Zweitausendzwanzig – das hat wahrhaftig Klang, und als 2020 hat es auch noch ein schönes Gesicht von Ebenmaß und Ausgewogenheit, wie es im laufenden Jahrhundert bisher selten war. Ohne großen Paukenschlag hat das Jahr von 2019 den großen Schlüsselbund übernommen und erstmal einfach weitergemacht, ohne sich kapriziös zu inszenieren. Dafür werden mit Sicherheit und auch ausreichend andere Kanäle sorgen.
Wer sich nun die Entspanntheit genehmigt, bereits jetzt von den Zwanziger Jahren zu reden, lässt in vielen Köpfen Bilder und Stimmungen aufgehen, die ja jüngst selbst bei Leuten gezündet wurden, die mit dem Thema noch nie in Berührung kamen. Zu verdanken ist das einer aufwändig produzierten Fernsehserie aus der erfahrenen Babelsberger Schmiede, zu deren dritter Staffel im vergangenen Mai die letzte Klappe fiel und die noch in diesem Monat anlaufen wird – zunächst exklusiv im Bezahlfernsehen.
Davon abgesehen sieht das Jahr also erstmal recht unaufgeregt aus, was auch für den Winter gilt, der eher mit nassen Lappen um sich schlägt als mit prall gefüllten Federkissen. Immerhin gab es ein paar Frostnächte, doch ansonsten hat man stellenweise eher das Gefühl von Vorfrühling. Auch die Vögel lassen manchen Meisenknödel kalt lächelnd und unbewegt links hängen, ist doch noch oder schon einiges Gewürme und Gekrabbel unterwegs. Erste Schneeglöckchen bieten zaghaft ihre blassgrünen Laubstängel zur Kenntnisnahme an.
Nach zumeist nassen Januar-Tagen bringt sich nun die Sonne wieder ins Spiel, erstmal hier und da, dann einen halben und bald schon einen ganzen Tag, dabei stets im Spiel mit Wolken von vielerlei Gestalt. Das blasse und zugleich klare Licht des Januars ist stets ein ganz besonderes, da es ohne große Konkurrenz knalliger Farben und Effekte ganz für sich wirken kann und die meisten Menschen direkt ins kälte- und dunkelheitsgeplagte Herz trifft. Gut genießen kann man das in großer, himmeloffener Weite, doch genießerischer noch lässt es sich im Wald auskosten, wo jede Wolke, jeder Stamm und jede Windbewegung für kleine Extra-Vorstellungen sorgen, in kurzer Taktfrequenz.
Im Januar, wenn vielerorts Saure-Gurken-Zeit ist, die Gasthäuser Urlaub haben und viele Leute lieber lauschig warme Thermen oder andere Wohlfühl-Rahmen aufsuchen, ist die beste Zeit, um publikumsstarke Touristenziele aufzusuchen und sie vielleicht mit nur wenigen teilen zu müssen. Eins davon, eher regional beliebt und sonst nicht allzu sehr bekannt, ist Kunsterspring, wo sich eine elegante Kombination findet.
Möchte man mit den Kindern einen schönen Tag im Freien verbringen, mit Tieren, Wasser und Spielplatz und einem gut aushandelbaren Anteil an Spaziergang, dann lässt sich das in Kunsterspring gut umsetzen. Der genannte Anteil wiederum ist in Verbindung mit der benachbarten Gaststätte Eichkater nahezu perfekt geeignet, wenn man einen geschätzten Menschen mit eher abweichenden Interessen für das Draußensein unterm Brandenburger Himmel begeistern möchte. Vielleicht die Patentocher oder auch die Patentante, vielleicht den sofageübten Lebenspartner oder die jüngste Bekanntschaft, der man zeigen möchte, wo man glücklich ist, wo man sich kennt.
Der kleine Tierpark mitten im Wald hat viel Seele, ist wunderschön gelegen und eigentlich für sich allein schon völlig ausreichend als Ziel für einen Ausflug. Angenehme Ergänzungen sind die erwähnte Gaststätte, doch auch die Fischerei schräg gegenüber. Hier gibt es kostenlos den Duft von Räucherofen, für etwas Geld auch Fisch für später oder Fischbrötchen für gleich. Reinbeißen lässt sich gleich auf der Terrasse mit Blick auf die Kunster, die an dieser Stelle einen länglichen Waldweiher aufspannt. Bis vor gut hundert Jahren stand in Kunsterspring noch eine Mühle, die zuvor hundert Jahre allerlei Dienste verrichtet hatte. Heute gibt es hier eine Waldarbeitsschule mit zahlreichen hübschen Gebäuden. Der zuständige Bus verkehrt leider nur an den Schultagen.
Die kurze Passage entlang des wohlgelaunten kleinen Baches zählt zum schönsten, was sich in dieser Kategorie innerhalb der Grenzen Brandenburgs finden lässt. Nicht weit von hier gibt es nördlich der Boltenmühle noch den Binenbach, wo das Vergnügen vom Relief her noch ausgeprägter, dafür jedoch nur halb so lang ist. Auch die Gegend um Biesenthal spielt in dieser Liga mit, natürlich das unvergleichliche Schlaubetal oder die Märkische Schweiz.
Doch die Kunster hat neben der Verspieltheit ihres Laufes und des umgebenden Reliefs, der Waldvielfalt und dem schilfbreiten Tal im Unterlauf noch eine weitere Besonderheit, die in dieser Ausprägung wirklich selten anzutreffen ist: sie wird begleitet von einer großen Zahl von Quellen. Und diese Quellen sind von Anfang an sehr freigiebig – nicht, dass den ausgedehnten und vermatschten Quelltöpfen hier und da ein Tröpfchen entsickert und sich die Rinnsale dann irgendwann zu etwas erkennbar Fließendem vereinigen, hier legt bereits nach wenigen Fließmetern ein Bächlein los, dessen Vorwärtsdrang zu sehen und zu hören ist und dessen Wasser sich an vielen Stellen gleich eine Stufe tiefer stürzt, bevor es der Kunster zuströmt.
Wer diese Passage nicht zu ersten Mal geht, das schon einmal gesehen und erlebt hat, wird ein paar Jahre später wieder von Neuem ins Staunen geraten, so zauberhaft und mannigfaltig ist dieser Bachlauf. Als besonderen Luxus gibt es schöne Waldwege auf beiden Seiten des Tales, so dass niemand denselben Weg zurückgehen muss. Auf halber Strecke steht eine für die Ewigkeit gebaute offene Blockhütte bereit, die Lee-Seiten zu allen vier Himmelsrichtungen anbietet. Übers Wasser führt an dieser Stelle ein uriger und tiefliegender Steg, dem man es sogar verzeihen würde, wenn er nicht benutzbar wäre. Wenn er alleine als Augenschmaus in der romantischen Kulisse fungieren sollte.
Kunsterspring
Manchmal ist auch im Januar noch Jagdsaison, und so sind im Wald die letzten Kilometer vor dem Tierpark gesäumt von endlosen Wäscheleinen, auf denen alle zwei Meter ein helles Tuch hängt. Schilder und Personal in Neonfarben weisen darauf hin, dass sich die Tour problematisch gestalten könnte, denn die zweite Hälfte der Runde soll mitten hindurch gehen durch das Jagdgebiet. Naja, das sind Probleme von später und dann vor Ort zu lösen.
Im Tierpark ist schon gut Betrieb, der Parkplatz halb gefüllt und überall sieht man gestiefelte, bunte Kinder tollen. Zwei Esel schicken einen vokalen Gruß an die Sonne, die Wölfe hingegen halten sich bedeckt und die häuslichen Enten auf der Kunster werden langsam wach. Hier im Wald ist es etwas kühler als draußen, die Baumstämme sind dunkel vom jüngst durchgezogenen Regen, der Waldboden gut getränkt und die Moospolster fast schon knallig grün. Die Dame vom Tierpark huscht kurz rüber zur Fischerei und holt sich was für die Pause, und wir hängen uns gleich dran. Mit einem frischen Fischbrötchen am Wickel den ersten Blick über die flach dahinplätschernde Kunster schicken und dabei den Duft des Räucherholzes inhalieren, das ist doch ein passabler Tagesbeginn.
Ein Typ von Holzfällerformat ist grade mit einem halbsohohen Mädchen im rosa Anorak in der kleinen Ofenkammer zugange, die Öfen werden bestückt und im nächsten Schritt demonstriert, wie die großen Hartholz-Kloben für den Nachschub in ofentaugliche Größe gebracht werden, mittels einer blinkenden Axt und hinterm Haus. Dann wieder zurück, fachmännisch nachgelegt und eine wichtige Lektion beendet. Die Lütte fragt viel nach, ist interessiert.
Ein kleines hölzernes Portal lädt ein ins Tal der Kunster, das mit seinen herrlichen Waldpfaden sofort in die Vollen geht. Der würzige Duft wird fast den ganzen Tag begleiten, auch wenn die Art des Waldes häufig wechselt. Der Wegverlauf über wurzlige Nadelpfade und breitere Wege spart auch die dritte Dimension nicht aus und sammelt eine Reihe Höhenmeter. Die Entlohnung folgt sofort, denn der Taleinschnitt prägt sich mehr und mehr aus und gestattet immer wieder schöne Einblicke in den gewundenen Miniatur-Canon. Alle paar Minuten wird ein neuer Quelltopf passiert und beantwortet nach und nach die Frage, wie die Kunster nach so wenig Fließlänge schon so breit sein kann.
Gegen Ende des breiten Wassers zeigt sich schon der Charakter eines Urwaldes, wo alles, was gestürzt oder gestrauchelt ist, eben genau so liegen bleibt. Verschiedenste Stadien von Vermorschung sorgen für gleichermaßen archaische und morbide Gemälde im Großformat, zu groß für jede Wohnzimmerwand. Das Licht wird über den kahlen Wipfeln aufgefächert und streut diffus bis zum Wasserspiegel. Knackscharfe Spiegelbilder gestrauchelter Krummstämme schweben zwischen diffusen Grünstufenübergängen. Bald übernimmt Bruchwald. Auf dem vergehenden Stamm einer gefallenen Erle fußt ein meterhohes Fichtenbäumchen, das schnurgerade gen Himmel wächst. Kurz darauf führt der erwähnte Steg ans andere Ufer und empfiehlt mit Nachdruck eine Rast zwischen den Blockstämmen.
Im Wald selbst dominieren verschiedenste Erdtöne, zwischen denen das vor Kraft strotzende Moosgrün fast wie eine geisternde Art von Lichtquelle erscheint. An einzelnen Stämmen ist es, Gamaschen gleich, bis auf Meterhöhe hochgestiegen und lässt nun keinen Zweifel mehr daran, dass die Schritte hier durch einen Wald der Märchenwesen gelenkt werden. Dies bestätigt wenig später eine unerwartet auftauchende und weite Lichtung, wo sichwohl zum Abend nicht nur Hase und Fuchs gute Nacht sagen, sondern einen Augenblick später auch die Feen ihre zarten Tänze zeigen. Eine enorme Fichte kurz vor dieser bodenklammen Lichtung muss jede von ihnen kennen. Ganz real wird hier die Zauberwelt in der farbenprächtigsten Jahreszeit und selbst bei Tageslicht, wenn auf diesen Feuchtwiesen neben unzähligen verschiedenen Blüten auch solche von Orchideen zu sehen sind.
Schon kurz nach der Lichtung wird die Natur im Tal immer uriger, die laubbedeckten Flanken zeigen sich mutiger und wagen steilere Gefälle. Der Bach versinkt mehr und mehr in seiner Furche, die gewunden ist wie eine spazierende Schlange. Nun steigt die Zahl der Quellen spürbar an, von denen jede zum Stehenbleiben drängt, auch zum Lauschen. Bei der nächsten Brücke ist die bekannteste von ihnen erreicht, die mit einer wahren Besonderheit aufwarten kann.
Wer das Ufer wechselt und von den Rastbänken ein paar Schritte hinabgeht, findet auf Bodenhöhe eine Art Kochstelle, in der munter ein kaltes Süppchen brodelt und zu der man sich umgehend bücken möchte. Wie auf mittelgroßer Flamme ist hier schon seit Ewigkeiten ein Eintopf in der Zubereitung, dessen Basis feinster Sand darstellt, der in vielfachen Strudeln verwirbelt wird. Mit zum Rezept gehören auch vollgesogene Kiefernzapfen, Stöckchen und Laub aller Blattgrößen sowie faseriges Holzgulasch. Immerwährend strömt quellfrisches Wasser nach.
Wer nun schon in die Hocke oder sogar auf die Knie gegangen ist, könnte neugierig sein, einmal den Zeigefinger in einem der Strudel zu versenken. Doch das sei mit Vorsicht zu genießen, auch wenn keinerlei Verbrühungsgefahr besteht. Wer also seinen Finger hier ehrfürchtig versenkt, wird mit einem kaum spürbaren Pulsieren in einer anderen Welt begrüßt. Wer es hingegen zu weit treibt und mehr als die halbe Hand eintaucht, muss einen kurzen Ruck und infolge einen nassen Arm bis zum Ellenbogen befürchten, wenn die da unten gerade auf Krawall gebürstet sind.
Ein ebenbürtiges kleines Wunder dieser unauffälligen Stelle zeigt sich dem Geduldigen, der langsam fokussiert, behutsam scharf stellt und sich dann noch etwas tiefer beugt. Zwischen all den kleinen bis kleinsten Waldzutaten huscht es hier und da, auch dort, wo keiner der Strudel hinreicht. Kleine krumme Teilchen, vielleicht Samen oder Nadeln? Je länger man den Blick hält, desto mehr nimmt das Hin und Her zu – vergleichbar mit dem wolkenklaren Sternenhimmel, der immer voller noch von Lichtpunkten wird, je länger man hinaufstiert. Irgendwann sind Beine zu erkennen, eine Zielgerichtetheit und die Struktur der Körper.
Bachflohkrebse sind bekannt dafür, dass man sie selten antrifft und wenn, dann nur an äußerst reinen Quellen. Da es nach weiteren Sekunden des Beobachtens fast schon aussieht wie auf dem Alex um die Mittagszeit, muss das Wasser hier von allerbester Qualität sein. Es fällt schwer, sich von diesem Anblick loszureißen, auch wenn man keine Flöhe mag. Und kann gut sein, dass man auf den Metern hinauf zu den Bänken noch den Rest eines versonnenen Grinsens im Gesicht trägt.
Es spricht nichts dagegen, an dieser Stelle umzukehren und am anderen Ufer den Rückweg anzutreten, vielleicht mit einer weiteren Pause dort im Blockhaus. Wen es hingegen nicht stört, dass der Höhepunkt dieser Tour bereits am Anfang verpulvert wurde, und wer noch neugierig geblieben ist auf andere Waldlandschaften, vielleicht auch einen See, kann hier noch beliebig viel Weg anhängen, um eine schöne Stunde oder drei verlängern. Mit der Unklarheit um den Stand des Jagdgeschehens im Nacken ist die Vielfalt der möglichen Varianten recht beruhigend. Dennoch ist zu sagen, dass ein Teil der ab hier begangenen Wege etwas Entdeckergeist und gewisse Grundlagen an Beinmuskulatur verlangt sowie ein winziges Maß an Leidensfähigkeit.
Der Ursprung der Kunster scheint in einem grasigen Bruchwald zu liegen, dessen Stämme recht hoch gewachsen sind. Gleich dahinter quert ein breiter Waldweg, und kurioserweise findet im Wiesengrund jenseits dieses Weges ein anderer Bachlauf seinen Ursprung, der die Linie der Straße zur Wasserscheide adelt – wenn auch mit ganz kleiner Hausnummer, denn beide Wässer finden schon im nahen Ruppiner See wieder zueinander. Doch immerhin.
Das folgende Stück Weges sieht auf der Karte aus wie ein langer, schnurgerader Forstweg von gleicher Gestalt, hat in der Tat jedoch weit mehr zu bieten. Nachdem der Forstweg als solcher gemeinsam mit einem Radweg links abbiegt, will die gerade Linie erstmal wiedergefunden werden. Da nach wie vor der gesamte Waldboden von einem bronzefarbenem Laubteppich bedeckt ist, gibt es viel Interpretationsspielraum. Links und rechts der gedachten Linie ruhen auf unterschiedlichen Höhenniveaus große Weiherpfützen, unverbunden miteinander und durchaus eindrücklich.
Der gesamte Waldboden ist leicht bewegt, selten mal eine gerade Stelle. Die Spur des Weges ist bald wieder da, doch schlägt sie tiefe Wellen, die zum Teil mit Wasser gefüllt sind. Dieser in allen Dimensionen ausgefahrene Weg, der im späteren Verlauf an eine Weiherkette denken lässt, würde wohl selbst einen Unimog an seine Grenzen bringen, nicht zuletzt wegen zahlreicher querliegender Bäume. Laufen lässt sich mal direkt in den Mulden, mal am Rand, verbunden mit etwas Steigen und Bücken. Manchmal jedoch kommt man kaum umhin, ein langsames Irgendwohineingleiten in Kauf zu nehmen, falls es schlecht läuft. Heute ohne Gummistiefel so eine Sache. Doch die Optik ist grandios, die Pfützen werden immer ausladender, und wenn man wieder einmal hier lang müsste, würde man dieses Wegestück nicht aussparen.
Als dann die Optionen gänzlich schwinden, entdecken wir einen rechts nebenher laufenden grasigen Försterweg, der gerade recht kommt. Nach diesem rettenden Schlenker erreichen wir das Ende dieses Weges der ganz eigenen Kategorie und haben nun wieder einen völlig normalen und ebenen Waldweg unter den Sohlen. Der Wald ist lichter, der Laubteppich unverändert, und am Ende eines Schutzzaunes steht lötkolbenschwarz auf Holz der Hinweis, dass hier Fledermaus wohnt.
Waldweiher
Unvermittelt, wie vorhin die Lichtung im Tal der Kunster, erscheint voraus ein verschwiegener Waldweiher, auf dem Sonne und Wolken gerade etwas mit dem Licht tuschen. Einige Äste ragen aus dem Wasser und am Gegenufer huscht etwas nicht allzu Kleines. Direkt dahinter steht zwischen einigen Fahrzeugen, nicht minder überraschend, der Bernd am Grill, auf dem sich kerzengerade lange Bratwürste der Parallelschaltung durch den Grillrost ergeben haben.
In der Hoffnung, vielleicht den aktuellsten Stand des Jagdgeschehens zu erfahren, fragen wir ihn kurz, doch mit dieser Jagd da drüben, jenseits der Landstraße, hat er gar nichts zu tun. Doch vergebens ist der eher bröckelnde Schnack dann doch nicht, denn er rät davon ab, noch weiter nach Süden zu gehen, da dort gerade eine andere Jagd läuft. Die wird wohl auch bald vorbei sein, wenn ich mir so den Garzustand des Grillguts betrachte, und alle werden sich wohl sehr auf diesen Tagesordnungspunkt freuen, wahrscheinlich schon seit dem fahlen Morgengrauen.
Das heißt für uns, dass der Extrabogen um den nächsten Waldweiher heute besser ausfällt, denn wir sind zwar durch die neongelbe Rucksackhülle gut vom fliehenden Wild zu unterscheiden, doch dieses Risiko ist zu hoch – irgendwie blöde laufen kann es immer. Zudem führt ein bequemer und schöner Waldweg per Luftlinie vor zur Straße, wo nun der schönste Ausgleich kommt – gerade eben werden die letzten Warnschilder abgebaut, die lange Wäscheleine im Wald liegt schon am Boden. Die Jagd ist hier vorbei und der Weg kann fast wie gedacht fortgesetzt werden.
Kurz zuvor kommt zaghaft ein schneeweißes Hochbeinauto abgebogen und hält am Parkplatz. Ehrfürchtig und ebenso zaghaft findet ein edler und vielleicht maßgefertigter Schuh mit zahlreichen Stanzlöchern den Waldboden, ihm folgt ein schlanker Mann im eleganten Mantel. Mit einer orangenen Rose in der Hand und Stille im Blick. Noch ehe wir uns fragen können, warum man so zur Jagd geht, erkennen wir rechts im Wald ein eigenartiges System von Wegen und verschiedenfarbige Plaketten an den Bäumen – es ist ein Ruheforst. Womit alles erklärt ist.
Ruheforst
Jenseits der Straße weisen Schilder nach Stendenitz und zum Zeltplatz. Ein paar Autos kommen von dort, zum Teil vielleicht Jäger im Feierabend, zum Teil Zeltplatz-Urlauber auf dem Weg nach Neuruppin. Bei der dritten Möglichkeit biegen wir ab und lassen den Verkehr hinter uns. Der war zwar kaum der Rede wert, doch waren wir zuvor so tief im Wald, dass es jetzt auch wieder schön ist. Ein bisschen rumpelig zeigt sich der Wald auch hier wieder, einiges Zweigholz liegt quer und später haben riesige Reifen den Weg gemustert, mit Profilrillen, in deren Gegenabdruck der ganze Schuh verschwinden kann. Zwischendurch liegt am Eck ein Fichtenwäldchen, in das wir kurz reinkrauchen und das gedämpfte Licht genießen, wie es so nur Fichtenwald kann.
Nach dem Kampf mit dem Profil und dem Queren eines breiten Weges aus knöcheltiefem Schlamm – Winterzeit ist Waldaufräumzeit – folgt bald ein anmutiger Weg, breit gepflastert mit saftig grünem und hochflorigem Moos. Das schmeichelt den Sinnen und verhilft zugleich den verschlammten Schuhen zu einer Vorwäsche, solange die graue Substanz noch nicht ausgehärtet ist.
Campingplatz Stendenitz
An den Ausläufern eines Lehrpfades, der hier gerade in eine Betonpfütze gebannte Tierspuren präsentiert, kommen wir zum Rand des Zeltplatzes und damit zur Straße, die auf gutem altem Pflaster den Weg nach Rottstiel antritt. Während links der bronzene Hang sanft ansteigt, ist auf der anderen Seite weiter unten das Rottstielfließ zu entdecken, das von dampfertauglicher Breite ist. Das erklärt sich, denn so passen hier auch kleinere Dampfer durch, mit denen man von Neuruppin bis zum nördlichsten schiffbaren Punkt dieses Seensystems an der schöne Boltenmühle schippern kann.
Der verbliebene Tee möchte getrunken sein, die zweite Pause ist ohnehin schon lange fällig, und so finden wir in einem Baumstamm am Wegesrand ein schönes Sitzmöbel, sogar mit ausgewachsenem Spechtloch als Tassenhalter. Währenddessen rammeln ein paar Jungs mit ihren knatteroptimierten Enduros vorbei, die bei Mutti in der Küche vermutlich gerade im Weg standen und zum Spielen geschickt wurden. Da Mutti vermutlich sehr deutlich geworden war, treffen wir sie und sie uns noch öfter.
Försterei Rottstiel
Mit kurzem Blick auf die Häuser von Rottstiel schwenken wir links auf den Uferweg ein, der nach und nach einen schönen Blick auf den Tornowsee freigibt. Dabei steigt der Weg leicht an, so dass von einer natürlichen Aussichtsplattform ein offener Blick über den See inklusive Halbinsel und Taille möglich ist. Am Rand wachsen verschiedenste Bäume, darunter auch eine stattliche Anzahl von Sumpfzypressen. Eine überdachte Rastbank dient einer fröhlichen Schar von Kindern und Erwachsenen als Ort für eine ausgedehnte Pause – was gibt es Schöneres, als bis dicht in die Dämmerung draußen zu spielen und trotzdem nach ein paar Minuten wieder in den behaglichen vier Wänden zu sein. An der nächsten kleinen Aussichtsstelle kommen uns zwei ältere Damen entgegen, zwischen denen in beide Richtungen ein reger Strom von Worten fließt.
Jeder See hat seinen Haubentaucher, egal zu welcher Jahreszeit, doch der vom Tornowsee muss wohl gerade in der anderen Hälfte sein, nördlich der Taille. Nach einem flachen Quelltopf entfernt sich der Weg vom See, die Moppet-Jungs semmeln noch einmal vorbei und drehen hoch, und als die Stille dieses Tages wieder da ist, haben wir den abschließenden Part der Rahmenhandlung erreicht. Der Unterlauf der Kunster fließt durch ein breites, eher offenes Tal mit reichlich Schilf, doch die Zahl der Quellen ist hier nicht minder groß als vorhin im Wald. Von der Brücke über den Bach kann der Blick wieder ausschwärmen, diesmal über ein breites Nassland voller Schilf und abgestorbener Stämme. Der Biber ist förmlich zu spüren, hier und dort auch Bauwerke zu finden.
Nach einem Stück Straße zweigt nach links ein breiter Weg ab, der bald auf Pfadbreite einläuft und dicht entlang des Schilfgürtels verläuft. Eine Handvoll morscher Brücklein helfen über quellfrische Zuflüsse, die direkt der Kunster zustreben. Hinten über dem offenen Tal wirft sich schon langsam der Himmel in Schale, mit blassrosa Wangen und gewisser kühler Distanziertheit. Ein breites Halbrund aus Bänken verweist auf den Wanderweg, der hier einmal offiziell war. Ein paar Schritte später öffnet sich die einzige Wiese, die das Schilfland unterbricht.
Voraus ist schon das erste Licht von den Tierpark-Häusern zu erkennen und gaukelt einem vor, gleich dazusein. Das war auch einmal so, doch mittlerweile ist das Gelände der Waldarbeitsschule komplett umzäunt, nicht mehr durchgehbar, und so ist zuletzt ein weiter Haken durch den Wald erforderlich, der auf den finalen Metern dann noch richtig schnuckelig wird. Vorher jedoch liegt noch eine Art Waldpark, mit Lehrpfad-Tafeln, schöne Wegen und einem anständigen Biberdamm.
Als wir nach einigem Gestrüppkontakt die Straße erreichen, setzt die Dämmerung ein. Der Tierpark hat gerade noch offen, ein paar späte Kinder dürfen auch hier noch spielen und die Enten sind mittlerweile rege am Schnattern, in bester Wochenendlaune. Am Eingang zum Eichkater locken schöne Schilder mit Kapitänstellern und anderen schönen Wörtern, doch leider ist hier Januarpause.
Neuruppin
In Neuruppin haben wir Glück. Zwischen Neuem Markt und der eindrucksvollen Klosterkirche liegt die Siechengasse, frei von Verkehr, und hinter der Siechenhauskapelle wartet nun Heilung für den rechtschaffend knurrenden Magen. Zwischen ganz alten Neuruppiner Balken warten Gemütlichkeit und wirklich gutes Essen, und beim winzigen Verdauungsründchen vor zur Uferpromenade schaffen klirrende Hafen-Maste und anschlagende Wellen ganz zuletzt noch einen kleinen Hauch von Winter.
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): von Berlin-Gesundbrunnen per Regionalbahn nach Neuruppin, dort weiter mit dem Bus (nur Mo-Fr)(ca. 1,75-2,5 Std.)
Anfahrt Pkw (von Berlin): über Autobahn nach Neuruppin, dann weiter über Land ODER B96 bis Löwenberg, dort auf die B167 nach Neuruppin und weiter über Land (ca. 1,5 Std.)
Länge der Tour: 17,5 km (Abkürzungen gut möglich: nur Oberes Kunstertal: bis Forststraße/WP5 und am anderen Ufer zurück insg. ca. 4 km; ca. 6-7 km der großen Runde abkürzen: von WP6 nach WP17 (exkl. ausgefahrene Passage) bzw. zwischen WP7 und WP17 (inkl. ausgefahrene Passage))
Download der Wegpunkte (WP)
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)
Links:
Forellenzucht und Laden Kunsterspring
Touristische Karte des Kunstertals
Einkehr: Eichkater, am Tierpark Kunsterspring
Waldschenke Stendenitz, am Campingplatz Stendenitz
Kiosk am Campingplatz bei der Försterei Rottstiel
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