön und sehenswert, und auch hier versammelt sich eine bunte Mischung von ihnen. Am Rand steht das in warmes Ocker getünchte Feuerwehrhäuschen, in dem nunmehr das Feuerwehr-Haustheater ein schönes Zuhause gefunden hat. Noch einen kräftigen, wenn auch diffuseren Farbtupfer steuert eine im Saft stehende Hängeweide ab, direkt am Uferweg. Der Dorfbackofen hält Winterruhe.

Born to horn, Kinderbauernhof Börnicke

Die Häuser entlang der Hauptstraße stehen baulich in Verwandtschaft zum Gutsensemble. Es ist wirklich ein besonderes Ortsbild hier in Börnicke, das die Kirche noch komplettiert. Mit einem letzten Blick auf die graue Eminenz des Schlosses und die zahlreichen neuen Bäume rundherum verlassen wir Börnicke auf einem gemütlichen und schwarzen Sandweg, der großflächig vereist ist. Ein Mädchen kommt entgegen auf dem Rad, souverän und frei von Angst. Und in der Tat hat das Oberflächeneis mit dem feinen schwarzen Sand fusioniert und ist stumpf und griffig. Schön.

Schloss Börnicke

Elisenau

Schon den ganzen Tag werden wir begleitet vom gelben Wanderweg, der uns bis fast zuletzt die Treue halten wird. Entlang der schnurgeraden Straße durch Elisenau zeigt sich ein schöner Querschnitt durch die Wohnarchitektur der letzten sechs Jahrzehnte. Die Straße fällt sanft ab, läuft sich angenehm und führt genau auf den markanten Turm zu, der schon den ganzen Tag diesig im Hintergrund stand und aussieht wie ein Fernsehturm mit abgebissener Spitze. In der Tat diente der sogenannte „Dezimeterturm“ seit Ende der 1950er Jahre der Fernsehübertragung in der DDR, war sogar von landesweiter Relevanz für den guten Empfang der beiden Sender, die sinnigerweise DDR 1 und DDR 2 hießen. Der eigenartige Name des Turms hat mit der Länge der elektromagnetischen Wellen zu tun, die charakteristisch sind für den sogenannten Richtfunk.

Birkholzaue

Eine Kuriosität in Elisenau zeigt sich am Ortseingang. Dort stehen zwei Ortseingangsschilder, beiderseits der Straße. Östlich liegt Elisenau, das zu Blumberg und damit zur Gemeinde Ahrensfelde gehört, westlich hingegen das zu Bernau zählende Birkholzaue, die Grenze verläuft auf dem westlichen Rand der Fahrbahn. Was das für administrative Komplikationen bei der Bushaltestelle an der Straße hervorruft, möchte man sich gar nicht ausmalen.

Feuerwehr-Theater am Dorfteich, Börnicke

Gegenüber führt der Weg direkt in einen mäßig  feuchten Bruchwald, der von einem größeren See gewässert wird. Erstmals heute sind die Spikes unumgänglich, und wieder ist es eine herrliche Erfahrung, wie entspannt man sich doch auf glattem Eis bewegen kann. Das kleine Stückchen Wald tritt wirksam den Beweis an, dass es schlau ist, den Wald zu meiden in diesen Wochen. Hinterm Wald fällt der Blick dann wieder auf braune Erde, dunklen Sand und blassgrüne Wiese.

Birkenhöhe

Entlang einer Obstwiese geht es hinauf nach Birkenhöhe, vorbei an ein paar Schweinen, Ziegen und Laufenten. Hier und da hängt noch Weihnachtsschmuck in den Gärten, den jetzt wirklich keiner mehr sehen möchte. Dagegen an piepen und singen neben Meisen und Amseln jetzt auch schon irgendwelche anderen Vögel, die aus gängigen Volksliedern bekannt sind.

Weg nach Lindow mit Blick auf die Türme von Bernau

Lindow

Nach etwas Zickzack durch die Siedlung kommt nach einer Waldrand-Kurve voraus Bernau in Sicht, wirkungs- und verheißungsvoll, denn der Magen knurrt so langsam, die Vorräte sind längst schon aufgebraucht. Gefällig geht es über eine kleine Anhöhe nach Lindow, und Lindow ist schon so gut wie Bernau. Nach etwas Gewerbegebiet führt der letzte Kilometer in einer Stimmung von wunderbarer Abendruhe um die südlichen Vorstadtwiesen herum, entlang verschiedener Wasserläufchen. Einige der kleinen Panke-Zuflüsse sind zugefroren, andere offen. Auf letzteren parken auffallend brav allerhand Enten, dicht unterm Ufer und gut geschützt vor dem scharfen Wind.

Ein dem verwandter und doch seltener Anblick wird jetzt am Himmel geboten. Während die Züge der Kraniche oder die der Gänse zu den Zeiten von spätem Herbst und zeitigem Frühjahr ein stets erhebender, doch gewohnter Anblick sind, ist es selten, dass man Formationen von Enten sieht am Himmel. Jetzt jagen sie dort oben durch die Lüfte, wirken leichtfüßig und unbeschwert und sind auch sicherlich nicht auf der Durchreise, sondern der Stadt Bernau verbunden und den Pankewassern.

Der Rad- und Fußweg durch die Pankewiesen, südlich von Bernau

Auf Durchreisende hingegen trafen wir auf der Fahrt nach Bernau. Sie standen auf dem Acker, hier zwei Kraniche und kurz darauf zwei Gänse. Und trafen damit ihre Aussage. Auch der Deutsche Wetterdienst teilt diese Ansicht und stellt für die nächsten Tage Grade deutlich über Null, dazu noch manche Sonne und infolge die ersten knallenden Knospen in Aussicht. Das ist der Startschuss für die Zeit der ersten zarten Düfte.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der Regionalbahn ab Lichtenberg (halbstündlich) oder mit U- und S-Bahn (jeweils knapp 45 Min.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): Autobahn A 10 und A 11 oder über die B 2 (jeweils ca. 35 Min.)

Länge der Tour: komplett ca. 17 km (Abkürzungen gut möglich) oder
nur einmal um die Stadt herum (2-3 km) oder
einmal um die Stadt, dann nach Börnicke und auf selbem Weg zurück (ca. 11,5 km)

 

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Tourismus-Seite von Bernau

Informationen zum neu gebauten Mühlentor

Zeitungs-Artikel zu den Pilgern von Börnicke

Informationen zu Börnicke

Informationen zum Gutshof und Schloss Börnicke (2003)

Der Dezimeterturm von Birkholzaue

 

 

Einkehr: zahlreiche Möglichkeiten innerhalb der Stadtmauer