Tonstiche, ein versunkenes Gleis und das unbekannte Ribbeck

Die Tage werden bunter, die Nächte kühler, und jeweils dazwischen gibt es nun wieder die Dämmerungsnebel, die scheinbar und allmählich das Tempo aus den Tagen nehmen. Darunter liegen  dunkle Äcker, vor kurzem noch Felder, begrenzt von Baumreihen mit erstem Gelb im Gefieder. Ein paar standhafte Grillen kommentieren noch die sonnigen Passagen dieser schönen Altweibersommer-Tage, doch die Schwalben haben endgültig das Weite gesucht. Dafür werden Spaziergänge unweit entlegener Wasserflächen und abgeernteter Maisfelder vom Tönen der letzten Saurier begleitet, auf angenehme, beruhigende Weise. Die Verbünde der Kraniche sind noch klein, doch das Sammeln ist bereits zu ahnen, auch wenn sich mittlerweile viele von ihnen zum Bleiben versammeln. Leuchtende Apfelbacken und knallrot lackierte Hagebutten bringen sanfte Euphorie in die Wegränder, an denen noch immer eine beachtlich bunte Vielfalt von Blumigem steht.

Siesta kurz hinter Ribbeck
Siesta kurz hinter Ribbeck

Die halbe deutschsprachige Welt kennt Ribbeck, das Ribbeck im Havelland, doch gibt es noch ein anderes, was weitaus direkter mit der Havel zu tun hat. Benachbart ist der recht bekannte Ziegeleipark Mildenberg, der direkt am Fluss liegt und auf diesem Wasserwege das schnelle Wachsen der Stadt Berlin vor guten hundert Jahren möglich machte. Davon geblieben sind unter anderem eine ganze Reihe verschieden großer Stichteiche direkt am Fluss und auch hier etwas abseits. Daraus ist in den letzten Jahrzehnten eine berührend schöne, stille Landschaft gewachsen, die sich gut zu Fuß durchkämmen lässt, zumindest hier und da.

Die Straßenränder auf der Hinfahrt fordern zum Wiederkehren an fast jedem der folgenden Wochenenden auf – irgendwo findet immer ein schönes Fest statt, die Themen sind mal ganz süddeutsch-zünftig Oktober, oft auch Erntedank oder ganz einfach Herbst. Und das geht durch bis Anfang des Novembers.

Allee bei Rieckesthal
Allee bei Rieckesthal

Ribbeck

Kurz hinter Zehdenick geht es nach Mildenberg, das nächste Dorf ist dann schon Ribbeck. Das Licht und auch die Luft sind so klar, wie sie es nur im September sein können, vielleicht auch noch im März, und auch die Düfte dieses Monats sind alle hier versammelt. Frisches Laub und Eicheln, reifes Obst und erste Pilze und wieder dieser zarte Duft des Pappellaubs, das noch am Baum ausharrt. Die kleine Kirche auf dem Anger scheint ihr Schattendasein zu genießen, das Dorf strahlt Frieden aus. Auf dem Weg hinaus peesen drei Bengels auf ihren Rädern durch das Dorf und wirken damit sehr beschäftigt. Der letzte Garten geht direkt in die erste Weide über, auf der die Kühe lümmeln, herrlich faul die Euter ausgebreitet. Nur jede zweite hat den Kopf noch oben, jede von ihnen genießt die Sonne auf dem luftgekühlten Lederpelz, das kann man sehen.

Auf der Spur der Gleise - Pfad zwischen den Teichen
Auf der Spur der Gleise – Pfad zwischen den Teichen

Für uns stehen jetzt die ersten drei Verkostungen an, drei Apfelsorten, jede grundverschieden. Die dritte dann bekommt den Zuschlag, kräftig aromatisch, saftig und leicht sauer. So dass es an den Zähnen quietscht, ein bisschen. Hinter dem Gehöft bei Rieckesthal wird der Weg noch etwas gemütlicher und sieht aus wie schon vor hundert Jahren. Die Büsche dichter und die Früchte wilder. Von oben kontrastiert der Himmel blau wie selten.

Großer Stichteich
Großer Stichteich

Ein paar Angler laden gerade ihre Ausstattung aus, erwidern unseren stillen Gruß mit lautlosem Brummeln – warum müssen jetzt hier Leute langlatschen und den Fisch verschrecken? An dieser Stelle wird erstmals eine Wasserfläche sichtbar, sonnenglitzernd und umbuchtet. Dahinter dann beginnt ein Pfad, der mitten durch die wilde Landschaft führt, mit unergründlich dicht gewachsener Botanik links und rechts und immer wieder neuen Wasserflächen, mal teich-, mal seengroß. Manchmal führt ein Stichweg bis ans Ufer, manchmal liegt dort ein halb ersoffenes Boot an einem schiefen Steg. Im flachen Wasser der einst trockenen Fläche stehen stabig Reste kleiner Wälder, ein Bild von düsterer Romantik und gespenstisch schön. Auf diesem schmalen Band des Pfades nehmen wir die unsichtbare Spur der alten Werkbahn auf, deren Schienen hier vor ein paar Jahren noch vereinzelt schimmerten. Bis hinter Mildenberg wird uns die Spur begleiten.

Blick auf Ziegelscheunen
Blick auf Ziegelscheunen

Neben den üppigen Wiesen mit all ihren Gräsern und den dichten Schilfflächen, in denen es ständig raschelt, wird der Pfad begleitet von Hopfen und Holunder. Letzterer ist absolut erntereif, die Beeren durchgängig tiefschwarz und groß und prall. Überall sonst sieht er noch ziemlich dürftig aus, doch mit dem vielen Wasser hier, da scheint er prächtig zu gedeihen. In diesem Sinne ist es schade, dass die Tour fast noch am Anfang steht, sonst könnte man gleich ernten.

Immer wieder sorgt der Kranichlärm für angehobene Köpfe, und bei der Suche nach den Vögeln sehen wir bunte Punkte aus den dichten weißen Wolken fallen. Und kurz darauf entfalten zu mehr Fläche, zunächst noch planlos trudelnd, dann kontrollierter einer Richtung folgend. Stimmt – ein paar Kilometer Richtung Gransee gibt es ja die Möglichkeit für einen Fallschirmsprung, allein oder als Tandem, und der Tag ist heut perfekt dafür. Alle Viertelstunde geht der Flieger hoch und schraubt sich langsam in die Höhe, um dann im Halbminuten-Abstand die bunten Willigen herauszuwerfen. Das muss erhebend sein, trotz freiem Fall, wenn sich nach ein paar Sekunden blindweißem Sturz durch die Wolken der Flickenteppich aus Feldern und Teichen öffnet, so klar, wie heut die Sicht ist. Und kurz darauf der Fallschirm.

Pro Flug sind das um die zehn bunte Punkte, das Ganze viermal in der Stunde – da dürften heute recht viele Leute zu Fall kommen, erst frei und dann gebremst. Wer es geschafft hat, auf den warten unten Strandkörbe mit absoluter Bodenhaftung und Kaffeepötte mit derselben Eigenschaft. Oder ein Kurzer und gleich noch einer hinterher.

Familienspaziergang über die Wiese
Familienspaziergang über die Wiese

Ziegelscheunen

Auch hier am Boden gibt es nichts zu vermissen, selbst wenn der sagenhafte, scheinbar stundenlange Pfad die Teichlandschaft verlässt und doppelt breit voraus zum Weiler Ziegelscheunen führt. Die wenigen Häuser hier greifen das Thema Ziegel in vielen Variationen auf. Der weitere Weg ist jetzt etwas ungewiss, und eine Stunde später ist klar, dass man ihn meiden sollte zwischen Mai und Mitte September. Doch wenn nichts wächst oder Gewachsenes abgemäht wurde, kommt man hier bestens lang, auf schönen Wegen und mit freiem Blick. Immer wieder queren Tierpfade, vom Acker rüber bis zum Ufer. Manchmal führt dorthin auch ein Stichweg und gestattet einen Blick über die weite Wasserfläche bis zum nächsten Kirchturm und den Mildenberger Schloten. Die alte Bahntrasse läuft bald wieder nebenher, ist mittlerweile undurchdringbar zugebuscht.

Im gebremsten Fall
Im gebremsten Fall

Vorbei an Mahnhorst, auch mit eigenen Teichen und einem schönen Steg, führt der Weg nach ein paar grasigen Knicken übers freie Feld, mit freiem Blick und direkt auf der alten Trasse der genannten Bahn. Ein Gleis war bisher nicht zu sehen.

Hafen am Großen Stichteich
Hafen am versunkenen Wald, Großer Stichteich bei Ziegelscheunen

Mildenberg

Das Gleis gibt es in Mildenberg, quer über die Straße laufen hier die Schienen. Rund um die angerständige Kirche ruht eine breite Mauer, die gut geeignet ist für eine Rast. Währenddessen fährt ein BMW vorbei, an der Antenne einen Fuchsschwanz. Dass es das noch gibt – vielleicht steht alles als Gesamt-Ensemble unter Artenschutz, Fahrer, Schweif und Fahrzeug. Gemeinsam die Jahrzehnte überdauert, die Epochen. Wir sind gerührt. Der Schweif geföhnt, wie’s scheint. Es geht ja auf das Wochenende.

Ein herrlicher Weg lockt direkt von der Kirche Richtung Ziegelei-Gelände. Die kleine Anhöhe und der hohe Mais zur Rechten wecken kurz Erinnerungen an Höhenwege durch den Wein. Was von der Stimmung her zum Herbst ja bestens passt. War auch ein Weinfest ausgeschrieben an der Straße, auf der Hinfahrt? Wo es doch seit den letzten Jahren überall lauter nördlichste Weinberge Deutschlands gibt. Bestimmt existiert er irgendwo, der Havelwinzer.

09 Himmelsblick
Himmelsblick

Ein kleines, doch stabiles Brücklein lässt uns über den breiten Welsengraben, der ganz sachte fließt, glasklar. Jedes dahintreibende Blättlein Entengrütze wirft seinen scharfen Schatten bis zum Grund mit seinem dunkelgrünen Blätterwald. Das folgende Stück Straße führt vorbei an mächtig alten Weiden, die im besten Safte stehen, egal ob ganz oder geborsten. Vorn, wo der Wald beginnt, gabelt sich der Weg, und wir verlassen die Straße nach links. Hier im lichten Kiefernwald gedeihen nahezu perfekte große Schirmpilze mit ihren kuriosen Krausen in der Halsregion, der angenommenen. Ansonsten sieht es noch recht mau mit Pilzen aus, zu trocken war die letzte Zeit. Rechts aus dem Wald tönt Live-Musik von echten Instrumenten, irgendwas Größeres wird dort gefeiert. Eine Allee von ausgewachsenen Eichen zieht sich links des Weges durch den Nadelwald – und behält den Grund dafür für sich.

Auf der Spur der Gleise - Weg nach Mildenberg
Auf der Spur der Gleise – Weg nach Mildenberg

Am Waldrand geht es links nach Ribbeck. Diese Allee, schon älteren Datums und dementsprechend schattig, wäre durchaus brauchbar für ein Kalender-Titelblatt. An ihrem Ende kommt das Dorf in Sicht, etwas vorher schon der kleine Kirchturm. Obwohl der Tag noch stundenlang so weitergehen könnte, ist es jetzt schön, am Ziel zu sein.

Weg von Mildenberg zum Graben
Weg von Mildenberg zum Welsengraben

Wir wollen zum ausgeschilderten Oktoberfest in Zehdenick, doch erfahren vor Ort, dass es erst um acht beginnt – da wären wir verhungert. Unweit vom Markt werden wir fündig und können daher nach dem Essen noch einmal zur schönen Zugbrücke und dem Becken vor der Havelschleuse schlendern. Noch ist Leben an der Eisdiele, bevor bald Wärmeres begehrter sein wird. Der erste Grog, er kommt bestimmt.

 

 

 

Anreise ÖPNV: mit der Regionalbahn nach Zehdenick oder Fürstenberg, von dort mit dem Bus nach Ribbeck (1,5-2 Std.)

Anreise Pkw: Landstraße über Liebenwalde nach Zehdenick, von dort Richtung Mildenberg bis Ribbeck (kleiner Parkplatz nahe der Kirche)(ca. 1,25 Std.)

Tourdaten: ca. 16 km, Abkürzung möglich (von Mahnhorst direkt zurück nach Ribbeck)

 

Download der Wegpunkte

 

Einkehr: in Zehdenick mehrere Einkehrmöglichkeiten (Empfehlung: Hotel Klement, zwischen Markt und Zugbrücke, gemütlich, gute Küche);
direkt am Weg in Mildenberg Gaststätte „Zum deutschen Krug“ (keine eigene Erfahrung)

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