Grobskizziert: Zwischen Ländchen und Luch – rund um Vehlefanz

Nach zwei kühlen Tagen folgt nun tatsächlich der erste kalte Tag dieses Spätherbstes – dennoch schien es unwahrscheinlich, dass bereits einen Tag später die ersten Flocken zaghaft vom Himmel herabsinken würden. Getan haben sie es dennoch und dabei eine Stille über alles in der Stadt und auf dem Land gelegt, wie das nur der allererste Schnee vermag.

Hügelländchen bei Vehlefanz
Hügelländchen bei Vehlefanz

Die Natur ist nach und nach zur Ruhe gekommen, wie sie das jedes Jahr tut zwischen Tagundnachtgleiche im September und Wintersonnenwende im Dezember. Alle Pflanzen haben die Farbregler weit heruntergeschoben, die harmonischen Erdtöne zwischen Braun und Grau gewinnen die Oberhand und alles, was noch von kräftiger Farbe ist, wird durch den Dunstfilter der Herbstnebel leicht geblässt. Was sich auch davon nicht beeindrucken lässt, schafft punktuell spektakuläre Akzente, so zum Beispiel die kräftig roten Hagebutten an ihren entlaubten Zweigen oder ein verirrter Asternbusch. Das meistgehörte Vogelpiepsen ist das der Krähen und des Eichelhähers, beide nicht eben für das Vorlesen drolliger Kinderbücher oder Minnesang geeignet und doch überaus passend für die akustische Untermalung dieser visuellen Stille.

In den wasserreichen und weitläufigen Landschaften kommt dazu noch das archaische Tönen der Kraniche oder das geschäftige Geplauder der Gänse. Viele von ihnen sind auf der Durchreise, die anderen bleiben gerne hier über den Winter. Während sich die beachtlich hochgewachsenen Kraniche von vorbeibretternden Autos in keiner Weise beeindrucken lassen, wenn sie nur wenige Meter neben der Straße auf dem Acker stehen, schrauben sich ihre Formationen mit viel Aufwand und Effekt langsam in die Höhe, sobald weit entfernt nur ein Menschlein vorbeispaziert. Gleiches gilt für die Gänse, hier ohne Schraube, und jeweils beide legen diesen Start zugleich mit Wucht und Anmut hin.

Weiher an der Autobahn, bei Vehlefanz
Weiher an der Autobahn, bei Vehlefanz

Gleich nordwestlich von Berlin liegt eine Landschaft, die vor Jahrhunderten fast völlig undurchdringlich war, kaum auf irgendeinem Weg zu queren, was taktisch von diesem und jenem gern genutzt wurde. Hier geben sich gleich mehrere ausgedehnte Luche die Klinke in die Hand und lassen neben der Autobahn nach wie vor kaum kurze Alternativen der Durchquerung – irgendwo ist meistens Schluss oder ein ausgedehnter Umweg fällig.

Das Luch darf fast als Brandenburger Spezialität gelten, zumindest als Begriff. Die Landschaftsform als solche gibt es sicherlich auch anderswo, doch unter der Bezeichnung Luch, die wohl auf slawischen Wurzeln ruht, ist sie vor allem hierzulande anzutreffen. Viel Wasser gibt es in so einem Luch, in Flüssen, Gräben und Kanälen sowie großflächig auch kurz unter der Oberfläche. Dementsprechend auch zahllose Paradiese für große Mengen wassergängiger Tiere mit zwei oder vier Beinen, von welchen mit noch mehr Beinen gar nicht zu reden.

Steg am Fischweiher
Steg am Nördlichen Karpfensee

Zwischen diesen Luchflächen liegen hier als leicht erhöhte Flächen die sogenannten Ländchen, ebenfalls ein hiesiger Begriff von allerschönstem Klang, der gleich Gedankenbilder öffnet. In Vehlefanz, östlich vom Ländchen Bellin und nördlich vom Ländchen Glien, ist man noch keineswegs tief in diesem ganzen weiten Luchgewirr, doch eine Wasserlandschaft gibt es dennoch hier, die weitaus schöner ist und vielfältiger, als sich erwarten ließe. Nördlich davon liegt – auch mit Klang im  Namen – der Krämer Forst.

Vehlefanz

Vehlefanz ist ein hübsches Angerdorf mit einem vergnügten Namen, das über eine erstaunliche Infrastruktur verfügt. Westlich des Dorfes spannt sich zwischen dem Nachbardorf Schwante im Norden und der Autobahn im Süden eine liebenswerte Kette kleiner und größerer Weiher auf, zum Teil mit Fischen drin und allesamt verbunden miteinander. In den zurückliegenden Siebzigern wurde sie um den größeren und weit verzweigten Mühlensee ergänzt, der schlichtweg aufgestaut wurde, quasi aus dem Nichts, und zunächst ganz profan der Landwirtschaft und ihrem Durst diente. Bald schon nach der Wende gab es dann ein Landschaftsschutzgebiet, und mittlerweile sieht man ihm die künstliche Entstehung kaum noch an. Ein Weinberg liegt an seinen Ufern, der einige Generationen zurück noch aktiv war und berebt, und mitten im Herzen des Sees eine Fast-Insel, auf der einmal im Jahr ein großes Sommerlager siedelt – seit fast schon zwanzig Jahren. In dieser Zeit gibt es vom Fuß des Weinbergs sogar einen kleinen Fährverkehr.

An der Weiherkette südlich des Mühlensees
An der Weiherkette

Der abgelegenste der Seen liegt als einziger südlich der Autobahn und war früher als Autobahnsee Schwante bekannt, wenn ich mich recht erinnere. Vielleicht war das aber auch ein ganz anderer See, womöglich der Bernsteinsee bei Velten.  Der Legende nach gab es seinerzeit auf dem entsprechenden Autobahn-Kilometer überdurchschnittlich viele Auffahrunfälle, da am See typisch ostdeutsch nackt gebadet wurde.

Was sich nun auch vom schönsten Körper aus einer Entfernung von hundert Metern im Vorbeirasen genießerisch wahrnehmen lässt, wirft Fragen auf. So entsteht vor dem geistigen Auge das Bild von zügig Reisenden, die mit dem Fernglas einhändig durch die Seitenscheibe zielen. Eine ganz außerordentliche Art von Bedürftigkeit. Gut insofern, dass der damals am weitesten verbreitete Leichtbau-Kraftwagen ohnehin nur mit inniger Mühe, viel Radau und kurzwelligen Vibrationen die dreistelligen Bereiche der optimistisch angelegten Tachoskala erreichte.

Stegweg über dem Mühlensee
Stegweg über dem Mühlensee

Der Mühlensee mit seinen zahlreichen Buchten und Halbinseln lässt sich seit Kurzem auf einem sehr schönen Weg aus der Nähe betrachten. Wem das nicht ausreicht, der kann vorher noch auf wiesigen Feldwegen die Ufer der südlich anschließenden Weiherkette erkunden. Deren besonderer Zauber liegt im Kontrast zum direkt benachbarten grasigen Hügelland, auf dem hier und dort einzelne Obstbäume stehen und über dem immer wieder der Kirchturm des Dorfes pittoresk hervorlugt. Sogar eine alte Wasserburg liegt gut versteckt am Rand der sanften Wiesenbuckel.

Blick über den Mühlensee nach Vehlefanz
Blick über den Mühlensee nach Vehlefanz

Der motorfreie Weg entlang des Sees wartet mit einigen gekonnt inszenierten Plankenpassagen auf, welche die voraus liegende Mühle bestens in Szene setzen. Die Bockwindmühle ist eine von einst Hunderten hier in der Region und feierte in diesem Jahr ihren zweihundertsten. Denkmal ist sie schon seit knapp vierzig Jahren, bis kurz vorher wurde noch Schrot gemahlen mit der Kraft des Windes. Mittlerweile gibt es immer wieder mal ein Fest oder einen Mühlentag hier.

Allee zum Schloss Schwante
Allee zum Schloss Schwante

Schwante

Leider ist der schöne Weg um den Mühlensee irgendwann zu Ende, doch tröstlicherweise gibt es gleich anschließend einen markanten Wasserturm und ein Schloss, beide verbunden durch eine Allee. In das Schloss war nach langem Leerstand wieder Leben eingezogen, und zwar ein ganz besonderes. Beim Vorbeigehen fällt zunächst das Restaurant ins Auge, nicht zuletzt durch den souverän unter freiem Himmel aufgehängten Kristallüster, der sicherlich ähnlich schwer ist wie ein ausgewachsenes Schaf. Ein weiterer wichtiger Kern des Hauses bestand bis vor Kurzem aus der genialen Theatertruppe, die in der dunkelsten Zeit des Jahres auch im Herzen Berlins die einzigartige Märchenhütte zum wochenlangen Leben erweckte, direkt an der Spree. Dementsprechend phantasievoll gestaltet sich der kleine Spielplatz im Schlosspark mit seiner entspannt schwingenden Schaukel. Die Märchenhütte an der Spree wird mittlerweile von anderen Leuten und auf andere Weise bespielt, das herrliche Original-Ensemble lässt sich nunmehr im Berliner Pfefferberg genießen – der liegt zwar nicht an der Spree, dafür jedoch fast metergenau auf der Randkante des Barnims.

Spielplatz im Schlosspark
Spielplatz im Schlosspark aus Sicht der Schaukel

Wenn jetzt schon ausreichend Stoff für mehrere Ausflugstage am Wege lag, geeignet für Ausflügler in allen möglichen Konstellationen, kommt noch ein weiterer dazu – die Bäckerei Plentz mit ihrem Holzbackofen draußen vor der Tür. Neben den wochenendlichen Holzbackofentagen hat fast jede Jahreszeit ein Fest zu bieten. Und gute Bäckerware gibt es die ganze Woche über, wahlweise im kleinen Café.

Blick auf die Schlosskarte
Blick auf die Schlosskarte

Am Rand des Dorfes jenseits der Kirche hält regelmäßig die Bahn, und nördlich dieser Trasse beginnt die absolute Ruhe – mehr November als hier geht kaum. Der Krämer Forst beruhigt allein durch die Gewissheit seiner baumbedeckten Weite bis hin zum Ruppiner Kanal im Norden. Draußen vor dem Wald liegen endlose Ackerschollen brach im flachen Land, deren einzige Aufgabe es derzeit ist, Tausenden von Kranichen als Tummelplatz zu dienen. Ab und zu quäkt ein Zug vorbei da hinten, mal knarrt im Wald einer von den Schwarzgefiederten aus dem Osten. Einige der Wege sind von sagenhafter Matschigkeit, als hätte es geregnet schon seit Wochen, verschlammt und kaum noch zu begehen. Umso schöner dann, am Ziel zu sein, voraus die Aussicht auf beheizte Räume mit Elektro- und auch Kerzenlicht.

Download der Wegpunkte

Links:

http://www.neu-reich.de/mein-oberhavel/velten/bernsteinsee-velten.html (Autobahnsee)

https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%BChlensee_%28Oberkr%C3%A4mer%29 (zum Mühlensee)

http://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/1378587 (zum Naherholungsgebiet Mühlensee)

www.sola-oberkraemer.de/ (christliches Sommerlager am Mühlensee)

https://museen.de/bockwindmuehle-vehlefanz-oberkraemer.html (Bockwindmühle Vehlefanz)

www.schloss-schwante.de/

www.hexenberg-ensemble.de (Original-Ensemble, nicht mehr in der Märchenhütte und im Schloss Schwante, jetzt im Pfefferberg in Berlin)

http://www.plentz.de/ (Bäckerei Plentz)

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