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Grenzgänge, ein Wasserfall und die Breddiner Schweiz

Für manche Tage gibt nicht ausschließlich der Wunsch nach bestimmter Landschaft oder einem Phänomen der gerade spielenden Jahreszeit das Ziel vor, auch gewisse Einkehrorte haben starke Anziehungskraft, gerade, wenn sie länger nicht besucht wurden. Sogar besonders weite Anfahrten werden dann gern in Kauf genommen.

Dabei ergeben sich zum Teil besuchte Orte, die man sonst vielleicht nie in seinem Leben gesehen hätte – was schade wäre in so manchem Fall. So geschehen an diesem Tag, im Sammelbeutel dann an seinem Ende wie erwähnt ein Wasserfall und eine Schweiz, darüber hinaus noch ein wirklich zauberhaftes Dorf von ganz eigener Gestalt. Und eine anrührende Begegnung, geschuldet einem schönen Zufall.

Es ist April, noch erste Halbzeit, und der erste der wärmeren Tage in diesem Jahr. So beschaffen, dass abends klar gesagt werden kann: der Frühling ist jetzt auf jeden Fall da! Sonne und leichter Wind vom ersten bis fast zum letzten Schritt. Schlichtweg schön und wie jeder erste Frühlingstag enorm befreiend.

Königsfließ in der Breddiner Schweiz
Königsfließ in der Breddiner Schweiz

Lange Anfahrt, das heißt oft, sich in Grenznähe aufzuhalten zu anderen Bundesländern und das landschaftlich auch etwas zu merken. Das Zwischenziel ist Neustadt an der Dosse, die kleine Stadt mit dem Gestüt, dessen langwährende und spannende Geschichte aus Aufs und Abs mit enormen Kurvenausschlägen besteht. Nach kurzem Bäckerbesuch fahren wir dran vorbei und schauen für zwei Sekunden diese einzigartig schöne Allee hinab, die den südlichen mit dem nördlichen Stall verbindet. Eine Allee, wie geschaffen, um in Filmen mitzuwirken.

Breddin

Über schöne Dörfer nach Breddin, noch nie gehörter, weit abgeschlagener Ort und eher Stadt als Dorf, wo eigentlich schon etwas Elbe-Luft zu wittern sein müsste. Am Friseur beim Bahnhof steht wie erwartet das Fahrrad vor dem Laden, das genau dort hingehört. Und sanfte Neugier macht auf Austausch, der dort drin gerade läuft, das Allerneueste aus dem Ort und drumherum, von Oma Trude sicherlich und auch dem Sohn vom Apotheker.

Erstaunlich viele Läden, Lädchen und anderes von öffentlicher Natur ballen sich rund um die leicht distanzierte Kirche, der Charakter eines Städtchens verfestigt sich, und der Bürgermeister hat die letzte Wahl zurecht gewonnen, wie es scheint. Ein Traktor eilt in den Ort hinein, mit Hänger oder Gerät hinten dran, und genau hier verlassen wir die Straße Richtung Obermühle.

Obermühle

Vorbei an uralten Birnenbäumen führt der Weg zum Wald rund um den ausrangierten Mühlenstandort. Raus aus dem Wind passieren wir den Haufen Häuser und legen auf der Brücke übers Königsfließ die erste Rast ein. Einer sitzt in Brandenburg, der andere schon in Sachsen-Anhalt, und das, ohne die Stimme heben zu müssen. Ein Pflaumenbaum im anliegenden Garten ist hochgewachsen und voll weißer Blüten, und während wir da sitzen und auch kauen, fliegen gleich zwei Eisvögel unter uns hindurch.

Wasserfall bei Kümmernitz
Wasserfall bei Kümmernitz

Der zunächst unaufgeregte Wald mit seinen breiten Wegen fängt bald an, sich ansehnlich zu gebärden und bietet mit großen Buckeln in kleinen Dimensionen eine wirklich sehenswerte und besondere Landschaft, ähnlich dem Gebirge en miniature rund um Buckow in der Märkischen Schweiz. Das eben noch sachlich gerade Königsfließ schlägt in dieselbe Kerbe und fängt an zu kurven, fast schon zu mäandern – es ist ein zauberhafter, sanfter Rausch der kleinen Hügel und auch Täler. Die Ufer gesäumt von großen Scharen von Veilchen und dazu passend im Kontrast den nobel glänzenden Blütenblättern des gelben Scharbockskrautes und denen der weißen Anemonen. Die Buchenwipfel sind fast noch unbekleidet und das Licht hier unten dementsprechend frühlingsklar. Also: die Schweiz im Namen ist auch hier verdient und angemessen.

Zum Ende steigert sich die Bewegtheit der Landschaft am langen aufgestauten Teich zu einem Knotenpunkt allerfeinster Rodelbahnen, die Können beim Bremsen erfordern. An dieser Stelle liegt als schöner Superlativ der höchste Wasserfall im ganzen deutschen Norden, der eindrücklich in die Tiefe fährt, nicht im freien Fall, dafür auf einer langen Rutsche. Zur Rekordzahl kursieren mehrere Versionen, darunter acht, fünf und auch sieben Meter, was beim Davorstehen am wahrscheinlichsten erscheint. Auch dieses Wasser stammt vom Königsfließ, das unten nach rascher Beruhigung umgehend wieder anfängt, sich pittoresk zu winden.

Allee zurück nach Brandenburg
Allee zurück nach Brandenburg

Kurz verfranst, dann übers Fließ und vor zur Straße, links liegt als kleine Kuriosität ein Stückchen Brandenburg komplett umfasst von Sachsen-Anhalt. Eine gemütliche Allee betagter Eichen, die jetzt schon lange Schatten werfen, bringt uns vorbei an Weiden und mit trittfestem Sand unter den Sohlen zurück nach Brandenburg. Die nasse Grenze bildet hier ein kleines Gräbelein, in dem vor Wasserpflanzen kaum das Wasser selbst zu sehen ist.

Sophiendorf

Am Eintritt nach Sophiendorf, dass sich leicht unentschlossen über zwei zauberhafte Kilometer durch die weite Niederung der Neuen Jäglitz streckt, gibt es einen Rastplatz, auf gelungene Weise angelegt. Ein Seitenarm des erwähnten Grenzstromes wird von der Dorfstraße unterbrochen, und ein matt lackierter Kröterich quert zugleich getrieben und in Seelenruhe die asphaltierte Straße trockenen Fußes. Ein Gentleman, da er die aktuelle Dame seines Herzens auf dem Rücken trägt und ihr den Staub der Straße von der klammen Unterseite hält. Vollständig ohne Laute geht der Transfer vonstatten. Dass es ganz anders geht, ist hinten aus den Wiesen länger schon zu hören, wo sich die Kehlen zu Dezibel aufsummieren, die man sich nicht am Schlafzimmerfenster wünscht.

Kurze Rast kurz vor Sophienstädt
Kurze Rast kurz vor Sophienstädt

Das Dorf ist auf eine kaum fassbar schöne Weise seiner Zeit entrückt, sehr einzigartig, und erzeugt bereits beim ersten Hinsehen erste Sehnsucht. Die Straße, kopfsteingepflastert mit kleinem glatten Rand für den pedalen Dorfverkehr, sucht sich ihren Weg zwischen vereinzelten Häufungen schöner und schönster Häuser. Der ganze Ort wäre ein Fest für Fotografen eines dieser Magazine, die das einfach schöne Leben auf dem Lande preisen, gern mit Worten wie Großmutter, einst oder auch Stecken, bei denen sich gleich Wohlgefühl einstellen soll und meist auch einstellt.

Dazwischen weite Blicke über Wiesen, rechts in Richtung schnurgerade Jäglitz, links zu einem kleinen Höhenzug mit etwas Wald, der parallel zum Dorf verläuft. Darauf verschiedenes Weidevieh und auch mal ein paar Störche, die hier ein richtig gutes Leben haben dürften. Ohne lange Wege.

Eine Katze huscht verstohlen und besonders flach über die stille Straße, mit einer Maus am Wickel. Nur wenig später stehen rechts tiefschwarze Wasserbüffel oder etwas in der Art, von kaum gekannter Schulterhöhe. Der Boss der Gruppe fixiert uns mit einem Blick wie eine ernste Kampfansage und auch dementsprechend wirksam, so dass Verharren hier auf keinen Fall in Frage kommt, schon gar nicht für ein Foto. Obwohl nichts Rotes an uns ist.

Dorfstraße in Sophiendorf
Dorfstraße in Sophiendorf

Hinter Sophiendorf gehen wir am Fuße des genannten Höhenzuges direkt auf Stüdenitz zu, die erste Reihe Häuser vor dem eigentlichen Ort sieht irgendwie nach Norddeutschland aus und nach Häusern hinterm Deich. Hinten rauscht ein ICE Richtung Bad Wilsnack, der vermutlich erst in Hamburg wieder hält. Das passt ja irgendwie.

Stüdenitz

Die Kirche ist wiesenumgeben zu allen ihren Seiten und verschlossen, rechts hinterm Busch ist eine Dame mit einem Beet beschäftigt. Sie sagt, sie wäre eine von vier Schlüsseldamen, die dafür sorgen, dass man einen Blick ins Innere werfen kann. Lässt uns auch ein und wahrt auf angenehmste Weise die Distanz. Von all den Kirchen unterwegs, die wir schon mit offener Tür erwischen durften, ist diese hier nicht nur besonders schön, sie ist zudem auf eine bisher nicht bekannte Weise tiefenentspannt, strahlt gleichermaßen Freundlichkeit und Ruhe aus, auch und vor allem durch die schlichten, großartigen Farbenspiele, die es wohl erst seit Kurzem wieder gibt.

Die kaum zählbaren goldenen Sterne am taubenblauen Himmel überm Altar haben Paten auf der ganzen Welt und werden von vielen immer wieder gern besucht. So ließ sich dieser Teil der Restaurierung in die Tat umsetzen. Das ist nur eins der Dinge, die wir draußen beim Plaudern mit der Dame erfahren, ein anderes ist, dass der Pastor ein findiger und weiser Bursche ist, dem das Dorf hier manches zu verdanken hat, auch und gerade ganz praktische Dinge betreffend.

Über dem Altar, Stüdenitz
Über dem Altar, Stüdenitz

Das Gespräch hinterlässt uns in einer wohligen Stimmung von Optimismus und Bewunderung für solche Menschen, da passt es irgendwie ganz schön, dass man Stüdenitz hindurch unter der Bahn durch einen Tunnel in der Form eines Hufeisens verlässt.

Es geht eine Etage höher, ein Traktor kurvt daher auf Augenhöhe mit dem Kirchturm nützlich über seinen Acker und wirbelt Staub auf. Der Wind hier oben weht mit einer solchen Kraft, ganz unerwartet, dass wir nach Abbiegen auf einen Feldweg die Oberkörper nach vorne stemmen müssen, als käme hinten gleich die Küste. Der alte Weg vom Bahnhof, durch das schnelle Gleis jetzt nördlich abgeschnitten, ist eine lose Allee von schönem Obst, ich glaube Kirschen. Den Wind jetzt von der Seite, erreichen wir mit zeitweilig asymmetrischen Frisuren ein Wäldchen, dessen Boden flächig von Veilchen überdeckt ist, dazwischen vereinzelt etwas weiß und gelb. Geht man in die Knie, dann bleibt ein violetter Teppich von betörendem Duft. Haben wir so noch nicht gesehen, und geben uns für den Moment dieser Betörung hin.

Langsam schwächelnd, schließlich lockt ja als späteres Tagesziel die zielgebende Einkehr, hoffen wir, dass das, was schon den ganzen Tag am Himmel aufzieht, noch etwas warten kann. Über dem kleinen Grund des Mühlgrabens noch eine schnelle Rast, dann führt ein dicht bewachsener Damm hinüber nach Kötzlin. Dort vor der Kirche lebt eine wirklich alte Linde, die sich durchschreiten lässt, mit etwas Bücken oder einem Tanzschritt. Und einfach weiterlebt.

Kötzlin

Ein Radweg begleitet die Straße nach Breddin, das ist schön und gut für einen schnellen Schritt, denn es wird jetzt zusehends dunkler, und das nicht aufgrund der Tageszeit. Wo Kühe wohnen, erreichen wir den Ort und bald auch schon den Bahnhof. Für welche ohne Motor gibt es eine kleine Unterführung, drüben dann die ersten Tropfen. Schnell bricht es los, doch wir sind schneller, das Beeilen wird belohnt.

Veilchenteppich im Wäldchen
Veilchenteppich im Wäldchen

Eine Station nur ist es von hier nach Neustadt oder acht Minuten Fahrt, für uns jetzt ein paar mehr mit Scheibenwischern an. Auch wenn man hier vielleicht nie wieder sein wird, die Viertelstunde in Stüdenitz und die ganze Landschaft dieses Tages hinterlassen einen starken Eindruck.

Nochmals vorbei am Nordstall, diesmal ohne Blick, denn der Magen knurrt, verdientermaßen. Noch vor der Kirche und noch vor den schönen Dosseschnellen da am Bad weist nach links ein dezenter Hinweis zu Olafs Werkstatt, einem wunderbaren Mix aus Gasthaus, Videothek und ganz direkter Unterhaltung. Also ab in die Gemütlichkeit, derweil es gegens Fenster prasselt.

Neustadt/Dosse

Der Regen ist vorbei, jetzt noch ein paar Schritte zu den Schafen am anderen Ende der Stadt, fast schon im Übergang zu Köritz. Die Luft ist klar vom Regen, frisch gewaschen, der Tag ein paar Grad kühler und für den Augenblick kein Wunsch mehr offen.

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Regionalbahn Richtung Wittenberge (stündlich, ca. 1 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der A 24 Richtung Rostock, bei Neuruppin Nord abfahren und auf der B 167 nach Neustadt/Dosse, von dort auf der Landstraße nach Breddin (ca. 120 km bzw. 1,5 Std.)

Tourdaten: 19 km, reine Gehzeit ca. 5 Std.

Download der Wegpunkte

Links:

https://de.wikipedia.org/wiki/St%C3%BCdenitz
(u. a. Information zur Kirche von Stüdenitz)

http://www.olafs-werkstatt.de/
absolute Empfehlung – sehr gemütlich, gutes Essen, faire Preise, freundliche Bedienung; weiterhin gibt es neben einer Videothek im Hause eine Bowlingbahn, ferner zahlreiche lohnende Veranstaltungen aus den Bereichen Musik, Kabarett und Comedy