Der Dezember hat sich wie in jedem Jahr wieder die Adventskleider übergeworfen. Doch in diesem Jahr wollen Sie nicht recht passen, auch wenn alle Beteiligten wirklich ihr Bestes geben und möglich machen, was eben geht. Dazu zählen füchsische Listen, ferner die Spielweiten der Interpretation von Vorgegebenem sowie das maximale Eindampfen von weihnachtlichem Marktgeschehen auf Minibude, Becher und Pappe, was dankbar angenommen wird.
In der Großstadt wird solches naturgemäß schnell überreizt und erledigt sich damit selbst, auf dem Lande hingegen macht es winzige Episoden echter Adventsstimmung möglich, die herzwärmend aufzeigen, wie wenig eigentlich nötig ist. Davon abgesehen ergeben sich in vielen Treppenhäusern der Großstadt, wo sonst kaum einer den anderen kennt, kleine Begebenheiten echter Weihnachtlichkeit, die man nur wahrnehmen muss.
Ansonsten wissen sich viele Menschen selbst zu helfen und vertagen Glühwein und Heißes vom Grill in den eigenen Garten, sodass das würzige Getränk eine Zeitlang die Begehrenskategorie von Nudeln und Klopapier erlangt und mancher Feuerkorb noch mal aus der Winterruhe gerissen wird. Jeder macht irgendwie das Beste draus, und manche alte Gewohnheit muss in diesem Jahr komplett umgekrempelt werden. Womöglich wird das nachwirken und in einem guten Sinn Auswirkungen auf weihnachtliche Reisegeschehen künftiger Jahre haben.
Ansonsten gelten ähnliche Regeln wie im Frühling, die jedoch entgegen der Erwartung keinesfalls leichter von der Hand gehen – wo man sie doch schon kennt. Vielleicht hat das in gewissem Maße mit der Jahreszeit zu tun, die ja im Frühling für viele Menschen ein Aufatmen bedeutet, im Winter dagegen eher ein Kopfsenken. Zum Regularium zählt also auch wieder, die eigene Höhle nur mit gutem Grund zu verlassen. Bewegung im Freien zählt dazu, sodass zum Ausschwärmen nach Brandenburg keine spitzfindige Grauzone betreten werden muss, wenn man denn betont einsame Gegenden durchstreift. Und die gibt es in fast allen Winkeln von Brandenburg, was kein Geheimnis ist.
Werbellin
Zwischen Eberswalde und Joachimsthal fährt ein Bus, der etwa auf der Mitte auch in Werbellin hält, einem hübschen Dörfchen, zu dem das Dauerrauschen der Autobahn gehört. Dieses wird vom Wind mal betont, mal lässt es sich fast vergessen. Entsprechend der naheliegenden Vermutung ist es von hier nicht weit zum allseits bekannten Werbellinsee, dessen Uferlinie in einer guten halben Stunde erreicht ist, der schöne Seeort Altenhof nur wenig später.
Ein wahres Kleinod unter den märkischen Landschaften liegt jenseits der Autobahn und blieb vielleicht eben deswegen weitgehend unbekannt – für viele Ausflügler ist die Nähe der dauerlauten Piste ein Ausschlusskriterium. In der naturgeschützten Buckowseerinne liegen zwei der schönsten Wegekilometer, die das Bundesland zu bieten hat. Große Worte, dessen bin ich mir bewusst. Und würde sie sofort wieder schreiben, ohne den kleinsten Gewissenszwack.
NSG Buckowseerinne
Was die Eiszeit hier modelliert hat, ist so anmutig und zugleich leicht archaisch, bezaubernd und von wildem Relief, hat fast etwas Nostalgisches. Wenn die Landschaft auf einmal schwarzweiß oder sepiagetönt wäre und einem behäbige Fuhrwerke mit vorgespannten Ochsen entgegenkämen oder Schnitter mit gewaltigen Garben frischen Strohs auf dem Rücken, so richtig staunen müsste man nicht.
Die Landschaft mit ihren vielen Weihern ist blickesweit leicht geschwungen, was man schon zu Beginn in den Waden spürt – es kommen viele kleine Päckchen von Höhenmetern zusammen, ganz egal, ob man nun die dreistündige Rundwanderung nimmt, die unten zu sehende Vollversion oder den zweistündigen Schöpfungspfad, der trotz seiner Kürze keine von den feinsten Pralinen dieser Landschaft weglässt.
Darüber hinaus wird der Schöpfungspfad von durchweg lesenswerten Tafeln begleitet, deren Zeilen insbesondere in diesem Jahr trostspendend und aufbauend sein können, ohne dabei spürbar zu frömmeln. Keine großen Textblöcke, sondern eher das gute Maß einer Minute. Und danach jeweils ein schönes Stück Stoff im Gedankenwerk für Plaudern oder Schweigen bis zur nächsten Tafel. Das Ganze ist wirklich sehr gelungen.
Der Rahmen also lässt sich beliebig groß anlegen. Der Schöpfungspfad entfernt sich nicht nennenswert von der Buckowseerinne, der Rundwanderweg nimmt noch die Dörfchen Buckow und Werbellin dazu und auch ein Stück vom Großen Buckowsee. Die große Variante hier schlägt noch den Bogen über Lichterfelde und tingelt hinterm Dorf auf herrlich weiten Wiesenwegen zur nächsten Wohnsiedlung.
Diese nun zählt kurioserweise zur Stadt Eberswalde und wurde nach Clara Zetkin benannt ist, welche viele wohl eher vom vorvorletzten Zehn-Mark-Schein kennen denn als Frauenrechtlerin und Friedensaktivistin. In Sachen Wasser kommt dort noch der breite Oder-Havel-Kanal ins Spiel, der trotz seiner autobahnähnlichen Eigenschaften durchaus eindrücklich ist, zumal der ganze Tag schon fahl und etwas mystisch unter Frost und Nebel liegt und die lange Weite des Wasserbandes unscharf beschneidet.
Hinter den letzten Häusern von Karlshöhe geht es noch ein Stück höher, dann rasch hinab zum Großen Buckowsee, dessen steile Uferhänge von Buchen bestanden sind und damit an märkische Seenklassiker wie Wutzsee, Liepnitzsee oder das benachbarte Großkaliber des Werbellin denken lassen. Wo dieser von Sagen umwoben, ist der Große Buckowsee heute von Winternebel gedämpft und überdeckt, sodass sich der Autobahn-Rastplatz über dem jenseitigen Ufer nicht mal erahnen lässt. Die Enten treiben drüben ihre Schabernacke, ein Graureiher zieht in diesem elchganggleichen Flugstil übers Wasser, die Brust der Stirn stets leicht voraus. Die Krähen, welche klagend die Jahreszeit für sich beanspruchen, sind zu hören nur, doch nicht zu sehen.
An der Ostbucht umrundet ein Pfad historische Gemäuer einer Mühle mit ein paar eingekreisten Bungalows, bevor am Kanzelberg noch einmal die Landschaft von vorhin in die Wiesenhügel locken will. Was uns betrifft ist es dafür zu spät, denn die Sonne hat sich schon verabschiedet und die halbstündige Lichtreserve läuft heute trotz oder wegen des Nebels besonders schnell ab.
Nach der Autobahnunterführung liegt rechts das Irrenhaus, was mit lockerem Blickwinkel irgendwie gut zum Schöpfungspfad da drüben passt – gelten doch die sogenannten Irren oft als die einzigen Normalen. Hier jedoch handelt es sich um einen Ort, wo man durch und durch freiwillig einkehren, übernachten oder Feste begehen kann, wobei unter anderem Ritter, Schneiderscheren und Pferde eine Rolle spielen.
Werbellin
Vorhin war von echten Weihnachtsmomenten im Treppenhaus die Rede. In Werbellin gab es dann auch noch so einen Moment, gänzlich unerwartet, mit voller Wucht und einem Bild fürs Langzeitgedächtnis. In der Mitte des Dorfes steht ein Kirchlein von ungewöhnlicher Form, was schon beim Grundriss anfängt und sich in der burgähnlichen Gestalt des hochkanten Gebäudes fortsetzt. Am kleinen Turm gibt es sogar einen holzverkleideten Rundgang, und in das Kirchenschiffchen geht man um drei Ecken.
Das Innere ist urig und fast wohnlich, mit viel Holz und Malerei, der Altarraum wurde erleuchtet von einem wunderbaren Weihnachtsbaum, der so warm schien, als stünden echte Kerzen drauf. Links war für den Heiligen Abend und die Weihnachtstage die Krippe vorbereitet, Schafe und Strohballen warteten in der Stille dieses Raumes auf den alljährlichen Einsatz vor kleinstem oder keinem Publikum. Ein Echo dieses Bildes gibt übrigens – an jedem Tages des Jahres – das Fenster direkt darüber: es zeigt das brotlaibgroße Jesuskind in seiner Krippe, umgeben von beiden Eltern.
Dorfkirche Werbellin
Die Kirche im sogenannten Landstil ist als sogenannte Autobahnkirche tagsüber offen. Und auch wenn sie neben dieser nüchternen Bezeichnung noch einen richtigen Namen verdient hätte, vielleicht St. Brausius, wird einem dadurch doch die zugleich kuriose und sinnvolle Bedeutung solcher Kirchen gegenwärtig, die ja insbesondere diesem Jahr innewohnt, wenn auch zwangsweise: mal das Tempo rausnehmen, wenigstens kurz. Einen Augenblick analog und nur vor Ort sein, nichts beweisen und darstellen müssen. Einfach in die Bank sinken, die Schultern folgen lassen und in der Stille auf den Puls horchen, bis dessen Frequenz der des Atmens entgegenkommt. Es kann eine kleine Kur sein, ganz gleich ob man sich als religiös oder als strenggläubigen Atheisten sieht.
Wer dann hinaustritt, atmet tiefer durch, sieht vielleicht ein wenig klarer und hört sogar die weit entfernten Scharen der Zugvögel, die noch immer abwägen zwischen Aufbruch oder Bleiben.
Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Bahn bis Eberswalde, dann Bus in Richtung Joachimsthal (1,75-2 Std.)
Anfahrt Pkw (von Berlin): über Autobahn oder Landstraße (0,75-1 Std.)
Länge der Tour: 18 km (Abkürzungen mehrfach möglich)
Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)
Links:
Rundwanderung NSG Buckowseerinne
Einkehr: Irrenhaus, Werbellin
Omas Speisekammer, Lichterfeld
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