Die Landschaft der Uckermark ist viel und oft besungen worden, und selbst mit gutem Willen lässt sich eigentlich kein Argument finden, das dagegen spricht. Schon auf der topographischen Karte versprühen die Höhenlinien eine wahre Euphorie, knäueln sich hier dicht zusammen, tanzen da umeinander herum und bilden dort regelrecht expressionistische Formen aus. Dieses Spiel der braunen Linien begeistert vielleicht sogar Leute, die sonst mit topographischen Karten nicht viel am Hut haben.
Löst man vor Ort den Blick vom Kartenwerk und lässt ihn mit gehobenem Haupt panoramisch über die Landschaft streifen, zu der Städte zählen wie Templin und Angermünde oder Prenzlau, wirkt schon der bloße Anblick wie eine visuelle Symphonie. Doch das allein ist es nicht, auch wenn es ausreichend wäre. Es sind darüber hinaus die Düfte und der oft präsente Wind, der lustvoll an den Wipfeln zieht, ganze Kornfelder zum Wogen bringt und immer schon ein bisschen nach Küste schmeckt. Dazu kommen noch die energischen Lichtspiele der Wolkenbänder, die von allen märkischen Landschaften hier am verlässlichsten anzutreffen sind und die mit ihrem breiten Schattenpinsel permanent das Landschaftsbild retuschieren.
Hügelig ist es überall und teilweise von so steiler Flanke, dass man sich fragen muss, wie solcherart gerundete Felder zu bewirtschaften sind. Viele der resultierenden Senken sind mit Wasser gefüllt, das rein theoretisch noch geschmolzenes Eis sein könnte. Die windgekräuselten Wasserflächen liegen nicht unnahbar, doch meist weitab der Wege und sorgen dort für unzählige Glitzerpunkte, während des Weihers andere Hälfte völlig glatt liegen kann, dunkel und scheinbar bodenlos. Drin baden werden wohl nur Unerschrockene.
Jedem Maler, der von einem Dorf zum anderen geht, muss das Werkzeug in der Tasche zucken oder in der Hand, zumal ein und dieselbe Stelle vielleicht schon zwanzig Schritte später ein neues Bild abgibt. Dementsprechend kann so ein Weg für ekzessive Nutzer ihrer Sinne fast schon rauschhaft werden. In der langfristigen Folge wird ein wohliges Verlangen dafür sorgen, dass man immer wieder zurückkehren will in dieses sanft gewellte Reich der weiten Blicke, in diese Uckermark.
Von der Jahreszeit her lässt sich nicht viel falsch machen – irgendwelche Trümpfe werden immer ausgespielt. Neben den ganzjährig verfügbaren Lichtstimmungen sind es im Herbst die Farbspiele in den alten Alleebäumen und nicht zuletzt auch in den großen Buchenwäldern, die ihresgleichen suchen weit und breit. Im Winter schafft das monochrome Spiel von kahlen Bäumen und erdbraunen Hügeln eine dramatische Stille, deren einzige Laute gelegentlich von schwarzgekleideten Vögeln herausgekrächzt werden und wie automatisierte Klagen klingen.
In den Wochen hingegen, wo es noch Frühling und schon Sommer ist, gibt es kaum woanders in Brandenburg eine größere Garantie für rotblauweiße Kornfeldränder oder ganze Weiten voller Mohn, an denen man sich nur schwer sattsehen kann. Die Bienen hingegen interessieren viel mehr die blauen und geräumigen Kelche des dickstammigen Natternkopfes, die neben ihrem Nektar mit einer gewissen Wohnlichkeit locken, wie so ein Sessel aus den Sechzigern.
Alle Blüten haben jetzt kräftige und eindeutige Farben, blasse oder zurückgenommene Schattierungen sind die Ausnahme. Zwischendurch weht an einzelnen Stellen der Duft von frischer Kamille vorbei, die kleine weiße Inseln schafft inmitten all der bunten Pracht und mit ihrem Aroma die Atemwege streichelt.
Zwischen vielen der Dörfer liegen unberührt alte Feldstein-Straßen, buckelige Pisten, wie es sie so auch auf Rügen gibt. Bucklig in sich durch ihr rundliches Gestein, das jede Art von Fortbewegung etwas poltrig macht, dazu oft schwingend im Verlauf durch die Wellen in der Landschaft. Autos trauen sich kaum hierher, eben deswegen, und selbst auf dem Fahrrad muss man etwas hart gesotten sein oder eben weich gefedert. In diesem Zusammenhang passt es gut, dass an einigen Stellen noch Schilder eines Kutschfernweges hängen, der bis zur Ostseeküste führt und jedes Jahr ein bisschen mehr an Wirklichkeit verliert.
Abgeschirmt werden die alten und archaisch wirkenden Verbindungswege meist durch dichtes Buschwerk, oft wilde Rosenbüsche und Holunder, sowie alte Bäume, gern auch solche, an denen später süße Früchte hängen. Birnen kann man dann genießen und auch Äpfel sowie Pflaumen, Kirschen oder eben den Holunder. Der steht gerade jetzt in bester Blüte und ist damit in bester Verfassung, um in Eierkuchenteig verbraten zu werden.
Das Gehen oder Schlendern auf solchen Straßen ist allein durch ihren Anblick pulssenkend und zugleich doch anregend, da jeder Schritt bedacht und gut gesetzt sein will. Reizvoll ist der Gedanke, dass viele der Pflastersteine nur ein paar Meter zu bewegen waren, bevor sie vom Hindernis für den Ackerbauer zum Komfortmerkmal für den Kutschenreisenden wurden. Auch in den Hausfassaden ist das lokale Gestein allgegenwärtig und sorgt für schöne Dörfer und ewige Mauern. Ob es hier immer schon so farbenfroh zuging, was Fensterläden und Türen betrifft sowie alles, was verspielt im Garten herumsteht?
Von Groß Fredenwalde lassen sich Touren bis Willmine, Klein Fredenwalde oder Arnimswalde aufspannen, die jede für sich eine runde Sache sind. Alle Varianten verlaufen zu einem Teil auf Straßen, doch das macht überhaupt nichts, da kaum Autos unterwegs sind und jede diese Straßen wunderschön verläuft – eher wie ein zu breit geratener Wanderweg.
Wer übrigens an den betagten Buckelpisten seine wahre Freude hat, kann das besonders zwischen Willmine und Arnimswalde auskosten und sollte auch nicht versäumen, Klein Fredenwalde östlich zu verlassen, der Weg ist ausgewiesen.
Beim Prüfen der Optionen ist nur eine einzige Querverbindung mit Vorsicht zu genießen – der Weg, der sich Klein Fredenwalde von Südwesten nähert, beginnt unweit des Spitzbergs entlang des kleinen Grabens und gibt sich in der Vegetationsphase kaum zu erkennen, verlangt dann also Storchengang und etwas Orientierungssinn. Dort, wo er dann auf eine ausgeprägte Fahrspur trifft, lohnt ein kleiner Abstecher nach links, hin zu eindrucksvollen, breiten Feldsteinwällen, die als stromlose Vorgänger des heutigen Weidezauns gelten können. Darüber spannen große Kastanien ihre Kronen auf und sorgen für eine wohlige Stimmung.
Auch der Wunsch nach Wald lässt sich erfüllen. Der hochgewachsene Arnimswalder Forst zeigt schon beim kurzen Eintauchen eine Art Werkschau des Baumbestands im Lande – selbst wenn man nur den kleinen Schlenker gleich bei Arnimswalde nimmt. Im Sommer bleibt zum entspannten Betrachten wenig Zeit, da der Wald durchfeuchtet ist, die regionale Mückenzucht auf Hochtour läuft.
Mit dem Weinberg und dem Spitzberg liegen zwei lohnende Gipfelbesteigungen am Weg, die man nicht belächeln sollte. Die Spitzkehren im waldigen Osthang des Weinbergs bei Groß Fredenwalde enden mit ein paar nostalgischen Stiegen auf einer weiten Wiese. Die steht voll mit wogenden Gräsern und öffnet nach Nordwesten eine herrlich weite Sicht.
Hinauf zum Spitzberg bei Willmine führt unter freiem Himmel ein allerliebster Wiesenpfad, der von filigran-blauen Libellen umschwärmt wird und oben an einer perfekt platzierten Aussichtsbank endet. Das morsche Sitzmöbel gestattet fast einen Rundumblick, weit nach Süden, scheinbar unendlich in Richtung Norden. Der anziehende Blick über den Sabinensee und seine allernächste Verwandtschaft erinnert irgendwie an Kinowerbung für schäumendes Getreidebräu und macht augenblicklich durstig.
Eventueller Durst oder Hunger lassen sich leider nicht direkt am Wege stillen, doch ein nördlicher Bogen im Rahmen der Rückfahrt bietet in Gerswalde, Kaakstedt und vor allem Flieth schöne Optionen. Und verstärkt auf der Passage das Verlangen, bald wieder hier zu sein und neue Wege zu entdecken.
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): leider nur wenige, umstiegsreiche Verbindungen, daher kaum praktikabel (2,5-3 Std.)
Anfahrt Pkw (von Berlin): Autobahn Richtung Prenzlau bis Ausfahrt Pfingstberg, dann ein Stück Landstraße; reizvoller ist, über Joachimsthal und dann über kleine Landstraßen zu fahren
Länge der Tour: ca. 14 km, diverse Abkürzungen sehr gut möglich (zw. WP 8 und 20, zw. WP 11 und 19, zw. WP 13 und 16)
Einkehr: im näheren Umkreis der Tour nichts
Zum Kastanienhof, Flieth (gemütlich, gute Küche, schattiger Biergarten im Hof)
(weitere Möglichkeiten in Gerswalde und Kaakstedt)
Manche Ortschaften tragen markante, klangvolle Namen, die in keinem Bundesland groß auffallen würden, sind von der Größe eher schon Städtchen als Dorf – und dennoch hat man noch nie von ihnen gehört. Obwohl Bekanntes gleich um die Ecke liegt, scheinen sich solche Orte ganz woanders und weit weg zu befinden.
So zum Beispiel Greiffenberg, das nur ein paar Kilometer entfernt ist vom hübschen Angermünde und benachbart fast den Fischteichen der Blumberger Mühle, die bei vielen Brandenburg-Ausflüglern (und ihren Kindern) eine kleine Assoziation oder eine schöne Erinnerung wachrufen werden. Etwas nördlich von Greiffenberg liegen Wilmersdorf und Stegelitz in gleicher Entfernung, wie das die einstigen Dorfkerne ähnlich klingender Berliner Bezirke tun, etwas südlich liegt zudem grün und schattig der Tiergarten. Dazwischen gebärdet sich beruhigend und gutmütig die panoramafreundliche Feld- und Wiesenlandschaft der südlichen Uckermark, die allen damit verbundenen Klischees und auch dem gern herangezogenen toskanischen Vergleich auf das Schönste genügt. Insbesondere natürlich im frühen Sommer, wenn die Vegetation zufrieden auf ihrem Höchststand verweilt.
Anfang Juni ist hier die Hochzeit der bunten Feldränder, die zwischen dem fast schon vollkommenen Entwurf aus dem Rot der verletzlich scheinenden Mohnblüten und dem kraftvoll zackigen Blau der Kornblumen noch allerlei Gelb, Weiß und Lila unterbringt. Beim Blick in die Ferne zeigen sich ganze Felder oder Hänge im reinen Rot, was auch ganz abseits und in sicherer Entfernung zum Einzugsbereich der Opiate schon kleine Hochgefühle auslösen kann.
Greiffenberg selbst hat eher Tallage, was maßgeblich aufs Konto der kleinen Sernitz geht. Die lässt ihrem Wasser viel freie Hand und schickt es bis weit in die umgebenden Wiesen, so dass es rund um den Ort sehr feucht zugeht und alles ganz besonders üppig ist, was wächst und grünt. Das Städtchen selbst strahlt Ruhe aus, auch wenn hier ein Bäcker sein Haupthaus samt Backstube hat, bei dem sehr zu recht die goldene Brezel vor dem Laden hängt.
Angermünde
Überzeugen kann man sich davon zum Beispiel in Angermünde, wenn es denn am Weg liegt. Liegt es nicht am Weg, ist es auf jeden Fall den Abstecher wert – vom Bahnhof sind es vielleicht 10 Minuten bis zum Markt. Direkt dort lässt sich Kakao oder Kaffee zwischen altem Fachwerk genießen oder an entsprechenden Tagen direkt auf dem Pflaster des Marktplatzes. Ein weiterer Grund für diesen Abstecher ist einer der schönsten Brunnen im Lande, den man mit der Tasse in der Hand im Überblick genießen kann, nach dem Genuss dann in all seinen Details. Wer zum ersten oder auch zum siebzehnten Mal um die Figuren und Gegenstände schleicht, immer wieder ein Grinsen im Gesicht, wird jedes Mal etwas ganz neu oder wiederentdecken. Würde man bei jedem Besuch die Gesamtzahl aller gefundenen Mäuse erfassen, es gäbe wohl immer kleine Abweichungen.
In unserem Fall war der Platz von Sonne hell und beheizt, der Druck auf den Wasserleitungen scheinbar höher als sonst und somit schön spritzfreudig, die Antriebsschraube des Kahns besonders agil. Zwischen den beteiligten Figuren hat ein junger Vater mit seinen Kindern ein kleines Depot errichtet. Beide sind dem Krabbelalter schon länger entwachsen und wieselig mal hier und mal dort und von Mal zu Mal etwas klammer. Vorausschauend und fürsorglich ist ein Kleiderfundus Bestandteil des Depots, und damit sich trotz der sommerlichen Wärme niemand erkälten kann, werden pro Stundenquartal die Klamotten ausgetauscht. Die sind allesamt sehr schön und verhelfen den Kindern zu einem Höchstmaß an Putzigkeit, die gemurmelten Kommentare rundum fallen dementsprechend etwas höhergestimmt aus. Ferner wird der Schutzfilm auf den kritischen Hautpartien erneuert, und dann werden mit einer Körperhaltung, die zugleich Erleichterung und freudige Erschöpfung ausdrückt, die Kinder in die nächste Runde geschickt. Eine wunderschöne Szene in mehreren Akten. Gern mehr davon.
Zwischen Angermünde und Greiffenberg beginnt er dann, der Farbenrausch der mohnroten Wiesen und Felder, deren kilometerweite Wogen sich zunächst über den Spiegel des Mündesees erheben und erst durch kleinere Waldstücke gebremst werden.
Greiffenberg
Zuletzt geht es tief hinab ins erwähnte Tal der Sernitz, schnurgerade und fast genau auf die Kirche zu. Direkt in der Ortsmitte genießen eine Handvoll Geschäfte das wohlverdiente Wochenende, über der Straße flirrt die beginnende Hitze des Tages und nur hin und wieder kommt ein Auto vorbei. Ein Junge auf einem Moped sieht, dass er schleunigst wegkommt – als hätte er der alten Hofkatze auf den Schwanz getreten und sich nicht entschuldigt. Auf dem wiesenbedeckten Marktplatz thront zwischen einem gebrechlichen Fachwerkhaus und dem alten Postgebäude die Burg Greiffenberg, gehauen in einen großen Brocken Granit, der auch ihren Sockel bildet. Die Burg wird etwa im Maßstab 1:100 sein, dafür sind hier alle Mauern und Dächer noch vollständig und intakt.
Von der Post läuft eine Pflasterstraße unterm Hang entlang und zieht sich hinauf zum ausgeprägten Kirchhügel, der dem Ort speziell von Norden her viel von seinem Charakter verleiht. Am Ende kommt ein kleiner Platz mit einem schönen alten Haus, vielleicht dem Pfarrhaus, dem gerade eine neue Seele eingehaucht wird – mit behutsamer Hand, Geschmack und dem richtigen Maß in allen Dingen.
Vorbei am kleinen Bäckerladen und Hauseingängen mit uralten Rosenbüschen ist voraus die kleine Sternwarte zu sehen, die lange Zeit als Schulsternwarte aktiv war. Direkt daneben steht ein Backstein-Gebäude mit Burgzinnen, auf denen ein Storch horstet. Der dürfte hier ein gutes Auskommen mit kurzen Wegen haben, bei all dem, was die Sernitz so treibt.
Am Ortsende lohnt vor dem Besuch des Burghügels ein kleiner Abstecher entlang der Bundesstraße, bis zu den nächsten Häusern und dort über die Straße. Hier befindet sich ein sonderbarer, fast charismatischer Ort, der gefunden sein will. Hinter einem feuchten Wäldchen mit lehmigem Boden, der nach längerem Regen für viel Spaß sorgen kann, öffnet sich ein großzügig freigemähter Wiesenweg durchs Feld. An dessen Ende steht neben einem dekorativem Holundergebüsch ein hohes Kreuz, wie man es vielleicht von Berggipfeln kennt. Zuerst lenken noch die bunten Feldränder ab und der große Einzelbaum oder der freie Blick nach Greiffenberg oder der zur weit entfernten Mühle. Doch beim Näherkommen zeigt sich, dass das Kreuz gläsern ist, und nicht nur das – im Glas sind Schlüssel eingeschlossen. Hunderte, vielleicht ja Tausende. Ein wenig Aufschluss nach dem ersten Staunen gibt die Rückseite des haushohen Kreuzes mit unverschlüsselten Worten, die von ewiger Gültigkeit sein dürften. Der Blick von hier ist weit, wie schon erwähnt, der Himmel noch viel weiter.
Wieder über die Straße führt ein stiller Weg durch dichtes Grün direkt zum Hügel, auf dem die Greiffenberger Burg einst stand, im Maßstab 1:1 und gebaut aus rotem Backstein. An einer kleinen Schautafel führen grob behauene Felsstufen hinauf zu den verbliebenen Gemäuern. Auch hier sind die Wege freigemäht, was eine mühselige Angelegenheit sein dürfte. Der Grundriss aller Mauern ist noch sichtbar und gibt eine gute Vorstellung von Ausdehnung und Größe dieser quadratischen Festung. Am besten erhalten ist der runde Burgfried links hinten in der Ecke.
Schattig geht es weiter und langsam aus dem Ort, bis der letzte bellende Hund verklingt, die Grillen wieder zu hören sind und die Ruhe. Was diesen ganzen Tag begleitet, das ist nicht nur der Mohn. Es ist zudem der allgegenwärtige Duft von blühendem Holunder, der umgehend durstig macht auf etwas Kaltes oder Appetit auf Eierkuchen, gebraten mit Holunderblüten. Das bleibt dann als Idee für morgen. Dazu kommen noch die alle Wege begleitenden Rosen und die großen Büsche von Jasmin in den Dörfern.
Am kleinen Wasserfall eines Nebenbaches steht eine Bank, die mehr bietet als nur Ruhe für die Beine und die Chance auf was zu Beißen aus dem Rucksack. Durch die schattige Lage an einem kleinen Wiesenplatz und am rauschenden Wasser herrscht hier ein kleines kühles Klima, welches vergessen lässt, dass es draußen drückend ist und schwül. Der Blick fällt direkt auf den Kirchturm von Günterberg und wird eingerahmt von zwei kräftigen Stämmen am anderen Straßenrand. Es sitzt sich schön hier, ja sogar sehr schön. Länger als erwartet verweilen wir schon, als ein großer Mann auf einem kleinen roten Trecker naht, mit Hänger dran und polternd auf dem Kopfsteinpflaster, und mit kurzem Gruß und großer Zufriedenheit vorbeizieht wie ein Staatsgast auf der Protokollstrecke.
Ehe wir uns festsitzen, denn das könnte man hier gut, gehen wir weiter Richtung Günterberg Ausbau. Dort weiter direkt in die Felder und zum Sernitz-Bruch, wo lauthals solche Vögel trällern, die an ein Tropenhaus erinnern und die Töne dort. Als wir der Sernitz erstmals ins Auge blicken, weist sie uns sofort in die Schranken, obwohl kein Grund besteht. Die folgenden 500 Meter mitten durchs Bruch sind zwar noch sichtbar, doch die Vegetationsphase präsentiert sich hüfthoch. Ein halber Kilometer Storchengang würde sich rein muskulär noch Tage später in Erinnerung rufen, mal ganz abgesehen von der Gefahr auf erschreckte Schlangen oder anhängliche Holzböcke im hohen Grase.
Nicht zuletzt, da es kaum länger ist, machen wir einen Rückzieher und arbeiten uns wieder aus dem flachen Tal hinauf, derweil das Wetter weiter drückt. Die schattige Allee am kleinen Wasserfall lud ja vorhin schon ein, man hätte gleich drauf hören sollen. Jetzt ist es umso schöner, der Wind streicht in Fließrichtung der Sernitz zwischen den Bäumen hindurch, immer ist irgendwo das Gurgeln eines Baches zu hören und allein das erfrischt schon. Ein Reh im hohen Korn hält lange Blickkontakt mit uns und einem Fragezeichen überm Kopf, bis es schließlich mit diesen eleganten und hohen Reh-Sprüngen durch das hohe Korn davonfliegt.
Bruchhagen
Zwischen dem Tal der Sernitz und dem der etwas größeren Welse liegt Bruchhagen, ein kleines Dorf mit einer schönen alten Kirche und einem hübschen Park. Dort sorgt erneut ein Vater mit seinen Kindern für einen schönen Tag. Eins davon hat sich mit ihm auf einer Decke zusammengerollt. Das andere schaukelt grad, springt mutig ab im größten Schwung und bleibt erstmal lachend liegen in der Wiese.
Trotz seiner Lage zwischen den Tälern liegt Bruchhagen nicht auf der Höhe, was sich an der Pflasterstraße Richtung Welsow zeigt. Zunächst eingeschnitten steigt sie langsam auf zwischen den Feldern und läuft dann oben weiter als Allee von Obstbäumen, mit Blick ins Welsetal. Kurz vor der Eisenbahnunterführung lässt sich von der Brücke an einem schönen Grundstück ein Blick auf das verwunschene Flüsslein und seinen urwüchsigen Bruchwald werfen, der kurz den Spreewald ins Gedächtnis ruft.
Mit freiem Blick über hügelige Felder begleitet der Weg dieses mückenträchtige Naturparadies in sicherer Entfernung, nur einige Bremsen wagen sich weit genug in die Trockenheit der staubigen Ackerrandlage. Obwohl einige schlammige Schlüchte zwischen den Reihen der jugendlichen Maispflänzchen zeigen, dass auch hier Gewitter tobten in der vergangenen Woche und eimerweise Wasser abwarfen. Jetzt liegt der Weg in der prallen Sonne und nur die hohen Holunderbüsche spenden etwas Schatten. Rechts feiert wieder der Mohn, durch die roten Teppiche ziehen sich violette Streifen, wahrscheinlich irgendwelche Gräser in der Blüte.
Nach ein paar Minuten Bundesstraße, einer Welsebrücke und einem halben Dutzend schneller Autos hält der sehnlich erwartete Wald mit Namen Tiergarten eine schöne Überraschung parat. Wir stehen vor dem Eingang zu einem Lenné-Park, dem von Görlsdorf. Hatten vorhin noch irgendwas gewitzelt mit Lenné, der ja eigentlich allgegenwärtig ist im Lande Brandenburg und lange nicht mehr vorkam. Zuletzt in Blumberg hinter Ahrensfelde, irgendwann im Winter. Und jetzt grüßt der Meister fröhlich aus dem Waldschatten, der nun gleich noch viel schattiger ist und schöner obendrein. Direkt am Eingangsportal steht das Parkwächterhaus, ein verspieltes Forsthaus-Schlösschen mit rotem Fachwerk und spitzem Türmchen. Im Park selbst gibt es viele alte Bäume, meistenteils Laub, doch auch eine stattliche Reihe hochgewachsener Lebensbäume und hier und da ätherisch duftende Riesenfichten.
Im offeneren Parkteil, nördlich vom Gestüt, wurde erst vor Kurzem ein schöner Pavillon gezimmert, ansehnlich, durchdacht und absolut fachgerecht ausgeführt. Man spürt förmlich noch das Vergnügen der Handwerker beim Erschaffen dieses Baus aus kräftigen Holzbalken und scheinbar eigens gebrannten Ziegelsteinen, hört sie bei der Arbeit pfeifen. Drum herum fließt die Welse, und unterm Dach ist wieder so ein Platz sich festzusitzen. Die Gewitter, die eben noch drohten mit respektablem Bass, hatten wohl doch keine Lust.
Hier beginnt der Teil des Lenné-Parks, der mehr nach Park und weniger nach Wald aussieht, mit einigen sehr alten Buchen, Linden und Platanen. Dazwischen schiebt träge die Welse ihre Kurven, hier als liebenswertes Parkaccessoire. Ein einladender Rastplatz steht direkt über dem bewaldeten Ufer und ein einzelner Sonnenstrahl trifft durchs dichte Laub genau auf diesen Platz. Der freie Blick nach links fällt auf eine Koppel, auf der sich ausschließlich weiße Pferde aufhalten. Den Abschluss des Parks bilden die Reste des Schlosses, die sehr knapp ausfallen und hier allenfalls noch für eine bildliche Vorstellung des Hobbykellers ausreichen, nicht aber für einen Aufenthalt des Forschergenies Alexander von Humboldt vor sechs Generationen oder sieben.
Görlsdorf
Auch Görlsdorf ist ein schönes Dorf. In der Mitte befindet sich ein großer Wiesenplatz, der für Sportereignisse gleichermaßen taugen dürfte wie fürs Sommerfest oder das Osterfeuer. Kurz davor sitzt ein Alter auf seinem unfrisierten Aufsitzmäher und erwidert lässig unseren Gruß, so als säße er auf seinem Truck. Direkt vor der Kirche weist ein Schild zum Welseabsturz – das macht neugierig. Unten an der Brücke stürzt sich die Welse über ein Geflecht aus Ästen bestimmt einen halben Meter tiefer – also entweder liegt der gemeinte Absturz noch woanders oder die Namenswahl wurde nach ein paar Bierchen und mit gewisser Heiterkeit getroffen.
Das wäre jetzt schön – was Kaltes zu trinken. Aufgeheitert sind wir ja schon durch den Absturz. Und in der Tat – ein paar Meter weiter, schräg gegenüber vom Dorfplatz und dem winzigen Feldsteinhaus, das einmal das Gefängnis war, sitzen im Windfang einer Gaststätte ein paar Jungs, von denen einer gerade verarztet wird. Ist beim Spiel umgeknickt und kann jetzt keinen Schritt mehr tun ohne Unterstützung. Vor den Jungs stehen kalte Getränke, und die Wirtin sieht uns an, dass wir genau das auch gern hätten und sorgt dafür. Schön. Genau der richtige Zeitpunkt.
Hinter der Bahn geht es wieder in den Wald, wieder in den Schatten. Mit viel Auf und Ab schwingt sich die kleine Asphaltstraße vorbei an Lichtungen und Feuchtflächen, doch meistenteils sind die Bäume hoch und sorgen für wohltuendes Klima und würzigen Duft. Autos und Fahrräder halten sich hier von der Zahl die Wage, schließlich verläuft der Fernradweg Berlin-Usedom auf diesem Stück.
Peetzig
Die letzte große Abfahrt führt zum Großen Peetzigsee und damit an den Rand von Peetzig. Am Ende des Waldes liegt am klaren See ein kleiner Strand mit großer Liegewiese, und hier ist jetzt schönste Sommerferienstimmung. Im kalten Wasser des frühen Sommers sind bekanntlich die Kinder die Mutigsten, und so sind es auch hier vor allem die Kürzesten, die am tiefsten untertauchen. Von der Stimmung her hat man das Gefühl, das irgendwo auch ein Eiswagen stehen müsste, doch das tut er nicht. Dafür meldet sich nun das Gewitter wieder, von oben bei den Feldern.
Eine Allee führt zum Bahnhof von Greiffenberg. Auch sie ist wieder schattig, was angenehm ist für die Augen. Die größte Hitze ist vorbei, die Sonne auf dem Abwärtsweg und etwas frischer Wind ist aufgekommen. Ein paar Tropfen schaffens bis zum Boden, doch die sind so winzig, dass man nicht weiß, ob es vielleicht doch nur die Blattläuse auf den Linden sind, die ihren Zuckersaft abwerfen. Mehr kommt dann auch nicht, ganz gleich, was es nun war.
Die Straße läuft sich angenehm, doch lockt ein wenig später der Wiesenweg nach rechts, zunächst vorbei an einigen Häusern. Macht seinem Namen alle Ehre, vor allem, als der Schotter endet und es tief ins Grüne geht. Links sticht die Kirchturmspitze aus dem Wald und will Glauben machen, ganz Greiffenberg läge auf einem Hügel. Der Weg verläuft am Rand des Feuchtgebiets, das durchzogen ist von großgewachsenem Holunder. Die Luft scheint heiß zu dampfen und kein Windeshauch hat eine Chance hier. Etwas entfernt im Süden erstreckt sich ein Hang mit vereinzelt stehenden Bäumen und Büschen, ähnlich einer von diesen Wacholderheiden, die als Landschaft immer irgendwie humorvoll wirken.
Hier sind sie nun, die Mücken, nicht viele, doch dafür gierig. Also nicht stehenbleiben und lieber etwas schneller laufen. Vorn an der Straße ist er wieder da, der Wind, und auch ein Bürgersteig, was schön ist angesichts der Straße. Noch einmal sehen wir Vater und Sohn, diesmal mit einem Gefährt die Straße überquerend, das nicht schnell ist, jedoch ehrfurchtgebietend wirkt. Vor diesen Heuwender, den man für gewöhnlich hinter einen Trecker spannt, wurde so ein kleines Zugmaschinchen gehängt, das nur aus einem Benzin-Motor, zwei knuffigen Rädern und einem riesengroßen Fahrradlenker besteht. Und einer Kupplung für anzuhängendes Zubehör. Der Heuwender ist ziemlich breit, das Zugtier umso schmaler, so dass der Vater das Teil mit langem Arm von der Seite her am Gas hält, langsam und wieder einmal äußerst lässig. Der Junge steht mit seinem kleinen Rad am Straßenrand, staunt nach vorne und tut nach hinten völlig unbeeindruckt. Eine Frau am anderen Straßenrand fragt uns, ob wir eines ihrer Schafe kaufen wollen. Drei Minuten später stehen wir am Marktplatz, sind am Ziel. Ohne Schaf.
Eine Gaststätte gibt es im nächsten Ort, genauer gesagt, ein Gartenlokal. Auch dort treffen wir auf Vater und Sohn, wobei Vaddern drinnen bei den Männern sitzt und im Raucherzimmer Fußball guckt, der Junge draußen um den kleinen Fischteich schleicht. Immer wieder verschwindet er kurz drinnen, kommt wieder raus und hält uns auf dem Laufenden. Ist auf Du und Du mit dem Geschehen hier im Teich, den Fischen, den großen und den kleinen Wasserläufern. Rund um das Dorf ist abendlicher Sommerfrieden. Der späte Wind streicht durch die Ähren, der Mohn macht Schluss für heute und die Bäume der Alleen werfen extralange Schatten.
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): ab Berlin-Gesundbrunnen über Angermünde oder Wilmersdorf werktags 1,25-1,5 Std., am Wochenende 1,25-3 Std. (eher unpraktikabel)
Anfahrt Pkw (von Berlin): ca. 1-1,25 Std. (über Autobahn)
Einkehr: Imbiss Zum Kirschbaum, Greiffenberg (an der Bahnunterführung Richtung Peetzig);
Gartenlokal Rexin, Wilmersdorf (ein Dorf westlich von Greiffenberg, freundlich, gute Küche);
diverse Einkehrmöglichkeiten in Angermünde