Vor ein paar Tagen auf einem der Obsthöfe bei Werder an der Havel: die kräftige Sonne ergänzt sich angenehm mit dem kühlen Wind des Tages und die meisten Stühle und Bänke zwischen den blühenden Kirsch- und Apfelbäumchen sind lose belegt. Dazwischen stehen aneinandergelehnt kleine Fahrradrudel und geben vielen der Genießer das trügerische Gefühl, keine Punkte ganz im Norden Deutschlands zu riskieren.
Elternteile liegen bäuchlings entspannt auf weichen Decken und ausgestreckte Kinder der Länge nach auf den Elternteilen, und zu jedem Zeitpunkt bewegt sich irgendjemand quer hindurch, um heiße schwarze oder prozentige bunte Getränke verlustfrei durch den Hindernisparcour zu lavieren, der harmlos ist, solange der Gleichgewichtssinn noch ungetrübt ist. Dazu je nachdem Gebackenes oder Gebratenes. Ein mattweiß verstaubter Bus der Blütenrundfahrt bringt nur eine Handvoll Nachschub, so dass die Schlange bei den Hütern der acht Weinballons entspannt bleibt.
Eine Gruppe gereifter Persönlichkeiten, die sonst vermutlich sich zum Wandern treffen, sitzt unweit nur vom Ausschank und frönt aufrichtig der harmlosen Heiterkeit, die geleerte Krüge und Karaffen hinterlassen. Eine stämmig kleine oder auch kompakte Dame in Rot, die indiskutable Bestimmtheit ausstrahlt, lässt Ihrer Stimme freien Lauf, die Tonhöhe sicher, die kräftige Schallausgabe etwas alterswacklig, und gibt ein Lied zum Besten vor den Freunden, das sicherlich ein Volkslied ist und von Natur erzählt und Heimatwonnen.
Sie greift entschlossen dann den leeren Krug vom Tisch und setzt sich in Bewegung, zielt auf den Ausschank, weiter kräftig singend. Trällert Vers für Vers und reiht Strophen aneinander. Das Personal bei den Ballonen zeigt wohlwollend und auch wissend Contenance, verbunden mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken der Anerkennung. Ein paar der Umstehenden geben nach dem Strophenende einen kleinen klapsenden Applaus, dennoch folgt die nächste Strophe. Da die Rotgekleidete nur den leeren Krug hinreicht und keine Zeichen zeigt, den Fluss der Melodie zu unterbrechen, kommt bei mir kurz der Gedanke auf, dass sie das Zahlen mit klingender Münze zu sehr wörtlich nimmt. Wie viele Strophen wären das wohl noch für einen vollen Krug?
Wir sitzen in gewisser Entfernung und verkosten selbst zwei Sorten des süffigen Obstweines, eine rot, die andere weiß. Dann ist der Zeitpunkt da, wo man sich wünscht, dass dies die letzte Strophe sei, der frisch gezapfte Liter mit einem Lächeln beglichen wird und man wieder die Bienen summen hört dort in den Blüten und die Hummeln. Es bleibt ein Wunsch, auch wenn das Lächeln im Gesicht anhält bei den meisten Leuten. Von der Bank hinter mir höre ich aus einer Männerkehle nicht laut, doch herzlich Worte, die auch ganz stark nach Heimat klingen: „Die Tante da kricht ahr keen Wein mehr!“
Stilles Gebrabbel von den Nebentischen
Dann kehrt tatsächlich Ruhe ein, alles wieder zu seinen Gesprächen zurück und die Dame zu Ihren Dürstenden. Der nächste Bus ist da, bringt viele neue Leute mit und fröhliches Gebrabbel. Nebenan unter den Kirschbäumen sitzen zwei Mädchen und flechten Haarkränze aus frischen Butterblumen, ganz vertieft. Wir machen Platz, ziehen im leichten Schwebeschritte weiter und verschwinden bald im blütenweißen Staub des nächsten Busses.
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Diese kleine Geschichte verdient eine Auszeichnung, hinreißend!