Archiv der Kategorie: Märkisch Oderland

Grobskizziert – Reitwein: Auenrupfer, Odersporn und die erlaufene Seelenruhe

Der September ist gut in Schwung gekommen, bringt an den meisten Tagen bereits diese anregende Mischung aus frischem Wind und kräftiger Sonne mit und hat schon viele der würzigen Düfte bereitgestellt, die sinnesfreudig den Herbst ankündigen. Unter den Bäumen raschelt erstes Laub, während im Buschwerk entlang der Wege verschiedenste Beeren eine Farbpalette öffnen, die auch dann noch leuchten wird, wenn einmal alle Blätter gefallen sind. Am beständigsten unter ihnen sind dabei die Hagebutten, die selbst noch unter Raureif und zartem Schnee mit aller Kraft und lackglänzender Haut hervorleuchten.

Grenzfluss Oder

Neben der Nase werden auch die Ohren auf die erdbunte Jahreszeit vorbereitet, wenn sich zwischen das klickende Geplauder der allerletzten Schwalben im ferneren Surround-Bereich schon das monotone Getöne von Krähen und Raben mischt, die bislang nur vereinzelte Silben aus ihren respektablen Schnäbeln pressen. Oder weiter im Hintergrund die Scharen von Kranichen fast nur zu erahnen sind, die später am Tag kurz vor dem schwindenden Licht von der Kost zur Logie umziehen werden. Hier und dort schon kilometerlange Gänse-Einsen für den anstehenden Langstreckenflug üben.

Uferstreifen der Oder gen Lebus

Wer hier nicht seinen ersten Text liest, weiß vielleicht bereits von der besonderen Zuneigung des Autors zur Oder, die Euphorie und Ehrfurcht zu gleichen Teilen verschmilzt und für eine genießerische Niedrigdosierung der odernahen Ausflüge sorgt. Bevorzugt sind es die kalten bis bitterkalten Tage, die besonders gut zu den Landschaften dieses Grenzflusses passen, zum Wilden und scheinbar Unbekannten, was sich dahinter bis hin zum Ural aufspannt.

Schöne Aussicht bei Reitwein

Ganz unabhängig von den Jahreszeiten passieren manchmal im Leben kleine oder auch große Wunder. Wenn dann die nächste Möglichkeit für einen Tag unter freiem Himmel kommt, empfiehlt sich eine Landschaft, die vertraut ist, einen wohlig umfängt und etwas Archaisches in sich trägt. Auch lange Wege bietet und Weite in fast alle Richtungen, so dass ausgiebig erzählt und auch geschwiegen werden kann. Ein breiter und ruhiger Fluss ist dabei nicht von Schaden oder auch ein ferner Blickfang, der sich leicht rätselhaft gibt.

Doch auch der sommerspäte Frühherbst ist eine gute Oderzeit, wenn alles oben Erwähnte am selben Ort zu beobachten ist und dazwischen die schokoladenschwarzen Ackerschollen liegen, von großer Pflugschar aufgebrochen und dabei sauber eingerahmt durch schnurgerade Wege.

Im offenen Schiff der Reitweiner Kirche

Reitwein

Das Oderbruch ist bekannt dafür, ganz außerordentlich flach zu sein, wird dem Begriff topfeben wirklich gerecht. An vielen Stellen erhebt sich jedoch sehr direkt und nicht zu übersehen eine ausdrucksvolle Geländekante, die für teils unwiderstehliche Kontraste sorgt und unruhige Zeigefinger am Auslöser. Ein besonderer Dank hierfür geht an die letzte Eiszeit, wieder einmal.

Kirchturm in Reitwein

Bereits im Stadtgebiet von Frankfurt an der Oder beginnt einer dieser Höhenzüge, der über knappe zwanzig Kilometer vorbei am schönen Lebus bis hin zum Dorf Reitwein reicht. Schon vorher transformiert er sich von der Hochebene zum Sporn und läuft dann unvermittelt und direkt aus, was dafür sorgt, dass die Annäherung an ihn ein wenig wie die an eine hügelige Insel oder eine Voralpenlandschaft ist. Drumherum die absolute Flachheit. Es ist wirklich faszinierend.

Der Bullengraben bei Reitwein

Was der ganzen Szenerie zudem den Anstrich eines hochromantischen Gemäldes verleiht, ist die Reitweiner Kirche. Die steht eigentlich versteckt im unteren Hang, doch ihr spitzer Turm ist aus großer Ferne schon zu sehen und gibt einem das Gefühl, sich geradewegs in dieses Gemälde hineinzubegeben. Wer bei Regen nicht nass werden möchte, wird dort keinen Schutz finden. Wer jedoch Freude an naturgegebenen Lichtspielen auf schöner Architektur hat, sollte den kleinen Abstecher nicht versäumen. Den Entwurf für die Kirche lieferte übrigens ein Herr Stüler, der zur Architekten-Prominenz seiner Zeit zählte – auch das Neue Museum in Berlin geht auf seine Kappe. Der Baumeister Stüler war übrigens ein Schüler Schinkels, der hier schon viel zu lang nicht mehr Erwähnung fand.

Einladender Weg durch die Oderauen

Reitwein selbst ist ein hübsches Dorf von angenehmer Unregelmäßigkeit, zudem gibt es noch einige von diesen schönen Schleichwegen, die auf Wiesenteppich oder als getrampelter Pfad die stillen Straßen verbinden und im Langzeitgedächtnis eines jeden Reitweiner Kindes verankert sein dürften.

In den Oderauen

Gegenüber der Kirche liegt eine eindrucksvolle Sowjetische Kriegsgräberstätte, die Gedanken an die erbitterten Kämpfe in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges wachhält, als nichts in dieser Landschaft friedlich war und ihr Gesicht zerschnitten. Als grundfriedliches Gegenstück dazu liegt gleich links benachbart ein kleiner Sommer- und Kräutergarten mit winziger Teichpfütze, der betreten werden darf und gleichermaßen Insekten oder Erholungssuchende bedient.

Die breite Oder

Die ausgedehnte Tour mit ihren vielen langen und landschaftsschwelgerischen Passagen findet sich genau so auch in einem blauen Brandenburg-Wanderführer. Sie vereint in sich eine ganze Handvoll Kapitel, deren jedes für sich seinen Charakter trägt und die man alle paar Jahre aufs Neue lesen möchte. Den Auftakt macht der umgehend pulssenkende Weg durch die inneren Oderauen, der vorbei an einer hinreißenden Rastbank mit Dorfblick und durch einen bruchklammen Grünzug zum großen Oderdeich führt. In Vertretung der Alten Oder, die einst weiter östlich ihre Bögen schlug, sorgt hier der Bullengraben für etwas fließendes Wasser, das von mehreren Stellen rund um Lebus daherkommt.

Was so wächst in den Auen

Hinter dem Deich öffnen sich die äußeren Oderauen mit ihrem urwüchsigen Erscheinungsbild. Die Oder ist von hier aus noch nicht zu sehen, doch hinter ihrem gedachten Verlauf geht bereits ein polnisches Panorama der Extraklasse in die Breite, das den Deich gewissermaßen zu einem endlosen Aussichtspunkt macht und irgendwo in der nahen Ferne als rätselhaften Blickfang eine glänzende Turmhaube durchscheinen lässt.

Auf Knöchelhöhe am Oderstrand

An diesem Streifen zwischen Deich und Oderufer wird man sich wohl niemals sattsehen können. In verspielter und natürlicher Unregelmäßigkeit ziehen sich einladende Wegespuren hindurch zwischen gekappten Altarmen und feuchten Wiesen, gestürzten und zugleich quicklebendigen Weiden oder kleinen Wäldchen, die sich von keiner der vergangenen Fluten haben unterkriegen lassen. Blasshäutige Baumruinen steuern eindrückliche Skulpturen zu diesem Ensemble bei. Dazwischen lassen die jagenden Wolken jede sichtbare Wasserfläche in Sekundenschnelle zwischen bleigrau, edelsilber und tiefblau wechseln, so dass die Auslöseverzögerung der Kamera für Grimm sorgen könnte – wenn man nicht so versunken wäre in dieses Landschaftsbild, zu dem man hier gerade selbst gehört.

Genügsame Pflänzchen

Weitere Accessoires, die das Unsteigerbare dennoch steigern, sind vereinzelte Strohrollen ohne Ablagesystem, in denen man ruhig einmal seine Nase vergraben sollte und tief einatmen, auch Weidezäune alter Schule oder die mit lustigen Ziegen durchmischten Schafherden, welche in diesen Wochen vielfach zu entdecken sind. Auch die Wolken tragen ihren Teil dazu bei, mal als brave Schafe, mal wild zerzupft oder gewagt ineinandergeschachtelt. Die Chancen für solche Himmelsbilder stehen an der Oder gut, wie die Erfahrung langer Jahre zeigt. Nicht zuletzt steuern die farbstarken Grenzpfeiler in regelmäßigen Abständen kleidsame Ergänzungen bei.

Uferstreifen der Oder

Neben den feuchten Stellen, Senken und Weihern gibt es auch einige streusandtrockene Stücke am Weg, die mittels wettergegerbter Holzplanken, vielleicht alte Eisenbahnschwellen, das Vorwärtskommen für Sohle und Reifen gewährleisten. Aus ihren Ritzen sprießen stillvernügt genügsame Blümchen.

Oderdeich mit Himmelsspiel

Wenn schließlich das Ufer der ruhig fließenden Oder erreicht ist, sollte man sich eine Rast auf einem dieser Zacken nicht entgehen lassen, die weit in den Fluss ragen. Es ist ein besonderes Gefühl, so ein bisschen mitten im breiten Fluss zu sitzen, bequeme Stellen gibt es fast immer. Nicht zuletzt kann es auch im späten Sommer angenehm sein, an einem dieser tausend Odersträndchen vollständig unterzutauchen, nur für ein paar Züge. Oder sich am gewählten Sitzplatz einfach nach hinten umfallen zulassen, mit geschlossenen Augen in den Himmel zu stieren und das leise Plätschern zu erlauschen, mit dem die klaren Flusswellen die äußersten Schotterbrocken umspülen. Man sollte es wirklich tun.

Schafherde nahe des Flusses

Aus dieser flachen Perspektive wirkt der Oderstrom zudem besonders breit und auch besonders blau. Schwierig ist es daher nur, sich wieder loszureißen, denn die Tour hat ja an dieser Stelle erst begonnen.

Schokoladenacker im Zustieg

Oderdeich

Auf Höhe des alten Fähranlegers beginnt das nächste Kapitel, das nun eine reichliche Stunde Autopilot gestattet, wenn gewünscht. Einfach die Füße machen lassen, die Gedanken fließen oder fliegen, und die Blicke schweifen. Der Oderdeich verläuft hier niemals schnurgerade, und hinter jedem Bogen gibt es neue Bilder, die sich nur selten ähneln. Mal kommt das lange Band der Oder in den Blick, mal eine der vielen kleinen Wasserflächen, die dem Deich zu Füßen liegen. Hier ist die Wiese struppig kurz, dort dann alles lückenlos bewachsen von hohen Gräsern oder auch Schilfteppichen. Und als kleine Kuriosität stehen immer wieder diese Durchfahrt-verboten-Schilder an Stellen, wo ohnehin niemals ein handelsübliches Kraftfahrzeug hinkommen oder weiterfahren könnte.

Aufstieg nach Wuhden

Rechtzeitig vor Lebus muss man sich losreißen und mal wieder auf das Display oder die Karte schauen, sonst würde man unversehens in Lebus landen – zwar auch sehr schön, doch fernab der restlichen Kapitel, dazu noch ein ganz eigenes. Ein paar rechtwinklige Abbiegungen begleiten den Weg durch die Felder hinüber zum unteren Rand der bewaldeten Höhenkante, die womöglich ein paar Mittelgebirgsassoziationen im Hinterkopf aufruft. Vereinzelte Gehöfte wurden liebevoll gestaltet, und am Abzweig, wo die Abkürzung hinzustößt, hockt ein versteinerter Troll, den wohl die Eiszeit von Skandinavien hierher verschlagen hat.

Ausblick von Wuhden

Wuhden

Nur wenig später geht es nun kurz und herzlich zur Sache, doch der Aufstieg an den Rand von Wuhden darf gut und gern ein eigenes kleines Kapitel für sich beanspruchen. Wer auf der Straße bleibt, kann oben im Dorf ein paar der hübschen Häuser sehen, doch zweigt man unten ab in den Weg mit schwarzem Kauz auf gelben Grund, darf die Höhe entlang eines idyllischen Grundes erklommen werden.

Weg auf dem Reitweiner Sporn

Oben beginnt dann, fast wie auf einem Kammweg, der nächste, äußerst aussichtsreiche Abschnitt entlang einer jungen Allee, die später in einer deutlich älteren aufgeht. Die beruhigende Spur ist immer leicht am Schlingern und taucht nach längerem in den Wald ab, wo der verdiente Abstieg nun genüsslich zelebriert wird.

Schöne Aussicht bei Reitwein

Noch in diesem abschließenden Kapitel sollte man sich trotz müder Beine und hängenden Magens nicht eine der schönsten Aussichten weit und breit entgehen lassen – der Abstecher ist nur kurz und endet an drei Bänken. Ähnlich frei und hochgelegen wie von der Schönen Aussicht kann man den Blick wohl nur von der Carlsburg bei Falkenhagen schweifen lassen – und ist dabei mit Sicherheit niemals ungestört.

Hohlweg hinab nach Reitwein

Wenn es wirklich Herbst ist und der Tag schon eine Weile läuft, wirft der Sporn seinen Schatten weit ins flache Land, wie ein altgedienter Fischer seine Netze, die in voller Breite auf die Wasserfläche klatschen. Die Bäume entlang der schnurgeraden Alleen tun das ihre, und der tiefe Sonnenstand steuert Goldlack und Weichzeichner bei. Auch der frische Wind hat sich woanders hin verzogen und überlässt die Landschaft gänzlich ihrer Stille, die Oder ihrem glatten blauen Spiegel und die tagaktiven Menschlein einer abendlichen Seelenruhe.











Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der Regionalbahn nach Seelow, von dort mit Bus bzw. Bussen (1,75-2,5 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der B 1 bis Manschnow, dann B 112 Richtung Lebus (ca. 1,75-2 Std.)

Länge der Tour: ca. 21 km, Abkürzungen möglich (Empfehlung: wenn abkürzen, dann zwischen Wegpunkt 10 und 15)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Internetpräsenz von Reitwein

MOZ-Artikel Spaziergang Reitweiner Sporn

Einkehr: Gaststätte Am Reitweiner Sporn, Reitwein (vorher unbedingt anrufen, hat manchmal unerwartet geschlossen)

Marxdorf: Tempelritter, verschwundene Kastanien und die Allee im Walde

In diesem Jahr hatte bereits der März sämtliches Pulver verschossen, welches der April sorgfältig angesammelt und bereitgelegt hatte, um wochenlang alle Lebewesen gehörig durch die verwinkelten Gassen der Wetterphänomene zu scheuchen. Wie er da rangekommen war, weiß keiner. Aller Launischkeit im Vorhinein beraubt, schaltete der April daher auf bockig, wilderte wie schon letztes Jahr übermütig im Werkzeugkasten des Sommers und legte eine gnadenlose Serie heißer Tage hin, an denen die Sonne mit voller Glut vom blauen Himmel bretterte, quasi von Null auf Hundert.

Komturei Lietzen hinter der Mauer

Auf den Bürgersteigen wurde umgehend bauch- und schulterfrei geboten und am Eis geleckt, während alle Cabrios auf den Straßen ihr Dach wegsteckten und jeder Lenker darin forsche Blicke warf. Auch andere Schönwetterautos und geliebte Oldtimer wurden ausgemottet, sodann versonnen und in altersgerechtem Fahrtempo über die Landstraßen bewegt. Waren nun all die Sonnenanbeter entzückt von diesem frühen Geschenk, bimmelten bei vielen schon wieder die Alarmglocken angesichts ausschließlich gelbfarbiger Wettervorschauleisten. Schnell folgten die ersten Waldbrände, und für alle amtlichen und ehrenamtlichen Feuerwehrleute im Lande brach eine unruhige Zeit an.

Fast vier Wochen lang gab es so gut wie keine Wolken und manches zu suchende Osterei schmolz dahin, bis in den letzten Apriltagen endlich der erste wirkliche Regen fiel und bei den tüchtigen Feuerwehren etwas Entspannung und eine Atempause einkehrte – innerhalb von zwölf Stunden sank die Waldbrandgefahr von der höchsten auf die niedrigste Stufe, von fünf auf eins. Auch die Natur schien darauf nur gewartet zu haben, denn in diesen zwölf Nachtstunden explodierte es an Halmen und Zweigen, vervielfachten Baumkronen und Wiesenflächen ihr sichtbares Volumen. Die Vögel tönten laut und zuversichtlich, die Mischung aller Frühlingdüfte geriet sagenhaft und verführte zu tiefem Einatmen. Es war eine wahre Befreiung für alles, was neben Licht auch Wasser braucht. Dass in der folgenden Woche dann gleich wieder die Handschuhe herauszuholen waren, ist eine andere Geschichte, vielleicht ja noch die späte Rache des Aprils. Der Tanz in den Mai jedenfalls war nicht schulterfrei.

Kastanienallee im Walde

Um nun diese lang erwartete Mischung aus nassem Waldboden, frischen Blüten und saftigem Grün beim Ausflug gründlich auszukosten, sollte verschiedenartiger Wald und allerhand von diesen schönen buschigen Wegen dabeisein, die oft von Dorf zu Dorf führen und unattraktiv für Fahrzeuge sind. Dazu vielleicht noch ein paar Seen, welche die Kühle des Morgens gespeichert halten. Zwischen Müncheberg und Seelow ist von all dem einiges zu finden, und aus einer alten Tour wurde durch bloßes Umkehren fast schon eine neue, die hier und da sogar noch überraschen kann.

Kirchweiher in Marxdorf

Marxdorf

Marxdorf ist ein gemütliches Dorf, das auf hübsche Weise abseits liegt – viele Wege führen dort hin, doch bis auf die Hauptzufahrt verleiten sie alle zur Langsamkeit und zum Genuss, egal ob nun im Latsch, im Sattel oder hinterm Lenkrad. Der Anger, nicht klar zu erkennen und variantenreich maskiert, verfügt über zwei Teiche. Am kleineren steht in attraktiver Nachbarschaft die Kirche, während der größere eher entspannten Freizeitstunden dient. Im Norden gibt es ein kleines Parkdreieck mit Denkmal, in der Mitte einige ergiebige Äcker und hier und da verschiedene Weiden für Fell- und Federvieh. Am großen Teich liegt über einer Wiese voller Schlüsselblumen der hübsche Spielplatz, und überall im Dorf trifft man statt Zäunen auf stattliche Feldsteinmauern als Grundstücksbegrenzung.

Am kleineren Kirchweiher, der unterhalb der Mauer des Kirchhofes liegt, hat sich eine Gänsefamilie eingerichtet, die mit lautem Geschnatter auf ihre Fünflinge hinweist und zugleich im Unterton einen ausreichenden Abstand nahelegt. Das gilt selbst für die entfernte Verwandtschaft eines Entenpärchens, das extra vom anderen Teich angereist ist, um seine Aufwartung zu machen.

Gänsefamilie auf dem Kirchweiher

Der hiesige Gasthof der mittleren Preisklasse wurde einst von einem bärtigen Herren geführt, dessen zelebriertes Erkennungszeichen neben frischen Fischen in der Pfanne ein lustig aufgesetzter lustiger Hut war. Markanter noch für den Durchreisenden war der herrliche Bullerjahn-Ofen im Schankraum, speziell natürlich an kalten Tagen. Mittlerweile sind neue Betreiber am Werk, und in greifbarer Zukunft soll hier der Erlebnis-Gasthof Loosgut öffnen, der dann neben Fisch auch Rindfleisch von der Weide nebenan auf die Karte bringt. Nicht minder markant für so ein leicht abgelegenes Dorf und fast ein bisschen kurios war die Likörfabrik, die sich jedoch mittlerweile nach Neustrelitz verlagert hat – das Marxdorf in Namen hat sie mitgenommen, was für ein gewisses Renommee der süßen Spezialitäten spricht.

Doch die Wahrnehmungsorgane und auch der Bewegungsapparat drängen jetzt zum Dorfende, wo einige bekannte Elemente freudig erwartet werden. Neben einem zutiefst beruhigenden Weg in Richtung Wald und dem weiten Blick übers saftige Grün zählen dazu einige alte Kopfweiden, die mehrfach auseinandergebrochen und doch noch zusammenhängend sind. Der jahrzehntealte Kompost der eigenen Krone sorgt im Innern des Stammes für einen weichen Mutterboden, auf dem allerhand wächst und gedeiht. Eine Kleinfamilie hätte dort ausreichend Platz für ein bedrängtes, doch einzigartiges Picknick.

Schlüsselblumenwiesenhang unterm Spielplatz

Am ersten Ausläufer des Waldes steht die erste Nachtigall des Tages in Sangespose, die schon ungeduldig darauf gewartet hat, dass endlich irgendwelche Zuhörer vorbeikommen und beeindruckt sind von ihrer Virtuosität. Von hier fällt der Weg als grüne Hohlgasse ab zum Wald, so eingesenkt, dass man fast den Krummen See übersieht, den ersten der sechs Seen am Weg. Ein Abstecher zum Marxdorfer Moor lohnt sich, verlangt jedoch eine gute Orientierung oder Satellitenunterstützung, denn von einstigen Wegen ist kaum mehr etwas zu sehen. Das Moor liegt noch trocken vom letzten Sommer und keine Froschkehle ertönt, doch in nässeren Zeiten lassen sich hier ganze Teppiche von Wollgras bestaunen. Der Abstecher lohnt auch wegen des besonderen Lichtes im fast reinen Buchenwald, dessen grüner Dom sich hoch über dem laubbraunen Waldboden wölbt.

Trockenes Marxdorfer Moor

Wer das Moor auslässt und sich lieber an vorhandene Wege hält, darf am Waldrand entlang einer stattlichen Reihe alter Eichen spazieren, mit den gewellten Feldern im Blick. Die buckligen Wurzelausläufer an ihren Füßen sind von Moos bedeckt und erinnern an mit Herzblut gebastelte Modelle von Mittelgebirgen. Ein besonderer Weg, der etwas Archaisches hat und auch ein paar Blicke in den Buchenwald spendiert. Am Waldeck biegt, alternativ zur geradeaus führenden Forststraße, ein leicht verwachsener Weg ab, der etwas Staksen und Beineheben verlangt, doch das lohnt sich. Jede Landschaftswelle nimmt er mit und sammelt damit einige Höhenmeter, führt zudem vorbei an Fichten- und Robinienwald, jeweils mit dem besonderen Licht. Begleitet wird der Waldrand auch hier von alten Bäumen mit gewaltigem Umfang. Auffallend sind zudem die Lesesteinhaufen, teils fast schon im Ausmaß vorgeschichtlicher Grabhügel. Direkt am Waldrand stehen sogar kleinere Hinkelsteine benachbart zu kürbisgroßen Brocken. Über wieviele Jahrzehnte wohl so ein Haufen gewachsen ist, wieviele Generationen von Ackerbauern ihn immer wieder nährten?

Buchenwaldhalle beim Marxdorfer Moor

Nach dem Abdrehen in den Wald zeigt sich dieser erneut besonders, denn der Weg führt vorbei an Douglasienbeständen. Wer gern eine besondere und natürliche Erfrischung hätte, zerreibt ein paar Nadeln zwischen seinen Fingern und wird die nächsten Minuten nicht damit aufhören können, immer wieder die Hand an die Nase zu führen und den anregenden Duft einzuatmen, bevor er irgendwann verfliegt.

Im Wald liegt noch einiges quer von vergangenen Stürmen, sodass das Verlassen der großen Wege etwas Kletterei erfordern kann. So krauchen wir über und unter umgelegten Stämmen und Kronen hindurch, bücken, strecken und verbiegen uns. Das Ziel ist ein Hügel mit Robinienwald, der auf einem steilen Weg verlassen wird. Überall lagern meisterlich angelegte Stapel riesiger Holzscheite im Wald, die zeigen, wieviel schon aufgeräumt wurde. Auch die Spuren grobstolliger Reifen zeugen davon. Umso erstaunlicher ist es, was alles noch zu tun bleibt.

Eichenreihe am Waldrand

Nach einem kleinen Gespensterwald voll knolliger Robinienstämme, den man besser nicht zur Dämmerung durchquert, übernehmen wieder breite, freie Wege. Hinter einer Waldstraße steht ein kleiner Lebensbaumwald, und wenig später beginnt eine wahre Rarität: mitten im Wald zieht sich eine betagte Kastanienallee entlang des Weges, deren hochgewachsene Bäume schon vollständig belaubt sind. An einem Querausläufer der Allee ruht eine urige und vielfältig bewachsene Riesenwurzel, groß und schnittig wie ein Delphin, die voll unerzählter Geschichten steckt. Oben in den grünen Wipfeln mit den weißen Kerzen jagen Finken und andere schnelle Vögel hin und her, dem Anschein nach eher verspielt als funktional. Genau hier fällt der erste Sonnenstrahl des Tages in den Wald und veredelt die besondere Szenerie.

Lesesteinhaufen mittlerer Größe, Draufsicht

Vorn auf der Schotterstraße zwischen Marxdorf und Lietzen Nord fetzt ein Transporter vorbei, den wohlverdienten Feierabend im Blick. Dass selbst jetzt kein Staub aufgewirbelt wird, ist wohl der nachdrücklichste Beweis für das Ausmaß des nächtlichen Regens. Die Straße verläuft durch einen grünen Tunnel, dessen Dach zu großen Teilen von Ahornblättern gebildet wird. Rechts im Hintergrund wachsen blutjunge Buchen heran, dicht an dicht mit ihren glatten Stämmen und in Wurfweite zu einigen versteckten Waldweihern.

Blick durch die Buchenstämme nach Marxdorf

Bald darauf verlässt der Weg den Wald und bringt nun großflächig eine neue Farbe ins Spiel. Der grüne Tunnel setzt sich fort, doch er zieht sich durch ein Meer von Gelb, das bis zum Horizont reicht und scheinbar auch die nächsten Waldstücke umspült. Das kaum farbecht zu fotografierende Gelb des Rapses treibt seinen Jux mit dem Kamerasensor, wenn es sich mit jedem Wolkenzug in neue Nuancen wandelt, mit jedem Wogen leicht changiert in seiner Antwort auf das Licht der Sonne. Noch stehen keine mohnroten oder kornblumenblauen Gegenpole am Wegesrand, die den Raps hervorragend ergänzen und ihm zugleich die Schau stehlen, zumindest punktuell und für das Tempo des Fußgängers. Das wird eine Woche später schon anders aussehen.

Gutwillige Robiniengeister

Lietzen Nord/Komturei Lietzen

Für den Windschutz von Feld zu Feld sorgen auch hier altgewachsene Bergahorne, die schnurgerade auf einen besonderen Ort zu führen. Am Ortsrand von Lietzen Nord möchte ein einladender Radweg-Einschlupf zum Überspringen des Dorfes verführen, doch dem sollte man auf keinen Fall nachgeben. Das Dorf Lietzen Nord besteht zur Hälfte aus der Komturei Lietzen, einem aus heutiger Sicht pittoresken Gebäude-Ensemble, wie es in Brandenburg kein zweites Mal zu finden ist. Komtureien sind Niederlassungen des Ordnens der Tempelritter, auf deren Spuren man hier im Umkreis in vielen Dörfern trifft. Die Templer gab es etwa zwei Jahrhunderte lang. Während der Kreuzzüge bildeten sie eine Art Elite-Einheit, die direkt dem Papst unterstand. Zahlreiche Filme bedienen sich bei ihrer Geschichte, Nachfolgeorganisationen sind bis heute aktiv. Das benachbarte Dorf Neuentempel trägt die Templer schon im Namen, und auch Marxdorf beruht auf dem Orden, der dort auch die Kirche baute.

Alte Kastanienreihe im Wald bei Lietzen Nord

Durch die zahlreichen Film-Adaptionen wurde die spannende und kontroverse Historie eher zur blumig-abenteuerlichen Fantasy-Mär abgeschliffen, und so passt es durchaus in den Blickwinkel, wenn man das zauberhafte Gelände der Komturei durch das große Portal betritt und an Drehorte und Kulissen der jüngsten Märchenverfilmungen denken muss. Insbesondere, wenn die Wiesen bunt und die Obstbäume voller Blüten oder Laub sind, ist es wirklich ein märchenhafter Ort, dessen Gelände zum größten Teil betreten werden darf – wo nicht, weisen Schilder freundlich darauf hin. Ein paar Blicke wert ist zuvor die Außenseite der Umgrenzungsmauer, deren pragmatisches Flickwerk von verschiedensten Epochen erzählt. Ihre Krone ist nachgerade exotisch bewachsen, im gekonnten Stil eines Steingartens.

Allee in den Raps um Lietzen Nord

Am ältesten sind wohl die Kirche und das benachbarte Herrenhaus, die zu Lebzeiten Walthers von der Vogelweide errichtet wurden, in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. In der einige Jahrzehnte zuvor gegründeten Mark Brandenburg war da gerade die Zeit der Askanier angelaufen. Der noch älter erscheinende Speicher hingegen kam erst etwas später dazu. Die Kirche ist meist geöffnet, die Tür einladend angelehnt, und diese Einladung anzunehmen lohnt sich. Neben der Stille und dem herrlichen blauweißen Himmelsgewölbe strahlt das kleine Schiff eine tiefe Ruhe aus, wozu auch die grobe Pflasterungen mit großen Ziegelsteinen beiträgt – im Altarraum übrigens in Bienenwabenform, die man auch im benachbarten Diedersdorf wiederfindet.

Komturei Lietzen mit Speicher, Kirche und Obstwiese

Zu all der Schönheit kommt noch die Lage über den Uferwiesen des Küchensees hinzu. Nördlich des neu gebauten Saal-Gebäudes gab es noch vor einigen Jahren eine sagenhafte Reihe freistehender alter Kastanien, die entlang eines grobknüppligen Geländers am Hang standen und dem Spaziergänger ihre waagerechten Äste fast ins Gesicht hielten. Dieses urige Bild im Kopf war fast so etwas wie das Tagesziel heute, und es ist wirklich schade, dass es diesen einzigartigen Ort nicht mehr gibt. Vermutlich wurde auch er ein Opfer der Wetterkapriolen. Zu hoffen bleibt der naheliegende Gedanke, dass nach Fertigstellung des neuen Gebäudes kleine Kastanienbäume nachgepflanzt werden. Das wäre wirklich schön.

In der Kirche, Komturei Lietzen

Vom Rand des Anwesens öffnet sich der Blick über eine idyllische Landschaft in grün, gelb und Himmelsschattierungen von grau bis blau, durch die sich unegal ein Wasserlauf zieht. Büsche und Bäume stehen vereinzelt darin, hinten verdichtet sich der Wald. Nachdem der Weg im Wald verschwunden ist, schwingt er sich in Kurven über eine kleine Anhöhe. Auch hier fallen wieder die vielen alten Bäume auf. Mehrere souverän-freundliche Spaziergänger begegnen uns. Sie wirken, als wenn sie den Jaguar im Zündschlüssel und den Weimaraner an der Leine hätten, darüber hinaus viele gute Ideen im Kopf und ansonsten gern ihre Ruhe beim Umsetzen dieser Ideen.

Steg zwischen den Seen, Lietzen Nord

Ein kleiner Fußgängersteg führt über den Durchlass zwischen Küchensee und Großem See, dahinter folgt ein üppiges Stück dichter Botanik – unten auf dem Weg die gelb leuchtenden Butterblumen, links und rechts die weiß blühenden Büsche und efeuberankten Baumstämme und darüber die frisch gedeckten Dächer der Baumwipfel. Sehr alte Buchen begleiten auch den Uferweg am Großen See, der manches Mal zu einer Rast am Wasser einlädt.

Rechts des Weges erhebt sich wie ein kleines Massiv ein fester, von Bäumen bestandener Sandhügel, der über steile Wände und Höhlen verfügt und rege von Schwalben und unterschiedlichsten Insekten als Unterkunft genutzt wird – demnach in halbwegs friedlicher Koexistenz. Es herrscht ein lebhaftes Kommen und Gehen, Flattern und Schwätzeln, begleitet von Gesumm. Bald öffnet sich der Wald und präsentiert ein Haus, das so wohlgefällig in blühende Fliederbüsche eingebettet liegt, dass es selbst kaum zu sehen ist. Rundherum gewinnt das Korn an Höhe und bildet schon winzige Ähren aus.

Großer See

Neuentempel

Auf den Wiesen zwischen Großem See und Halbesee rastet eine größere Schar Gänse, keineswegs lautlos, dazwischen mischt sich von weiter hinten das norddeutsch langgezogene Quaken der allerersten Frösche, und noch weiter hinten liegt eines der schönsten Dorfbilder Brandenburgs, das vom erwähnten Neuentempel mit seiner wuchtigen Kirche. War der Kirchturm vor ein paar Jahren fast noch vollständig zu sehen, sind die Bäume auf halbem Blick mittlerweile so hoch, dass nur noch die kantige Haube herausragt.

Kurz vor Neuentempel

Der geschwungene Verlauf des Weges zieht etwas höher die Uferlinie des Halbesees nach, auf dem zum ersten Mal in diesem Jahr das humorvolle und mitteilsame Geschnarre des Drosselrohrsängers zu hören ist, der im noch bleichen Uferschilf den Monat Mai bestätigt. Vom Ende des Sees brückt sich ein Weg durchs nasse Land, begleitet vom Verbindungsgraben zwischen Halbe- und Weinbergssee. Die Badestelle am Rand von Diedersdorf wurde in den letzten Jahren von Grund auf neu gestaltet, draußen auf dem See treibt sogar eine verankerte Badeinsel.

Dammweg zum Weinbergssee, Diedersdorf

Diedersdorf

In Diedersdorf, das wie das bekanntere Dorf gleichen Namens bei Großbeeren ebenfalls über ein Schloss verfügt, queren wir den kleinen Kirchhof und treffen vor der Kirchtür erneut auf die sechseckigen Pflastersteine. Schräg gegenüber bietet sich im Gasthaus nun unbedingt eine ausgedehnte Pause an. Erstmals in diesem Jahr können wir dabei im Freien sitzen, direkt neben der außerordentlichen Ulme, in der die Vögel aus den Furchen der Rinde kleinste Insekten ernten, teils kopfüber hängend. Als Hintergrundmusik zum Essen spielt im Gebüsch am Zaun eine trainierte Nachtigall ihr Repertoire für die anstehende Saison durch.

Alte Sensenschmiede am Rand von Neuentempel

Bald hinter dem Schloss biegt die stille Straße nach Neuentempel ab, die einem saftig grünen Talgrund folgt. Fast keine Autos fahren hier, und auf halber Strecke zwischen den Dörfern macht eine leicht erhöhte Rastbank ein faires Angebot. Als erstes Haus von Neuentempel empfängt die Alte Sensenschmiede, die noch immer komplett ausgestattet ist und deren Mauerwerk ähnlich pragmatisch gepatchworkt wurde wie die Lietzener Außenmauer von vorhin. Komplett wird das hübsche Bild durch ein schönes schmiedeeisernes Zunftzeichen, das somit doppelt passend ist.

Neuentempel

Im Dorf kommt von vorn der Oderbruchbahn-Radweg daher, der vorhin am Rand von Lietzen verführen wollte und einmal komplett durch Neuentempel fährt. Noch vorher zweigt nach rechts das Sträßchen Richtung Hedwigshof ab, dessen Asphaltband bald zwei wasserdurchlässigen Fahrspuren weicht. Vorher gilt es noch den lockenden Wegen hinab zum Großen Raaksee und dem Abzweig nach Hedwigshof zu widerstehen, beide durchaus schöne Optionen, den verbleibenden Weg noch etwas auszudehnen.

Wogende Rapsfelder bei Hedwigshof

Tief in den blühenden Rapsfeldern, welche die sanften Wellen der Landschaft abbilden, bereiten sich einige Bienenvölker auf ein gutes Stück Arbeit vor, und dann und wann rauscht ein Auto vorbei, meist mit Kennzeichen von ganz woanders. Die dichte Allee strebt direkt auf den Wald zu, der als schmaler Streifen die Felder vom zweiten Marxdorfer Haus trennt.

Wenn es am Vormittag schon ruhig war im Dorfe, so ist es jetzt noch ruhiger. Selbst die frischen Gänslein scheinen schon ins Nest gebracht zu sein, der Kirchenteich ruht spiegelglatt, frei von Lament. Gleichermaßen zurückhaltend und vordergründig liegt in der Luft das Sausen der eleganten Schwalben. Ihre Spiele verweisen auf eine Zeit, die bald schon kommen wird.














Anfahrt ÖPNV (von Berlin): wochentags über Seelow (1,25-1,75 Std.), am Wochenende ungünstiger

Anfahrt Pkw (von Berlin): Landstraße B 1 (ca. 1,25-1,5 Std.)

Länge der Tour: knapp 19 Kilometer (vielfältige Abkürzungen gut möglich)

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Informationen zu Marxdorf (Amt Seelow)

Informationen zu Lietzen (Amt Seelow)

Seite der Komturei Lietzen

Einkehr: Ulmenhof, Diedersdorf

Grunow: Das Sophienfließ, der See in türkis und die senkrechten Schachbretter

Endlich kam der Regen. Nach endlosen Wochen von Trockenheit und extremer Hitze gab es nun wirklich ein erlösendes Gewitter, das sich von Frankreich aus auf den Weg machte und als langgezogener Süd-Nord-Riegel einmal übers ganze Land zog. Während es im Südwesten marodierte und einigen Schaden anrichtete, erreichte es den Nordosten bereits ermattet und zeigte sich hier unentschlossen und effektheischend. Stand irgendwann wieder auf festen Beinen und gab dann endlich dem staubigen, teils knochentrockenen Land einige kurze, doch hilfreiche Güsse. Alles mit Wurzeln im Boden erhielt eine umfassende Erfrischung und die Hoffnung auf etwas mehr in der folgenden Woche. Auch alle wurzellosen Lebewesen konnten nun aufatmen und ein paar kreislaufschonenden Tagen entgegensehen mit Temperaturen in den Zwanzigern, nachts schon fast darunter.

Im Tal des Sophienfließes

Abgesehen von der normalisierten Temperatur ist auch sonst zu spüren, dass die Jahreszeit mit den längsten Tagen ihren Zenit überschritten hat. Jedes Jahr aufs Neue gibt es dann wieder dieses besondere Licht, das geschaffen wird von schnellziehenden Wolkenbergen vor kräftiger Sonne und den ersten Lücken im Laub der hohen Bäume. Schon am Nachmittag sorgt der deutlich tiefere Sonnenstand für dieses warme Gold, die langen Schatten für mehr Lebendigkeit in allen Gestalten der Landschaft.

Während die bunten Blumen und Gewächse des späten Sommers sich stille Gefechte liefern um schönste Farbenpracht und maximale Sättigung, mischen sich zwischen die würzigen Düfte des ersten gefallenen Pappellaubs schon die fruchtigen, leicht beschwipsten aller Früchte, die vom Wind oder von den Bäumen selbst abgeworfen wurden. Kleines wildes Murkelobst mit pflaumengroßen Birnen und kirschengroßen Pfläumlein, doch das Aroma dieser Früchtchen strahlt aus mit der Kraft eines Konzentrats. Als drittes im Bunde mischen sich noch die knallblonden Strohrollen dazu, die gut verteilt auf den stoppeligen Feldern parken. Die Duftmischung im Ganzen vermag es, bei manchen sehnliche Vorfreude auf den nähergerückten Herbst zu wecken.

Im Schlosspark Buckow

Gut geeignet für diese Zeit um Spätsommer und Frühherbst ist die bezaubernde Gebirgslandschaft der Märkischen Schweiz mitsamt den Dörfern drumherum – so zumindest zeigt es die Erfahrung. Argumente und Begründung bleibe ich schuldig, dem Textvolumen zuliebe. So gesehen trifft es sich gut, dass Buckow mindestens einmal im Jahr lautstark im Gedächtnis anklopft und sich bemerkbar macht, bestimmt und kaum verhandelbar. Dieses scheinbar gemalte Städtchen zwischen dem türkisesten aller märkischen Bergseen und einer der gelungensten Reliefeuphorien im Land Brandenburg. Beim Spaziergang durch die Stadt trifft man auf viele Bilder und Stimmungen, die eigentlich nur von romantisch übertriebenen Gemälden unglücklich verliebter oder naturversessener Pinselkünstler stammen können. Doch alles ist echt, und man darf es sich anschauen zu jeder Zeit und so oft man kann und möchte. Wenn es Text wäre und nicht Bild, wäre es an einem Tag wie heute wohl komplett fettgedruckt.

Grunow

Grunow ist eines der genannten Dörfer und liegt fünfzig Meter über dem Schermützelsee. Es wird umwogt von langfrequenten Landschaftswellen, die für ein regelmäßiges Auf- und Ab sorgen und mit sanftem Fingerzeig betonen, dass es ins Gebirge geht. Das Dorf liegt mittagsstill und scheint den ersten hitzefreien Tag dankbar aufzusaugen. Eine Katze muss nun keinen kühlen Stein mehr suchen, heut tut es auch ein simpler Schattenplatz am Fuß des Apfelbaums. Weiter hinten bewegen sich drei Ferienmädchen Richtung Dorfrand, wahrscheinlich zu den Pferden hin. Offen bleibt, ob sie rosa Schleifen im Gepäck führen oder Zuckerwürfel, doch sie bewegen sich bogenreich und etwas ruckhaft, da ein drittes Fahrrad fehlt. In irgendeinem Garten kommt viel zu spät ein klobiger Köter ans Gittertor gerannt, scheinbar noch mit der Hitze der letzten Tage im Gehirn. Am Dorfausgang ist dann alles still, und so hört man von Ferne das Schnauben der Pferde. Etwa genauso laut sind die nahen Hummeln auf der bunten Wiese hinterm letzten Haus.

Dorfstraße in Grunow

Dann öffnet sich die große Weite mit ihren sanften Hängen, angenehm durchbrochen von kleinen Waldstücken, hochgewachsenen Pappelreihen und feuchten Senken, in denen alles grün oder noch etwas grüner ist. Von links nähert sich ein kleiner Wasserlauf, der trotz der zähen Dürre etwas Wasser führt. Das Fließvolumen reicht von daumendick bis beinlängenbreit, doch niemals steht es still, das Sophienfließ. Dass es etwas versteht von Naturromantik, beweist das Bächlein bereits ein Dorf stromaufwärts in Prädikow. Wie sich auf dem Rückweg zeigen wird, baut es dieses Talent bis zu seiner Mündung in den Schermützelsee eindrucksvoll aus.

Hügelwiesen am Sophienfließ bei Grunow

Ein gutes Viertelstündchen hält uns das Fließ die Treue, doch im ersten längeren Anstieg plätschert es weiter seiner Wege Richtung Osten, bleibt lieber unten. Eine gute Entscheidung, insbesondere wenn so wenig Wasser zur Verfügung steht wie in diesem Sommer. Oben quert ein verträumter, breiter Weg. Links in den Büschen ist ein stattlicher Haufen Feldsteine mit Größen von Apfel bis Kürbis am Zuwachsen. Den sollte man sich merken, falls Muttern mal wieder ihre Beete umgestalten will.

Am Wiesenpfad vor Bollersdorf

Beide Richtungen des Weges locken, doch geradeaus der Weg nach Bollersdorf ist frisch gemäht und heute gut zu gehen, daher mehr als einladend. Der Weg läuft bald zu einem Pfad ein und kann zeitweise ziemlich krautig sein, notfalls lässt sich die Passage einfach westlich umgehen. Doch dieser knappe Kilometer ist lohnend. Zum Dorf hin und zum alten Wirtschaftshof gibt ein verlandeter Weiher mit Feuchtgebiet allen in der Nachbarschaft von seinem Safte ab und sorgt damit für einen breiten Schilfgürtel mit lautstarkem Leben. Bis zum Pfad hin reicht sein Einfluss, und so hat sich hier im Sommer ein farbenfroher und stengeldicker Blührand entwickelt, in dem es goldgelb strahlt von den hochgewachsenen Goldruten, hell- und dunkelviolett von Kletten und Disteln und in seven shades of white von allem möglichen Gewächs.

Dorfteich in Bollersdorf

Ob all jene, die summen, brummen und flattern, nicht mehr so wählerisch sein können wie im späten Frühling oder es sich wirklich um Blüten handelt, die wohlgelitten sind unter Insekten, oder ob diese Nektarspender einfach das Obst der Saison sind für Leute, die es regional bevorzugen – hier ist richtig Betrieb. Nicht nur die Zahl der Schmetterlinge ist groß, sondern auch ihre Vielfalt, und dazwischen tummeln sich die Hummeln, auch noch Bienen und basslastige Hornissen sowie allerhand kleinere Teilnehmer wie Käfer und Fliegchen. Angesichts des verstörenden Problems der schwindenden Insekten lässt sich nicht aufatmen, auch wenn man gerne würde. Doch es stimmt zuversichtlich, wenn man direkt sieht, was so ein stehengelassener Meter Feldrand bewirken kann. Insbesondere in diesem insektenarmen Sommer, wo man die Wespen eher am Wasserhahn antrifft als auf der Himbeertorte.

Hinter Bollersdorf

Bollersdorf

Allein dieser Kilometer wäre die Anreise wert gewesen, und so ist es schade, dass er trotz allen Herauszögerns irgendwann endet. Doch auch Bollersdorf hat dem Auge viel zu bieten, zumal man mitten durch den großen Dreieinhalbseit-Hof gehen darf und mitverfolgen, wie aus verfallenden Scheunenhäusern wieder Prachtstücke werden oder stattliche Sonnenblumen aus betagten Backsteinfugen wachsen, im schönsten Kontrast. Vorn an der Kirche machen gerade zwei Jungs mit Rädern eine Tourbesprechung, kurz darauf bei der Pause am Dorfteich fragt uns von hinten jemand aus seinem Pickup heraus, ob er hier zur Pritzhagener Mühle kommt. Auf dem Teich wechseln die Enten besonnen von hier nach da, ein dicker Fisch prahlt mit seiner Rückenflosse, bis wir endlich hinschauen, und sogar eine ganze Reihe Schwalben sausen noch dicht überm Wasser herum, ohne Laut und voller Anmut.

Obstallee hinter Bollersdorf

Ein paar Meter weiter schmeißt eine grantige Hexe jeden aus dem Dorf, der zu lange auf ihr Häuschen stiert, und so finden wir uns gleich darauf vor der absteigenden Straße, die hinab zum größten Bergsee der Märkischen Schweiz führt. Doch rechts steht eine sehr anziehende Reihe von Apfelbäumen auf der Höhe und ist stärker. Mit herrlichem Blick auf die bewegten Wälder der Höhen und Täler gegenüber lassen sich hier verschiedene Apfelsorten verkosten, die teils schon rotbackig sind. Nach dem Abbeißen bleibt eher eher ein schiefes Grinsen als ein genießerisches Ah – einzwei Wochen sollten sie noch reifen. Zwischen den Bäumen ragen unverwüstlich die wuchtigen Ventilstutzen der alten Bewässerung aus dem hohen Gras. Auf der zweiten Hälfte der Obstallee geht es weiter mit Pflaumen, die fast schon blauschwarz sind, groß und durchaus aromatisch, doch etwas Reife und Saft fehlen auch hier noch. Für die tägliche Dosis Vitamin C und ein paar andere empfohlene Tagesrationen sollte es jedenfalls gereicht haben. Untermalt wird die Sause von einem hintergründigen Chor zirpender Grillen.

Uferweg am Schermützelsee

Nach der Weite und dem freien Blick verschwindet der Weg abrupt im dunklen Wald, gut gemischt aus Laub und Nadel, damit würzig duftend und von diffusem Schatten. Das Gefühl von offenen Augen ohne Dunkelbrille ist nach der wochenlangen Dauersonne ähnlich weit weg wie das eines festen Schuhes am Fuß – und beides wohltuend. Schnell verliert der Weg an Höhe und lässt dabei auf ein paar Metern eine historische Pflasterstraße aus enormen Steinen sehen, wie man sie auch von der Sächsischen Schweiz kennt. Überhaupt läuft uns heute ständig die Oberbarnimer Feldsteinroute über den Weg, und bis zum Ende werden die Feldsteine häufiger als üblich Präsenz zeigen. Als Lesesteinhaufen am Feldrand oder im Gebüsch, als Straßenbelag oder als Bauklötzer für Häuser und Kirchen. Und natürlich ganz klassisch als imposanter Findling am Wegesrand.

Die Scherri vor Anker, am Badestrand von Buckow

Immer steiler wird nun das Gefälle, immer direkter der Abstieg, bis irgendwann die Wasserfläche durch die Stämme glitzert. Dieser schöne, ganz besondere See, der nur zwei Kilometer lang ist und dennoch zwei schöne weiße Dampfer beschäftigt, einen klassisch zu nennenden Badestrand anbietet und ein ganz passables Segelrevier. Unten beginnt der Uferpfad, der sich auf ganzer Linie so wild gebärdet, als wollte er einen abwerfen. Schön und wild ist er, reich an Treppen und steilem Auf und Ab. Zwischendurch lässt er den Spaziergänger spontan durch ein Bollersdorfer Bergdörfchen spazieren, das mit seinen steilen Stiegen, Streuobsthängen und Terrassengärten an die sächsische Elbe denken lässt.

Keramikscheune mit Biergarten, Buckow

Der Rundweg um den Schermützelsee darf als Legende und Klassiker im besten Sinne gelten, was pittoreske Bilder, umfassende Vielfalt und Naturromantik betrifft. Bei aller Kürze spendiert er eine der abwechslungsreichsten Seeumrundungen in ganz Brandenburg und konzentriert mit allen möglichen Variationen das Erlebnis- und Erholungspotential einer ganzen Urlaubswoche in sich. Am Gasthaus wird es wieder schattig, und wie auch am Stienitzsee zwei Täler weiter trifft man alle paar Minuten auf Quellwasser, das unterhalb des Hanges aus dem Boden sickert. Dieses frische Wasser landet neben dem des Sophienfließes im See und ist vielleicht ein Teil des Geheimnisses um sein kräftiges Türkis.

Wochenend-Idyll in Buckow

Buckow

Hinter einer Reihe geradezu hinreißender Ufergrundstücke oder solcher mit Seeblick steht als letztes das zuwachsende Haus Tirol und ruft Bilder auf, wie es hier im schönen Kurort mit eigener Bahnanbindung einmal zugegangen sein könnte. Worte wie Sommerfrische kommen in den Sinn, ferner Tanztee und Gymnastik sowie Badekleidung, deren Anlegen längere Zeit beansprucht. Gut zu diesen Bildern passt das Strandbad, in dem der Betrieb heute eher verhalten ist. Von Südwesten drückt ein wirklich strammer Seewind in die Bucht, der schaumgekrönte Inlandswellen aufhäuft und im Biergarten sogar die halbvollen Gläser in Schwingung versetzt. Die Mädels, die davon unbeeindruckt vorn auf dem Steg stehen und beim ausgiebigen Schwatzen leise schlottern im badenassen Textil, dürften wohl eher von hier sein und jeden Tag der Ferien am Wasser verbringen. Alle Kundschaft aus der nahen Großstadt hingegen hebt die Zähne beim Zehentest, reibt sich leicht gekrümmt die nackten Oberarme und zieht ein leidendes Gesicht am ersten Tag ohne brüllende Hitze. Beschwichtigende Worte folgen, begleitet von schiefgelegten Köpfen.

Kneipptretstelle am Schlosspark Buckow

Gegenüber des Strandes am Dampferanleger lockt eine steile Stiege hinauf zum Schlossberg, doch wir wollen unbedingt in den Ort, nach dem Rechten schauen und Energie nachlegen. Im alten Strandkiosk ist ein Trödel eingezogen mit buntem Sortiment, so dass ab hier ein großer blauer Krug dabei ist. In einem zillewürdigen Wochenendgarten wird ein Fest begangen. Alle, die uns entgegenkommen, strömen eben dorthin, in schönen Sommergewändern und entweder mit einem Blumenstrauß, einer Sektflasche in der Hand oder einer Kuchendose im Beutel. Manche tragen noch dazu ihr schönstes Lächeln im Gesicht, so eines ganz von innen, grundecht und entwaffnend.

Wir statten der Keramikscheune einen kurzen Besuch ab, die im letzten Jahr eröffnet hat. Vorn gibt es einen schönen Vorhof mit Platz für Feste, drinnen viel Platz und eine großzügige Bühne. Hinterm Haus legt ein schattiger Biergarten eine Pause nahe. Der zugehörige Eiskeller am Hang ist selbst mit Platzangst begehbar, denn der Deckel wurde entfernt.

Streuobsthänge hinterm Schlossberg, Buckow

Zwischen Mühle und Kirche tummeln sich bunt die Leute, und rund um die Brücke über den Stöbberbach gibt es drei Optionen zum Sattwerden für kleine und große Geldbeutel. Die schönsten Plätze direkt am Bach hat der Imbiss, wo eine erfahrene Dame seit langer Zeit den Kochlöffel und anderes Werkzeug schwingt. Ganz egal, wann man hier sitzt, fast immer wird gegenüber in der Stobbermühle geheiratet. Heute nicht, wahrscheinlich ist das Datum nicht ausreichend eingängig. Vorn am Marktplatz in der Eisdiele ist kein Stuhl mehr frei, doch etwas die Straße hinauf in Richtung Bahnhof gibt es ja das Eiskörbchen. Auch hier steht eine Schlange, die schnell und freundlich abgearbeitet ist. Die Eisleckbänke gegenüber sind voll, doch die Fluktuation ist groß und nach etwas Schmökern in der hiesigen Bücherkiste werden Plätze frei.

Bucklige Brücke übers Sophienfließ

Am Eingang zum Schlosspark liegt ein schöner Kräutergarten, in dem es neben der Wassertretstelle im Bach sogar ein Kneipp-Becken für die Arme gibt. Das mit dem Kältekribbeln nach dreißig Sekunden wird dieser Tage nichts, denn das frische strömende Wasser aus dem breiten Hahn ist allenfalls laukalt. Besser macht es eine Horde Kinder, die mit nackten Beinen durch den Bach stiefeln, sich unter der Brücke kaum bücken müssen und dahinter von den Beerenbüschen naschen. Das klingt nach einem schönen Ferientag, selbst wenn es für ein Bad zu frisch war.

Im gediegenen Schlosspark besteht reiche Auswahl an sonnigen oder schattigen Wegen, denn beides ist heute durchaus willkommen. Kurz vor dem Aufstieg entdecken wir links einen Pfad, der im humorvollen Slalom zwischen dickbauchigen Koniferen scharwenzelt. Der Aufstieg auf den Schlossberg ist dann weit moderater, als es die steile Treppe vorhin am Strand befürchten ließ, und oben gibt es einen der schönsten Blicke auf die kleine Gebirgswelt, mit Streuobstwiesen, Waldrandpfaden und Aussichtsbänken. Nach einem Stück Straße unterhalb sanfter Obsthänge und etwas Zickzack sind wir wieder am Sophienfließ, das uns komplett aus der Bilderwelt des bisherigen Tages reißt.

Pfad am Stauteich des Sophienfliesses

Sophienfließ

Der Kilometer bis zur Landstraße zählt wohl zum urigsten und am meisten pittoresken, was sich weit und breit finden lässt. Es ließen sich Vergleiche anstrengen zu Schluchten- und Bachtälern in echten Mittelgebirgen, zu Urwäldern, die im Großen und Ganzen sich selbst überlassen wurden. Etwas wie die Wurzelfichte musste einfach in diesem kleinen Tal stehen, schon die Worte scheinen einander zu bedingen. Die Wurzelfichte am Sophienfließ. Auch wenn von der Fichte nur noch das bizarre Wurzelwerk die Blicke auf sich zieht, seit ein namhafter Sturm den hochgewachsenen Baum umknickte, ist der Weg dorthin so verträumt, fast etwas abenteuerlich, dass man ihn in kleinsten Schritten gehen sollte. Damit er nicht so schnell vorbeigeht.

Auf und ab gebärdet er sich an den Talflanken, schickt seine Besucher mehrfach über betagte Knüppeldämme, die im aktuellen Zustand etwas mehr Trittsicherheit und gesunden Menschenverstand erfordern als sonst. Auch sie scheint man – wie den Urwald – in Ruhe zu lassen. Hier und da sorgen Dämme aus Kleinholz für Stauteiche, deren besonnter Grützteppich goldgrün schimmert, wie manche Eidechse im besten Licht. Andernorts treten eisenhaltige Quellen aus und sorgen für den goldbraunen Ton des fließenden Wassers.

Aufsteigender Weg von der Waldsiedlung

Kurz vor der Wurzelfichte ist das Bett des Fließes derzeit komplett trocken. Da es vor ein paar Minuten noch munter strömte und früher am Tag weiter nördlich etwas Wasser führte, geht das Wasser womöglich eine Zeitlang in den Untergrund. Dem Annafließ bei Strausberg geht es ähnlich. Doch auch ohne fließendes Sophienwasser ist sie ein ehrfurchtgebietender und anrührender Anblick, die riesige hohle Wurzelhand, die sich mit theatralischer Geste in den märkischen Sand krallt. Eher noch als das Glitzern der Wellchen fehlt das Plätschern. Ein gereimter Vers auf dunklem Holz umreißt kurz, was dem berühmten Baume widerfuhr.

Alleeweg nach Grunow

Grund zwischen den Weesenbergen

Nach dem Queren der talversunkenen Landstraße und ein paar Kurven steht wieder etwas stilles Wasser im Bachbett. Die Staudämmchen lassen nicht erkennen, ob sie jemand mit oder ohne Pelz erbaut hat, zumal vor einigen Jahren eine Renaturierung in Angriff genommen wurde. Ein paar Schritte später beginnt eine Pflasterstraße und ruft lose die Feldsteinthematik ins Gedächtnis zurück. Die Wochenendgärtchen in der bewaldeten Landschaftsfurche zwischen Kleinem und Großem Weesenberg sind wunderschön gelegen. Doch der Schlummer in Waldesruh dürfte für die nächsten Wochen passé sein, da in diesem Jahr nicht nur die Obstbäume übervoll mit Früchten hängen, sondern auch die Eichen. Bei einer Fallhöhe von acht Metern und zahlreichen Blechdächern vergeht keine halbe Minute ohne lautes Knallen. Nur ein Haus, zumal das malerischste hier, steht so mittig und ausreichend entfernt von den anderen, dass Schlafen bei offenem Fenster als Option bleibt.

Schafe bei Grunow

Der Schatten bleibt auch nach dem Ende des Waldes erhalten, denn die Bäume beiderseits der sanft geschwungenen Pflasterstraße stehen hoch und dicht. Am nächsten Abzweig ist der höchste Punkt erreicht und damit das Ende des Aufstiegs vom türkisen See. Zur Wahl stehen nun der direkte Weg nach Grunow oder ein weiter Bogen durch die sanft gewellte Landschaft. Der ist auf der Hochzeit der Vegetationsperiode so eine Sache, teilweise von hohen Gräsern bewachsen und auch ausdruckskräftigen Brennesseln, die selbst durch die Hose wirken. Ferner liegen noch ein zwei vom Sturm gefällte Bäume quer, die zu umgehen sind. Doch lohnend ist es schon, den Bogen mitzunehmen, insbesondere an so einem Tag, der nicht zu Ende gehen soll. Der Weg ist pulssenkend und die flächendeckend am Boden liegenden Eicheln knurpsen so schön unter den Sohlen, gar nicht zu reden von den vielen Feldsteinhaufen – was ist da schon ein wenig Nesselbrand über den Fesseln oder ein Ästchen, das im Unterholz die Haare zaust.

Wo die begleitenden Bäume enden, ist jetzt die offene Landschaft wohltuend für Augen, Füße und Unterschenkel und irgendwie auch verdient. Rechts baut der Schäfer gerade den Zaun für eine große Weide auf, weiter links liegt eine noch viel größere, die sich gerade in der Bearbeitung befindet. Endlos viele Schafe müssen es sein, und je länger man die Landschaft absucht, desto mehr werden es – wie beim Blick zum sternenklaren Himmelszelt.

Kirche außerhalb, Grunow

Beim Abbiegen auf die Straße wartet eine Überraschung hinter den Bäumen. Verborgen und von hohem Holz umringt sowie bereits vermisst steht auf einer kleinen Wiese die alte Dorfkirche, die mitsamt dem Friedhof vis à vis einmal das Zentrum von Grunow war. Das Dorf ist vergangen und ein paar Meter weiter neu entstanden, doch die Kirche ist geblieben, wo sie war und bietet damit etwas Einzigartigkeit. Das Lesen der Tafeln lohnt durchaus, denn es gibt einen Reim auf einige sonderartige Feldsteine in der extradicken Kirchenmauer. Ungewöhnlich ist auch, dass für den Bau keine kugeligen Feldsteine verwendet wurden, sondern in Form gehauene mit dem Streben nach rechten Winkeln.

Außergewöhnliche Steine in der Kirchmauer, Grunow

Zum letzten Mal überqueren wir das Sophienfließ, das an dieser Stelle etwa die Hälfte hinter sich hat, und über dem schmalen Wasser tanzen wahrhaftig ein paar Mücken. Die Kinder dürften beim Abendbrot sitzen und ordentlich zugreifen, eine andere Katze als vorhin wechselt die Straße und die meisten Schwalben haben Feierabend gemacht. Die wenigen, die noch unterwegs sind, fliegen jetzt hoch und schauen scheinbar intensiv in Richtung Süden. Nicht uns allein war dieser Tag ein Zeichen und ein Vorgeschmack auf die allumfassend würzigen Monate in Gold.

 

 

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): über S-Bhf. Lichtenberg und Müncheberg, von dort Bus oder Buckower Kleinbahn (nur Saison am Wochenende)(ca. 1,5 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): Landstraße über Hönow und Strausberg (ca. 1,25 Std.)

Länge der Tour: ca. 17 km (Abkürzungen mehrfach möglich)

 

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

 

Links:

Buckower Kleinbahn

Arbeitseinsatz am Sophienfließ

Informationen zum Schermützelsee

 

Einkehr: Johst am See, Bollersdorf (Siedlung am See)
zahlreiche Optionen in Buckow rund um den Markt (Imbiss bis gehoben)

Eggersdorf: Weiße Trauben, ferne Berge und das Schweigen der Frösche

Die lückenlose Baumblütenpracht des Aprils hat den Mai in diesem Jahr herausgefordert, und so gibt er alles, um Saft und Kraft und Üppigkeit zu zeigen. Schwingt sich dabei von Feiertag zu Feiertag und erschafft in Düften, Bildern und Stimmungen eine Mischung, die zuletzt schon an Sommerferien denken lässt. Ihren Beitrag dazu leisten die ersten Grillen des Jahres und das bereits hüfthohe Korn, das sich wiegend den launigen Winden hingibt.

Ackerrandweg mit hohem Korn

Beide Frühlingsmonate scheinen bestrebt, das frostige und somit fruchtlose Hin und Her des letzten Frühlings quantitativ auszugleichen und erhalten dabei Rückenstärkung von Sonne, Wind und Regen. Das Ergebnis dieser Bemühungen stimmt hoffnungsfroh, denn die Blüten waren reichlich, die jüngsten Bienen fleißig, und drum sind alle Bäume voll von Früchtchen in der allerersten Phase.

Am Kirchweiher in Eggersdorf

Auch die Klangkulisse in den Lüften ist in die Breite gegangen. Zu den euphorischen Feldlerchen, den virtuosen Nachtigallen und den leise plaudernden Schwalben kamen im Wochenabstand Töne hinzu wie das immer irgendwie entfernt wirkende Intervall des Kuckucks, das ja von der Berliner S-Bahn bei jedem Türschließen gespiegelt wird. Oder die sommerbegleitenden Pfeiftöne der Mauersegler, die wie von Ungestüm und Rausch getrieben durch die Straßenschluchten jagen. Auch die nach großer Unterhaltung klingenden Monologe der kleinen braunen Rohrsänger, die im Schilf hocken und scheinbar niemals Langeweile oder Pause haben und dazu Lungen ohne Grenzen. Vorerst vereinzelt ist mit dem Pirol ein anderer Spaßvogel zu hören, der in größeren Abständen hintersinnige und knackig kurze Kalauer zum Besten gibt, kurz sacken lässt und bei Gefallen gleich noch einmal wiederholt. Meist im Wald und gern ganz oben in den Wipfeln.

Obstweg hinter Eggersdorf

Nebenher ist alles Braun dem Grün gewichen, das effizient auf Wiesen, Äckern und aus Bäumen sprießt und jegliche Blümchen an den Wegrändern noch bunter leuchten lässt. Während der Blick vor die eigenen Füße die schöne Feldrandmischung rotblauweißgelb in immer neuen Konstellationen abscannt und dabei den Kopf von links nach rechts oder nach unten dreht, manchmal auch rückwärts über die Schulter, wird weiter oben ein ganz anderes Schauspiel dargeboten, eines ganz in weiß. Es ist die Hochzeit der Robinien, deren buschig weiße Blütentrauben die Kronen eher weiß als grün erscheinen lassen.

Blick zurück nach Eggersdorf

Vor allem wegen der Lust auf bunte Feldränder landen wir heute in der offenen Landschaft südlich von Müncheberg. Eher pragmatisch wurden reizvoll anmutende Feldwege zu einer menschenleeren Tour verbandelt. Mittendrin liegen drei Passagen, wo ein Durchkommen fraglich ist, denn sowohl Karten als auch Satellitenbilder widersprechen sich. Etwas gewagt in der höchsten Vegetationsphase, doch wir werden sehen und notfalls staksen.

Die Märkische Schweiz in der Ferne

Eggersdorf

In Eggersdorf gab es vor einiger Zeit das Gasthaus Prasser, eine gemütliche Gaststätte mit einem urigen Bullerjan-Ofen, wo der Wirt beim Eintreten unaufdringlich den Nachnamen erfragte und einen dann bis zum Abschied persönlich ansprach. Das war seltsam, doch keineswegs befremdlich, es hatte was und ist auf ewig verknüpft mit diesem Dorf. Noch beim Aussteigen bemerke ich das vergessene GPS-Gerät und spüre ein kurzes Zucken digitalen Entzuges. Doch der Weg heute sollte auch ohne gehen, zumal es eine markante Landmarke und meistenteils klare Abzweigungen gibt. Bei den Problempassagen hilft die Sonne aus an diesem wolkenlosen Tag. Der Rest braucht etwas Glück.

Schwungweiser Aufstieg zu den Weihern

In der Mitte des Dorfes liegt hinter einer gemütlich verwinkelten Bushaltestelle, einem pflanzenreichen Tümpel und einem Backsteintor die Kirche und schafft gemeinsam mit dem Schatten hoher Bäume einen schönen Rahmen für lange Feste. Obwohl die große Pfütze wie geschaffen ist für viele Frösche, ist nichts zu hören. Dafür laufen die Motoren großer und kleiner Maschinen, die fast alle dem Rückschnitt von Halmen dienen.

Wiesenweg bei den Weihern

Hinterm Dorf geht dann nicht nur die erhoffte Stille in die Vollen, auch der Blick trifft auf beruhigende Bilder. Ein gediegener Feldweg, der nie ganz gerade und nie ganz eben ist, führt hindurch zwischen alten und neu gepflanzten Obstbäumen sowie blühenden Rosen- und Holunderbüschen. Schmale Gehölze sorgen für Minuten großer Waldstimmung mit den zugehörigen Düften, und stets ist etwas Halbschatten da.

Vor einem Kiefernwäldchen steht eine Rastbank mit weitem Blick nach Westen, danach übernehmen wieder die Büsche. An der großen Kreuzung lockt der mitlaufende Pilgerweg in einen grünen Tunnel, doch wir biegen ab und ziehen durch die welligen Äcker. Vorn quert ein Radfahrer und macht Hoffnung darauf, dass der entscheidende der unklaren Wege passierbar ist. Biegt leider vorher ab, so dass die Frage bleibt. Im Süden zieht sich panoramabreit und dicht über dem Horizont ein diffus zerklüftetes Wolkenmassiv, das geschickt mit Licht und Schatten spielt und die Alpen imitiert, wie sie langsam zur Greifbarkeit anwachsen, wenn man München mit der Bahn verlässt. Keineswegs ein hinkender Vergleich.

Weiher im Schilf

Links eröffnet sich mit den vier Türmen der Stadt Müncheberg nun eine Art charmanter Begleitung. Die Stadt liegt in einer Senke, doch der markante Kirchturm steht auf einer eigenen Anhöhe und ist weithin zu sehen. Das mit der Anhöhe trifft nicht für die wuchtigen Türme der Stadtbefestigung zu, ein bisschen jedoch für den Wasserturm, dessen Kopf daher ähnlich oft zu sehen ist. Der Blick von hier auf die Stadt beantwortet einen Zusammenhang, der bislang nicht als Frage stand: direkt hinter dem Kirchturm ist eindrucksvoll die Hochfläche der Märkischen Schweiz zu sehen. Ein bisschen so, wie man bei bester Sicht die Alpen von einem Münchner Stadtberg sehen kann …

Hohes Korn mit Feldrandweg

Vom nächsten Wäldchen nahe einem Schafstall schwingt der herrliche Weg sich langsam ein paar Meter höher und streift dabei einige feuchte Augen dieser leicht bewegten Landschaft, die weit ist und tiefes Atmen erlaubt. Die meisten dieser schilfigen Weiher sind kaum mehr als knietief, andere liegen blau und halmlos und lassen kleine Abgründe vermuten. Auch hier von Fröschen nichts zu hören.

Jetzt wird es bunter an den Wegerändern, zunächst noch ohne rot. Oben dann beginnt der fraglichste Weg und ist vorhanden, dank der zahlreichen Hochstände hier. Wirklich zauberhaft ist er und liegt eingebettet zwischen kniehohen Gräserteppichen, die der Wind in Bewegung hält. Als kurvige Wiesenspur umrundet er verspielt eine Reihe von Tümpeln und Weihern, in deren Umfeld sich vom mannshohen Kranich bis zum frischgeschlüpften Entlein verschiedenste Tiere wohlfühlen, wohl auch verschwiegene Breitmäuler.

Robinienweg nach Müncheberger Loose

Jenseits der kleinen Lindenallee, die südlich nach Tempelberg führt, folgt der zweite fragliche Weg nun der Kreisgrenze, die zugleich den Rand eines saftig grünen Roggenfeldes nachzeichnet. Die langen Grannen fordern zum Darüberstreichen auf. Sie sind weicher als angenommen. Im Norden zieht ein karminrotes Dach die Blicke immer wieder auf sich, davor steht edel kontrastierend ein Stück dieses weißen Robinienwaldes und bereitet auf Kommendes vor.

Die nächsten Weiher wären ohne den regen Vogelverkehr kaum zu erkennen, so grün umwachsen sind sie. Am vorerst letzten von ihnen schwenkt der Weg nach Norden und trifft an einer Wendeschleife wieder auf offizielle Linien, von denen jede der befragten Karten weiß. Direkt danach beginnt zwischen den Robinien eine lose Folge von uralten und noch älteren Kirsch- und Apfelbäumen, die gemeinsam mit dem Weg vom Anfang eine innere Notiz für den Herbst auslösen.

Die Türme von Müncheberg mit der Märkischen Schweiz im Hintergrund

Hinterm Abzweig nach Friedrichshof verschwindet die Doppelspur in einem grünen Tunnel aus hochgewachsenen Robinien, über deren teils meterdicken Stämmen ein Klangteppich aus tausend Bienenflügeln tönt. Was muss das für ein Rausch sein für die Gelbgestreiften, wie geht man vor bei einem solchen Überangebot? Das Blätterkleid geht stellenweise auf Tuchfühlung und ist bis zum Boden so dicht, dass nur selten ein Blick aufs Feld drin ist.

Philippinenhof

Müncheberger Loose

Als schon die Frage aufkommt, ob es hier wohl einen Ausgang gibt, steht links ganz unerwartet das erste Haus von Müncheberger Loose. Spielende Kinder und gackernde Hühner verstärken noch das umgebende Gartenidyll, vor dem sicherlich ein Auto aus der Großstadt steht. Vom Schönen Berg gibt es nun einen der schönsten Blicke auf den Müncheberger Kirchturm, das Gebirglein dahinter sitzt noch besser in Szene als vorhin. Jetzt endlich kommen die Mohnblumen ins Spiel und machen die Farbmischung am Wegesrand komplett. Linsen werden gezückt, vor Blumen niedergekniet und die Makro-Funktion an ihre Grenze geführt.

Blick von der Fußgängerbrücke

Philippinenhof

Die unbefestigte Straße durch den Weiler Philippinenhof sieht gemütlich aus mit ihren hölzernen Gartenzäunen, die auf Normen wenig geben. Zwischen den Häusern liegt ein gartengroßes Kornfeld, gesprenkelt von frisch entknitterten Mohnblüten. Die Dorfstraße führt um den Hof herum in schattigen, bodenklammen Wald, trifft hinterm letzten Haus wieder auf den Pilgerweg und lässt Fußgänger problemfrei die schnelle Umfahrungsstraße queren, flankiert von Sanddornbüschen. Wenn bis hierher nicht gänzlich klar war, wer in der Müncheberger Skyline wirklich ein Turm ist und welcher – jetzt lässt es sich lückenlos aufklären.

Am Stadtrand von Müncheberg

Müncheberg

Nach etwas Zickzack und schönen Blicken auf die Kirche führt ein in die Wiese gemähter Weg zu einem kleinen Laubengang, der wieder einmal überrascht und damit bestens zu Müncheberg passt. Ein kleiner Abstecher ins Innerste belohnt mit einem Eis, dass sich schattig auf der Kirchenhöhe vernaschen lässt. Im dichten Efeu an der Kirchenmauer läuft ein ständiges Kommen und wieder Abflattern von Vögeln verschiedenster Größe, die teils selbe, teils gegenläufige Absichten haben. Ein milder Wind schleicht durch den markanten Bogen zwischen Kirchturm und Schiff. Die handschmeichelnde Klinke zum Kirchenraum muss einfach gedrückt werden, wenn auch ergebnislos.

Pfad hinter den Lauben

Der Weg um den Waschbanksee hat nicht an Schönheit verloren, und unter Apfelbäumen blühen auch heute große Margeriten. Oben an der Pflasterstraße weist ein Schild nach Landhof, wo es wieder Teiche gibt. Die sind hier schattig, sumpfig und unbedingt froschgeeignet – doch scheint das heute am Tag zu liegen. Nicht ein Quaken hören wir. Hinter einem Gehöft mit etwas verpeilten Hunden öffnet sich wieder die Weite. Die letzten Teiche des Tages sind etwas größer. Vom rechten starten zwei Gänse mit einigem Zirkus, um auf dem linken regelrecht unauffällig zu landen. Dieser ist eher eine große Pfütze und die Show sollte vielleicht augenzwinkernd den Wechsel von den Futter- zu den Schlafplätzen imitieren, wie er im selben Moment, jedoch in tausendfacher Verstärkung im nahen Oderbruch stattfinden dürfte.

Oben an der Kirche, Müncheberg

Auch an der stillen Landstraße wurden neue Alleebäumchen gepflanzt, bis hinauf zur Brücke. Nach fünfzehn Minuten Asphalt und drei Autos schwenken wir ab zu einem letzten Wäldchen, das schon duftende Abendkühle bietet. Am Friedhof halten wir Arme und Hände unter den Wasserhahn, das erste Mal in diesem Jahr, an diesem Tag, der viel vom Sommer hat.

Eggersdorf ist im Wochenende angekommen. Hier glüht die Holzkohle unterm Würstchen, dort wird ein Fest für morgen vorbereitet und vis à vis vom zweiten Dorfteich steht zeitige Achtziger-Elektronik-Mucke auf der Playlist, solche, die man schon fast vergessen hatte und die wegbereitend war fürs Plattenkratzen.

Flacher Schlafteich für die Gänse

Das mit den Fröschen haben wir abgehakt und schlurfen drum vorbei am schilfigen Gewässer, beinlahm, hungrig und zielgerichtet auf die letzten Meter. Eine eilige Stockente fliegt von Süden kommend Richtung Stadt, sieht uns da unten in der Not und lässt ein leises Quak vom Himmel fallen. Dem ist dann nichts hinzuzufügen.

 

 

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Eggersdorf nicht praktikabel; Regionalbahn von Berlin-Lichtenberg nach Müncheberg (Mo-Fr stdl., ca. 0,75 Std.) bzw. von Strausberg nach Müncheberg (Sa, So, ca. 1 Std.), vom Bhf. in die Stadt 3 km zu Fuß oder mit dem Bus (10 Min., doch teils seltsame Anschlüsse)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über B 1 (ca. 1 Std.)

Länge der Tour: ca. 18,5 km, Abkürzungen gut möglich (Vermeidung der langen Landstraßenpassage über Wegpunkte 24-23-5-39)

 

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

 

Links:

Ortsinformationen Eggersdorf

Stadt Müncheberg

 

Einkehr: Il Siciliano (am Kreisverkehr beim nördlichen Stadtturm), Müncheberg

Eiscafé unterhalb der Kirche, Müncheberg

 

Hennickendorf: Der Stienitzsee, das Schaf der Schafe und der gefundene Frühling

Von Zeit zu Zeit gibt es Ereignisse, die in ihrem Dunstkreis mehrere Wochen beanspruchen, hintergründig, jedoch präsent. Solche Kaliber wie Hochzeiten, runde Geburtstage jenseits eines dritten Lebensquartals oder die Konfirmation der Patentochter. Ist dann der Tag herangerückt, um den es geht, wird alles andere auf kleine Flamme gedreht und darf ein wenig knapper ausfallen – sei es nun der liebe Alltag oder auch der Ausflug ins Grüne. Dann wird pragmatisch und mit knappem Kriterienfächer entschieden: einmal rund um einen mittelgroßen See, zu dem man ohne lange Anreise hinkommt. Am besten einen, den man schon ein wenig kennt.

Am weiten Wiesengrund bei Tasdorf

Die Erwartung ist dementsprechend eher medium, was keine Einschränkung darstellt, denn das Spazieren durch den Wald und ein Dorf sowie der Blick über eine große Wasserfläche stellen auf jeden Fall ein vergleichbares Maß an Erholung sicher, das auch eine mit planerischer Feinmotorik gestrickte Tour bieten würde. Nur die Erlebniskurve fällt ein wenig flacher und ruhiger aus.

Dennoch kann es passieren, dass man von der gewählten Landschaft und ihrer Abwechslung dermaßen überrascht wird, dass aus der hingehauchten Skizze unverhofft eine Tour mit dem Zeug zum Klassiker geboren wird, ein Weg also, den man in gewissen Abständen immer wieder unter die Sohlen nehmen möchte, und zwar haargenau so, wie er beim ersten Mal war. Touren wie diese heften sich gern an bestimmte Zeitpunkte, die durch Natur oder Kalender bestimmt werden. Doch es gibt auch solche, die man gerne zu ganz verschiedenen Jahreszeiten sehen würde.

Aktuell ist es der Frühling, der in diesem Jahr durch beharrliches Warten erkämpft werden musste. Viele Geduldsfäden waren bereits gerissen, als es endlich soweit war und die Tage nicht mehr nur vereinzelt erschienen, an denen unbedeckte Köpfe und freie Unterarme gesundheitlich unbedenklich waren. Nach dem österlichen Schnee war der Winterspuk vorbei, und in Wochenfrist wurde die Zwanzig-Grad-Marke geknackt und wochenlang gehalten.

Stichkanal in Hennickendorf

Beim Blick auf die Straßen, die Gehwege und alle Parkflächen musste man denken, dass alle, wirklich alle draußen waren, keiner zu Hause. Mit einem Mal ging alles in die Spur, was Chlorophyll in sich trägt, und fand im schnellen Vorlauf zu dieser allgegenwärtigen Farbsättigung zurück, von der man schnell meint, dass sie nie weg gewesen war. Erst kamen die Blüten, eine halbe Woche später die Blätter an Bäumen und Büschen, und mit einem Mal war alles grün und saftig und erfüllte die Umgebung mit dem Duft der erwachten Vegetation.

Mittelgroße Seen mit schönem Wald drumherum gibt es viele im Land Brandenburg, auch das Berliner Umland ist gut bestückt. Die meisten von ihnen haben adrette Rundwege, die gut markiert einmal drum herum führen. So ein Weg ist sehr entspannend, da man kaum aufpassen muss und eigentlich nicht von ihm abkommen kann.

Wem das zu meditativ ist, zu einförmig oder zu knapp an Abwechslung, der kann hier und da noch einen Ausreißer einbauen, der für einen Landschaftswechsel sorgt. Gut lässt sich das beim Stienitzsee machen, der vom S-Bahnhof Strausberg in einer guten halben Stunde zu erreichen ist – mit dem Bus ist man übrigens nicht viel schneller. Der See ist das letzte Glied einer schiffbaren Kette wunderschöner Seen, die mit der Müggelspree das Wasser teilt und am Dämeritzsee bei Erkner beginnt. Einen ausgewiesenen Rundweg gibt es nicht am Stienitzsee, doch zumindest die westliche Hälfte ist als Teil des 66-Seen-Wegs gut markiert. Umrunden lässt er sich dennoch, und zwar regelrecht spektakulär. Wir haben das im knackfrischen Frühling getan, scheinbar die schönste Jahreszeit dafür, doch werden gerne wiederkommen in Monaten wie Januar, August oder Oktober.

Uferpromenade in Hennickendorf

Hennickendorf

Schon in Hennickendorf beginnt die große Vielfalt. Wer das Dorf durchfährt, sieht eins wie viele andere, doch kriecht man ein wenig in die Winkel und Ecken, zeigen sich mehr als eine Handvoll Gesichter. Am Kreisverkehr mit der Kirche ist die Eisdiele erwacht, in Sichtweite zum örtlichen Bäcker. Beide zusammen stellen am Wochenende den lückenlosen Eisverkauf von früh bis spät sicher.

Ein paar Meter weiter führt ein aufsteigender Weg auf einen von zwei Hügeln. Im Abstieg gibt es auf halber Höhe eine großzügige Aussichtsplattform, unten liegt ein Sportplatz in einzigartiger Lage direkt am blauen Wasser des Sees. Das ist in dieser Konsequenz eine seltene Konstellation. Bevor die Frage nach dem erst verschossenen und dann nassen Ball auftaucht, wird sie schon beantwortet – mit dem Blick auf das hohe Zaunnetz zum Ufer hin. Wer da noch drüberschießt, hat sich die Abkühlung und etwas Wasser in den Ohren wirklich verdient.

Nach einem urigen Stück Wald folgt eine eigene kleine Welt und lässt ans schnuckelige Neu Venedig denken, das vom Berliner Müggelsee kommend zur betreffenden Seenkette überleitet. Ein kleiner Stichkanal mit morsch-pittoresken Bootshäusern und vertäuten Booten greift der Lagune vorweg, die es etwas weiter südlich tatsächlich gibt. Ein zweiter, etwas breiterer Arm lässt fast an Skandinavien denken. Etwas Frischwasser erhält er von einem wenige hundert Meter jungen Rinnsal, das durch Ufer voller gelber Blüten aufwändig ins breite Wasser mäaandert. Als würde es sich immer wieder nach seinem Ursprung umschauen, der lang schon außer Sicht ist.

Verfallendes im Wald unterhalb des Betonwerkes, Hennickendorf

Dahinter liegt der zweite Hügel, auf den trotz oder wegen seiner steilen Flanke kleine Gärten mit Lauben gebaut wurden. Abenteuerliche und selbst verfasste Stiegen aus Holz, Metall oder Beton klettern hinauf zu den großen und kleineren Buden, bei denen das Hauptgewicht ganz klar auf der Aussichtsterrasse liegt. Zu Füßen der Erhebung liegen die Gärten, die statt der Aussicht das eigene Stück Ufer haben. Beides ist gleichermaßen exklusiv.

Strandbad Stienitzsee

Entlang eines Viertels praktisch gebauter Häuser wurde ein breiter Grünstreifen am Ufer freigelassen, davor sogar noch ein Promenierweg, auf dem man zum Wiesenstrand des Dorfes kommt und dran vorbei. Wer einen gediegenen Sandstrand dem Vorzug gibt, standesgemäß gelegen unter etwas Steilküste samt ausdrucksstarker Kiefer, der ist nur noch ein paar Minuten entfernt von seinem Glück. So wie diese Kiefer steht, muss ihr Sämling einst vom Darß hierher geweht worden sein. Im Strandbad Stienitzsee gibt es neben dem Strand die obligate Versorgung mit Getränken und Kuchen, Würstchen und Eis, darüber hinaus kann man verschiedenste Wasserfahrzeuge ausleihen oder den urigen Pfad im Berg erkunden. Wer es gerade passiv liebt, setzt sich einfach nur auf die schöne Terrasse mit den vom Bootslack glänzenden Tischen und lässt den Blick oder das Gehör über die Stille oder das Treiben schweifen – je nach Tageszeit. Nicht wundern, wenn ein Pfau vorüberschreitet.

Kleiner Lagunenhafen

Das folgende Stück entlang der Straße bietet Abwechslung fürs Auge in Form einer jungen Kirschallee, des eigentümlichen alten Wasserwerks mit Grasrondell und Yacht vor Anker sowie einer seltsamen Stallage aus Betonpfeilern. Auf Höhe der alten Werkssiedlung führt ein kleiner Schleichweg hinab in den Wald. Auch dort stehen seltsame Säulen aus Beton und Stahl, mittlerweile Aug in Aug mit nachgewachsenem Wald, und sehen für den Laienblick nach Umspannwerk aus, ein bisschen auch nach Hopfenplantage. Dazwischen rotten Ruinen vor sich hin, werfen Fragen auf und verleihen der kurzen Passage einen morbiden Anstrich.

Regelrecht putzig erscheint in diesem Kontrast die kleine Lagune, deren einer Nehrungsarm von winzigen Segelbooten belagert wird. Ab hier reicht der hochgewachsene Laubwald bis ans Ufer, wirft frischen Schatten über kleine Badebuchten und wird von Minute zu Minute feuchter. Hier und da sickert aus einem Quelltopf Wasser und landet gleich wieder im See. Ein paar Wochen später dürfte hier kein Mangel an Mücken herrschen. Im Wasser sind die Pfosten eines lang vergangenen Steges zu einer überfluteten Reihe von Weiden ausgetrieben, links steigt eine knorrige Allee hinauf zur Straße. Doch hier unten ist es schöner.

Pfad am Ostufer

Der Wald wird niedriger und wandelt sich zu leicht geheimnisvollem Bruchwald, an dessen Rand schlanke Eichen von armesdicken Efeu-Fesseln umschlungen werden. Nach starken Regentagen sollte man hier nicht mit weißen Stoffschuhen durchspazieren, denn der Weg verliert bald die entscheidenden Höhenzentimeter und geht auf Du und Du mit dem Niveau des Sumpfwaldes, der aktuell noch ohne Froschgequak ist. Der Pfad schlägt seine Haken und erfordert hier und dort etwas Balance.

Ein Drittel-Höhenmeter nach oben sorgt bald für trockenen Boden, und zwölf Schritte später findet man sich übergangslos in einer völlig anderen Landschaft wieder, die schon an werdernahe Obstwiesen denken lässt –scheinbar ferne Zukunftsmusik, doch schon in Kürze Wirklichkeit. Links dichtes Buschwerk, rechts eine zart blühende Reihe von Obstbäumen und davor weit gestreckt eine wonnige, saftig grüne Wiese, die schon bald mit der Farbvielfalt in in die Vollen gehen wird. Immer mehr Obstbäume werden es, darunter sone und solche.

Im Süden des Sees

Ein Tälchen weiter landet man ebenso unerwartet in einer Landschaft, die ein wenig an Vegetation auf Mittelmeerinseln erinnert – niedrig trockenes Knorrgebäum, dessen Arme kreuz und quer und waagerecht stehen, als wären sie beim insektenvertreibenden Fuchteln in ihrer Position fixiert worden. Manche davon sind bleich und nackt, in anderen steckt noch Leben, und auch die Mischform existiert. Weiter hinten wird die Wiese von der Uferlinie begrenzt. Dann und wann, so verrät eine Tafel, halten sich hier Heckrinder auf, die rückgezüchteten Erben des legendären Auerochsen, im Kreuzworträtsel gern als „Ur“ gesucht.

Das Schaf der Schafe

Mindestens genauso spektakulär, vor allem aber anwesend ist das absolute Ur-Schaf, das nach Längerem nun doch neugierig auf uns geworden ist, wohlüberlegt seinen Liegeplatz im Halbschatten verlässt und zielstrebig auf uns zuschlendert. Stark quaderförmig sieht es aus, das Schaf, und muss definitiv die Stammesfürstin einer größeren Sippe sein. Sie schleppt noch die Wolle des ganzen langen Winters herum, ein glücklicher Umstand, wie sich in den nächsten Tagen zeigen wird. Vielleicht ist es auch der Stammesfürst, doch diese Frage bleibt offen, da wir es nur von vorne sehen und die Wolle wirklich sehr üppig steht. Auf jeden Fall gibt es denkwürdige Augenblicke der Tuchfühlung und langen, tiefen Augenkontakt, was den Abschied nicht eben leichter macht.

Blick von der Bundesstraße auf das Mühlenfließ

Seltsam sachlich erscheint jetzt im Kontrast zu eben der unwirsche und lärmige Verkehr auf der Bundesstraße Nr. 1, die sich erst nach längerem Verharren überqueren lässt. Ein Blick zurück zeigt noch einmal den schattigen Schafshang und weitere Mitglieder der wolligen Sippe im Unterholz. Gegenüber stehen zwei quatschende Mädels am Zaun des einzigen Grundstücks hier und sehen aus, als wenn gerade Ferien wären. Vorbeifahrende schauen vielleicht mitleidig auf diesen Garten direkt an der lauten Straße, denn die wenigsten werden wissen, wie schön es hinterm Haus aussieht.

Werksbahnbrücke über dem Froschsumpf, Tasdorf

Die Straße spannt sich hoch über einem Kanal, der hier den schönen Namen Mühlenfließ trägt und so gar nicht danach aussieht. Zugleich nüchtern und romantisch lockt er hinab, und nach einem kurzen Abstieg locken Wegweiser in eine scheinbare Sackgasse, aus der wahrhaftig ein kleiner Pfad entspringt. Leicht bockig stapft er unter der Flanke entlang, gesäumt von großkronigen Obstbäumen, die gerade gestern voll erblüht sind und erfüllt von flächigem Summen. Immer schmaler wird die Spur und immer üppiger alles Grün, was schon gewachsen ist in zweiundsiebzig Stunden. Es ist eine völlig andere Welt hier, nur ein paar Steinwürfe von der lauten B 1. Eine markante Eisenbahnbrücke spannt sich breit über Ufersumpf und Kanal, den man gerade kurz vergessen hatte.

Präsent ist der Sumpf auch durch die Klangkulisse, die mit jedem Schritt lauter wird. Da ist er, der neue Jahrgang von Fröschen, und einer zeigt dem anderen, wo der Dezibel-Hammer hängt. Ein schwer rumpelnder Güterzug auf der Brücke sorgt da für keinerlei Irritation, anders hingegen der leise brummende Diesel einer verschnarchten Motorjacht auf dem Verbindungskanal zwischen Rüdersdorfer Kalksee und Stienitzsee. Ein weiterer Arm nimmt noch den schmalen Kriensee mit ins Boot, und dort vom Hafen kommen vor einer Industriekultur-Kulisse frisch geliehene Kajaks gepaddelt.

Höhenweg über dem Kanal

Nach der Brücke steigt der Pfad höher in die Flanke und bietet vor ein paar versandeten Stufen mit alternativer Mountainbike-Rutsche eine Rastbank, an der man einfach nicht vorbeikommt. Rastbänke übrigens gibt es mehr als reichlich auf dieser Seeumrundung, fast immer schön gelegen. Wer keine von ihnen auslassen wollte, hätte am Abend Kniebeugen im dreistelligen Bereich in den Beinen.

Die Hangflanke profitiert bereits vom ersten jungen Laub und verwöhnt mit dem lichten Halbschatten des Frühlings, der diesen und jenen Blümchen noch die Chance lässt, breite Teppiche zu bilden und sich leuchtend darzubieten. So führt ein schicker Höhenweg durch die grüne Kulisse, die jetzt noch ohne Mücken ist. Ein Blick zum feuchten Land da unten hebt diesen Umstand noch hervor.

Nördlich von Tasdorf

Beim nächsten Rastplatz mit knorrigem Geländer und angeschlossenen Stufen geht es hinab zum Blick auf die Kanalgabelung im Norden und eine weitere Eisenbahnbrücke im Süden, die nebenher auch den 66-Seen-Weg ans andere Ufer lässt. Der Blick fällt zudem auf stille Werksanlagen und einen filigranen Förderturm, der schon zum Rüdersdorfer Museumspark gehören könnte. Hier wendet der südliche Abstecher, bevor der Draht zum Stienitzsee verloren geht. Oben an der Straße, immerhin zwanzig Meter über dem Kanal, kann man sich wochentags am Imbiss stärken, vorn an der Kreuzung beim Bäcker ein Kaffeepäuschen einlegen.

Tasdorf

Nach einer kunstvollen Graffiti-Wand von 120 Metern Länge, die mit Tierschutz und Papageien zu tun hat, geht es nach einer Esel- und einer Pferdeweide hinab in den Wald, durch dessen Stämme schon bald der blinkende Spiegel des Stienitzsees erkennbar wird. Unten im Wald sieht es aus, als ob namhafte Gartenplaner vergangener Zeiten ihre Hände im Spiel hatten. Darüber hinaus verneigen sich viele der alten Bäume hin zum wunderschönen Weg, ganz jenseits aller Planbarkeit. Der Weg wird immer noch gediegener, stets etwas breiter und darin noch unterstützt vom Schattenspiel des sonnigen Tages.

Wiesengrund am Westufer

Vor einem weiten, teils schilfigen Wiesengrund schwenkt er nach links und zeichnet dessen Rand nach, wiederum mit schönen Bänken, einer Rasthütte im Stil eines Schafstalls und Sichtfenstern auf diese offene Insel zwischen Hang- und Uferwald, die Entzücken hervorrufen und zugleich den Puls senken. Beim Wiedereintauchen in den Wald, der jetzt bis Torfhaus geschlossen bleibt, gibt es keine Pause vom Erstaunen. Leicht geschwungen ist der Waldboden, kurvig der Weg, und alles links und rechts davon ist lückenlos bedeckt mit dem leuchtend grünen Laub des Scharbockskrauts, dazwischen dessen goldlackierte Blüten. Alles Laub, das selten Schatten hat, ist überzogen mit einer mattglänzenden Schutzschicht und sorgt für Extra-Reflexionen in diesem grünen Teppich, aus dem nur hier und da archaisch ein vor Jahren gefallener Stamm herausragt. Es ist berauschend, mitten hindurch zu gehen, ein wenig wie das Reiten auf der Welle.

Waldweg durch einen Teppich von Scharbockskraut

Der grüne Hang zur Linken wird nun steiler, der Wegelauf noch verspielter und der Boden rechts des Weges immer feuchter. Das geht soweit, dass es in einem regelrechten Kessel das Wasser aus jeder Pore drückt. Aus Dutzenden Rinnsalen entsteht auf nur dreißig Metern Länge ein Bach, der an seiner Mündung breiter als ein großer Schritt ist und dort der Waldesstille ein achtbares Rauschen entgegensetzt. Neben dem Annafließ und den sonstigen Wassern aus dem gleichnamigen Wiesental ist er eine von vielen Quellen, die dicht am Ufer entspringen und dem See zu der Wasserqualität verhelfen, die wir hier und dort sahen. Wer seinen Kindern oder Eltern immer schon ganz lebensecht und ohne viel Aufwand eine Quelle und gleich noch eine Mündung zeigen wollte, kann das hier sehr eindrücklich tun und dabei auf staunende Augen hoffen. Vorn am Ufer bietet der Blick über den blauen See eine Skyline an, die nicht mit Türmen geizt. Hauptdarsteller ist das Kalkwerk Rüdersdorf, im Vordergrund am Ufer noch das Wasserwerk mit seiner Motorjacht.

Skyline gegenüber

Eine Bank am steilen Hang hat sichtlich Mühe, sich geradezuhalten. Wer es dennoch schafft, Sie zu erklimmen und sich dort festzuklammern, wird mit direkter Sicht auf ein hölzernes Sichtfenster belohnt, das den finalen Bachmäander ansprechend in Szene setzt. Eine Schautafel ist dabei nicht nur informativ, sondern hilft maßgeblich beim Festhalten. Erst beim rückwärtsgewandten Abstieg sehen wir etwas Zauberhaftes. Alle Flanken des Kessels sind lose bedeckt von diesen herrlichen blauen Blümchen, denen Carl von Linné einst den Namen Anemone hepatica verpasste. Ihr landläufiger Name klingt mir irgendwie zu sehr nach Leberwurst, und daher betrachte ich diese kleinen Schönheiten intern als blaue Anemonen.

66-Seen-Weg am Westufer

Es gibt nicht allzu viele Stellen im Land Brandenburg, wo man auf dieses zartblaue Leuchten treffen kann, das nach dem Winter oft die allererste kräftige Farbe im graubraunen Laubteppich am Waldboden durchboxt. Gleich um die Ecke im Annatal stehen die Chancen sehr gut, ebenso bei Trebus oder in den Weiten des buchenreichen Grumsiner Forstes. Hier jedoch stehen fast gar keine Buchen, und doch geht es noch hunderte Meter weiter mit diesem Blütenzauber jenseits von gelb, grün und weiß.

Ein paar Wegekurven später drückt sich schlicht inszeniert die nächste Quelle ans Tageslicht, und nach einer Treppe hinab und einer hinauf kann man bei einigen Gärtchen erneut über den See blicken. Vor dem gegenüberliegenden Sandstrand unterhalb der Kiefer zieht ein Segelboot vorbei und fügt dem Tag etwas hinzu, was irgendwie noch fehlte. Bald lockt nach rechts eine hochgewachsene Fichtenreihe hinab zur Wiesen-Badestelle, wo sich schon erste Badegäste eingefunden haben und die Exklusivität des abgeschiedenen Plätzchens genießen. Da wollen wir gar nicht stören und biegen links ein in den Uferpfad.

Sichtfenster auf den Quellbach, Westufer

Der beginnt hoffnungsvoll, bremst uns jedoch nach zweihundert Metern unverhandelbar aus. Überall am Ufer scheinen unterirdische Quellen auszutreten, und entsprechend nass ist auch der Uferbruchwald. Es gab ihn einmal, diesen Uferpfad, doch dass der 66-Seen-Weg jetzt oben auswiesen ist, hat einen guten Grund. Der zeigt sich bislang relativ harmlos mit nassen Schuhen, und so sind wir einsichtig, passieren die Badestelle erneut und stören ein weiteres Mal gar nicht. Zumindest hatten wir von der Wendestelle einen besonders schönen Blick auf die Höhen und Türme von Hennickendorf in der Ferne.

Der breite Weg zieht jetzt gediegen durch den Wald und spendiert noch ein paar blumige Schönheiten. Als er dann zum Pfad wird, kommen uns zwei Leute entgegen mit einem Hund, der groß ist wie ein Kalb, weich wie ein Alpaka und sanft wie ein Lamm. Obwohl kaum Platz ist, passieren sich alle kontaktlos, ohne das leiseste Streifen, und mit einem angedeuteten Lächeln. So ganz anders als auf den rammligen Gehwegen der Berliner Innenstadt, wo viele der Passanten in die Inszenierung der eigenen Person versunken sind oder in ein auf Achselhöhe gehaltenes Display, das scheinbar noch immer genau so magisch ist wie vor zehn Jahren, als es mal brandneu war.

Weite Wiesen im Annatal

Nach einer weiten Kurve führt ein Brücklein über das lebendige Annafließ, das weiter nördlich bei Strausberg zeitweise komplett trockenfällt. Gleich dahinter beginnt von hohen Bäumen gesäumt ein Dammweg, der nac Süden zum Uferpfad nach Hennickendorf führt. Doch etwas Annatal muss schon noch sein, gerade jetzt zum Abend, wenn die Wiesen kühl und duftend ausatmen. Die umgestürmten Bäume vom Oktober liegen hier noch quer, und es hat sich bereits ein neuer Weg gebildet, der sich an den aufgeworfenen Wurzelballen vorbeidrückt. Von vorn kommt ein Vater mit seinem schulterhohen Sohn, und beide nehmen mit dem fokussierten Blick des Pfadfindenden und ohne ein unnützes Wort oder einen Anflug von Zögern den ursprünglichen Wegverlauf durch die liegenden Stämme und Kronen.

Torfhaus

In Torfhaus ist noch immer die Baustelle, die im Satellitenbild zu sehen war. Die Straßendecke ist komplett abgetragen, doch die Brücke über den Stranggraben ist da, zumindest für Fußgänger und Radfahrer. Nur gut. Schräg gegenüber lockt Empfängliche ein unscheinbarer Wiesenpfad in die Langen Dammwiesen, die ja eigentlich Sache des Stranggrabens sind und mit dem Annafließ gar nichts zu schaffen haben. Doch egal, denn so schön und sehnsuchtsvoll klingt Unteres Annatal.

Spazierweg am Mühlenfließ, Hennickendorf

Eine Frau vom Dorf schwärmt mit ihrem Hund aus in einen Weg, der irgendwo an einem Wasserlauf im hohen Gras versinken muss. Rechts liegt der kleine Sporn, der den Namen Wachtelberg trägt und von dessen Kamm man weit in zwei Richtungen blicken kann. Wir bleiben zunächst unten und biegen an der alten Mühle ein in den Uferpfad. Das kleine Mühlenfließ daneben strömt ausreichend rege, um das Mühlrad anzutreiben. Sein klares Wasser kommt vom Kleinen Stienitzsee, der ohne Zufluss ist und demnach auch durch unterirdische Quellen gespeist wird.

Vor dem See läuft ein Sträßchen unterhalb einer Hangwiese entlang, bevor ein steiler, grasiger Pfad den Kammzugang ermöglicht. Zehn Meter höher fällt der Blick ohne Umschweife auf den Fuß des Wachtelbergturms, doch die knapp 100 Stufen und den Lohn der absoluten Rundumsicht heben wir fürs nächste Mal auf. Die letzte gediegene Stufenfolge des ausgehenden Tages steigen wir mit federnden Knien hinab und nehmen zuletzt noch die Bahnhofsstraße und eine Hinterkirchgasse zum Kreisverkehr mit. Das Treiben an der Eisdiele läuft jetzt endgültig auf Hochtouren und sorgt für kurzfristige analoge Verabredungen und verfärbte Zungen mit Gänsehaut.

Abstieg vom Wachtelturm, Hennickendorf

Der Tag ist noch jung, die Sonne steht noch hoch und alle, die hier ein Eis in der Hand halten, denken noch lange nicht an Details der Abendgestaltung. Langes Licht und kurze Ärmel streifen einem ja stets ein Gefühl gewonnener Freiheit über, wenn sie dann verlässlich verfügbar sind. Auch die kühle Luft der mittleren Frühlingsabende lässt noch auf sich warten. Einzig der See hat sich bereits beruhigt, hält seinen stillen Spiegel dem Blau des Himmels entgegen und räumt dem Ruhepuls des Tages vieles aus dem Weg. Die großen Feste können kommen.

 

 

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): über S-Bhf. Erkner oder S-Bhf. Strausberg, dann jeweils noch mit dem Bus (ca. 1,25 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über die B 1 (ca. 0,75 Std.)

Länge der Tour: 15 km (Problempassage bereinigt)(Abkürzungen im Norden und Süden gut möglich)

 

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

 

Links:

Hennickendorf Ortsseite

Fischerei am Stienitzsee

NSG Lange Dammwiesen und Unteres Annatal

Museumspark Rüdersdorf

66-Seen-Weg

Hofladen Mühle Lemcke Hennickendorf

Wachtelturm Hennickendorf

 

Einkehr: am Weg keine Einkehrmöglichkeit
Verschiedenes in Rüdersdorf, Strausberg und Herzfelde

Wriezen: Der alte Oderdeich, ein krötiger Storch und der badende Apfelbaum

Es ist endlich geschafft – nach fünf Monaten kühler Dunkelheit oder sonniger Eiseskälte oder graugrausem Wetter, auch beliebigen Kombinationen davon und einem zäh hinausgezögerten Ende all dessen. Nachdem der Frühling auf seinen meteorologischen oder kalendarischen Anfang pfiff, nutzte er zuletzt noch die seltene Chance für einen ostersonntäglichen Aprilscherz und schüttete den ganzen kalten Tag über nasse Schneeflöckchen aus, sodass jegliches Eiersuchen unter dem tiefgrauen Himmel eine stramme Herausforderung ans Material und an die gute Laune wurde. Doch danach war es endlich gut, und schon am Ostermontag wurde ein Tag nachgeliefert, der alle Menschen lächeln ließ, alle Schultern sinken und die Eistütendichte auf den Bürgersteigen explodieren.

Auf dem alten Oderdeich

Die Natur ist etwas unter Zugzwang, die verlorenen Wochen wieder aufzuholen. Alles geht noch schneller als sonst in der ersten sonnigen Frühlingswoche, wächst und entblättert und knallt aus den Knospen, und so kann es am Boden und an allen Zweigen auf dem sonnigen Weg nach Feierabend schon ganz anders aussehen, als das am kühlen Morgen noch der Fall war. Etwas irritiert stehen ein paar allerletzte Schneeglöckchen dazwischen und werden regelrecht überrannt von all dem Gelb und Blau sowie den Tönen dazwischen. Auch bei Sträuchern und Bäumen tut sich einiges, um die Schattenspenden zu sichern, die schon bald gebraucht werden. Damit einhergehend strömen würzige Düfte durcheinander, verstärkt von all den Wiesenflächen, die besonders abends grün und erdig auszuatmen scheinen.

Die langwährende Kälte und die jüngsten Regentage haben den Boden auf dem Lande gesättigt hinterlassen, und so liegen überall auf den unbestellten Äckern beständige Pfützen, teils so groß wie Dorfweiher. Besser also kommt man nicht in die Verlegenheit, so eine Scholle queren zu müssen, denn damit wäre jedes Sohlenprofil überfordert. Ein paar Enten hingegen haben ihren Spaß und beleben die Dorfteichoptik.

Blick zum Wriezener Bahnhof

Um also keine Sonne zu verschenken, viel Platz samt freiem Blick zu haben und den frischen Südost möglichst nicht frontal, empfiehlt sich zum Beispiel eine Fahrt zum Rand des Oderbruches, nach Seelow oder Lebus, Bad Freienwalde oder nach Wriezen. An jedem dieser Orte gibt es jeweils noch sagenhafte Aussichten über die flache Weite dieses ganz besonderen Landstrichs zwischen Alter und Neuer Oder.

Wriezen

Wriezen ist ein Städtchen, das einen beim Verlassen des Bahnhofes mit schlichter Noblesse willkommen heißt. Vom Bahnhof wird der Blick, begleitet von einer schönen Alleepromenade, hinaufgelenkt zur Kirche und einer alten Eiche. Deren Hauptäste formen pantomimisch irgendeine Botschaft. Wer dem auf die Schliche kommen möchte, sollte dafür die laublose Zeit nutzen. In der Zeit der Blätter kann man stattdessen in der hübsch gemachten Bummelmeile der Wilhelmstraße ein Eis essen gehen, was wochentags gut möglich ist, am Wochenende aber gar nicht so einfach. Notfalls hilft die Kaufhalle an der Kirche oder die unweit des Kreisverkehrs, was natürlich keine Eisdielen-Schlange ersetzt, mitsamt ihren vorfreudigen Blicken auf Zehenspitzen. Für herzhafte Stärkungen stehen als verlässliche Ansprechpartner an der Kirche der Hanay Grill und unweit des Kreisverkehrs die asiatische Küche beim Asia Snack bereit.

Brunnen vor der Kirchenruine, Wriezen

Altkietz

Hier und da lugt zwischen der heutigen Bebauung noch das alte Wriezen hindurch, so zum Beispiel in der Magazinstraße kurz vor dem erwähnten Kreisverkehr oder ganz wortwörtlich in der Straße Altkietz, deren Bogen für vier Minuten in eine andere Welt entführt. Zu der gehören auch ein umranktes Storchenpodest sowie ganz tagesaktuell ein erwachtes Volk von Erdbienen. Die haben wohl unter dem Mittelgraben überwintert und jetzt unter den ersten verlässlichen Sonnenstrahlen eilige Absprachen zu treffen.

Wriezener Altkietz

Am Nordrand der Stadt finden drei Gewässer zueinander, neben der Alten Oder sind das der Neue Kanal und die Volzine. Die letzten beiden füllen auch das Becken des Alten Hafens mit seinen markanten Kalköfen. Der Kalk kam einst von Westen übers Wasser aus Rüdersdorf, die Kohle per Bahn aus dem Süden Polens. In den 1920er Jahren war Schluss mit der Brennerei, schon siebzig Jahre nach dem Bau der Öfen. Auch der kurz nach 1900 gebaute Hafen bestand nur etwa siebzig Jahre. Lastkähne, die hier festmachten, transportierten Steinkohle, Petroleum oder Getreide und entsprachen gängigen Maßen ihrer Zeit. Ihr Anlegen lässt sich nur noch erahnen, denn die Natur hat sich die Ufer weitgehend zurückgeholt, und das einstige Hafenbecken sieht eher nach einer breiten Kanalstelle aus.

Der ungemein gerade Verlauf eines anderen Transportweges hingegen ist seit einigen Jahren wieder deutlich sichtbar. Die Oderbruch-Bahn verband unter anderem die Spreestadt Fürstenwalde mit der Oderstadt Wriezen, eine Nebenstrecke führte auch nach Müncheberg. Eine Verlängerung der Oderbruch-Bahn strebt von Wriezen ungemein direkt zur Oder und war vorrangig Teil der Wriezener Bahn. Vor hundert Jahren hatte die in Berlin sogar ihren eigenen Kopfbahnhof – den Wriezener Bahnhof unweit des heutigen Ostbahnhofs. Der Name eines Sträßleins dort erinnert noch daran.

Wo die Bahn die Oder querte, stehen unzugänglich und gleichermaßen verlockend die eindrucksvollen Reste einer alten Stahlfachwerkbrücke, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus mehr als einen Dutzend verschiedener Segmente zusammengeschustert wurde. Folgt man auf der Karte den Spuren der alten Bahntrasse jenseits des Flusses, führen diese bis zur großen Hauptstrecke, welche die Oderstädte Szczecin und Kostrzyn verbindet.

Oderbruchbahn-Radweg Richtung Oder

Heute ist der schnurgerade Trassenverlauf als edler Radweg ausgebaut, mit Buschwerk und jungen Alleen zu beiden Seiten. Bei Gegenwind kann es im Fahrradsattel durchaus einschüchternd sein, da man scheinbar nicht vom Fleck kommt. Bei Rückenwind hingegen wird es ein rauschhaftes Vergnügen. Hinter einem Sieltor quert das Asphaltband einen Alten Oderdeich und trifft damit auf ein ungeheuer sympathisches Gegenstück. Nichts ist hier gerade, direkt oder modern, der erdige Weg ist leicht erhöht und spendiert nach beiden Seiten herrlich weite Aussicht zu entfernten Höhenzügen in zwei Ländern. Regelrecht archaisch erscheint dieser sanfte Ritt auf dem alten Deich, der noch greifbar vergangene Zeiten atmet. Wie ein verschmitzter Opa ist er, der Geschichten aus einem dicken, staubigen Wälzer zum Besten gibt und beim wohlmodulierten Erzählen doch niemals auf die Seiten schaut.

Alter Oderdeich bei Mädewitz

Die Spuren der letzten Jahrhundertstürme sind noch klar zu erkennen, doch viele der gut verwurzelten Baumriesen stehen über Windereignissen jeglicher Stärke. Ein Grünspecht wechselt aufwändig zwischen den gewaltigen Stämmen hin und her, damit er ja nicht übersehen wird. Schlägt dann noch Lärm, zur Sicherheit. Etwas links vom Deich steht verloren, doch irgendwie auch versonnen ein lichtes Kiefernwäldchen mitten im Acker. Ein paar Minuten weiter frischen zwischen Büschungen ein paar Jägersleute mit ihren Hunden verbindende Sozialtechniken auf.

Rechts des Deiches gehen in greifbarer Entfernung die Dörfer ineinander über, von Neukietz über Altmädewitz bis Alt- und Neureetz und aufgefädelt an ein und derselben kleinen Landstraße. Die einzigen Häuser direkt am Deich gehören zur Altmädewitzer Loose. Neben schönen Gärten und exklusiver Lage haben Sie üppige Fensterflächen mit Blick in die Weite. Ein paar Meter später springt ein Rehbock aus dem hohen Gras der Flanke, türmt im aufwändigen Bogen zum Acker gegenüber und bleibt dann stehen mit kessem Schulterblick, scheinbar kichernd über die Jäger und ihre Hunde, die in Sichtweite tüchtig üben.

Kurz darauf nähert sich der Deich der Alten Oder an und bietet die erste Querungsmöglichkeit seit Wriezen. Unten auf den eben trocken gewordenen Uferwiesen stehen die Jungs am Rastplatz, in Tuchfühlung zu ihren polierten Simsons, die sie wahrscheinlich direkt von ihren Erzeugern geerbt haben. Die kurvige Oder fließt rege, tut kokett und lässt immer mal wieder etwas Payettenglitzern über ihre Wasser schauern. Eben noch hier, das nächste Mal ein paar Meter weiter rechts. Die wuchtigen Eisspalter an den Brückenpfeilern lassen erahnen, wie es manchmal im Winter zugehen kann.

Die alte Oder bei Neugaul

Neugaul

Gleich voraus liegt hinter einem weiteren Deich der Weiler mit dem widersprüchlichen Namen Neugaul. Jemand im Innersten des Dorfes sorgt sich mit einem späten Osterfeuer um die anhaltende Vertreibung der Winterlichkeit, die noch im klammen Brennholz steckt. Wir stehen kurz im Nebel. Glasklar ist dann der Wasserlauf, der das ruhige Sträßchen nach Rathsdorf begleitet. An seinem Grund werden sicherlich schon erste Krötenbeine zucken, die lange Winterstarre stufenweise beendend. Interessant ist das nicht nur aus dem Blickwinkel der paarungswilligen Froschlurche, sondern auch ein Glied höher in der Nahrungskette, und zwar ganz unmittelbar. Denn die ersten Störche sind innerhalb der letzte Tage eingetroffen. Doch zu hören ist noch nichts, was quakt oder schnarrt, zu sehen auch nicht, weder einzeln noch in anbandelnder Rucksackformation.

Rathsdorf

Nach Rathsdorf geht es nun ein paar Meter hinauf, nachdem der letzte Anstieg der auf den Oderdeich war. Damit wird schon angekündigt, was den zweiten Teil der Runde vom ersten unterscheidet. Die paar Minuten entlang der Straße gewähren noch einen kleinen Aufschub, bevor es hinaufgeht zu den Höhen von Altgaul. An der Kreuzung am Ortsrand steht ein besonders historischer Ziegelofen, der nicht nur dank des traditionsreichen Storchennestes pittoresk wirkt und in sich ein kleines Museum trägt, dessen Schlüsselherr uns über die neuesten Entwicklungen informiert.

Antikes Storchennest auf dem Kalkofen, Storchenmuseum Altgaul

Demnach ist der in jeder Hinsicht treue Stammstorch da oben nicht nur wegen bislang fehlender Leckerbissen krötig, sondern auch, weil seine langjährige Partnerin noch nicht eingetroffen ist. Stattdessen musste er einem lästigen Konkurrenten Beine machen, der ihm den langjährigen Stammplatz streitig machen wollte. Das Weisen in die Schranken fiel dann etwas ruppiger aus als nötig.

Sanfter Aufstieg von Altgaul

Altgaul

Am Bahnübergang beginnt dann der sanfte Aufstieg der nächsten halben Stunde. Führt vorbei an einem stattlichen Hang mit lockenden Pfaden, dann quer durch das kleine Dorf mit dem schönen und sich selbst bestätigenden Namen Altgaul. Auf einem alten, windschiefen und verwitterten Schild unweit von Sonnenburg lasen wir diesen herrlichen Namen zum ersten Mal. Er beflügelte romantisierende Vorstellungen an diesen Ort, zu denen nicht unwesentlich das warme Herbstlicht dieses Tages und ein paar im Widerschein glänzende Spinnennetze in den ausladenden Ästen einer alten Eiche beitrugen. Auch diese Vorstellungen grundsolide und herzwärmend, althergebracht und zutiefst vertrauenswürdig.

Nun sind wir also erstmals hier und keineswegs enttäuscht, auch wenn es meist schade ist, wenn eine solche Phantasie an Wirklichkeit gewinnt. Ein hübsches Dörfchen, eingeschmiegt in die sanften Wiesenhügel seiner Landschaft, mit viel Platz, einer Serie von riesigen Scheunentoren am alten Gutshof und hundert Schafen ganz am Rand. Darunter sind so einige osterfrische Lämmer, sodass das Stimmgewirr entsprechend farbenfroh ausfällt.

Weites Panorama oberhalb von Altgaul

Altgaul und die angrenzenden Hügeleien liegen zwischen zwei der zauberhaftesten Talgründe, die wohlwollende Filmfreunde sicherlich an eine herzige Miniatur des tolkienschen  Auenlandes erinnern können. Die Hutelandschaft Altranft-Sonnenburg beherrscht das ganz besonders gut, den südlicher gelegenen Biesdorfer Kehlen gelingt ein schönes kleines Echo, und die Landschaft dazwischen, also diese hier, hat von beiden etwas abbekommen. Jeder der mit Stoppelwiese überspannten Buckel macht Lust, den Rucksack nach hinten abzuwerfen, dort hinaufzurennen und gleich wieder hinabzukugeln. Dann von vorn. Da die Wiese keine Wege braucht, spricht nichts dagegen. Wie zur Bestätigung sieht man hier und auch dort Leute umherstreifen, kreuz und quer im Auf und Ab.

Abstieg in den Wriezener Stadtwald

Der Weg hinauf nutzt eine sanfte Furche, die ihn fast zum Hohlweg macht. Ein wenig Schatten gibt es hier, in ihm ein paar frühe Blüten und immer wieder alte Obstbäume am Grund der Furche. Oben ist er fast erreicht, der höchste Punkt, und ein paar Meter nach links fordern eine Pause hier und jetzt. Die Wiese ist schon warm, das Kissen kann im Rucksack bleiben. Von hier oben, nur siebzig Meter über Null, spannt sich nach Osten und Nordosten ein weites Panorama auf, von einer Qualität, die schon besonders ist. Mitten in der Aussicht steht mit sattem Grün eine Gruppe von Kiefern, wohlig breit gewachsen. Ein paar Kilometer voraus ragt ein markantes, langes Gebäude mit Türmchen aus dem Wald. Die Lerchen hier oben trällern so selbstbewusst und laut, als wäre schon seit Wochen Frühling. Und sind wie immer nicht zu finden am Himmel.

Teichland am Stadtwald, Wriezen

Zum Ausgleich gibt es jetzt einen ebenso sanften Abstieg hin zum Wald. Auch hier hat sich entlang des Weges eine Furche ausgeprägt, auch hier mit alten Obstbäumen. So tief ist diese Furche, dass die Stämme der Bäume in ihr versunken sind, die Äste nahezu aufliegen an den Rändern. Als säßen die Bäume in der Wanne und wollten gerade aufstehen. In vier Wochen muss hier ein Blütenzauber über die Bühne gehen.

Der Wechsel in den Wald verläuft direkt und wohltuend, der Schatten bringt Entspannung für die sonnenverwöhnten Augen. Eine gekrümmte Hohlgasse führt umgehend tiefer, hin zu einer Stelle, wo sich zich Pfade kreuzen. Hier kommen uns nun Vater und Sohn auf der Simson entgegen, etwas verschämt mit dem Zweitaktgeknatter im trockenen Wriezener Stadtwald. Die schnelle Flucht in die aufsteigende Kurve überfordert das Aggregat oder der falsche Gang ist drin, jedenfalls wird umdisponiert und sich über den nächstmöglichen ebenen Weg getrollt.

Wiesen am Stadtwald, Wriezen

An der nächsten Kreuzung führt eine knorrige Stiege hinauf zu einem Aussichtsplateau, und kurz darauf wechselt die Landschaft erneut zu einem feuchten Tal mit Flüsschen und etwas Bruchwald. Überall sind Menschen unterwegs, mal allein, mal zu zweit. Schnelle Wechsel führen nun vorbei an anglerfreundlichem Schilfland zu einem dammgeteilten Bergsee, dann unterhalb von Wiesenhängen zu einem wildromantischen Bachtälchen und schließlich über eine weitere Wiese zur alten Pflasterstraße, die von Biesdorf kommt. Nach ein paar Metern auf Asphalt erscheint voraus eine friesische Vision – rupfende, noch wollige Schafe auf einem riesigen Deich. In der Tat ist das die begrünte Müllhade, auf der jetzt mittels großer grauer Zellen Sonne geerntet wird. Die Schafe sorgen für Ordnung zwischen den Modulen und auch drumherum.

Friesische Erscheinung kurz vor Wriezen

Nach der Brücke über die komplett leere Bundesstraße – ist heute ein wichtiges Fußballspiel? – strecken sich links und rechts des Weges weite Trockenwiesen, die auf der Terrassen-Höhe überm weiten Oderbruch liegen und als Wriezener Trockenrasensaum eine hiesige Besonderheit darstellen. Scheinbar auch gern genutzt werden, hier von einer sackhüpfenden Geburtstagsgesellschaft, dort zum Drachensteigen und weiter hinten einfach, um eine Decke auszubreiten, die Augen zu schließen und dann Nase und Ohren aufzuspannen, einfach zu genießen.

Die letzte große Wiese grenzt direkt ans Krankenhaus, das vorhin gesehene mit dem Türmchen – das jetzt viel kleiner aussieht. Allein der Anblick dieser Wiese sollte bei vielen Problemen schon zur Heilung beitragen. Ganz weit vorn steht das Ortseingangsschild und lässt ahnen, dass es direkt dahinter hangabwärts geht, hinunter in die Stadt. Und so ist es dann auch. Vorbei an gediegenen Bungalows führt ein holpriger Plattenweg zum Rand der Innenstadt, wo eine kleine Freilichtbühne der kommenden Monate harrt. Im letzten Sommer sorgten hier beim Village-Festival neben regionalen und Nachwuchs-Bands auch City und die Killerpilze für reichlich Schalldruck in Richtung stilles Oderbruch.

Friedrichstraße in Wriezen

In der Friedrichstraße mit ihren schönen Laternen linst ein weiteres Mal das alte Wriezen durch, und schon ein paar Schlenker darauf fällt der Blick vom kessen Brunnen vor der Kirchenruine hinab zum Bahnhof. Ein schöner Ort, um hier den abendlichen Schatten beim Wachsen zuzusehen, wahlweise bei Pizza – Döner – Hähnchen – Burger – Currywurst. Bestimmt haben sie bei Hanay auch ein Eis. Doch Obacht: der letzte Zug nach Eberswalde fährt kurz nach zehn, mit Anschluss nach Bernau und auch Berlin.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Regionalbahn von Berlin-Ostkreuz über Frankfurt/Oder oder von Berlin-Lichtenberg über Eberswalde; auch von Bhf. Strausberg mit dem Bus (ca. 2 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): Landstraße über Werneuchen oder Strausberg (ca. 1,25 Std.)

Länge der Tour: ca. 17 km, Abkürzungen möglich

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Stadt Wriezen

Kalkofen-Brauerei Wriezen

Informationen zum Oderbruchbahn-Radweg

Storchenmuseum Rathsdorf/Altgaul

Village-Festival Wriezen 2018

Einkehr: Hanay Grill, an der Kirche
Asia-Snack, bei Rewe/Freienwalder Str.

nördlich des Zentrums: Feldklause, Feldstr. 1

Grobskizziert – Eichenbrandt: Drei gute Gründe und die körperlose Axt im Walde

So wie in diesem Jahr der September nach der letzten August-Stunde umgehend den großen Schalter von sommerlich mild auf herbstlich kühl umlegte, macht nun auch der Oktober Ernst, punktgenau und ab dem ersten Tag. Verwöhnte der letzte Septembertag noch wohlig-versöhnlich mit sanfter Wärme und Potential für freie Schultern, riss ihm der Oktober den bunten Altweibersommerfummel vom Leibe und ließ ihn direkt im nächsten tiefen Brunnen verschwinden, mit grauem und direktem Blick.

Wald im mittleren Gamengrund

Als wenn das noch nicht reichen würde, baute sich zwei Tage später ein Sturmtief auf, das von Tag zu Tag mehr mit seinen Bizepsen rollte und sich weitere zwei Tage später mit aggressiver Wucht entlud, bevorzugt über Norddeutschland. In nur zwei Stunden wurde in Brandenburg und Berlin so viel Lebend-Holz zerlegt, wie es nur ein Sturm bewirken kann, der viel zu zeitig kommt und alle Kronen noch belaubt erwischt, mit voller Angriffsfläche. Mehrere Menschen überlebten dieses schwere Sturmereignis nicht, zumeist aufgrund stürzender Bäume.

Der Name des Vandalen musste mit dem Buchstaben X beginnen, gemäß der alphabetisch durchlaufenden Namensvergabe. Da beim X nur eine bestimmte Auswahl an halbwegs glaubhaften Namen verfügbar ist, wurde es wieder eine Variante von Xaver, diesmal Xavier. Nicht der erste Xavier in diesem Jahr, doch leider folgenreich und unvergesslich wie einst Kyrill.

Freigeräumter Weg nach den Sturmtagen, bei Eichenbrandt

Tage später ist es beim Bewegen in der Stadt und auf dem Land gleichermaßen kaum zu fassen, was die Naturgewalt alles verursachte und was die Feuerwehren und sonstigen Helfer in dieser kurzen Zeit geleistet haben. Eine Zeit, in der die Zahl der Einsätze in den vierstelligen Bereich ging und es fast unmöglich gewesen sein muss, Prioritäten zu vergeben, weil ja irgendwie alles ineinander verzahnt ist.

Im Umland gibt es nach fast einer Woche noch immer Probleme auf den Straßen, und an fast allen Fahrbahnrändern zeugen liegende Laubbäume mit aufgeworfenen Wurzelballen von der Wucht des Sturmes.

Einstieg in den Gamengrund bei Leuenberg

Tiefer Wald

Abgesehen von solchen Großereignissen äußeren Aufruhrs oder auch damit verflochten gibt es Zeiten innerer Unrast auch in jedem kleinen Menschenleben. Zeiten, die in vielen Hinsichten so vollgestopft sind, dass man in der nächstgelegenen Freizeit einfach nur stundenlang durch die Botanik streifen möchte, ohne einen einzigen Menschen zu treffen, wortwörtlich. Ohne jegliches Gerangel, Gedrängel oder Ausweichen, ohne Notwendigkeit zur räumlichen Rücksichtnahme oder wortlosen Argumentation. Einfach den Wind ins eine Ohr rein und aus dem anderen wieder rauslassen und dazwischen gerade so viel Synapsentätigkeit, um nicht über die eigenen Beine zu stolpern. Widerstandslos und willig Regentropfen erdulden, die genau in die kleine Kragenlücke am Nacken tropfen oder gekrümmte Stöcker, die durchs eigene Darauftreten zeckend an den Unterschenkel knallen. Das Ganze bevorzugt tief in schönem, besonderem Wald.

Langer See oder Mittlerer See im mittleren Gamengrund

Wenn selbst der Weg dorthin sich noch zum gelinden Hindernisparcours gestaltet, ist es umso wohltuender, vor Ort den ersten Schritt zu tun, tief einzuatmen und diese hochqualitative und von Stille getragene Luft durch den ganzen Körper strömen zu lassen. Wenn irgendwann der märkische Ruhepuls erreicht ist, schalten sich nach und nach die Sinne zu. Mit jedem bunt belaubten Baum, jedem Duft von Harz und Kiefernnadeln, dem pulsierenden Rauschen der restlichen Winde in den Wipfeln und der punktuellen Kälte der allerletzten Böen kehrt mehr Ruhe ein im eigenen Gebälk. Bis man schließlich nur der Linie auf der Karte folgt, wenn das denn geht vor lauter umgelegten Bäumen, und ruhig wird und friedlich. Schließlich.

Abendliche Eichenallee bei Heidekrug

Die Möglichkeit auf solche Entlegenheit findet sich zuhauf in den einsamen Nordregionen von Prignitz und Uckermark, sicherlich auch in den eindrucksvollen Weiten rund um die einstigen Lausitzer Tagebaue. Doch es geht auch weniger entlegen. Schon kurz hinterm Berliner S-Bahn-Bereich gibt es eine Möglichkeit, zwei bezaubernde und zudem ausgeprägte Eiszeitrinnen zu einer entlegenen Tour zu verbandeln, auf der man scheinbar ununterbrochen durch tiefe Wälder zieht. Selbst die Querverbindung zwischen beiden haut in diese Kerbe und gibt sich trotz flacher Ausprägung wie ein versunkenes Waldtal.

Gamengrund

Der Gamengrund ist ein wahrer Zauberkünstler, was vielfältige Naturschönheit und Waldromantik betrifft. Zwischen den westlichen Strausberger Seen und dem Oderbruch bei Falkenberg liegen nur reichlich zwanzig Kilometer, doch auf dieser Strecke wird in der meistenteils bachlosen Landschaftsfurche eine Vielfalt entfesselt, die wohl fast jeden wiederkehren lässt, der einmal hier war.

Nördlicher Gamengrund bei Krummenpfahl

Mehr als ein Dutzend schlanke Seen und verträumte Weiher ruhen in der Tiefe dieses Grundes, der manchmal siebzig Meter ins umliegende Land eingegraben ist, manchmal nur etwas über zehn. Die Vielfalt des Waldes reicht von hochgewachsenem Erlenbruchwald bis hin zu Fichtenwäldern, die an Gebirge denken lassen, besonders in verschneiten Wintern. Sie sind so dicht und dunkel, dass hier einfach Wesen leben müssen, die sonst am ehesten im Märchenbuch zu finden sind. Dann wieder gibt es lichte Hänge mit flächigen Teppichen aus Buchenlaub. Dazwischen, meist ganz unten, stehen jahrhundertalte Baumriesen mit glatter Buchenhaut oder zerfurchter Eichenborke, riesige Douglasien und auch mal eine Tanne.

Nadelränder am oberen Grenzgrund

Ein Haus gibt es im Gamengrund nur ganz am Rand von Tiefensee oder bei Leuenberg, dann kurz vorm letzten See im Norden die in Terrassen angelegte Laubensiedlung für das Wochenende. Die liegt unterhalb des Dorfes Krummenpfahl, scheinbar in einem Talkessel.

Wenn man, egal an welcher Stelle, diesen entrückten Grund wieder verlässt und sich zuvor so ganz woanders wähnte, wird man zum einen seine Tiefe in den Beinen merken, zum anderen oben im Lichte staunen, dass man wirklich hier in Märkisch Oderland über die Felder schaut. Kurz hinter Strausberg, oder kurz vor Bad Freienwalde.

Grund ohne Namen

Etwas weiter östlich gibt es ein Pendant, das in vielen Belangen weniger eindeutig ist als der Gamengrund und ebenfalls für Schönheit steht und Einsamkeit. Fährt man mit dem Finger über ein Geländemodell, gibt es eine größere Lücke, wo die Fingerkuppe ohne Führung ist und nach dem Anschluss suchen muss. Was am kurmondänen Rand von Bad Freienwalde als Brunnental beginnt, setzt sich leicht nach Westen versetzt als Geländerinne fort, vorbei an Steinbeck, Biesow und Blumenthal, bis es schließlich so nobel im Straussee sein Finale findet, wie das der Gamengrund im Fänger- und im Bötzsee tut. Auf knapp ein Dutzend langgezogene Seen und Pfühle kommt auch dieser namenlose Grund, und auch hier gibt es so manche steile Flanke sowie ein paar versumpfte Ecken, in denen Mysthik wohnt zu jeder Tageszeit.

Rastmöglichkeit nördlich von Gielsdorf

Heidekrug

Die Wälder dazwischen vollbringen an einer Stelle das kleine Kunststück, selbst über die Höhe ein schönes Waldtal anzubieten, wenn auch ein flaches. Nach einem spürbaren Aufstieg aus dem Gamengrund kommt man vorbei an Heidekrug, einem Platz im Wald, der nichts von dem erfüllt, was sein Name an Erwartung weckt. Keine Waldeinkehr ist hier, auch keinerlei Romantik oder Landlust-Szenen, dafür ein gepflegter Wetter-Radar-Turm sowie verfallende Kasernen, zwischen denen man sich gegenseitig mit kleinen Portionen Farbe beschießen kann.

Grenzgrund

Kurz hinter einer urigen Rasthütte, in der dank eines soliden Abzuges manchmal ein schönes Feuer lodern darf, beginnt kaum spürbar und mit weitem Blick durch lichten Wald der Grenzgrund. Seine Waldvielfalt spielt fast in einer Liga mit dem Gamengrund. Ganz langsam bilden sich die Flanken aus und gewinnen nach und nach an Steilheit, und zum Ende gipfelt das Ganze schließlich weglos und fast etwas dramatisch in einem ausgeprägten Seitental des namenlosen Grundes.

Herbstlicher Gamengrund bei Wesendahl

Unten liegt langgezogen und tief eingesenkt der Große Lattsee. Wie bei fast allen Seen dieses Talgrundes besteht freie Wahl der Uferseite. Westlich läuft ein schmaler Pfad, durch dichten Wald, wild und romantisch, unter dem laubbedeckten Hang am Ostufer ein gediegener Weg, der ein paar schöne Badestellen bietet – falls das gerade von Belang ist.

Eichenbrandt

Dort, wo beide Wege enden, quert eine breite Forststraße, die im Anstieg hier und dort noch altes Pflaster sehen lässt. Nach so viel Wald und Stamm und Wipfeldichte sind jetzt Licht und freier Blick willkommen, und davon gibt es reichlich auf dem letzten Stück der Runde. Immer der Linie des Waldrandes folgend gelangt man vorbei an einem verlassenen Gehöft und einer herrlichen Eichenallee ins gemütliche Dörfchen Eichenbrandt, das sich als Startort anbietet. Nicht zuletzt deswegen, weil dann die erwähnten ersten Schritte durch eine zutiefst beruhigende Reihe von Kastanien führen, bevor der Weg sich absenkt in die Wälder. Eine gute, eine wunderbare Starthilfe im Streben nach dem märkischen Ruhepuls.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): keine direkte Verbindung; wahlweise Regionalbahn über Lichtenberg und Werneuchen nach Werftpfuhl, von dort Wander-Zuweg in den Gamengrund (ca. 3 km)

Anfahrt Pkw (von Berlin) über Landstraße, wahlweise über Werneuchen oder Strausberg (ca. 1 Std.)

Länge der Tour: ca. 17 km (Abkürzungen gut möglich)(dargestellte Tour/Download-Wegpunkte sind problembereinigt)

 

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

 

 

Links:

Seite der Naturwacht Gamengrund (mit Tourenvorschlägen)

Informationen zum Gamengrund

Flyer zum Wandern im Gamengrund (PDF)

Flyer zum Wandern im Gamengrund (PDF)

 

Einkehr:

Gasthaus am Berg, Werftpfuhl

(in Leuenberg, Werneuchen und Tiefensee div. Gastronomie)

 

 

Lebus: Höhenpfade, Odervielfalt und die verlassenen Schneckenhäuser

Selten war der Wechsel zwischen August und September so klar auch ein Wechsel vom Sommer zum Herbst. Wie das Umklappen eines Kalenderblattes, wie ein pragmatischer Vollzug von Fakten. Wer die warme Jahreszeit besonders liebt mit ihrem vielen Licht, den lauen Abenden und ärmellosem Draußensein, hat sicherlich geschluckt. Wer hingegen gern den Herbst zelebriert, mit seinen Düften und Farben, dem warmen Licht der abendlichen Sonne und den zahlreichen Optionen der Gemütlichkeit zwischen vier Wänden, wird jetzt aufatmen und feiern angesichts der Monate voraus.

Blick von den Lebuser Adonishöhen auf Frankfurt

Ob man es nun als Spätsommer betrachten will oder als Frühherbst, die Lichtstimmungen des tieferen Sonnenstandes stehen beiden Lagern zur Verfügung. Eine schöne Bühne für diese Spiele ist die wechselvolle Landschaft an der Oder bei Lebus.

Das odernahe Land zwischen Frankfurt und Schwedt steckt voller Widersprüche, und der Blick über diesen Fluss vermittelt fast an jeder Stelle etwas Fernes und Wildes. Dass die Oder keinesfalls aus dem nahen Polen kommt und zudem beim Erstkontakt mit der deutsch-polnischen Grenze schon 550 Fließkilometer hinter sich hat – fast so weit wie von Aachen nach Zittau – verleiht diesem Eindruck noch mehr Gewicht. In der Tat gibt es in Tschechien ein Mährisches Odergebirge, wo sich die Oder zunächst als feuchter Waldboden, dann als kleines Rinnsal auf den langen Weg zum Stettiner Haff macht.

Abstieg ins Tal des Mühlengrabens

Der augenfälligste Widerspruch erwacht aus der Erwartung an die topfebenen Weiten des Oderbruchs, das in Brandenburg einen großen Teil des Flusslaufs begleitet. Dabei bindet es fast liebevoll die ziellosen Schlingen der Alten Oder ein, deren Regelmäßigkeit dem Spiel eines sechswöchigen Kätzchens ähnelt. Diese alleenreiche Ebene mit ihrer sagenhaft schwarzen Ackerkrume gibt es, ausführlich sogar, doch dem gegenüber stehen spontan erwachsende und schroffe Höhenzüge, die mit ihren Tälern, Steilhängen und ihren blumenreichen Wiesen immer wieder und völlig zu Recht ans Mittelgebirge erinnern. Dabei sind es nur vereinzelte Stellen, die die Hundert-Meter-Marke knacken.

Obsthang am Bruch, bei Wüste Kunersdorf

Im Süden des Oderbruchs liegt Lebus. Ein faszinierender Ort, der bei jedem Besuch aufs Neue überrascht, wenn man sich ein wenig treiben lässt. Bis im 13. Jahrhundert als gezielte Konkurrenz die Stadt Frankfurt gegründet wurde, gab es keine wichtigere Stadt im großen Umkreis, der noch heute „Land Lebus“ genannt wird.

Neben gemütlichen Straßen und Gassen existiert zwischen Kirche und Burghöhe ein unvergleichliches Geflecht von Wegen, auf die sich in Flutzeiten ausweichen lässt. Mittlerweile können sie als touristisches Alleinstellungsmerkmal betrachtet werden – das Ergründen dieser schmalen Wiesenpfade ist von speziellem Zauber, nicht zuletzt der Aussichten wegen. Auf Augenhöhe mit dem Kirchturm reicht der Blick über die Oder mit ihrer hakeligen Uferlinie weit hinein ins Nachbarland.

Vorgefundene Accessoires bei den Obstwiesen

Nördlich von Lebus beginnt es dann, das platte Oderbruch. Doch die flussüberragende Höhe, auf der die Stadt einst gegründet wurde, setzt sich als Reitweiner Sporn bis nach Reitwein fort und tut das sehr markant. Vor dem Dorf legt sie eine Art Vollbremsung hin, fällt spontan ab und erreicht bei einer silhouettendienlichen Schinkel-Kirchruine den Reitweiner Ortsrand. Ab dort geht das Oderbruch auf volle Breite und wird im Westen erst von der Moränenkante begrenzt, zu der die Seelower Höhen zählen. Weiter nördlich übernehmen das die kleinen Schweizen rund um Bad Freienwalde sowie die große Oderinsel, die seinerzeit zwischen altem und neuem Oderlauf entstand. Südlich von Lebus reicht dieselbe hohe Kante fast hinein bis Frankfurt und sorgt dort für ein kurioses Stadtbild, wo sich Plattenbauten wie agile Wellenreiter geben.

Mühlteich, bei Bruckmühle

Lebus

Beim Meisterbäcker Falk in Lebus ist noch ziemlich reges Treiben, obwohl sich die Öffnungszeiten anderer Läden schon ins Wochenende zurücklehnen. Jeder, der reinkommt und was kauft, nimmt auch mindestens eine Tüte Kekse mit. Das können wir nicht auf uns sitzen lassen, tun es auch so und probieren. Und kaufen gleich noch eine nach.

Vom zentralen Kreisverkehr am gut erhaltenen Kulturhaus ist es knapp ein Kilometer bis zur alten Bahntrasse, die kaum noch zu erkennen ist. Noch vor zwanzig Jahren fuhren hier Züge, die von Küstrin kamen oder von Frankfurt. Stille Straßen führen zum Ortsrand, und dreht man sich zwei Minuten später nochmal um, wirkt es unwahrscheinlich, dass dort ein größerer Ort liegen soll.

Ausgelatschte Stiege auf die Aussichtsplattform, Oberkante Adonishänge

Voraus erstreckt sich breit und unter dunklen Wolkenbändern die wellige Landschaft, entfernte Türme zeugen von der großen Nachbarstadt. Überall ist Platz und Weite. Ein kleiner Abstieg führt hinab ins Tal der Mühlengrabens, das fast platzt vor üppigem Grün. Das ist ein Charakterzug dieses rekordnassen Sommers, der alles Wachstum ins Uferlose trieb. Die Holunderbüsche hängen so voll mit extradicken Früchten, dass man an einem einzigen die Tüten vollbekommen würde, die man gerade selbst noch transportieren kann.

Blick von den Aussichtsbänken auf Frankfurt

Am Mühlengraben treffen ein hochbeiniges Eisenbahn-Viadukt, liebliche Obstwiesen und ein hochstämmiger Bruchwald aufeinander und sorgen nicht nur zur Dämmerstunde für eine Stimmung, die man Caspar David Friedrich guten Gewissens hätte anbieten können. War die Obstwiese erst noch flach, erklimmt sie hinterm Viadukt einen sanften Hang und taugt gemeinsam mit dem Weg anstandslos als Märchenfilm-Kulisse. Nach einer schönen Sonnenbank und noch vor der Straße ruht rechts ein stiller Angelteich, dessen romantisch gelegener Auslass das goldene Wasser des bruchgefilterten Mühlengrabens angemessen inszeniert.

Am oberen Hangweg, mit blühenden Herbstwiesen

Adonishänge

Einen Bruchwald später beginnt mit einer urigen Stiege der Aufstieg auf die Wiesenkante oberhalb der Adonishänge. Die folgende Viertelstunde ist gut geeignet zum anhaltenden Staunen – es ist eine der sagenhaftesten Stellen auf den Oderhöhen, zudem so dicht am breiten Fluss wie selten sonst. Die Hänge hier sind weithin bekannt, da sie besonders reich sind an Frühlings-Adonisröschen. Wenn diese wirklich wunderschönen Blumen blühen, wechseln die Busse auf dem Parkplatz in kurzen Abständen. Ganz abgesehen vom goldglänzenden Frühlings-Spektakel, das deutschlandweit seinesgleichen sucht, wohnt dem Zusammenspiel von steilem Hang und wilder Oderaue eine zurückgenommene Dramatik inne – das ganze Jahr über und natürlich ganz besonders, wenn das Licht für Stimmung sorgt.

Strand an der Alten Oder, bei Lebus

Am oberen Ende der Kante stehen auf einer kleinen Plattform drei Bänke, die einen hinreißenden Blick anbieten – die Skyline von Frankfurt, präsentiert hinter einer weiten Oderkurve. Die Farbe des träge bewegten Wasserspiegels wechselt in Minuten von flüssigem Silber zu mattem Titanium, von intensivem Blau zu kurz vor schwarz.

Hat man sich davon losgerissen, beginnt dieser herrliche Weg direkt oberhalb der Steilkante. Selbst jetzt im spätsommerlichen Frühherbst sind hier die Wiesen noch bunt und prächtig, und wieder kommt das Mittelgebirge in den Sinn. Auf fünfzig Meter über Null. Einige der Blüten und Rispen hinterlassen Fragezeichen selbst bei Versierten.

Kietzer Straße, Lebus

Ganz zuletzt ist im Norden durch eine Baumlücke der eindrucksvolle Reitweiner Sporn zu erahnen. Kurz darauf der Einschlupf in den Abstieg lässt bis zum letzten Meter daran zweifeln, dass es wirklich hier hinabgeht, man nicht zurück zur Treppe muss. Unten ist der Weg dann breit und grasig und flankiert bald einen dickköpfig wirkenden, enorm steilen Hang. Noch etwas tiefer streift er schließlich als idyllischer Pfad ein Strändlein, bevor an einem der nagelneuen Grenzpfeiler das erste Haus in Sicht kommt.

Hochwasserpfad oberhalb des Ortes

Lebus

Im Ort sind alle Straßen im Einzugsbereich möglicher Hochwässer gepflastert und damit schön und dauerhaft zugleich. Der Blick die Kietzer Straße entlang beruhigt, nicht zuletzt auch deswegen, weil hier zwei gemütliche und reizvolle Möglichkeiten liegen, Hunger oder Durst zu stillen. Das passt mehr als gut, denn irgendwie sind wir heute eher hungrig als sonst – wohl der Bergluft wegen.

Odersträndchen

Eine erste Kostprobe der schönen Hochwasserpfade genehmigen wir uns als luftiges Kompott und genießen von oben den Blick der Blicke in Lebus, direkt oberhalb der Kirche. Alle Pfade sind frisch gemäht, auch die Gebüsche am Hang, und haben verlassene Häuser von Weinbergschnecken freigelegt. Diese architektonischen Meisterwerke sind als Dauersuchauftrag schon seit einem Jahr dabei, für eine früher mal gesehene schöne Weihnachtsbastelei. Am Ende klappern zwei Dutzend hohle Wendeln in der Sammeltüte – mit und ohne Erde, von blassweiß-filigran bis eichenbraun und rustikal. Und auf jeden Fall verlassen.

Lebus im Busch

Entlang vorabendlich duftender Hänge mit Robinien, dichtem Buschwerk und viel Hopfen nehmen wir noch ein schönes Seitental mit und ziehen dann vorbei an Lebus im Busch zum südlichen Rand des Oderbruchs. Landen prompt auf einer dieser endlos geraden Straßen, die vielleicht ein Alter Fritz mal abgesegnet hatte. Links liegt mal ein kleines Bruch oder eine weite Wiese, rechts dafür dann ein Gehöft mit Blick zum Oderdeich. Von hinten rauscht routiniert ein entspannter Skater heran auf diesen extragroßen Rollen, die überhaupt nicht wendig sind, doch dafür extraschnell. Und ist schon bald nicht mehr zu sehen, trotz schnurgerader Straße.

Wassergewirr in den Auen der Alten Oder

An einem hundert Meter langen Quader aus Strohblöcken biegen alle ab, die angeln wollen, ihre Ruhe haben oder beides. Wo die Zufahrt endet, beginnt hinterm Deich ein krautiger Weg direkt in die Oderaue, der sich trotz gewissem Risiko auf Weidezäune zu gehen lohnt. Immer geradeaus landet man mitten in der Oder, auf einem dieser Uferhaken, die auf schwerem Steinwerk ruhen. In Richtung Norden sorgt die Gegenströmung dieser Buchten für hübsche kleine Strände, an denen sicherlich auch ein zwei Körnchen aus dem fernen Tschechien liegen. Wenn das Wetter stimmt, der Himmel blau ist und das Oderwasser duftet, ist ein Bad hier ein Genuss – dabei ist keinesfalls die Strömung zu unterschätzen. Ansonsten lässt man sich einfach in den tiefen Sand fallen, kippt nach hinten um und genießt den Blick in den Himmel zu den Klängen, die der Wind so rüberweht. Jetzt gerade sind das die rauschenden Pappeln in den Auen, flussaufwärts blökende Schafe aller Stimmlagen und ein Angler, der seinen Anglerkram auspackt, mit schnappenden Verschlüssen.

Einer der Blicke auf Lebus

Heute erwischt es uns mit Weidezäunen, doch das ist einzusehen. Auch hier ist alles Grüne explodiert, und so haben die Schafe intensiv damit zu tun, der Sache Herr zu werden. Nur kurz werden wir fixiert von knapp dreihundert Augen.  Also zurück zum Deich und dann von hinten nochmal in die Auen rein, die hier durchzogen sind von stillen Buchten und frei geformten Nebenbecken. Drei Schwäne fliegen hin zum Fluss, synchron in allen Dingen und mit dem typischen Geräusch.

Nach den krautigen Wegen ist es jetzt regelrecht entspannt auf der asphaltglatten Deichkrone. Voraus präsentiert sich Lebus hinter immer neuen Variationen aus Oderspiegelwasser und Auenbäumen und macht den gekrümmten Weg zu einem Genuss von milder Spannung. Wuchtige weiße Kühe malmen ihr frisch Gerupftes, alle mit gehörnten Häuptern. Das verdoppelt den Respekt. Der Hirte dreht seine Abendrunde mit dem Jeep.

Abendblick aufs weite Nachbarland

Nach einer letzten Rast am leicht martialischen kleinen Oderhafen steigen wir noch einmal in die Flanke und stoßen per Zufall auf wieder neue Schleichwege und Pfade unterm Schlossberg. Ein kleines Motorboot arbeitet sich gegen die Strömung in Richtung Frankfurt und schafft mit der endlosen polnischen Weite, dem matt glänzenden Oderstrom und dem schwindenden Licht ein Feierabendbild, das innerlich zutiefst beruhigt.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): in der Woche mehrere Verbindungen, mehrfache Umstiege (2,25-2,5 Std.), am Wochenende nur wenige Verbindungen; insgesamt wenig praktikabel

Anfahrt Pkw (von Berlin): über Land (B1/B5 etc.) oder über A12 (jeweils ca. 1,25-1,5 Std.)

Länge der Tour: ca. 19 km, Abkürzungen sehr gut möglich

 

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

 

Links:

Tourist-Information Lebuser Land

Adonisblüte bei Lebus

Informationen zu Lebus

 

Einkehr: Oderblick (unterhalb der Kirche, gute Küche, freundlich, drinnen und draußen schön, direkt am Fluss)
Anglerheim (am nördlichen Ortsrand, sehr gemütlich, drinnen und draußen schön, gute Küche, freundlich, mit Oderblick)

 

Reichenberg: Stöbbermühlen, schneller Kornduft und der Echsen-Schwank

Es ist Juli, und über Stadt und Land sorgen die blitzschnellen und verwegenen Mauersegler mit ihrem schrillen Pfeifen für eine verlässliche Bestätigung der Jahreszeit. Dasselbe gilt für die Grillen, die schon aus kleinsten Wiesenflächen unüberhörbar zirpen, und sei es nur der Mittelstreifen einer breiten Ausfallstraße oder ein vergessenes Wiesenstück an einer lauten Kreuzung. Dementsprechend intensiver sind ihre Klangteppiche über uferlosen Wiesen oder Weiden auf dem Lande. Die Sonne zeigt sich eher punktuell, doch wenn sie da ist, beeindruckt sie sofort mit hochsommerlicher Kraft.

Im mittleren Stöbbertal zwischen den Mühlen

Der Sommer hat in den letzten Jahren gezeigt, dass er Freude gefunden hat an Superlativen. Ausgedrückt hat er das diesmal nicht in Grad Celsius, sondern in selten gemessenen Werten der niederschlagenden Millimeter-Skala. Auf dem Wetterradar sah das aus wie ein erboster Strudel, den seine Suche nach sich selbst über ganz Norddeutschland gefangen hielt. Selbst im vergleichsweise winzigen Einzugsgebiet von Berlin gab es bei diesen Wetterereignissen enorme Unterschiede, so dass es in einzelnen Bezirken einfach nur sehr stark schüttete, währenddessen rund um Oranienburg binnen eines Tages so viel Wasser herunterkam wie sonst in einem halben Jahr nicht.

Zwischendurch gab es dann wieder arglose Phasen, und dieser Tage ist wieder ein gefälliges Maß an Sommerwetter erreicht, das fast jedem Geschmack etwas gerecht wird. Es ist die beste Zeit im Jahr für schöne Hochzeitsfeste, die nackte Schultern ermöglicht und Sonne auf dem Scheitel, Tanzen und Feiern bis in die morgendliche Nacht, beseeltes Schweigen unterm Sternenzelt beim Sound von tausend Grillen in den Wiesenhalmen. Leuten, die befürchten, sie könnten eines Tages ihren Hochzeitstag vergessen, empfiehlt sich in diesem Jahr der erste Tag des Monats Juli, doch nur wer schnell genug gewesen ist oder wen in der Verwandtschaft hat, der jemand kennt, wird seinen liebsten Menschen gewissermaßen frisch gebacken in den zweiten Juli führen.

Gräserner Kirchgang in Reichenberg

Als Ort für so einen besonderen Tag gibt es unzählige Möglichkeiten, die alle das hochrelevante Merkmal der ziemlichen Einzigartigkeit bieten. Wer dabei glaubt, mit Fähren oder Leuchttürmen, Schlössern oder Bohrinseln oder gar historischen Ruinen wäre es im Wesentlichen getan, kann sich gern noch überraschen lassen. Zum Beispiel von übergroßen, teils ächzenden Metall-Skulpturen, die imposant weit verstreut auf einer endlosen Wiese stehen, benachbart zu drei zauberhaften Rückzugsorten komplett verschiedener Größe. Oder einem wunderschönen Saal mit eigenem Strand zum Müggelsee, mitten in der Stadt Berlin.

Wenn nach einer Woche der Nachhall all der schönen Erinnerungen und wohligen Töne langsam leiser wird, da irgendwo im Hinterkopf, wird es manche gleich zur nächsten Hochzeit ziehen, andere in die grüne Stille. Geeignete Zutaten, die bestens in den Sommer passen, wären zum Beispiel ein saftig grünes Bachtal von Romantik und Zurückgezogenheit auf der einen, duftende und winddurchwogte Kornfelder auf der anderen Seite. Dazwischen ein paar Dörfchen und auch Mühlen, gerne auch ein Einkehrort direkt am Weg. Eine entsprechende Datenbank-Abfrage würde neben anderen das Stöbbertal ausgeben.

In der Kornduftschneise hinter Reichenberg

Die Stöbber ist keine dreißig Kilometer lang, doch sie verbindet verschiedenste Landschaften. Da ist zunächst das flache Rote Luch bei Strausberg, unscheinbar und schön. Die stöbberschen Wasser trödeln von hier in zwei grundverschiedene Richtungen und adeln das Luch damit zur Wasserscheide zwischen Nord- und Ostsee. Später fließt der oderstrebige Arm durch das mittelgebirgig anmutende Zentralmassiv der Märkischen Schweiz, zuletzt dann durch die reichhaltige Teichlandschaft bei Altfriedland, die Unmengen von Vögeln als Brut- und Rastplatz dient. Zwischen den letzten beiden zieht sich in tiefer Idylle das mittlere Stöbbertal und bietet einen sanften und genießerisch langgezogenen Übergang von der höhenmeterfreudigen Schweiz zur hügeligen Ringenwalder Heide an. Die wiederum gibt Anhängern der frühesten Blümchen eines jeden Jahres viel Anlass zu kleinen spitzen Seufzern.

Es gibt einige Landschaften, denen man das Prädikat „Nummer Sicher“ verleihen könnte, wenn es um einen schönen und auch runden Tag geht unter freiem Himmel. So auch dieser Teil des Stöbbertals. Damit die Kornfeldquote stimmig ist, empfiehlt sich als Startpunkt eines der nördlich gelegenen Dörfer. Zum Beispiel Reichenberg.

Zustieg zur Einkehr an der Pritzhagener Mühle

Reichenberg

Über Reichenberg liegt Stille. Zwei Pferde trotten nach Hause, genauso viele Bengels hängen ihre Angelhaken in den Teich und irgendwo fegt jemand irgendwas. Das einzig Dialogische kommt von den Hühnern hinterm wiesengrünen Kirchgang, über dem die Kirche auf dem Hügel lagert, wie auf einer Insel.

Gleich hinterm Dorf weht einem der kräftige Wind den erhofften Sommerduft nach gut gereiften Ähren direkt in die Nüstern. Ein Weg lockt in die Wiesen und verliert hinterm Galgenberg an Höhe. Seinen Rand säumt die blauweißgelbe Feldrandmischung dieser Wochen, und voraus liegen gefällige Landschaften in vielfältiger Abwechslung und perfekter Anordnung – als hätten sie sich in Pose geworfen für das Auge des Betrachters. Unten im Wald duftet es würzig nach regengesättigtem Erdreich, und gleich danach kommt uns der Weg abhanden. Ist nicht mehr übrig zwischen Mais und Gerste. Ein netter Trecker hat jedoch ein paar Meter westlich eine gangbare Spur gelegt, durch die sich lautstark staksen lässt, mit ständigem Gekitzel von den langen blonden Grannen.

Schattige Passage im Stöbbertal, ganz dicht am Bach

Pritzhagen

Dass die Alternative auf der Straße kein Problem wäre, zeigt sich auf dem kurzen Stück zum Abzweig nach Pritzhagen. Kaum Autos sind hier unterwegs und man läuft wie auf einem Kamm, mit weitem Blick und scheinbar über allem. Über allem liegt auch das Dorf Pritzhagen. Ein Mädchen schlägt mitten auf der Straße makellose Räder, so unbeschwert und ergiebig, als wenn schon Ferien wären im Lande Brandenburg. Hinten am Teich bei der Kirche ist heute die Ostsee-Quadrille zu Gast, ein zerfasert abgeparkter Convoi von Anhängern und Zugmaschinen, der offensichtlich mit Pferden zu tun hat. Ein großer Mann in Schwarz ist mit seinem großen schwarzen Pferd scheinbar in denselben Traum versunken.

Gabelung an der alten Eiche

Direkt hinterm Dorf fällt die Straße entlang einer saftigen Weide ab, bald schon stärker, links gähnt ein steiler Waldhang. Ein Fröschlein, kleiner als ein Hemdknopf, quert behende die Straße. Geschlagene fünfzig Höhenmeter weiter unten ist am Tornowsee der tiefste Punkt erreicht. Kurz überm Wasser hängt an einer einladenden Badestelle ein langes Tau und kann speziell im Sommer hilfreich sein, wenn man das Loslassen üben will. Nach dem nächsten Abbiegen hört man sie dann endlich rauschen, die Stöbber, die hier mit einer tosenden Fallstufe ihre verträumte und kurvige Passage durch den Wald beendet. Das andere Ende liegt beim Schweizerhaus am Rand von Buckow.

Eine der schönsten Rastbänke, Stöbbertal

Pritzhagener Mühle

Ob nun hungrig oder nicht, auf jeden Fall sollte man sich den Ver- und Gebotsschildern trotzend zur benachbarten Pritzhagener Mühle durchschlagen und bei einem kräftigen Kakao diesen wunderschönen Ort genießen, der dank seiner vordergründigen Hintergrundmusik verlässlich von einer süßen Melancholie umweht wird. Obwohl hier keineswegs alles perfekt ist, birgt dieser Ort leichtes Suchtpotential. Gleichermaßen schön ist es vorne draußen, innen drinnen und hinten unten. Wobei hinten unten auch nah dran ist an den Stöbberflächen und dieser Tage eher gut, wenn man kleine Dosen Blut loswerden will. Schilder besagen, dass es hier ab 16.30 Uhr nur Champagner gibt und Kaviar nach Gewicht – vielleicht schreckt das ja erprobt die Mücken ab.

Brummochsen mit ähnlichen Frisen im mittleren Stöbbertal

Während wir sitzen und schlürfen, spielt sich rund um den gepflasterten Türbereich eine hinreißende und tragikomische Szenerie des Verpassens ab, wie in einem Theaterstück, wo ständig die Türen klappen und alle aneinander vorbeirennen. Insgesamt sind drei Darsteller beteiligt, die sich alle zum Verwechseln ähnlich sehen und von jetzt auf gleich mit dem Granitgestein der Katzenköppe verschmelzen können oder so in einer der Zwischenfugen versinken, dass passierende Kundschaft keine Gefahr darstellt. Letztlich laufen alle Verabredungen schief und die drei Eidechsen verlassen den Schauplatz in drei grundverschiedene Richtungen.

Dezente, doch eindeutige Einladung in den Garten der Besinnung, Eichendorfer Mühle

Hier beginnt nun dieses Wegstück, das zu den Klassikern brandenburgischer Spazierwonnen zählt. Auf knapp vier Kilometern ist im steten Wechsel so viel Schönheit und Idyll versammelt, dass es im Schlurfschritt das Füllhorn eines einzigen Tages zum Überlaufen bringen kann. Tiefer, kühler Wald mit zufließenden Bächen wechselt mit ausschweifenden Wegkurven um üppige Wiesen, einzelstehende Kroneneichen leiten direkt über zu sommerlich bunten Wiesenhängen mit einer der schönsten aller Rastbänke. Im nassen Weidegrund der Stöbberaue stehen knuffige Galloways, denen die Halme bis zur halben Körperhöhe reichen, und sorgen wortkarg für etwas Ordnung.

Balken für die Ewigkeit, Eichendorfer Mühle

Eichendorfer Mühle

Kurz vor der Eichendorfer Mühle liegt hinter einer unverschlossenen Pforte ein sorgsam gestalteter Garten, ganz ohne Verbotsschild. Im Garten der Besinnung gibt es neben einem Teich ein Wassertretbecken und einen schönen Barfußpfad sowie verschiedenste Gärten mit Beschriftungen für Neugierige. Die Eichendorfer Mühle selbst dient als vielschichtiges Therapiehaus, wo fern von allem der Weg von der Abhängigkeit in die Unabhängigkeit begleitet wird. Der Garten und sein hervorragender Zustand sind ein ständiges Ergebnis dieser Prozesse.

Grobkörniges Stillleben im Mühleninnern, Eichendorfer Mühle

Auch die eigentliche Mühle lädt ein mit weit offener Türe und ermutigendem Kopfnicken von jedem, der einem über den Weg läuft. Feldsteinmauern und dickes Gebälk vermitteln ewige Stabilität. Ein Mühlrad dreht sich hier nicht mehr, doch innen wirft schon der erste Schritt auf den knarrenden Bohlen das Kopfkino an, unterstützt vom knochentrockenen Duft betagten Holzes, wie man ihn auch auf alten Dachböden oder in kleinen Holzkirchen wahrnehmen kann, und dem Anblick riesiger Zahnräder aus hartem Holz.

Freier Blick nach dem Aufstieg

Der folgende Austieg aus dem Bachtal gestaltet sich nun haarig, da alle Mücken, die uns bisher verschont haben, hier zusammengefunden haben und zusehen, wie jede zu ihrem Stich kommt. Dazu kommen noch diese kleinen klebrigen Viecher, die man so gut wie gar nicht abstreifen kann. Die führen zwar nichts im Schilde, doch loswerden möchte man sie dennoch. Jeder hat im Augenblick ein paar Hände zu wenig, um der Sache Herr zu werden, also sehen wir zu, auf dem durchweichten Boden oder zwischen den Pfützen schnellstmöglich und aufrecht vorwärts zu kommen und die feuchte Niederung zu verlassen, hin zu lichtem Wald mit etwas Wind.

Blick zu den Kreuzbergen bei Julianenhof

Oben ist es besser, der erhoffte Wind wirklich da, und die Mücken bleiben ihrem Tal treu, da dort insgesamt mehr zu holen ist, auch haben viele ihre Chance genutzt. Weit oben knarren die windgebeugten Stämme der Kiefern aneinander und sorgen gemeinsam mit dem lästernden Krächzen von Hähern und Krähen für etwas Unheimlichkeit, trotz all des Lichts. Bald öffnet sich nach links wieder die Weite der Kornfelder und liefert den dezenten Duft als große Rahmenhandlung dieses Tages.

Der letzte Weg zeigt uns nochmal die Harke. Diesmal ist kein Ausweichen ins Feld möglich, da struppiger, gereifter Raps nicht mehr als ein paar Meter zu durchschreiten ist, ehe alle Bewegung zum Erliegen kommt. Hier hilft auch keine Trecker-Spur. Die wunderschöne Busch- und Baumallee ist nicht zugewachsen, doch durch den Regen der letzten Wochen ist alles in die Höhe geschossen. Vor uns liegt also eine Dreiviertelstunde Storchengang, und das mit tagesmüden Beinen. Jemand muss vor kurzer Zeit hier langgefahren sein, und so bleibt der Trost, der in vielen Fällen bleibt: es könnte schlimmer sein.

Kindliche Streuobstwiese von übermorgen, kurz vor Reichenberg

Kurz vor Reichenberg wurden auf sanften Wiesenhängen winzige Bäumchen eingelocht, nicht viel größer als ein langer Wanderstock, die einmal eine schöne Streuobstwiese abgeben werden. Am Dorfrand schauen uns dann von oben lustige Köpfe an, hinter einem Gürtel aus Schafen und an langen Hälsen. Zwei Bewohner einer Straußenfarm zeigen ihre Neugier und stelzen hinterm hohen Bohlenzaun hin und wieder her. Irgendwo im Wiesenschatten sitzt eine unentdeckte Katze.

Neugieriger Blick von hinter den Schafen

Die Jungs am Dorfweiher sind immer noch beim Angeln, jetzt an einer anderen Stelle. Zum Abend wird der Wind nun leiser, die Grillen gewinnen an Präsenz, und in das Farbenspiel des Abendhimmels ganz im Westen drängen von irgendwo Gewitterwolken. Eine letzte Lerche tobt sich noch aus, so kurz vor Feierabend, sinkt langsam tiefer und gibt schließlich Ruhe für die Ruhe vor dem Sturm.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): wochentags S-Bahn nach Strausberg Nord, dann mit dem Bus (ca. 1,5-1,75 Std., mehrere Verbindungen tägl.); am Wochenende keine Verbindung

Anfahrt Pkw (von Berlin): Landstraße über Strausberg (ca. 1,25 Std.)

Länge der Tour: ca. 17 km (Abkürzungen gut möglich); der gezeigte Track ist (wie die Download-Wegpunkte) frei von Problempassagen

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)
(A-C nur außerhalb der Vegetationsphase zu empfehlen)

Links:

Informationen zur Gemeinde Märkische Höhe

Oberbarnimer Feldsteinroute

Eichendorfer Mühle

Fledermausmuseum Julianenhof

Straußenfarm Reichenberg

Einkehr:
direkt an der Route:
Pritzhagener Mühle (vor allem Fisch)
Gasthof Pritzhagen (in Pritzhagen am Teich, nur mittags geöffnet)

Gasthaus Fischer, Bollersdorf

Niederfinow: Alte Schleusen, kleine Bäche und das gediegene Kanal-Tal

Manche Tage hinterlassen im Zusammenspiel ihrer Umstände lupenreine Poesie, teilweise schon während ihrer Laufzeit. Zu diesen Umständen zählen neben der jeweiligen Landschaft und ihren Charakterzügen das Zusammenspiel von Wetter, Licht und wie beides in die Jahreszeit oder den Monat passt. Einiges davon ist beeinflussbar oder gemäß Erfahrungswerten und Wahrscheinlichkeiten erhoffbar, anderes ergibt sich vollständig unerwartet oder schärft bisher unbekannte Gesichtslinien einer vertrauten Gegend nach.

Finowkanal in Niederfinow
Finowkanal in Niederfinow

Viele Landschaften Brandenburgs werden von fließenden Gewässern geprägt. Das müssen nicht nur die großen und kleineren Flüsse sein. Gerade auch Bäche und Fließe, die sich ohne Kopf- und Kniezerbrechen überspringen lassen, sind von markanter und bezaubernder Landschaft begleitet, für die sie in den allermeisten Fällen selbst verantwortlich sind. Sogar Kanäle, die ja nachweislich von Menschenhand geschaffen wurden und mit ihren geradlinigen Verläufen die Luftlinie anstreben, ziehen ihren Lauf durch ein exzellentes Gemisch aus Natur- und Kulturidylle mit manch gesalzener Prise Industriekultur. Und sind oft älter, als man denken sollte.

Ein Ausflug zu solchen wassergeprägten Landschaften bietet meist eine sichere Bank, wenn harmonische und abwechslungsreiche Touren mit einem Mindestmaß an Wonnigkeit gewünscht sind. Vielleicht zur Drahendorfer Spree mit ihren launigen Bögen, die in ihrem Übermut fast einmal zum Oder-Spree-Kanal durchstößt, nur unweit der Kersdorfer Schleuse. Oder die Havel nördlich von Zehdenick, die sich hier zwischen unzähligen Stichteichen hindurchschummelt. Die Dosse in ihrem Unterlauf bei Sieversdorf und Hohenofen, die kanalsachlich und doch zutiefst liebenswert durch ihr flaches Felderland gen Havel strebt. Oder der oftmals abgeschiedene Rhin, der sich in einer regelrechten Mäander-Orgie seinen Weg durch die üppigen Wälder der Ruppiner Schweiz bahnt, als wäre er von Waldgeistern ersonnen. Das könnte jetzt ohne Ende so weitergehen, wobei die voranstehende Auswahl nichts hat, was repräsentativ zu nennen wäre.

Zugbrücke und Kirche in Niederfinow
Zugbrücke und Kirche in Niederfinow

In einigen Fällen fließt direkt neben einem begradigten oder kanalisierten Fluss nach wie vor auch seine ursprüngliche Version. Wie zum Beispiel die Havel zwischen Zehdenick und Liebenwerder, deren leicht durchgeknallte Schnellversion im Vergleich zum geradlinigen Hauptfluss sicherlich dreimal mehr Flusskilometer sammelt. Ähnlich sieht das im Kleinformat bei der hochromantischen Schlaube zwischen Groß Lindow und Brieskow aus, die in Sichtkontakt zum einstigen Friedrich-Wilhelm-Kanal ihren Gefühlen freien Lauf lässt. Jener ist nicht minder romantisch, und das will schon etwas heißen.

Ein weiterer Fall von historischem Kanal und benachbartem Fluss ist der Finowkanal kurz vor seinem östlichen Ende an der Alten Oder. Der Ursprung des namensgebenden Flüsschens liegt kurz hinter dem C-Bereich des Berliner Nahverkehrs. Hinter Biesenthal gewinnt die Finow an Format, strebt weiter nach Norden und endet als Fluss faktisch am schleusenreichen Finowkanal, der trotz seiner 400 Jahre noch voll funktionstüchtig ist. Für die zeitliche Einordnung ergibt sich durchaus eindrucksvoll, dass beim ersten Spatenstich Shakespeares Hamlet noch halbwegs warm in den Regalen lag, und als der westliche Kanal-Abschnitt der Nutzung übergeben wurde, war der Großvater vom alten Bach noch Quark im Schaufenster.

Der Kanal hat mit diesem westlichen Abschnitt schon sein erstes Drittel auf dem Buckel, als Langer Trödel fast schnurgerade und doch einzigartig schön zwischen Liebenwalde und Zerpenschleuse, dann ab dem Wasserstraßenkreuz mit seinem großen Bruder schon etwas kurvenfreudiger. Ab dem Zusammentreffen mit der Finow trägt er ganz klar die Handschrift eines lebendigen Flusses, wovon auch ein paar abgehängte Altarme zeugen. In Richtung Osten wurde das keineswegs geradlinige Bett der Finow ohne nennenswerte Anpassungen übernommen und lediglich bis zur Schiffbarkeit ausgekuschelt.

Die Kirche über dem Dorfe, Niederfinow
Die Kirche über dem Dorfe, Niederfinow

Dort, wo das aufgrund enger Flußbiegungen und Auenmäander dann doch zu weit gegangen wäre, kommt es zur Aufspaltung. Ab der Försterei Kahlenberg, kurz hinter der Ragöser Schleuse, flossen Kanal und Finow getrennte Wege. Was an letzterer hier noch wild war, hat sich im Lauf der letzten hundert Jahre abgeschliffen, so dass der Ursprungsverlauf nur noch an wenigen Stellen erkennbar ist. Lediglich das Abstrakt des Grenzverlaufes bewahrt ein detailgetreues Abbild aller Biegungen, unterstützt von einigen unverdrossenen Baumreihen als Dechiffrierhilfe. Was jedoch geblieben ist, obendrein sehr dauerhaft, ist der ausgeprägte Talcharakter dieses moränenhügligen Abschnitts zwischen Eberswalde und Oderbruch, der auch unsere brennende Frage beantwortet, wie eine künstliche Wasserstraße zu einem derart bezaubernden Tal kommt. Denn eine sinnenschmeichelnde Landschafts-Modellierung solchen Umfanges hätte sicherlich selbst königliche Kassen überfordert.

Jedenfalls stand nach zwei durchwachsenen der Wunsch nach einer lieblich-kernigen und idyllischen Tour ohne große Unwägbarkeiten, was das Vorhandensein von Wegen betrifft. Wirklich einfach nur abschalten, die Füße machen lassen und genießen. Weißes Rauschen im Kopf, überzogene Kontraste und satte Farben in der Optik. Sich Wandermarkierungen anvertrauen und hier und da einen Wegesammler-Aufkleber ans schwarze Brett pappen. Führte der letzte Besuch von Niederfinow in die Berghänge und die weiten Wiesen des Oderbruchs, sollte heute voll und ganz der Finow-Kanal im Blickpunkt stehen.

Am Ortsrand mit Blick auf die Oderauen, Niederfinow
Aufstieg am Ortsrand mit Blick auf die Oderauen, Niederfinow

Niederfinow

Auf der Zugbrücke stehend wäre es für Maler vermutlich schwierig, sich für ein erstes Motiv zu entscheiden. Die attraktive Brücke selbst oder die Fachwerk-Kirche am Berg, der wonnige Wiesenpfad am Ufer oder der Blick in die wasserdurchfurchten Weiten des platten Tales der Alten Oder – das eine eher für stimmungsvolle Aquarelle geeignet, das andere für detailversessene Bleistiftzeichnungen oder Radierungen. Das dritte vielleicht für Ölgemälde und im Versuche, das Spiel mit dem Licht auf die Spitze zu treiben.

Wie auch immer, jedenfalls zog uns dieser reifknirschende Wiesenpfad hinter den Zäunen und Mauern der ersten Hausreihe umgehend hinab zum Ufer und entfesselte dort Schwärmereien und Wonnetöne, so dass glatt die kleine Extrarunde auf die Höhe vergessen wurde. Also losgerissen fürs Erste, zurück auf Anfang und Neustart bei der Brücke, vorbei unterhalb der Kirche und im Bogen durch den Ort. Am Himmel sorgen die Wetterlage und allerlei Flugzeuge für breitzerfranste Kondensstreifen, die einen kathedralenhaften Bogen über die goldglänzende Spitze der Kirche schlagen, während noch einiges höher ein Flugzeug für Nachschub sorgt.

Der Finowkanal bei der Stecherschleuse
Der Finowkanal bei der Stecherschleuse

Voraus kommen die beiden Schiffshebewerke in Sicht, das eine filigran aus stählernem Gebälk, das andere kompakt und leicht futuristisch aus Beton gebaut. Gleich darauf zweigt links diskret ein Weg ab, der vorbei an niedrigem Gebäum auf die Höhe führt. Die Aussicht liegt nicht viel höher, doch sie ist weit und panoramisch und verlangt nach einer Pause.

Der Abstieg unterhalb der Kirche bietet zum ersten Mal dieses Gefühl von lieblichem Mittelgebirge, das sich bei den oderländischen Übergängen zwischen bewegten Moränenhöhen und dem flachen Oderbruch an so vielen Orten einstellt. Bei Reitwein am gleichnamigen Sporn oder mitten in Lebus, gleichermaßen in den ausgedehnten Mini-Gebirgen rund um den Sprungschanzen-Ort Bad Freienwalde. Dazu gehören auch zahllose Bachtäler mit ihren glasklaren Wässerchen, jedes für sich von einer naturverliebten Romantik, die einem das ferne Wort „Entzücken“ mal wieder ins Gedächtnis ruft. Für Leute, die auf Fakten stehen, verweise ich auf eine mögliche Tour gleich um die Ecke bei Oderberg, die bei einer Länge von vierzehn Kilometern auf reichlich 300 Höhenmeter kommt und passabel als Vorbereitung auf einen Urlaub in den Bergen taugt.

Am westlichen Ende des Dorfes, Niederfinow
Am westlichen Ende des Dorfes, Niederfinow

Zum dritten Mal an der Zugbrücke, betreten wir zum zweiten Mal den Uferpfad, dessen Wiesen jetzt nicht mehr frostig weiß kandiert sind, sondern saftig grün und triefend nass. Das Gegenufer liegt noch komplett unter Kristall und wird das auch den Rest des Tages beibehalten. Zu beiden Seiten des Tals erheben sich gut sichtbar die Flanken des Finow-Taldurchbruches. Den gibt es in dem Sinne nicht, doch einen solchen Namen hätte diese eindrucksvolle Landschaft verdient. Drüben auf den Weiden grasen Pferde, scheinbar weit entfernt, wie hinter Dunst. Ein Eisvogel flitzt kurz über dem Wasser entlang, genau über der Kanalmitte. Sicherlich mit guten Grund. Hinter den Höhenzügen erhebt sich lautstark eine Schar von Kranichen über das Oderbruch, die immer noch größer wird und lauter.

Die Straße nach Stecherschleuse führt direkt vor dem Hang entlang und ist fast frei von Verkehr, so dass hier entspannt getrödelt werden kann. Nicht getreidelt hingegen, denn kleine Pfade, die noch vor ein bis zwei Jahrzehnten direkt am Ufer verliefen, sind in Vergessenheit geraten und dornig zugewachsen, bilden nunmehr schöne Zufluchtsorte für allerlei Getier. Immer wieder gibt es kleine Zuflüsse, teils von Rinnsalen, deren Quelle keine 500 Meter liegt von hier.

Filigrane Baumkronen am Kanal, bei Försterei Kahlenberg
Filigrane Baumkronen am Kanal, bei der Försterei Kahlenberg

Stecherschleuse

Hinter der Stecherschleuse, einem Bauwerk, das trotz moderner Überarbeitung noch immer wirksam Historie ausstrahlt, steht am Wasser eine Rastbank. Die kleine Bucht vor den winterfesten Schleusentoren ist unbewegt und hat Eis angesetzt, schon stark genug, um die dickste Katze des Dorfes zu tragen. Direkt hier beginnt ein wunderbarer Pfad, der eine halbe Stunde im Genießerschritt direkt dem Ufer folgt. Das verlangt eine Entscheidung, denn die Dorfstraße unterm Hang hat auch ihren Reiz. Und erhält den Zuschlag, dieses Mal.

Die Häuser sind hier noch dichter an den Hang geschmiegt und werden nach und nach weniger, bevor am Ortsrand die Straße endet und sich zwiegespalten fortsetzt als asphaltiertes Fahrrad-Band im Rahmen der über tausend Kilometer langen Tour Brandenburg. Parallel verläuft auf sandigem Waldboden ein gemütlicher Fahrweg. Am Waldrand stößt von links der Zubringer vom Uferweg hinzu. Der Tag ist himmelblau und sonnig, und so scheint das Licht im wipfeldichten Nadelwald regelrecht diffus, durchaus wohltuend für den Augenblick.

Die Ragöser Schleuse
Die Ragöser Schleuse

Försterei Kahlenberg

An der Försterei Kahlenberg stehen zwei prächtige Waldhäuser, die herrliche Kulissen für Märchenfilme abgeben dürften. Direkt dahinter geht der Weg in einen pittoresken Bogen, der von Buchen bestimmt ist, vom leuchtenden Laub am Boden und den glatten grauen Stämmen gleich darüber. Noch einmal verläuft er dann direkt am Ufer des Kanals, der schon abendliche Ruhe ausstrahlt, obwohl die Sonne gerade erst ihren Zenit verlassen hat. Doch der liegt eben eher so auf Kniehöhe, wenn es die Zeit ist für Adventskranzkerzen. Das Ragöser Fließ, das kurz zuvor recht keck den Oder-Havel-Kanal unterflossen hat, mündet mit elegantem Hüftschwung ein, und vorn im Blick liegt schon die gleichnamige Schleuse.

Vereistes Schleusenbecken, Ragöser Schleuse
Vereistes Schleusenbecken, Ragöser Schleuse

Ragöser Schleuse

Hier ist eine der schönsten Möglichkeiten, ans andere Ufer des Finowkanales zu gelangen, und auch diese Schleuse atmet gute alte Zeit. Drüben erstrecken sich scheinbar endlose Stoppelwiesen zwischen den Ufern des Kanals und dem Damm der eingleisigen Bahn. Gleich dahinter beginnt wieder schönes Hügelland voller Wald, mit ausgestreckten Taleinschnitten.

Einen Sohn mit seinem Vater und einer kniehohen Promenadenmischung in weiß-geschecktem Kurzstrupp zieht es förmlich hinaus in diese Weite der breiten und schmalen Halme. Man kann es gut verstehen, zumal die tiefstehende Sonne den langen Talgrund in ein spezielles Licht taucht und den Schatten manchen Grasbüschels auf dem benachbarten zu einem kleinen Schauspiel geraten lässt. Zudem greift schon der Filter des flachen Winkels, entfacht weit im Westen ein Glutlodern am Himmel und startet damit ein berauschendes Schauspiel des langwelligen Lichtes. Das klingt dick aufgetragen, doch es trifft die Sache.

Weg durch die Wiesen, unweit der Ragöser Schleuse
Weg durch die Wiesen

Schön an dieser Szene mit Vater und Sohn ist, dass es so aussieht, dass beide vollkommen offline unterwegs sind. Sowohl technisch als auch gedanklich. Da schwimmt keine Besorgnis mit, eine wichtige Nachricht zu verpassen oder irgend etwas Neuestes erst als Zweiter oder Dritter zu erfahren. Die beiden sind einfach zusammen losgezogen, das letzte Licht des Tages auszunutzen und werden dies wahrscheinlich bis ins Letzte auskosten. Sicherlich mit Taschenlampe in der Hosentasche. Der Gescheckte springt voran, tritt manchmal daneben im hohen Kraut und schaut sich in regelmäßigen Abständen um, ob die beiden auch hinterherkommen. Das tun sie, tiefenentspannt, mit weit geöffnetem Geist. Und schaufeln dabei unbemerkt Wahrnehmungen fürs Langzeitgedächtnis.

Ein leicht verwachsener Weg lockt strohig mitten über die durchfeuchteten Wiesen, auf welchen jedoch den größten Teil des Jahres schweres Weidevieh seine Fladen absetzt. Der ausgeschilderte Wanderweg, der auch das Eberswalder Zentrum flankiert, führt direkt unterhalb des Bahndammes entlang, auf dem jede Stunde ein Züglein vorbeieilt. Hier betreten wir jetzt nicht nur den Rückweg nach Niederfinow, sondern zugleich den frostigen Teil der Tour. Die Talflanke liegt nach Norden und erhebt sich ziemlich direkt und teils hoch bewaldet, so dass hier den ganzen Tag und noch viele weitere kein Sonnenlicht hinkommen wird. Alles ist von frostigen Kristallen bedeckt, was insbesondere bei den sachlichen Halmen des Ginsters wie teure, durchaus reizvolle Designer-Kunst aussieht. Fürs Foto war das Licht leider zu knapp.

Abendbrotzeit im kühlen Seitental
Abendbrotzeit im kühlen Seitental

Während unser Blick auf die grüne und farbensatte Hälfte des Tages fällt, führen unsere Schritte hier durch eine fast monochrome Winterlandschaft, ein frostiges Schattenreich aus dunklen Stämmen und weißem Ast- und Halmwerk, denn die Sonne ist nun endgültig hinter den Hängen versackt. Man ist bestrebt, äußerst flach zu atmen, um dieses stille Reich bei nichts zu unterbrechen. Wieder mischen sich zahlreiche Mittelgebirgs-Impressionen ins Bild, auch hier auf der anderen Seite des Kanal-Tales. Oben im letzten Licht steil aufragende Kuppen mit hochgewachsenen Kiefern, unten am Hang altgewachsene Eichen, die den Weg als Waldrand begleiten.

Frostiger Weg am Nordhang
Frostiger Weg am Nordhang

Wir queren ein kleines, reifweißes Seitental, das vom Walde her aussieht wie eine zugefrorene Fjordbucht. Noch eins von diesen glasigen Bächlein kommt von der Höhe und strebt weiter hinab ins Tal, den verbliebenen Höhenmeter bis zum tiefsten Punkt. Die folgende Ausbuchtung nimmt der Weg komplett mit. Hier stehen zwischen allerhand Strohrollen Kühe, denen in nächster Zeit keine Gefahr durch Sonnenbrand droht. Sie stehen still und sparen jetzt schon Energie – da scheint ein Wildnis-Gen noch seine Arbeit zu verrichten, ein letzter Rest vom sagenhaften Auerochsen. Andere stecken einfach ihren Kopf tief ins verdichtete Stroh und arbeiten sich vor zum wohlschmeckenden Kern der Rolle. Ein Kälbchen steht bestens windgeschützt unter einem strohbepackten Hänger und ist dort nicht alleine. Gegenüber in den Häusern gehen die ersten Lichter an.

Die weiße Tageshälfte im Abendlicht
Die weiße Tageshälfte im Abendlicht

Zuletzt schwenkt der Weg direkt nach Osten und gestattet damit einen weiten Blick auf das Spektakel, das der Abendhimmel von der Kette lässt. Die Wege und Wiesen sind noch stärker bereift, da die Talflanken hier noch steiler aufsteigen. Das Zusammenspiel von weißer Natur und flammendem Himmel sorgt dafür, dass wir nicht gut vom Fleck kommen, uns immer wieder umdrehen. Obwohl es langsam Zeit wird anzukommen, denn bald schon wird es zappenduster sein.

Die elektrische Befeuerung des Sportplatzes am Rande des Ortes vermeidet ungelenkes Tappen, und einen Schwibbbogen und ein Lichterbäumchen später stehen wir schon am Bahnhof. Dank zweier Kannen Thermostee nicht durchgefroren, sondern wohltemperiert. Und tagesmüde. Jetzt muss schnellstens Energie her.

Letztes Licht auf dem Dorf, Niederfinow
Letztes Licht auf dem Dorf, Niederfinow

Da passt es gut, dass nur eine Bahnstation weiter in Eberswalde der dortige Weihnachtsmarkt stattfindet, heute den achten von zehn Tagen, also schon gut warmgelaufen. Den Rahmen gibt die gekonnt ausgeleuchtete Kulisse von Rathaus und fachwerklichen Markthäusern, etwas oben von der Seite steuert der Kirchturm ein paar dezente Lichter bei. Hier gibt es neben herzigen Angeboten für Kinder und einem kleinen Bühnenprogramm vorrangig Spezereien für Gaumen und Kehle, solche für sofort und andere zum Verschenken. Der marktansässige Traditionsbäcker backt in Echtzeit Brot, und auch das regionale Handwerk ist vertreten.

Motorloses Karussell, Weihnachtsmarkt Eberswalde
Motorloses Karussell mit stromloser Musik, Weihnachtsmarkt Eberswalde

Verdienter Blick- und Lauschfang ist ein Karussell aus Omas Tagen, in dessen unrotierter Mitte musiziert wird, mit Akkordeon und großem Kontrabass. Drum herum fahren von Hand gehalten und von Bein bewegt Kaffeehaustische mit Biergartenstühlen, festgeschraubt und gut gebucht. Gleich daneben der kleine Spalierwald ist großzügig bestückt mit bunten Kugeln, am Stand dahinter gibt es feine Eberswalder Würstchen in allen Varianten. Friedlich ist es hier und schön, gut besucht und das Gedränge nicht zu dicht. Das Karussell gönnt sich gerade eine Pause, die Instrumente ruhen aus. Über all dem hängt eine zerbrechlich dünne Mondsichel und stellt für einen Augenblick die Wirklichkeit in Frage.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Regionalbahn von Gesundbrunnen über Eberswalde (ca. 1 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über Autobahn (Ausfahrt Finowfurt/Eberswalde) oder über Land auf der B 158/B 168 (jeweils ca. 1 Std.)

Länge der Tour: ca. 16 km (bis auf Weglassen des östlichen Kringels keine Abkürzung möglich)

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken, dann „Speichern unter…“)

Links:

Ortsinformationen Niederfinow

Ortsinformationen Stecherschleuse

Artikel zum Finow-Kanal (Märkische Oderzeitung)

Informationen zum Finow-Kanal (PDF)

Einkehr: Forellenhof (Fischrestaurant, Imbiss und Laden), Ragöser Schleuse

div. Gastronomie bei den Schiffshebewerken (nordöstlich des Ortes)