Nach einem mild durchwachsenen Mai hat auch in diesem Jahr der Juni schnellstens das Sommerkleidchen übergeworfen und verwöhnt alle Kältegeplagten mit Sommertagen, wie sie im Bilderbuch stehen. Selbst an heißen bis rekordverdächtigen Tagen wird stets ein angenehmer Wind mitgeliefert, sodass es sich mit passender Kleidung draußen gut aushalten lässt. Blonde Mädels in den Achtzigern treten ihren alljährlichen Inselmonat an, andere sitzen vorm weit geöffneten französischen Fenster und zeichnen detailverliebte Spielkarten aufs Papier und wieder andere trinken Tee im Atelier und entdecken per Interview ihren liebsten Menschen aus einem neuartigen Blickwinkel.
Im Fahrwasser des plötzlichen Urlaubswetters hört man mehr und mehr Badelatschen übers Gehwegpflaster flappen. Quarkblasse Extremitäten ragen aus kurzen Ärmeln oder Hosenbeinen und hoffen auf erste Vorbräune ohne vorherigen Rotbrand. Das tradierte Bauch-frei-Phänomen hat in diesem Jahr die piefigen Kriterien von Geschlecht und Altersklasse über Bord geworfen, so dass dargebotene Nabel-Umländer von konkav über konvex bis komplex zu erleben sind. Von makellosem Pfirsichsamt bis hin zur fussligen Plauze wird alles ausgestellt, was die Palette zu bieten hat.
Auch auffällig ist in diesem Jahr die Freude an ausgefallenen Brillengestellen in Sachen Sonnenschutz, gern in Verbindung mit stöffernen Anglerhüten. Nicht immer bleibt zweifelsfrei, ob Selbstironie im Spiel ist oder ob eine beinharte Attitüde performt wird.
Davon abgesehen läuft gerade eine dreimonatige Periode, in der es zum Preis einer städtischen Tageskarte ein Monatsticket gibt, mit dem man überall in Deutschland spontan in den nächsten Bus oder die nächsten Straßenbahn steigen kann, auch alle Arten von Regionalbahn sind eingeschlossen. Das ist eine durchaus reizvolle Idee, und ob man nun will oder nicht, werden einige der eigenen Gedankengänge leicht veränderte oder gar neue Wege nehmen.
Ob eine ursprüngliche Absicht am Ende erreicht wird, sei dahingestellt, doch nach Ablauf des Zeitraums werden weit mehr Menschen als bisher mit den gängigen Prozessen vertraut sein, die eine Bahnfahrt mit sich bringt, werden dabei sone und solche Erfahrungen verbuchen können. Einiges davon wird bestimmt hängenbleiben und sollte sich längerfristig sinnvoll auswirken.
Altglietzen (Oderinsel)
Nachdem das Frühjahr beste Reifebedingungen für den Mückennachwuchs bot, ist beim Heraussuchen schöner Wege derzeit Wald zu vermeiden, ganz gleich ob sumpfig, ufernah oder knochentrocken – von verschiedenen Seiten war schon zu hören, wie sich der beschauliche Waldspaziergang zum Fluchtgeschehen wandeln kann, wie wissenswerte Wortbeiträge des Begleiters liebevoll abgewürgt werden, weil mehrere Runstrüssel gleichzeitig ansetzen und einen schnellen Ortswechsel empfehlen.
Eine gute Mischung aus hinreißend schöner Landschaft, sanft-spektakulärem Relief und wogenden Sommerwiesen lässt sich zwischen altem und neuem Oderwasser finden, wo dieses rund um Neuenhagen eine größere Insel erschafft. Die ist landschaftlich sehr vielfältig und immerhin so groß, dass man für eine Umrundung einen gemütlichen langen Tag bräuchte.
Im stattlichen Hochland findet sich ein verschlungenes Netz von Wegen aller Größenklassen, zur Stillen und Alten Oder hin erhebt sich in wechselnder Gestalt eine fotogene Flanke, die durchaus an die wiesenstruppigen Hügelländer gängiger Ostseeinseln erinnert. Immer wieder gibt es besondere Aussichtspunkte, wo die Landschaft ins volle Panorama geht und wo man gern verweilen möchte. Mal führen winzige Bergpfade dorthin, mal geht es über eine lange Reihe steiler Stufen und mal ganz moderat auf einem sandigen Weg, gerade so breit wie ein Pferdehintern.
Bis auf Neuenhagen liegen alle Orte in der Peripherie der Insel, somit nicht auf der Höhe und gern sehr pittoresk am Fuß der Hangflanke. Ein Mittelding dabei ist Altglietzen, denn hier ist das Insel-Relief gen Grenz-Oder schon sanft ausgelaufen. Dennoch sind vom unteren Weg ins Dorf eine Handvoll Höhenmeter zu überwinden, die in Hochwasserzeiten entscheidend sein dürften. Rund um das Wegedreieck nahe der Kirche heißen alle Straßen Altglietzener Dorfstraße, was bei einem Straßenschilderbaum mit drei Ästen amüsant aussieht.
Von hier ist es nicht weit zum westlichen Dorfrand, wo hinter einer kleinen Wendeschleife ein schattiger Waldweg einsetzt, mit ihm ein sommerlicher Duft nach Kiefernkram. Gemächlich gewinnt er an Höhe und gibt bald die Sicht frei auf die erste blonde Gräserfläche, die kontinuierlich vom sanften Wind gezaust wird. Oben überm Horizont sind unentschlossen die Wolkenschleier ineinander verfangen und lassen kaum etwas vom Himmelsblau hindurch. Doch den Regenpropheten wollen sie auch nicht geben, obwohl es hier und da in weiter Ferne grollt.
Die bunten Kornränder, die man ein paar Ecken weiter in der Uckermark in schönster Ausfertigung findet, gibt es hier nicht. Alles spielt sich im grünen Bereich ab, der extrabreit aufgestellt ist und vom schwarzdunklen Grün der Fichten bis hin zum strohgelben, ja fast weißen der rispenden Gräser reicht. Die knapp wegbreite Grasnarbe schluckt hin und wieder eine der beiden Spuren und lenkt den Spaziergänger ganz von selbst auf den verbleibenden, schenkelkitzelnden Pfad. Während links das Feld schon abgeerntet ist, stehen rechts die kräftigen Ähren an kurzen Halmen und dürften auch bald fällig sein. Im schweifenden Fernblick verhelfen sie den Kurven der Landschaft zu noch mehr Weichheit.
Bald schon kommt einer der markantesten Dünengipfel in Sicht, der etwa auf der Hälfte zwischen dem Dorf und dem bewaldeten Granitberg liegt. Schon die allererste Ansicht wäre ein Gemälde wert. Der Weg zum Gipfel biegt im rechten Winkel ab und peilt geradewegs einen ausdrucksstarken Baum an. Der Aufstieg verläuft sandig entlang raschelnder Trockenrasen, deren knapp ausgestattete und farbkräftige Blüten gut von den Bienen besucht sind.
Eine windschiefe Bank, die alle Wetter kennt, hält sich schon seit Jahren hier an diesem ausgesetzten Ort und empfiehlt Kraft ihrer Lehne den Blick auf die Hochebene des Inselinneren. Der ist in der Tat schön, doch wer erstmal hier oben steht, wird noch ein paar Meter weiter gezogen, hin zum banklosen Nebengipfel. Der liegt auf selber Höhe und kredenzt die ganze Breite sowie einiges an Länge des platten Oderbruchs. An Tagen mit makellosen Sichtbedingungen dürfte rein mathematisch gesehen und per Fernglas der Reitweiner Sporn erahnbar sein. Die Erdkrümmung mal außer Acht gelassen …
Die einzig lerchenverzierte Stille dieses Ortes wird plötzlich durchbrochen von einem Mopped, das nach versäumtem Schalten versucht, im falschen Gang den sandigen Hang zu bewältigen. Da Publikum da ist, will sich der Pilot keine Blöße geben und versucht es weiter, doch die Simmi bockt verständlicherweise und sorgt bald selbst für Stille. Danach greift der Notfallplan der schlüssigen Handlung, also etwas zurückrollen, starten und im ersten gemäß der verfügbaren Pferdestärken den Hang erklimmen. Und dann nix wie weg. Was bleibt, ist das typische Aroma von zwei Takten in der Luft, das hier zu Hause ist und niemals allzu schnell verweht.
Bezaubernde Wege kurven nun durch die Wiesen und machen Lust aufs Barfußgehen. Immer wieder schwenkt der Blick nach links und auch nach rechts, denn die Weite gibt mit jeder neuen Minute bestaunenswerte Bilder her, von mehrdimensionalen Weiten bis hin zu terrassierten Wiesenhängen mit eingestreuten Einzelbäumen. Auch dabei ist eine erste groß angelegte Scharte hinab zum Flussniveau, die man als Riese ständig würde streicheln wollen.
Im Knick des Fahrweges beginnt nun ein fußbreiter Pfad, doch ehe das nächste Waldstück erreicht ist, gibt es einige Gründe zum Stehenbleiben, Bücken, wieder aufstehen, dann nach vorne beugen, wieder bücken, auf die Knie gehen oder auf den Hosenboden. Auf Kniehöhe werden einzigartige Duette von kleinen, reich bemusterten Schmetterlingen mit den dazugehörigen Blütlein gezeigt. Die Falter sind mal schwarzweiß oder leuchtend neonorange, mal ähneln sie den Klassikern wie Admiral oder Tagpfauenauge, sind es jedoch nicht. Jeweils ist eine Sorte an einer bestimmten Blume zu finden, und einige sind erstaunlich geduldig im Stillhalten oder dem kurzen medienwirksamen Aufklappen á la Snapchat.
An der nächsten Waldlichtung mit ihrer üppigen Wiese gibt es wieder ganz andere Schmetterlinge und rings umher hochgewachsene Nadelbäume aller Art, in der Summe einen Hauch von Mittelgebirge. Dazu passend setzt sich der Weg nach dem nächsten Abbiegen in einen versteckten Hohlweg fort, dessen Scharte sich immer tiefer einschneidet. Kurz nach einer sandigen Lichtung voller Kienäppel steht das erste Haus von Gabow. Von der anderen Seite kommend würde man hier nicht unbedingt einen gangbaren Weg vermuten.
Gabow I
Da nicht allzu viele Dörfer am Weg liegen, Dörfer am Weg jedoch dazugehören und immer eine willkommene Abwechslung sind, werden wir Gabow einfach mehrfach verwenden, jeweils aus einer anderen Richtung kommend. Das sollte hinhauen und jeweils als neues Dorf durchgehen.
Der Abstieg von der Höhe des Granitberges, dessen Gipfelpfad heute der Wärme wegen ausgeklammert wurde, endet an der Dorfstraße, die unweit des Altglietzener Hauptgrabens und der Stillen Oder verläuft. Dementsprechend saftig sehen die Auen aus, die sich am hinteren Rand der Grundstücke entlangziehen.
In der Dorfmitte gibt es dieselbe schöne Rundbank um einen kräftigen Stamm wie auch in Neuglietzen, gegenüber ein winziges Backsteingebäude unbekannter Funktion und mit ihm im Ensemble ein ansehnliches Fachwerkhaus, das seine Fassade selbstbewusst ins Bild hält. Nicht weit davon finden sich noch die Karten für Radfahrer und Spaziergänger sowie die Bushaltestelle, wo auch prompt ein Bus hält. Könnte man jetzt einsteigen und sich durch die schöne Landschaft kutschieren lassen, einfach so. Und nach einer Runde dann hier weitergehen. Oder unterwegs am nächsten Biergarten aussteigen und was pietschen, dann erst zurück und danach weitergehen. Oder noch ganz anders.
Über unverwitterbare Feldsteinmauern fällt der Blick in die Obstgärten und die dahinter anschließende Landschaft der Flussaue, und schon bald biegt ein Weg genau dorthin ab. Der erhoffte Wind für eine Pause ist dort nicht zu finden, doch ein paar Schritte weiter bietet sich eine schöne Uferstelle an, mit idealer Böschung, die einen nicht ins Wasser rutschen lässt, dennoch bequem Platz für die Beine bietet. Gratis dazu gibt es einen der schönsten Blicke auf das Dorf mit der Kirche im Berg, auch der für ein Gemälde gut.
Gegenüber im Ried tönen in bestem Stereoton zwei Teichrohrsänger, die erzählfreudigen Humoristen der schilfigen Uferkanten. Hin und wieder sorgt ein fetter Fisch für Lärm, Blasen und konzentrische Kreise, fast regelmäßig fangen große Libellen mit ihren abrupten Flugmanövern den Blick ein. Wie zu erwarten schaut eine penetrante Bremse vorbei, doch hat die scheinbar von der Demse auch schon eine weiche Birne und lässt sich beim ersten Versuch k.o. schlagen. Eine Vertretung bleibt aus.
Das folgende Stück Landstraße lässt von der Verkehrsdichte her an Westernszenen denken, die um die Mittagszeit spielen. Nur ein einziges Auto stört die paar Minuten, das vorher von flirrender Hitze verzerrt und scheinbar ewig lange nahte und doch nicht näher kam. Mit Blick nach links ist die Anhöhe von vorhin zu sehen, die mit dem Baum und dem Moppet. Beim Abbiegen auf den nächsten Feldweg erweist sich als gute Entscheidung, am Rand von Altglietzen nicht den Verlockungen der weiten Ebene erlegen zu sein.
Den einzigen Schatten am Weg wirft ein Stapel aus Strohrollen, etwa so groß wie eins der vielen Kolonistenhäuser in Gabow I. Und den dann auch noch in die falsche Richtung. Gut, wenn man den Schatten zum Mitnehmen dabei hat, sei es in Form eines breitkrempigen Hutes oder besser noch eines Schirmes mit weißer oder silbriger Außenhaut, der auch bei größter Knallsonne ein gut erträgliches Mikroklima schafft. So auch jetzt.
Die letzte Pause war zwar gerade erst, doch erstens sollte man an allzu warmen Tagen öfter pausen, zum anderen ist der nächste Platz am Oderufer so schön, dass man da einfach nicht vorbeigehen kann. Ein vergangener Steg im glasklaren Wasser sorgt für etwas Archaisches, die dicht bewachsenen Ufer für unmittelbare Naturpracht, und nach links ist über dutzende Seerosenteppiche das Dorf mit der Kirche im Hang zu sehen. Hier hätte man wohl auch Tom Sawyer drehen können.
Gabow II
Unterhalb einer Rastraufe sitzt ein junges Pärchen, er kümmert sich um die Angel, sie hält mit dem Fernglas Ausschau nach Ausschauenswertem, beide scheinen stillvergnügt. Kurz darauf überqueren wir am eindrucksvollen Schöpfwerk Neutornow, seit Kurzem einer der Kulturerbe-Orte des Oderbruchs, die Stille Oder und stellen anhand des Erklär-Schildes fest, dass die Kirche ja gar nicht zu Gabow gehört sondern zu Neutornow. Na umso besser!
Neutornow
Die schön gelegene Kirche ist ganz klar blickbestimmend. Schließlich überrascht sie uns noch mit einem der schönsten Stiegenwege weit und breit. Der schattige Friedhof verteilt sich über den sanften Hang. Zwei freundliche Damen frischen gerade im großen Stil die Blumen auf den Gräbern auf, dazu stehen mehrere Eimer prall gefüllt mit knackigen gelben Schnittblumen auf dem Weg.
Die flach ansteigenden Stufen sind derart bemessen, dass man nicht zu große Schritte macht, automatisch einen anmutigen Gang erhält und die Kirche keinesfalls außer Puste erreicht. Die dicht stehenden Bäume beiderseits der Stufen sind teils von Efeu umrankt, die ganze Kulisse ist sehr romantisch im Sinne eines Caspar David Friedrich. Der war ja ein Zeitgenosse von Theos Vater Louis Henri Fontane, welcher ein Dorf weiter den letzten Abschnitt seines Lebens verbrachte. Begraben wurde er an hervorgehobener Stelle hinter der Kirche hier.
Nur ein paar Schritte von der großen Grabplatte steht eine Bank mit schönem Blick auf die weite Ebene, der man sich kaum entziehen kann. Unten aus einer Garage tönt ein leierndes Gebumbel, das sich nach und nach als Michael Jackson Billie Jean entpuppt. Das Leiern war wohl dem launischen Wind geschuldet, und die Nummer hat bis heute nichts, aber auch gar nichts verloren. Gedanken an zwei Klassiker der Weltkultur am selben Ort …
Bergkolonie
Der Friedhof lässt sich durch ein Hintertor gegenüber des Kirchturmes verlassen, wo direkt ein schattiger Weg den Anstieg fortsetzt. Der wird bald zum Pfad und verläuft oberhalb einer tief eingeschnittenen Hangscharte. Wieder im Licht führt ein Sträßchen zwischen grasigen Hängen und Streuobstgärten entlang zur Bergkolonie, in deren Vorgärten eine markante und scheinbar ortstypische Art von Ziehbrunnen zu beobachten ist.
Hinter dem letzten Haus biegt der offizielle Dorfrundweg rechts ab, wir mit ihm, und lenkt die Schritte über einen stoppeligen Wiesenweg, zwischen sanften Höhen entlang. Die Felder sind frisch abgeerntet und die Optik lädt zum Rumkugeln ein, doch das dürfte ganz schön pieksig sein, selbst für Wettergegerbte. Über der Landschaft zeigen sich die Wolken nun bereitwilliger zu etwas Aktion. Von Südosten kommen noch plüschige Haufen in Weiß daher, doch weiter links macht sich eine abgedunkelte Wand zum Aufbau bereit, bestätigt von fernem Grollen.
In einer kurzen Hohlgasse geht es schwül dampfend zwischen Rosenbüschen und Holunder hindurch, eine letzte blütenweiße Dolde hält zwischen den ersten hartgrünen Stadien der werdenden Beeren die Stellung. Die Schwirrenden zeigen sich aufsässig in diesen wenigen Metern der Windstille und scheinen auch das Wetter zu erwarten.
Gabow II, die zweite
Nach einem Bogen und einem unerwarteten Weg zwischen zwei Zäunen empfängt uns das erste Haus des nächsten Dorfes. Eins der Nachbarhäuser lässt in Grundgestalt und Neuinterpretation durchaus ans Mediterrane denken, ein kleines gekonntes Kunstwerk in der Disziplin der Landlust. Von hier geht es jetzt nur noch bergab, unten dann vorbei am Dorfplatz von vorhin. Kurz nach Ende der bekannten Passage endet Gabow mit einem Schnitt in Sachen Landschaft, denn umgehend öffnet sich ein rahmenloses Fenster auf die Höhen von vorhin, die von unten nun nicht weniger anziehend sind.
Ein Mann hat gerade drei Pferde am Wickel und ruft einer vorbeiradelnden Dame einen knappen Satz mit blassem Fragezeichen zu, der sie zum Anhalten samt obligatorischem Wortwechsel animiert. Hinaus über wie geht’s muss ja folgen noch konkretere Fragen und er erfährt, dass sie ins übernächste Dorf fährt, da ist Dorffest, da will sie Kuchen holen fürs Kaffeetrinken, die Ingrid und die Dörte, die backen doch so legendär. Naja, er muss ja noch die Pferde und wird mal sehen, wie spät dann is.
Der stille Radweg mit seiner hellen Pflasterung könnte definitiv irgendwo an der See zwei Dörfer verbinden. Die zahllosen Bilder der Sonderklasse sorgen für viel Entzücken und viel zu viele Auslösevorgänge. Links reihen sich Hügel und Hänge mit ihren bewegten Wiesenmatten aneinander, hier und da öffnet sich eine Kehle oder ein Zwischental.
An mehreren Stellen verlocken Pfade von schöner Gestalt zum kurzen Ausflug in die bekannte Höhe, die Wolken tragen das ihre dazu bei. Wieder nehmen wir dieselben Bilder wie beim letzten Besuch hier, und wieder darf keines davon fehlen. Es ist ein so unfassbar schönes Stück Weg, links die Wiesenflanke der Dünenberge, rechts die grüne Weite mit ihren versprengten Dörfern.
Zuletzt geht es angenehm schattig durch eine Gasse aus Büschen und Bäumen, bis ein letzter dicker Poller ohne rechte Funktion Altglietzen ankündigt. Jetzt noch die erwähnten Meter hoch zum Dorfplatz mit der Rundbank und den nahen Bushaltestellen, es drückt nun zum ersten Mal am Tag so richtig. Gut zu wissen, dass die Einkehrmöglichkeit am Rande des Dorfes einen schattigen Biergarten hat!
Doch alle Anzeichen waren wieder nur leere Versprechungen, zumindest für den Augenblick bleiben die Wolken zugeknöpft, und so wäre ein Eis schön, vielleicht im nächsten Städtchen. Ohne Suchen führt uns der Weg zur östlichen Bad Freienwalder Vorstadt, und schon von Weitem verrät eine kleine Schlange den gesuchten Ort.
Was wir hier finden, ist aber nicht einfach nur eine Eisdiele, sondern gemäß Beschriftung und durchaus überzeugend auch Eis- und Cocktail-Treff mit Pizzeria, wobei die Betonung deutlich auf Treff und dem namentlich unerwähnten Bier liegen sollte. Ein einladender Ort für jung und alt zum Kurzbesuchen oder zum Verweilen, drinnen urig, draußen mit kleinen Sitzterrassen und einer extralangen Eisleckbank. Eine pinke Schar eigenartiger Geister klappert im Zickzack die Straße ab, vor sich einen fahrenden Bauchladen, ist bald verschwunden und doch nie ganz weg.
Als sich die Eis-Schlange zerstreut hat, treffen wir unsere Wahl und werden darin vom zapferfahrenen Mann an der Eiszange bestätigt – die Damen nehmen meistens Waldbeere-Joghurt, die Männers fast immer Zitrone zur Schokokugel. Im Genuss verschmelzen die Kühlung unterm Gaumen und die eigens für uns bestimmte, schöne Wahrheit miteinander. Die mittsommerliche Sonne steht hoch über allem und denkt noch lange nicht ans Sinken.
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): S-Bahn oder Regionalbahn bis Strausberg Nord, dann weiter mit Bussen (über Bad Freienwalde) (ca. 2 Std.); wahlweise auch per Regionalbahn nach Eberswalde, dort umsteigen nach Bad Freienwalde, dann weiter mit dem Bus (ca. 2,25 Std.)
Anfahrt Pkw (von Berlin): über Landstraße (B 158) nach Bad Freienwalde (Sommer 2022: derzeit großräumige Umleitung über Prötzel und Wriezen) und weiter nach Altglietzen (ca. 1,25-1,5 Std.)
Länge der Tour: ca. 12 km (Abkürzungen gut möglich)
Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)
Links:
Altglietzen (knappe Information)
Internet-Auftritt der Oderinsel Neuenhagen
Kulturerbe Oderbruch (mit kurzem Film)
Einkehr: Zur Satteltasche, Altglietzen
Zur Oderbrücke, Altglietzen
(mit 1 km Abstecher nach Schiffmühle: Fontanehaus mit Café)
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Ein sehr schöner Wanderbericht und die Route habe ich mir gemerkt. Konvex, konkav und komplex zum Thema Nabelschau haben sich jetzt schon fest in meine Gedankenwelt verankert. Danke!