Neubrück: Laute Schirme, leuchtendes Moos und die Spree in Eile

Nach mehreren nassen Tagen ist auch für heute Regen angesagt, und zwar von früh bis spät und dann noch weiter. Das Wetterradar zeigt fast nur drohend dunkles Blau. Kein Tag also, an dem man unbedingt rausgehen möchte.

Wasserwanderrastplatz, Neubrück an der Spree

Die Vorboten des Vorvorfrühlings zeigen sich hingegen zustimmend, nehmen die Durchtränkung des oberen Bodens dankend an und senden in den mildesten Momenten des Tages schon mal duftende Hoffnungsschimmer für alle Wintermüden aus. Ein kleiner Duft von allererstem Wachstum und aufgebrochenem Erdreich, freigelegt durch einen kurzen Sonnenstrahl. Oder die Senke eines winzigen Bachsals, dessen im Tiefen hängende Frischluft kurz aufgewirbelt wird.

Im Walde südlich von Neuhaus

So grau der Tag ist, betont er umso mehr jede Schattierung von Grün. Das gilt schon für die weiten Wiesen zwischen den Waldstücken, im Wald dann noch mehr für das gründunkle Nadelwerk oder von Flechten bedeckte Ästeleien. Die weiten Moosteppiche schließlich sind vom tagelangen Niederschlag aufgeladen und quietschen ihr kräftiges Grün regelrecht heraus, leuchtend und intensiv wie eine Neonreklame. Obendrüber sind immer wieder all die großen Vögel zu hören, welche der Landstrich bietet. Das ist in dieser Ausfertigung eher ungewöhnlich für die Spree – doch zur Oder ist es ja nicht weit. Doch von wo eigentlich?

Die volle Spree unweit des Wehres, Neuhaus

Nördlich von Beeskow kommt die Spree ins ausladende Mäandern, schlägt große Bögen von einem Waldrand zum anderen und sorgt so für weite Wiesen, die als Auwiesen durchgehen sollten. Leicht hügelig ist das Gelände, und so ergibt sich ein liebliches und einladendes Landschaftsbild, wo es an jeder zweiten Wegscheidung schwerfällt, sich für einen der Wege zu entscheiden. Bevor der Fluss von Nord auf West dreht und den Oder-Spree-Kanal ein ganzes Weilchen unterbricht, passiert er Neubrück, später noch Drahendorf, beides hübsche Dörfer.

Aufgemoppelter Saalbau nahe der Schleuse, Neuhaus

Neubrück

Wobei Neubrück schon deutlich Niederlausitz atmet. Die ist zwar noch eine Ecke entfernt, doch manches an diesem Dorf erinnert an verschiedene Stellen dort. Neubrück hat zwei Kerne, deren östlicher Neuhaus heißt. Dort liegt mit der hübschen kleinen Zugbrücke die Schleuse, in deren Süden der Wergensee. Vom Ortsausgang führt ein Sträßchen auf direktem Wege nach Müllrose. Einmal der schnurgeraden Dorfstraße in die Gegenrichtun gefolgt landet man im eigentlichen Ortskern mit der Spreebrücke und dem direkt benachbarten Café. Bushaltestellen haben beide Ortsteile.

Plausch an der Schleuse, Neuhaus

Eine der eigenen Erfahrungen, die an die Niederlausitz denken lassen, sind die ganzen Frühblüher, die es hier Mitte Februar schon zu sehen gibt. Neben den gelben Winterlingen, den weißen Schneeglöckchen und den zumeist violetten Krokussen finden sich sogar schon ein paar allererste Märzenbecher, die von Bauform und Design her so formvollendet und anmutig sind, dass es sie eigentlich in Wirklichkeit gar nicht geben kann. Wer noch nie mit so ein Blümchen auf Augenhöhe war, dem kann ich dieses in die Knie gehen nur empfehlen.

Neuhaus

Die Schleuse liegt still unter dem kaum vernehmbaren Rauschen des Niesels, kein Mensch ist zu sehen und die Vorstellung eines ausgedehnten Plausches übern Gartenzaun gerade noch weit weg. Mit etwas Phantasie kann man sich das kleine, bunte Treiben vorstellen, das Klappern von Paddeln auf Bootsleibern, auch das Grün und die Farben der nahenden Monate.

Kurz hinter der Schleuse steht ein halbwegs eleganter Saalbau, der vor gut zehn Jahren noch eine Baustelle hinter staubigen Scheiben war. Heute sind Fassade und Fenster hergerichtet, der Raum ist durchaus mondän zu nennen. Mit Durchblick in den Garten durch hohe Bogenfenster, über der sparsamen und ausgesuchten Möblierung ein Emporengang, der über elegante Wendelstufen zu erreichen ist. Ein schöner Ort, der hier zum Leben erweckt wurde.

Eilige Spree zwischen Neuhaus und Neubrück

Die Straße Zum Wehr strebt direkt zur Spree, die gleich hinter dem Wergensee fließt und mit diesem das Wasser teilt. Voraus sind Gänse zu hören, die über dem Fluss ihre Bögen ziehen, auch viele Enten sind in kleinen Trupps in der Luft unterwegs. Die Spree führt gut Wasser, rauscht nur wenige Zentimeter unterhalb eines Betonsteges entlang und ist zügig unterwegs, wie sich am besten auf der Flussmitte erkennen lässt. Gelandete Enten finden sich gleich ein paar Meter weiter wieder, ihr mitteilsames Schnattern klingt dementsprechend empört. Gegenüber im zerrupften Winterschilf steht ungerührt ein Seidenreiher im Profil, bleibt unbewegt und erhebt sich eine Minute später ohne Vorwarnung und ohne Anlauf in die Höhe.

Die Spreeufer sehen auf beiden Seiten zerzaust aus, hier und dort setzt sich das Wasser über die eigentliche Uferkante hinweg und tränkt knöcheltief den Rand des buckeligen Weidestreifens, der übersät ist von gewagten Maulwurfshaufen. Ein einzelner Baum mit charismatischer Schieflage betont noch das wilde Erscheinungsbild des Flusses. Der Weg entlang des Weidezauns ist untergepflügt oder derzeit nicht erkennbar, doch etwas weiter im Inneren gibt es noch eine Alternative.

Eiscafé im Februar

Neubrück

So oder so landet man am Rand von Neubrück und kommt bald beim weitläufigen Wasserwander-Rastplatz heraus, der auch gut als Festplatz taugen dürfte. Zwei Pavillons sind passend wie selten und verschieben die erste Pause des Tages etwas nach vorn – so eine Gelegenheit sollte man an diesem nassen Tag nicht verstreichen lassen.

Eiscafé im Mai

Die Wiese der Uferböschung ist der Tummelplatz einer kleinen Horde von Hühnern, die einigen Jux mit ihrem Gockel treiben, neugierig ausbüchsen oder konspirativ die Köpfe zusammenstecken, wenn er gerade den Blick woanders hat. Er versucht die Lage durch planfernes Herumstelzen zu regulieren, doch letztlich bleibt es dabei, dass er sein Mühen hat und die Mädels ihren Spaß.

Deichweg bei Neubdrück

Vom Rastplatz sind es nur ein paar Schritte zur urigen Terrasse des Eiscafés, das es hier schon eine ganze Weile gibt. Die grobhölzerne Stallage vermittelt eine Prise Südstaatencharme. Direkt unterhalb liegt ein kleiner Anleger, ideal für Kajaks und Kanus. Heute trommelt der Regen aufs Terrassendach, doch die kreidebeschriebene Karte hängt verheißungsvoll draußen und ist bereit dafür, dass bei passendem Wetter und Gastaufkommen sofort geöffnet werden könnte. Pfirsicheisbecher – heute noch wenig interessant, doch schon bald ein gängiges Ziel der Begierde. Heute wäre das eher ein heißer Kakao, gern auf der Terrasse.

Wiesengrund des Langgrabens

Von der Brücke bieten sich erhebende Blicke auf die Kurven der Spree und einiger Nebengewässer, deren Flächen ebenso dunkelsilbrig spiegeln. Direkt nach der Brücke lässt sich abbiegen auf einen reizvollen Deichweg. Der umrundet eine weite Wiesenbucht, die einiges vor der Jahrtausendwende auch noch geflutet war. Heute liegt sie als Wiesensenke, die man besser nicht ohne Gummistiefel queren sollte.

Blick in den Wiesengrund des Langgrabens

Wohltuend farbkräftig ist es nach all dem Fahlen und Blassen im nächsten Wald. Fast überall am Boden ist es grün, das meiste davon das erwähnte Moos, welches saftig, farbgesättigt und fast schon aufgeplustert all die kleinen Buckel zwischen den Kiefernstämmen bedeckt. Die wiederum sind kräftig braun, ähnlich die beiden Wegespuren, und alles zusammen ergibt im augenschmeichelnden Kontrast und gemeinsam mit der nadeligen Waldluft etwas ungemein Wohltuendes für die gesammelte Wahrnehmung.

Farbgesättigter Wald vor Raßmanndorf

Ein Wäldchen weiter quert ein Wasserlauf den Weg, schmal und kaum im Fluss, doch durchaus unterwegs, und zwar in Richtung Spree. Schnurgerade über die weite Wiese kommt er, verweilt kurz in einem von Gras-Köpfen besiedelten Tümpel und setzt sich im Wald mit ganz neuem Charakter fort – leicht dramatisch, in kleiner Schlucht und von gestürztem Astwerk verwühlt. So klein das Wässerchen ist, gestaltet es doch die ganze weite Wiese, fast bis hin zur Straße.

Wäldchen mit Weißmooseppich

Raßmannsdorf

Der gerade Waldweg führt vorbei an einer dicht bestandenen Schonung, deren Boden lückenlos von Weißmoos bedeckt ist. Es scheint regelrecht hindurch in all dem Grün und Braun. Kurz hinter dem winzigen Friedhof beginnt Raßmannsdorf, ein beschauliches Straßendorf. Beim Dorfausgang gibt es eine kleine Pension mit hübscher Außenanlage, die laut Aushang offen haben soll.

Wahrhaftig ist auf den zweiten Blick Licht zu sehen, sogar ein junges Pärchen, das im Kaminzimmer sitzt, und nach kurzem Gedankenschluckauf sitzen auch wir dort, warm und trocken. Ist es doch ähnlich erstaunlich, dass an einem solchen Tag jemand sein Café offen hat und an einem solchen Tag auch Spaziergänger des Wegs kommen. Das verdient Respekt in beide Richtungen.

Die regennasse Spree im Februar, Spreebrücke Raßmannsdorf

Auch wenn nichts brennt und knastert, ist es sehr gemütlich jetzt in dem formvollendet möblierten Raum. Der Herr hinterm Tresen ist behende und ebenso elegant wie die stilvolle Einrichtung und sollte hier als Accessoire niemals fehlen. Ergänzt wird er durch eine herzlich brandenburgernde Dame, die eher von hier stammen dürfte als er.

Ein betagter Mops liegt viel lieber auf dem Fußabtreter als auf seiner Decke, fordert von jedem neuen Besucher einen Ausfallschritt und inspiziert dann jeweils hinterm Tresen die Bestände. Das erneute Hinlegen braucht ein paar Sekunden, bis schließlich alles passt und kurz über den kinnstützenden Pfoten die Augen mopstypisch gelangweilt verdreht werden.

Paddler im Frühsommer, Spreebrücke Raßmannsdorf

Von der zweiten Spreebrücke sieht der Fluss gleich noch etwas breiter aus, die Ufer sind von Bäumen bestanden und die Tropfen treffen jetzt dichter auf die Wasseroberfläche. Überall hier gibt es noch Altarme oder Reste davon, die auf der Karte sichtbar machen, wie es mal war oder werden könnte. Weite Auwiesen erstrecken sich, oft beiderseits der Spree, die hier Kraft ihrer Breite ein wenig ruhiger strömt. Der Regen wird nun immer stärker, umso schöner, dass eben etwas Zwischentrocknung möglich war.

Trocken und warm im Café, Raßmannsdorf

Dank der historischen Flusskurven fällt der Blick sogar dann auf Wasser, wenn die Spree weit hinten fließt. Die erste Abkürzoption wird verworfen, nicht zuletzt, da ein herrlicher Deichweg lockt, der leicht oberhalb der Spreewiesen seinen Bogen zieht. Mal geht es durch älteren Wald, dann wieder durch Heidelandschaft, die lose von niedrigen Kronenkiefern durchstreut ist, welche mit ihren tiefsten Ästen den sandigen Boden nadelfrei gefegt haben. Überall wächst struppiges Gras, oft auch Heidekraut, und so lässt sich vor der geistigen Nase gerade gut der Duft anderer Jahreszeiten vorstellen. Bald säumen altgewachsene Kiefern den Weg, zum Teil in bizarrer Gestalt.

Waldheide am Rand der Spreeauen

Vor dem Schwarzberg nutzen wir dann die zweite Abkürzoption, denn der Regen wird nicht weniger, außerdem ist der Weg entlang des weitgehend trockenen Bruchwaldes sehr einladend. Hier und da stehen meterdicke Eichen, dann und wann auch mal eine Gruppe wohlgewachsener Fichten.

Weg zum Schwarzberg

An einer Wegekreuzung kommt von links ein Wiesenweg vom Gipfel des Schwarzberges. Wenig später öffnet sich am nächsten Altarm eine wildwüchsige Wasserwelt voller Erlen, in deren dunklem Gewirr von Braun- und Grautönen ein einzelner Schwan den eindrucksvollsten Lichtpunkt des Tages setzt. Von drei verschiedenen Seiten ist kurz nacheinander ein Specht zu hören, diesmal mit diesem verklingenden Einzelton.

Am Fuß des Schwarzberges

Eine altbekannte Alternative zum geraden Hauptweg ist zugewachsen, doch kurz darauf lockt ein neu entstandener Nadelweg mit breiter Wiesennarbe unwiderstehlich in den flussnahen Wald. Ein kurzes, bezauberndes Stück erschaffen hohe Fichten und ein Paar Wegschlenker den schönsten Märchenwald, das Moos am Boden tut das übrige.

Bald beginnt ein kleiner Deich, der den Wald abgrenzt hin zu einer feuchten und undurchdringlichen Halbinsel, welche ein Paradies für eine Menge von Tieren sein dürfte. Der Blick auf die Karte zeigt, dass sich beiderseits der Spree, gemeinsam mit den Auwiesen und Altarmen und ebendieser Halbinsel am Wergensee, eine große, fast unzugängliche Fläche aufspannt. So erklärt sich zum Ende der Tour die große Zahl und Vielfalt von Wasservögeln am Anfang des Tages.

Stiller Altarm der Spree

Dank Regenklamotten und leichtem Schirm, nicht zuletzt auch dank der trockenen Kaffeepause zur Halbzeit hat die Laune den Tag über kaum gelitten. Im Märchenwald vorhin kam in einer Regenpause sogar kurz ein verhaltener Sonnenstrahl durch bis zum Boden und fachte die Vorfreude auf mehr davon an.

Märchenwald vor Neuhaus

Auf den letzten Metern wird das jetzt rabiat korrigiert, als bei der sandigen Badestelle kurz vor Neuhaus der Wind in Rage gerät und so auf den See haut, dass selbst am Ufer noch das Wasser spritzt. Die Idee vom Tässchen Tee auf der Strandbank ist sofort wieder vom Tisch und auch der Blick über den aufgewühlten See fällt kurz aus, denn die Schirme knattern jetzt bedrohlich. Noch lauter als dieses ganze Spektakel sind nur zwei Gänse, die weit oben über den See ziehen und Lärm für zwölf machen.










Anfahrt ÖPNV (von Berlin):
über Fürstenwalde, Müllrose, Jacobsdorf oder Grunow, dann weiter mit Bus (ca. 2,5-3 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): Autobahn bis Fürstenwalde Ost, dann Landstraße (ca. 1,5-2 Std.)

Länge der Tour: ca. 13 km (Abkürzungen möglich)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Informationen zu Neubrück

Einkehr: Eiscafé an der Spreebrücke, Neubrück
Café Pension Alwine, Raßmannsdorf

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Ein Gedanke zu „Neubrück: Laute Schirme, leuchtendes Moos und die Spree in Eile“

  1. … was für ein schöner Text. Auf Augenhöhe mit Märzenbechern. Und der Mops, mit den mopstypisch verdrehten…
    Schmunzelnd und brandenburgsehnsüchtig gegrüßt!

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