Vor ein paar Tagen auf einem der Obsthöfe bei Werder an der Havel: die kräftige Sonne ergänzt sich angenehm mit dem kühlen Wind des Tages und die meisten Stühle und Bänke zwischen den blühenden Kirsch- und Apfelbäumchen sind lose belegt. Dazwischen stehen aneinandergelehnt kleine Fahrradrudel und geben vielen der Genießer das trügerische Gefühl, keine Punkte ganz im Norden Deutschlands zu riskieren.
Haltbar gemachte Fruchtsäfte
Elternteile liegen bäuchlings entspannt auf weichen Decken und ausgestreckte Kinder der Länge nach auf den Elternteilen, und zu jedem Zeitpunkt bewegt sich irgendjemand quer hindurch, um heiße schwarze oder prozentige bunte Getränke verlustfrei durch den Hindernisparcour zu lavieren, der harmlos ist, solange der Gleichgewichtssinn noch ungetrübt ist. Dazu je nachdem Gebackenes oder Gebratenes. Ein mattweiß verstaubter Bus der Blütenrundfahrt bringt nur eine Handvoll Nachschub, so dass die Schlange bei den Hütern der acht Weinballons entspannt bleibt.
Ausgedehnte Pause zwischen den Blüten
Eine Gruppe gereifter Persönlichkeiten, die sonst vermutlich sich zum Wandern treffen, sitzt unweit nur vom Ausschank und frönt aufrichtig der harmlosen Heiterkeit, die geleerte Krüge und Karaffen hinterlassen. Eine stämmig kleine oder auch kompakte Dame in Rot, die indiskutable Bestimmtheit ausstrahlt, lässt Ihrer Stimme freien Lauf, die Tonhöhe sicher, die kräftige Schallausgabe etwas alterswacklig, und gibt ein Lied zum Besten vor den Freunden, das sicherlich ein Volkslied ist und von Natur erzählt und Heimatwonnen.
Sie greift entschlossen dann den leeren Krug vom Tisch und setzt sich in Bewegung, zielt auf den Ausschank, weiter kräftig singend. Trällert Vers für Vers und reiht Strophen aneinander. Das Personal bei den Ballonen zeigt wohlwollend und auch wissend Contenance, verbunden mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken der Anerkennung. Ein paar der Umstehenden geben nach dem Strophenende einen kleinen klapsenden Applaus, dennoch folgt die nächste Strophe. Da die Rotgekleidete nur den leeren Krug hinreicht und keine Zeichen zeigt, den Fluss der Melodie zu unterbrechen, kommt bei mir kurz der Gedanke auf, dass sie das Zahlen mit klingender Münze zu sehr wörtlich nimmt. Wie viele Strophen wären das wohl noch für einen vollen Krug?
Bus im Staube, daneben Kirschbäume gereiht und gestapelt
Wir sitzen in gewisser Entfernung und verkosten selbst zwei Sorten des süffigen Obstweines, eine rot, die andere weiß. Dann ist der Zeitpunkt da, wo man sich wünscht, dass dies die letzte Strophe sei, der frisch gezapfte Liter mit einem Lächeln beglichen wird und man wieder die Bienen summen hört dort in den Blüten und die Hummeln. Es bleibt ein Wunsch, auch wenn das Lächeln im Gesicht anhält bei den meisten Leuten. Von der Bank hinter mir höre ich aus einer Männerkehle nicht laut, doch herzlich Worte, die auch ganz stark nach Heimat klingen: „Die Tante da kricht ahr keen Wein mehr!“
Stilles Gebrabbel von den Nebentischen
Dann kehrt tatsächlich Ruhe ein, alles wieder zu seinen Gesprächen zurück und die Dame zu Ihren Dürstenden. Der nächste Bus ist da, bringt viele neue Leute mit und fröhliches Gebrabbel. Nebenan unter den Kirschbäumen sitzen zwei Mädchen und flechten Haarkränze aus frischen Butterblumen, ganz vertieft. Wir machen Platz, ziehen im leichten Schwebeschritte weiter und verschwinden bald im blütenweißen Staub des nächsten Busses.
Die erste Schwalbe dieses Jahres saust schwalbenstill und pfeilschnell über den butterblumengelben Wiesen lang – jetzt muss es doch bald vorbei sein mit dieser zähen Kälte! An der Oder rutschen die Nachttemperaturen noch immer weit unter Null und fordern Härte ab von liebenswerten Schlüsselblumen und Adonisröschen, und tagsüber ist es selbst im überheizten Berlin noch äußerst frisch und eine Mütze in der Tasche ratsam nach wie vor. Doch all die Bäume, die schon dicht von Blüten überplüscht sind, lassen sich davon gar nicht beeindrucken, ob auf dem Lande oder in der Stadt, und sorgen sogar tief im lichten Kiefernwald für duftende Überraschungen.
Forsthaus Frauensee bei Gräbendorf
Schon kurz hinter Königs Wusterhausen, dem letzten S-Bahn-Außenposten Richtung Südosten, beginnt bis fast zum Spreewald eine Landschaft mit viel Wald und vielen Seen, darunter einigen großen. Dank der kleinen Dahme haben Sie alle Anschluss an das Wassernetz, das bis nach Berlin reicht und damit über die Spree auch zu Havel und Elbe führt, respektive zum Pazifik und den Osterinseln.
Der Türsteher mit der lockenden Kurbel, Haus des Waldes
Mittendrin liegt die Dubrow. Dubrow ist der slawische Begriff für Eiche, und so wie dieser Name slawisch klingt, so weisen auch die Art der Landschaft und die Richtung darauf hin, dass der die nördlichen Ausläufer des Spreewaldes und das Einzugsgebiet der sorbischen Kultur nicht mehr allzu weit entfernt sind. Das ist übrigens auch daran zu merken, dass beim hervorragenden Bäcker und Konditor im Ort die Chancen auf ein Glas Buchweizenhonig ganz gut stehen. Der hat einen bedrohlich starken Charakter (der Honig, nicht der Bäcker), ganz gleich, ob er fast weiß ist wie Raps- oder Akazienhonig oder tiefdunkel wie solcher aus dem Walde, und mit Sicherheit trifft er nicht jedermanns Geschmack. Für andere ist er die Krönung eines ausgedehnten Sonntagsfrühstücks. Davon abgesehen ist er hierzulande schwer zu kriegen, in nahen Polen stehen die Chancen da schon besser.
Feuer- und Rastplatz, Haus des Waldes
Das Naturschutzgebiet Dubrow ist leicht hügelig, komplett bewaldet und erstreckt sich zwischen den Ufern von Schmölde- und Hölzernem See und dem Gipfel von Richters Berg. Obwohl das Areal recht klein ist, hat der Wald hier erstaunlich viele Gesichter und damit zumeist belaubte Kontraste zum guten alten Kiefernwald. In Ufernähe führt eine schöner Pfad hindurch, doch das ist Stoff für einen anderen Tag.
Einstieg in die Unterwelt und ins Käferdasein, Haus des Waldes
Rund um die Dubrow liegen tief im verschwiegenen Wald ein Zeltplatz sowie mehrere gut ausgestattete Ferienlager, jeweils direkt am See und gleichermaßen einladend für Klassenfahrten oder Familienurlaub. Die sind jeweils so großzügig angelegt, dass es nicht unangenehm auffällt, wenn gleichzeitig alle Betten belegt sind. Jeweils gut zu Fuß zu erreichen ist das Haus des Waldes. Es liegt beim Forsthaus Frauensee am Rand von Gräbendorf und ist ein ganz herrlicher Ort. Familien mit Kindern können hier einen richtig schönen Tag verbringen, und auch wer ohne Kinder unterwegs ist, wird seine Pause deutlich ausdehnen und sich mancher Neugier hingeben.
Stammplatz, Haus des Waldes
Frei von wissensvermittlerischer Trockenheit und pädagogischen Fingern, die gen Himmel weisen, kann man hier die verschiedensten Fragen und Gedanken zum Wald am eigenen Leib erfahren, ggf. erst finden und sich dann selbst beantworten. Sich rundum wohlfühlen und dabei entdecken und staunen, und das über Stunden. Wer als Kind einmal hier gewesen ist und eigentlich nichts mit Wald am Hut hatte, wird das danach anders sehen, zumindest ein bisschen. Und auch ein paar Muskeln spüren, von denen er vorher gar nichts geahnt hatte. Den Duft des Waldes kennen, in vielen seiner Ausprägungen.
Option auf ein Lied, Haus des Waldes
Es kann auch ganz einfach gespielt werden, denn überall lockt es zum Klettern und Kriechen, zum Balancieren und Hangeln. Auch zum Lachen, zum Springen und zum Musizieren. Ein ganz besonderes Angebot und sicherlich ein anhänglicher Höhepunkt in den Erinnerungen am Abend, wenn vor der Schlafenszeit die Erlebnisse des Tages als Dauerschleife durch den Kopf laufen, ist die Hirschkäferwelt. Da der Hirschkäfer zu den größten Käfern Europas zählt, ist es vielleicht leichter, in seine Haut bzw. seinen Panzer zu schlüpfen als in den eines winzigen Krabbelkäferchens.
Wissen von Generationen
Wer bereit ist, seinen Blickwinkel eine Zeitlang gegen den eines Hirschkäfers zu tauschen, traut sich hinein in den dunklen Panzer des Käferweibchens, wird erst zum Ei und dann zur Larve. Ehe aus der Larve die Puppe geworden ist, dauert es richtig, richtig lange. So lange, dass es niemand vergessen wird, der es erlebt hat. Aus der Puppe schlüpft vergleichsweise schnell der Käfer, der sich sofort ohne fremde Hilfe im Wald mit all seinen Hindernissen zurechtfinden muss. Die Flugfunktion gibt es erst später, die will zunächst zu Fuß verdient sein. Auch die ersten Flugversuche haben ihren Preis, und wenn das endlich klappt, kommt schon bald die Konkurrenz aus den eigenen Reihen ins Spiel. Wenn sich schließlich alle gefunden haben, gibt es zum Abschluss ein kleines, harmloses und köstliches Saufgelage.
Vom Wald der Dubrow Richtung Pätz
Wer sich nicht für derlei Käfereien angemeldet hat, kann die Kinder einfach ausschwärmen lassen in das sympathische Gelände und mit aufgesperrten Elternohren das erste „Kommstemaher!“ oder „Guck mal hier!“ erwarten. Oder mit ihnen gemeinsam losziehen, sauber strukturiert oder herrlich planlos. Mitmachen oder anfeuern, loslassen oder an die Hand nehmen beim Erkunden. Wo man auch hinschaut, ist Holz, und egal in welche Richtung der Blick gewendet wird, bleibt er hängen und ändert die Bewegungsrichtung, um rasch nachwachsende Neugieren zu stillen.
Es lässt sich also ein schöner Tag verbringen, wenn man vom märkischen Angerdorf Gräbendorf zum Forsthaus spaziert, einiges später von dort den Pfad durch den Wald mit seinen Portalen nimmt und dann die stille Straße zurück ins Dorf.
Badeufer in Pätz
Für mehr Spazierlust, vielleicht nach Pätz mit seinem schönen Badplatz, lässt sich die Landschaft des Waldes gegen die freie Sicht der Weiden und Wiesen eintauschen. Die sind von Gräben durchzogen, die sich gerade so noch überspringen ließen. Das ist nicht nötig, denn es gibt Übergänge jeweils dort, wo sie gebraucht werden.
Wer in Pätz nicht die lange Straße bis zum Dorfplatz gehen möchte, kann auch direkt zum Wiesenstrand abbiegen. Direkt hier beginnt eine kleine Seepromenade, auf der man rund um den Pätzer Vordersee zum Bahnhof von Bestensee käme.
Von Pätz Richtung Tonstichsee
In Pätz wurden einst Ziegel gebrannt, und die wenigen Spuren, die es davon noch gibt, führen zu einem anderen See. Der gern zur Erfrischung genutzte Tonsee ist über einen winzigen Pfad zu erreichen, dessen Einschlupf leicht zu übersehen ist. Wer die eigenartig-faszinierende Gestalt von Tonstich-Landschaften kennt, vielleicht schon bei Klausdorf am Mellensee unterwegs war oder in den Glindower Alpen und den Zauber solcher kleinräumigen Reliefdramatik erlebt hat, wird am östlichen Ausgang von Pätz schon die Nachtigall trapsen hören, wenn er versucht, die wildwüchsige Botanik mit seinem Blick zu durchdringen. Apropos – während in Berlin schon seit zwei Wochen die Nachtigallen an den lautesten Stellen ihrer Wahl dem Stadtlärm die zarte Stirn bieten, war hier im Ländchen erst in diesen Tagen die erste dieser virtuosen Kehlen zu vernehmen.
Butterblumiger Schwalbenflugplatz kurz vor Gräbendorf
Vom Tonsee führt entlang eines Wassergrabens ein direkter Weg mit freiem Blick über die Wiesen zurück nach Gräbendorf. Wer noch immer nicht genug hat und dazu etwas Waldlust übrig, kann alternativ der Waldsiedlung Uhlenhorst und dem Weinberg einen flüchtigen Besuch abstatten. Auch hier gibt es den freien Blick auf dem letzten Kilometer, und wer Glück hat, wird am Ortsrand von Schafen erwartet, die nach kurzer Prüf- und Fremdelphase ihre Lämmchen vorzeigen, aus sicherer Entfernung. Und einem hinterherschauen dann, fürsorglich. Bis der Sichtkontakt abbricht.
Spaziergänger in der jüngsten Saat
Zurück in Gräbendorf bleibt nach diesem Tag das Gefühl, vier verschiedene Landschaften gesehen zu haben, und das an mindestens zwei Tagen. Im Ohr klingt noch manch Schnabel nach, die Lungen sind gefüllt mit Wald und Frühling und später dann, im Traum, wird sicherlich ein Käferchen durch die Kulissen latschen.
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): von Berlin-Alexanderplatz über Königs Wusterhausen, dann mit dem Bus; von Berlin-Ostkreuz über Zeesen, dann mit dem Bus (ca. 1-1,25 Std.)
Anfahrt Pkw (von Berlin): über die Autobahn, dann Abfahrt Bestensee; reizvoller: über die Berliner Vororte (Königs Wusterhausen, Wildau, Zeuthen, Eichwalde, Schmöckwitz)(ca. 1-1,25 Std.)
Länge der Tour: ca. 14,5 km, Abkürzungen sehr gut möglich (mit Kindern kleine Rundtour von Gräbendorf zum Haus des Waldes, ca. 5 km; bis Wegpunkt 8, dann direkt zurück zu Wegpunkt 1)
(Abkürzung vom Abzweig Tonsee bei Pätz direkt nach Gräbendorf Wegpunkte A-E)
Es ist immer wieder erstaunlich. Da tingelt man seit Jahren durch alle möglichen Teile Brandenburgs und ist noch nie darauf gestoßen, dass es da um die Ecke von Potsdam eine bewohnte Insel gibt, komplett umschlossen vom Wasser der Havel und dabei so groß wie ein Berliner Stadtteil. Mit richtigem kleinen Inselflair, das von den Bewohnern auf herzliche Weise gepflegt wird und keineswegs konstruiert ist. Sicherlich – die jenseitigen Küsten sind an den meisten Stellen nicht mehr als einen Steinwurf oder Pfeilschuss entfernt und mancher See-Insulaner mag milde lächeln, doch Fakt ist ebenso, dass Töplitz für motorbetriebene Fahrzeuge nur über eine einzige Straße zu erreichen ist, von Osten her.
Wegweiser in Neu Töplitz
Ähnlich Fehmarn in Schleswig-Holstein wird die Insel von einer Autobahn gequert und ist daher auch auf diesem Wege gut zu erreichen, unter Nutzung der erwähnten Straße. Ebenso gut lässt sich per Rad auf die Insel gelangen, denn seit der letzten Jahrtausendwende führt ebenfalls von Osten ein Fußgängersteg in ansehnlichem Bogen auf die Insel. Der passende Bahnhof ist der von Golm, einem Dorf etwas westlich des Parks von Sanssouci. Vor einigen Jahrzehnten gab es von Phoeben noch eine Fährverbindung nach Töplitz, über deren saisonale Reaktivierung aktuell nachgedacht wird. Über die ganze Insel zieht sich ein Netz von Wander- und Radwegen, das Optionen für das abwechslungsreiche Verbringen mehrerer Tage bietet und die Entscheidung für nur eine Tour keineswegs leicht macht.
Im innersten Zentrum des Ortes Töplitz
Töplitz ist ein Ortsteil von Werder und führt einen Kirschzweig im Wappen. Das sieht man der Insel an vielen Stellen noch an, auch wenn die Spuren allmählich verblassen. Auf der leicht erhobenen nördlichen Hälfte der Insel ist von fast jedem Punkt eine Obstplantage oder Streuobstwiese zu sehen, meistensteils Kirschen, wie sich versteht.
Der Töplitzer Süden ist meistenteils friesisch platt und wasserdurchtränkt, doch zwischendurch erheben sich eindrücklich und an mehreren Stellen kleine Höhenzüge oder regelrechte Berge. Einer von ihnen steht frei in seiner topfebenen Umgebung und präsentiert am langen Südhang einen schönen Weinberg, der sicherlich irgendeinem Superlativ genügt. Das zugehörige Weingut schmiegt sich östlich an den Fuß des Berges, zum Dorf Neu Töplitz hin. Die wiederbelebte Weintradition wurzelt irgendwo bei den Aktivitäten des Klosters Lehnin, das in der Geschichte der Insel eine relevante Rolle spielte.
Rebenhang am Klosterberg, Neu Töplitz
Töplitz betont seine Insellage, ist aber diesbezüglich nicht extra touristisch aufgebrezelt worden. Aus meiner Sicht ist es grundehrlich und gibt ein echtes Stück vom Brandenburger Leben wider. Der direkte Kontakt zur Küstenlinie ist nur an einigen Stellen möglich, doch dann ist es um so eindrucksvoller, wenn sich vor einem die weite Fläche des Göttinsees aufspannt, je nach Wind und Wetter aufgepeitscht oder ruhig und blau. Oder sich am jenseitigen Havelufer über Phöben die steil ansteigenden Höhen der Phöbener Heide erheben, mit ihrem leuchtend in die Bergflanke gegossenen Dünenhang. Auch der leicht verwunschene, schmale Übergang bei Einhaus oder das geradelinige Ufer des Kanals im Norden sind den Besuch wert und unterstreichen die Vielgestalt der Töplitzer Gestade.
Obstwiese im Inselnorden
Töplitz
Beim Bäcker kurz vorm Ortskern ist es schon zu beobachten, was in der Ortsmitte fortgeführt wird. Diese Stimmung von Insel. Bevorzugtes Verkehrsmittel für den kurzen Weg zum Besorgen der Brötchen oder der Butter fürs Frühstück oder auch des Biers zum abendlichen Grillen ist hier ein solides Fahrrad ohne viel Zierrat. Das Tempo ist entspannt, das Fahrradschloss bleibt in den meisten Fällen ungenutzt. Allein bei diesem Anblick fühlt man sich schon im Urlaub, wenigstens ein bisschen. Ganz gleich bei welchem der Geschäfte, es ist stets ein leichtes, angenehm entspanntes Kommen und Gehen.
Gegenüber des zentralen Schwarzen Bretts an der meistgenutzten Kreuzung der Insel liegen in friedlicher Koexistenz zwei Geschäfte, die sich gegenseitig ergänzen, fast ohne Überlappung. Im Inselmarkt gibt es alles, was sich verzehren lässt oder alle wird in absehbarer Zeit, die Waren also des täglichen Bedarfs. Waren des monatlichen, jährlichen oder einmaligen Bedarfs hingegen und fast ausschließlich solche, die als unverdaulich gelten, bietet in einer kaum fassbaren Mischung der Töplitzer Einkaufsmarkt. In nur drei bunt-gemischten Regal-Reihen gibt es hier alles, was man sich an drei langen Abenden am Lagerfeuer hätte ausdenken können, nur um auf etwas zu kommen, was sie dann doch nicht haben hier.
Robinienwald auf dem Weg zum Göttinsee
Vergebens vermutlich, denn hier gibt es wirklich so gut wie alles. Von der handgetöpferten Butterdose über Filzstifte und –pantoffeln bis hin zu 5-Kilo-Hämmern und Autolack, Angelsehne oder einzelnen Schrauben. Auch ein Set fürs Entenangeln bekommt man oder ein Schnapsglas oder Vogelfutter. Angeschlossen ist ein gut sortierter Blumen- und Pflanzladen, und betrieben wird das Ganze von zwei Damen, die das Herz am rechten Fleck haben und den größten Teil der Kundschaft mit dem Namen ansprechen. Wer hier war, kommt gerne wieder. Ergänzt wird dieser Kiez durch ein Hotel, von dem direkt die Stichstraße zum Strand zu führen scheint.
Der Frühling hat das Land unwiderruflich erreicht, da kann es an einzelnen Tagen der Woche gern noch kalt grau und und wettrig sein, doch das Erwachen aller Natur ist angelaufen. Dementsprechend sind alle draußen in ihren Gärten, mit einem Lächeln in den Sinnen oder im Gesicht, und auch beim Kindergarten wird der Spielplatz aufgehübscht, ein neues Segelschiff zusammengenagelt und frischer heller Sand verteilt. Am Ortsrand geht es kurz hinab und macht erst klar, das Töplitz etwas auf der Höhe liegt, was sinnvoll scheint und darum einleuchtet für den Hauptort einer Insel. Unterhalb eines kleinen, zerfurchten Höhenzuges voller Kiefernwald, einem Spielparadies für Kinder und Mountainbiker, ruhen ungestört zwei Angelteiche mit schönen Uferstellen.
Uferplatz in Göttin
Neu Töplitz
Auf den wenigen Metern zwischen dem Ortsschildern von Töplitz und Neu Töplitz rückt der Klosterberg ins Bild, der prägnanteste Berg der Insel, und präsentiert stolz seinen flachen Südhang, bedeckt mit langen Reihen von Rebstöcken. Schöne Wege locken hin zum Berg, der sich komplett umrunden lässt. Solcherart einladend sind viele Wege auf der Insel, und in der Tat sind den ganzen Tag über Radfahrer und Spaziergänger anzutreffen, ganz gleich in welchem Winkel. Östlich von Neu Töplitz zieht sich ein sumpfiger Gürtel aus Bruchwald hin, der mal etwas Zuwendung von Menschenhand vertragen könnte und über den Abzugsgraben in den Sacrow-Paretzer Schifffahrtskanal entwässert. Gleich dahinter beginnt der einsame und weite Norden der Insel mit weiten Blicken bis nach Potsdam oder Nauen.
Hölzernes Stillleben bei Göttin
Streuobstwiesen wechseln ab mit Kiefern-, dann mit Birkenwald, und voraus schiebt sich die Kajüte eines Schubverbandes durch die Landschaft und markiert klar den Verlauf des erwähnten Kanales, der für eine direktere Verbindung zwischen den Städten Brandenburg und Potsdam sorgt. Schließlich führt ein Weg vorbei an klammen Auenwiesen schnurstracks hin zum Göttinsee, zuletzt noch durch ein Wäldchen von Robinien, die mit erstem diffusem Laub schon jetzt das typisches Licht solchen Waldes schaffen. Am gegenüberliegenden Ufer des weiten Sees sind einige Häuser von Paretz zu sehen, weiter hinten in hellem Grau der hohe Speicher im Hafen von Ketzin.
Göttin
Wer einen Fuß in den See stecken möchte oder noch mehr von sich, kann dies direkt in Göttin tun, wo es einen einladenden Rastplatz gibt mit Seeblick-Schaukel und Bänken. Entlang des Uferwegs liegen schöne Gärten, einer ist klein und besonders verspielt und warnt ausdrücklich mit den Schildern „Spielen erwünscht“ und „Betreten der Baustelle nur für Kinder“. Gleich dahinter liegen Teiche schwarz im Bruchwald, und gegenüber am Seeufer haust eine Weide, spektakulär aufgespalten, mit langarmig abgelegtem Holz. Gleich daneben ruhen landunter zwei Holzkähne an ihrem Steg. Oben in den Wipfeln halten ein paar kohlrabenschwarze Raben eine angeregte, geordnete Debatte. Ohne Aggression, doch mit Nachdruck in den Argumenten, so zumindest klingt es.
Kuhweiden zwischen Göttin und Klosterberg
So wie nördlich von Göttin liegen auch hier im Süden des Weilers ausgedehnte Weiden, die lose bevölkert werden von Kühen und allerlei Kälbchen, die ihre ersten Schritte schon ein paar Tage hinter sich haben. Von vorne kommen Radfahrer, die mit Sicherheit keine Insulaner sind, gerade vom Sattel rutschen und gemeinsam die Kuhweide im Detail entdecken. Gesteuert wird der Verband von der Mutter, die sich und ihre zwei Jungs im höheren Grundschulalter vom Helm bis zum Clickpedal-Schuh in hauteng sitzende High-Tech-Kleidung mit dezent eingenähten Protektoren verpackt hat. Die Farbgestaltung sieht hochpreisig und nach Profi-Rennen aus, ebenso die Mountain-Bikes. Der zu vermutende Zeitaufwand in der Ankleide lässt hoffen, dass er gerechtfertigt war und alle Berge und Höhenzüge der Insel mindestens einmal bezwungen wurden bzw. noch werden. Oder die Familie einfach so einen schönen Tag auf der Insel hat, ganz frei von einem Pensum oder Plan.
Der Klosterberg mit seinem langen Südhang
Hinter einem Waldstreifen öffnet sich dann eine teilweise wasserdurchtränkte Weite, die an das Vorland von Salzwasserküsten erinnert. Weit voraus sind Reihen von hochgewachsenen Pappeln zu sehen und der markante Fernmeldeturm auf dem Wachtelberg bei Phöben, rechts liegen feuchte Flutwiesen mit umgestürzten Pappeln, die unbeeindruckt weiterwachsen. Dahinter ein Schilfgürtel und das Wissen um die Bögen der breiten Havel. Beim Blick Richtung Binnenland zeigt noch einmal der Klosterberg sein elegantes Profil, mit dem weit auslaufenden Rebenhang gen Süden. Das dürfte über ein paar Fläschchen so zum Spaße weit hinausgehen, wenn die Töplitzer Weinlese ansteht und sich der diesjährige Ertrag abschätzen lässt. Falls es ein Winzerfest gibt später im Jahr, sollte man sich den Termin schon mal vermerken.
Plattes Land im Inselsüden
Im weiten Bogen führt der Wiesenweg um den Berg herum bis zur Alten Fährstraße, deren über die Straßenmitte gebeugtes Ziegelstein-Pflaster mit den Zeiten rundgeschliffen wurde. Die Eichenallee führt auf direktem Weg zur Havel, zu der Stelle am Ufer, wo die Fähre nach Phöben übersetzte. Jetzt sitzt dort ein Angler, glücklich über diesen Tag und euphorisch im Auswerfen seines Blinkers. Direkt daneben steht die perfekte Bank für ein verschwiegenes Päuschen. Der Blick fällt aufs gegenüberliegende Ufer, wo fast schon pittoresk eine Reihe bunter Lauben dicht am Ufer hockt, mit winzigen Parzellen drumherum und ziemlich sicher einem Steg für jede einzelne von ihnen. Ein Motorbötchen, so eins mit Windschutzscheibe und Lenkrad, läuft gerade ein im großen Bogen und tut das so würdig und erhaben, wie es eben geht in dieser Größenordnung. Krönt das Glück dieses Tages am anderen Ufer.
Alte Ziegelsteinallee
Voraus ins Land ragt eine lange Reihe alter, baumeshoher Weidenbüsche. Die Eichenallee setzt sich fort bis an den Rand von Töplitz. Nach rechts bietet sich ein Bild, wie es selten ist im Land Brandenburg – weit hinten streckt sich kilometerbreit die Autobahn übers flache Tal, gestützt auf breite Pfeiler. Ist nicht zu hören, dank des Windes, der eher von Westen kommt. Ein schmaler Pfad führt vorbei an Pferdekoppeln und einem alten Schlot. Aber hier geht es jetzt eine Weile am Wasser lang, nicht direkt am Ufer, doch mit Sichtkontakt zur kleinen Havelwelle. Und einem hübschen Badestrand mit Liegewiese.
Phöbener Ufer gegenüber
Töplitz
Ein schön geschwungener Plankenweg gibt den Auftakt für den leichten Zickzack-Kurs, der vorbei am zugeknöpften Hafen und hinter den Grundstücken wieder etwas Uferkontakt gestattet und damit einen kurzen Blick über den Kleinen Zernsee. Vorn die Straße ist schon wieder staubig trocken, obwohl noch gestern Regen fiel, doch das ist bekannt hier von der Gegend. An ihrem Rand wird Wild vom Insel-Jäger angepriesen.
Die Brücke der Autobahn ist erst zu sehen, dann zu hören, und gleich dahinter steht das Tor zum Hafen Ringel offen, das ist der für die Sportboote. Wobei angesichts der vielen Motoryachten und der wenigen Segelboote das mit dem Sport relativ zu sehen ist. Vier Männer, zwei davon mit ausgeprägter Ringmuskulatur, tragen im wiegenden Gleichschritt vier Gerüststangen vom Hafengelände zu einem Platz außerhalb des Hafengeländes und verdienen sich damit die Anerkennung Anwesender und den redlichen Genuss der Abendbiere. Fast schon unter der Autobahnbrücke steht auf dem Trockenen und scheinbar hoch über seinem Kiel ein smartes Dampferchen mit schmaler Taille und dem Namen „Andrea Doria“, der verschiedene Deutungen zulässt.
Lange Brücke über dem breiten Haveltal
Gleich nach dem Gelände des Hafens beginnt unmittelbar eine andere Welt – die des Wolfsbruchs. Nur ein einziger Weg führt auf diese große Halbinsel, die ein Paradies für Wasservögel sein muss. Die unmittelbare Nähe der Autobahn ist kaum wahrzunehmen. Direkt voraus wäre quer über den Großen Zernsee theoretisch die Insel mit der Altstadt von Werder zu sehen. Praktisch ist es eher die Brücke am Südende des Sees, vielleicht mit den Werderaner Kirchturm dahinter oder dem nach oben zeigenden Flügel der Bockwindmühle. Das wäre dann ein Blick von Insel zu Insel, quasi interinsulär.
Plankenweg am Ufer in Töplitz
Einhaus
Am Rande des Wolfsbruches lässt sich unterhalb des Schwarzen Berges ein komplett zweckfreier, doch reizvoller Abstecher aufs Festland einschieben. Der schattige Alleeweg endet an einer sehenswerten Fußgängerbrücke, die hinüber führt nach Einhaus. Um dem Abstecher mehr Gewicht zu verleihen als das bloße Wechseln des Ufers, steht hier vor dem Rückweg eine winzige Runde bereit. Wer gleich auf dem Festland bleiben will, kann von hier in ca. 3 Kilometern den Bahnhof Golm erreichen.
Geschäftiges Hin und Her am Sportboothafen
Vom Schwarzen Berg führt der Weg zwischen Waldhang und Bruchwald nach Leest. An einer Stelle scheint ein riesengroßer Müllsack mit mittlerweile historisch wertvollen DDR-Abfällen geplatzt zu sein, die sich weitflächig über den Bruchwald verteilt haben. Da sind alte Spülmittel-Flaschen, Fischdosen, Margarine-Deckel, Kaffee-Tüten und auch Gläser und Flaschen aller Art, die eindrucksvoll zeigen, wie farbecht das damals alles war – einiges ist verblasst, vor allem auf Metal, doch die Farben auf Kunststoffverpackungen sind noch kräftig wie eh. Vielleicht ließe sich jemand finden, der begeisterter Sammler ist und den ganzen Kleinkram aus der Botanik klaubt – und damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Am Sportboothafen
Danach kommen wir vorbei an einigen Ufergrundstücken, die auf spartanische und zugleich luxuriöse Weise dem Verbringen schöner Stunden der Freizeit gewidmet sind – wirksam konzentriert auf das Wesentliche. Als Maßnahmen der Vorbereitungen einer abendlichen Herrenrunde knackt schon ein Lagerfeuerchen, um das zwei von ihnen sitzen. Ein Dreibein steht bereit mit einem Hängerost. Ein Dritter älteren Semesters steht konzentriert auf seinem Kahn in einem Teich, der nicht viel größer als der Kahn ist, und zielt mit einer ebenso konzentrierten Angel auf den Teich. Ein Vierter schließlich eilt herbei auf Frauchens Rad, und ebenfalls von ihr stammt auch der weiche Korb aus Schilfgeflecht, der mittig am Lenker hängt. Darin sorgsam abgelegt wie ein Neugeborenes sind Bierflaschen, Hals zu Hals gestapelt oder Krone zu Krone. Die sind vermutlich gleichzeitig Plan A, Plan B und sichere Bank für alle vier, falls der im Kahn nichts für das Dreibein liefern kann.
Leest
Hinter einem Pferdehof geht es im Bogen hinauf zur Landstraße und über die Autobahn, rechts davon liegen zwischen Leest und Eichholz die beiden höchsten Erhebungen der Insel. Hinter der Obstplantage begrüßt ein großes Schild die Gäste auf der Insel, und am abzweigenden Wege treffen wir nun auf die ersten blühenden Kirschbäume dieses Jahres – ein wunderbares Geschenk zum Abend und eine schöne Vorausschau auf die Zeit der Obstblüte am Ende dieses Monats.
Der Fußgängersteg bei Einhaus
Zurück in Töplitz lockt hinterm Friedhof noch ein kleiner Schleichweg hin zur Kirche, deren Kirchhof trotz seiner Winzigkeit verzweigt und auch verwunschen wirkt. Die Kirche selbst ist offen, drinnen empfängt eine große Klarheit in der Gestaltung, dazu die unvergleichliche Stille eines solchen Raumes und nicht zuletzt die charakteristische Luft aus Holz und Stein und Kerzenwachs. Ein bunter Strauß steht am Altar und zeigt hier noch einmal, wie fortgeschritten schon der Frühling ist.
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): 1-2stündlich mit Regionalbahn und Bus 612 über Potsdam und Bhf. Golm (ca. 1,25-1,5 Std.)
Anfahrt Pkw (von Berlin): über Land (Charlottenburg-Spandau-Groß Glienicke-Neu Fahrland-Marquardt, dann kurz Berliner Ring, wahlweise auch Steglitz-Wannsee-Potsdam-Bornstedt-Leest) oder über den Berliner Ring, Ausfahrt Leest (ca. 1 Std.)
Länge der Tour: ca. 18,5 km, Abkürzungen, Teilung und Varianten sehr gut möglich (die Insel hat ein dichtes Netz an Wanderwegen)
Einkehr: Hotel Mohr, schräg gegenüber der Töplitzer Kirche (keine eigene Erfahrung)
Landgasthaus Mühlenberg (an der Straße Zur alten Fähre)(zwischen Töplitz und Neu Töplitz) (keine eigene Erfahrung)
Besenwirtschaft des Weingutes auf dem Weinberg, Neu Töplitz (keine eigene Erfahrung)
Hafenrestaurant und Biergarten am Yachthafen Ringel (italienische Küche)
Von einem Tag auf den anderen ist es Frühling geworden, nachdem zunächst krauchkalte und himmelgraue Wochen die zweite Märzhälfte fest in Schach hielten und sich einen Teufel um den Termin des Frühlingsanfangs scherten. All die Knospen und schüchternenen ersten Blüten knallen unter der kräftigen Sonne ungeduldig auf, schon am Morgen, und entknittern ihre geschickt verpackten Blätter zu einer Schönheit, deren Anblick tief und glücklich einatmen lässt. Der Tag verlangt nach reichlich freiem Himmel, einen großen See und vielen kleinen Gärten.
Stadtmauer und Steinturm
Ganz im Norden Brandenburgs liegt die Stadt Prenzlau. Sie hat noch einen ganzen Teil ihrer Stadtmauer und auch in diesem Rahmen zahlreiche Wolkenkratzer aus historischem Backstein. Im Mittelalter zählte Prenzlau zu den bedeutendsten Städten der Mark Brandenburg. Heute ist es noch die größte Stadt da oben und verfügt standesgemäß über einen schönen Bahnhof, an dem es durchaus lohnt, den Zug zu verlassen oder das Auto abzustellen und ein paar Viertel- oder Dreiviertelstunden durch die Stadt zu streifen oder vielleicht gleich übers Wochenende zu bleiben.
Prenzlau liegt an der Nordspitze des langgezogenen Unteruckersees, und diese Lage prägt die Stadt entscheidend mit. Das alte Prenzlau, also das, was von der mittelalterlichen Stadtmauer und ihren Lücken umschlossen wird, liegt sanft erhaben über der Weite des Sees, zum Ufer hin und auch nach Süd und Ost fällt ein kleiner Hang ab, direkt vom Fuß der Mauer. Zwischen Steintorturm und Wasserpforte, wo dieser Hang direkt nach Süden ausgerichtet ist, gab es über lange Zeit einen kleinen Weinberg. Nach weiteren Jahrhunderten Pause kam vor ein paar Jahren die Idee auf, die Weinbautradition neu zu beleben. Und so geideihen nun im Rahmen der Landesgartenschau von 2013, die im Stadtgebiet an vielen Stellen erfreuliche Spuren hinterließ, seit über fünf Jahren wieder Rebstöcke am Prenzlauer Südhang. Unterstützung deutsch-deutscher Art gibt es dabei aus der Weinregion Rheinhessen.
Stillgelegte Verbraucher und tätige Erzeuger
Dass die Stadt einmal sehr bedeutsam war, davon zeugt neben den vielgestaltigen Türmen der Stadtmauer auch die gewaltige und weithin sichtbare Marienkirche, die in den nächsten Jahren grundlegend in Schuss gebracht werden soll und in diesem Rahmen sogar eine neue Orgel erhalten könnte. Vor der Kirche wurde auf dem Marktberg ein einladender Stadtplatz mit Terrassen und allerlei Wasserspielen geschaffen, an dem sich ganz wunderbar beliebige Mengen an Zeit vertrödeln lassen, bevorzugt natürlich in der mützenlosen Zeit. Vom Bahnhof erreicht man die Innenstadt mit ihrer Bummelmeile in ein paar Minuten, in dem man einfach auf den ersten Turm zuläuft, der zu sehen ist.
Wer vorher noch etwas gezähmte Wildnis um sich haben möchte, kann einen kleinen Ausflug zur Ucker einschieben. Nach etwas Stadtrand-Gewerbe zweigt ein Feldweg Richtung Fluss ab, in Richtung Norden türmen sich hinter einer Mauer bunte Stapel von Autowracks vor entfernten Windrädern und lassen den Geist nach einem wortgewandten Sinnbild suchen.
Die Ucker nördlich von Prenzlau
Hinter einem Gleis, auf dem bis zur Jahrtausendwende noch Züge nach Templin ratterten, sind wir mittendrin in der Ucker-Landschaft. Ein kleiner Steg führt übers Flüsschen, dessen klares Wasser zügig fließt, fast eilig, als wär noch Schnee geschmolzen etwas weiter südlich. Noch liegt das blassblonde Gras in seinen Büscheln winterplatt und saftlos hier auf dem feuchten Grund, was auch fürs Schilf gilt, doch schon in wenigen Wochen wird es hier dicht und üppig grünen und mit satten Düften nur so um sich werfen. Mittendrin stehen ein paar Ponys und scheinen wild zu leben hier, wie Vagabunden.
Von der Ucker Richtung Voßberg
Voraus liegt weites Wiesenland, begrenzt durch einen sanften Hang, der vor der Erhebung des Voßberges liegt. Ein weit entfernter Wanderschäfer schickt scheinbar seinen Hund los, die Herde zu sortieren. Er selbst befindet sich im Kampf mit einem aufgerollten Zaun in leuchtendem Orange. Aus gleicher Richtung tönt ein Modellflugzeug. Und: es ist kein Hund zu sehen noch zu hören, dennoch rennt die Herde hin- und wieder her – ist das nun bloß der Stand der Technik in der Schäferei – ein Schäferflugzeug mit hochaufgelöster Bildübertragung in Echtzeit? Oder vielleicht der nächste neue Youtube-Star? Und ist das eigentlich steuerfrei, zumal als Nebenerwerb?
Fort von dieser Schar von Fragen führt der Weg über die recht breite Quillow, die mit reizvoll umständlichem Windungen aus dem Mecklenburgischen kommt, am erwähnten Voßberg vorbeischrammt und nur einen Flusskilometer später in die Ucker mündet, deren Dimension mehr als verdoppelnd. Dann ist der angenommene Schnee doch eher in Mecklenburg geschmolzen.
Laubenpfad zur Uckerbrücke
Kurz hinter der Brücke ruht reich an Uferschilf ein Teich, der ein beliebter Treffpunkt für den Abend sein dürfte. Hinterm Bahndamm liegen Kleingärten, und wenn dort die Tore offen stehen, lässt sich ein hübscher mopedbreiter Pfad direkt entlang der Ucker nutzen, die hier ursprünglich durch ihr flaches Bett schleicht. Sind keine Tore offen, kommt man trotzdem zum Pfad, nur etwas später. Eine kleine Brücke führt ans andere Ufer, und dort ist man sofort in Prenzlau. Jenseits der ersten großen Straße wird die Spur der Stadtmauer aufgenommen. Fast direkt vor der Mauer steht die kleine Kirche St.-Maria-Magdalena. Zu ihrer Bauzeit vor reichlich hundert Jahren hieß die heutige Neubrandenburger Straße noch Kuhdamm, und die verbliebene Stadtbefestigung nahm langsam ihre touristische Funktion auf.
Innerhalb der Stadtmauern hat das letzte Kriegsjahr 1945 fast nichts verschont, kaum Altes stehenlassen. Doch da das Neue nicht zu hoch gebaut wurde, wirkt die Stadt nicht unterkühlt, bringt leise Ihren schon nördlichen Charme zum Spielen. Dabei helfen maßgeblich die meist backsteinernen Bauten aus vergangenen Jahrhunderten, die fast überall im Stadtbild präsent sind, meistens hochkant von Gestalt. Von nahezu jeder Stelle ist einer der vielen Mauertürme zu sehen, die Mauer selbst oder ein Kirchturm.
Friedrichstraße Richtung Norden
Etwas Zickzack führt zur Friedrichstraße, der gemütlichen Laden- und Bummelzeile der Stadt, die in etwa zwischen Stettiner Torturm und Steinturm verläuft, ein Stück davon als Fußgängerzone. Im Zentrum des Mauerrings wurde hier auf dem Marktberg der erwähnte Stadtplatz mit den Wasserspielen geschaffen, der Modernes und Altes recht gelungen verbindet. Um ein Haar hätte hier ein Einkaufszentrum gestanden, doch die dazu befragten Prenzlauer entschieden zweifelsfrei dagegen – und damit für ihre einladende Friedrichstraße sowie für einen klaren Charakterzug in der Stadtmitte.
Blick vom oberen Plateau des Marktberges
Vom oberen Plateau des kaum drei Jahre alten Platzes bietet sich ein eindrucksvoller Panorama-Blick, bestehend aus der wuchtigen Ostfassade der Marienkirche, den Türmen von Heilgeistkirche und Mitteltor und den Fontänen des unteren Plateaus, die immer in Bewegung sind und scheinbar gut gelaunt. Bleibt der Blick am Turm des Mitteltores hängen, kann es sein, dass ein Groschen fallen will und nicht gleich fällt – eben dieser war Inspiration für beide Türme auf Berlins schönster Spree-Brücke, wo ehemals der Oberbaum der Stadt kurz überm Wasser hing und dafür sorgte, dass kein Wegezoll durch städtische Lappen ging.
Turm-Ruine mit gut gelauntem Durchblick
In der Steinstraße, der Verlängerung der Friedrichstraße nach Süden, wird der Blick mehrfach abgelenkt, zuerst vom schifflos dastehenden Ruinen-Turm der einstigen Nicolaikirche mit seinem kleidsamen Bullauge. Von dort tönt diffus Musik wie von einem großen Glockenspiel und lockt hinein in den Hof. Bis zuletzt ist unklar, ob die Klänge oben vom Turm her kommen oder dahinter ein bepackter Straßenmusiker steht und spielt an diesem Platz – es ist keine Melodie, dennoch uneingeschränkt melodisch und passt ganz wunderbar zur Atmosphäre dieses Ortes. Wir treten durch das hohe Portal und sehen dahinter ein Mädchen still begeistert hin- und herspringen, unter ihr neun Stahlplatten mit neun Tönen, angeordnet im Quadrat.
Pfad entlang der Stadtmauer
Zurück auf der Straße zieht der Steinturm den Blick wieder nach vorne, doch kurz darauf schweift er erneut nach rechts, diesmal zum ruhigen Hof des Dominikaner-Klosters, auf dem ein lebensgroßer bunter Harlekin sein Schalkwerk treibt. Von hier ist die Stadtmauer zu sehen, in ihr eine Pforte, und auch diese lockt. Das tut sie ganz zu Recht – direkt dahinter beginnt unmittelbar vor der Mauer ein zauberhafter Gang, erst schmal, doch wenig später schon zwei Leute breit. Zu Füßen dieses leicht erhabenen Mauerpfades liegen die kreisrunden Gärten der Landesgartenschau, der junge Weinberg mit seiner steilen Treppe zu den Gärten und die Freiluftbühne. Durch alles zieht sich markant eine Spur aus blau-weiß-gläsernen Beeten, in denen die Sonne ihre Spiele treibt, sowohl von Nahem als auch von hier oben. Ein kleiner Vorgriff auf den Unteruckersee, dessen weite Fläche sich mit gewisser Sogkraft voraus erstreckt.
Seepromenade am Unteruckersee
An der Wassertorpforte führt ein Weg von der Stadtmauer hin zur Uferpromenade mit dem neuen Stadthafen, wo sich schon ärmellos die Leute tummeln und das Gras plattliegen, an diesem lang ersehnten ersten Tag mit reichlich Frühlingssonne. Selbst griesgrämigen Menschen zieht es heute die Mundwinkel eher nach oben als nach unten, ob sie es wollen oder nicht.
Kussgarten und Weinberg vor der Stadtmauer
In die andere Richtung führt die breite Promenade als alte Allee zum Bade hin, vorbei am unteren Tor zum LaGa-Park mit seinen Gärten. Wer dort nur mal kurz reinschauen will, läuft Gefahr, am Ende doch alle Gärten besucht zu haben, denn ein Garten macht neugierig auf den nächsten. Das jedoch ist selbst in Familie und mit verschiedenen Interessen kein Problem, da man sich nahezu von überall gegenseitig entdecken und zuwinken kann. Das gilt auch für den fantasievollen Spielplatz dicht am Ufer.
Blauweißer Glasmulch auf den Beeten
Hinter dem Kreisverkehr am Bad neigen sich die Stämme der Allee landeinwärts – ein ganz spezieller Fall von Windflüchtern, da sie in langer Doppelreihe stehen und baumeshoch gewachsen sind. Wie ein im Tanz erstarrtes Ballett von meterdicken Ballerinas – oder doch eher Ballerinos. Zwischen den zurückweichenden Platanen strömen jetzt neben den schlendernden Spaziergängern etwas hastiger kleine Scharen von großen Jungs und Mädchen. Den Strom zieht es zum Sportplatz, denn dort ist irgendwas im Gange, ein Fest oder ein Spiel.
Gestandene Windflüchter an der Uferstraße
Noch vorher lockt die Option zur Abgeschiedenheit, ein Wiesenpfad folgt dem Lauf eines Rinnsals zu den Gärten in der zugehörigen Senke. Früher oder später führen die Wege über den Städtischen Friedhof zurück in die Stadt, die außerhalb der Mauer. Vorbei an einer neuen Schule und einem knuffigen Imbiss mit Biergarten ist man bald im langgezogenen Stadtpark, der mit seinen hochgewachsenen Bäumen unterhalb der Mauer liegt. Er wirkt ein wenig wie ein Refugium der Einheimischen, wenn sich an Südmauer und See die Stadtbesucher drängen. Auch hier stehen Türme auf der Mauerlinie, und die lichten Wiesen tief unter den teils krähenbewohnten Wipfeln sind hier und da überzogen von Frühblühern, solchen der ersten Stunde.
Im Stadtpark an der Ostmauer mit dem Hexenturm
Vorbei an einem letzten kleinen Park, von vorn kommt auf dem Rad ein Junge mit dem Lenker in der einen und zwei Pizzen in der anderen Hand, die Krönung dieses Tages dicht voraus. Von hier sind es nur noch ein paar Schritte bis zum Bahnhof, wo der facettenreiche Kreis sich schließt. Das Tageslicht hingegen ist lang noch nicht am Ende.
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): regelmäßig mit der Regionalbahn (ca. 1,5 Std.)
Anfahrt Pkw (von Berlin): entweder über Land (B 109, ca. 1,75 Std.) oder über die Autobahn (A 11, ca. 1,25 Std.)
Länge der Tour: max. 11 km (Abkürzungen sehr gut möglich)
Wer im zeitigen Frühjahr die Ankunft und Zwischenrast der Zugvögel miterleben möchte, muss dafür nicht unbedingt bis in die Prignitz oder ins Oderbruch reisen. Sehr gut geht das auch in den Ländchen rund um Linum, im Havelland oder zum Beispiel in der wasserreichen Landschaft rund um Falkenhagen, und zwar dem etwas südlich von Seelow. Na gut, da ist man dann auch schon fast im Oderbruch, doch auch ein paar Nummern kleiner haben ihren Reiz.
Hintertürchen zum Kirchhof
Falkenhagen liegt liebenswürdig eingesenkt in eine dieser schönen Landschaftsrinnen, wie sie im Osten Brandenburgs an mehreren Stellen zu finden sind und die eigentlich alle ganz besonders schöne Landschaften hervorbringen. Relativ bekannt ist das unvergleichliche, bezaubernde Schlaubetal. Doch auch der langgezogene Gamengrund, der sich über vierzig vielfältige Kilometer von den Berliner Randdörfern bis hinauf zum Oderbruch streckt, oder jener besonders waldreiche, der am Kurpark von Bad Freienwalde als Brunnental beginnt, schaffen jeweils ganz eigene, zurückgezogene und gleichzeitig einladende Welten. Den unausweichlichen Bezug zur Eiszeit lasse ich heute einmal dort, wo er gerade ist und bekräftige ihr nur kurz meinen Dank für diese Landschaften.
Buntes Altarraumfenster gen Osten
Auch die Rinne, an der Falkenhagen liegt, zeigt mit etwas Toleranz und ohne zuviel Wissenschaftlichkeit betrachtet eine beachtliche Länge, ist erstaunlicherweise kaum kürzer als das Schlaubetal oder der Gamengrund. Vom Tal der stark mäandernden Spree bei Drahendorf im Süden könnte man ihre Kontur auf einer reichlich überhöhten Reliefkarte vorbei an Briesen, Lietzen und Diedersdorf fast bis an den Rand des Oderbruchs bei Platkow nachfahren, ohne mit dem Finger großartig abrutschen zu können.
Falkenhagener Superlativ im Gesamt-Panorama
Falkenhagen/Mark
Falkenhagen ist von vielen Seen und Teichen umgeben, so dass es hier vermutlich keine Erwähnung wert ist, wenn man vom eigenen Haus aufs Wasser blickt. Nicht zuletzt aufgrund dieser natürlichen Gegebenheit ist das schöne Dorf bestens ausgestattet für angenehmes Verbringen freier Zeit. Mehrere Restaurants gibt es und das Oderlandcamp, das einiges Auf und Ab hinter sich hat und aktuell wohl für eine Falkenhagener Betten-Gesamtzahl von 338 sorgt. Vor allem aber gibt es eine großzügige Badestelle unterhalb eines robinienbestandenen Wiesenhangs – Berg und Tal sind in der Ortslage allgegenwärtig, und die Kirche steht immerhin zwanzig Meter höher als die Stelle, wo man den ersten spitzen Badefuß ins Uferwasser setzen könnte. Gegenüber der Badestelle ankert sogar eine schmale Insel mit mageren Bäumen, die vermutlich an keiner Stelle einem Fuß oder einem Knie festen Boden bietet, doch allemal ein schönes Ziel darstellt für hin und zurück oder „Wer erster da ist!“. Platz für einen sommerlichen Eiswagen auf dem pensionierten Fundament eines mutmaßlichen Kiosks ist auch vorgesehen.
Gänse über dem buchtenreichen Galgsee
Auf dem Weg zur Badestelle liegen ein Sportplatz mit sensationellen Tribünenplätzen, ferner ein ansprechender Spielplatz sowie eine Strandmuschel für kleine Aufführungen, wie man sie von Bäderorten am Meer kennt. Nur eben eine Nummer kleiner. Doch so abwegig scheint das nicht, wenn man hier und in der Umgebung einen Tag verbracht hat mit viel frischer Luft – Bad Falkenhagen in der Mark.
Radweg nach Arensdorf oberhalb der Weiherkette
Die vielen Seen und die Lage des Dorfes in ihrer Mitte gestatten viele Variationen des Lustwandelns oder Spazierens, ohne sich jeweils weit vom Badestrand bzw. der nächsten Möglichkeit für ein kaltes oder heißes Getränk entfernen zu müssen. Die umgebende Natur ist nicht nur einfach schön oder dezent spektakulär, sondern bei aller Kleinräumigkeit von großer Vielfalt. So gibt es verschiedenste Formen von Wald und stille Talgründe, weite Wasserflächen und dichte Feuchtwälder oder Sumpfland, wahlweise auch die große Weite mit stets leicht erhabenen Blicken über umschilfte Weiher und sanft-welliges Land.
Bei Jochenshof
Für die Verbindungen dazwischen sorgen neben breiten und weichen Wegen auch naturnahe Pfade und zwischen Schwarzem See und Schmielensee ein leicht abenteuerlicher und sehr verspielter Bohlenweg mit zwei stabilen Brücklein und einem kleinen Pass dazwischen. Das war jetzt im zeitigen Frühjahr mit seinen knappen Farbkontrasten schon von spezieller Schönheit und dürfte mit Laub an den Bäumen und Farbvielfalt im Spektrum fast ein wenig berauschend sein, dort nur wenige Zentimeter über dem Nassen über die Planken und durch die Botanik zu wackeln.
Weg zurück Richtung Falkenhagen
Am Beginn des Dammes zwischen Burgsee und Schwarzem See stand einst auf einem Hügel ein Schloss englischer Bauart über dem Wasser. Vom Schloss ist nichts mehr zu sehen, doch der Schlossberg ist noch da samt einigen Pfaden, die hinauf locken. Wer planlos nach Falkenhagen fahren möchte, kann sich am Parkplatz an der Kreuzung nördlich der Kirche die Karte anschauen und auf passende Ideen kommen. Hier ist gut dargestellt, wo am besten langgeht, wer eine, zwei oder drei Stunden unterwegs sein möchte – großartig verlaufen kann sich eigentlich niemand. Fünf Seen stehen bereit zur Umrundung, und von einem einzelnen bis zur Kombination aller fünf stehen alle Optionen bereit. Da sind dann noch nicht die weiten Hügelländer im Westen dabei und ebenso wenig die ausgedehnten Wälder der Falkenhagener Heide im Osten.
Im kleinen Talgrund am Mühlenteich
Apropos: wer seinen Wunschweg gegangen ist und womöglich nach so viel Lieblichkeit und Schönheit das Verlangen nach einem kalten Schauer an jedem einzelnen Wirbel des Rückgrats verspürt, kann diesem Verlangen mit einem Abstecher in diese Wälder nachkommen. Zunächst trifft man dort auf hierzulande eher seltene Tannen und Roteichen ebenso wie auf frühjahrslichte Buchen- und märchendunkle Fichtenwälder. Davon abgesehen sind der Wald und die Gegebenheiten stellenweise recht abweisend, was gut so ist und irgendwie passend. Was sich hier verbirgt, zum Teil unter der Erde, ist eine während des Zweiten Weltkrieges geplante und gebaute Fabrik-Anlage mit direktem Bahnanschluss. Hier sollten im großen Stil chemische Kampfstoffe hergestellt werden sollten, im Detail das Nervengas Sarin. Zum großen Glück kam das Ende des Krieges rechtzeitig, um diese Produktion gar nicht erst anlaufen zu lassen. Das einstige Verbindungsgleis von Falkenhagen hinauf zur Fabrik baute die sowjetische Besatzungsmacht im Rahmen von Reparationen ab, so dass nur Fachkundige im Ort selbst noch Spuren dieser Zeit ausmachen können. Auch das ist eigentlich gut so, denn ich finde, man darf die heutige Zeit doch ruhig die heutige Zeit sein lassen, solange die Geschichte nicht vergessen, an sie erinnert wird.
Brauner Steg am Schwarzen See
Denn einfacher als im teils spröden Gewirr der Waldwege und dennoch unvermindert effektiv geht es auch mit einem Besuch der wuchtigen Kirche, die zwischen den dicken Grundmauern ihres noch wuchtigeren Turmes eine kleine und gelungene Ausstellung zum Thema eingerichtet hat, hier im Herzen des Ortes. Diese bringt es gut auf den Punkt – und lässt einen nach dem Besuch erleichtert aufatmen, wenn sich drei dicke Türen später wieder der freie Himmel hoch über dem Scheitel wölbt und ein Hahn schreit irgendwo im Dorf oder ein davonstiebendes Huhn aufgackert.
Verwirrendes Spiegelschilf am Ufer des Schwarzen Sees
Und was sich unter diesem Himmel zur Zeit so abspielt, führt nun zurück zum Anfang. Allgegenwärtig ist das Hin- und Herziehen der lärmenden Gänsescharen, die sich von all den Seen hier scheinbar am mehrfach taillierten Galgsee mit seinem breiten Schilfgürtel und den flachen umliegenden Feldern am wohlsten fühlen. Die lose Weiherkette Richtung Jochenshof haben wiederum die Kraniche des heutigen Tages als passend ausgewählt, die einmal so nah wie noch nie neben uns auffliegen. Überall in den noch unbelaubten Wipfeln und im Buschwerk entlang der Wege und alten Bahndämme zwitschert und plappert es, die Vielfalt der Stimmen nimmt jetzt von Woche zu Woche rasant zu. Eine Geräuschkulisse wie ein freundlicher Tritt in den Hintern des Winters, auch wenn er sich den jetzt noch nicht klanglos bieten lassen wird.
Plankenpfad zwischen den Seen
Das unterstützen auch mit großem Einsatz Horden von Schneeglöckchen, die weit entfernt von irgendwelchen Gärten überall hier ganze Flächen weiß färben. Übrigens geht in dieser Hinsicht am nördlichen Ufer des Burgsees im Märzen eine charmante Idee auf, davon abgesehen ein schönes Suchspiel für Groß und Klein, wenn man unterhalb des Waldhanges den Uferweg entlangspaziert. Hier steht am Wegesrand ungefähr alle dreißig Meter ein kesser Krokus, leuchtend im nachwinterwurstigen Waldboden, und nie ist gewiss, ob es vielleicht der letzte war oder doch noch einer kommt. Als dann wirklich keiner mehr kommt, ist der gesamte Boden mit einem Teppich aus Efeu überzogen, der bis fast zum Schlossberg reicht. Da wäre es vielleicht vergebene Liebesmüh gewesen, das Spiel noch fortzusetzen, denn der immergrüne Efeu ist ja nicht nur immergrün, sondern auch höher als so ein Krokus.
Brücke beim Matheswall
Egal, ob man nun auf einer Bank am Wegesrand oder am Ufer sitzen möchte und den ganzen Tag nur gucken, ein Ründchen um einen der Seen spazieren und danach gleich hineinspringen oder sich längere Zeit im Schlurfschritt zwischen den Ortseingangsschildern von Falkenhagen treiben lassen – jede dieser Optionen ist lohnend, besonders natürlich, wenn das Licht schon länger bleibt und keine Mütze mehr benötigt wird. Doch auch zur Zeit der Laubfärbung, bei zugefrorenen Seen oder eben jetzt im spätwinterlichen Vorfrühling mit seinen ersten zarten Düften und vereinzelten Farbpunkten lohnt es, sich hierher auf den Weg zu machen.
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): nur wenige und umständliche Verbindungen am Tag (2,25-3 Std.)
Anfahrt Pkw (von Berlin): über B 1 nach Müncheberg, dort Richtung Frankfurt/Oder und in Petershagen links nach Falkenhagen (ca. 1,5 Std.)
Viele brandenburgische Landstriche werden maßgeblich bestimmt von Urstromtälern, was auch für die Stadt Berlin gilt. Für wen das Wort „Urstromtal“ weder nach guter alter Zeit klingt, noch in der Vorstellung verschiedene reizvolle Landschaftsbilder aktiviert oder abseits von jeglichem Sinngehalt einfach nur wohlklingend ist, stellt es möglicherweise ein sanft-traumatisches Überbleibsel aus dem Geographie- bzw. Erdkunde-Unterricht dar.
Rückblick nach Rieben
Falls von Interesse (falls nicht, geht es unter dem Waldbild weiter): so wie ich das behalten habe, liegt am Ende des unfassbar lange dauernden Bremsvorgangs eines jeden Gletschers ein Haufen Schutt und Gerümpel von unterwegs. Die Endmoräne. Diese ist zugleich eine Art Souvenir-Sammlung von überall, wo der Gletscher vorbeigekommen ist, schmirgelt diesem als Grundmoräne quasi in Echtzeit den weiteren Weg frei und hat letztlich, wenn sich einfach zu viel angesammelt hat, den endgültigen Stillstand der formlosen Eismasse zu verantworten. Mancher dicke Fels, der vielleicht lieber in Skandinavien geblieben wäre, verbringt sein weiteres Dasein daher beispielsweise kurz hinter Prenzlau. Am Ende klebt der Gletscher bewegungslos hinter seiner Endmoräne, fängt irgendwann an abzutauen und sickert und rinnt durch das ganze Geröll und Gestein ins davorliegende Land. Der stete Zufluss formt sich ein Tal, und da ist es dann irgendwann, das Urstromtal. Bleibt noch die Frage, wer die Täler dann bewässert, wenn der Gletscher einmal alle ist. Doch das scheint sich jeweils gefunden zu haben.
Im morgendlichen Kiefernwald am Hoheberg
Eines dieser Urstromtäler zieht sich, benannt nach dem Städtchen Baruth, südlich von Berlin entlang. Es reicht von der Elbe im Westen vorbei am Spreewald bis hin zur Oder im Osten und sorgt unterwegs unter anderem für die besonderen Landschaften im Einzugsbereich der Nuthe. Mittendrin liegt der Naturpark Nuthe-Nieplitz, benannt nach seinen zwei bestimmenden Flüsschen, und durch den zieht sich länglich die unter Naturschutz stehende und sehr wasserreiche Nuthe-Nieplitz-Niederung, in der beide Flüsse zusammenfinden. Hier und da stehen mittendrin auch ein paar Berge.
Strand ohne Badegäste am Glienicksee
Rieben
Am Rande dieser Niederung liegt, nicht weit von der Spargelstadt Beelitz, das hübsche Dorf Rieben. Alle Gärten sind besonders aufgeräumt, wie das so ist, wenn der Frühling erwartet wird, aber noch nicht losgelegt hat. Gleich von hier verleiten Schilder zum kompakten Rundweg um den Riebener See oder dem mittellangen Sieben-Seen-Weg, und in der Tat sind hier auffällig viele Menschen freizeitlich und bester Dinge unterwegs. Doch wir wollen heute länger draußen sein, denn dieser Tag ist nach einer schmuddelig-stürmischen Woche mit Schneetreiben und waagerechtem Regen durchdrungen von Vorfrühling, die Sonne kräftig und ihr Licht so klar und verlockend, dass man jede Stunde davon nutzen will. Der Februar sieht heute schon sehr nach März aus.
Direkter Aufsteig zum Gipfelkreuz des Weinberges
Rieben ist ein flämingtypisches Straßendorf, dementsprechend gibt es viele von diesen riesigen Hoftoren in kräftiger Farbe, die oben sanft gerundet sind, und vor jedem vierten davon steht ein bunter Wagen oder Stand, wo man Eier kaufen kann oder Kartoffeln, wahlweise auch süß oder herzhaft gefüllte Konservengläser aus heimischer Produktion. Das Gasthaus hat noch Winterpause bis zum nächsten Wochenende, und damit es ist nicht das einzige im Umkreis. Es ist eben doch noch Februar, zumindest gastronomisch.
Moderater Abstieg vom Weinberg
Vorn auf der Straße unterhalten sich zwei Fahrende, einer sitzt im Auto, einer auf dem Rad. Vom Dorfrand steigt ein Weg auf durch lichten Kiefernwald, hinauf in die bewaldeten Hügel des Hohebergs. Das niedrige Sonnenlicht fällt durch die hohen Stämme staubig auf den weichen Boden und lässt dem Wald noch seine Morgenkühle, daher wird auch in jedem Ameisenhaufen am Weg noch kein Finger gekrümmt. Mitten im Walde liegen gut windgeschützt beackerte Felder, der dunkle und frisch aufgeworfene Boden wirkt regelrecht erwartungsfroh. Und muss noch etwas warten. Weiter oben sind die Waldarbeiter zu hören.
Kirchentür in Dobbrikow
Plötzlich liegt voraus ein großer, unerwartet umzäunter Campingplatz, genau da, wo wir eigentlich lang wollten. Glücklicherweise ist eine kleine Hinterpforte offen, und auch beim Ausgang beim Glienicksee haben wir Glück, das eigentlich versperrte Tor ist gerade offen, weil heute klar Schiff gemacht wird für die Saison-Eröffnung im März. Naja, ansonsten hätte man außenrum gehen können. Am teils noch vereisten Glienicksee gibt es vom Campingplatz aus einen Strand mit schönem Terrassencafé. Aber eben erst ab nächste Woche.
Teils nasser Weg bei Dobbrikow
Nach der Teepause mit Blick auf den Strand führt ein schnurgerader Weg durch raschelndes Laub vom Glienicksee zum Vordersee, begleitet von einem Pappelwäldchen am sanften Hang. Das Ufer des Hintersees bietet ein paar schöne Badestellen an, und gegenüber ist schon Dobbrikow zu sehen. Langsam klärt sich die ungestellte Frage, wie der Sieben-Seen-Weg zu seinen sieben Seen kommt, denn allein rund um Dobbrikow liegen schon vier kleinere. Der Ort selbst liegt zwischen Vordersee und Bauernsee, die sogar miteinander verbunden sind.
Weiche Katzen am Wegesrand, mit Hardcover
Dobbrikow
Doch liegt Dobbrikow auch am Weinberg, einer kleinen, doch bemerkenswerten Erhebung mit steiler Nordflanke. Wer über diese an kalten Tagen den Aufstieg wagt, wird oben nicht mehr frieren. Keineswegs übertrieben scheinen daher auch das Gipfelkreuz und die Schutzhütte, von denen sich ein weiter Panorama-Blick in Richtung Osten bietet. In dieselbe Richtung liegt ein herrlicher Rodelhang, auf dem sich im Winter alle Altersgruppen tummeln. Heute könnten das eher die allerersten Bienen sein, doch im Detail treffen wir keine von ihnen.
Wärmendes von innen für draußen
Der kernige Zustieg von Norden und der gelassenere von Süden sind mit knorrigen Geländern ausgestattet, die im Zusammenspiel mit alten Eichen und sandig-wurzeligem Boden schöne Bilder schaffen. Am Ende des Abstiegs liegt ein sumpfiges Tal mit benachbartem Bruchwald, aus dem extrem laut exotische Vogelstimmen tönen – jedoch nur als Widerhall, wie sich herausstellt. Ein paar Minuten später lokalisieren wir die Voliére in einem Garten und wissen hier vor Ort, wie laut die Vögel wirklich sind. Zwischen den Seen spazieren wir durch das schöne Dorf, in dessen Herzen eine kleine private Sternwarte möglichst finsteren Nächten entgegenfiebert. Das dürfte hier ganz vielversprechend sein, tief in der Nuthe-Nieplitz-Niederung.
Wäldchen bei Hennickendorf
Vorbei an der Kirche mit ihrer schönen blauen Tür und Vorgärtchen, die bunt sind von Frühblühern, berühren wir kurz das Ufer des Bauernsees und die nächste Einkehrmöglichkeit, die in Kürze ihre Winterpause beendet. Zwei eilige Schwäne queren in wenigen Sekunden den See, mit dem eindringlichen Tönen Ihres Flügelschlags.
Der nächste Weg steht zum Teil unter Wasser. Da ohne Gummistiefel, nutzen wir die hohe Kante, die das struppige Gras zwischen Wegrand und breitem Wassergraben aufbäumt. Ganz hoch am Himmel, gerade so noch sichtbar, zieht eine einzige Gans nur Richtung Hauptstadt und krakeelt wie ein ganzer Schwarm von ihresgleichen. So viel zur Lautstärke von Vögeln – es ist doch immer eine Frage der Relation.
Rückblick auf Hennickendorf
Nach einem Stück entlang der Straße und einem Wäldchen machen wir die Bekanntschaft des Pfefferfließes, dem hier auch eine eigene Wanderrunde gewidmet ist. Von Süden bei Luckenwalde kommt es her und ist hier schon so breit, dass man nicht ohne Weiteres darüberspringen könnte. Gemeinsam mit der Nieplitz landet es im großen Blankensee und beide schließlich einen See und wenig später in der Nuthe.
Ponytrek im stillen Grunde des Pfefferfließes
Der nächste Waldhügel lässt sich auf einem Pfad vorbei am Gipfel queren und wirft uns aus an Station 6 von einem Trimm-Dich-Pfad. Was man hier machen soll, wird in der Darstellung „Flanken“ genannt. Die zeichnerische Umschreibung wirft Rätsel auf, was die verfügbare Körperbeherrschung normal muskelbefähigter Menschen betrifft. An einem schräg ansteigenden Rundholz soll man, gestützt auf einen einzigen ausgestreckten Arm, den kompromisslos ausgestreckten Körper jeweils von einer auf die andere Seite bringen. Zum kleinen Trost und zur verlustarmen Erhaltung des eigenen Selbstwertgefühls wird in den Ausführungs-Empfehlungen zwischen Sportlern und Nichtsportlern unterschieden. Doch falls das Zweck der Sache war: der Ehrgeiz ist geweckt. Doch der Zeitpunkt will partout nicht passen. Wie zur Bekräftigung des kaum gefassten Vorsatzes fliegt leichten Schrittes und bester Laune ein Mädchen aus dem Wald an uns vorbei, wirft einen freundlichen Gruß hinüber ohne knappe Atemluft und strebt der vorausliegenden Station entgegen, sich dort zu trimmen.
Im Talgrund des Pfefferfließes
Hennickendorf
Hinter einer wohlgesetzten Eiche mit perfekter Krone liegt ein Hügel, dahinter Hennickendorf, ein weiteres von diesen schönen Dörfern und das letzte für heute. Die Kirche ist von auffälliger Gestalt und gewisser Raffinesse, wenn auch aus bewährten märkischen Zutaten. Backsteinumrahmt sind die hohen Mauern aus Feldsteinen, der turmlose Giebel gestuft und doch mit einer Uhr. Oben auf dem höchsten Giebelzinken hockt etwas gewagt ein ausgewachsenes Storchennest, im Rahmen der Sicherheit der Langbeinigen angepflockt mit einem eigens installierten eisernen Kruzifix. Das sollte halten, mit Gottes Hilfe.
Schilf am Pfeffergraben
Vorbei an einer Krokuswiese bei der Kreuzung mit den vielen Armen halten wir auf den Mühlstückenberg zu und verlassen den Ort über die Straße Am Schwemmegraben. Ein Blick zurück zeigt ein friedliches Dorfbild, am Rande flammt kräftig ein großes Feuer aus knochentrockenem Holz und macht Vorfreude auf etwaige Osterfeuer in Monatsfrist. Vom Waldrand kommen in tiefer Gelassenheit vier Gestalten getrödelt, zwei Menschen, ein Esel und ein Hund. Später alle paar Minuten Mädchen zu Pferde oder zu Pony, mal mit sagenhaft langem Zopf, mal mit kurzem Pferdeschwanz am Haupt und allesamt fröhlich.
Holz für Rieben
Das Pfefferfließ hat sich zwischen den Dörfern einen verzauberten Talgrund geschaffen, still und breit und saftig grün, den die sinkende Sonne jetzt mit abendlicher Wärme versieht. Ein herrlich gemütlicher Weg begleitet den Waldrand, kurzeitig sogar als hohle Gasse unter den randständigen Wipfeln. Am Fuß einer wuchtigen Eiche hockt ein mit einfachsten Mitteln zusammengenageltes Bänkchen, zwei dicke Baumscheiben und ein Brett, perfekt hier und jetzt für eine Rast. Kurz öffnet sich am querenden Waldweg ein weiter Blick nach Norden, quasi in die allernächste Zukunft des Pfefferfließes, das hier im Grunde keinerlei Umweg macht, weiter südlich jedoch besonders verspielt seine Mäander ausprägt und einst sogar zwei Mühlen in Schwung brachte.
Verkleideter Steg am Riebener See
Zwischen Pfefferfließ und Pfeffergraben liegt im Wald ein Forsthaus, dezent und leicht zu übersehen. Kurz hinter der kleinen Holzbrücke über den Pfeffergraben bietet sich dann die schönste Rastbank des Tages unter einer Gruppe von Birken und mit einem Blick über die klammen Wiesen bis hin zum Hoheberg, dem höchsten Berg im weiteren Umkreis. Ein kleiner roter Traktor mit allerhöchstens zwei Zylindern unter der schmalen Haube zottelt eine Fuhre ätherisch duftenden Kiefernholzes über den sandigen Weg, die wohl für Rieben bestimmt ist.
Breiter Schilfgürtel am Riebener See
Ein Wäldchen später steht rechts ein seltsames Gebilde im Uferschilf – ein Vogelbeobachtungssteg, wie er noch nicht gesehen wurde. Der lange Zugang bis zur kleinen Plattform am Ende ist bis auf verschiedene Gucklöcher komplett mit dünnem Holz verkleidet, so dass sich unbeobachtet anpirschen kann, wer Neugier auf die gefiederte Privatsphäre verspürt. Am Ende wartet ein gemütliches Kabäuschen mit Sichtschlitzen für jede Beinlänge und Kopfhöhe. Viel ist nicht los auf dem Riebener See, bis auf zwei lümmelnde Schwäne am seezugewandten Rand des breiten Schilfgürtels und einen Versteck spielenden, sehr agilen Haubentaucher sind keinerlei Schnäbel oder Bürzel zu sehen. Der See liegt glatt und eben auch still. Das dürfte ein paar Wochen später gänzlich anders aussehen und auch völlig anders klingen. Andererseits – was wissen wir denn, was sich im Verborgenen im Schilf schon jetzt abspielt!
Abendliche Apfelbaumallee vor Rieben
Das letzte Stück nach Rieben liegt voraus. Am Ende des vorletzten Wäldchens beginnt eine junge Allee von Apfelbäumen und führt bis zum finalen Berglein der Tour direkt am Rand des Dorfes, dem Kolberg.
Auch Rieben strahlt jetzt diesen Abendfrieden aus, hier wird ein Schwatz gehalten, da ein privates Blümchen noch verkauft am Straßenstand. Das Licht des Tages ist noch da, doch zieht der Himmel langsam zu mit Wolken und damit die Dämmerung ein wenig vor. Es ist ja schließlich noch nicht März.
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der Regionalbahn bis Michendorf, von dort mit dem Bus Richtung Dobbrikow (Bus verkehrt leider sehr selten)(ca. 1,75 Std.)
Anfahrt Pkw (von Berlin): entweder Bundesstraße über Ludwigsfelde, Trebbin, dann Richtung Beelitz und über Zauchwitz nach Rieben (ca. 1,25 Std.),
oder Autobahn bis Abfahrt Michendorf, dann über Beelitz und Zauchwitz nach Rieben (ca. 1 Std.)
Länge der Tour: ca. 19 km, Abkürzung oder Teilung möglich (breiter Feldweg von Dobbrikow zum Forsthaus zwischen Pfefferfließ und Pfeffergrund)
Download der Wegpunkte (wer probieren möchte, ob am Campingplatz Glienicksee die Tore geöffnet sind: bei WP8 weiter mit WP41-48, dann in Dobbrikow weiter bei WP13)
Wenn an hellen Tagen die Luft besonders klar ist und schon eine Ahnung des Vorfrühlings geschäftig durch den letzten Wintermonat geistert, gleicht diese Stimmung einer kleinen Befreiung – sei es nun von der lichtärmeren Zeit des Jahreskreises, vom umfänglichen An- und Ausziehen oder von der Jahreszeit des weitgehenden Stillstands in der Natur. Zu spüren ist dieser zarte Freiheitsschlag am Tönen und Huschen der Schnabelwesen oben in den Wipfeln und unten im dichten Geäst der Büsche, an den kräftigen Farbtupfern der Frühblüher in der von Erdtönen beherrschten Landschaft oder an den Düften der abgetauten und aufgebrochenen Erde und des ersten Grüns an den Büschen.
Die Dorfstraße von Ringenwalde
Zudem ist die Sonne im fortgeschrittenen Februar schon spürbar kräftig, kalt ist es an sonnigen Tagen nur dort, wo sie nicht hinkommt und der Wind durchgeht. Wo den ganzen Tag Schatten liegt, kann der Raureif bis zur Abenddämmerung überstehen, währenddessen an der Hauswand gegenüber schon ganze Horden euphorischer Krokusse vor dem aufgewärmtem Mauerwerk leuchten.
Möchte man so etwas vor Feldsteinmauerwerk sehen, empfehle ich eine Reise in die Uckermark. Hier gibt es auffällig viele Dörfer mit solchen Häusern, die von ihren Bewohnern anscheinend besonders geliebt werden. Ob das nun am Klischee vom rückbesinnlich bauernden, finanzkräftigen Wochenend-Berliner mit dem Haus in der Uckermark liegt, sei dahingestellt, doch die Impressionen beim Durchqueren der Dörfer sehen schon nach vorwiegend Einheimischen aus.
Stille Allee nach Julianenhof
Zudem geht das im Februar noch relativ niedrige Licht der Sonne mit der sanft geschwungenen Landschaft, den vielfältigen Wäldern ihrer teildurchtränkten Moränenlandschaften und all den resultierenden Schatten eine sehr einnehmende Liaison ein. Bei all den Hügeligkeiten kann es da durchaus vorkommen, dass man den ganzen Tag an irgendwelchen schönen Seen vorbeispaziert, aber nicht einen von ihnen zu sehen bekommt, da sie stets leicht eingesenkt hinter dem nächsten Buckel liegen.
Ringenwalde
Ringenwalde, eins von zweien im Land Brandenburg, ist eines dieser schönen Dörfer, die ich meine. Umgeben von sanften Tälern und offener Landschaft, mit einer schönen Kirche, zwei Gaststätten und sogar einem alten Bahnhof, der jedoch schon seit zehn Jahren keinen regulären Zug mehr sah. Früher hielt hier die Linie von Templin nach Joachimsthal, das erledigt jetzt ein Bus. Im weiten Bogen um das Dorf zieht sich ein fast geschlossener Ring von dichten Wäldern, wogend mit viel Auf und Ab. Dazwischen immer wieder feuchte Senken, meist morastig und versunken in sich selbst.
Kraniche jenseits des Talgrundes
Schon ein paar Minuten später wird er erfüllt, der Wunsch von weiter oben. Auf der linken Straßenseite liegt reifgewordener blasser Frost im Schatten der Häuser, während nördlich der Straße vielfarbige Blüten straußig und ganz dicht am Feldstein sprießen, als wäre es nichts. Ein Ringenwalder beendet gerade einen Schwatz mit einer Ringenwalderin an der doppelflügeligen Haustüre und setzt sich in Bewegung Richtung Westen. Sein Schritt ist ruhig, dabei zielgerichtet und vermittelt damit das Gefühl, es wäre endlos lang, das Dorf. Denn allerhand Minuten ist er so zu sehen, beim Gehen durch Ringenwalde. Am letzten Haus ist er dann da, zuhause. Von hier führt eine Allee recht alter Linden mit freien Blicken nach Julianenhof, das kaum drei Hausnummern haben dürfte. Jenseits des kleinen Talgrundes zur Linken stehen die Kraniche und wirken bester Dinge dort.
Feuchte Senke im Moränenwald
Julianenhof
Das letzte Grundstück wirkt wie ein Tagebuch vergangener Kraftwagen eines Lebens, die zum Teil vollständig erhalten sind, zum Teil als Fragment. Platz haben sie genug, um hier in Stille zu sinnieren. Wenig später beginnt der Wald, der gleich damit loslegt, alle paar Minuten seine Gestalt zu ändern. Abgesehen vom geschwungenen Verlauf, den der Gletscherschliff vor geraumer Zeit hinterließ, scheinen auch die Böden variantenreich zu sein, ergo ihr Bewuchs. So gibt es erst den klassisch märkischen Kiefernwald, dahinter dann gemischtes Laub und bald darauf ein kurzes Vergnügen mit dichtstehenden Fichten. Wo es feucht am Fuß ist, versammeln sich naturgemäß meist Erlen, und zwischendurch gibt es immer wieder die Buchenwälder, die bis auf Weiteres noch viel vom klaren Licht des Himmels durchlassen. Dazwischen steht mal eine alte Eiche, mal auch ein Kastanienbaum, meist als Einzelstück.
Waldweg unweit des Sees
Besonders markant und durchaus charakteristisch für den Norden dieser Landschaft sind die Linden, oft gewaltig alt, die so gut wie nie im Walde stehen, sondern die jahrhundertealten Verkehrswege über die Felder begleiten und allen Reisenden Sicherheit und Zuversicht vermitteln. Das muss ein wahrer Rausch sein, wenn diese Bäume dann in Blüte stehen in ihrer vollen Größe und diesen ganz bestimmten Duft ausströmen, konzentriert. Doch bis dahin ist noch etwas Zeit.
Das Wegenetz im Wald ist dicht, wenn man der Karte glauben will, und die Wahrscheinlichkeit hoch, dass nicht mehr alle existieren bzw. noch sichtbar sind für Leute, die notfalls auch die Beine stärker heben. Doch die Forstwirtschaft ist tüchtig hier, was an vielen Stellen sichtbar ist, und das ist gut für uns. So wird es nur zwei Stellen geben, wo etwas kleiner Wagemut und Interpretation gefragt sind.
Alte Allee nach Hohenwalde
Immer wieder kommen wir vorbei an feuchten Flächen von Morast und Sumpf und wissen nicht, ob diese nur knietief sind oder ein stehendes Mammut verschwinden lassen könnten. Mit dem nötigen Respekt erlauben wir uns einen kurzen Blick ins bodenlose Schwarz des unbewegten Wassers und sind auch dann nicht schlauer. Die Ausstrahlung dieser stillen Wasserflächen mit den seltsame Wurzeln schlagenden Inselbäumen wird nie ihre Magie verlieren.
Alte Lindenallee aus dem Ort heraus, Hohenwalde
Nach viel bergab, einem Flecken Märchenwald und etwas Sucherei liegt der Proweske-See voraus. Ein seltsamer Name für einen See – Proweske. So wie auch Libbesicke, das als Ort vorhin beim Eintritt in den Wald und auch danach an vielen Stellen ausgewiesen war und woanders einem weiteren See zu einem seltsamen Namen verhilft. Der Proweske ist dünn vereist und derzeit Heimat von zwei Schwänen, die auf den offenen Stellen ansehnlich hin- und hergondeln. Irgendwas zupft unter Wasser mit wenig Unterlass am Uferschilf herum und plätschert dabei leise. Ansonsten ist es hier so still, dass es kaum zu fassen ist. Selbst die Straße gegenüber schickt nur alle paar Minuten ein Auto vorbei.
Der Uferweg führt vorbei an einem Paar symmetrisch angeordneter Bootshäuser mit spitzen Dächern, die auf jeden Fall den Urlaubsprospekt dieses Sees zieren würden, wenn es den gäbe. Sie sind in der Mitte durch Ruderbootgaragen verbunden, somit quasi zwei Doppelhaus-Hälften direkt auf dem Wasser. Exklusiv.
Alte LIndenallee in den Ort hinein, Hohenwalde
Hohenwalde
Am Buswartehäuschen an der Landstraße beginnt die stille Straße nach Hohenwalde und quert alsbald ein Bächlein, das nördlich zum Großen Krinertsee führt. Links erstreckt sich eine Weide bis hinab zum Ufer, lose bestanden von offenkundig glücklichen Kühen. Die nun folgenden Alleen rund um Hohenwalde sorgen für so umfangreiches Entzücken, dass ständig die Kamera herausgefummelt wird, der Auslöser kaum zur Ruhe kommt und sicherlich der Film voll geworden wäre, würden wir noch Zelluloid belichten anstatt eines CCD-Sensors. Doch so können wir ungehemmt in die Botanik knipsen und später eine Auswahl treffen.
Jugendlicher Buchenwald am Kutschweg
An der Kreuzung in der Dorfmitte biegt auch der – klingt das nicht schön – Fernreit- und Kutschweg Berlin-Usedom ab in diese sagenhafte Allee, deren gewaltigste Linde um die zwei Meter stark ist. Der erwähnte Weg für die unmittelbaren Pferdestärken ist schon heute eher Legende als durchgehende Realität, die schöne Idee dabei, ihre letzten Spuren im märkischen Sand zu lassen. Etwas weiter unten im Wald stehen besonders junge Buchen mit makellos glatter Haut so dicht, dass sich dort nicht mal ein wendiges Reh hindurchbewegen könnte, trotz der extraglatten Rinde. Hinter den Steinbergen sind die Buchen dann wieder hochgewachsen und stehen mindestens im Hängemattenabstand zueinander. Ein lichter Wald, der sich abgesehen von sumpfigen Stellen auch gut kreuz und quer durchstreifen lässt. Kurz darauf können wir eben das gut gebrauchen, denn der gerade noch kutschenbreite Weg ist nicht mehr zu erkennen. Nach logischen Argumenten, Himmelsrichtung und Satellitenhilfe verfolgen wir die angenommene Linie, bis der Weg nach zehn Minuten auf einmal wieder da ist, in voller Breite. Vorbei am letzten Sumpfloch geht es heraus aus dem Wald, sogleich mit freier Sicht über die gewellte Wiesenweite. Zum letzten Mal lässt sich der Specht vernehmen, mit einem seiner vier markanten Geräusche, die den ganzen Tag über zu hören waren.
Weicher Wiesenhang vor Ringenwalde
Eine alte gepflasterte Allee führt über die letzte Anhöhe nach Ringenwalde. Auf dem höchsten Punkt stößt von rechts der Kutschweg hinzu, links scheint die letzte Abendsonne auf einen samtweich geschwungenen Wiesenhang. Erst ganz zuletzt kommt das Dorf in Sicht, doch ehe man sich auf die letzten Meter entlang der entspannten Dorfstraße freuen kann, lockt rechts ein lichtes Wäldchen, das irgendwie nach Lenné-Park aussieht. Und in der Tat hatte wohl der allgegenwärtige Meister hier ein wenig Einfluss, will man der Zeitleiste neben der Übersichtskarte glauben. Beide sind handgezeichnet. Der Park ist schön und bietet, so klein er ist, einige kulturelle Besuchsziele. Doch wir staunen jetzt vor allem über die großzügig verstreuten Büschel von mehr oder weniger großen Schneeglöckchen, die wir den ganzen Tag noch nicht gesehen hatten und die jetzt auf anmutige Weise den Kreis schließen, den die Tour mit einem erfüllten Wunsch in Multicolor begonnen hatte.
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): über Eberswalde und Joachimsthal, dann weiter mit dem Bus (ca. 1,5 Std.)
Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der Autobahn bis Ausfahrt Joachimsthal, dann über Joachimsthal und Friedrichswalde nach Ringenwalde (ca. 1,5 Std.)
Länge der Tour: ca. 14 km (bereinigte Tour ohne die erwähnten Problemstellen), Abkürzungen nicht sinnvoll möglich (Landstraße)
Bewegt man sich am Rande einer Stadt, sei sie nun so groß wie Jüterbog, Berlin oder Cottbus, stellen oder legen sich oft großformatige Hindernisse in den Weg, die wenig oder gar nichts zu tun haben mit Begriffen wie pittoresk oder landschaftlich ansprechend. Das sind an vielen Stellen Umspannwerke mit dem resultierenden Netzwerk aus Hochspannungsleitungen und Masten, oft ist es auch die Autobahn oder eine Schnellstraßenumfahrung, durch die alte Wege gekappt wurden. Und natürlich die allgegenwärtigen und überlebenswichtigen Gewerbegebiete. Überlebenswichtig für den Bestand der Region sind sie allesamt, diese Hindernisse, denn ohne sie würde das zeitgemäße Leben, wie man es kennt und schätzt, nicht funktionieren.
Der Zochegraben
Um so erstaunlicher kann es werden, wenn man sich davon nicht groß beeindrucken lässt. Überall geht das nicht, denn in vielen Fällen lässt sich auch zwischendurch wenig Reizvolles finden. An manchen Stellen wäre man zudem förmlich gefangen zwischen schnellen Verkehrswegen und auch Wasserstraßen, denn „Brücke“ ist in dieser Hinsicht noch immer ein entschlossenes Zauberwort, wie schon vor tausend oder vor dreitausend Jahren, die Abstände zwischen Brücken manchmal schlichtweg zu groß für Tagesausflüge zu Fuß.
Doch manchmal ergibt sich eine nachgerade zauberhafte, im Vorhinein kaum erahnte Mischung, die durch ihren Kontrastreichtum dem nächstfolgenden Schönen stets noch etwas mehr Kontur verleiht. Und im vorliegenden Falle gleich die Randbereiche von zwei Städten mitnimmt, wenn auch von unterschiedlich großen.
Talgrund zwischen Waldhang und Bruchwald des Zochegraben, mit verblassenden Loipen
Erwartet hatte ich für diesen Weg eine eher herbe Mischung, und in der Tat waren im letzten Drittel einige solcher Passagen dabei. Doch im Rückblick fielen diese durch den häufigen Landschaftswechsel weniger ins Gewicht, und das trotz trübem Wetter und feinstem Nieselstaub. Klar überwogen haben die nachgerade bezaubernden Passagen, noch dazu gab es weit mehr Naturnähe, als aus der Karte ersichtlich war.
Gleich hinter der Stadtgrenze mit den Hochhausvierteln von Hönow zieht sich ein regelrechter Gürtel von breitgewachsenen, schönen Dörfern bis hin nach Strausberg, fast ohne Unterbrechung und jedes mit seiner eigenen S-Bahn-Station. Nördlich davon, kurz hinter dem Berliner Ring, liegt das Städtchen Altlandsberg, mit einer fast komplett erhaltenen Stadtmauer samt zwei Türmen.
Blick aus dem Tal auf die Auen
Seeberg Dorf
Vorgelagert und fast eingeklemmt zwischen Autobahn und schneller Landstraße liegt das klassisch märkische Dörfchen Seeberg. Im Dorf selbst merkt man bei günstigem Wind nicht allzu viel von den lauten Straßen. Etwas daneben liegt ein Logistikzentrum von nahezu derselben Fläche, das dem Abbiegeschild ins Dorf eine etwas stiefmütterliche Optik verleiht. Doch der Kirchturm lockt.
Es hat geschneit den ganzen Vormittag, recht unerwartet nach den mäßig kalten Tagen und dem ganz aktuell verheißenen Tauwetter. Alles ist weiß eingedeckt, der Schritt gedämpft und die Straße gleich noch etwas weniger zu spüren. Unter dem Schnee ist es stellenweise höllisch glatt, speziell auf der kleinen Brücke über die Autobahn. Erst beim Abbiegen ins Feld stellt sich Entspannung ein beim Setzen der Schritte.
Eisdrachen in der Strömung
Das einzige, was hier den Verlauf des Weges verrät, sind die Büschel trockener Gräser, die Spur dazwischen ist nur zu ahnen. Mit der Straße im Rücken und einem markanten Waldhang voraus sind wir augenblicklich in der Stille und könnten sonstwo sein in Brandenburg, ganz tief. Eine hochgewachsene Baumreihe prophezeit einen Wasserlauf. Links in dessen Auflächen, wenn ich sie mal so nennen darf, liegen kleine Bauminseln, die bei näherem Hinsehen aus nur einer einzigen effektvoll gespaltenen Weide mit ein paar Nachbarbäumen bestehen. Das wirkt besonders eindrucksvoll, so in der weiten weißen Ebene.
Voraus jagen ein paar eher kleine Hunde durch den Schnee, gekleidet in Lederponchos mit Fellfütterung, die durchaus kernig wirken. Etwas dahinter prägt eine Langläuferin ihre eigene Loipe durch den Waldstreifen, in Gedanken und still genießend. Sicherlich waren die Skier längst wieder an ihrem angestammten, staubigen Platz im Keller gelandet. Noch vor dem meterbreiten Zochegraben warnt ein großes Schild in großen Buchstaben vor Rennpferden und dem Betreten auf eigene Gefahr. Was beim Gedanken an teure Traber im Trainings-Tiefflug zunächst ein versonnenes Lächeln aufs Gesicht bringt, wird beim Blick auf die Karte plausibler – direkt nebenan befindet sich eine ausgedehnte Trainierbahn für Galopp-Tempo.
Verblüffende Altarme des Zochegrabens
Zwischen dem Hangwald mit seinen Kiefern und dem Erlenbruchstreifen entlang des Zochegrabens erstreckt sich scheinbar endlos ein Talgrund, der zu jeder Jahreszeit seinen Reiz haben dürfte, so auch jetzt. Und wieder fühlt man sich weit weg von Berlin. Jenseits des Grabens steht ganz für sich eine beeindruckende Eiche. Ist sich ihrer Wirkung bewusst, wie es scheint. Auch dort sind Langläufer unterwegs, die unverhoffte Gunst des Tages nutzend.
Hönower Siedlung
Vor der Landstraße, einer schönen Allee, führt ein Pfad hinab zum Wasser, und tatsächlich lässt sich hier die Straße ohne großes Leitplankengekletter queren. Der Zochegraben blubbert unterm Eis bescheiden vorbei an der noch relativ jungen Hönower Siedlung, zeigt dann aber, was er sonst noch so drauf hat. Wie ein altgestandener Fluss im Miniatur-Format gebärdet er sich in schnieken Mäandern und selbstgebastelten, doch recht überzeugenden Altarmen, an seinen Ufern einen über lange Zeit gewachsenen Baumbestand. Noch dazu senkt sich das Wasser hier recht tief ins breite Tal ab und erzeugt zusammen mit dem trüben Schneelicht eine Stimmung, welche das vorausliegende Birkenstein wie ein Städtchen am Fuß des Mittelgebirges aussehen lässt. Wirklich. Ein faktisches Beweislein dafür liefert der sanfte Anstieg über die Felder, der stattliche 20 Höhenmeter überwindet. Ein Tiroler wird dafür nicht einmal ein müdes Lächeln andeuten, doch für ein Land, dessen höchste Erhebung um die 200 Meter liegt, ist das schon die Erwähnung wert.
Schneetrüber Blick von der Hochebene übers Tal auf die Berliner Seite
Dank reichlich dicker Kleidung und dem noch kaum zerstapften Schnee sind wir oben nun definitiv auf Betriebstemperatur. Vor dem Eintreten ins Wohnviertel quert ein laternenbestandener Fußweg von Ost nach West das Tal und untermauert an dieser Stelle mit genau diesem Blick nochmals den beschriebenen Eindruck. Auf der anderen Talseite verläuft die Landesgrenze zwischen Brandenburg und Berlin, voraus lockt ein ähnlich reizvoller Fußweg hinab. Wir nehmen keinen von beiden und spazieren bald auf dem Grünen Bogen zwischen den Häusern entlang, nun wieder auf unterfrorenen Straßen. Nach dem Ende der Straße liegt voraus ein ausgedehnter Talgrund mit vielen kreuzenden und zweigenden Wegen, noch vorher sausen Kinder über den Weg, mit Schlitten unterm Hintern, befeuert von einer kurzen, doch knackigen Rodelbahn mit zwei winzigen Schanzen im Gefälle.
Auch dieses Tal und der angrenzende Wald werden von einer Trainingsbahn durchzogen, wenn auch nirgends ein Warnschild zu entdecken ist. Direkt benachbart liegt ein Gestüt, zwischen beiden verläuft ein ruhiger Weg, der schließlich in den Wald führt. Nach dem Überqueren eines Bächleins kommt man vorbei an einer Wohnanlage mit einem Kirchlein und steht kurz darauf vor dem S-Bahnhof Hoppegarten – und hat nun einen griffigen Reim auf die ganzen Pferdehinweise des bisherigen Weges. Na klar, hier liegt doch etwas südlich die Galopp-Rennbahn mit ihrer bald 150-jährigen Geschichte, und rundherum gibt es drei Trainingsbahnen, eine im Süden und eben die beiden hier im Norden. Da erstaunt es fast ein bisschen, dass bisher kaum Pferde zu sehen waren.
Über dem Bahnhof Hoppegarten
Hoppegarten
So schön, prächtig und erhaben das ganze frische Weiß dieses Tages ist, so angenehm ist nun der kräftige und flächige Farbtupfer, den die rote Überführung zum Bahnsteig bietet. Drüben führt eine alte Pflasterstraße entlang schöner Stadtvillen in Richtung Zentrum, so wie es eigentlich an jedem der zahlreichen Schilderbäume der nächsten Zeit ins Zentrum geht. Da jedoch die Dörfer hier so fließend ineinander übergehen, ist nicht ganz klar, welches Zentrum jeweils gemeint ist. Aber schön ist es allemal, und verheißungsvoll, denn ein Zentrum ist immer eine willkommene Abwechslung, gerade an nahezu monochromen Tagen.
Im bezaubernden Tal des Neuenhagener Mühlenfließes
An der nächsten großen Kreuzung, links ginge es ins Zentrum, biegen wir rechts ab ins Tal des nächsten fließenden Wassers. Was hier als Neuenhagener Mühlenfließ den Weg kreuzt, ist Berlinern vielleicht als Erpe bekannt, als die es schließlich in die Spree mündet. Doch bis dahin sind es noch ein paar Kilometer. Dieses Fließ eröffnet augenblicklich einen angenehmen Bann, denn obwohl sich zu beiden Seiten dichte Siedlungen befinden, gebärdet es sich so zauberhaft und schlingenfreudig, dass man sich erneut im Mittelgebirge wähnen könnte. Drumherum steht hochgewachsener Wald, und beim Eintritt ins naturgeschützte Tal von der verkehrsreichen Straße ruft uns eine ältere Dame zu, dass sie vor einer Stunde eine Wildschwein-Bande hätte durchziehen sehen, wir auf der Hut sein sollten. Dementsprechend wacheren Blickes folgen wir dem munter über seinen gewellten Sandboden strömenden Fließ, bis hin zu einem Brücklein, das hinüber ins nächste Wohnviertel führt. Das mit den unterfrorenen Straßen klappt jetzt schon ganz gut und dauert auch nur kurz, denn bald geht es weiter am Mühlenfließ entlang, nun auf dem Liebermannweg. An dessen Ende liegt das Freibad Neuenhagen, direktverbunden mit dem S-Bahnhof durch einen verspielten Zubringer in Spreewald-Manier.
Vor dem Bahnhof Neuenhagen
Neuenhagen
Die Unterführung des Bahnhofs ist mit individualisierter Lokal-Werbung im allerbesten Sinne gestaltet und hat dadurch nichts vom Unangenehmen einer klammen Unterführung, regt vielmehr zum Stehenbleiben an. Drüben führt eine noble Übereck-Treppe auf Bahnsteigniveau, darüber ein weiterer Farbtupfer, hier nun in kräftigem Blau. Das macht direkt neugierig auf die S-Bahnhöfe von Fredersdorf und Petershagen.
Der Bahnhofsvorplatz ist so gestaltet, dass man hier ganz gern aussteigt, ein paar Läden und Kioske scharen sich drumherum. Vom Schilderbaum weist ein Schild ins Zentrum. Die Fichtestraße führt vorbei an alten und neueren Häusern schnurgerade zur Autobahn, die erst kurz davor zu hören ist – der Schallschutz ist gut, der Schnee dämpft und der Wind steht günstig. Nach ein paar Metern Gewerbegebiet, das so aussieht, wie ein Gewerbegebiet eben aussieht, beginnt unvermittelt ein Weg durch die weiten Wiesen des nächsten Bachtales, das Naturschutzgebiet Wiesengrund. Das Fließ ist noch dasselbe wie vorhin, gegenüber steht ein Fachwerkhaus im dunklen Hang des Waldes und bezieht sich noch ein letztes Mal auf die mittelhohen Berge.
Im Naturschutzgebiet Wiesengrund
Die Naturromantik im schönen Wiesengrund verlangt ab hier ein wenig Phantasie, an diesem weißen Tag, wo keine Grille zirpt und sich keine bunten Gräser in den artenreichen Trockenwiesen wiegen, kein milder Wind um nackte Arme streicht. Was sich bisher moderat verteilte, das gibt es jetzt geballt, auch wenn man es zum Teil nur weiß und gar nicht sieht. Im Rücken die Autobahn, links das distanzierte Gewerbegebiet von Altlandsberg, und quer über das stille Tal hängen die kräftig zirpenden Hochspannungsleitungen, die ganz frisch den Strom aus mehreren Himmelsrichtungen zum Umspannwerk anliefern. Das verspielte Mühlenfließ lässt sich davon nicht stören und versteckt sich zuletzt in einem Streifen Wald, der tief wirkt und verwunschen. Am nördlichen Ende des Wiesengrundes gibt es unter der Brücke der Landstraße noch eine letzte Teepause am Mühlenfließ, bevor uns adäquat gekleidete Kühe und Lamas in Seeberg Siedlung Willkommen heißen.
Willkommenskomitee in Seeberg Siedlung
Seeberg Siedlung
Hinter dem neuen Komplex aus Seniorenzentrum und Kindergarten geht es direkt auf die Wiesen in Richtung Röthsee, dort vorbei an einer kleinen Badestelle. Je nach Wind rauscht hier die Umgehungsstraße mehr oder weniger. Vorn an der Hönower Chaussee noch unweit der Holländermühle vorbei, im Bockwindmühlenland Brandenburg doch eher die Ausnahme, und jetzt ist es besonders schön zu wissen, dass wir in absehbarer Zeit trocken sein werden. Und satt. Ein überraschender Schneetag geht zu Ende, wohl nicht der letzte dieses Winters, mit Sicherheit jedoch der letzte dieses Januars, denn Tauwetter ist angesagt und Werte deutlich über Null. Das geht in Ordnung, fürs Erste.
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): direkt nach Seeberg Dorf keine Anbindung; alternativ S-Bhf. Hoppegarten, S-Bhf. Neuenhagen (ca. 45 Minuten); wahlweise von U-Bhf. Hönow mit ca. 1,5 km Zuweg
Anfahrt Pkw (von Berlin): Landsberger Allee stadtauswärts, dann vorbei an Hönow Landstraße Richtung Altlandsberg, am Abzweig Altlandsberg rechts nach Seeberg (ca. 45 Minuten)
Länge der Tour: ca. 16 km (Abkürzungen nur schlecht möglich)
Gäbe es einen Wettbewerb um die schönsten Städte im Land Brandenburg, würde Frankfurt an der Oder vermutlich nicht auf dem Siegertreppchen landen, selbst wenn dieses fünf anstatt drei Stufen hätte. Und dennoch ist es diese Stadt wert, in regelmäßigen Abständen besucht zu werden, da sie eine Vielzahl erlebenswerter Kontraste zeigt sowie immer wieder Überraschungen bietet. Einer meiner allerliebsten Lehrmeister aus zurückliegenden Jahren offenbarte mir vor Kurzem, dass er bei sich ein Interesse für Nachkriegs-Architektur entdeckt und infolgedessen ein Auge und echte Genussfähigkeit dafür entwickelt hat. Auch in dieser Hinsicht überlagern sich im Stadtgebiet so einige Spannungsfelder.
Kleistpark im Dezember
An vielen Ecken fühlt man sich an andere Städte in moderater Bahn-Entfernung erinnert, wie z. B. Dresden, Rostock, Cottbus, Weißwasser oder Eisenhüttenstadt. Und soweit ich das einschätzen kann, sind nirgendwo anders Hochhäuser so euphorisch in lebhaft geschwungenes Gelände geplant worden, wie man das sehen kann, wenn man auf einer der breiten Zubringerstraßen in die Stadt hinein fährt.
Brauerei über den Kleingärten
Die zwei faszinierendsten und großen Kontraste der Stadt liegen auf der Hand und ergeben sich aus der Lage Frankfurts zum einen an der Grenze zu Polen und zum zweiten inmitten des innigen, versunkenen Naturraums der Oderauen – so befinden sich direkt nördlich und südlich der Stadt zwei ausgedehnte Naturschutzgebiete mit Wasser in allen möglichen Gestalten, die beide bis ins Stadtgebiet hineinreichen.
Stadtrandnahe Oderauen im Kontrastlicht schwerer Schneewolken
Kleinere Kontraste und Überraschungen sind zu finden, wenn man sich durch die verschiedenen Stadtgebiete und Vorstädte treiben lässt, wahllos oder gern auch etwas geplant.
Wer mit der Bahn anreist und noch nie hier war, betritt das unbekannte Land auf die schönstmögliche Weise. Kurz nach Verlassen des Bahnhofsgebäudes steht der Reisende nach dem Durchschreiten einiger Rundbögen auf einer Art Aussichtsplattform und bekommt sofort einen Panorama-Blick auf die Tallage der Stadt geboten, die einem direkt zu Füßen liegt – mitsamt Słubice jenseits des Oderstromes, einst eine der vier Frankfurter Vorstädte und jetzt wieder im Zusammenwachsen mit Frankfurt begriffen. Die Bindung zwischen beiden wird von Jahr zu Jahr ausgeprägter, wovon nicht zuletzt das Bestehen des interkulturellen Vereins Słubfurt sowie grenzübergreifende Busverbindungen zeugen. Ein hoffnungsvoller Prozess, der sich in verschiedenen Bereichen sehr schön beobachten lässt.
Leicht geschminkter Blick von Norden auf die Skyline von Frankfurt
Von diesem erhabenen Platz steigt man regelrecht hinab und quert bald eine der charakteristischen Furchen im Gesicht der Stadt. Ein schmaler und lieblicher Parkstreifen, im Süden als Anger mit seinen Gärten, nördlich davon als Lenné-Park, zieht sich mit kurzer Unterbrechung ausgestreckt entlang der Stadtmitte, in der historische und jüngere Bauten auf engstem Raum stehen. Bestes Beispiel hierfür sind zwei der Frankfurter Wahrzeichen: der Oderturm und die Marienkirche. Beide trennen keine 150 Meter, dafür aber um die 700 Jahre.
Über dem Weihnachtsmarkt in der Marienkirche
Vor der Gubener Vorstadt leicht südlich des Zentrums liegt mitten in der Oder und noch diesseits der Grenze die ausgedehnte Insel Ziegenwerder, die den Vergleich mit jeglicher Landesgartenschau überhaupt nicht scheuen muss und über zwei Brücken zu erreichen ist. Hier treffen in entspannter Harmonie verschiedenste Optionen aufeinander, wie sich im Freien die Zeit nach Feierabend gestalten lässt. Wer die Insel einmal durchstreift hat, möchte vermutlich jede dieser Möglichkeiten einmal ausprobieren. Und wer von Norden nach Süden schlenderte und Lust auf noch mehr Botanik bekommt, ist nach einem kleinen Schlenker über die Straße gleich im Naturschutzgebiet Eichwald und Buschmühle, das südliche der vorhin erwähnten.
Stadtufer im Sommer
Was die Bebauung der Stadt betrifft, treffen in den verschiedenen Vierteln verschiedenste Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts aufeinander. Dazwischen liegen an vielen Stellen schöne Parkanlagen. Selbst ein ausgeprägtes Bachtal führt von Klingethal kommend mitten durch die Stadt und berührt dabei einen kleinen Botanischen Garten.
Im Norden der Stadt liegt unterhalb eines markanten Hanges der Stadtteil Neue Welt mit klar dörflichem Charakter, jenseits des Hanges thront über der Stadt die hiesige Brauerei als weithin sichtbare Landmarke. Die Neue Welt ist die Schnittstelle zur Natur im Norden. Aus der Siedlung führt ein Weg direkt in das von Wasser, Schilf und Deichen bestimmte Auenland des Oderstroms, dessen Ausstrahlung hier bereits zu spüren ist. Mit einem Mal ist man tief und mitten in der Natur, strauchig-alte Kopfweiden begleiten die Schritte und die Skyline Frankfurts scheint schon unwirklich, wenn man sich kurz umdreht. Und sieht wieder faszinierend aus, wenn sie dann vom Oderstrand gesehen weit hinten überm Wasser schwebt, einer Erscheinung gleich.
Blick rüber zum Słubicer Ufer, auch im Sommer
Jeder größere Spaziergang durch Frankfurt wird seine spröden und seine zauberhaften Momente haben, seine spannenden und seine lieblichen. Nichts davon wird fehlen, darauf ist Verlass. Für wen so eine Mischung interessant klingt, den möchte ich ermutigen, die Reise anzutreten.
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der Regionalbahn (ca. 1 Std.)
Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der Autobahn oder über Land (ca. 1,5 Std.)
Länge der Tour: ca. 12 km (Abkürzungen gut möglich)
Die erste Woche des Jahres befand sich fest im Griff des Winters, der den Norden Deutschlands für zweidrei Tage komplett weiß einkleidete. Das reichte sogar für ausgedehnte Eisschollen auf dem größten Fluss in der Berliner Innenstadt. Vor dem Anlauf für den nächsten Kälteschub taut es nun, so dass Skier und Schneeschuhe weiterhin warten dürfen. Spikes wären heute nicht verkehrt, doch vielleicht tun es auch dicksohlige Stiefel mit markantem Profil.
Blick zurück nach Päwesin
Ein lichtreicher Tag mit reichlich flacher Januar-Sonne ist angekündigt. Über die eisfreie Havel und mit kurzem Zwischenstopp in Nauen stoßen wir weit in den Westen vor und beginnen die Runde in Päwesin, einem freundlichen Dorf im Westhavelland, von wo es nicht mehr weit ist zur alten Stadt Brandenburg. Die wäre von hier sogar auf dem Wasser zu erreichen, der mehrteilige und nachgerade mäandernde Beetzsee sowie einige Verbinder namens Sträng, ja wirklich, Sträng, machen es möglich.
Westhavelland – das heißt zu fast jeder Jahreszeit und sehr verlässlich Geschnatter und Getröte aus der Nähe und der Ferne. Hier ist ein Paradies für Wasservögel aller Art, mit kurzen Watschelbeinen oder hochhackigen Stelzen, spitzen oder runden Schnäbeln. Ob man nun viel anfangen kann mit solchen Flugbegleitern oder nicht, diese akustische Hintergrundgestaltung kann Emotionen wecken. Und zur Erwartungshaltung werden. Wenn so ein vollständiger Verbund von Gänsen sich zäh vom Boden löst, das ist schon eine Naturgewalt und eine Gänsehaut gar keine Schande beim Betrachter.
Noch ein Blick zurück nach Päwesin
Päwesin
Nach der Anfahrt über schöne Dörfer sticht in Päwesin die Kirche heraus mit ihrer leicht angezwiebelten Kirchturmhaube und einem Orgelkleinod unterm Dach. Dass sich hier im Ort eine ganze Reihe buddhistischer Nonnen und Mönche Ihrer Arbeit und der Lehre Buddhas widmen, ist für den Durchreisenden allenfalls beim Besuch des Bäckers zu spüren. Auf der Straße sind die kräftig leuchtenden Gewänder bislang die Ausnahme.
Von der Buswendeschleife an der Kirche führt eine entspannte Straße aus dem Dorf, vorbei an schönen oder schöngemachten Häusern und auch Höfen, die von manchem Lebensentwurf erzählen oder seligen Augenblicken in der knappen Freizeit. Nachdem wir einige Male angekläfft wurden von unsichtbaren Hunden hinter bodenlangen Lattenzäunen, befinden wir uns unvermittelt in der zurückhaltenden Gesellschaft eines filigranen, doch kernigen Lumpi, nicht größer als ein Miez und buntgefleckt, der uns den Weg weist bis zum Ortsrand. Sich immer wieder umdreht, um zu schauen, wo sie bleiben, die Touristen. Am Ortsausgang erfolgt dann eine saubere Übergabe. Ein Auto schleicht vorbei, die Fahrertür fliegt sachte auf und Lumpi übernimmt den Platz am Lenkrad – der Fahrerschoß macht’s möglich. Noch ein kurzer Huper, dann sind sie schon weg.
Der blaue Riewendsee und Riewend
Jenseits der Havel, der gerne unterschätzten Wetterscheide, lag kaum noch Schnee, und so ist es auch hier, die Äcker sind nur lose weißgefleckt. Doch auf dem Feldweg sind die Pfützen noch gefroren und stehen bereit für lautstarke Spielereien. Ein Duft von aufgetautem Erdreich weht von rechts über den Weg, so intensiv, als wenn der Acker unter Schnee gelegen hätte über Wochen. Das nenne ich mal einen Hang zu Dramatik, kaum spürbar, aber ausgeprägt. Wo Schatten liegt den ganzen Tag und wenig Wind vorbeikommt, da wird der aufrechte Gang auf dem Halbgefrorenen wieder zur Herausforderung, doch ist das eher die Ausnahme hier in dieser Weite.
Vereister Weg, verschneiter Acker
Links unten liegt in sonnenklarem Blau, durch doppelt blondes Schilf noch unterstützt, der übereiste Riewendsee als letzte schiffbare Verlängerung nach Norden. Am Ufer gegenüber lagern still und äußerst passend die Häuser von Riewend, dazwischen auf dem Eis und auf dem flachen Ackerhang ihnen gleich das wilde Federvieh, mit geballten Flugmeilen auf dem Konto. Vom Osten hin zum Wasser und zurück gibt es ein ständiges Kommen und Gehen großer Formationen von Gänsen, die Kraniche halten sich im Hintergrund.
Schilf vorn und Baumschule hinten
Vorbei an einer kleinen Siedlung an einem Stichkanal, dahinter führt der Weg durch eine eindrucksvolle Allee großer Weiden. In eine fuhr der Wind mit Wucht, ein baumesdicker Ast liegt jetzt am Boden, scheinbar noch ganz frisch. Viel Arbeit für den Förster, doch bis dahin eine sehr bequeme Bank zum Rasten. Aus dem Wäldchen wenig später duftet nun der aufgetaute Boden nach Art des Waldes und noch etwas kühler als vorhin. Etwas weiter liegt schön eingebettet in die halbgezähmte Wildnis ein kleines Haus mit Obstwiese und Heckenzaun drumrum. Direkt dahinter beginnt eine schilfige Wasserlandschaft, sicherlich ein schönes Heim für viele Teilnehmern der Natur. Vom Riewendsee stößt ein Kanal hinzu und verbindet sich im Fluss mit allerlei anderen schmalen Wasserlinien. Links im weiten Schilfgürtel stiebt einer von diesen bunten Hühnervögeln auf, die Geräusche machen wie eine rostige Gießkanne und einen zu Tode erschrecken können, wenn sie im Grase von Wegnarben einen halben Meter vor einem plötzlich hochflattern.
Sonnenbeheizte Lederpelze
Auf dem kleinen Deich stehend treffen sich in Richtung Norden auf einen Blick drei Welten – gleich hier das undurchdringlich nasse Schilfland, weiter hinten die in Reih und Glied preußisch anmutenden Zöglinge einer Baumschule und ganz weit weg die Riesenmasten der dort dicht vernetzten Stromtrassen. Die übrigens ihre Fühler auch bis hierher ausstrecken, einer ihrer weiten Bögen hängt gleich voraus quer durch die Landschaft.
Noch vorher lässt sich der Klinkgraben queren, der im weitesten Sinne und eher theoretisch für Rindenschiffchen, kleine Enten und Faltpapierboote die nördliche Weiterfahrt bis zur schönen Borsig-Siedlung in Groß Behnitz gestatten würde, was jedoch, die Enten ausgenommen, gegen den Strom eine Herausforderung bliebe.
Alleeweg am Riewendsee
Nach etwas Wald nun doch unter den voltpotent zirpenden Stromleitungen hindurch und bald entlang einer Weide mit scheinbar flauschigen Kühen, über die Maßen warm angestrahlt von der schon sinkenden Sonne. Nach dem erneuten Queren des Klinkgrabens empfängt uns schattiger Wald mit einigen Lichtpunkten weiter oben und geschlossener Schneedecke ganz unten. Entlang des Weges stehen in einer Reihe alte Eichen, links und rechts davon erstreckt sich Erlen- und Buchenwald. Der gewünschte Weg durch den Bruchwald ist hoffnungslos zugewuchert und dazu grundwasserdurchtränkt, so dass wir nach zwei Versuchen einsichtig sind und außenherum gehen. Sobald es trockener wird, übernimmt verlässlich der Kiefernwald mit nadeligem Boden und kleinen Hügeln, auf denen sich gut zelten ließe.
Rastende auf und am Riewendsee
Hinter der Stromtrasse beginnt gedankenversunken ein wirklich schöner Weg, der mit Sicherheit schon einige Jahrhunderte kommen und gehen sah und bestanden von Büschen und einigen alten, abgekämpften und dennoch lebensfrohen Weiden ins Dorf Riewend führt. Über die komplett vereiste Seelänge reicht der Blick von einem kleinen Strand bis hin nach Päwesin.
Riewend
Am Rand von Riewend kommt eine alte Straße aus dem Walde, historisch wertvoll ziegelgelb gepflastert in Fischgrät-Muster. In der Ortsmitte steht ein Gutshaus, Dach und Fenster sind schon neu, der Putz vielleicht noch original. Gegenüber eine kleine Kirche mit breiten Schultern, zugleich wehrhaft und von zurückhaltender Gestalt. Ein paar Gärten später kommen Schafe auf uns zu gerannt und blöken durcheinander, als wenn sie schon den ganzen Tag darauf gewartet hätten, dass wir endlich kommen.
Alleeweg kurz vor Riewend
Kurz vor den letzten Häusern zweigt ein Weg ab in den Wald der Bagower Heide, die Richtung Westen in immer weitere Heiden übergeht und so geschlossenwaldig bis nach Premnitz reicht, dem Städtchen an der Havel, wo das andere Ufer fast schon anhaltinisch ist. Der breite Weg ist stark zerfurcht und schlüpfrig von Eis und Schnee im Tauprozess, nicht jeder Fuß bleibt dort, wo man ihn hinsetzt. Wieder dient ein umgestürzter Baum als Rastbank, auf die sogar im Walde hier ein wenig Sonne fällt.
Kurz nach dem Passieren einer selbstbewussten Sechserkreuzung naht von hinten ein wuchtiger Geländewagen, die ausgeprägten Wegefurchen im Spurte mild belächelnd. Ihm voraus wetzt ein struppbärtiger Hochbeinhund, der scheinbar nie ins Rutschen kommt. Beide scheinen herausfordernd miteinander zu spielen, was die gemeinsame Geschwindigkeit betrifft. Und einander zu kennen und zu vertrauen. So bleiben alle heil.
Pause am Wegesrand
Gerade als der Wunsch nach Abwechslung erwacht, führt links ein Weg hinein, ein kleinerer, beschildert zum Bagower Bruch. Das Bruch, vor hundert Jahren noch trockener Rohstoffspender für die Ziegeleien in Bollmannsruh und Riewend, ist ein kaum verzweigter See mit vielen Inselchen. Der See liegt tiefer als der Wald, dessen sonnenwarme Kante voller Kiefernnadeln ist, mit ihr der Weg. Wieder so ein Platz für’s Zelt, wenn man ihn bräuchte. Hinterm Wald tönen die Kraniche am Beetzsee, und von der Sonne ist hier kaum noch was zu ahnen. Das war den ganzen Tag wohl so, denn alle Wege sind noch stark vereist, noch angetaut.
Am Bagower Bruch
Eine weitere dieser schönen alten Eichenalleen begleitet den Weg aus dem Wald, bis vom Waldrand die Westflanke des Mühlenberges sichtbar wird, zärtlich dominant. Der überragt die Seen und Dörfer hier um mehr als 30 Meter, immerhin. Bald kommt auch der Bagower Kirchturm in Sicht, und der Feierabend winkt. Die Kirche von Bagow ist ein verspieltes Gebäude voller Blickfänge, gehalten in einem nicht zu alten Rosa. Sie hat einiges erlebt und zuletzt viel Zuwendung erfahren. Die Buntglasfenster wurden wohl vor Kurzem überholt oder neu gemacht.
Abendlicht zwischen Bagow und Päwesin
Bagow
In den Wipfeln hoch über der Landstraße tollen ausgelassen Vögel herum, Dompfaffen, die wohl am Messwein mehr als nur genippt haben und deren ohnehin schon rot leuchtende Vorderseite durch die Sonne nun vergoldet wird. Die Gedanken öffnen den farblichen Vergleich zur Leuchtkraft eines Mönchsgewandes aus dem Kloster ein Dorf weiter. Der Blick schwenkt Richtung Beetzsee, und dort drängt der orangene Abendhimmel nun mit aller Macht durch die laublosen Waldstücken und das hohe Uferschilf, dessen Blütenbüschel jedes für sich zu leuchten scheinen. Auch der Päwesiner Kirchturm lässt sich noch von diesem Licht erwärmen, und beim Blick auf seine Uhr wird klar, wie deutlich länger schon die Tage wieder sind, obwohl der Januar noch gar nicht lange läuft. Ein schöner Ausblick!
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der Regionalbahn bis Brandenburg Hbf. bzw. Nauen, dann weiter mit dem Bus (1,5-2 Std.)
Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der B 5 Richtung Nauen, dort links Richtung Brandenburg abbiegen und auf der L 91 bis Päwesin (ca. 1,5 Std.)
Länge der Tour: ca. 15 km, Abkürzungen gut möglich (z. B. zwischen WP 7 und 18, WP 11 und 17 oder WP 22 und 27)