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Zerpenschleuse: Blaue Brücken, kalter Wind und ein Kanal nach dem Dornröschenschlaf

Nachdem der Dezember sich mit frühlingsmilden Temperaturen von Advent zu Advent und schließlich zu den Weihnachtstagen geschwungen hat und es schwer machte, in festlich-winterliche Stimmung zu gelangen, zieht das neue Jahr nun stirnhebend und kopfschüttelnd einen dicken Strich durch dieses laue Geplänkel und eröffnet den Januar mit einem furiosen Frostschock. Das geschieht so abrupt, dass trödelige Tropfen an laublosen Zweiglein umgehend und in glasklarer Transparenz gefrieren.

Neue Zugbrücke in Zerpenschleuse City
Neue Zugbrücke in Zerpenschleuse City

Wer jetzt dringend an die frische Luft möchte, um diese ganz besondere Stimmung des allerersten Spaziergangs im Jahr einzufangen, sollte nach dem wochenlangen Wechseln verschieden starker Übergangsjacken nun auf ausreichende Wärmedämmung für diese Stunden achten und dabei lieber etwas übertreiben. Ferner empfiehlt es sich, die Windrichtung zu beachten und offenen Passagen gegen den Wind aus dem Weg zu gehen.

Zerpenschleuse

Ganz gut geht das im Örtchen Zerpenschleuse, was ein ganz Besonderes ist im Land Brandenburg. Entlang der Ufer eines schnurgeraden pensionierten Kanals ziehen sich die dicht an dicht stehenden Fassaden des Dörfchens pittoresk und leicht entrückt über fast drei Kilometer, so wie das in Ost- oder auch Westfriesland ziemlich üblich ist, hier hingegen die Ausnahme. Vergleichbares gibt es auch an anderen Stellen im Lande, z. B. in Groß Lindow oder sehr schön auch in Oderberg, doch nirgends ist die Rezeptur so herrlich aufgegangen wie in Zerpenschleuse, nicht so einvernehmlich und direkt der Handschlag zwischen Ufer und Bebauung, und zudem in der Ausführlichkeit. Selbst für einen winzigen Spaziergang lohnt hierher die Anreise, da es so viel an Details zu sehen gibt und so viel Schönheit, panoramisch eingerahmt in tiefe Ruhe.

Im Orte selber hat sich in letzter Zeit sehr viel getan, sogar der Alte Finow-Kanal mit dem herrlich passenden Namen Langer Trödel scheint zurück ins Verkehrsleben gestoßen zu werden. Drei unlängst noch verlandete Stellen sind wieder offen, jetzt bestückt mit blauen Brücken und einer Schleuse, die dann und wann die Durchfahrt auch für Boote erlauben, die höher sind als ein Kanu mit Leuten drin. Damit steht Freizeitschiffern mit Kurs auf Liebenwalde nun eine entspannte Alternative zum viel und breit befahrenen Oder-Havel-Kanal bereit, wenn sie denn genügend Sitzfleisch und Ruhe für die übersichtlichen Brückenöffnungszeiten an Bord haben oder zweidrei Brettspiele unter Deck.

Am Langen Trödel, Richtung Schleuse
Am Langen Trödel, Richtung Schleuse

Vielleicht raubt das dem Langen Trödel vom Erscheinungsbild ein bisschen seine Unschuld, doch ist ein Verkehrsgerangel auch zu badewarmen Jahreszeiten kaum zu befürchten, denn wer schnell weiter will, hätte kaum die erwähnte Geduld zur Hand.

Wer sich Zeit nimmt für all die schönen Hausfassaden, der staunt, was es hier alles für Geschäfte und Wirtshäuser gab. Und kommt darauf, dass der Kanal sehr alt ist, älter als all die großen ihn umgebenden, und dementsprechend lange Jahre wichtiger Verkehrsweg. Schon gut vierhundert Jahre gibt es ihn hier, den Kanal, der seinerzeit von einem hohenzollerschen Fürsten in Auftrag gegeben wurde, um eine Verbindung zwischen Havel und Oder zu schaffen. Wenig später schickte ihn der dreißigjährige Krieg schon wieder in Vergessenheit und er verfiel. Erst über hundert Jahre später ging es weiter, ermöglicht durch den in vielen Hinsichten vorwärtsgewandten Alten Fritz und den Aufschwung der Industrie rund um Eberswalde. Und in der Tat gab es mit der Zeit immer mehr Verkehr auf dem Kanal, die technische Ausstattung musste ständig angepasst werden. Anfang des 20. Jahrhunderts überrannte der Fortschritt schließlich den Kanal selbst in Form des potenteren Hohenzollern-Kanals (heute Oder-Havel-Kanal), der westliche Teil wurde schlichtweg abgetrennt und stillgelegt. Nun ist auch das schon wieder Geschichte, wenn auch erst seit sehr Kurzem – ab der vorausliegenden Saison ist er für Boote kleinerer Bauart wieder durchgehend schiffbar, so zumindest ist der Plan.

Um Wegedopplungen zu vermeiden, lässt sich eine kleine Runde mit Wald- und Wiesenanteil gehen, die zudem ausführliche Rückansichten des Ortes mit sich bringt. Von der blauen Zugbrücke im Herzen des Ortes, wo die einstige Bundesstraße den alten Kanal quert, führt die Uferstraße zwischen Wasser und Häusern Richtung Oder-Havel-Kanal, zugleich der Weg zum Bahnhof. Da ist er jetzt zum ersten Mal, der Ostwind, und auch wenn noch kein dünnes Eis das Wasser ruhigstellt, so hat er doch unzählige der erwähnten Tropfen glasig konserviert, die wie vergessener Weihnachtsschmuck an den Zweigen hängen. Ein Eisvogel saust am anderen Ufer entlang und liefert seinen Beitrag zum Thema.

Tatsächlicher Farbtupfer am jenseitigen Ufer
Tatsächlicher Farbtupfer am jenseitigen Ufer

Hinter den letzten Häusern und dem obligatorischen Hochhaus am Rande der Stadt schafft nun nagelneu eine blautorige Schleuse die viele Jahrzehnte fehlende Verbindung zum damaligen Nachfolger auf der Kanal-Karriere-Leiter, dem Oder-Havel-Kanal. Wer sich die Gemütlichkeit des Langen Trödels jetzt nicht nehmen lassen will, schaut einfach etwas weiter rechts auf die kleine Fußgängerbrücke, die harmlos übers Wasser Richtung Bahnhof führt.

Noch davor führt rechts ein Weg in den Wald hinein, der vor einem eindrucksvoll hohen Damm verläuft, vermutlich dem Negativ-Abdruck des Kanalbettes. So wie der Wind hier in den Kiefern-Wipfeln tobt, will man glauben, dass direkt dahinter ein salziges Meer seine aufgescheuchte Brandung auf den flachen Strand jagt.

Auf dem Weg das Laub ist tiefgefroren und gibt dem Schritt oft unerwartet nach, nicht jede Pfütze hier im Wegeschlamm trägt schon, und so staksen wir etwas unbeholfen bis zum Waldrand. Voraus die erste Rückansicht des Ortes führt ein Wiesenweg bis zu den Gärten. Jenseits der Straße 109 verläuft ein breiter Weg durch den entsprechend der Jahreszeit etwas rumpligen und wenig aufgeräumten Wald, aus dessen Farben alles Grün gewichen ist – es dominieren Erdtöne in allen erdenklichen Varianten. Selbst heiteren Gemütern dürfte es schwerfallen, hier eine gedeckte Buntheit zu entdecken, zudem der Himmel grau und zugezogen ist. In der Tat ist es sehr erfrischend, als sich links des Weges gakeliges Blaubeerkraut erstreckt über die Fläche etwa eines liegenden Elefanten.

Blick über die Wiesen auf den schönen Rücken von Zerpenschleuse
Blick über die Wiesen auf den schönen Rücken von Zerpenschleuse

Im obersten Waldregister ächzen holzrheumatisch klagend die gipfelhohen Kiefern, denen der Frost direkt ins Gebälk gefahren ist. Wäre es schon dämmriger, wir würden unseren Schritt beschleunigen, ohne uns groß dafür zu schämen. Am Waldrand ist es wieder heller, auch wenn hier breit und braun der Acker liegt. Es gibt die zweite Rückansicht von Zerpenschleuse, die durch die Kirche in der Skyline schon mehr Spektakel bietet als vorhin. Noch während heißer Tee genossen wird, wird dieses Bild nun zum Neujahrs-Ereignis, denn die von ihrem flachen Zenit rutschende Sonne bricht durch die Wolken und taucht den langen Ort in dieses unfassbar warme Licht, wie das nur tief im Winter funktioniert.

Während dieses Licht über die Wahrnehmung indirekt von innen wärmt, steht uns hier am Waldrand, kalt und schattig, der Ostwind direkt auf den gut verpackten Hintern. Also rein in den Wald, wahlweise hätte man auch über den gefrorenen Acker direkt Richtung Wärmestrahlung queren können. Auf diesem stehen in größeren Abständen etwas hausgroße Verbünde aus Strohblöcken, hier vorn im Waldschatten fast schwarz, da hinten vor der Allee am Kanal sonnenvergoldet. In einem Dreigebirk etwa auf der Mitte nistet ein exklusiver Hochstand.

Kurz im Windschutz des Waldes ein paar Haken geschlagen, die uns zu einem stillen Sträßchen bringen, das nun als hochgewachsene Allee quer übers Feld zum Kanal führt. Voraus spaziert ein Paar, das dem zunehmend zügigeren Schritt nach eine oder zwei Schichten zu wenig auf der Haut trägt oder über undichte Stellen verfügt, etwa am Hals.

Beim Einbiegen auf die von guter alter Zeit plaudernde Allee entlang des Kanals schlägt nun das volle Ausmaß dieses wohlig warmen Lichtzaubers zu, zeitgleich mit dem froststarrenden Wind, der jetzt direkt von vorn aufs Gesicht trifft und noch weit eisiger ist als vorhin zwischen blauer Brücke und blauer Schleuse. Er zwickt jetzt dermaßen in die Nase, dass dreihundert Meter später erste Zweifel erscheinen, ob die linke Nase noch am Blutkreislauf teilnimmt. Gut, dass man dank der bisherigen Lebensjahre schon über einen gewissen Erfahrungsschatz in dieser Hinsicht verfügt, sonst könnte man in leichte Panik verfallen.

Alte Straße ins Dorf
Alte Straße ins Dorf

Diese paarhundert Meter betagter Straße bündeln so viel Schönheit und Erzählkraft in sich, dass man für einen Augenblick die Wirklichkeit anzweifeln könnte. Das Kopfsteinpflaster auf der rechten Seite ist von den Jahrhunderten gebeugt, war einst vielleicht ein Treidelweg. Links davon liegt ein glatter Streifen für Leute zu Fuß oder Rad und dazwischen kauert eine klobige Balkenreihe, die auch als endlose Rastbank dienen könnte. Zu den Seiten liegt hier die große Weite des Ackers mit seinen warm vergoldeten Strohburgen, dort der tiefste Ruhe ausstrahlende Lange Trödel, bestanden von hohen Uferbäumen. Voraus streckt sich die hohe Kirchturmspitze über alles, was noch davor steht, und zieht den Betrachter ins Dorf hinein.

Am Rand des Fußweges stehen zwei Fahrräder, gegenüber im Gestrüpp des Straßengrabens sind ein Sohn und sein Vater dabei, die aus allerlei Reisig geflochtenen Wände einer bislang dachlosen Baumhöhle zu verdichten – entsprechendes Gezweig liegt dank des zerrigen Windes ausreichend herum. Beide sind sehr beschäftigt und nehmen uns kaum wahr. Kurz darauf passieren wir das Ortseingangsschild von Zerpenschleuse, und sofort beginnt die lange Reihe verschiedenster Häuser und Fassaden, an denen man sich an weniger kalten Tagen länger noch als heute festgucken könnte.

Gleich unter den ersten Häusern ist ein schöner alter Holzschuppen mit großem Werkstattfenster, wo unter dem Namen Emma Emmelie Antikes angeboten wird. Der Uferrand gegenüber ist ganz in diesem Sinne mit viel Lust und Phantasie gestaltet, einer Schneider-Puppen-Madame wurde ein weit wallender Rock aus Kiefernzweigen auf die drahtigen Kurven geschneidert, abends auch beleuchtbar, ferner edler Halsschmuck aus rotlackglänzenden Hagebutten. Weiter vorn im Ort gibt es noch ein Pendant, auch dort wachsen auf dem hochgewölbten Uferrasen allerlei eigenartige Sträucher, an denen verschiedenste Tassen oder auch Bettfedern wachsen, jene aus Draht, nicht aus Gefieder.

Überhaupt ist der gesamte Uferstreifen bis vor zur Bundesstraße bezaubernd, teils sogar mit kleinem Graspfad, hier und da ein Baum und immer wieder einladende Bänke, fast niemals irgendein Verbotsschild. All das lädt intensiv zum Schlurfen und zum Trödeln ein, zumal es links und rechts so viel zu schauen und zu entdecken gibt.

Zwischen Hubbrücke und Alter Schule
Zwischen Hubbrücke und Alter Schule

Zerpenschleuse West

Zunächst jedoch das blaue Bauwerk No. 3. Auch dieses ersetzt als technisch aufwändige Hubbrücke mit allerlei muskulöser Hydraulik einen einstigen Steg aus Festland, der auch hier den Trödel unterbrach. Die westliche Ortslage hat nun ein wenig von ihrem Charme verloren, denn genau hier war das Ensemble aus Siedlung und Kanal ganz besonders verträumt. Man wird sich dran gewöhnen. In der seeartigen Erweiterung vor der Querung hielten sich zur Winterzeit immer jede Menge Enten auf, da der Kanal hier sicher eisfrei blieb. Da stehen wir nun an der schicken neuen Brücke, mit unserem Brot und ohne eine einzige Ente.

Kurz hinter der Brücke steht mit Anmut die wunderschöne Kirche, die liebevoll wieder hergerichtet wurde, fast aussieht, als sei sie eben erst gebaut worden. Hinten überm Wald steht der Himmel jetzt in Flammen, und ein bisschen von diesem Licht fällt durch die hohen Kirchenfenster. Rechts der Kirche verfällt das alte Wirtshaus, links steht fast wie neu die alte Schule, die wirklich genau aussieht wie eine alte Schule. Und als Gasthaus am Finowkanal schon seit langem die Aufgaben des Wirtshauses übernommen hat, zumindest am Wochenende, und das seit Anbeginn mit großer Herzlichkeit.

Etwas weiter treffen wir dann endlich auf die Enten und füttern, was die Tüte hergibt. Eine Frau läuft schnell vorbei mit ihrem Hund und bedankt sich für die Vertretung –  sie ruft noch, sonst macht sie das immer. Der einzige Grund, jetzt nicht in aller Ruhe weiterzutrödeln, ist die weichende Sonne, die dem ungebremst munteren Ostwind jetzt noch mehr Einfluss schenkt. Also am blauen Ausgangsbauwerk von vorhin noch die noblen Steganlagen bewundert und dann nix wie weg in Richtung einer schönen Einkehr mit warmen Ecken und Gemütlichkeit. Es war ein wirklich exklusiver Einstand in das neue Jahr.

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): vom S-Bhf. Berlin-Karow mit der Regionalbahn (ca. 1-1,5 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der B 109 und ehem. B 109 über Wandlitz Richtung Groß Schönebeck (ca. 1 Std.)

Länge der Tour: ca. 8 km, Abkürzungen gut möglich

 

Download der Wegpunkte

 

Links:

Artikel in der MOZ: Mit dem Boot nach Liebenwalde

Langer Trödel im Juni 2016 eröffnet

Zerpenschleuse: Der Ort stellt sich vor

NABU: Der Eisvogel

 

Einkehr:
Eiscafé Eisschleuse, Zerpenschleuse Mitte
Bootshaus Ruhlsdorf, am Bhf. Zerpenschleuse-Ruhlsdorf

[Das Gasthaus am Finowkanal ist mittlerweile leider geschlossen.]

Grobskizziert: Zwischen Ländchen und Luch – rund um Vehlefanz

Nach zwei kühlen Tagen folgt nun tatsächlich der erste kalte Tag dieses Spätherbstes – dennoch schien es unwahrscheinlich, dass bereits einen Tag später die ersten Flocken zaghaft vom Himmel herabsinken würden. Getan haben sie es dennoch und dabei eine Stille über alles in der Stadt und auf dem Land gelegt, wie das nur der allererste Schnee vermag.

Hügelländchen bei Vehlefanz
Hügelländchen bei Vehlefanz

Die Natur ist nach und nach zur Ruhe gekommen, wie sie das jedes Jahr tut zwischen Tagundnachtgleiche im September und Wintersonnenwende im Dezember. Alle Pflanzen haben die Farbregler weit heruntergeschoben, die harmonischen Erdtöne zwischen Braun und Grau gewinnen die Oberhand und alles, was noch von kräftiger Farbe ist, wird durch den Dunstfilter der Herbstnebel leicht geblässt. Was sich auch davon nicht beeindrucken lässt, schafft punktuell spektakuläre Akzente, so zum Beispiel die kräftig roten Hagebutten an ihren entlaubten Zweigen oder ein verirrter Asternbusch. Das meistgehörte Vogelpiepsen ist das der Krähen und des Eichelhähers, beide nicht eben für das Vorlesen drolliger Kinderbücher oder Minnesang geeignet und doch überaus passend für die akustische Untermalung dieser visuellen Stille.

In den wasserreichen und weitläufigen Landschaften kommt dazu noch das archaische Tönen der Kraniche oder das geschäftige Geplauder der Gänse. Viele von ihnen sind auf der Durchreise, die anderen bleiben gerne hier über den Winter. Während sich die beachtlich hochgewachsenen Kraniche von vorbeibretternden Autos in keiner Weise beeindrucken lassen, wenn sie nur wenige Meter neben der Straße auf dem Acker stehen, schrauben sich ihre Formationen mit viel Aufwand und Effekt langsam in die Höhe, sobald weit entfernt nur ein Menschlein vorbeispaziert. Gleiches gilt für die Gänse, hier ohne Schraube, und jeweils beide legen diesen Start zugleich mit Wucht und Anmut hin.

Weiher an der Autobahn, bei Vehlefanz
Weiher an der Autobahn, bei Vehlefanz

Gleich nordwestlich von Berlin liegt eine Landschaft, die vor Jahrhunderten fast völlig undurchdringlich war, kaum auf irgendeinem Weg zu queren, was taktisch von diesem und jenem gern genutzt wurde. Hier geben sich gleich mehrere ausgedehnte Luche die Klinke in die Hand und lassen neben der Autobahn nach wie vor kaum kurze Alternativen der Durchquerung – irgendwo ist meistens Schluss oder ein ausgedehnter Umweg fällig.

Das Luch darf fast als Brandenburger Spezialität gelten, zumindest als Begriff. Die Landschaftsform als solche gibt es sicherlich auch anderswo, doch unter der Bezeichnung Luch, die wohl auf slawischen Wurzeln ruht, ist sie vor allem hierzulande anzutreffen. Viel Wasser gibt es in so einem Luch, in Flüssen, Gräben und Kanälen sowie großflächig auch kurz unter der Oberfläche. Dementsprechend auch zahllose Paradiese für große Mengen wassergängiger Tiere mit zwei oder vier Beinen, von welchen mit noch mehr Beinen gar nicht zu reden.

Steg am Fischweiher
Steg am Nördlichen Karpfensee

Zwischen diesen Luchflächen liegen hier als leicht erhöhte Flächen die sogenannten Ländchen, ebenfalls ein hiesiger Begriff von allerschönstem Klang, der gleich Gedankenbilder öffnet. In Vehlefanz, östlich vom Ländchen Bellin und nördlich vom Ländchen Glien, ist man noch keineswegs tief in diesem ganzen weiten Luchgewirr, doch eine Wasserlandschaft gibt es dennoch hier, die weitaus schöner ist und vielfältiger, als sich erwarten ließe. Nördlich davon liegt – auch mit Klang im  Namen – der Krämer Forst.

Vehlefanz

Vehlefanz ist ein hübsches Angerdorf mit einem vergnügten Namen, das über eine erstaunliche Infrastruktur verfügt. Westlich des Dorfes spannt sich zwischen dem Nachbardorf Schwante im Norden und der Autobahn im Süden eine liebenswerte Kette kleiner und größerer Weiher auf, zum Teil mit Fischen drin und allesamt verbunden miteinander. In den zurückliegenden Siebzigern wurde sie um den größeren und weit verzweigten Mühlensee ergänzt, der schlichtweg aufgestaut wurde, quasi aus dem Nichts, und zunächst ganz profan der Landwirtschaft und ihrem Durst diente. Bald schon nach der Wende gab es dann ein Landschaftsschutzgebiet, und mittlerweile sieht man ihm die künstliche Entstehung kaum noch an. Ein Weinberg liegt an seinen Ufern, der einige Generationen zurück noch aktiv war und berebt, und mitten im Herzen des Sees eine Fast-Insel, auf der einmal im Jahr ein großes Sommerlager siedelt – seit fast schon zwanzig Jahren. In dieser Zeit gibt es vom Fuß des Weinbergs sogar einen kleinen Fährverkehr.

An der Weiherkette südlich des Mühlensees
An der Weiherkette

Der abgelegenste der Seen liegt als einziger südlich der Autobahn und war früher als Autobahnsee Schwante bekannt, wenn ich mich recht erinnere. Vielleicht war das aber auch ein ganz anderer See, womöglich der Bernsteinsee bei Velten.  Der Legende nach gab es seinerzeit auf dem entsprechenden Autobahn-Kilometer überdurchschnittlich viele Auffahrunfälle, da am See typisch ostdeutsch nackt gebadet wurde.

Was sich nun auch vom schönsten Körper aus einer Entfernung von hundert Metern im Vorbeirasen genießerisch wahrnehmen lässt, wirft Fragen auf. So entsteht vor dem geistigen Auge das Bild von zügig Reisenden, die mit dem Fernglas einhändig durch die Seitenscheibe zielen. Eine ganz außerordentliche Art von Bedürftigkeit. Gut insofern, dass der damals am weitesten verbreitete Leichtbau-Kraftwagen ohnehin nur mit inniger Mühe, viel Radau und kurzwelligen Vibrationen die dreistelligen Bereiche der optimistisch angelegten Tachoskala erreichte.

Stegweg über dem Mühlensee
Stegweg über dem Mühlensee

Der Mühlensee mit seinen zahlreichen Buchten und Halbinseln lässt sich seit Kurzem auf einem sehr schönen Weg aus der Nähe betrachten. Wem das nicht ausreicht, der kann vorher noch auf wiesigen Feldwegen die Ufer der südlich anschließenden Weiherkette erkunden. Deren besonderer Zauber liegt im Kontrast zum direkt benachbarten grasigen Hügelland, auf dem hier und dort einzelne Obstbäume stehen und über dem immer wieder der Kirchturm des Dorfes pittoresk hervorlugt. Sogar eine alte Wasserburg liegt gut versteckt am Rand der sanften Wiesenbuckel.

Blick über den Mühlensee nach Vehlefanz
Blick über den Mühlensee nach Vehlefanz

Der motorfreie Weg entlang des Sees wartet mit einigen gekonnt inszenierten Plankenpassagen auf, welche die voraus liegende Mühle bestens in Szene setzen. Die Bockwindmühle ist eine von einst Hunderten hier in der Region und feierte in diesem Jahr ihren zweihundertsten. Denkmal ist sie schon seit knapp vierzig Jahren, bis kurz vorher wurde noch Schrot gemahlen mit der Kraft des Windes. Mittlerweile gibt es immer wieder mal ein Fest oder einen Mühlentag hier.

Allee zum Schloss Schwante
Allee zum Schloss Schwante

Schwante

Leider ist der schöne Weg um den Mühlensee irgendwann zu Ende, doch tröstlicherweise gibt es gleich anschließend einen markanten Wasserturm und ein Schloss, beide verbunden durch eine Allee. In das Schloss war nach langem Leerstand wieder Leben eingezogen, und zwar ein ganz besonderes. Beim Vorbeigehen fällt zunächst das Restaurant ins Auge, nicht zuletzt durch den souverän unter freiem Himmel aufgehängten Kristallüster, der sicherlich ähnlich schwer ist wie ein ausgewachsenes Schaf. Ein weiterer wichtiger Kern des Hauses bestand bis vor Kurzem aus der genialen Theatertruppe, die in der dunkelsten Zeit des Jahres auch im Herzen Berlins die einzigartige Märchenhütte zum wochenlangen Leben erweckte, direkt an der Spree. Dementsprechend phantasievoll gestaltet sich der kleine Spielplatz im Schlosspark mit seiner entspannt schwingenden Schaukel. Die Märchenhütte an der Spree wird mittlerweile von anderen Leuten und auf andere Weise bespielt, das herrliche Original-Ensemble lässt sich nunmehr im Berliner Pfefferberg genießen – der liegt zwar nicht an der Spree, dafür jedoch fast metergenau auf der Randkante des Barnims.

Spielplatz im Schlosspark
Spielplatz im Schlosspark aus Sicht der Schaukel

Wenn jetzt schon ausreichend Stoff für mehrere Ausflugstage am Wege lag, geeignet für Ausflügler in allen möglichen Konstellationen, kommt noch ein weiterer dazu – die Bäckerei Plentz mit ihrem Holzbackofen draußen vor der Tür. Neben den wochenendlichen Holzbackofentagen hat fast jede Jahreszeit ein Fest zu bieten. Und gute Bäckerware gibt es die ganze Woche über, wahlweise im kleinen Café.

Blick auf die Schlosskarte
Blick auf die Schlosskarte

Am Rand des Dorfes jenseits der Kirche hält regelmäßig die Bahn, und nördlich dieser Trasse beginnt die absolute Ruhe – mehr November als hier geht kaum. Der Krämer Forst beruhigt allein durch die Gewissheit seiner baumbedeckten Weite bis hin zum Ruppiner Kanal im Norden. Draußen vor dem Wald liegen endlose Ackerschollen brach im flachen Land, deren einzige Aufgabe es derzeit ist, Tausenden von Kranichen als Tummelplatz zu dienen. Ab und zu quäkt ein Zug vorbei da hinten, mal knarrt im Wald einer von den Schwarzgefiederten aus dem Osten. Einige der Wege sind von sagenhafter Matschigkeit, als hätte es geregnet schon seit Wochen, verschlammt und kaum noch zu begehen. Umso schöner dann, am Ziel zu sein, voraus die Aussicht auf beheizte Räume mit Elektro- und auch Kerzenlicht.

Download der Wegpunkte

Links:

http://www.neu-reich.de/mein-oberhavel/velten/bernsteinsee-velten.html (Autobahnsee)

https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%BChlensee_%28Oberkr%C3%A4mer%29 (zum Mühlensee)

http://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/1378587 (zum Naherholungsgebiet Mühlensee)

www.sola-oberkraemer.de/ (christliches Sommerlager am Mühlensee)

https://museen.de/bockwindmuehle-vehlefanz-oberkraemer.html (Bockwindmühle Vehlefanz)

www.schloss-schwante.de/

www.hexenberg-ensemble.de (Original-Ensemble, nicht mehr in der Märchenhütte und im Schloss Schwante, jetzt im Pfefferberg in Berlin)

http://www.plentz.de/ (Bäckerei Plentz)

Stützkow: Wasserlinien, Ausblicke und die Kontraste der Landschaft

Die gemäßigten tropischen Nächte, die in der ersten Novemberhälfte ihr Unwesen trieben, wurden über Nacht von wassergetränktem Starkwind für einen Augenblick verblasen, irgendwo anders hin. Damit ist erstmals in diesem Herbst klar, welche Jacke anzuziehen ist. Die ganze Nacht hat es geschüttet, gefaucht und an Dächern und Fundamenten gezottelt. Gebracht hat es kühle, klare Luft, getränkte Vegetation und eine plustrige Decke düsterer Wolken, die bis dicht über die höheren Dächer der Stadt durchhängt.

Fußgängerbrücke in Stützkow
Fußgängerbrücke in Stützkow

Orte, wo sich Wolkenspiele und spätherbstliche Licht-Kontrast-Schauspiele besonders effektvoll inszenieren, sind unter anderem die nördliche Uckermark mit ihren variationsreichen Hügellandschaften und das wasserdurchfurchte, breite Tal der Oder. Beide sind relativ entlegen, und man muss zum Teil tief in Sackgassen vordringen, daher steht diese Region selten auf dem Plan. Das passt ganz gut, da sie so außerordentlich besonders ist und man mit dieser Kostbarkeit nicht verschwenderisch umgehen möchte – wenn man das möchte.

Beim Begriff Unteres Odertal öffnen sich Bilder von Singschwänen und anderen großen Vogeltieren, von durchpaddelbarer Wasserwildnis und einem Gewirr aus Flüssen, Altarmen und strömungsfreien Zwischenstadien davon. Später kommen dazu noch Gedanken an den faszinierenden Kontrast aus topfebener, breiter Talebene und länglichen Zügen aufgestauten Gerölls, das vor einiger Zeit einen beträchtlichen Gletscher zum Stillstand brachte und mittlerweile mit teils steilen Hängen vielfältig bewaldet oder wahlweise wiesenüberzogen ist, wie man das vielleicht von den Adonishängen bei Lebus oder den Biesdorfer Kehlen kennt, beide südlich von hier gelegen.

Blick auf Stützkow
Blick auf Stützkow

Die Landschaft kümmert sich bei diesem Kontrast nicht um Grenzen. Auch gegenüber oberhalb der polnischen Dörfchen steigen umgehend imposante Hänge an, wie hier mal bewaldet, mal bewiest. Und scheinbar etwas höher als die unseren. Ohnehin trägt es erheblich zur speziellen Faszination dieser Landschaft bei, dass nur einige Hundert Meter entfernt eine andere Kultur lebt, die trotz der dichten Nachbarschaft der unseren so sehr verschieden ist und noch dazu knapp 700 Kilometer in den Osten reicht. Grenzregionen ohne Fluss dürften in dieser Hinsicht sicherlich einen fließenderen Übergang haben, hier kommt noch hinzu, dass die Trennung über Jahrzehnte auch politisch vorgegeben war und einem solchen Übergang entgegenstand.

Blick vom Aussichtsturm an der Neuen Oder
Blick vom Aussichtsturm an der Neuen Oder

Also auf nach Osten, mit kurzem Stopp am Markt von Angermünde und seinen zauberhaften Plastiken, die förmlich überlaufen von Schalk, Phantasie und liebenswerten Details. Die Straßen danach werden immer kleiner und gewundener, bis schließlich Stützkow erreicht ist.

Stützkow

Über dem Ort bietet sich ein erster Blick mit Panorama-Qualitäten, bevor die Straße schnell an Höhe verliert und als Hohlweg die ersten Häuser erreicht. Die kleine Kirche mit ihrer goldenen Kugel unterm Windanzeiger lässt kurz an Stolzenhagen denken, gelegen ein paar Kilometer stromaufwärts, auch in Hanglage. Genau dazwischen steht der Grützpott, der stämmige Festungsturm von Stolpe, den man aus allen möglichen Fernen bestens sehen kann.

Aussichtsturm am Oderdeich
Aussichtsturm am Oderdeich

Eine kleine Bogenbrücke führt über die sperrig benamte Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße, die sich schiffbar in das Gewirr aus Alter und Neuer Oder drängelt. Sie ist mit etwas gutem Willen die direkte Fortsetzung des Oder-Havel-Kanals, verbindet somit Stützkow ganz direkt mit dem Westen von Berlin oder auch mit Havel, Elbe und New York. Letzteres wäre natürlich Richtung Norden auch einfacher zu haben.

Am anderen Ufer lockt neben verschiedenen Rad- und Wanderwegen auch ein Schild zur Oder, dem wir folgen. Beiderseits des deicherhabenen Weges liegt Wasser in der Landschaft, mal als Buchtung, mal als flacher Weiher. Ein paar Angler hocken unten, wo der Wind gemäßigt sein dürfte. Die Deichflanke war wohl kürzlich Schafland, letzte Zäune stehen noch, doch die Arbeit ist getan. Rechts hebt ein Sonnenaugenblick erwähnten Grützpott kurz hervor, links locken kleine Pfade in das feuchte Wiesenland, doch weit können die nicht kommen. Zwar kein Beweis, doch ein Indiz dafür sind all die Maulwurfshaufen, die es hier nicht gibt.

Blick über die Oderauen Richtung Polen
Blick über die Oderauen Richtung Polen

Hinter einem Wäldchen ist er dann erreicht, nach einer letzten Kurve – der große Deich der breiten Oder, die still und wuchtig  durch ihre Landschaft zieht. Ihre Uferlinie ist hier vergleichsweise sachlich, die strömungsmäßigenden, zur Flussmitte ragenden Arme aus schwerem Gestein nur wenig ausgeprägt. Gleich gegenüber, schon in Polen, fläzt eine ausgedehnte Insel voller alter Weiden, die kleine Badestrände bietet. Besser noch zu sehen ist sie vom schönen neuen Aussichtsturm gleich um die Ecke, der sich unbeeindruckt zeigt vom starken Wind.

Obstgarten am Schlosspark, Criewen
Obstgarten am Schlosspark, Criewen

Voraus bietet sich diese schwer beschreibliche Stimmung, trotz der Höhenzüge zu beiden Seiten mit enormer Weite und freiem Blick auf viele Kilometer. Dort im Norden ist die Landschaft lichtbeschienen, zurückgeblickt schieben sich dunkle Wolken ineinander. Ein einzelner Strahl hat sich durchgearbeitet und trifft in schrägem Winkel auf den Boden. Beim Beamen trifft der Strahl im rechten Winkel auf die Erde auf, soweit ich mich erinnern kann, also muss wohl später am Tag nicht mit Raumfahrern in figurbetonenden Uniformen gerechnet werden.

Zurück zur langnamigen Wasserstraße geht es kurvig und naturnah mit viel Schilf und Werden und Vergehen der Botanik. Ein verloren gegangenes Stück der Alten Oder macht sich breit und sucht nach einem Anschluss, schon seit Jahren.

Kirche im Lennépark, Criewen
Kirche im Lennépark, Criewen

Wieder am inneren Deich beweist die Wasserstraße, dass sie schiffbar ist. Ein langer Schubverband schiebt drei Portionen Koks vor sich her und wirft erneut die Frage auf, wie sich ein heckgetriebenes Fahrzeug dieser Länge ohne ständiges Anecken steuern lässt, denn sie hat schon ihre Krümmungen, die Wasserstraße, ist nicht so gleichförmig wie ein Kanal. Kurz darauf kommt gegenüber das schnuckelige rosa Kirchlein in Sicht und wirkt ein wenig, als wäre es von Wörlitz hierher durchgebrannt. Dass der Gedanke nicht ganz falsch ist, zeigt sich wenig später.

Criewen

Eine ansteigende Allee führt zur Brücke hinüber nach Criewen. Das abgelegene Dorf ist bekannt für sein Nationalpark-Besucherzentrum und dessen breites Angebot für diese einzigartige Region. Direkt dahinter liegt Schloss Criewen, wo man erneut auf altbekannte Namen trifft: Arnim und Lenné. Der eine ließ das Schloss errichten, der andere wurde für den Park beauftragt. Er führte ihn aus mit allem, was dazugehört, auch wenn nicht viel Platz war. Noch aus dieser Zeit stammen könnte die Kastanienallee, die von Norden kommend auf das Schloss zu führt, sowie zwei außerordentliche Platanen.

Bisons in der abendlichen Prärie
Bisons in der abendlichen Prärie

Im äußeren Bereich gibt es zudem einen sehr gelungenen Streuobstgarten mit hübschem Lehrpfad, und zwischen Teichen und dem langen Wasser steht eben dieses Kirchlein. Am Rand des Parkes weisen Schilder zum „Wilden Waldweg“ und dem „Weg der Auenblicke“ und eröffnen jetzt eine gänzlich neue Landschaft. Auf nicht viel mehr als einem Quadratkilometer erhebt sich recht verspielt eine Art Criewener Schweiz, in der Tat die Densenberge, vielfältig bewaldet und taldurchzogen.

Der Wilde Waldweg hat keinesfalls zuviel versprochen und steigert sich langsam vom flachen Pfad zum eingeschnittenen Gebirgsweg, dabei begleitet von zahlreichen Quellbächen. Rechts in der Prärie weiden vor dem letzten Sonnenlicht ein paar Bisons, die Natur rundum macht das, was sie will und lässt umstürzen oder herunterfallen, was sie für nötig hält. Durch tiefe Wälder geht es langsam höher. Rechts scheint die Hangflanke zu leuchten – die Lärchen haben ihre gelben Nadeln abgeworfen. Direkt am Weg steht eine hochgewachsene Douglasie von solchem Umfang, dass es mindestens der Spannweite einer Kleinfamilie bräuchte, sie zu umfassen.

 In den Densenbergen
In den Densenbergen

Ein paar beschilderte Abzweige später bietet sich zur Rast ein leicht windschiefer Pavillon in einem laubgefütterten Talkessel, in dem es zur Dämmerung vermutlich knackt und ächzt sowie raschelt und huscht. Jetzt ist es still, sofern keine Spaziergänger ihre Latschen durchs hohe Laub pflügen oder beim Anstieg schnaufen. Der Weg zieht seine Kurve als Höhenweg ins große Tal eines kleinen Baches. Kurz vor dem Austritt aus dem Wald lässt es sich über einen kürzlich erneuerten Plankenweg queren, in der Mitte beim vorüberplätschernden Bach stehen sich zwei Bänke gemütlich gegenüber. Zwei kleine Rehe oder große Hasen verkrümeln sich hastig durch den morastigen Bruchwald.

Plankenpfad am Rand der Densenberge
Plankenpfad am Rand der Densenberge

Ein offener Höhenweg verläuft vor der äußeren Bergflanke mit direktem Blick auf die Oderweiten, wo gerade eine große Formation von Gänsen weit verstreut landet. Die hätte man heute schon früher erwartet, doch in der Tat sind es ja meist die Abendstunden, wo vom Futtern zum Schlafen gewechselt wird. Dazwischen stehen einige weiße Reiher, silbrig oder seidig. Direkt vor dem steilen Hang eines kurzbegrasten runden Hügels, der für einen Augenblick an das südliche Australien denken lässt, knickt der bezaubernde Weg ab und bleibt seiner bisherigen Höhenlinie auch weiterhin treu. Dabei helfen eine ganze Reihe pittoresker Kurven, die sich rund um das Tal eines zunächst verborgenen Bächleins abspielen. Gleichzeitig baut der Blick nach rechts oben die australischen Visionen liebevoll aus und will dazu verleiten, hier kreuz und quer herumzulaufen und sich öfter mal ins struppige Gras fallen zu lassen.

Südaustralische Wiesenhügel bei Stützkow
Wiesenhügel bei Stützkow

Vom Stützkower Ortsrand streckt sich ein langer Bogen vor zum Wasser, wo ein Dorfbewohner in Gartenlautstärke schwülstigen Hardrock vergangener Jahrzehnte hört. Hardrock – gibt es das eigentlich noch im laufenden Jahrhundert, diese manchmal etwas halbgare Schwelle zwischen wirklich schwerem Metall und ehrlicher Rockmusik? Fluffig geföhnte Mähnen, die nicht zum Headbangen taugen? Oder wurde es von den unzähligen Spielarten des Crossovers irgendwann in den Neunzigern abgelöst oder schlichtweg überflüssig gemacht?

Aussichtsplatz oberhalb von Stützkow
Aussichtsplatz oberhalb von Stützkow

Am Ende des Bogens ruft eine hölzerne Treppe in Erinnerung, dass es am Beginn des Tages zunächst einiges hinab ging. Doch es lockt ein großartiger Blick ins Tal des Flussverbandes, mit Verschnauf-Rastbank schon auf halber Höhe, dann oben als Aussichtsplattform mit vollständigem Panorama. Weit reicht der Blick von hier und betont noch einmal, wie verzweigt und verspielt all das Wasser hier arrangiert wurde. Die Wolkenspiele waren anders als erwartet, die Sonne für Sekunden nur zu sehen und die zweite Dämmerung des Tages steht schon jetzt bereit.

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): von Berlin Hbf. über Angermünde in 1,75 Std. nach Criewen; Stützkow selbst nur wochentags und mit mehreren Umstiegen erreichbar (ca. 2 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): Autobahn A 11 Richtung Stettin, Joachimsthal/Angermünde ausfahren und über Angermünde und Felchow nach Stützkow (ca. 1,5 Std.)

Länge der Tour: ca. 16 km (Abkürzungen gut möglich)

Download der Wegpunkte

Links:

http://www.nationalpark-unteres-odertal.eu/ (Seite des Besucherzentrums in Criewen)

http://www.unteres-odertal.de (Seite des Tourismusvereins)

https://www.nationalpark-unteres-odertal.eu/beobachtungsturm-stuetzkow/ (relativ neuer Aussichtsturm an der Oder)

http://www.unteres-odertal.de/fileadmin/user_upload/unteresodertal/Prospekte/Auenblicke_2__Auflage.pdf (sehr schönes Faltblatt zum Weg)

http://www.unteres-odertal.de/fileadmin/user_upload/unteresodertal/Prospekte/WilderWaldweg_2__Auflage.pdf?download (sehr schönes Faltblatt zum Weg)

https://de.wikipedia.org/wiki/Criewen

http://www.linde-criewen.de/ (Gaststätte Zur Linde, Criewen)

Einkehr: Zur Linde, Criewen

Grobskizziert: Herbst im Netz der Spreewaldarme

Die Spree hat sich vor ziemlich langer Zeit auf einem relativ kurzen Stück ihres Mittellaufes zu einer herrlichen Laune hinreißen lassen. Unter die Arme gegriffen wurde ihr dabei ganz entscheidend von der letzten Eiszeit, die ja überall in Brandenburg und auch nördlich davon schönste Ideen verwirklicht hat. Von Menschenhand wurde dann vor vergleichsweise wenigen Jahren noch etwas nachjustiert.

Hinterm Museum, Lübbenau
Hinterm Museum, Lübbenau

Was dabei herausgekommen ist, freut jene von Herzen, die gern Superlative zusammentragen, doch auch andere, die bekannte und auch entlegene Winkel dieses räumlich relativ kleinen Gebietes genießen bzw. ergründen wollen. Ob es nun hunderte oder tausende Fließe, Kilometer oder preußische Meilen von spreegespeisten Wasserläufen und –läufchen sind und ob wirklich der Leibhaftige mit seinem angeblichen Ochsengespann für das ganze Gewirr verantwortlich gemacht werden kann, wird sich wohl niemals in Gänze klären lassen. Vielmehr wirft es die Frage auf, warum gerade der Teufel mit einem derart trägen Fahrzeug unterwegs gewesen sein sollte.

02 Hafen
Seitenhafen in Lübbenau

Fest steht, dass der Spreewald als eines der meistbesuchten Touristenziele im Land gilt und dennoch zu jeder der Jahreszeiten seinen ureigensten Zauber vielerorts auch für diejenigen bereithält, die größere Ansammlungen von Menschen gern vermeiden. Am einfachsten ist das naturgemäß in den kühleren, jedoch noch nicht kalten Zeiten des Jahres. Nachgerade ideal ist es im November.

An der Gurkenfabrik am Stadtrand
An der Gurkenfabrik am Stadtrand

Gut zu wissen ist dabei, dass es zum einen den Oberspreewald gibt. Dieser liegt zutiefst verspielt zwischen Lübben, Lübbenau und Burg, ist eher rundlich von Gestalt und für gewöhnlich gemeint, wenn vom Spreewald die Rede ist. Lübbenau ist aus Ostberliner Sicht gesprochen quasi das Nikolai-Viertel des Spreewaldes, aus gesamtdeutscher oder globaler Sicht dessen Neuschwanstein oder Rüdesheim. Hier findet sich all das in pittoresker Quintessenz und noch dazu auf kleinstem Raum, was den Spreewald nach außen hin ausmacht.

Auf dem Weg aus der Stadt, Lübbenau
Auf dem Weg aus der Stadt, Lübbenau

Dann gibt es noch den Unterspreewald, der sich vergleichsweise länglich zwischen Lübben und dem Neuendorfer See aufspannt, nicht mehr ansatzweise so verzweigt und schon etwas sachlicher. Kurioserweise gibt es den Inneren Unterspreewald und auch den Inneren Unterspreewald, von den äußeren Pendants wurde hingegen noch nichts gehört oder gelesen.

Am Abzweig bei der Kurbelschleuse
Am Abzweig bei der Kurbelschleuse

Ganz nebenbei besucht man bei einem Ausflug in den Spreewald einen anderen Kulturkreis mit slawischen Ursprüngen, dessen folkloristische Seiten man an vielen Stellen auf den ersten und an weitaus mehr Stellen auf den zweiten Blick wahrnehmen kann. Um ihn zu erleben, müsste man einen Tag lang Mäuschen spielen können in einer der sorbischen Familien, die auch nach Feierabend etwas mit Tradition am Hut bzw. an der Haube haben.

Spreebrücke mit Schwanenfamilie
Spreebrücke mit Schwanenfamilie

Die besondere Landschaft des Spreewaldes sagt vielleicht ebenso viel über die Traditionen der Sorben aus wie die Schlangenköpfe an den schwarzholzigen Hausgiebeln und die aufwändigen bunten Trachten, an denen man sich nur schwer sattsehen kann. Und alles Genannte gehört ganz klar zu dem, was man immer wieder sehen möchte, wenn einen die Sehnsucht hierher zurückführt. Also an dieser Stelle ein klarer Dank an alle, die dieses Kulturgut bewahren helfen.

Zwischen Spree und Barzlin
Zwischen Spree und Barzlin

Für eine Tour durch den Oberspreewald gilt es einen zentralen Gedanken zu beachten: es gibt nur begrenzt viele Querungsmöglichkeiten über den Nordumfluter im Norden, die Hauptspree und den Südumfluter im Süden und das Große Fließ dazwischen, die allesamt weder überspring- noch durchwatbar sind. Hilfreich ist die verlässliche Ausschilderung, die zudem davor bewahrt, den allumgebenden Schutzraum mit seinem Piepmätzen, Krabbeltieren und sonstigen Lebewesen versehentlich zu verletzen. Und vor langen Rückwegen aus einer der zahlreichen Sackgassen, die oft tief im klammen Walde ihr spontanes Ende finden.

Fichtenwald an der Streuostwiese auf dem Barzlin
Fichtenwald an der Streuostwiese auf dem Barzlin

Lübbenau

Die unten umrissene Tour kommt je nach Auslegung auf eine Länge zwischen 16 und 21 Kilometern. Vom Städtchen Lübbenau aus führt sie vorbei an einer Gurkenfabrik und entlang verschieden breiter Fließe bis zur gediegenen Brücke über die Hauptspree. Rund um die kaum wahrnehmbare Erhebung des Barzlin mit der für den Spreewald äußerst ausgefallenen Kombination aus Fichtenwald und Streuobstwiese wurden leicht erhöhte Plankenwege gebaut, da das Wasser hier bisweilen gern über die Wegränder drängt.

Brücke über das Große Fließ
Brücke über das Große Fließ

Nördlich des Großen Fließes gibt es auf langen, geraden Wegen weite Blicke in alle Richtungen, allenfalls gebremst von ausgedehnten Schilfflächen und geradlinigen Reihen hochgewachsener Pappeln und anderer Laubbäume. Auf den weiten Feuchtflächen rasten gern große Herden durchreisender Gänse – von Schwärmen kann aufgrund des behäbigen Verhaltens der eindrucksvollen Interessenverbände nicht geredet werden. Wenn diese gesammelten Massen kommentarreich in der Ferne aufstieben, stockt unweigerlich der eigene Schritt, und der Blick staunt in die betreffende Richtung.

Gastwirtschaft Wotschofska im Winterschlaf
Gastwirtschaft Wotschofska im Winterschlaf

Nach dem zweiten Überqueren des Großen Fließes folgen in der einsamen Weite der Weiden- und Erlenwälder noch Barran-, Mittel, Gestell- und Neuer Kanal, bevor über den Burg-Lübbener Kanal die Wotschofska erreicht wird.

Wotschofska

Das ist auch so ein Ort wie aus dem Märchen, und wenn man um die Ecke zum großen schwarzen Wirtshaus mit seinem kleinen Hafen tritt, würde man ein blass-buntes Treiben von Leuten erwarten, gekleidet in Gewänder in gedämpften Farben und aus solchen Zeiten, in denen Märchen am liebsten spielen. Also zumindest ohne Strom, Telegraph und Verbrennungsmotoren.

Wotschofska-Weg, die Erste
Wotschofska-Weg ohne etwas Sonne

Doch im November schweigt hier der Hochwald, der breite Vorplatz zwischen Gasthaus und Hafenkante ist lückenlos von Laub bedeckt und das stille Wasser rundum liegt höchst geheimnisvoll und schwärzer noch als schwarz. Schwarz wie ein Kohlpechrabe. Ein eilig handgeschriebener Zettel im Schaukasten heißt für den nächsten März willkommen.

Wotschoska-Weg mit etwas Sonne
Wotschoska-Weg mit etwas Sonne

Schon bis zu dieser Stelle waren alle Wege ausnehmend schön, Begegnungen mit Menschen gab es drei an der Zahl, das geht in Ordnung. Doch jetzt kommt eine Passage – eine der göttlichen Drei im Oberspreewald. Knapp eine Stunde führt ein weltentrückter Pfad, mal schmal, manchmal auch breiter, durch die verwunschenste und innerste Natur, durch wurzelnasse Erlenwälder, fließdurchzogen. Mehr als fünf Male führen solche charakteristischen Brücklein ans andere Ufer, und über längere Passagen geht man direkt am Ufer, mal schnurgerade und mal sanft geschwungen. Das Abendlicht auf dieser Stunde Weges ist immer ganz besonders, egal wie gerade der Monat heißt oder die Jahreszeit. Heute liegt schon erster Nebeldunst dicht überm Wasser, zu sehen nur aus der nahen Ferne.

Brunnen auf dem Markt, Lübbenau
Brunnen auf dem Markt, Lübbenau

Vorbei an zahlreichen Kreuzungen der Fließe und Kanäle führt dieser Weg direkt zum Kleinen Hafen, und am anderen Ufer ist man auf einmal mitten in Lübbenau. Wer am Beginn des Tages noch nicht den schönen Brunnen auf dem Markt gesehen hat, sollte das jetzt nachholen, selbst oder gerade dann, wenn es schon dunkel sein sollte. Auch er erzählt von Sagenhaftem.

 

 

Download der Wegpunkte

 

Buchholz: Laubeuphorie, Apfelbäume und die stille Schönheit

Nach längerer Brandenburg-Abstinenz wünscht man sich idealerweise eine Tour, die möglichst viel von dem vereint, was die märkischen Landschaften ausmacht. Quasi eine eierlegende Wollmilchsau unter den Brandenburg-Touren, die keinen Schönheitswettbewerb, kein Wettrennen und auch keinen Faustkampf gewinnen muss, nur eben die grundlegenden Bedürfnisse stillen soll. Dazu muss man sich gar nicht weit von Berlin wegbewegen. Es gibt jedoch auch nichts, was dagegen spricht.

Gelbes am Anger in Buchholz
Gelbes am Anger in Buchholz

In diesem Fall greife ich gern zum Basis-Baukasten und nehme zunächst zwei bis drei Dörfer in halbwegs offener Landschaft, am besten mit Feldsteinkirchen. Dazu verschiedene Arten von Wegen, also Alleen, buschbestandene Feldwege und solche durch Wald, in dem am besten sowohl Nadel- als auch Laubbäume stehen. Etwas Wasser kann auch nicht schaden, im Idealfall fließendes und stehendes bzw. längliches und rundliches. Wenn dann noch ein verträumt morastiger Talgrund zur Auswahl steht, ist alles bestens.

Buchholz

Orte mit Namen Buchholz gibt es im deutschsprachigen Raum wirklich unfassbar viele, allein in Brandenburg kommen schon einige zusammen. Eichholz und Birkholz sind hier schon seltener. Eines dieser Buchholze liegt zwischen Altlandsberg und Strausberg und ist so ein richtig märkisches Dorf. Eher länglich, mit offenem Anger, auf dem sich die Kirche erhebt, aus Feldsteinen gebaut. Grundstücke und Gärten grenzen rückseitig direkt an Felder und Wiesen.

Robinienallee von Buchholz zur Wesendahler Heide
Robinienallee von Buchholz zur Wesendahler Heide

Die Wiese auf dem Anger ist fast vollständig vom goldgelben Laub der großen alten Linden bedeckt, die rundherum stehen, der Briefkasten dazwischen ist daher schwerer auffindbar als sonst. Zwischen den Bäumen, deren Rinde stellenweise rot übertüncht ist von sonnenbadenden Feuerkäfern, stehen einladende Bänke. An einer davon ist von Mitdenkenden ein Flaschenöffner fest verschraubt worden. Den brauchen wir jetzt nicht, doch die Bank nehmen wir gerne. Ein Auto schleicht vorbei, mit weichem Grünzeug im Anhänger, aus zwei offenen Fenstern ragen drei Mädels und sind über die Maßen vergnügt. Papa steuert die Fuhre souverän und mit stillen Grinsen.

Waldfeld in der Wesendahler Heide
Waldfeld in der Wesendahler Heide

Die Stimmung ist nicht nur deswegen friedlich und gemütlich. Nicht diese trügerische Dorfstille, wie man sie aus manchem Krimi kennt, sondern eine aus allerhand Schönheit und Entspanntheit. Dort radeln ein paar Kinder hin und her, hier wird ein generationenübergreifender Schwatz gehalten. Dazu die Stille der herbstlichen Landschaft und die bewahrende Kraft der Sonne, die ihren Hintern dieser Tage nicht mehr allzu hoch bekommt.

Am Ende des Dorfes zweigen gleich mehrere verlockende Wege ab und verlangen umgehend eine Entscheidung. Wir bleiben beim Plan und schwenken nach links in die herrliche breite Allee hin zum Walde. Während die ersten Bäume hier schon laublos sind, die meisten anderen prächtige Variationen zwischen gelb, gold und goldbraun auffahren, zeigen sich die großen Robinien dieser Allee noch relativ ungerührt in schönstem Grün. Viele der tiefen Furchen ihrer ausgeprägten Rinde liegen talschattig im Dunklen, währenddessen die sonnenbeschienen Flanken moosgrün in tiefwarmem Licht erscheinen.

Nachmittags im Gamengrund
Nachmittags im Gamengrund

Am Ende der Allee strömt aus dem kühlen Wald würziger Duft aus dem ätherischen Öl der Kiefern, dem Laub der Eichen und der Eicheln selbst und noch all dem, was auf dem Boden wächst und welkt. Es ist betörend, wirklich. Geradeaus ginge es direkt zur Spitzmühle zwischen Fängersee und Bötzsee, doch wir biegen ab. Der lichte Weg führt dicht am Waldrand entlang und traut sich doch nicht ganz heraus, der Blick aufs Feld ist dennoch frei. Links und rechts stehen jetzt keinerlei Blümchen mehr, dafür umso mehr besonders gerade gewachsene, hochstielige Pilze, kein Schmaus für die Pfanne, doch fürs Auge. Nette kleine Wichtigtuer, die ihre Wochen unterm Licht genießen.

Kurz geht es tiefer in den Wald und vorbei an einem Ameisenhaufen, wo selbst die Nachsaison so langsam zum Erliegen kommt. Nur wenige Schwarztaillierte sind hier noch unterwegs, und das nur träge und kaum abgesprochen. Von vorne ist jetzt schon das Tierheim zu vernehmen, das oberhalb der Wesendahler Mühle liegt und damit kurz an Strausberg denken lässt. Noch davor liegt ein Feld, vom Wald umgeben, und ehe es zu sehen ist, da ist es schon zu riechen. Das Feld liegt brach, doch darüber hängt mit großer Wucht ein Aroma, gemischt scheinbar aus abgehangenen Fischernetzen, Jungsumkleide und dem Mist von Allesfressern. Hier wurde frisch gedüngt, und es riecht so gar nicht nach Chemie. Da ist sie also wieder, die würzige Landluft aus der Erinnerung der Kindheit und dem klugen Wort der Väter.

Auslagen in den Farben der Saison, Gamengrund
Verschiedenfarbige Auslagen, Gamengrund

Der Weg verläuft etwas im Walde und hält effektiv mit Waldluft gegen, so dass keine Nase so lange gerümpft bleiben muss, dass Falten zu befürchten wären. Rund um das Tierheim begleiten teuflische Holzskulpturen den Wegrand, einprägsam von Gestalt. Kurz hinab Richtung Wesendahler Mühle mit ihrem gut erhaltenen Mühlrad, und schon nach wenigen Schritten beginnt ohne viel Spektakel einer der zauberhaftesten Talgründe, die Brandenburg zu bieten hat. Sein nördliches Ende berührt fast schon das Oderbruch, und auf dem Weg dorthin ist er reich an Abwechslung, Schönheit und dabei weitgehend unberührt. Obwohl sich der Gamengrund selten mehr als dreißig Meter tief in die Landschaft senkt, erwächst an vielen Stellen der Eindruck, man würde durchs Mittelgebirge spazieren. Zwischen seinen Hangflanken gibt es gleichermaßen vielfältige Laubbestände wie auch märchenhafte Fichtenwaldpassagen, dazu immer wieder Seen von nennenswerter Größe und das alles verbindend die herrlichsten Wege und Pfade. Das Licht einer jeden Jahreszeit kann hier ganz besonders schön seine Spiele treiben.

Chaussee von Wesendahl Richtung Strausberg
Chaussee von Wesendahl Richtung Strausberg

So auch heute, wo die schon den ganzen Tag tief stehende Sonne ihre staubigen Strahlen leicht aufmüpfig durch die goldenen Wipfel drängt und breit auf den Waldboden wirft, der fast ausschließlich von leuchtenden Laubteppichen bedeckt ist. Mal pflügt der Fuß lautstark durch aufgekruscheltes Eichenlaub, mal braucht man ihn über großen platten Ahornblättern kaum anzuheben. An einigen Stellen geht dieses Gelb fast mit scharfer Grenze in goldbraunes Buchenlaub über, das dem Wald gleichermaßen verhangene Romantik verleiht wie das Goldgelb herbstliche Euphorie.

Meistenteils ist man hier als Hanghuhn unterwegs, da der Weg stets leicht dem Grunde zugeneigt ist. Der ist auf diesem kurzen Abschnitt von kleinen, doch eindrücklichen Kalkmooren durchzogen, Schilfflächen und Urwüchsigkeit der Vegetation zeugen davon. Die Existenz dieser Moore hier ist zahlreichen kleinen Quellen zu verdanken, die direkt im Gamengrund das schattige Licht der Welt erblicken. Wie der Boden beschaffen ist, spürt man recht verbindlich, wenn man am kleinen Weiher nördlich der Landstraße auf alten, halb versunkenen Eisenbahnschwellen zum Ufer wappt und der Grund weich nachgibt. Wer absolute Sachlichkeit nicht zu seinen Grundeigenschaften zählt, sollte sich hier zwischen den Dämmerungen besser nicht aufhalten. Der Puls könnte steigen.

Äpfel links und rechts vom Zaun
Äpfel links und rechts vom Zaun

Der Weg zieht sich biegefreudig unterhalb des stattlich geneigten Hanges entlang. Bei der ersten Gelegenheit wenden wir uns nach links und direkt in den Aufstieg, der von goldenem Ahornlaub über goldbraunes Buchenlaub bis zum braunem und hartem Laub der Stieleichen führt, dem spitzrandigen. Und oben direkt in eine kurze Allee entlässt, mit freier Sicht auf die leicht gewellte Landschaft. Voraus liegen die weiten Apfelplantagen von Wesendahl.

Weg von Wesendahl nach Buchholz
Weg von Wesendahl nach Buchholz

Das spalierartige Obst steht Weinreben gleich in schnurgeraden Reihen, die erst am Horizont zu enden scheinen. Alle Äpfel sind geerntet, nicht einmal der eine Apfel ist zu finden, der eigentlich immer noch zu finden ist. Auch draußen an der Landstraße stehen Apfelbäume, windflüchtend und zugänglich für jedermann. Anscheinend ebenfalls wohlschmeckende Sorten, denn auch hier ist kein einziger Apfel mehr zu finden, nicht am Baum und nicht im zottigen Gras darunter. Die Bäume entlang der Chaussee nach Strausberg sind komplett entkleidet und präsentieren schon ihr filigranes Astwerk, mit kleinem Fingerzeig zum Winter.

Alleeweg nach Buchholz
Alleeweg nach Buchholz

Wesendahl

Auch Wesendahl strahlt diesen Frieden von vorhin aus, obgleich das Dorf an einer stillen Durchfahrtstraße liegt. Laub wird gefegt und auch hier ein Schwatz gehalten, der Garten noch in Form gebracht, bevor die dunkle Zeit zugreift. Beim Apfelhof vor den großen Lagerhallen stapeln sich diese riesengroßen Kisten, in denen kleine Kinderhorden große Höhlen schaffen könnten mit einem Besenstiel und ein paar Decken und ganze Ferienwochen damit ausgestalten. Hier zeugen sie davon, dass dieses Jahres Apfelernte durch ist. Wovon man sich in den meisten Obsttheken der Geschäfte überzeugen kann, wenn man genauer auf das Etikett schaut.

Wer sich die Suche auf Etiketten ersparen möchte, kann hier direkt im Hofladen feine Äpfel bunkern oder, besser noch, zur rechten Zeit selbst Hand an die wohlbestückten Bäume legen. Alleine das ist schon einen Ausflug nach Wesendahl wert, denn es macht Spaß und ist in vielen Hinsichten anregend – nicht zuletzt auch in der Erdbeerzeit.

Am Ortsrand von Buchholz, kurz vor dem Saloon
Am Ortsrand von Buchholz, kurz vor dem Saloon

Das Gutshaus visavis der Kirche muss in den letzten Jahren aufgemoppelt worden sein und steht jetzt prächtig da und sehr zufrieden. Geht man daran vorbei, beginnt auf ein paar Metern Kopfsteinpflaster der verträumte Alleeweg, der mit weiten Blicken nach Westen über die Felder nach Buchholz führt, niemals gänzlich geradeaus und flankiert von teils sehr alten Bäumen. Einziges Sichthindernis ist hier der Spitzberg mit seinen knappen neunzig Metern Höhe, immerhin, und die auch noch bewaldet.

Gemeinsam mit dem lieblichen Duft des Pappellaubes kommen die ersten Häuser von Buchholz in Sicht – schade fast, der Weg hätte ruhig noch ein paar Viertelstunden länger sein können. Eine Katze verzieht sich schnell über die Mauer des ersten Hofes, ein paar Gänse schnattern irgendwo hinten und jemand sägt im schwindenden Licht. Vorbei am solide gebauten Saloon, der hier in Personalunion als Jugendtreffe, Gemeindezentrum und als Kino funktioniert, kommt der Anger in Sicht. Es könnte ewig noch so weitergehen, doch ist es jetzt auch schön, am Ziel zu sein. Jeder Wunsch von heute morgen ist erfüllt.

 

 

 

Anreise ÖPNV (von Berlin): mit S-Bahn und Bus über Altlandsberg, Strausberg oder Werneuchen (am Wochenende ca. 1-1,5 Std., in der Woche deutlich länger)

Anreise Pkw (von Berlin): Landstraße nach Altlandsberg, von dort über Vorwerk nach Buchholz oder wahlweise Wesendahl (ca. 1 Std.)

Tourdaten: ca. 10 km, Abkürzungen möglich

Download der Wegpunkte

Links:

http://www.altlandsberg.de/index.php?page=kp_buchholz

https://de.wikipedia.org/wiki/Gamengrund

http://www.kalkmoore.de/fileadmin/gemeinsam/1_EU_LIFE_Kalkmoore/Infomaterial_Infotafeln/Infotafeln/UGG_Infotafel.pdf

http://www.altlandsberg.de/index.php?page=kp_wesendahl

http://www.obstgut-franz-mueller.de

http://www.camargue-pferdehof.de

 

 

Einkehr: Bistro Zur Pferdeschänke, Wesendahl (mit Sonnenterrasse; geöffnet am Wochenende)(keine eigene Erfahrung)
Hofladen und Selbstpflücke vom Obstgut Müller (Wesendahl)
Armenhaus, Altlandsberg (beim Storchenturm am Scheunenviertel; gutes Essen in gemütlich trutzigem Gewölbe)

Tonstiche, ein versunkenes Gleis und das unbekannte Ribbeck

Die Tage werden bunter, die Nächte kühler, und jeweils dazwischen gibt es nun wieder die Dämmerungsnebel, die scheinbar und allmählich das Tempo aus den Tagen nehmen. Darunter liegen  dunkle Äcker, vor kurzem noch Felder, begrenzt von Baumreihen mit erstem Gelb im Gefieder. Ein paar standhafte Grillen kommentieren noch die sonnigen Passagen dieser schönen Altweibersommer-Tage, doch die Schwalben haben endgültig das Weite gesucht. Dafür werden Spaziergänge unweit entlegener Wasserflächen und abgeernteter Maisfelder vom Tönen der letzten Saurier begleitet, auf angenehme, beruhigende Weise. Die Verbünde der Kraniche sind noch klein, doch das Sammeln ist bereits zu ahnen, auch wenn sich mittlerweile viele von ihnen zum Bleiben versammeln. Leuchtende Apfelbacken und knallrot lackierte Hagebutten bringen sanfte Euphorie in die Wegränder, an denen noch immer eine beachtlich bunte Vielfalt von Blumigem steht.

Siesta kurz hinter Ribbeck
Siesta kurz hinter Ribbeck

Die halbe deutschsprachige Welt kennt Ribbeck, das Ribbeck im Havelland, doch gibt es noch ein anderes, was weitaus direkter mit der Havel zu tun hat. Benachbart ist der recht bekannte Ziegeleipark Mildenberg, der direkt am Fluss liegt und auf diesem Wasserwege das schnelle Wachsen der Stadt Berlin vor guten hundert Jahren möglich machte. Davon geblieben sind unter anderem eine ganze Reihe verschieden großer Stichteiche direkt am Fluss und auch hier etwas abseits. Daraus ist in den letzten Jahrzehnten eine berührend schöne, stille Landschaft gewachsen, die sich gut zu Fuß durchkämmen lässt, zumindest hier und da.

Die Straßenränder auf der Hinfahrt fordern zum Wiederkehren an fast jedem der folgenden Wochenenden auf – irgendwo findet immer ein schönes Fest statt, die Themen sind mal ganz süddeutsch-zünftig Oktober, oft auch Erntedank oder ganz einfach Herbst. Und das geht durch bis Anfang des Novembers.

Allee bei Rieckesthal
Allee bei Rieckesthal

Ribbeck

Kurz hinter Zehdenick geht es nach Mildenberg, das nächste Dorf ist dann schon Ribbeck. Das Licht und auch die Luft sind so klar, wie sie es nur im September sein können, vielleicht auch noch im März, und auch die Düfte dieses Monats sind alle hier versammelt. Frisches Laub und Eicheln, reifes Obst und erste Pilze und wieder dieser zarte Duft des Pappellaubs, das noch am Baum ausharrt. Die kleine Kirche auf dem Anger scheint ihr Schattendasein zu genießen, das Dorf strahlt Frieden aus. Auf dem Weg hinaus peesen drei Bengels auf ihren Rädern durch das Dorf und wirken damit sehr beschäftigt. Der letzte Garten geht direkt in die erste Weide über, auf der die Kühe lümmeln, herrlich faul die Euter ausgebreitet. Nur jede zweite hat den Kopf noch oben, jede von ihnen genießt die Sonne auf dem luftgekühlten Lederpelz, das kann man sehen.

Auf der Spur der Gleise - Pfad zwischen den Teichen
Auf der Spur der Gleise – Pfad zwischen den Teichen

Für uns stehen jetzt die ersten drei Verkostungen an, drei Apfelsorten, jede grundverschieden. Die dritte dann bekommt den Zuschlag, kräftig aromatisch, saftig und leicht sauer. So dass es an den Zähnen quietscht, ein bisschen. Hinter dem Gehöft bei Rieckesthal wird der Weg noch etwas gemütlicher und sieht aus wie schon vor hundert Jahren. Die Büsche dichter und die Früchte wilder. Von oben kontrastiert der Himmel blau wie selten.

Großer Stichteich
Großer Stichteich

Ein paar Angler laden gerade ihre Ausstattung aus, erwidern unseren stillen Gruß mit lautlosem Brummeln – warum müssen jetzt hier Leute langlatschen und den Fisch verschrecken? An dieser Stelle wird erstmals eine Wasserfläche sichtbar, sonnenglitzernd und umbuchtet. Dahinter dann beginnt ein Pfad, der mitten durch die wilde Landschaft führt, mit unergründlich dicht gewachsener Botanik links und rechts und immer wieder neuen Wasserflächen, mal teich-, mal seengroß. Manchmal führt ein Stichweg bis ans Ufer, manchmal liegt dort ein halb ersoffenes Boot an einem schiefen Steg. Im flachen Wasser der einst trockenen Fläche stehen stabig Reste kleiner Wälder, ein Bild von düsterer Romantik und gespenstisch schön. Auf diesem schmalen Band des Pfades nehmen wir die unsichtbare Spur der alten Werkbahn auf, deren Schienen hier vor ein paar Jahren noch vereinzelt schimmerten. Bis hinter Mildenberg wird uns die Spur begleiten.

Blick auf Ziegelscheunen
Blick auf Ziegelscheunen

Neben den üppigen Wiesen mit all ihren Gräsern und den dichten Schilfflächen, in denen es ständig raschelt, wird der Pfad begleitet von Hopfen und Holunder. Letzterer ist absolut erntereif, die Beeren durchgängig tiefschwarz und groß und prall. Überall sonst sieht er noch ziemlich dürftig aus, doch mit dem vielen Wasser hier, da scheint er prächtig zu gedeihen. In diesem Sinne ist es schade, dass die Tour fast noch am Anfang steht, sonst könnte man gleich ernten.

Immer wieder sorgt der Kranichlärm für angehobene Köpfe, und bei der Suche nach den Vögeln sehen wir bunte Punkte aus den dichten weißen Wolken fallen. Und kurz darauf entfalten zu mehr Fläche, zunächst noch planlos trudelnd, dann kontrollierter einer Richtung folgend. Stimmt – ein paar Kilometer Richtung Gransee gibt es ja die Möglichkeit für einen Fallschirmsprung, allein oder als Tandem, und der Tag ist heut perfekt dafür. Alle Viertelstunde geht der Flieger hoch und schraubt sich langsam in die Höhe, um dann im Halbminuten-Abstand die bunten Willigen herauszuwerfen. Das muss erhebend sein, trotz freiem Fall, wenn sich nach ein paar Sekunden blindweißem Sturz durch die Wolken der Flickenteppich aus Feldern und Teichen öffnet, so klar, wie heut die Sicht ist. Und kurz darauf der Fallschirm.

Pro Flug sind das um die zehn bunte Punkte, das Ganze viermal in der Stunde – da dürften heute recht viele Leute zu Fall kommen, erst frei und dann gebremst. Wer es geschafft hat, auf den warten unten Strandkörbe mit absoluter Bodenhaftung und Kaffeepötte mit derselben Eigenschaft. Oder ein Kurzer und gleich noch einer hinterher.

Familienspaziergang über die Wiese
Familienspaziergang über die Wiese

Ziegelscheunen

Auch hier am Boden gibt es nichts zu vermissen, selbst wenn der sagenhafte, scheinbar stundenlange Pfad die Teichlandschaft verlässt und doppelt breit voraus zum Weiler Ziegelscheunen führt. Die wenigen Häuser hier greifen das Thema Ziegel in vielen Variationen auf. Der weitere Weg ist jetzt etwas ungewiss, und eine Stunde später ist klar, dass man ihn meiden sollte zwischen Mai und Mitte September. Doch wenn nichts wächst oder Gewachsenes abgemäht wurde, kommt man hier bestens lang, auf schönen Wegen und mit freiem Blick. Immer wieder queren Tierpfade, vom Acker rüber bis zum Ufer. Manchmal führt dorthin auch ein Stichweg und gestattet einen Blick über die weite Wasserfläche bis zum nächsten Kirchturm und den Mildenberger Schloten. Die alte Bahntrasse läuft bald wieder nebenher, ist mittlerweile undurchdringbar zugebuscht.

Im gebremsten Fall
Im gebremsten Fall

Vorbei an Mahnhorst, auch mit eigenen Teichen und einem schönen Steg, führt der Weg nach ein paar grasigen Knicken übers freie Feld, mit freiem Blick und direkt auf der alten Trasse der genannten Bahn. Ein Gleis war bisher nicht zu sehen.

Hafen am Großen Stichteich
Hafen am versunkenen Wald, Großer Stichteich bei Ziegelscheunen

Mildenberg

Das Gleis gibt es in Mildenberg, quer über die Straße laufen hier die Schienen. Rund um die angerständige Kirche ruht eine breite Mauer, die gut geeignet ist für eine Rast. Währenddessen fährt ein BMW vorbei, an der Antenne einen Fuchsschwanz. Dass es das noch gibt – vielleicht steht alles als Gesamt-Ensemble unter Artenschutz, Fahrer, Schweif und Fahrzeug. Gemeinsam die Jahrzehnte überdauert, die Epochen. Wir sind gerührt. Der Schweif geföhnt, wie’s scheint. Es geht ja auf das Wochenende.

Ein herrlicher Weg lockt direkt von der Kirche Richtung Ziegelei-Gelände. Die kleine Anhöhe und der hohe Mais zur Rechten wecken kurz Erinnerungen an Höhenwege durch den Wein. Was von der Stimmung her zum Herbst ja bestens passt. War auch ein Weinfest ausgeschrieben an der Straße, auf der Hinfahrt? Wo es doch seit den letzten Jahren überall lauter nördlichste Weinberge Deutschlands gibt. Bestimmt existiert er irgendwo, der Havelwinzer.

09 Himmelsblick
Himmelsblick

Ein kleines, doch stabiles Brücklein lässt uns über den breiten Welsengraben, der ganz sachte fließt, glasklar. Jedes dahintreibende Blättlein Entengrütze wirft seinen scharfen Schatten bis zum Grund mit seinem dunkelgrünen Blätterwald. Das folgende Stück Straße führt vorbei an mächtig alten Weiden, die im besten Safte stehen, egal ob ganz oder geborsten. Vorn, wo der Wald beginnt, gabelt sich der Weg, und wir verlassen die Straße nach links. Hier im lichten Kiefernwald gedeihen nahezu perfekte große Schirmpilze mit ihren kuriosen Krausen in der Halsregion, der angenommenen. Ansonsten sieht es noch recht mau mit Pilzen aus, zu trocken war die letzte Zeit. Rechts aus dem Wald tönt Live-Musik von echten Instrumenten, irgendwas Größeres wird dort gefeiert. Eine Allee von ausgewachsenen Eichen zieht sich links des Weges durch den Nadelwald – und behält den Grund dafür für sich.

Auf der Spur der Gleise - Weg nach Mildenberg
Auf der Spur der Gleise – Weg nach Mildenberg

Am Waldrand geht es links nach Ribbeck. Diese Allee, schon älteren Datums und dementsprechend schattig, wäre durchaus brauchbar für ein Kalender-Titelblatt. An ihrem Ende kommt das Dorf in Sicht, etwas vorher schon der kleine Kirchturm. Obwohl der Tag noch stundenlang so weitergehen könnte, ist es jetzt schön, am Ziel zu sein.

Weg von Mildenberg zum Graben
Weg von Mildenberg zum Welsengraben

Wir wollen zum ausgeschilderten Oktoberfest in Zehdenick, doch erfahren vor Ort, dass es erst um acht beginnt – da wären wir verhungert. Unweit vom Markt werden wir fündig und können daher nach dem Essen noch einmal zur schönen Zugbrücke und dem Becken vor der Havelschleuse schlendern. Noch ist Leben an der Eisdiele, bevor bald Wärmeres begehrter sein wird. Der erste Grog, er kommt bestimmt.

 

 

 

Anreise ÖPNV: mit der Regionalbahn nach Zehdenick oder Fürstenberg, von dort mit dem Bus nach Ribbeck (1,5-2 Std.)

Anreise Pkw: Landstraße über Liebenwalde nach Zehdenick, von dort Richtung Mildenberg bis Ribbeck (kleiner Parkplatz nahe der Kirche)(ca. 1,25 Std.)

Tourdaten: ca. 16 km, Abkürzung möglich (von Mahnhorst direkt zurück nach Ribbeck)

 

Download der Wegpunkte

 

Einkehr: in Zehdenick mehrere Einkehrmöglichkeiten (Empfehlung: Hotel Klement, zwischen Markt und Zugbrücke, gemütlich, gute Küche);
direkt am Weg in Mildenberg Gaststätte „Zum deutschen Krug“ (keine eigene Erfahrung)

Grobskizziert: Bachtäler, Pfade und ein Kleinstgebirge

Wer auf dieser Seite gelandet ist und länger als einen Augenblick verweilt hat, dem braucht höchstwahrscheinlich nichts über die Märkische Schweiz berichtet zu werden – ebenso wenig wie über den Spreewald, die Rheinsberger Seen oder das Schlaubetal. Alle sind als Landschaft landes-, wenn nicht sogar bundesweit bekannte Ziele für Touristen, die trotz ihrer Bekanntheit nichts von ihrem Zauber und ihrer Einzigartigkeit einbüßen mussten und wohl auch nie einbüßen werden. Schlichtweg auch deswegen, weil sie genügend Auslauffläche und Rückzugsraum bieten, damit sich auch größere Menschenmengen gut verteilen können.

Unterhalb von Schauinsland, Münchehofe
Unterhalb von Schauinsland, Münchehofe

Dennoch könnte ich an dieser Stelle Absatz an Absatz reihen, befüllt mit Schwärmereien und Bekundungen von Begeisterung gegenüber diesen wenigen Quadratkilometern lieblich-wilder Landschaft, die so üppig angefüllt sind mit Schönem. Da würde ich schreiben von tief zwischen den Hügeln eingesenkten Seen, die zudem selbst beachtlich tief sind. Von schönen Wanderwegen und -pfaden, an deren Knotenpunkten Schilderbäume mit wohlig klingenden Namen stehen, so wie Wolfsschlucht und Silberkehle, Tornow- und Klobichsee oder Pritzhagener Mühle und Poetensteig. Oder Ortsnamen wie Dahmsdorf, Münchehofe und Waldsieversdorf. Vielleicht auch noch die Wurzelfichte am Sophienfließ, mittlerweile eine eindrucksvolle Ruine historischen Holzes, und der humorvoll beplankte Gummiweg am kleinen Buckowsee, der einen der schönsten Blick auf die Stadt am anderen Ufer bietet.

Uferpfad am Großen Klobichsee
Uferpfad am Großen Klobichsee

Verbindendes Element der Märkischen Schweiz ist der lebhafte Stöbberbach, wahlweise auch Stobberbach, Stobberow oder einfach nur Stobber, der gleichermaßen Kneipp-Lustigen, einem stattlichen Mühlrad sowie großen und kleinen Forellen seine kühle Strömung anbietet. Und kurioserweise von seinem Quellgebiet im Roten Luch sowohl nach Süden als auch Norden fließt. Rotes Luch – auch so ein schöner Name, doch ein anderes Kapitel.

Blick auf den Großen Klobichsee
Blick auf den Großen Klobichsee

Erwähnen würde ich zudem die schöne Vielfalt an Bäumen, die besonders in den Jahreszeiten des Werdens und Vergehens die Faszination dieser Landschaft noch verstärkt. Mit über die Hänge gelegten, dichten Teppichen aus Laub, doch auch dunklen Märchenwäldern voll gedrängt stehender Fichten. Dass hier, wie im Gebirge üblich, tief in der Botanik schöne Einkehrmöglichkeiten warten und in tälerner Randlage ein absolut pittoreskes Kurstädtchen liegt, das mit allem aufwartet, was zu so einem Städtchen gehört – sogar einem tiefen Bergsee mit türkisem Wasser. Und natürlich vom ständigen Auf und Ab, dass selbst bei normalen Tagestouren zwei bis dreihundert überwundene Höhenmeter ansammelt. Besser also, man hält die Länge der Tour im Rahmen und unterschätzt nicht milde lächelnd dieses Schweizlein.

Stattdessen fasse ich mich kürzer und lasse ein paar Bilder sprechen.

Buckower Kleinbahn beim Schwarzen See
Buckower Kleinbahn beim Schwarzen See

Beginnt man die waldschattige Tour in Münchehofe, gelegen scheinbar hinter sieben Bergen und etwa 35 Höhenmeter überm Tal des Stobberlaufes, empfängt eine schattige Schlucht als Einstieg in den Tag. Der Weg um die Klobichseen ist pfadig, angenehm naturnah und geht sowohl mit der Abwechslung als auch dem Auf und Ab unverdrossen in die Vollen. Reichlich Bänke für Rast und Schmaus gibt es schon jetzt, schwer ist nur jeweils die Entscheidung. Das gilt auch für all die verlockenden Wegweiser, die alle paar Minuten vom Weg weg locken.

Am Markt in Buckow
Am Markt in Buckow

Am Ende eines entspannten Graswegs durch verschiedenste Waldstücken liegt der Schwarze See mit seinen himmlisch schönen Ufergärten, kurz dahinter geht es über Gleise, die der Museumsbahn. Den ganzen Tag kann man sie tuten hören, mitteilsam und fröhlich.

Im Buckower Schlosspark
Im Buckower Schlosspark

Entlang stehenden Stobber-Wassers tritt man vorm Bahnhof ein nach Buckow, ein Städtchen, fast zu schön, um echt zu sein und dennoch wirklich. Selbst noch im Ortsgebiet gebirgig und zwischen Hang und Seen eingeschmiegt. Im alten Lindenhotel am Markt ist wieder Leben, die beiden Eingangslinden wirken gleich viel stolzer.

Auf dem Buckower Schlossberg
Auf dem Buckower Schlossberg

Vom Schlosspark hoch zum Schlossberg kommt man kurz ins Schnaufen, doch oben steht als Lohn die schönste Aussichtsbank der Stadt. Die kuhbestandenen Streuobstwiesen gleich dahinter sind jedes Mal aufs Neue sehr erstaunlich. Mitten hindurch führt eine Apfelbaum-Allee. Und weckt Erinnerungen ans Meißner Elbland und macht Lust, die dort mal wieder aufzufrischen.

Abstieg vom Buckower Schlossberg
Abstieg vom Buckower Schlossberg

Direkt am Stobberbach und einer einladenden Kneipp-Stelle nahe der Güntherquelle liegt das Schweizerhaus, so eine Art Naturpark-Zentrum. Einmal im Jahr, manchmal auch seltener, findet hier das Apfelfest statt, meist in der Mitte des Septembers. Da kann man seinen Apfel vom Garten oder Wegesrand mitbringen und von Kundigen bestimmen lassen, wie er heißen könnte. Wer gerne selber rätselt, findet auf einem wirklich langen Tisch vier Dutzend Teller mit vier Dutzend alten Apfelsorten, vollständig oder aufgeschnitten zum Begutachten oder Verkosten. Dann gibt es schöne bunte Stände, wo man selbst aktiv werden kann oder etwas Regionales kosten oder kaufen. Den herzhaften und süßen Hunger stillen oder die Lust auf Schönes, gefilzt, getöpfert oder sonstig handgewerkt. Und natürlich gibt es alles hier rund um den Apfel.

Bei den Tornowseen
Bei den Tornowseen

Nach diesem bunten Trubel des schönen Festes geleitet einen der Bach verlässlich in die Stille, stufenweise und romantisch. Um die Tornowseen herum führen die Wege der Wahl zum nobel gelegenen Haus am Tornowsee und dran vorbei, hinten heute, da vorn ein Hochzeitsfest im Gange ist. Rund um die benachbarte Pritzhagener Mühle zeigt der Stobberbach auf kleinstem Raum sein umfassendes Können, bevor er sich dann in sein langes offenes Tal verzieht, das ihm bis zur Eichendorfer Mühle viel Raum und Himmelslicht gewährt. Bevor er dann im Wald erneut verspielt wird und sich austobt bis zu den Teichen von Altfriedland. Auch das ein anderes Kapitel.

An der Düne zwischen Alter Mühle und Münchehofe
An der Düne zwischen Alter Mühle und Münchehofe

Gediegen und entspannt kurvt die Waldstraße nach Dreieichen, zuletzt als markante Hohlgasse, und an der Alten Mühle mit ihrem schönen Weiher beginnt der lange, sanfte Aufstieg. An einer kleinen Düne öffnet sich nach rechts ein langer Wiesengrund. Zugleich mit dem Dorf kommt oben hinterm Waldrand ein kräftiger Regenbogen in Sicht, der standhaft über dem brach liegenden Acker verweilt. Der Himmel gleich dahinter ist stahlblau, das Land ringsum gefärbt im warmen Licht der tiefstehenden Sonne, die warme Farbe noch ganz frisch.

 

 

 

Tourdaten: ca. 16 km, dabei ca. 250 Höhenmeter, Abkürzungen gut möglich

 

Download der Wegpunkte

 

Anreise ÖPNV: direkt nach Münchehofe schlechte Anbindung, darum mit der Bahn von Berlin-Lichtenberg bis Müncheberg, von dort mit Bus oder Kleinbahn (Mai-Sept. Wochenende und Feiertage) nach Buckow (knapp 1,5 Std.)

Anreise Pkw: auf der B 1 nach Müncheberg, von dort nach Münchehofe (ca. 1,5 Std.)

Einkehr: in Buckow zahlreiche Möglichkeiten für jeden Geschmack und Geldbeutel, unterwegs ferner Pritzhagener Mühle und Waldcafé Drei Eichen

Letschin: Oderbruch, Obstgenuß und ein lebendiger Märchenfilm

Eine absolute Spezialität unter den Brandenburger Landschaften ist die gleichermaßen spröde und faszinierende Landschaft des Oderbruchs zwischen Frankfurt im Süden und Oderberg im Norden, die auf manche flach und eintönig wirkt, auf andere hingegen eine suchtartige Anziehungskraft ausübt. Wer Platz, Weite und Einsamkeit sucht, wird hier zu jeder Zeit bestens bedient, und wer es an kalten Tagen noch etwas kälter haben möchte, findet kurz vor der Oder den richtigen Platz dafür.

Weinreben am Südrand von Letschin
Weinreben am Südrand von Letschin

Auch jetzt, wo der Spätsommer dem frühen Herbst die Klinke in die Hand gibt, wird hier bei aller spartanischen Gestalt der Landschaft ein Sinnesspektakel geboten, das alle Viertelstunde tief und zufrieden durchatmen lässt. Der frische Wind und die noch immer kräftige Sonne empfehlen sich gegenseitig, dazu gibt es die breit gefächerten Düfte abgeernteter Felder mit offenliegender Erde, die aus bestimmten Gründen im Oderbruch ganz besonders schwarz und satt aussieht. Gut, wenn man nicht querfeldein muss, denn man würde es sich mit jeder Art von Schuh verscherzen. Abgesehen von Gummistiefeln, doch mit denen geht nun kaum jemand spazieren.

Zu alle dem kommt das in der Luft liegende feine Eau de Parfum des Pappellaubs, ganz gleich, ob noch am Baum oder nicht ganz rascheltrocken am Boden. Und die Allgegenwart reifen, oft gut erreichbaren und dann wohlmundenden Obstes. Aus den teils stehenden, teils langsam fließenden Gräben, die kulturgegeben dieses Landschaft durchziehen, riecht es würzig nach brackigem Wasser, und das Schilf sieht jetzt schon etwas fahler aus.

Bahnhof Letschin, Blickrichtung Frankfurt
Bahnhof Letschin, Blickrichtung Frankfurt

Letschin

Ziemlich der einzige Ort mitten im Oderbruch, der mehr nach Stadt schon als nach Dorf aussieht, das ist Letschin. So wie der Alte Fritz, quasi der Schöpfer dieser Landschaft, hier allgegenwärtig ist, trifft man an vielen Stellen auch auf Friedrich Schinkel, oft auch ganz direkt. So ist der von seiner Kirche verlassene Schinkelturm fast das Erste, was in Sicht kommt, wenn man sich dem Orte nähert. Die Gaststätte mit erwähntem Fritz im Namen liegt derzeit leider brach.

Vom Turm verläuft ein Pfad direkt auf dem Anger, von dem es links auf einer kleinen Gasse zum Fontanepark hin lockt – womit ein dritter großer Name der Mark Brandenburg erwähnt sein darf.

Ein wirklich schöner Radweg führt vom alten Postgebäude aus dem Ort heraus, vorbei an einem waagerechten Weinberg und einem gut bestückten Pflaumenbaum, der dasteht, wie eine Seemannsbraut, die hin zum Bahnhof sehnt. Genau dort ist das andere Ende dieses Weges. Zuletzt ist noch der breite Letschiner Hauptgraben zu queren, der mit Geduld auf seinem Weg zur Alten Oder ist, und dann steht man auf dem Bahnhofsvorplatz. Nach Eberswalde fahren Züge oder nach Frankfurt.

Aufgemöbelter Personen-Waggon im Eisenbahnmuseum
Aufgemöbelter Personen-Waggon im Eisenbahnmuseum

Gut eine ICE-Länge weiter überrascht eine bunte Sammlung großer und noch größerer Gegenstände, die mit Eisenbahn zu tun haben. Absoluter Augenfang des kleinen Museums ist ein Passagierwagen, der mit viel Herzblut von einem kläglichen Zustand zu dem aufgebaut wurde, was heute hier zu sehen ist. Vom Museum führt parallel zum Kanal und auch der Bahn ein grasiger Weg. Direkt unterm dichten Deckhaar der Halme zeugt das schwere, scheinbar lehmige Erdreich davon, dass es in den letzten Tagen ein paar stärkere Regenfälle gab, die hier nicht so einfach in Minuten wegsickern, sondern auch nach Tagen noch für einen unsicheren Gang sorgen. Und beim Ausrutschen wohl eher für eine harte Schlammkruste auf dem Hosenboden als hartnäckige Grasflecken.

Versammlung von Ackerbürgern
Lose Versammlung von Ackerbürgern

Wir wackeln, watscheln und gleiten also mit Bedacht entlang des Wasserzuges, der höchste Ruhe ausstrahlt, als weiter hinten ein winziger Zug den leicht erhabenen Damm entlanghuscht. Und sich schnell gen Frankfurt entfernt, das an der Oder wohlgemerkt. Fünf sausende Schwalben und auch eine Grille rufen den noch nahen Sommer ins Gedächtnis. Ein alter Bahndamm, wohl vergangene Nebenstrecke, führt nun als Weg entlang einer hochgeschossenen Pappelreihe und bietet eine Handvoll Apfelsorten an, von denen keine richtig überzeugen will. Der eine süß, doch völlig ohne Säure und Charakter, der andere dann so sauer, dass sofort das Gesicht entgleist.

Voßberg

Danach führt der Weg quer durch das Gehöft von Voßberg, wo alles grad zu schlafen scheint, sogar die Katzen. Ohnehin liegen heute alle sichtbaren Katzen am Weg bemerkenswert breit und ganz besonders faul an irgendwelchen Plätzen rum, auf die die Sonne scheint oder noch eben schien.

05 Letschiner Hauptgraben
Am Letschiner Hauptgraben

An diesem Tage zeigt sich klar wie selten, wie weit verstreut und theoretisch doch benachbart diese ganzen Dörfer, Höfe oder Häuser hier in der ganz besonders flachen Ebene liegen. Eben noch am schönen Bauerngarten nahe Voßberg, jetzt lustlos angekläfft von zwei leicht zerstrittenen Hunden bei den Stallungen von Margarethenhof. Voraus zu sehen das kleine Steintoch, im Westen noch Letschin mit seinem landmarkanten Schinkelfinger und östlich schon die allernächste Zukunft mit den großen Ställen von Gut Wollup. Dazwischen zumeist kurvenlose Verbindungen und bejahrte Alleen, aus eben diesen Gründen weithin sichtbar.

06 Weg nach Wollup
Der Weg nach Wollup

Ein Hobbyflieger überholt uns in der Luft und ist schnell ganz woanders. Und doch gleich wieder da, nach uns zu sehen. Noch vor den Ställen von Gut Wollup gibt es nun den Obstausgleich mit formvollendet guten Birnen, saftig, groß und ohne viel Gymnastik pflückbar. Gegenüber eines Feldes voll mit hochgewachsenem Mais liegt still ein kleiner Weiher. Ein Pfad lädt ein und führt gänzlich unerwartet in eine eigene kleine Welt, die eine Mischung bildet zwischen Märchenfilmkulisse, guter alter Zeit und einem Leben ohne Strom, elektrischen.

07 Weiher bei Wollup
Grasernte am Weiherrand, Gut Wollup

Gut Wollup

Am jenseitigen Ufer erntet ein Alter mittels Sense das hohe, bunte Gras des Ufergürtels, das hochgeschichtet schon auf seinem Fahrradhänger liegt. Ein anderer ist auf der eigenen kleinen Scholle mit der Hacke unterwegs, derweil zwei Katzen in den hohen Mais verschwinden, die eine klein, die andere noch kleiner, und stillhalten dort unten bei den Stämmen, mit großen Miezenaugen. Von weiter vorne hört man kleines Applaudieren, so wie nach selbstgeschmiedeten Ansprachen bei familiären Festlichkeiten. Von der gepflasterten Wendeschleife mit ihrem brechend vollen Apfelbaum fällt der Blick auf einen mühlenlosen Mühlteich, über ein pittoreskes Feldsteinbrückchen verschwindet gerade ein anderes Heugespann in ein Stück Wald. Es ist, als wäre man in einen Film hineingeraten. Nicht in die Filmkulisse reingetappt, nein, wirklich in dem Film höchstselbst.

Buchenallee im Naturpark Wollup
Hainbuchenallee im Naturpark Wollup

Da es nun schon passiert ist, nutzen wir die Chance und kreuzen quer durch diese Handlung, die im farbenfrohen und klangfreudigen Kleid eines lieben Märchens vom Alltag auf dem Land berichtet. Am Fuße eines alten Gingkobaumes tummelt sich nah des Ufers eine kleine Entenherde, erstaunlich schweigsam. Wären sie im Gespräch, bestimmt würde man sie jetzt und hier verstehen können, die Entensprache. Wär in der Lage auch zu antworten.

Jenseits der Steinbrücke beginnt ein schattiger Park mit dichten Buchen, und alles ist durchzogen von Wasser und entsprechend vielen Brücklein, eine schöner als die andere. Tiefer im Wäldchen angeln Brüderlein und Schwesterlein mit ihren selbstgebauten Ruten, in schönster Harmonie. Das wohldosierte Licht, das die Wipfel bis zum Boden lassen, zeichnet die ganze Märchenwelt noch klarer und auch wärmer. Es ist bezaubernd.

Szenen aus dem Märchenfilm: Auf dem Fest
Szenen aus dem Märchenfilm: Auf dem Fest

Mittlerweile ist vom Fest Musik zu hören, vom Akkordeon. Aus schönen alten Weisen dieses Landstrichs kristallisiert sich dann eins später „Ich war noch niemals in New York …“ heraus und bereitet damit sanft die Phase Eins der Rückkehr in die Wirklichkeit vor. In Sichtweite des Herrenhauses treffen wir nochmals auf die Entenherde und streifen fast berührbar nah die in schönstes Bunt gewandeten Menschen rund um die Musik, als wären sie real.

Als wir vorbei sind, schütteln wir uns sanft und schauen nochmal zurück – jetzt stehen da auch lauter Autos, solche neuen Baujahrs und mit TÜV-Plaketten, voraus ein großer Kuhstall mit grauen Blechwänden, vorn auf der Straße quert ein hochmoderner Traktor – die Phasen Zwei und Drei greifen zugleich, und wir sind wieder zurück. Um eine unvergessliche Erinnerung reicher.

Szenen aus dem Märchenfilm: Brücklein im Walde
Szenen aus dem Märchenfilm: Brücklein im Walde

Wollup samt Domänengut – das es als solches schon über 500 Jahre gibt – muss einmal ziemlich bedeutend gewesen sein und ist es vielleicht noch heute – die Dimension der Rinderzucht ist eindrucksvoll, und die riesigen Gewächshäuser im Norden erklären die zahlreichen Mehrgeschosser am Dorfrand, auch wenn einige davon aktuell leer stehen. Hier werden im großen Stil Tomaten angebaut.

Übrigens: wie wir vom tüchtigen Herren mit der Sense beim kurzen Plausch erfuhren, geht seine Wagenladung auf direktem Wege als Futter für die Rindviecher aufs Gut. Und im Zusammenhang mit dem Märchen-Park fällt noch ein weiterer großer Name Brandenburgs: er wurde, wie schon gar nicht anders möglich, von Peter Joseph Lenné entworfen. Wird liebevoll Naturpark genannt, ein hölzernes Schild vorn an der Straße lockt mit gewisser Raffinesse dorthin.

Allee alter Eichen Richtung Spadille
Allee alter Eichen Richtung Spadille

Am Ortsausgang wartet nun als Radweg eine eindrucksvolle Allee jahrhundertalter Eichen, die schattig über Felder führt – durchaus willkommen, denn die Sonne brezelt kräftiger als angenommen. Mit nachgepflanzten kleinen Eichen endet dieser wunderbare Weg, kurz vor dem Gehöft mit dem schönen Namen Spadille. Der ruft einem nochmal die Hugenotten ins Gedächtnis, über die vorhin beim Anblick rotreifer Hagebutten schon gewitzelt wurde und die ja zum Oderbruch gehören wie Fritz, Lenné, Fontane und auch Schinkel zu Brandenburg. Fürs deutsche Ohr besonders klangvolle Ortsnamen dieser Art sind noch Beauregard und Croustillier, gelegen etwas nördlicher im Oderbruch.

Weg in Hörweite zur Oder und in Sichtweite zu Letschin
Weg in Hörweite zur Oder und in Sichtweite zu Letschin

In der Tradition dieses Tages führt der weitere Weg über stille Straßen und Sträßchen, schnurgerade selbstverständlich und gern mit Telegrafenmasten. Vorbei an Gehöften, kleinen Gartenzeilen und mitten auf dem Acker gelegenen Höfen, die sich alle per Taschenlampe gegenseitig Nachrichten morsen könnten. Ob das nun zeitgemäß ist oder nicht – so wie auch Telegrafenmasten – Spaß machen dürfte es nach wie vor, speziell wenn es möglichst heimlich geschieht.

Obst wächst hier keins mehr an der Straße, dafür sind von der nahen Oder jetzt die Kraniche zu hören, die ganz unweigerlich hierher gehören. Nach etwas Straße mit Verkehr empfängt am Ortseingang von Letschin die Straße der Jugend mit willkommenem Schatten. Hier reihen sich Garagen aneinander, die an der Hinterseite direkt Ausgänge in kleine Gärten haben, die Gemüse, Obst oder auch Hühner und deren Eier hervorbringen. Und mit Sicherheit ein schönes Plätzchen bieten für ein entspanntes Feierabendbier. Was jetzt auch unser Stichwort sein soll. Der lange Sonnenuntergang erwartet uns bereits.

 

 

 

Anfahrt (ÖPNV): mit der Regionalbahn über Eberswalde oder Frankfurt/Oder (2-2,5 Std.) bis Bhf. Letschin

Anfahrt (Pkw): entweder Landstraße über Werneuchen/Prötzel/Wriezen oder B1 über Müncheberg und Seelow (ca. 1,5 Std.) nach Letschin

Tourdaten: ca. 18 km, Abkürzungen möglich (Achtung: der Großteil der Wege verläuft auf hartem Belag, ggf. bei der Schuhwahl beachten)

 

Download der Wegpunkte

 

Links:

http://www.letschin.de

http://www.evl-letschin.de (Eisenbahnmuseum Letschin)

http://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/1284656 (informativer Artikel über Wollup)

http://www.havelia.de (Tomatenanbau unter Glas)

 

Einkehr: Landhaus Treptow (ggbr. des Schinkelturms), Letschin
in Golzow (etwas südlich von Letschin) mehrere Einkehr-Möglichkeiten
an der B1 zwischen Seelow und dem Berliner Ring mehrere Einkehr-Möglichkeiten (z. B. Ulmenhof/Diedersdorf, Landgasthaus Jahnsfelde, Goldenes Lamm/Lichtenow, Alte Schule/Herzfelde)

Schönerlinde: Waldweide, Heide und die Ankunft des Herbstes

Es ist Einschulung in Berlin – alle Leute auf der Straße schauen feierlich und gehen etwas aufrechter als sonst. Ganz nebenbei ist nach Monaten mit sagenhaften Temperaturen und mittlerweile knirschender Ackerkrume der Sommer mit seiner Hitze wieder in die Sahara verschwunden und – damit kein Loch entsteht – umgehend der Herbst eingesprungen. Für so etwas wie Spätsommer scheint dieses Jahr nicht bereit zu sein.

Es ist September, und eine schöne Zeit steht jetzt bevor. Mit intensiven Düften, Farben in schneller Veränderung und reichen Nuancen sowie minutenschnellen Wetterwechseln, die für Lichtstimmungen sorgen, wie es sie nur im Frühherbst geben kann. Die ersten Regenschauer seit langem lassen die dürstende Botanik aufatmen und sorgen zugleich für Klarheit in der Luft und erste Dunstschwaden über eben noch besonnten Wiesen.

Pfad in der Waldweide
Pfad in der Waldweide

Schönerlinde

Es gibt direkte Nachbardörfer von Berlin, die gänzlich unerwartet mit Landschaften aufwarten, welche erstaunlich deutlich an weit Entferntes denken lassen. Oder wirken, als wären sie aus der Zeit und dieser Welt gefallen. Durchfährt man Schönerlinde, ein Nachbardorf vom schönen Französisch Buchholz und auch Buch, so sieht es aus wie eines dieser hübschen märkischen Dörfer und ähnelt anderen. Doch keine Viertelstunde von der Kirche lässt sich eintauchen in eine ganz besondere Landschaft.

Nach Osten führt eine Pflasterstraße im sanften Anstieg aus dem Dorf und entlässt auf einen hellen Weg, der über die Felder direkt zum Wald hin geht. Hier, nun für ein Stündchen wieder auf Berliner Stadtgebiet, beginnt ein weitläufiger, dicht gewebter Flickenteppich aus noch jugendlichen Waldstücken verschiedenster Art. Mal dicht mit rauschenden Weiden, licht mit schon höheren Birken oder mit der Anmutung einer schattigen Waldweide mit jungen Buchen, so klein noch, dass jemand auf zwei Beinen sich ständig bücken müsste. Doch sind diese auch als Weiden abgezäunt, mit wohlweislichem Hinweis auf Strom im Draht und freilaufenden Bullen dahinter. Beides scheint zu stimmen, zumindest hier und dort.

In der Waldweide-Landschaft zwischen Schönerlinde und Hobrechtsfelde

Der kräftige Wind dieses Septembertages schüttelt nicht nur alles durcheinander, was einen Wipfel hat und lässt wogen, was eher hoch- als breitkant ist, zudem vermischt er noch kräftig all die würzigen Düfte, die hier aufeinandertreffen. Die Goldrute hat jetzt ihre Hochzeit und sorgt für ganze Felder kräftig-dunklen Gelbs, und auch das meiste andere, was noch blüht, ist gelb und üppig, manchmal auch mannshoch oder deswegen ins nahe Gras gestrauchelt.

Zwischen diesen Waldpassagen liegen immer wieder offene Weiden für Pferde, Kühe oder Schafe, öfter auch Rodungen und anderes, was freien Blick gewährt. Durchzogen ist all das von einem nicht zu dichten und erfreulich regellosen Netz von Wegen für Rad und Fuß und Huf und wird Waldweide Hobrechtsfelde genannt. Dass dieses nicht nur schöner Name ist, sondern tatsächlich so genutzt wird, zeigt sich an den zahlreichen Weidezäunen unter Strom, teils mit Durchgängen für Freizeitler, ferner an gemütlichen Lagerhügeln und auch anderen Spuren von Weidevieh. Eine Landschaft jedenfalls, die man kaum auf Berliner Stadtgebiet und direkt hinter der Stadtgrenze erwarten würde.

Zu verdanken ist der hier entstandene Naturraum den einstigen Rieselfeldern, einem frühen und recht schlauen Prinzip der Abwasserklärung größerer Siedlungen, gewachsen auf dem Mist u. a. von Rudolf Virchow (indirekt) und James Hobrecht (direkt). Virchow vermied damit trotz des schnellen Wachstums der Stadt größere Gesundheitsgefahren und Hobrecht machte letztlich aus Gülle wieder Wasser – vor den Toren der Stadt. Das Ganze stank natürlich mörderisch, und das wohl über hundert Jahre, noch bis kurz vor der Wende. Für ganze Landstriche war dieses Aroma charakteristisch und galt im geflügelten Wort als „würzige Landluft“. Wer damals Kind war, hat das wohl heute noch sofort im Kopf, wenn er Vergleichbares riecht.

Typisches Haus in Hobrechtsfelde
Typisches Haus in Hobrechtsfelde

Die kilometerlange und –breite Waldheide mit ihrer vielfältigen und somit äußerst unterhaltsamen Erscheinung ist auch ein Paradies für solche, die gern breit gegrätscht im Sattel sitzen. Es gibt wunderschöne Reitpfade oft direkt neben den Rad- und Spazierwegen, so dass sich niemand in die Quere kommen muss. Wer zu Fuß durch die Heide streift, dem empfehle ich dennoch, öfter mal die Reitwege zu nehmen – sie laufen sich zwar etwas wackelig, doch führen sie tiefer in die Natur, sind pfadig und biegungsreich – und machen einfach erheblich mehr Spaß. Wenn Reiter kommen, ist Platz genug zum Ausweichen da.

Zum schnellen Wechsel in der Landschaft und dem Konzert des Windes da oben in den Bäumen, manchmal auch im Schilf hier unten, kommen heute noch die Wetterwechsel. Wie schon erwähnt, das Licht streicht intensiv über alles hier, wenn sich im Hintergrund kontrastierend blauschwarze Wände aufbauen oder die kräftige Sonne nach einem ebenso kräftigen Schauer alles glitzern lässt und lustvoll den Regler für die Farbsättigung hochdreht. Es ist einfach eine einzige Pracht, duftend und rundum intensiv.

Blick auf den Alten Getreidespeicher, Hobrechtsfelde
Blick auf den Alten Getreidespeicher, Hobrechtsfelde

Hobrechtsfelde

Gerade sieht es noch aus wie in einer mittelschwedischen Waldlandschaft, als hundert Meter voraus ein Auto von rechts nach links hirscht – an so etwas wie Straßen war gerade nicht mehr zu denken. Dennoch verläuft hier die schnurgerade Chaussee nach Hobrechtsfelde, benannt nach dem weiter oben erwähnten Ideenfinder und eigens im Herzen der Rieselfelder platziert. Die langgezogene Siedlung sieht nicht recht nach märkischem Dorf aus, Häuser und Grundstücke sind von einer Bauart, die sich für meinen Kenntnishorizont schwer zuordnen lässt. Charakteristische Häuser, gediegene Mauern davor und etwas abseits am Herz des Ortes ein eigenartiges Turmgebäude, das nicht klar verrät, ob es Ruine ist oder nicht. Und in den Bann zieht.

Dabei hilft noch ein Schild zum Imbiss, der am Wochenende geöffnet sein soll – ein Käffchen wäre jetzt wirklich schön. Der kurze Abstecher führt vorbei an Pferdekoppeln zu einem schönen Spielplatz, direkt benachbart dem turmigen Haus. Hier werden gerade die allerschönsten Einschulungsgeschenke verteilt, solche, die keinen Strom brauchen und garantiert niemals vergessen werden. Ein Opa hat sein Enkel auf ein besonders kleines Pony gesetzt, das man sich hier ausleihen kann, und führt es jetzt mit bedächtigem Großvaterschritt in die Waldheide mit ihren herrlichen Hufwegen. Die behelmten Lütten sitzen andächtig auf dem warmen Rücken, sicherlich mit einer schönen Mischung aus Freude und Skepsis. Doch von der Schuhsohle bis zum Boden ist es nur circa Einkäsehoch – die Skepsis wird sicherlich bald weichen.

Das schönste Geschenk zur Einschulung, Hobrechtsfelde
Das schönste Geschenk zur Einschulung, Hobrechtsfelde

Wir kommen zum erhofften Heißen, Kuchen gibt es nicht, aber sowas wie Rumkugeln. Als ich danach frage, erzählt der kernige Bursche hinter der Bedientheke, das sind quasi „besonders feine Rumkugeln“, die Energy Balls heißen und nur die besten Zutaten aus den Rubriken Trockenobst und Nüsse/Samen/Kerne enthalten. Hätte man schon ein Bierchen oder zwei Likörchen intus, würde einem zum Begriff Energy Balls mit Sicherheit viel Lustiges einfallen. Er gibt mir die milde Warnung mit auf den Weg, dass ihm beim Sesam die Hand ein bisschen ausgerutscht ist und dadurch die Walnuss geschmacklich vielleicht etwas verdrängt wird. Doch der Sesam respektiert die Verdrängungsgrenze, kleine beißbare Schokoladenstücken in all dem gesunden und feinen Drumherum sorgen für erhöhte Gaumensympathie, und wir zehren neben dem Genuss zum Kaffee in der darauffolgenden Stunde von einer Extraportion Durchhaltevermögen.

Das markante Gebäude übrigens ist nicht ruinös und diente einst als Getreidespeicher für das Gut, in dem die Getreideernte mit hoher Raffinesse getrocknet werden konnte – mittels durch die Luft rieselnden Korns. Später wurde der Speicher parallel auch als Wasserturm genutzt. Überall um ihn herum trifft man auf alte Schmalspurgleise, über hundert Jahre alt und teils kaum noch zu sehen, versunken im märkischen Staub. Welche die leicht entrückte Atmosphäre dieses besonderen Ortes noch gut unterstützen. Auch der heutige Rad- und Fußweg entlang der Chaussee verläuft auf einer alten Trasse der Feldbahn, die viele Arbeiten auf dem Gut erheblich erleichtern sollte und das wohl auch tat.

In Hobrechtsfelde
In Hobrechtsfelde

Durch eine passierbare Pforte verlassen wir das Ortsgebiet in die östliche Waldweide und müssen nun aufs Neue mit freilaufenden Bullen rechnen, konkret aber auch mit schöner Steinkunst am Weg und einladenden Rastbänken. Das relativiert die Warnung etwas, wenn auch der Blick geringfügig wacher bleibt als sonst. Die ersten Schauer sind jetzt eingetroffen und sorgen für das Zücken der Schirme und eine kurze Luftwäsche. Nötig gewesen wäre das nicht, doch schön ist es allemal, wenn alles gleich noch etwas stärker duftet.

Auf dem Druckrohrweg, bei Schönow
Auf dem Druckrohrweg, bei Schönow

Der aktuelle Reitpfad verpasst den Schuhen eine gründliche Außenreinigung, auf dem breiten Druckrohrweg können sie wieder etwas trocknen. Voraus baut sich vor der sonnenhellen Botanik eine imposante Wand aus tiefem Blau aus, doch ein wenig dürfte es noch dauern. Ein folgender Schauer fällt warnend schon etwas kräftiger aus, kommt mit Seitenwind und empfiehlt daher den Schutz einer Baumkrone. Was gegen nasse Hosenbeine hilft.

Schönow

Glatter Boden unter den Füßen ist auch mal wieder schön, ein paar hübsche Häuser und Gärten gibt es zudem zu sehen. Ein Schleichpfad gewährt in gebückter Haltung den umweglosen Durchlass zur Landstraße und damit zum Südrand der Schönower Heide, ein weiterer Pfad lässt direkt ein. Sofort wird es sandig, und wie erhofft leuchtet gleich das erste Büschel Erika in voller Blüte, etwa so groß wie ein zusammengerolltes Pony. Das wird zum Blickfang einer Pause direkt auf Sand, in der die Sonne strahlt und wärmt. Etwas rechts verläuft eine wunderschöne, breite Birkenallee aus unbekannten Gründen.

Madame Calluna Vulgaris in schönster Blüte und aus der Mistkäferperspektive, Schönower Heide

Wir stoßen auf den Heidepfad, den ausgeschilderten und breiten, der entlang eines Zaunes sofort in die Vollen geht. Links und rechts des Weges blüht flächendeckend die Heide, rechts tut sie das hinter dem Zaun des Wildgeheges, was auf Sichtkontakt mit Tieren hoffen lässt. Kurz vor dem kleinen Aussichtsturm, der leicht im starken Winde ächzt, bietet sich ein fast vollkommenes Bild mittel- bis nordskandinavischer Tundra. Zwei kapitale Hirsche schlendern am Ufer eines kreisrunden Weihers entlang, unter sich die blühenden Kissen des Heidekrauts. Mufflons, Rehe und die anderen sehen wir leider nicht, doch einige von ihnen sicher uns.

Die dunkle Wand hat freundlicherweise noch bis hier gewartet, die Hirsche konnten trocken abgelichtet werden und ohne Hektik, doch jetzt ist es nur recht und billlig, dass es plötzlich losbricht – und diesmal auch ernst meint. Nun rächt sich meine Nichtbereitschaft, die Regenhose heut schon einzupacken, denn der Schirm deckt nur den Oberkörper ab. Auch Baumschutz hilft nur wenig, es kommt einfach zu seitlich. Und ein schnelles Ende, sprich Licht am Horizont, ist dieses Mal nicht auszumachen.

Tundra im südlichen Lappland (oder Schönower Heide)
Tundra im südlichen Lappland (wahlweise: Schönower Heide)

Pragmatische Wegwahl verschafft etwas Wetterschutz, und wir erreichen mit nassem Hosenbein und klatschnassem Schuh den Radweg entlang der Landstraße, wo es nun direkt von vorne prasselt. Doch beim Abzweig nach Hobrechtsfelde ist auch dieser Regen alle, das nenne ich Glück.

Der Radweg zweigt nach rechts ab in eine Allee, die bis zum Waldrand vor Schönerlinde eine Lindenallee sein wird, also fast eine Stunde lang. Die Sonne strahlt, als wäre nichts gewesen, doch die Landschaft trieft und dampft. Einige Kühe schauen trotz ihrer langärmligen Lederjacken grimmig drein, von hinterm Zaun, nur gut. Am geladenen Zaundraht hängt ein Schild, darauf steht „Power-Zaun“. Das lässt an die Energy Balls denken, die es keine zehn Minuten von hier gibt. Doch deren Wirkung hält noch an.

Lange Lindenallee nach Schönerlinde
Lange Lindenallee nach Schönerlinde

Der schnurgerade, sehr direkte Weg nach Schönerlinde könnte trotz aller Naturnähe langweilig sein oder, freundlicher gesagt, meditativ. Das ist er aber nicht, da auch jetzt alle paar hundert Meter die Art des Waldes oder der Weide wechselt, das Auge stets was Neues zu entdecken hat. Zwischendurch lassen die Schilderbäume darüber staunen, dass sich an manchen Stellen drei Bahnhöfe der Berliner S-Bahn in gut erreichbarer Entfernung befinden.

Die Wolken meinen es gut, bis die Kirche von Schönerlinde erreicht ist. Die Beine miezen schon, da die letzte Stunde doch eher ein Lauf gegen die Zeit war als reiner Spaziergenuss. Hose und Schuhe sind wieder halbtrocken, der nächste Schauer hängt oben schon bereit und die Stadt, das Ziel ist nah. So nah, wie eine Druckleitung vom Stadtherz bis zum Stadtrand lang ist. Gut, dass es Menschen wie James Hobrecht gab.

Anfahrt ÖPNV (von Berlin):
Regionalbahn nach Schönerlinde, stündlich ab S-Bhf. Karow
alternativer Zugang von S-Bhf. Zepernick (ca. 1,5 km Zuweg zur Tour)

Anfahrt Pkw (von Berlin):
A114 (Stadtautobahn), Ausfahrt Schönerlinder Straße oder einfach über Französisch Buchholz nördlich Richtung Wandlitz bis Schönerlinde

Tourdaten: Länge ca. 16 km, Teilung bzw. Abkürzung sehr gut und vielfältig möglich

Download der Wegpunkte

Links:

https://de.wikipedia.org/wiki/Sch%C3%B6nerlinde

http://agrar-hobrechtsfelde.de/

https://www.pferdekultur-gut-hobrechtsfelde.de/

http://www.stadtentwicklung.berlin.de/natur_gruen/naturschutz/schutzgebiete/de/pflege_entwicklung/beweidung/hobrechtsfelde.shtml

Schönower Heideverein

Einkehren:

Zum eisernen Gustav, Französisch Buchholz (sehr gemütlich, hervorragendes Essen, freundlicher Service)
an den S-Bahnhöfen Röntgental und Zepernick gibt es Restaurants und Cafés

Grobskizziert: Berliner Spaziergang – Volkspark Wilmersdorf und Gleisdreieck

An heißen Tagen muss niemand unbedingt die Stadt verlassen, um sich schattig durch die Natur zu bewegen – Berlin bietet eine ganze Menge grüner Korridore, die ganz nebenbei enorm abwechslungsreich die Vielfalt der Stadt zeigen. Selbst alte Hasen im Kreuzen durch die weiten Stadtgebiete und auch sonstige Kenner bekommen hier immer etwas zu staunen, immer etwas Neues oder Unerwartetes, oft auch gänzlich Unerwartetes. Obendrein besteht mittels Bahnhöfen und Haltestellen alle paar Viertelstunden die Option, den Spaziergang zu beenden – zum Beispiel, wenn es gerade am schönsten zu sein scheint. Vielleicht auch die Beine lahm sind oder ein schattiger Biergarten lockt.

Fennsee nahe des Heidelberger Platzes
Fennsee nahe des Heidelberger Platzes

Einer dieser Spaziergänge zum Beispiel quert auf durchweg sympathischen Wegen fast einmal den S-Bahn-Ring. Um die Ecke vom Heidelberger Platz in Wilmersdorf liegen wirklich tief eingeschnitten zwei wildromantische Teiche mit glasklarem Wasser und eröffnen den zwei Kilometer langen Grünzug des Volksparks Wilmersdorf, der sich weitaus länger anfühlt und dabei durchzogen ist von großen und kleinen Wegen, zudem großzügig gefüllt mit schattigen alten Bäumen und großen Spielplätzen.

Bunte Rabatte im Volkspark Wilmersdorf
Bunte Rabatte im Volkspark Wilmersdorf

Das östliche Ende dieses Parksteifens stimmt fast etwas feierlich – hier befindet sich eine Art Kurpark mit bescheiden prächtiger Wandelhalle und einem stattlichen Springbrunnen. Doch wird in der Wandelhalle nicht schlurfenden Schrittes gekurt, sondern es halten hier U-Bahn-Züge mit einem der wohl schönsten Bahnhofsausblicke der Stadt. Diese fallen wahlweise auf den Ententeich oder auf das Wiesenrund mit dem erwähnten Brunnen, wo auch gerne Hochzeitsfotos geschossen werden. Denn direkt nebenan befindet sich das Rathaus Schöneberg, das zur Zeit der Wende als Westberliner Regierungssitz fast täglich in den Nachrichten zu sehen war.

Kurpark und Wandelhalle in Bad Lippspringe (ach nee, U-Bhf. Rathaus Schöneberg)
Kurpark und Wandelhalle in Bad Lippspringe (ach nee, U-Bhf. Rathaus Schöneberg)

Nach ein paar Metern lauter Schöneberger Hauptstraße und mehreren kleinen Parks liegt der unauffällige Kleistpark eindrücklich eingerahmt vom ebenfalls historisch bedeutsamen Kammergericht und zwei derzeit vernachlässigten Säulengängen, vor denen rote Rosen ranken.

Kleistpark mit Kammergericht
Kleistpark mit Kammergericht

Nicht weit davon in der Crellestraße findet jeweils mittwochs und sonnabends ein türkisch geprägter bunter Markt statt, gänzlich ohne Touristengewimmel, dafür duftend, laut und echt.

Crellemarkt am Bhf. Yorckstraße, Südausgang
Crellemarkt am Bhf. Yorckstraße, Südausgang

Nicht viel weiter gibt es unterhalb der Monumentenbrücke einen neuen Spielplatz mit feinstem Sand und Strandkörben sowie einem kleinen Gebirgsmassiv – und auch der ist umgeben von alten, zugewachsenen Gleisen.

Spielplatz unter der Monumentenbrücke
Spielplatz unter der Monumentenbrücke

Gegenüber verläuft ebenfalls auf neuen Wegen der Fernradweg Berlin – Leipzig und eröffnet an einem versteckten Biergarten von Süden her das neu gestaltete Gelände rund ums Gleisdreieck. Der „Park am Gleisdreieck“ wurde Mitte 2013 eröffnet und von den Berlinern scheinbar umgehend ins Herz geschlossen – so viel Platz, Freizeit-Angebot und offene Weite im innersten Herzen der Stadt dürfte es nur selten geben. Sowohl für alle auf Rädern oder Rollen als auch für Fußgänger. Das Beach 61 bietet knapp 50 Felder für Beach-Volleyball an, nachts auch beleuchtet.

Im südlichen Park am Gleisdreieck
Im südlichen Park am Gleisdreieck

Die benachbarten Viadukte der U-Bahn-Linien 1 und 2 geben dem nördlichen Stück eine spezielle Würze, die ein bisschen an New York denken lässt oder an die Wüste des Potsdamer Platzes kurz nach der Wende, mit den Polenmärkten und der durch und durch viaduktenen Magnetbahn obendrüber. Kaum noch vorstellbar, dass es die tatsächlich einmal gab.

Im nördlichen Park am Gleisdreieck
Im nördlichen Park am Gleisdreieck

Nachgerade klassisch geht es weiter, zunächst über den Potsdamer Platz. Ein faszinierendes Stück Stadt, dass nach wie vor ein von oben hineingestellter, netter Fremdkörper zu sein scheint, nicht aber ein Teil von Berlin. Dann durch die Oase des Tiergartens und vorbei am Reichstag mit seiner immerwährenden Schlange für die Kuppelwilligen. Die fällt heute vergleichsweise moderat aus, da die Glaskuppel in diesen glutheißen Tagen effektiv die vorhandene Hitze potenziert.

Am grünen Strand der Spree, gegenüber des Hauptbahnhofs
Am grünen Strand der Spree, gegenüber des Hauptbahnhofs

Die krumme Zielgerade findet sich schließlich entlang der Spree mit ihrem erfrischenden Klima bis zum Hauptbahnhof, der sich hier um die Flusskurve schmiegt. Zuletzt kommt man vorbei an endlosen Herden einladender Uferliegen, deren entspannt hängende Stoffbahnen von passender Clubmucke ganz leicht in Schwingung gebracht werden, mehr jedoch von der leichten Brise, die hier am Wasserdreieck von Fluss und Kanal entsteht. Ein guter Platz, jetzt und hier Schluss zu machen und auf irgendeine schöne Weise zu verweilen.

 

 

 

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