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In eigener Sache: ein Herzensprojekt nimmt Gestalt an

Ein Kalenderblatt aus dem Jahre 2020 gab – zunächst unbewusst – den Impuls für eine Idee, welche Anfang dieser Woche sichtbar geworden ist: ein Weg, auf dem man Berlin zu Fuß umrunden kann.

Die Berliner Gürtellinie.

Der Impuls lag eine Weile vor sich hin, wurde eines Tages wiederentdeckt und stieß dann erste Arbeiten zum möglichen Verlauf eines solchen Weges an.
Nachdem eine grobe Skizze stand, hier und da vor Ort ausprobiert wurde und umgehend die Lust an der Sache weckte, wurde im darauffolgenden Winter etwas HTML-Programmierung gelernt, dann eine auf das Wesentliche reduzierte Webseite entworfen und nach und nach befüllt.

Über die Jahre (und so oft eben Zeit war) gab es immer wieder Vervollständigungen und Verfeinerungen, bis Ende letzten Sommers die Strecke einmal komplett begangen und alles Benötigte beisammen war.

19 Etappen, 243 Kilometer, 66 Spielplätze.
Und zweitausendzwölf Gedankennotizen …

Ein Gespräch beim BeBra Verlag, der mittlerweile in Sichtweite zum Botanischen Garten sitzt, leitete im frühen Herbst die Arbeiten zu einem Buch ein, welches alternativ zur Webseite neugierig machen soll auf den Rundweg zu Fuß um Berlin. Erschienen ist es Anfang dieser Woche, zwei Tage nachdem http://berliner-gürtellinie.de/ ans Netz ging.

Unterstützend gibt es Flyer, die hier und da verteilt werden.

Über eines sind sich Flyer und Webseite und Buch einig:
die Berliner Gürtellinie macht Spaß!






Zwei Türme, ein Gürtel und die ganz große Runde

Am Sonntag nach Frühlingsanfang wird Berlin um eine Idee reicher sein, wobei die Zahlenfolge 2-4-3 nicht nur im Datum eine Rolle spielt.

Dafür wurde in den letzten Jahren mancher Tag mit der Suche nach einem schönen Weg zugebracht, der mit regelmäßigen Blicken auf den Fernsehturm aus verschiedensten Himmelsrichtungen aufwarten kann und dabei manche Endstation der S-Bahn mitnimmt.

Hauptkriterien für die Wegfindung waren Abwechslung, Schönheit und eine gewisse Nähe zur Berliner Außenkante, quasi dem Gürtel der Stadt.

Eine bebilderte Beschreibung zwischen Buchdeckeln ist beim BeBra Verlag bereits in Arbeit.

Mehr ab 24.3. unter www.berliner-gürtellinie.de

Stellt schon mal Schuhe und Fernglas bereit!






Ketzin: Fahrende Berge, platte Reliefs und die Spitze für Später

Das neue Jahr läuft nach den ersten Wochen schon erstaunlich rund, etwas Winter gab es schon und auch ein paar milde Tage. Nur die Sonne zeigt noch immer Berührungsängste, obwohl sie nach vielen grauen Wochen sicherlich überall mit applaudierenden Blicken und aufgehellten Gesichtern begrüßt würde.

Dampferanleger an der Havelpromenade in Ketzin

Die Wahl der Kleider beim Verlassen der Wohnung ist noch immer Glückssache, meist ist man deutlich zu warm eingepackt, manchmal aber doch zu dünn und dann droht schnell irgendein Infektgeschehen, dessen Geräusche in dieser Zeit ja umgehend den stillen Argwohn der verunsicherten Umwelt hervorrufen.

Altstadtgasse in Ketzin

Ohne Irritationen hingegen ist die Natur in Sachen Kraut, Huf und Schnabel. Wer es darauf anlegt und entsprechende Landschaften ansteuert, wird mit großen Mengen von voluminösen Zugvögeln belohnt, die dem Tag eine nie ganz abreißende Klangkulisse hinterlegen. Manchmal darf sich diese fortwährende Tonspur im Traum sogar noch fortsetzen. Auch die ganz zeitigen Blüten des Januars strecken ihr Gelb schon ins Licht, wenn es dann mal kurz da ist. Am Boden sind das die allerersten Winterlinge, die mit gewisser Vorsicht auch beim höchsten Sonnenstand noch ihre Blüten kugelig lassen, in Buschhöhe dann die diffus verteilten Sternchen des Winterjasmins, die der Farbe teils schon Fläche geben.

In der Paretzer Dorfkirche

Hoch über all dem wölbt sich ein Himmel, der mehr oder weniger farblos daherkommt, auch formlos. Undurchbrochene Schleier ohne Struktur, die den Tag darunter vor allem grau und das Wohnzimmer besonders einladend wirken lassen. In dieser Grundstimmung ist es dann ein regelrechtes Fest, und sei es nur für Minuten, wenn der Wind den faden Teig da oben auseinandertreibt und den Blick auf die Sonne und den klaren Himmel freigibt. Was diese sogleich mit der Erdoberfläche anstellt, ist weit mehr als hohe Kunst und berührt umgehend alle Sinne, das Herz und auch die Seele. Aus landschaftlichem Einheitsbrei wird sinnenfreudiger Bildzauber, und kaum jemand wird die Finger vom Auslöser lassen können, und sei es nur des klaren Lichtes wegen.

In der Grotte im Schlosspark Paretz

Im Aufbruchsmonat Januar ist die Weite schön, die keinen Fitzel möglichen Lichtes verschenkt. Darüber hinaus haben sich mannigfaltige Uferkanten als passend erwiesen, um die naturellen Bedürfnisse zu stillen und den erholsamen Ausgleich zur Arbeitswoche zu schaffen, allumfassend abzuschalten und vielleicht ein paar mehr Glückshormone zu verschütten. Zwischen Potsdam und Brandenburg gibt es reichlich davon, meist gut gemischt mit besonderer Architektur und wildromantischen Uferlinien, die stets ein wenig undurchschaubar bleiben.

In den Paretzer Erdelöchern

Ketzin

Zwischen Potsdam und Brandenburg fließt die Havel am beschaulichen Städtchen Ketzin vorbei, das mehr Dimensionen aufweist, als man beim Durchfahren oder einem Kurzbesuch denken sollte. Sind die Wasserlandschaften hier von Hause aus schon ohnegleichen, wird das bei Ketzin noch auf die Spitze getrieben. Neben der weit verzweigten und oft seenweiten Havel selbst gibt es mitten in dieser eine Reihe großer Inseln und nördlich davon ein verwirrendes und scheinbar endloses System von Stichteichen, die als Erdelöcher Ketzin in einen Begriff gefasst werden. Ähnliches gibt es in kleinerer Ausprägung auch südlich der Havel bei Deetz oder unweit von Paretz.

Bei so viel umgebendem Wasser kann an der Uferpromenade der Stadt durchaus der Eindruck aufkommen, sich auf einer Insel zu befinden. In den blattlosen Zweigen von Büschen und Gebäum hat der Morgennebel viel Wasser zurückgelassen, das jetzt in Form halbgefrorener Tropfen auf den ersten Windstoß wartet und im Gegenlicht für zahllose Glanzpunkte sorgt. Gepflasterte Altstadtgassen verlieren von der Kirchhöhe ein paar Meter, bis sie schließlich am oder im Wasser enden. An der mittleren Promenade ist der Steg des Dampferanlegers pavillonartig überdacht, und diese Stelle samt ihrem versunkenen Ausblick erinnert an eine kleinere Ausgabe des Steges, der sich am Ostrand der Stadt Brandenburg befindet.

Am Stadtufer in Ketzin

Bereits hier auf der Promenade mischt sich der Rundweg Ketzin-Paretz unter die eigenen Schritte, sucht sich mit sicherem Gespür die allerschönsten Wege, Pfade und Schleichwege und verliert dabei selten das Wasser aus dem Blick. An der Fischerei südlich der Altstadt verbreitet ein kleiner Sticharm kurzzeitig Spreewald-Stimmung, bevor der Weg entlang einer Reihe jüngerer Kopfweiden in Richtung Strandbad abdreht.

Havelpromenade in Ketzin

Neben den Tönen weit entfernter Kraniche und Gänse oder vereinzelter Reiher gehört auch nahes Möwengeschrei zur Klangkulisse und schafft unbedingt Urlaubsgefühle. Ohnehin fühlt sich dieser lichte Tag am offenen Wasser nach einer langen Periode in grau nach Urlaub an, wozu natürlich auch die Altstadtgassen mit ihren Sichtlinien und nicht zuletzt die Fähre beitragen, deren niedertouriges Bullern bald schon zu erahnen ist. Vorher liegen noch breite Schilfgürtel und kleine Bruchwälder am Weg.

Fischergasse in der Altstadt, Ketzin

Fähranleger Ketzin

Noch vor dem Fähranleger lockt neben einem Strändchen eine Rastbank mit Blick aufs kielbasierte Verkehrsgeschehen. Die Bank steht leicht erhöht, zu ihren Füßen schlagen kleine Wellen ans teilgefasste Ufer und trüben trotz der Wasserbewegung nicht den glasklaren Blick zum sandigen Grund. Muschelsplitter reflektieren teils irisierend die Sonnenstrahlen, die jetzt ungehindert vom Himmel fluten und der Flusslandschaft etwas verleihen, das einen tief und zufrieden durchatmen lässt. Das Wasser ist unfassbar kalt.

An der Fischerei, Ketzin

Kaum dass die Fähre angelegt hat, ist sie auch schon wieder auf dem Weg ans andere Ufer. Das geschieht vermutlich hastiger als in der Regel, denn von rechts stampft gegen den Strom ein Schubboot heran, im Laderaum eine Bergkette aus Splitt. Unerwartet lässt das Horn einen markdurchdringenden Ton los, der das Zwerchfell nicht unberührt lässt und eines Hochseedampfer würdig ist.

Weidenweg zum Strandbad

Am anderen Ufer rollen sofort die nächsten Passagiere auf das Deck und dürfen sich noch in Geduld üben, denn kaum dass der Splitt hinter der nächsten Kurve verschwindet, kommt ein anderer Schuber aus der anderen Richtung – flussabwärts und übervoll mit feinstem Schrott. Der lange Kahn bewegt sich vergleichsweise gelöst, da die Strömung mit ihm ist. Keine wulstige Bugwelle also, da das tonnenschwere Aggregat unter Deck eher plaudert als wettert.

Havelufer kurz vor der Fähre

Bald darauf fällt der Blick landeinwärts über Schaf- und Pferdeweiden sowie sozialen Wohnungsbau für Schwalben, weiter hinten ist als östlicher Außenposten von Ketzin der markante Turm einer Villa zu sehen, die auch gut ins Potsdamer Umland passen würde und irgendwie nach Schinkelschüler aussieht. Ein Gegenstück dazu bildet als Vorbote von Paretz die Windmühle, deren Flügel sich wintermüde in den Himmel recken.

Havelfähre mit kleiner Notfähre daneben

In einem Wegknick werden wir augenzwinkernd-derb in die aktuelle Zeit zurückgerufen, deren Sinn für den Genuss und das Schöne manchmal seltsame Früchte trägt. Auf einem Trafohäuschen steht eine schwere und bunte Getränkedose, darin versammeln sich ein Patent, auf das die Welt wohl lange schon gewartet hatte, und ein Gemisch aus Zucker, Gewürzen, Wasser und Zucker. „Selbsterhitzender Glühwein to go“ verspricht nach einem speziellen Knick-Knack im Dosenboden binnen drei Minuten dampfenden Glühwein in angemessener Temperatur und erforderlichenfalls auch fern aller Zivilisation. Glaubt man den Erfahrungen verschiedener Nutzer, liegt die Erfolgsquote immerhin bei sechzig Prozent. Bei den anderen gibt es dann zwar allenfalls lauwarme Würzplempe, doch für den Lacher zwischendurch dürfte es allemal reichen. Als klimatischer Ausgleich für die Juxsekunden sollte man jedoch einmal weniger in die Karibik fliegen.

Villa am Ketziner Stadtrand

Paretz

Schnell landet also unsere Aufmerksamkeit wieder bei der Havel, die sich zwar hinter einem breiten Schilfgürtel versteckt, jedoch trotzdem zu sehen ist, da die Schritte nun auf der Krone eines kleinen Deiches verlaufen. Weiter vorn sind schon die Häuser von Paretz zu sehen, einem Dorf der Sonderklasse. Mit dem Schloss und allem was dazu gehört diente es vor gut zweihundert Jahren dem Preußenkönig und seiner weithin geschätzten und bezaubernden Luise als Sommerfrische, fein und vergleichsweise klein. Hier genossen sie eine Normalität fern von allem Höfischen und legten damit wegweisende Schritte vor.

Die Havel unter aufziehenden Wolken

Schöne und geliebte Häuser reihen sich entlang der gepflasterten Weidendammstraße, die sich im sanften Bogen zum Schlosspark hin zieht. Vor einer der Mauern, die von der Sonnenstunde verwöhnt werden, haben sich wahrhaftig die allerersten Winterlinge breit gemacht. Ganz dicht an der Mauer sind mit der Lupe auch schon zarteste Schneeglöckchen auszumachen, deren Stengel noch so dünn sind, dass sie keinem groben Windstoß standhalten dürften.

Allererste Frühblüher vor der warmen Mauer

Hinter den ersten Nebengebäuden des Schlosses fällt der Blick im kleinen Hügelpark auf die süße Dorfkirche, eine offene Kirche. Drinnen gibt es viele Reliefgestaltungen, doch ein Großteil davon erweist sich als gekonnte Handhabung des Pinsels und raffiniertes Gedankenspiel von Licht und Schatten, nicht zuletzt am hohen Tonnengewölbe der Decke. Freundlicherweise ist die Sonne gerade noch draußen, so dass auch die bunten Fenster ihre Wirkung zeigen können.

Paretzer Dorfstraße

So klein der Dorfpark auch ist, in seinem leichten Hügelland ergeben sich mehrfach reizvolle Sichtachsen und Blickarrangements. Die locken wie beabsichtigt hin zum Schloss, wo es in der Remise und im Schloss selbst sehenswerte Ausstellungen gibt. Das Schloss selbst wurde nach dem Auszug der letzten hohenzollerschen Bewohner nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen verschiedenster pragmatischer Nutzungen mehr und mehr entstellt und erinnert zum Teil eher an ein Kreiskrankenhaus oder preiswert gebautes Kulturhaus. Ein Flügel des Schlosses sieht bis heute geschunden aus, und der Park lässt nur erahnen, dass er einmal gestaltet war.

Neue Grotte im Schlosspark Paretz

Hoffnung macht weiter hinten im Park die wieder errichtete und schön bepflanzte Grotte mit ihren Aussichtsplattformen, von denen der Blick weiter über nassen Wiesen mit Havelahnung reicht. Das einst übergebügelte Park-Accessoire wurde weitgehend neu errichtet, dank Ausgrabungsfunden konnte hier manches Originalteil verbaut werden. Die Höhe lässt sich durch eine enge Treppe aus grobem Gestein verlassen und sorgt bestimmt für manches Grinsen bei jenen, die unten mit eingezogenem Hals aus dem Portal treten.

Dorfkirche Paretz im kleinen Park

Beim Gasthaus Gotisches Haus, das auch zum Gesamtensemble gehört, kommt man zum Parkring, auf dem sich das Dorf gut verlassen lässt. Hinter dem letzten Haus wird es dann mehr und mehr wildromantisch, mit einem guten Grad an Rumpligkeit insbesondere in der laublosen Jahreszeit, wo alles blasse Gehälm noch so zerzaust liegt und ragt, wie es die Wetter hinterlassen haben.

Pfad zwischen den Erdelöchern

Kleine Brücken und Dämme ermöglichen den Weg mitten durch ein Wasserlabyrinth, das im Süden verwunschen, im Norden weit ist und mehr oder weniger zum Paretzer Polder gehört. Überall ruht das Wasser unberührt, darin koboldige Grasinseln und moosbedeckte Baumruinen, die dem endgültigen Versinken entgegenmodern. Ein entscheidendes Pfadstück schafft die Verbindung zum Ufer des geradlinigen Nauen-Paretzer Kanals, und auch er liegt spiegelglatt.

Uferweg am Nauener Kanal

Rechts in den nassen Wiesen tragen ein paar exotische Gänse lautstark einen Revierkampf aus. Der ansässige Graureiher trollt sich bei dem Lärm und weiter hinten sprinten am Himmel vier Schwäne gen Nauen, mit diesem eindringlichen und rätselhaften Geräusch, das es nur beim Flug der Schwäne gibt. Schon erstaunlich, wenn man bedenkt, dass so ein Vogel weit mehr als zehn Kilo in die Luft bringt, etwa doppelt so viel wie ein ausgewachsener Kranich.

Nordische Impression kurz vor der Schleuse

Schleuse Paretz

Kurz vor der blauen Bogenbrücke schwenkt der Weg vom Kanalufer in die Wiese, die von großen Pfützen durchzogen ist und quasi schon ein bisschen herumpoldert. Voraus sind die Gebäude der Schleuse zu sehen, die von nahem eher an ein Wehr denken lässt. Alles zusammen erinnert ein bisschen an friesische Szenen, was den Urlaubsgedanken gerade noch etwas verfeinert.

Paretzer Schleuse

Ein Treppchen führt hinunter zum Schleusenbecken, wo sich unsere Wege nun mit denen zweier Familien und eines gassigehenden Paares kreuzen. Ein Zaunpfad schafft vorbei am kleinen Bootshafen die direkte Verbindung zu jener Stelle, wo der eine Kanal auf den anderen trifft, kurz bevor jener wiederum sein Havelwasser mit dem eigentlichen Lauf der Havel vermischt.

Sacrow-Paretzer Kanal vor dem größten See der Insel Töplitz

Göttinsee am anderen Ufer

Gleich hinter dem jenseitigen Ufer liegt wie eine weitere Laune des verspielten Flusses der weite Göttinsee, ein See von besonderer Art. Besonders deshalb, weil er zum einen mit Havelwasser gefüllt ist und dennoch von der dammschmalen Uferlinie der Insel Töplitz umgeben wird – abgesehen von einer winzigen Lücke. Wer im Norden der Insel dem Dammpfad bis ganz nach Westen folgt und sich nicht scheut, auf demselben Weg zurückzugehen, steht schließlich auf einer schmalen Spitze inmitten der Havel, wie das nirgends woanders möglich ist.

Uferweg gegenüber der Töplitzer Havelspitze

In Sichtweite zu dieser Stelle wird der breite Weg am Paretzer Ufer zum urigen Pfad, der sich eine Weile am hohen Schilf entlangschlägt. Kurz hinter einem Strändchen mit Rastplatz beginnt die Biege nach Paretz, wo jetzt geprüft werden kann, ob die Blümchen bei verhangenem Himmel noch immer geöffnet haben. Kurz hinter der Kirche beginnt ein einladender Fußweg, der vorbei am Eiskeller des Dorfes zur Landstraße führt. Dank der Bockwindmühle, der Pferdewiesen und der Villa von vorhin ist deren gerade Linie kein Problem.

Schläfrige Windmühle am Rand von Paretz

Die Ketziner Bergstraße bereitet nun auf die finalen Höhenmeter der Runde vor. Hinter den letzten Häusern kommt dann auch der ziegelsteinerne Wasserturm in den Blick, der am Rand eines wiesenbedeckten Hügels steht. Hier kann man herrlich Kinder freilassen – rennend und hopsend, blumenpflückend oder auch purzelnd und rollend. Bei letzterem beiden ist nur vereinzelt Vorsicht geboten, weil an manchen Stellen prächtige Disteln wurzeln.

Ketziner Wasserturm mit Wiesenhügel

Der Turm ist von schlichter Eleganz und wirkt am besten aus naher Ferne, aus der Nähe ist er eher zweckdienlich und eingezäunt. Gleich danach löst sich dann das Rätsel des letzten Turmes, der früher am Tag schon aus verschiedenen Richtungen gesichtet wurde und sich der Zuordnung entzog. Keine Kirche, kein Rathaus und keine Villa, sondern pragmatisch und trotzdem wunderschön der Turm, in dem die Feuerwehr ihre Schläuche zum Trocken aufhing oder heute noch aufhängt. Weit oben am Himmel zieht eine lange Gänse-Eins entlang und sieht nach großer Reise aus, trotz fortgeschrittenen Winters.

Zum schönen Tagesabschluss schlendern wir noch eine der Altstadtgassen hinab zum Wasser und schauen von der Havelpromenade ins schwindende Licht des Tages, das den ersten Staßenlaternen schon den Impuls gegeben hat. Drüben im Schilf huscht es da und dort. Das zarte Schlagen der Kirchturmuhr geht über in die patschenden Flossentritte zweier startender Schwäne, die schon bald nicht mehr zu hören sind.











Anfahrt ÖPNV (von Berlin): S-Bahn bzw. Regionalbahn nach Potsdam, dann weiter mit dem Bus (1,5-2 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): Landstraße (ca. 1-1,25 Std.)

Länge der Tour: ca. 14 km (Abkürzungen gut möglich)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Tourismus-Seite Ketzin

Touristische Information zu Ketzin

Information zu Paretz

Schloss und Park Paretz

Fähre Paretz

Einkehr: div. Gastronomie in Ketzin
An der Fähre, am Fähranleger
Gotisches Haus, Paretz

Nur am Rande – Baumblüte bei Werder: Klappstullen, Klappstühle und die beschwingten Farben

Der kälteste April seit ziemlich lange hat sich vom Hof gemacht, und der frisch eingetroffene Mai gibt Anlass zur Hoffnung auf leichtere Oberkleider, denn es gab bisher ausschließlich Tage ohne Schneefall. Die Nachttemperaturen gewinnen nach und nach an Abstand zum Nullpunkt und lassen die Werderaner Obstbauern etwas ruhiger schlafen.

Am Grund des Alpensprengsels bei Glindow

Betrübt sind sie trotzdem, denn die nächste Auflage des tradierten Baumblütenfestes musste erneut aufs kommende Jahr vertagt werden. In Werder soll sie ohnehin auf ein angenehmes Maß eingedampft werden, das keine bleibenden Schäden bei Einwohnern, Bausubstanz und Landschaft hinterlässt und letztlich Namen und Inhalt des Festes wieder näher zusammenbringt. Auch wenn es dann vielleicht nicht mehr das zweitgrößte Volksfest im Lande sein wird.

Blick auf die Kirchen von Glindow und Werder

Obwohl der äußere Rahmen des Festes also komplett wegfällt, haben auf den Hochflächen westlich der Havelseen einige der alten Hasen und Urgesteine unter den Obstbauern einen kleinen bunten Stand aufgestellt. Die gewohnte Sortenvielfalt gibt es diesmal nicht aus bauchigen Ballonen, sondern vorabgefüllt in robuste Literflaschen.

Kirschbäume in Reihe geschaltet

Allerhand Publikum ist trotz des durchwachsenen Wetters unterwegs, meist per Rad, doch auch zu Fuß. Da es letztlich doch gnädiger ist als die Vorhersage, werden es von Stunde zu Stunde mehr. Die Fortbewegung ist meist flüssig, denn die Wegweiser des Panoramawegs Werderobst lassen sich auch nach zwei Glas Obstwein noch gut lesen. Die Buchstaben sind groß, der Kontrast gut gewählt.

Gut lesbare Wegweisung

Für den Genuss der farbintensivenTropfen sind derzeit etwas Phantasie und Vorbereitung gefragt, was ja mittlerweile und vorübergehend zum erweiterten Standard gehört. Konkret sind das stilvolle oder bestenfalls praktische Trinkgefäße, ein Satz minimalistische Sitzkissen sowie eine Gabel, mit der sich außer Suppe fast jegliche Art von Essen handhaben lässt. Dazu vielleicht noch ein schönes Stück Frankfurter Kranz oder Schokoladenkuchen im oberen Packbereich des Rucksacks. Wer richtig gut ist, hat schließlich noch dampfenden Kaffee in der Thermoskanne. Unterwegs treffen wir einige Radlergruppen, Familien und Spaziergänger, die sich gemütlich einrichten, dann tollen, spielen und kichern zwischen blühenden Bäumchen.

Obstplantage mit Löwenzahn

Unser erhofftes Tagesziele ist es, unter einem blühenden Apfelbaum zu sitzen, den charakteristischen Duft solcher Tage in den Plantagen zu genießen und dabei mehrere Sorten frisch gekauften Weines zu verkosten. Die erste Rast mit Erdbeerwein gibt es in einem Sprengsel der Glindower Alpen, tief im Tal und umgeben von steilen Flanken und Seeufern.

In der Apfelplantage

Rast Nummer zwei erfolgt immerhin schon am Rand einer Apfelplantage mit langen Reihen kleiner, doch kronenloser Bäume, die ineinander übergehen. Bei No. 3 findet dann alles Gute zusammen – der Duft nach Erde, Schlauchgummi und Blüten, ein bekrontes Bäumchen von ausreichender Größe und ein taufrisches Fläschchen Holunderwein, das beim Öffnen noch beschlagen ist.

Feiertags-Verkehr auf dem Panorama-Weg

Klemmen wir uns also unter das Krönchen, strecken die Beine in den trockenen Boden und bestücken die Tafel mit allem, was die großen Jackentaschen und der Rucksack hergeben. Einen Steinwurf rechts quert der Weg, dahinter grasen pulssenkend zwei Pferde, das Fell in warmen Farbtönen und leicht aufgezottelt. Gegenüber trällert glasklar eine Nachtigall, während vorn am Weg ein Kerl vorbeischlendert, der ein Bruder von den Puhdys sein könnte. Ergraute Matte schulterlang, knollige Nase, freundliches Gesicht und leicht beschwingt.

Pferde und Bäume

„Ihr machtit richti‘!“ erwidert er unsere gehobene Grußhand der Zufriedenheit. „Wiejick früha imma war und noch keen eijenen Oopsjaatn hatte, da sind’wa ooch los, zwee Klappstühle, meene Frau unn’icke, denn schön unta‘n Baum mitte Decke, zwee Gläschen, een Fläschchen, nonne Schmalzstulle – und denn schön bei die Leute jewinkt. Wat soll’n da no’schöna sein? Richti‘ macht ihr ditt. Na viel Spaß noch denn!“

Apfelblüten

Recht hatter. Natürlich fehlen die brabbelnden Leute rund um einen, die Weinballone und die Biergartenbänke, auch Oma Traudels und Tante Petras Kuchen, die Bratwürste und Schmalzstullen, Honig, Marmeladen und Apfelbeutel. Und der weiße Staub, den die Blütenbusse oder das Cabrio der Blütenkönigin aufwirbeln, so langsam sie auch fahren. Doch mehr als genug für ein paar Schwälle von Glückshormonen ist es, hier vor Ort zu sein, an den Plantagen mit ihren Butterblumenwiesen vorbei zu spazieren, einige Leichtigkeit in den Gesichtern der Leute zu sehen – und vielleicht irgendwo ein Fläschchen zu bekommen und zu verkosten.

Heimatmuseum Glindow

Erstmals und einmalig gibt es am Abend noch eine Fortsetzung des Tages im heimischen Wohnzimmer, denn Herzensfreunde haben zum Geburtstag eine Online-Verkostung von Obstweinen geschenkt. Die Idee ist eigentlich nur die Verlegenheitslösung eines blickigen Obstbauern und Whisky-Brenners, um nicht den Kontakt zur Kundschaft zu verlieren – doch die könnte es durchaus in kommende Jahre schaffen. Per Post kommt ein Päckchen mit sechs Fläschchen, dazu ein Termin mit Link zu einem Live-Stream sowie das Wissen, dass neben dem Micha und dem Opa, die den Abend erzählend, verkostend und Akkordeon spielend gestalten, noch eine ganze Reihe anderer Leute mit dabei sind und regelmäßig kichern und regelmäßig das Glas heben.

Belvedere über den Glindower Alpen

So gesehen gab es auch an diesem improvisierten Obstblüten-Tag eine bunte Vielfalt von Früchten, Farben und Geschmäckern, die allesamt so schmecken, als hätte letztes Jahr die Erde auf den Havelhöhen besonders viel von ihrer Würze ans Obst weitergereicht. Mal sehen, ob im Traum was davon vorkommt.








Deetz: Teichmosaiken, der Uhund und die verbindende Beinbaumelbank

Der September ist da in allen Dingen und hat den kleinen Herbst schon an der Hand. In wolkengedämpften Landschaften ohne viel Kontrast und Schärfe leuchten jetzt vor allem wogende Felder von Goldrute, doch auch knallig glänzende Vogelbeeren oder Hagebutten, letztere wie gewachst und aufpoliert. Wer nah genug rangeht, kann sich wahrhaftig darin spiegeln.

Blick auf Deetz

Dazwischen huschen wie nach einem Klingelstreich kleine Vögel von einem Busch zum nächsten, Finken sicherlich, und tragen davon abgesehen zum großen Schnabelschweigen bei, was die höheren Frequenzen betrifft. Die großen Schwarzen mit den wuchtigen Meißeln im Gesicht holen sich die Klangbühne zurück, ein wenig mehr von Tag zu Tag. Spaziergänger ziehen jetzt gern schon mal den Reißverschluss bis hoch ans Kinn, und auch manche Haarpracht verschwindet zeitweise unter dünnem Stoff oder Gestrick.

Zwischen den Erdelöchern

Ganz hinten oder einiges weiter oben ziehen die Größten hin und her, noch nicht auf dem Interkontinentalflug, doch schon in Orientierung darauf. Drei Gänse über der Havel machen Lärm für eine ganze Schar, und auch die Kraniche vom überübernächsten Feld sind locker bis hierher zu hören. Die meisten Storchennester hingegen liegen bereits verlassen auf ihren Schornsteinen, Masten oder sonstigen Stallagen.

Einer der Stichteiche

Ebenfalls für Farbakzente sorgen im fahlbunten Kronenlaub knackige Äpfel und saftige Pflaumen sowie würzige Holunderdolden in tiefschwarzem Blau. Zu klein und hart zum sofortigen Vernaschen hingegen sind die Birnen, doch wer sie zu Hause etwas liegen lässt, wird mit geschmacklicher Ausdruckskraft belohnt. Die Walnussbäume hängen voll von extragroßen Früchten, dick und grün verpackt. Dasselbe gilt für die Kastanien, auf deren edlen Mahagoni-Glanz am Boden noch zu warten ist. Alles zusammen ergibt mit regelmäßigen Himmelstropfen und zeitig gefallenem Laub eine Würze in der leicht bewegten Luft, die für gewöhnlich erst Ende des Monats erreicht wird.

Aufsteigende Dorfstraße in Deetz

Nach scheinbar langer Brandenburg-Abstinenz soll heute am besten alles dabei sein, was eine Tagesrunde rund macht. Rückenwind bei der Suche kommt per Zufall – quasi über Bande wird mir eine der allerneuesten Broschüren vom Havelland vor die Nase geworfen, die unter der Feder des dicht benachbarten Blogs Wanderjenosse entstand, einem seit Februar bekannten Gesicht. Alles passt – wir waren lange nicht in der Gegend, dort gibt es Brandenburg satt, und ein paar Pfadverbindungen mit Fragezeichen haben diese dank der Broschüre verloren. Allzu lang ist die Anfahrt auch nicht, und eine Fährfahrt ließe sich vielleicht auch noch einflechten. Die wandelhafte Havel setzt sich jedenfalls auf dem Weg nach Deetz mehrfach in Szene und perfektioniert das schließlich etwa auf der Mitte der Tour. Und übrigens: auch fern ihrer Uferlinie spaziert man unterwegs am Havelwasser.

Weiter Ausblick über die Havellandschaft, Eichelberg Deetz

Deetz

Deetz ist ein hübsches, beschauliches Dorf zu Füßen des Eichelberges, das von zwei grundverschiedenen Landschaften eingerahmt wird. Der Aufstieg und die Pfade auf dem Haupt- und Nebengipfel erinnern bei etwas Wohlwollen an sächsisches Elbland, während die flachen Wiesen am Havelbogen ganz klar nordisches Flair verströmen, mit Deichen und Schafen, Pumphäuschen, Entwässerungsgräben – und manch kleinem Strand. Auch der Stufengiebel der Kirche schlägt in diese Kerbe, insbesondere wenn man vom Fluss her kommt.

Nach dem Aufstieg durch eine gemütliche Dorfstraße hat man vom westlichen Nebengipfel schon nach einer Viertelstunde die erste große Aussicht über den geschwungenen Lauf des Havelstroms, davor das Dächermeer des Dorfes. Kurz vorher beginnen die ersten Wiesenpfade, die über eine kleine Bergheide zum kurzen, steilen Schleich hinauf zum Plateau führen. Der ist mit seinem Mühlstein-Feuerplatz wie geschaffen zum Feiern schöner Feste oder für erhebende Sylvester-Blicke übers Land, genau so auch für eine simple Pause. Der trübe Tag setzt dem Blick zwar Grenzen, doch liegen diese so weit entfernt, dass Details dort ohnehin nur mittels Linsenoptik zu erkennen wären.

Hinter Deetz

Der gemäßigte Abstieg nimmt in einer Wendel eine lange Fliedergasse, die im Mai eine kleine Sensation bieten sollte. Die letzten Meter vor der Straße begleitet eine gestandene Mauer, die wieder kurz an Weinbaugegend denken lässt. Gleich gegenüber steht eins der elegantesten Häuser des Ortes, ein bisschen wie die eingedampfte Sommer-Residenz eines Blaublüters von untergeordnetem Rang.

Kurz darauf an der Gabelung werden Hockstrecksprünge unterm Apfelbaum direkt belohnt. Handlich sind die Äpfel, dabei saftig süß mit etwas Würze. Voraus ist überm bewaldeten Berg schon der hoch empor ragende Aussichtsturm zu sehen, der gekonnt eine geodätische Messmarke zitiert, einen trigonometrischen Punkt des hiesigen Netzes. Ein kräftiger Schauer zieht für eine Apfellänge seinen grauen Vorhang auf, ein moderater zweiter tut das wenig später.

Ein weiteres der Erdelöcher

Erdelöcher

Nach wohlgefällig zwischen Waldhang und Wiesenland gelegenen Grundstücken folgt ein ruhiger Weg, der ein paar gut gefüllte Gräben quert und schließlich zu einem herrlichen Geknäuel von Pfaden führt, wie man es so schön nur selten trifft. Zwischen Dutzenden kleiner und größerer Teiche quetschen sie sich lang, mal auf schmalem Damm, dann mal etwas breiter. Nicht nur von Mildenberg, von Norden her, hat die Havel mit Ziegelei und Brennofen zu tun. Auch im Südosten gab es diesen Industriezweig, dessen Spuren zwischen Deetz und Götzer Berge mittlerweile zum Großteil mit der Natur verschmolzen sind. Was in Mildenberg Tonstich heißt und in Klausdorf Tongruben, ist hier als „Erdelöcher“ ausgeschildert. Und von gänzlich anderer Gestalt als da und dort.

Pfad zwischen den Stichteichen

Viele Angler haben schon die begehrtesten Stellen belegt. Einige schauen argwöhnisch, wer da sinnlos Schritte in den Boden drückt, doch wir sind leise wie die Katzenpfoten und unterbrechen auch die Plauderei, wenn sie grad läuft. Junge und alte, bunte und tarnfarbene, verbissene, miesgelaunte und entspannte Rutenträger sind dabei. Einige seit dem Morgengrauen, andere per Zelt schon über Nacht. Andere haben wohl erst dick gefrühstückt, dann etwas getrödelt und versuchen nun kurz vor der frühesten Mittagsstunde, noch ein passables Plätzchen fürs Auswerfen zu finden. Wir drücken den Geschuppten die Daumen, ein bisschen auch den Anglern, dass sie Herd und Pfanne nicht umsonst mitgeschleppt haben.

Dammweg zwischen den Teichen

Die erwähnten Stellen mit den Fragezeichen gestatten dank kurzer Stege hilfreiche Verbindungen. Dazwischen schlängelt sich der Weg meist als Pfad über die Dämme zwischen den Teichen, mal so breit wie ein Otto-Normal-Hintern, mal etwas ausgelatschter wie der eines Brauerei-Pferdes. Bänke für ein Päuschen gibt es keine, doch einige der kleinen Stege von Festland zu Festland sind geländerlos und erlauben obendrein noch Beinebaumeln selbst für längste Schenkel.

Schwäne beim Tagewerk

Das schnellste und lauteste in diesem Minuten ist ein aufwändig hechelnder Jogger, der erstaunlicherweise kaum vom Fleck kommt trotz all des Theaters – so ein bisschen wie Meister Jackson beim Moonwalk, nur lang nicht so geschmeidig. Irgendwann ist das Knallrot dann verschwunden und die Ruhe über den leicht dunstigen Teichen wiederhergestellt. Zwei dekorative Schwäne in einem Teich hinterm Teich atmen auf, schütteln langsam die edlen Häupter und schwimmen mit aristokratischem Gebaren weiter ihre Bahnen .

Aufstiegspfad zum Gipfel des Götzer Berges

Götzer Berge

Der Weg wird breiter und mündet bald ins Sträßchen nach Götzer Berge, ebenfalls ein hübsches Dorf am Fuß eines Berges. Der Anstieg durch den Wald, der nach feuchtem Moosboden und Nadeln duftet, folgt zuletzt einem nadelweichen Schlingerpfad mit kleinen Heidekraut-Inseln und knackt an dessen Ende die Hunderter-Marke. Mit dem äußerst stabilen Turm lässt sich noch deutlich einer draufsetzen – wer nach vielen vielen Stufen die Aussichtsplattform erreicht hat, steht nun im schnellsten Wind des Tages hundertfünfundreißig Meter über Normalnull. Extremsportler, welche todesverachtend die wirklich spitze Spitze erklömmen, könnten sogar mit der Zahl hundertzweiundfünfzig prahlen. Doch wäre das Verhältnis von Risiko und Bewundertwerden eher dürftig.

Havelland-Blick vom Aussichtsturm, Götzer Berg

Götzer Berg

Wer ausreichend windfest ist und schließlich stämmig auf der Plattform steht, darf staunen, wieviel seenbreites Havelwasser nun geboten wird und wieviel Weite. Nur die wenigsten werden so beherrscht sein, hier nicht die Panorama-Funktion der Kamera zu bemühen, denn es ist wirklich eindrucksvoll, selbst im permanenten Dämmerlicht dieses Tages. Was uns schließlich das Losreißen erleichtert ist der frische Wind, der weit und breit durch nichts gebremst wird. Den Turm lässt das absolut kalt, nichts schwankt oder schwingt oder vibriert. Doch wir haben schon sämtliche Zwiebelschichten an und treppeln also hinab in den schützenden Wald.

Am Abstieg vom Götzer Berg

Absteigen lässt sich gemütlich und leicht federnd oder sehr direkt mit entsprechender Gangart im weichen Stakkato. Wieder im Dorf lädt die Bibliothek nicht nur wegen ihrer großen Bücherregale ein, sondern auch durch den großen, nach hinten durchschaubaren Raum, der nach ehemaligen Festsaal einer Gaststätte bzw. Dorfbums aussieht, wie es der Volksmund kürzer fassen würde.

Spreewaldblick von der Drehbrücke, Götzer Berge

Gleich folgt ein Nachschlag im Teichgebiet der Erdelöcher, der sich wahlweise auf bekannten Weg erreichen lässt oder über einen per Pinselschrift ausgewiesenen Privatweg, der gleich noch eine kleine Sehenswürdigkeit mitnimmt. Etwas nördlich vom Rosenbergerhof führt er zu einem Seitenhäfchen mit besonders schön gelegenen Wochenendgrundstücken. Uns entgegen kommen zwei Frauen, handtuchgekleidet in dem Stil, wie man eine Sauna verlässt. Beide lächeln, die vordere wie eine zu selten besuchte Tante, die hintere wie eine geballte Faust. Die Luft zwischen beiden scheint aufgeladen.

Die Drehbrücke selbst

Die erwähnte Sehenswürdigkeit ist dann wieder grundfriedlich, so unauffällig und zudem von pittoresker Szenerie umgeben, dass man sie leicht übersehen kann. Eine kleine halbhistorische Drehbrücke führt über einen spreewaldschönen Stichkanal aus der Zeit der Ziegeleien und ermöglicht die kürzeste Verbindung zwischen Götzer Berge und Deetz. Dahinter schlängelt sich der leicht erhabene Pfad durch üppiges Urwald-Dickicht aus hohen Bäumen, Lianentrieben und Hopfengebilden, die stellenweise prächtige Tunnel ausbilden. Ausgeworfen werden wir fast profan auf das stille Asphaltband des Havel-Radweges, der gut genutzt wird.

Grüner Pfad hinter der Drehbrücke

Ein kurzer Abstecher nach rechts führt zu einem kleinen Sandstrand, der nun die Kluft der Mädels erklärt. Ein Kopf schwimmt herum, aus dem noch vor dem Blickkontakt mit sonorer Stadtführer-Stimme Worte an uns gerichtet werden. Diese sollen in Sekundenfrist eine wohlwollende persönliche Verbindung herstellen, damit wir gar nicht erst auf die Idee kommen, seine Sachen ins Wasser zu werfen. Ein bisschen liegen dann auch Laszivität und freundliche Lüsternheit in seinem Timbre – eine geschickte Gesamttaktik, denn so kommen eher wir in die Lage, die Situation besser zu verlassen, bevor sich der tatsächliche Entkleidungsgrad klärt. Er lobt das Wasser und lädt ein, ich kleinplaudere, dass Luft- und Wassertemperatur fast identisch sein dürften, heute bei uns kein Bad auf dem Zettel steht. Dann nehmen wir Abschied und wünschen Gutes für den Rest des Tages.

Noch eins der Erdelöchcer von der anderen Seite

Rechts zum Teich hin stehen dicke Holzgeländer in bester Aufstützhöhe. Jedes der Erdelöcher liegt still, und jedes von ihnen hat einen Namen. Der alte Havelarm links des Weges heißt Ziegeleikanal und ist direkt mit dem Fluss verbunden, was die zahlreichen Bootsstege erklärt. Vor einer Benimmse trainierenden Klasse der örtlichen Hundeschule biegen wir am Parkplatz links ab und bleiben dem Kanal somit treu, der rings herum vom eigenen Wasserreich umgeben ist. Dieses ließe sich per Stichpfad erkunden, doch das fällt heute aus, denn der Magen knurrt schon und Besteckklappern war vorhin auf Schildern angekündigt.

Bootsstege am Ziegeleikanal

Havelstübchen

Direkt am Radweg liegt mit großem Schankgarten die erhoffte Wirtschaft, wo sich jetzt Bedürfnisse stillen lassen. In der knappen Stunde fallen ein paar Tropfen, ähnlich viele Radfahrer kommen und gehen. Wortreiche Platzfindungen in mindestens drei Dialekten und Artikulations-Graden lassen sich beobachten, danach zufriedene Gesichter in der Pedal-Pause. Eine will Kaffe und Kuchen, ein anderer nur sein kühles Bier und seine Ruhe, ganz hinten jemand die leuchtend orangene Kürbissuppe mit einer hausgemachten Limo. Die Bedienung hat zu tun.

Kurz vor dem Havelstrand, Deetz

Alle nächsten Stichwege zur Havel geben sich zugeknöpft, ein anderer haut während der Vegetationsphase nicht hin, also tippeln wir weiter auf dem Sträßchen nach Deetz. Währenddessen legt die Landschaft ihre Verwandlung ins Nordische hin, mehr noch nach dem havelstrebigen Abbiegen entlang einer Häuserreihe. Einige Pferde stehen da wie Models, engagiert erstarrt in ansprechender Pose, und fokussieren regelrecht die Kamera, die wir gar nicht hinhalten. Neben dem elegant-grazilen Kamera-Liebling post lässig ein durchtrainierter Grunge-Typ mit weiten Stiefeln, schaut leicht provokant mit gerecktem Kinn herüber und wartet lange – bis ich tatsächlich die Knipse draußen habe, nur um im selben Augenblick wieder dazustehen wie irgendein grasenden Pferd.

Nordische Szenerie am Havelstrand Deetz

Vorn am Strand wurde ein bisschen auf Küste dekoriert, so mit aufgebockten Bojen, mikadowurffertigen Reusenstangen und einem wettergegerbten Bootsschuppen. Links und rechts des Sandes stehen eine Sonnen- und eine Schattenbank vis-á-vis, dazwischen scheucht der Wind hindurch, so schnell wie vorhin auf dem Turm, doch lange nicht so kalt. Zwei dennoch durchfrostete Radfahrer brechen gerade auf.

Graben und begrünte Deponie im Hintergrund, Deetz

Die Nord-Optik wird weiter verfeinert, jetzt kommen der Deich und das erwähnte Pump-Häuschen ins Spiel, schon bald darauf die Schafe. Die gibt es in weiß, schwarz und grau. Eins von den weißen wird dabei von einem schafsgroßen Hund verkörpert, der verschiedene Unerwünschtheiten abwehren soll. Aus der Ferne grollt er einmal kurz, sobald er uns wahrnimmt – nur um sein Kampfgewicht zu umreißen. Legt sich bald gemütlich hin und lässt uns schwenkenden Kopfes nicht aus den Augen, die Ohren hochgestellt wie ein werbendes Lama. Und zeigt dabei Uhu-Qualitäten, denn der Deich beschreibt einen ordentlichen Bogen. Doch er lagert seinen Körper nicht um.

Die Havel und das jenseitige Ufer

Weitere Schafe an einem späteren Deich sind auf sich allein gestellt und scheinen allerhand Unfug im Schafskopf zu haben, so ohne aufsehendes Organ. Doch liegt gleich eine Siedlung um die Ecke. Voraus ist das sanfte Massiv der übergrünten Deponie zu sehen, formatfüllend. Gleich unterhalb verläuft der Havel-Radweg, wo sich vorgebeugte Regenjacken in zahlreichen Farben knapp über einem Schilfgürtel bewegen. Dahinter hockt dicht am Havelufer der Trebelberg mit teils garstigen Anstiegen, doch das ist eine andere Geschichte.

Weg nach Deetz

Früher als geplant biegen wir ab zur Kirche, da der direkte Weg entlang einer Baumreihe überzeugend lockt. Später übernehmen Kabelmasten die Begleitung, bis schließlich die Giebelzacken des Kirchturms klar erkennbar sind. Kurz vor der Kirche zitiert der Dorfbackofen noch einmal freundlich die Geschichte mit den Ziegeleien – in Form einer Pyramide aus Ziegelsteinen. Als Mittelpunkt von alljährlichen Dorffesten konnte er in diesem Jahr nur selten dienen, doch der Kaffeetreff Ende August konnte schließlich doch stattfinden. Zu den festen Terminen zählt übrigens auch ein Adventsmarkt, gerade mal eine Jahreszeit weiter …











Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Regionalbahn nach Groß Kreutz, dann weiter mit dem Bus (nur Mo-Fr)(ca. 1,5 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über Autobahn und/oder Landstraße (mehrere Mischungen möglich)(ca. 1,25 Std.)

Länge der Tour: ca. 13 km (Abkürzungen vielfach möglich)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

 

Links:

Wanderzeit – Broschüre (PDF)

Ortsseite Deetz

Zeitzeuge der Erdelöcher (Artikel MOZ)

Aussichtsturm Götzer Berg

Havel-Radweg

 

Einkehr: Havelstübchen, Am Havel-Radweg nördlich der Erdelöcher

 

Berliner Spaziergang – Spandau: Stille Wasser, Dosenfisch de luxe und die gelochte Riesengurke

Nach einem komplett sonnigen April, der in diesem Jahr ohne hochsommerliche Schmelztemperaturen auskam, brachten die letzten Tage des Monats den erhofften Regen, der viele Gewächse einen ersten Durst stillen ließ, erdigen Duft aus dem Boden lockte und für eine selten gesehene Explosion des Blattgrüns in Stadt und Land sorgte.

Mit einem Mal gibt es unter jedem Baum den dichten Schatten, der vermutlich in Kürze gern in Anspruch genommen wird. Die Blütenpracht der zweiten Aprilhälfte hatten die teils dicken Regentropfen von den Zweigen gespült und am Boden zu lichten Teppichen verströmt, die in Weiß, Rosa oder fast schon Violett ganze Bürgersteigpassagen bekleideten.

In der Spandauer Altstadt

Knapp zwei Meter darüber ist mittlerweile der Anblick halbverdeckter Gesichter zur Normalität geworden, wobei die Vielfalt der Masken so breit gefächert ist, dass sie manch modischer Geist vielleicht aus individualistischen Gründen lieber anlegt, als er eigentlich zugeben möchte. Gleichzeitig dürfen nun auch ohne triftigen Grund Füße vor die Wohnungstür gesetzt werden, wenn sie weiterhin einen Ausfallschritt Abstand zu anderen Füßen halten. Endlich also geht es von triftig nun den ersten kleinen Schritt in Richtung Triff Dich. All das ergänzt sich recht gut und könnte den Weg dafür ebnen, dass Ausflüge ins Umland und auch innerhalb von Städten wieder ohne ausschweifende Logistik möglich sind.

Besonders verlockend sind in diesem Monat des Entstehens, Wachsens und Sprießens die Düfte der erwachten Natur, die täglich breiter werdende Farbpalette und auch die Ablösung und Ergänzung der frühblühenden Vögel durch die beredten Plaudereien der Schwalben oder den meist fernen Ton des Kuckucks, den selbst Leute erkennen, die möglichst nicht mit dem Erkennen von Vogelstimmen in Verbindung gebracht werden wollen. Dank der vielen Sonnenstunden des Aprils liegt über weiten Trockenwiesen auch schon der Klangteppich zahlloser Grillen, und dazwischen lässt sich mit etwas Glück eine genial getarnte Eidechse beim Sonnenbad erwischen.

Schattige Wege im Spekte-Grünzug

Nachdem in den letzten Monaten ein überschaubarer Radius nur selten verlassen werden konnte, steht nun im Monat der vielen gesetzlichen Feiertage der Sinn nach etwas Ausflugs-Erlebnis, nach dem Gefühl besonderer Tage. Oder einem dieser immer wieder überraschenden Stadtspaziergänge innerhalb der Berliner Stadtgrenzen, wo man eigentlich das Meiste schon zu kennen glaubt. Denkste.

Knorriger Steg über die Kuhlake

Allerhand angekündigter Regen und kühle Temperaturen dieser Tage sowie breite Wege helfen an vielen Stellen und Grünanlagen dabei, auch einen ganzen Draußentag lang durch dicht bewohnte Gegenden zu schlurfen und doch kaum dem Gegenverkehr ausweichen zu müssen, um den rechten Abstand zu gewährleisten. Bevorzugt empfehlen sich stadtrandnahe Lagen mit Großsiedlungen, wie sie zum Beispiel in Marzahn, Rudow oder auch Spandau zu finden sind. Da sich in Spandau auch noch ein breites Flussgeschehen und das betuliche Bild einer westdeutschen Kleinstadt hinzugesellen, führt der Weg heute ans jenseitige Ufer der Havel, hin zu alten Gemäuern, einer Wasserstadt und einem imposanten Kletterfelsen. Und natürlich absolut vielfältiger Natur.

Stolzer Herr im Wildgehege

Spandau

Spandau trägt das komfortable Merkmal, sowohl ober- als auch unterirdisch erreichbar zu sein. Der endlose S- und Fernbahnhof ist ohne Zweifel eindrucksvoll, zudem Sekunden vorher die breite Havel überquert wird. Doch es gibt nur einen Ausgang, der mit etwas Pech am anderen Ende des genutzten Zuges liegt, und der Vorplatz ist laut und quirlig. Die nahe Spandauer Altstadt liegt im Kontrast dazu gemütlich auf einer Insel, in deren Norden die große Kirche und der älteste Teil der Stadt mit einem Rest der Mauer stehen. Genau dazwischen liegt der Ausgang des U-Bahnhofs, nach dessen Verlassen man sofort eine Altstadtgasse unter den Sohlen hat und schon bald den Kirchturm sieht, der schon im ausgehenden Mittelalter über dem Markt wachte.

Doch nicht nur diese Lage bietet einen guten Grund, Spandau in gelben Zügen zu erreichen. Allein die Fahrt auf der U-Bahn-Linie 7 ist durch ihre bunten und verspielten, phantasievollen und teils prächtigen Bahnhöfe ein Ausflugsgrund sowie eine gute Option zum Beispiel für einen drückend heißen Sommertag im kühlen Untergrund – Tageskarte kaufen, dann einmal bis Endstation, dann bis zur nächsten Endstation und wieder zurück nach dort, woher man kam. Unterwegs lässt sich beliebig oft aussteigen, einen Bahnhof komplett und im Detail beschauen oder in der Oberwelt kurz was Kaltes zischen und dann wieder abtauchen. Nach dem beliebig verlängerbaren Reise-Erlebnis der Sonderklasse ist es dann auch schön, das Kunstlicht des urbanen Orkus gegen das des heißen, hellen Sommers einzutauschen.

An der Nikolai-Kirche, Spandau

Altstadt Spandau

So gesehen ist also die Anreise eine leichte Entscheidung. Der U-Bahnhof Altstadt Spandau liegt tiefer als andere, da die Bahn kurz zuvor die Havel unterqueren muss. Es sind also ein paar Stufen mehr, die vom schön illuminierten Bahnsteig mit seinen wuchtigen und zugleich fein gezeichneten Säulen nach oben führen. Verlässt man den Bahnhof in Fahrtrichtung, fällt der erste Blick unter freiem Himmel direkt auf den Turm der Nikolaikirche, die mit ihren gut 600 Jahren nur gut 100 Jahre jünger ist als die älteste Kirche Berlins – die übrigens denselben Namen trägt.

Die Spandauer, das wurde an anderer Stelle schon erwähnt, legen einigen Wert darauf, nicht als Stadtteilberliner gesehen zu werden, sondern eben als Spandauer. Und in der Tat gibt es keinen vergleichbaren Kiez in der weitläufigen Stadt, der so am Rand liegt und zugleich so ein eigenständiges Stadtbild zeigt, wie es vergleichbar eher mit schönen Vororten wie Strausberg oder Bernau ist. Auch die Lage jenseits der Havel trägt noch dazu bei, und natürlich auch die ovale Form samt der Insellage zwischen breitem Fluss und dem Stadtgraben, über dem auch die erwähnten Überreste der Stadtmauer stehen.

Stadtgraben um die Spandauer Altstadt

Von der Kirche zum Markt sind es nur ein paar Schritte. Ein Großteil der Geschäfte hat nur halb oder gar nicht geöffnet, alle anderen können unter Einhaltung der Hygiene-Regeln betreten werden. Das ist erst seit wenigen Tagen möglich und wird dementsprechend gern angenommen. Auf dem gemütlichen Marktplatz sind die kleinen Bäume schon dicht belaubt, alle Sitzgelegenheiten werden benutzt und Pappbecher erleben eine Zeit, in der sie nochmal richtig sinnvoll sein dürfen. In der Fußgängerzone reichen Ansteh-Schlangen von vier Leuten bis weit auf die Zonenmitte, sodass auch hier ein wenig Slalom angesagt ist, damit sich niemand zu nahe kommt. Doch es funktioniert gut, viele Lächeln wechseln ihre Besitzer und selbst beim belebten Markttreiben vor dem riesigen Rathaus ordnet es sich ganz passabel.

Von hier führt eine kuriose Unterführung auf die andere Seite des breiten und stark befahrenen Altstadt-Rings, der irgendwie auch gut zum Bild der westdeutschen Kleinstadt passt. Hier gab es wohl einmal Laufbänder hinab zum U-Bahn-Eingang, von denen noch die Gummi-Handläufe zeugen. Der Untergrund ist mittlerweile asphaltiert und man bewegt sich mit eigener Kraft. Auf der anderen Seite, im linken Augenwinkel nimmt man gerade so den langen Fernbahnhof wahr, landet man sofort in einem lichten Park mit alten, großkronigen Bäumen, der den Beginn eines vielfältigen Grüngürtel bildet, direkt hier am lauten Bahnhofseck.

Grünzug mit Aussichtsberg in Spandau

Bis zur Stadtgrenze lässt sich nun weitgehend unberührt vom Verkehr spazieren, vorbei an Wiesen und Senken, Seen und Laken und so manchem herrlichen Spielplatz. Nördlich des länglichen Wegesystems erheben sich Hochhäuser, links halten Einfamilienhäuser und Kleingärten die Giebelhöhe eher flach. Besonders schön für diese Zeit jetzt ist, dass meistenteils Wege für Leute mit Rad oder Fuß parallel laufen, weit seltener ausgewichen werden muss.

Plankenweg vor der Zeppelinstraße

Hinter einem halbrunden Areal mit bunt bepflanzten Nutzgärten öffnet sich ein weiter Wiesenpark, über den ein kleiner Hügel wacht. Der ist immerhin so hoch, dass der Hauptaufstieg über eine Treppe in acht Schwüngen zum Gipfelplateau führt, auf dem sich ein Rund von großzügigen Bänken für Blicke in alle sechs Himmelrichtungen anbietet. Die Sicht ist weit, in Richtung der erwähnten Nikolai-Kirchen bzw. des Funk- oder Fernsehturms jedoch durch dichtes Wipfellaub maskiert. Auch im Norden zwischen den Hochhäusern ist alles grün und zu Füßen des Hügels viel Platz für alle möglichen Freizeitsachen.

Auf einer der Bänke sitzt eine Frau, die sofort aufspringt, als Sie uns sieht, und zu erzählen anfängt. „Ah, dit sehick glei – ihr seid Geokescher, haaick sofort jesehen, ditt kennick schon, haaick erkannt wejen den Jerät da, Ihr macht Geokesching, haaick glei jeseen.“ Sie geht dabei langsam auf uns zu, und obwohl Sie einen Mundschutz trägt, weichen wir zurück, so höflich wie eben möglich, wegen einsfuffzich. „Wusstich sofort!“ Es ist eben schon ins Blut übergegangen, und das ist zwar auf den ersten Blick erschreckend, doch beim zweiten Hindenken eigentlich eine gute Sache, dass es quasi automatisch läuft, zur Gewohnheit gewachsen ist. Da es ja nun noch eine Weile gebraucht werden wird, als eins von drei Basis-Werkzeugen.

Spekte-Grünzug, Spandau

Auch wenn wir längeren Wortwechsel vermeiden wollen, lassen wir die Dame nicht gänzlich im Unklaren und erzählen, dass es so ähnlich ist, doch wir eher allgemein schöne Orte suchen und nicht kleine Schatzdöslein mit Zetteln. Sie ist’s zufrieden und wollte ohnehin gerade gehen – und ist auch schon auf dem Weg nach unten. So allein auf dem Gipfel sehen wir jetzt, dass es neben dem gediegenen Stufenaufstieg auch noch einen buschumsäumten Downhill-Sandweg sowie einen breiten Rodelhang für weiße Tage gibt.

Spekte-Grünzug mit dem Kletterfelsen

Unten ist kurz eine Verneigung vor dem Buschwerk angesagt, dann stehen wir wieder auf den Angeboten des Wegesystems. Ein kleiner Waldstreifen, in dessen Bäumen es nur so summt von Bienen und Vergleichbaren, geht über in einen einstigen Feuchtwald, der jetzt trocken liegt und dessen frisch begrünte junge Weiden eine Optik von Bambuswald erzeugen. Mittenhindurch führt ein breiter Bohlensteg, hinter dem die etwas breitere Zeppelinstraße quert. Die ist jetzt bis Falkensee bzw. für die nächste Stunde der letzte direkte Kontakt mit dem Verkehrsgeschehen.

Der Kletterfelsen über dem Spektesee

Spekte-Grünzug

Dahinter beginnt nun der sogenannte Spekte-Grünzug, der etwas südlicher mit dem Bullengraben noch ein Geschwisterchen in unmittelbarer Nähe hat. Ab hier ist die kleine Senke wahrzunehmen, die zwischen dem asphaltierten Radweg auf der einen und dem gepflasterten Fußweg hier liegt. Hinter einem kleinen Teich und der benachbarten üppigen Wiese mit groß angelegten Biotop-Hecken tritt voraus eine charakteristische Gestalt ins Bild. Deren Proportionen entsprechen nicht unbedingt gängigen Schönheitsmaßen, ziehen einen jedoch sofort in ihren Bann. Erst muss noch die Trasse einer alten Kleinbahnlinie überquert werden, die als Bötzowbahn bekannt war und Spandau mit dem havelländischen Umland verband.

Wer den Wuhletalwächter unweit des Ahrensfelder Berges kennt, hat sicherlich auch schon von diesem sandsteinhaften Gebilde gehört oder sogar obendrauf gestanden. Das westliche Pendant des Kletterfelsens steht zwar nicht ganz so spektakulär in der weiten Landschaft, ist dafür aber noch ein paar Köpfe größe und bietet ebenfalls Routen verschiedener Schwierigkeitsgrade sowie unten einen Boulder-Bereich.

Dunkle Wolken über der Spekte-Lake

Die skulpturhafte Gestalt mit ihrem durchsteigbaren Lichtauge, in die sich bereitwillig verschiedenste Motive interpretieren lassen, bietet soghafte Fotomotive vom Spekte-Grünzug aus, auch vom benachbarten Hügel oder vom Seestrand. Der Auslöser kommt nicht zur Ruhe, Begleiter müssen geduldig sein. Aus direkter Nähe weicht jedoch der Charme, da der Felsen des Deutschen Alpenvereins vorsorglich mit einem sachlichen Zaun umgeben wurde. Einen eigenen kleinen Ausflug wert ist der Anblick dieses Kletterfelsens definitiv, zumal direkte nebenan ein Badesee mit einem Kiosk lockt, der irgendwann wieder öffnen wird.

Der Große Spektesee, in dessen Schilfgürtel sich die Wasservögel wohl fühlen, lässt sich in einer knappen halben Stunde komplett umrunden. Am Westrand des Sees beginnt ein Graben, der aktuell trocken liegt und von einem schönen Brücklein überspannt wird. Dahinter setzt sich das bewährte Zwei-Wege-System fort, teils schnurgerade wie ein münsterländischer Bahntrassen-Radweg, dann wieder kurvig. Ein weiterer Weg  begleitet gegenüber das Ufer. Üppig grün sind all diese Wege, links und rechts die Bäume und unten die Wiese, und das wahrscheinlich erst seit ein paar Tagen.

Gemütliche Brücke über die Spekte-Lake

Als wirksamer Farbkontrast türmt sich voraus ein blauschwarzer Himmel auf und kündigt nun konkret an, was als Prognose verheißen war. Manchmal weiß man, dass nicht bald zu handeln ist, sondern jetzt, also zücken und entsichern wir schon mal die Schirme. Auf der breiten Holzbrücke über die Taille der Spekte-Lake kommt dann die nasse Wand angerauscht und wir spannen auf und sehen zu, dass wir ans andere Ufer kommen. Dabei bietet sich die Brücke so schön als Ort zum Verweilen an, mit kleinen Stränden, schönen Ausblicken und Geländern, breit wie Rastbänke. Heute jedoch nicht.

Staaken

Drüben liegt ein aufgeräumtes Wohngebiet im Norden von Staaken, einem dieser Berliner Ortsteile, die ich irgendwie niemals werde zuordnen können und wahrscheinlich bereits morgen wieder vergessen habe. Auf dem Finkenkruger Weg treffen wir auf erste Erinnerungen an die Mauer, kurz darauf auf den Berliner Mauer-Radweg, dessen Schöpfer Michael Cramer in diesem Jahr erstmals nicht seine beliebten und unterhaltsamen Mauer-Streifzüge anbieten kann – nach zwanzig Jahren Tradition. Am Ende des Weges ist die Grenze zu Brandenburg erreicht, das jetzt für ein knappes Stündchen unter die Sohlen genommen wird. Apropos Mauer-Radweg – auch die Zwanzig Grünen Hauptwege von Berlin spielen heute wieder eine große Rolle, drei von ihnen begleiten mit verspielten Zahlen diesen Tag.

Baracken-Fundamente und Mahnmal des KZ-Außenlagers

Hinter der Landesgrenze geht es am Ende einer Birkenreihe mit Seeblick noch einen Schritt weiter zurück in der Geschichte – hier befand sich in der NS-Zeit ein Außenlager des bei Oranienburg gelegenen KZ Sachsenhausen. Auch wenn die Vorstellungskraft an ihre Grenzen gerät, selbst wenn man die lose verstreuten Tafeln aufmerksam liest – die freigelegten Fundamente, über die ganz langsam das Moos wächst, auch die sichtbaren Baracken jagen eine Reihe von Schauern über den Rücken und durchs Mark, und der stürzende Regen hat das Licht des Tages dazu etwas runtergedreht. Ein schlichtes Mahnmal erinnert an die Opfer.

Falkensee

Mit dem Verlassen des Geländes reißt der Himmel auf, letzte dicke Tropfen fallen noch triumphierend in den freigelegten Nacken, und erleichert findet man sich nach wenigen Schritten in der friedlichen Welt von Fußgängerampeln, Kaufhallenschlangen und Jugendlichen, die den Lenker ihres Fahrrades hochreißen, so wie man das selbst als Bengel getan hat. Was auch immer der Grund oder die Zielstellung war, sicherlich dieselbe damals wie heute.

Weg von Falkensee nach Falkenhöhe

Die Wohnsiedlung um die Berliner Straße ist ganz gelungen. Ein Grünstreifen führt vom großen Rundhaus mitten hindurch, und jeder hat zumindest ein bisschen Gartenfläche. Direkt hinter den letzten Häusern beginnt die Natur mit wilden Wiesen und Wald, durch den man nach Falkenhöh gelangt. Aus dem Wald duftet es sagenhaft und würzig nach dem kräftigen Regen, und jeder Atemzug animiert zum besonderen Genießen.

Waldweg bei Falkenhöh

Falkenhöh

Auch in Falkenhöh wird gediegen gewohnt, jedoch mit großen Gärten und vielen schönen Häusern. Martin Luther drängelt sich per Straßenname kurz ins Bild und wird dabei umgeben von einigen seiner Tisch- und Zeitgenossen. Nach dem Eintauchen in den Wald lädt jenseits des schattigen Mauer-Radweges der Nadelboden eines Waldweges ein, der bald von einem Stacheldrahtzaun begleitet wird und dennoch gemütlich wirkt. Noch schöner wird es natürlich, als er den Zaun verlässt und seine Spur weiter durch den Mischwald zieht.

Versteckte Zärtlichkeiten in der Kantine

Kurz ist rechts das Krankenhausgelände zu sehen. In entgegengesetzter Richtung stehen gegenüber des Waldrandes Pferde und später auch übergroße Rindviecher, die zu später Mittagsstunde gerade in einen großen Haufen Heu vertieft sind und es trotz regen Futterns und Wiederkäuens schaffen, mit dem Nachbarkopf in Hautkontakt zu bleiben, Schnauze an Wange oder Stirn an Ohr. Der Vorgang sieht ungemein weich aus, obwohl vier massive Hörner beteiligt sind.

Lichtung im Wald mit jungen Kastanien

Dahinter winden sich Pfade durch den Forst, in dem unvermittelt der Spiegel eines umzäunter Seerosen-Weihers mit kleinen Inseln und rechteckigem Grundriss aufleuchtet. Falls ein Weiher einen Grundriss haben kann. Hinter dem nächsten großen Weg erstreckt sich eine große Trockenrasen-Lichtung, in der es bereits jetzt tüchtig, schillernd und farbenprächtig summt, obwohl bislang kaum etwas blüht – das ist dann eher Sache des Sommers. Am Nordrand der Lichtung wächst eine blutjunge Kastanienallee heran, die man spätestens in zehn Jahren mal wieder besuchen sollte.

Im Spandauer Forst

Gegen schön gerade Wege mit angenehmer Breite weiß sich aller Planung trotzend ein Waldweg durchzusetzen, der diagonal mitten hindurch läuft, von besonders zartem Grün umhüllt ist und stets aufs Neue von sich überzeugt. An der nächsten größenen Kreuzung bietet sich dann eine Sitzgelegenheit zur Pause an, und während wir hier sitzen, passieren mit Hund, Rad oder nur sich selbst mehr Leute, als wir in den letzten drei Stunden getroffen haben –tief im Wald, hier in der Großstadt. Ist wohl der Direktzubringer vom Spandauer Siedlungsrand zum sagenumwobenen Eiskeller.

Siesta in Wildgehege Zwo, Sektion Muffelwild

Wasserzug Kreuzgraben/Kuhlake

Danach bringt uns der Diagonalweg umgehend wieder in die Einsamkeit, wird bald von einem kleinen Pfad abgelöst, der das noch zu verfeinern weiß. Umso mehr staunen wir, als am nächsten großen Weg auf einmal vergleichsweise viele Menschen unterwegs sind und aufs Neue ein Zaun mitten im Wald steht – hunderte Meter lang. Sieht aus wie ein Wildgehege, und ist in der Tat eins, in dem sich jedoch nicht eine einzige Schnauze oder ein behuftes Bein entdecken lässt, auch kein Geweih oder Gehörne.

Wildgehege No. 1, Abteilung Rehwild

Noch im Suchen führen die Schritte über einen idyllischen Wasserzug, auf dem sich verschiedenste Enten tummeln und der schwer danach aussieht, als müssten sich hier auch Schildkröten wohlfühlen. Der Blick auf die Karte eröffnet, dass sich ausgedehnt ein regelrechtes Wassersystem durch den Wald zieht, das unter anderem mit der Kuhlake und dem Kreuzgraben zu tun hat. Verschiedene Seen haben eigene Namen, andere nicht, und Inselchen gibt es auch so einige, was allen beteiligten Kleintieren und Vögeln bestens gefällt.

Kuhlake zwischen den Wildgehegen

Die folgenden paar Hundert Meter sind so zauberhaft, dass sich die große Zahl der Menschen und Familien klar nachvollziehen lässt. Natürlich belassene, weit ausholende Uferkanten, kleine knorrige Stege übers Wasser, zudem ein mehr als zwei Meter hoher Aussichtsturm, von dem sich nun auch die ersten Tiere entdecken lassen. Insgesamt gibt es drei Wildtiergehege, die jeweils ziemlich sortenrein Rehtieren, Muffeltieren und Schwarzkitteltieren vorbehalten sind.

Wildgehege Spandauer Forst

Kein Nerv für Zaungäste in Wildgehege No. 3, Abteilung Kittelwild

Die Fraktion der Rehe hat am meisten Platz, kann sich daher auch am besten verstecken und war aus diesem Grund beim ersten Versuch nicht zu finden. Die mit den Krummhörnern am Schädel haben sogar alpin anmutende Klettergipfel aus aufgetürmten Findlingen, wo sie überzeugend den Steinbock mimen könnten. Die meisten ziehen es zur Stunde allerdings vor, ein breit ausgelatschtes Buffet von feinstem goldenem Stroh als Ruhelager zum Dösen zu nutzen und nur ab und zu ein halbes Maul voll vom Polstermaterial zu verschmausen. Der einzige aktive Hornbock mimt dafür den Poser und stelzt mit gereckter Brust und hinten vorne als höher durch das lichte Unterholz, um zu zeigen, wie das eigentlich aussehen sollte.

Schöne Anlage des Johannesstifts

Auch bei den Rehen ist eher Mittagsruhe angesagt, man steht so bei den Hütten und plaudert im Stillen. Doch auch hier gibt es den einen, weder jugendlich noch Senior, der aufrecht zwischen diversen Hindernissen hindurchstolziert und dabei den charakteristischen Gang eines Elches zitiert. Allein bei den Wildschweinen schert es keinen der Bewohner, wer da gerade guckt und was er wohl denken könnte, denn hier gibt es wirklich Wichtigeres. Der Blick mit gespitztem Auge lässt gut getarnt im Stroh am Stall drei Frischlinge erkennen, welche die ganze Aufmerksamkeit der Alten fordern und dem Anschein nach pausenlos gestreiften Unfug ersinnen. Die Alten sind enorm gut gebaut und der Zaun kurz vor der Nase sehr beruhigend.

Evangelisches Johannesstift

Südliche Kuhlake im frischen Mai-Schatten

Vorn die Straße nach Schönwalde ist kaum befahren, ein kleiner Weg führt nebenher. Vor dem Bahnübergang ist links ein Gebäude-Ensemble mit breiter Mittelallee zu sehen, das einen näheren Blick wert ist. Die Anlage des Evangelischen Johannesstifts rund um die Stiftskirche erinnert ein bisschen an das ehemalige Wihelm-Griesinger-Krankenhaus in Berlin-Biesdorf, unweit des Bahnhofs Wuhletal, auf dem S- und U-Bahn sich die Bahnsteige teilen. Auch dort gibt es gewisse Symmetrien, eine Kirche sowie reichlich schöne Umgebung. Hier die Kuhlake, dort die Wuhle – und damit schon ein zweiter Bezug zum Wuhletal.

Vom Radweg rechts der Schönwalder Allee locken verschiedene Wege und Pfade wieder in den Wald. Das wird mit der Fortsetzung der Kuhlake belohnt, die hier nicht minder idyllisch im Laubwald ruht.

Die breite Havel an der Havelschanze

Hakenfelde

Nach etwas Straßen-Zick-Zack gibt es dann hinter einer markanten Siedlungs-Anlage mit schnieken Wappen recht unvermittelt großes Verkehrsgeschehen und direkt danach den ersten Kontakt zur Havel. Das Becken des Nordhafens reicht fast einen halben Kilometer hinein bis zur Straße, die Spandau und Hennigsdorf verbindet. Der Straßenname Havelschanze kündigt schon den großen Ausblick an, der ganz an ihrem Ende wartet. Breit ist der Fluss hier, und der Blick fällt hinterm Sportboothafen auf die relativ neue Wasserstadt in Halbinsellage, doch auch auf die echte Insel Eiswerder, die durch drei elegante Bögen in Stahlfachwerk mit dem Spandauer Festland verbunden ist.

Uferweg Richtung Altstadt Spandau

Eine alte Kastanie mit kugelrunder Krone hält ihre Arme bis fast zu den Balkonen der ersten Häuserreihe, dahinter wird der Blick freigegeben auf einen breiten Uferweg. Links liegen urige Hausboote, deren Aufbauten vermutlich nur mit Hammer, Nagel und Zunge im Mundwinkel errichtet wurden, rechts wächst gerade der Gegenentwurf in die Höhe – alte Industriegebäude mit Wasserblick, die aufgehübscht und höchstbietend veräußert werden. Hinten auf dem bewegten Wasser streben zwei Wildgänse gen Flussmitte, zwischen sich vier extrasüße Küken, die kaum über die Wellen des windigen Tages schauen können.

Stahlfachwerkbögen zum Eiswerder

Hinter der Brücke über den Eiswerder lässt sich mit etwas Wohlwollen eine Kopenhagener Impression empfinden, zumal gegenüber die Zitadelle einen ihrer vier Festungszacken weit in die Havel hält. An der nächsten Ecke lockt dann ein Mittagsangebot, dem wir nicht widerstehen können. Obwohl anhand äußerer Faktoren nicht abschätzbar ist, was einen letztlich erwartet. Ein Fisch-Restaurant bietet Fischtüten in drei Ausfertigungen an – die höchste Ausstattung bietet Fisch&Chips und klingt irgendwie verdammt gut. Nehmen wir, bereuen es nicht und bestellen gleich noch eine Portion nach.

Havelschleuse Spandau

Dargereicht wird die spätestens nach acht Hapsen fingerfettige Tüte mit frischem paniertem Fisch und kaum verbesserbaren Pommes frittes in einer ausgedienten Konservendose. Das hält die Tüte in Form, die Finger fettfrei und verleiht obendrein dem Ganzen ein bodenständiges, ansprechendes Design. Passend dazu klagen die Möven über der Uferkante, ergänzend faucht von der Havel ein frischer Seewind hinüber, und so ist die längst fällige Energiezufuhr in Großformat schon wenige Minuten nach dem Weitergehen konkret als willkommene Wärme nutzbar. An einem Tag, der so wechselhaft ist wie eine ganze Aprilwoche.

Uferpark nördlich der Altstadt Spandau

Bad Spandau a. d. Havel

Ein kleiner Weg schwenkt links zurück zum Ufer, dessen Grünstreifen sich hier wie ein Kurpark präsentiert – mit Pergolen, Symmetrien und Wasserbecken, ausgeformten Senken samt wohlplatzierten Findlingen und einladenden Bänken. Bad Spandau an der Havel – klingt gar nicht mal verkehrt. Berühmt für seine Bullenkur, die angewandte Spektegrafie und nicht zuletzt die Eiswerder Massagen.

Verbliebene Stadtmauer von Spandau

Hinter einem passend mondänen Tor auf Höhe der Brauerei bietet sich nun, wieder einmal unerwartet, ein Bildausschnitt dar, der mit den Elementen Historische Stadtmauer, Wassergraben und Kirchturmspitze das Gefühl nahelegt, wirklich ganz woanders zu sein, nicht kurz vor dem nächsten U-Bahnhof mit Direktverbindung nach Berlin-Mitte. Da die Anreise nicht weit war und die Einkehr im kalten Havelwind kurz ausfiel, ist der Tag noch jung – nichts weist darauf hin, dass man jetzt die Beine mal stillhalten sollte, kein tiefer Sonnenstand, keine Abendamsel und keine Leute, die entspannt im Biergarten sitzen.

Schwanennest am Fuß der Stadtmauer

Doch unterhalb der Stadtmauer liegt im Schilfgürtel schwer ein Schwanennest, in dem sich der Brüter vom Dienst in sich selbst zurückgezogen hat, den roten Schnabel im barocken Weiß vergraben. Das schließlich gibt den fehlenden Impuls und umgehend schwere Beine und müde Augen. Die Bahnhöfe der U 7 müssen auf der Rückfahrt wohl ohne unsere Aufmerksamkeit auskommen.












Anfahrt ÖPNV (von Berlin): von Berlin-Alexanderplatz mit U-, S- oder Regionalbahn (0,5-0,75 Std)

Anfahrt Pkw (von Berlin): div. Möglichkeiten (ca. 0,5-1 Std.)

Länge der Tour: 18,5 km (beliebig abkürzbar, auch per ÖPNV)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Informationen zum Spekte-Grünzug

Altstadt Spandau

Kletterturm Spandau

Geschichtspark Falkensee

Wildgehege an der Kuhlake

Evangelisches Johannesstift

Mauerstreifzüge mit Michael Cramer (für 2020 abgesagt)

Einkehr: div. Möglichkeiten am Weg oder unweit davon

Neu Fahrland: Seelenfluchten, das nasse Viereck und der Lauf des Hasen

Klammheimlich hat sich der Frühling herangeschlichen – während die Wettervorhersagen täglich durcheinandergewürfelt wurden von kampfeslustigen Winden und launischen Güssen von oben, die an vielen Tagen sogar Pfützen zurückließen und das mehrtägige Überleben teurer Frisuren quasi ausschlossen. Woche für Woche wurde es voller im Klangregal, das bislang meist zartem Meisengepiepse und wehklagendem Krähengekrächz vorbehalten war. Immer mehr blütenüberpuderte Bäume und Sträucher ploppten auf, und an einem der letzten Morgen hatten sich dann auch schon erste Laubblätter im Strauchwerk zur vollen Größe kleiner Fingernägel aufgefaltet. Auch erste Düfte, die kurz innehalten und durchatmen lassen, gibt es schon.

Blick vom Weinberg zum Kirchberg

Nasen, Augen und Ohren nur dafür hat in diesem Jahr wohl keiner, da sich die ganze Welt, jedes Land und jeder Mensch ganz neu kalibrieren müssen angesichts eines unsichtbaren Herausforderers, der täglich für neue Wendungen sorgt, in immer neuen Größenordnungen. Und dem faktisch schwer zu entgehen ist, medial quasi überhaupt nicht – was absolut berechtigt ist.

Alte Kastanien am Sacrow-Paretzer-Kanal

Zwischen zu viel Gelassenheit oder zu viel Hektik gilt es dann und wann kleine Nischen zum Luftholen zu finden, kleine Zeitfenster und Rückzugsräume – damit sich durch diese Art von Ausgleich und Ablenkung ein gewisses Maß an Gleichgewicht und innerer Stabilität bewahren lässt, die Seele gesund bleibt und die Abwehr arbeitsfähig. Ganz normal aus seinem Gesicht zu gucken ist gerade keine simple Fingerübung.

Blick über den Fahrlander See

So profan wie wirksam kann, so lange es eben noch verantwortbar ist, ein mehrstündiges analoges Ausreißen in die Natur sein, die gerade in den ersten Wochen des Frühlings eine breite Zuversicht ausstrahlt, so wie sie das schon seit Jahrtausenden macht. Gern mit reichlich Wasser, viel Weite und unverstelltem Tageslicht – und nicht zuletzt etwas Naschwerk im Rucksack. Und ruhig etwas Mut zu ungewissen Wegen, schlimmstenfalls muss man eben ein Stück zurückgehen und die sichere Alternative nutzen. Beste Voraussetzungen dafür bieten sich im weit verschlungenen und mit Nebenfächern und Verschachtelungen gut bestückten Wasserreich der Havel westlich von Potsdam, die hier mit fast allem in Verbindung steht, was tief genug für einen dicken Fisch ist.

Kirchberg in Neu Fahrland

Neu Fahrland

Vom Potsdamer Hauptbahnhof kommt man mit dem Bus nach Neu Fahrland, das in mehreren Siedlungfragmenten seine Halbinsel bedeckt. Auf dieser erhebt sich der nicht zu unterschätzende Kirchberg, dessen Nordhang hochgewachsene Buchen bedecken – die jedoch mit diesem Tag hier nichts zu tun haben.

Auf dem Kirchberg, Neu Fahrland

Direkt an der Bushaltestelle nördlich der kantigen Insel zieht einen sofort ein anmutiger Weg in den lichten Wald, und schon ein paar Minuten später beginnt durch Laubwald der Anstieg auf diesen Berg. Kurz vor dem Gipfelplateau wird es nochmals etwas steiler, und wer hier noch seinen Ruhepuls hat und keinen Jackenknopf gelockert, braucht sich konditionell wohl nie mehr Sorgen zu machen.

Zwischen Kirchberg und Fahrlander See

Unbelohnt bleibt niemand, denn der Blick vom kleinen knüppelumrahmten Plateau reicht weit, Kenner können anhand Ihrer Umgebung vielleicht sogar die Glienicker Brücke lokalisieren. Wer hier oben steht und die Aussicht genießt, hat übrigens etwas gemeinsam mit dem bekanntesten Zeilenschmied der märkischen Landschaften, dem in der Vorstellung gern Stock und Hut zugeordnet werden.

Uferwiesen am Fahrlander See

Vorbei am sachlichen Wasserwerk und dem ebenso sachlichen Nebengipfel stürzt sich der Weg dann bald wieder hinab und erreicht durch Hohlgassen und auf kurvigen Pfaden das Niveau der Uferwiesen, die den Fahrlander See Hand in Hand mit einem breiten Schilfgürtel umgeben. Ein Ruhe atmender Weg wird von blassem Gestrüpp, knorrigen Wurzelruinen und erfahrenen Bäumen begleitet, weiter hinten schickt eine Weide all ihren Saft in den grünblonden Haarschopf, den die Brise des Tages in milde Wallung bringt.

Links des Weges lässt eine junge Familie eine leise surrende Drohne aufsteigen, die sicherlich ihren Preis hatte und jetzt eindrucksvolle Bilder dieser besonderen Landschaft zum Bodenpersonal funkt. Der Himmel winkt derweil eine Herde zerfaserter Wolken vorbei. Das Schilf rückt näher an den Weg.

Rindviecher am Rand von Fahrland

Während hinten bei den Häuser von Fahrland Lamas neugierig ihre Hälse recken, stehen ein paar Meter von hier krauszottige Rindviecher und graben ihre Mäuler in duftende Heuballen, ohne sich dafür bücken zu müssen. Werfen sich vielsagende Blicke zu und hoffen wohl darauf, bald wieder ihre Ruhe zu haben vor der Neugier der Passanten. Kurz darauf zweigt links ein durch Baumstämme blockierter Weg ab, der halb zugewachsen aussieht und dennoch einlädt, es zu wagen, zu sehen, wie weit man kommt.

Blick zum Kirchberg über die Uferwiesen

Das wird reich belohnt, denn die folgende Passage zählt zu diesen zauberhaften Überraschungen, die einem das Glück manchmal ganz beiläufig unterjubelt. Sicherlich muss hier etwas gestakst, dort etwas gebuckelt werden, und auch ein nasser Schuh ist manchmal nicht auszuschließen. Doch diese Viertelstunde ist ganz besonders, führt tief in eine verwunschene Landschaft, die abseits der schmalen Spur kaum durchdringlich ist. Teilweise wird der kleine Damm beidseitig vom Wasser begleitet, in dem es ständig raschelt, flattert oder mit schwerem Huf von dannen trottet.

Eine archaische Baumruine stützt sich mehr auf zwei breite Ausleger als auf ihren Stamm und weist auf einen langsam strauchelnden Hochstand, der für den Jäger erst nach drei Kurzen gerade aussehen dürfte. Teichgroße Wiesenpfützen stehen über winzige Gräben mit dem großen, viereckigen See in Verbindung, und alles blassbraune Vorjahresgestrüpp wird diskret von erstem Grün durchzogen. Einzelstehende Schilfhalme halten vor dem spiegelglattem See und blauem Himmel ihre pludrigen Köpfe in den kühlen Lufthauch, gleich stolzen Flaggen.

Ruderboothafen Fahrland

An einem Ruderboothäfchen endet der Pfad und gestattet nun ein erstes Stehen direkt am Seeufer. Ein Fisch trollt sich aus dem flachen Wasser ins tiefere und schlägt zuletzt entrüstet mit der Schwanzflosse. Genau gegenüber ist mit etwas Augenspitzen der schmale Durchlass zum Sacrow-Paretzer-Kanal zu erkennen, der ein direktes See-Umrunden mit trockenem Bein unterbindet.

Weg zum Weinberg, Fahrland

Ab dem Hafen flanieren mit entschlossenem Schritt und etwas vor uns zwei Damen, die sich auf den ersten Blick im Thema verirrt haben – mit hohem Schuh, schwingender Großraum-Handtasche und engem Rock sowie vorauseilendem Smartphone-Arm. Doch sie wollen eher nicht die Landschaft erkunden, sondern ein paar Mußeminuten am schönen Uferplatz verbringen, vielleicht mit Picknick-Decke im Gepäck und erster Teint-Hege unter der bloßen Sonne.

Nach ihrem Abbiegen rückt voraus nun Berg No. 3 ins Bild, der Weinberg, der seine mittelsteile Südflanke gen See hält, mitsamt Robinienwäldchen. Viele Höhenmeter sind nicht zu überwinden, doch der Blick von oben setzt einiges an Reichweite frei. Und fällt unter anderem auf den Geographischen Mittelpunkt des Landes Brandenburg, der sich hier irgendwo im Uferdickicht verborgen hält.

Die Kirche von Fahrland

Fahrland

An einem breiten Wasserarm haben sich all die Enten und Gänse versammelt, denen es auf den klammen Uferwiesen irgendwie zu voll geworden war, oder zu sonnig. Der Weg entlang des Wassers strebt auf einen Kirchturm zu und endet am Rand von Fahrland, wo der erhoffte Abstecher zur Landbäckerei erfolgreich ausgeht. Südlich des Dorfes geht es in die zweite Runde des Wiesen- und Schilflandes, das noch einiges mehr in die Breite gehen darf. Spätestens dort versammeln sich nun alle Vögel und Kleintiere, die man um diese Zeit zum zweiten oder ersten Mal im Jahr sieht. Der Deich zum See hin wurde gerade neu modelliert und verfestigt, und wer möchte, kann ihm bis zum Ufer des Kanales folgen.

Wir lassen uns schon vorher von einem kaum erkennbaren Wiesenpfad ablenken, der wieder mal für Freude über die Gummistiefel sorgt. Beim Brücklein über den schmalen Graben sehen wir in der nahen Ferne einen Feldhasen, der von einem ungeleinten Bello über die Wiese gejagt wird, diesem aber schnell seine Grenzen aufzeigt – zu unserer Erleichterung. Dennoch rattert sein Puls, als er auf unserer Höhe für die Länge eines Wimpernschlages innehält.

Uferweg bei den Fahrländer Wiesen

Vor der nächsten Brücke lagert ein massiver Steinblock, der eine perfekte Rastbank abgibt. Der gerade Blick fällt von hier auf die Höhen von vorhin, die von hier aus kaum nach Höhe aussehen. Während der Tee abkühlt, nähert sich vom Dorfe her im Trott ein massiges Pferd in Schwarz, mit Schlaghosen und einer erfahrenen Zügelhalterin, die bei der Brücke ihren Anschlag hat und den Boliden in zwei Zügen wendet.

Gleich nach der Brücke geben wir uns der nächsten Ablenkung hin, wieder ein Wiesenweg an einem Wasserlauf, doch diesmal ein breiter. Immer mehr Vögel wachsen aus den Wiesen, je länger man den Blick schweifen lässt. Richtung Kanal grasen auch zwei Rehgestaltige, die jedoch eher wie Gämsen wirken. Was bei den Bergeshöhen dieses Tages kaum verwundert.

Unklare und unnahbare Dame am Kanalufer

Entlang des breiten Schiffahrts-Kanales, den ich ob der weiten Landschaft der Fahrländer Wiesen gerade gar nicht mehr auf dem Schirm hatte, steht eine imposante Reihe alter Kastanien, zu beiden Ufern. Das sieht schon ein wenig nach den dekadenten Allee-Werken rund um Potsdam aus, als wären Preußenkönigshand und auch –budget auch beim Anlegen dieses Kanals im Spiel gewesen. Etwas struppig ist der Pfad am Ufer, voraus im Bild schon die Straßenbrücke mit ihrem Bogen zu sehen.

Kastanienreihe am Sacrow-Paretzer-Kanal

Auf Höhe eines erstaunten Anglers nutzen wir dessen Zugangspfad vor zum Fahrweg, wo man am kleinen Hafen Paddelboote ausleihen kann. Das sieht in Hinblick auf den geradlinigen Kanallauf nicht nach dem idealen Platz aus, doch zoomt man etwas aus der Karte, sind im Nu ein halbes Dutzend Havelseen in greifbarer Nähe. Und dank der Havel selbst ließe sich zwischen Sonnenauf- und -untergang eine schöne große Rundtour über Werder, Caputh und Potsdam paddeln – mit unzähligen Erweiterungsoptionen.

Sacrow-Paretzer-Kanal von der Brücke an der Anglersiedlung

Anglersiedlung Kanalbrücke

Am anderen Kanalufer liegt eine Laubenkolonie, und hier gibt es sogar eine Gaststätte. Das nutzen wir, denn der Hunger ist da und Einkehren am Weg sowieso am schönsten. Nach einem kurzen Stück auf dem Radweg entlang der lauten Straße drehen wir ab in Richtung Bornstedt und streifen die Kleinen Plankwiesen, die nach Norden vom Kanal begrenzt werden. Und widerstehen hier der Einladung zum Uferweg.

Nach einem Wäldchen beginnt dann passend zum geschwungenen Straßenverlauf und den betagten Baumriesen am Wegesrand eine anmutige Wiesenlandschaft, die irgendwie schon nach der Art Park aussieht, wie man es etwas südlicher bei Schloss Lindstedt noch ein wenig ausgeprägter finden kann.

Weg entlang der Kleinen Plankwiesen

Gutshof Bornstedt

Was voraus liegt, sah vor langen Jahren vergleichbar mondän aus, doch das ist einzwei Systemwechsel her. Einzig eine Ahnung davon vermittelt noch der Persiusturm, der von der Zeit mitgenommen und leicht geflickschustert als Antennen-Sockel dient. Der amtierende Gartenmeister hat das Thema Baumschnitt absolut wörtlich genommen und die Kronen einiger kleiner Obstbaumalleen bis fast auf den Stamm zurückgesägt. Das gewonnene Holz liegt in sauberen Haufen zwischen den einstigen Bäumchen. Doch die Natur hat Kraft, manchmal auch langen Atem, und so werden es die nächsten Jahre wieder richten.

Zum Kanal hin übernehmen nun erfahrene Waldbäume das Alleegeschehen. Hinterm Schilfgürtel zieht der breite und jetzt schon schattige Weg entlang, lässt den Kanal nur ahnen und allenfalls hören, wenn ein Schubverband sich schwer stampfend stromaufwärts arbeitet. Der breite Uferstreifen ist von tausenden Wildschweinhufen durchmodelliert, zwischen denen ein gewunderer Weg zu einer hinreißend gelegenen Uferbank führt. Dort soll jetzt der letzte Tee dampfen. Direkt gegenüber erhebt sich der Kirchberg, links sind die spitze Landnase und der schmale Durchschlupf zum Fahrlander See zu sehen und nah am Ufer versuchen über dem tiefblauen Havelspiegel vier Schwäne edler auszusehen als die jeweils anderen. Und trollen sich schon bald, weil keiner richtig guckt, kein Ah und Oh gespendet wird.

Gutshof Bornstedt

Rechts des Weges schießt hinter einem filigranen Zaun schnellwachsendes Baumholz gen Himmel, spindeldürr und in der klaren Ordnung einer Plantage. Gegenüber am linken Wegrand glänzen perlmuttgolden die Blütenblätter des Scharbockskrauts, die jetzt ihre beste Zeit haben und allererste Farbakzente im allgemeinen Braungrau beisteuern. Wüst und durcheinandergestoppelt sieht der breite Uferstreifen aus und dürfte daher bei verschiedensten Tieren sehr beliebt sein, zum Leben, Schlafen und Speisen. Sowie dem mannigfaltigen Zeitvertreib dazwischen.

Blaues Havelwasser im Kanal

Nedlitz

Eine Ausbuchtung des Kanales lenkt den Weg nun vorbei am Landgut Nedlitz, das viel dafür getan hat, möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, beim Vorbeigehen also kaum auffällt und sich gut in die umgebenden Gewerbeflächen einpasst. Nach einer Laubenkolonie und einem Wäldchen darf der Blick nach rechts wieder ausschweifen und bleibt in gewisser Entfernung an einer schönen Allee hängen, die wieder ganz klar den exklusiven Schriftzug des Potsdamer Umlandes trägt. In passendem Schlendergang flanieren zwei ferne Personen, sicherlich mit elegantem Hut und beknauftem Spazierstock. Links im Wald spenden die abendlich gestimmten Vögel die Musik dazu, von rechts die tiefe Sonne das warme Gold und diese endlosen Schatten.

Volkspark Potsdam

Nun wäre diesem Tag eigentlich nichts mehr hinzuzufügen, doch der hat sich für den Ausklang noch eine prächtige Praline aufbewahrt. Die landschaftliche Kalorienbombe ist von länglicher Form und nennt sich ganz schlicht Volkspark Potsdam – keiner von uns hat je davon gehört. Was nichts zu heißen hat, aber doch markant ist.

In ein schönes System von Grünflächen und Wegen sind Obstwiesen und alte Gemäuer eingebunden, Gräben und Teiche, fantasievolle Spielplätze und besondere Gärten. Unzählige Anregungen zum Bewegen gibt es, wobei Spaß und Sport Hand in Hand gehen, der erstgenannte jedoch ganz klar die größere Pranke hat.

Uferbank mit Kirchberg-Blick

Südlich der Taille liegt dann neben größeren Sportplätzen noch die Biosphäre Potsdam, von der ich komischerweise bis heute nicht weiß, was es eigentlich ist. Doch sie muss ohne Zweifel einen Besuch wert sein – so viel zumindest ist klar. Der zerklüftete Grundriss des Volksparks, der auf eine beachtlich lange Außengrenze kommen dürfte und im Süden bis zur Siedlung Alexandrowka reicht, hat ein bisschen was von einer kindgemalten Giraffe mit abgedrehten Proportionen. Ein Besuch sollte problemlos einen ganzen Ausflugstag füllen, denn es gibt wirklich an allen Ecken etwas zu entdecken. Nicht zuletzt auch noch die Biosphäre …

Wir widerstehen beim Nomadenland mit seinen urigen Jurten dem Biergarten, beschränken uns also auf den klobigen Giraffenkopf. Am Ende wissen wir fürs nächste Mal, dass die Automaten fürs Parkticket etwas mäkelig sind, es ausschließlich passend haben wollen und das Zehn-Minuten-Durchgangsticket auch nicht jedem rausrücken, der danach fragt. Beim baldigen Folgebesuch gibt es dann eben ein bisschen mehr in den schlitzengen Schlund.

Nomadendorf im Volkspark Potsdam

Während dieser rastlosen Runde zum Anfüttern begegnen wir mehrfach zwei Fortgeschrittenen in der Disziplin des Discgolf, die dem Anschein nach ein hervorragendes Verhältnis zum Badezimmerspiegel haben und jede ihrer Bewegungen ausführen, als würde hinterm nächsten Busch ein Kamerateam stehen. Dafür sitzt aber auch jeder Wurf, bei dem jeweils eine frühstückstellergroße Scheibe in einer Art Korb mit naseweisem Kettengehänge landet. Auf dem Rückweg zum nördlichen Ausgang sehen wir bei derselben Disziplin noch eine bunt zusammengewürfelte Truppe aus Familie und Freunden, die ihre Scheibe zwar so gut wie nie erfolgreich versenken, doch dafür eine Menge Spaß haben.

Neugierig geworden sind wir wirklich, doch der Kilometerzähler steht auf Feierabend und mit ihm die Kraft der kleinen Wackelbeine. Also vermerken wir eine lose Terminabsprache hinterm Ohr und trollen uns durchs nächste Wäldchen. Eine Singdrossel oben im Baumwipfel zieht mit ihrer kleinen Nachtmusik vom Leder und kann in Sachen Vielfalt der Nachtigall durchaus die Stirne bieten.

Obstwiesen im Volkspark Potsdam

Insel am Großen Horn

Noch einmal übernimmt jetzt die Havel für die letzte Viertelstunde, die weniger romantisch ausfällt als es das Wort Insel vermuten ließ. Zwischen Brachen, Baustellen und teuren Häusern ohne Anspruch lassen sich noch ein paar klassische Bauten á la Potsdam finden, und die Bundesstraße ist eben befahren wie eine Bundesstraße. Doch das letzte Sonnengold bringt alles umgebende Wasser zum Gleißen und betont zumindest eindrucksvoll die Ureigenschaft einer Insel – vom Wasser umgeben zu sein.

Blick von der nördlichen Inselbrücke, Neu Fahrland

Von der zweiten Brücke fällt der Blick auf üppige Wassergrundstücke mit einem angenehmen Maß an Dekadenz – was die Insel nicht hergab, gibt es hier als kleinen Nachschlag. Der letzte Wasserblick fällt von der Brücke direkt nach Westen, wo ein Ruderer sein hüftschmales Boot mit meditativen Schlägen ins Gegenlicht treibt, kurz noch flimmert und bald darin verschwindet.










Anfahrt ÖPNV (von Berlin): ab Ostkreuz S-Bahn oder Regionalbahn bis Potsdam Hbf., dann Bus bzw. Straßenbahn/Bus (ca. 1,25-1,5 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin):

Länge der Tour: B5 bis Spandau-Wilhelmstadt, dann B2 (ca. 1-1,25 Std.)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Neu Fahrland – Fünf-Seen-Ortsteil von Potsdam

Webpräsenz Neu Fahrland

Sacrow-Paretzer-Kanal

Gutshof Bornim

Volkspark Potsdam

Einkehr: Gaststätte An der Kanalbrücke, Anglersiedlung (bei Marquardt)
Die Tenne, Neu Fahrland (nördlich der Insel)
Café Charlotte (am Gartenmarkt östlich des Kirchbergs)
Nomadendorf im Volkspark Potsdam

Klein Kreutz: Drei Berge, das Schilfreich und der Flirt mit der Havel

Das Jahr 2019 hat den Betrieb aufgenommen, und so wie die zweite Dezemberhälfte des letzten Jahres haben auch die ersten Januarwochen jeden Tag wenigstens etwas Niederschlag gebracht. Die gnadenlose Großwetterlage dieses dürren Sommers ohne Ende ist also definitiv durchbrochen. Was nun Lichtmangelerscheinungen und Winterdepressionen oder dem Abspielen von Musik mit wenigstens einer Prise Blues in ihrer DNA verlässlich Vorschub gewährt, bedeutet für die vom letzten Jahr erheblich runtergerockte Natur ein erstes Aufatmen. Trockengefallene Dorfteiche und Grabensysteme oder Bruchwälder mit raschelndem Unterholz können auf Wassernachschub hoffen und damit manch trauriger Anblick wieder im Bereich des Normalen verschwinden.

Blick über den Beetzsee

Der Deutsche Wetterdienst verheißt auch für heute tagesbegleitendes Tröpfeln verschiedener Stärkegrade und bestätigt damit die Zeitungsmeldung vom Vortag, nach der die Spree auf ganzer Länge wieder vorwärts fließt. Die aus dem Mecklenburgischen kommende Havel setzt noch einen drauf und deutet an einzelnen Uferstellen klar erkennbar etwas Drüberwasser an, was gut zu den überschwemmten Wiesen in ihrem Hinterland passt und all den ausgedehnten Pfützen auf den Straßen.

Es ist wirklich unwirtlich da draußen vor der Tür, sogar die hartgesottenen Krähen klingen etwas klagender als sonst, fast vorwurfsvoll. Die Dämmerung beginnt direkt nach dem Hellwerden, der wassergetränkte Wind scheucht um die Häuser und die nicht für Schnee ausreichende Kälte will bis unter die innerste Kleiderschicht krauchen. Manches ungelesene Buch, sorgfältig herausgeschobene Vorhaben oder die Aussicht bloßen Müßiggangs bieten zudem eine verlockende Alternative zum Verlassen der Wohnung, das der Drang nach freiem Himmel, reichlich Platz und frischer Luft mit Nachdruck fordert. Da zu diesem Nachdruck noch die Neugier auf nie gegangene Wege und eine lange Havel-Abstinenz kommt, kommt es letztlich doch so, wie es kommen muss.

Schon auf der Hinfahrt Richtung Brandenburg wechseln die Wetter in kurzen Abständen. Immer wieder hinterlassen die Regentropfen ihre Bremsspuren auf den Scheiben, mal in nachvollziehbaren und sekundenlang verweilenden Strichen, dann wieder in flächigen Vorhängen mit leicht gewelltem Rand, der die Sicht nach draußen in Unschärfe verschwimmen lässt und Interpretation fordert von allem, was vorbeifliegt. Bekanntermaßen gilt die Havel als durchaus einflussreiche Wetterscheide, und so bleibt bis fast zuletzt die Hoffnung, sich auf der richtigen Seite des Flusses aufzuhalten. Erst ganz am Ende des Tages wird sich zeigen, ob dem so war.

Blick vom Weinberg zur Stadt Brandenburg, Klein Kreutz

Klein Kreutz und Groß Kreutz – das ist einer der wenigen Fälle, wo bei ähnlicher Namenslage und anzunehmender Beziehung beide Orte nicht nur entfernt voneinander sind, sondern zudem noch durch einen wirklich breiten Fluss getrennt werden. Dessen nächstbenachbarte Brücken liegen gute dreißig Kilometer auseinander – eine in Brandenburg selbst, die nächst flussaufwärts erst kurz vor Werder. Während das größere Groß Kreutz gewissermaßen auf dem Festland liegt, gibt sich das Land zwischen Tremmen und Klein Kreutz auf der Karte fast wie eine große Halbinsel mitten im Land, umgeben von einer fünfzig Kilometern langen Uferlinie, die komplett von Havelwasser befeuchtet wird. Nur ein paar Bäche steuern hier und da noch ein einige Liter von kürzerer Reisezeit bei.

Klein Kreutz

Klein Kreutz hat alles, was ein Dorf braucht und noch etwas mehr. Zur Grundausstattung von Kirche, Feuerwehr und gediegener Dorfstraße gesellen sich neben Spiel- und Sportplätzen und einem echten Bäcker noch ein halbseitig bewaldeter Weinberg sowie ein urwüchsiges Flussufer hinzu, ferner ein ausgedehntes Feuchtgebiet mit schönem Dammweg mittendurch. An manchen Stellen verströmt Klein Kreutz das Flair eines norddeutschen Küstenortes, weiter drinnen sieht es teilweise aus wie am Mittelgebirgsrand. Straßennamen wie Klein Kreutzer Havelstraße, Klein Kreutzer Bergstraße oder Alte Weinberge bekräftigen diese Mehrschichtigkeit.

Auf dem Weinberg, Klein Kreutz

Der Spielplatz hinter der alten Feuerwehr spricht mit seinem rustikal möblierten Potential zwischen Rumturnen und Abhängen fast alle Jahrgänge unterhalb der achtzehn an und deutet mit etwas Flanke schon die bergige Seite des Ortes an, die neben Kiekeberg und Weinberg noch eine namenlose Zwischenerhebung zu bieten hat. Es sind zwar nur Berge im märkischen Maßstab, doch der Aufstieg sollte jeweils dafür ausreichen, dass am Ende niemandem mehr kalt ist unter seiner Jacke.

Drei Berge sollen heute am Weg liegen, ein jeder von ihnen mit eigenen Charakterzügen. Der Weinberg ist der erste in der Reihe und bietet als einziger eine schöne Sicht auf die Stadt Brandenburg, in der auf den ersten Blick ein paar Türme zu fehlen scheinen. Doch das regelt sich auf dem weiteren Weg nach Westen. Der Anstieg führt vorbei am herrlich gelegenen Kindergarten, der sich vermutlich nicht mit irgendwelchen klangvollen Konzeptbezeichnungen schmücken muss – die Lage ist selbsterklärend. Dass es dort das ebenfalls selbsterklärende Café Blubberlutsch gibt, ist dennoch eine Erwähnung wert und dürfte bei jedem Erwachsenen sofort ein international gültiges Klangbild im Kopf aufrufen und abspielen.

Im Havel-Bruchwald bei Klein Kreutz

Weinberg

Gleich dahinter geht es vorbei an Obstwiesen hinauf in den Wald, der Laub- und Nadelholz geschickt mischt und damit die ganze Ostflanke abdeckt. Die nur sporadisch von Bäumen bestandene Westseite ist vielleicht klimatisch bedingt, auf jeden Fall hält sie den erwähnten Blick auf die einmalig schöne alte Stadt an der Havel frei und lässt jeden besonders zufrieden blicken, der in kalter Verachtung von Gewichtsersparnis an ein Fernglas dachte.

Der knackige Abstieg vom Gipfelplateau verläuft auf sandigem Pfad und führt fast ohne Übergang in die nächste besondere Landschaft, die nun eher von Nah- als von Fernsichten lebt. Ein schnurgerader Damm führt durch ein Feuchtgebiet, das mit etwas Wohlwollen an die markanten Moorflächen erinnert, die man überall im Lande treffen kann, wenn auch nicht gerade häufig. Der durchgängige Nieselregen hat dafür gesorgt, dass die Wiesen ringsherum unter Wasser stehen und der Bruchwald so feucht ist, dass dort die Schwanenkinder ohne elterliche Aufsicht durch den Unterholz-Dschungel tingeln. Alles Wasser hier steht schon mit der Havel in Kontakt, die etwas weiter hinten ihre urwüchsige und schilfreiche Uferlinie spinnt. Am jenseitigen Flussufer mündet in ausgedehnten Schilfflächen die wenig bekannte Emster, die man eher in ein anderes Bundesland packen würde und die unweit von Lehnin ihren Ursprung hat, gar nicht weit von hier.

Junger Schwan im Bruch

Eine Bank am zauberhaften, stillen Weg ist der Platz für die erste Pause, schließlich ist bereits ein Berg bezwungen. Das flache Wasser des winterbleichen Bruchwaldes ist klar, leicht golden und vermutlich eisig kalt. Die grauen Schwäne tun, als wären sie nicht da. Sind schon groß wie ihre Eltern, doch zugleich kommt irgendwo aus ihrer Mitte noch das gedämpfte Gepiepse, das vom anhaltenden Kükenstatus zeugt.

An einer kleinen Brücke endet der Dammweg, kurz darauf quert die breite Dorfstraße und lässt von links und rechts tüchtige Geräusche hören. Da sind sie wieder, die Vorhaben, die man aufs neue Jahr vertagt hatte und jetzt beherzt angeht, um bei Sonnenuntergang mit einem wirklich guten Gefühl ins Haus zu gehen. Schubkarren sind dabei und Schaufeln, Leitern und sogar ein Rasenmäher. Was geschafft, nicht nur gequatscht, gleich getan. Und in Stunden erledigt, was einen übers letzte Jahr mit weit mehr Zeitaufwand beim Aufschieben belastete.

Hinter Klein Kreutz

Auch beim Zimmereibetrieb nutzt einer die Gegenheiten des Wetters, um den buckligen Hof zu plätten mit einem dieser vibratorischen Teile, die wirklich im ganzen Dorf zu hören sind. Direkt daneben führt ein kleiner Pfad am Zaun vorbei und setzt den schnurgeraden Spazierweg hinterm Dorf fort. Rechts ist der Stufengiebel der Kirche vor der Kulisse des Weinberges zu sehen, eher als Bergdorfimpression, nach links gen Sportplatz erahnt man hinterm Sportplatz einen Altarm der Havel und hört sie zudem fließen – vermittels stampfender Dieselmotoren von Schubverbänden, die sich angestrengt stromaufwärts kämpfen.

Am Rand des Ortsteils Klein Kreutzer Eigenheime beginnt ein Weg, der nach all den Besonderheiten des Einstiegs nun das Verlangen auf Platz und Weite bedient. Der Wind kommt stramm von vorn, und so wie den ganzen Tag schon schauert es gelegentlich. Schön ist dabei, dass die Pausen dazwischen meist länger sind als die Zeiten des Niederschlags selbst, die Schirme die meiste Zeit geschlossen bleiben können. Wenn sie offen sind, gibt ihre wettergegerbte Mechanik alles im strammen, launischen Blasewind.

Bei den Wochenendgärten am Beetzsee

Die Luftlinie zur Stadt Brandenburg schrumpft nach und nach, und in der Tat kommt mit jedem Kilometer ein weiterer vermisster Turm hinzu zur Silhouette der Stadt, zuletzt ist die Friedenswarte auf dem Marienberg nicht nur schemenhaft, sondern in ihrer griffigen Siebziger-Jahre-Form erkennbar. Rechts des Weges erstrecken sich Spargelfelder, deren Abdeckplanen gekonnt befestigt wurden, keine von ihnen ist aufgeworfen. Auf Höhe des grasgrünen Segelflugplatzes beginnt rechts des Feldweges ein schöner Wiesenweg entlang von Büschen, der den Wind etwas entschärft. Weiter hinten lagern Schwäne auf den Feldern.

Stiller Teich bei den Wochenendgärten

Am offenen Foyer zum Flugplatz, der auch „Airport Brandenburg Sailplaning Regional“ heißen könnte, stehen frei zugänglich zwei tapsige Betonflieger zum Rumklettern. Gleich dahinter quert an einem maximal reduzierten Buswartehäuschen die Landstraße, begleitet von einem Radweg, der scheinbar erst gestern aus der Asphaltquetsche kam. Schon kurz darauf beginnt die zentrale Passage dieser Tour entlang des havelgefüllten Beetzsees Süd, die reich ist an Vielfalt und Eindrücken und daher scheinbar länger, als sie wirklich ist.

Bucht des Beetzsees

Das Spiel mit der Uferlinie gleicht einem Flirt auf Abstand und erinnert an die legendäre Schachpartie in einem wirklich alten Film, in der Faye Dunaway und Steve McQueen auf sagenhaft minimalistische Weise einige Standards der Flirtkunst aus der filmischen Taufe hoben. Immer wieder lockt die Sicht auf das Ufer mit dem gekrümmten Zeigefinger, stößt einen dann mit brüsk erhobenem Kinn wieder zurück, um gut abgezäunt sogleich wieder einen verheißungsvollen Blick zu gestatten. Ein erhoffter Zuweg schließlich ist vorhanden, doch vom erhöhten Wasserstand überschwemmt, der Blick aufs Wasser vom hohen Schilf zensiert. Die definitiv letzte Chance schließlich ist weder versperrt noch umzäunt oder überschwemmt, endlich darf das Auge in voller Breite übers Wasser bis hin zum anderen Ufer schweifen. Obendrein gibt es noch einen kleinen Bootshafen mit Badestrand, ein paar Fischerei-Accessoires und eine bequeme Bank.

Dammweg zwischen den Grundstücken

Auf dem Weg dorthin windet sich der Weg hindurch zwischen Teichen oder Buchten und folgt einem winzigen Pfad zwischen Wald und Schilfgürtel, berührt wassernahe Gebiete von Wochenendgrundstücken mit kleinen Ruderboothäfen und entlegene Siedlungen mitten im Wald, mit vereinzelten privilegierten Lagen, die laut Schild von einem Partnerbetrieb der Polizei umsorgt werden. Überhaupt schafft im unmittelbaren Umkreis dieser schicken Bungalows eine kleine Flut von Verbotsschildern etwas Farbe im monochromen Winterwald. Neben den gelben Schildern für jedermann, die im gutsortierten Baumarkt im Regal hängen, gibt es auch zahlreiche individuelle Anfertigungen, die in ihrer Absurdität gutes Futter für ein kleines Kabarettprogramm abgäben. Eine Dame auf dem Weg zum Domizil hat sichtliche Schwierigkeiten, ihr altersgerechtes und etwas großgeratenes Hochbeinauto in Weiß auf dem Wiesenweg zu zentrieren, so dass wir vorsorglich ausweichen.

Überschwemmter Stichpfad zum Ufer des Beetzsees

Der Weg verläuft teils als winziger Pfad im Wald, dann als weicher Wiesenweg durch losen Wald oder breit auf Schotter, teils entlegen oder eben vorbei an Grundstücken. Immer präsent ist der Schilfgürtel des Sees, der uns nun hier am kleinen Hafen endlich die erhoffte Lücke gewährt. Der Wind, der oben die Wolken am Himmel entlangjagt, peitscht hier unten den Beetzsee bis hin zu Schaumkronen auf und drückt alles Schilf landeinwärts. Im Zusammenspiel mit dem sichtbaren Ufer blitzt kurz ein Gedanke an die Halbinsel Darss auf, wo es jetzt auch so aussehen könnte.

Strandhafen am Beetzsee

Die Zugänge zu den Bootsstegen sind komplett unter Wasser, wenn auch nur knöcheltief, und leider bestätigt sich der Verdacht auf ein Leck in einem meiner Gummistiefel. Mit dem Blick auf baumlange Reusenstangen auf dem Trockenen und den Hafen unter Wasser ist es nun höchste Zeit für heißen Tee und etwas bunt gemischte Energiezufuhr. Auch diese Pause wird vom Regen verschont, dafür ist der Wind umso stärker hier am Wasser und irgendwann das Weitergehen sinnvoll für den Wärmehaushalt.

Weg über die Wiese zu den Teichen

Hinter den letzten Häuschen beginnt auch auf der rechten Seite des Weges wieder eine wasserreiche Schilflandschaft, danach führt der Pfad unvermittelt über eine große Wiese mit riesigem Scheunengebäude, in dem hunderttausende Backsteine verbaut sein müssen. Gleich dahinter treffen wir auf den aus anderen Jahren bekannten Wanderweg mit dem Storchenkopf, der auf Zweitageslänge alle drei Beetzseen umrundet und auch noch weiter nördlich anzutreffen ist.

Teichlandschaft zwischen Beetzsee und Fuchsbruch

Wer vom Flirt mit der Uferlinie noch nicht genug hat oder dem See noch näher kommen möchte, könnte auf Wegen und Pfaden noch ewig weiter gen Norden streben, so zumindest sieht es die bekannteste freie Karte im Internet. Gummistiefel sollte man dafür auf jeden Fall anhaben, solange die Jahreszeit mit dem niedrigen Sonnenstand anhält. Wir hingegen wollen das montane Kernthema der Tour nicht aus den Augen verlieren und drehen vor dem Queren eines breiteren Stichkanals rechts ab, Richtung Binnenland. Der Kanal und eine Reihe von Teichen begleiten den Weg mit dem Storchenhaupt, auf dem uns der erste Mensch des Tages entgegenkommt. Vor ihm, in elegantem Braun und zielstrebiger als er, eilt einer von diesen glatthaarigen Waldis, die mit etwas Quietschen durch ein Standard-Abflussrohr passen würden, eins ohne Knick. Der aktuelle Niesel lässt die Teiche links und rechts des Weges im trüben Grau versinken, und alle Vögel auf dem Wasser scheinen noch verhaltener als früher am Tag. Doch für sie ist all das ja Tagesgeschäft.

Aufstieg zum Wasenberg

Wasenberg

Hinter der Landstraße lockt ein schöner Radweg geradeaus nach Fuchsbruch, und wären wir bereits durchweicht, wir würden diese Option dankbar annehmen. So aber ist es möglich, auf den querenden Radweg abzubiegen und nach Höhenluft zu streben. Am Stichkanal starten gerade vier Seidenreiher durch dessen schmale Wipfelgasse, ein grauer folgt mit etwas Abstand. Ein paar Bäume später treiben bewegliche Schwärme faustgroßer Vögelchen ihr flinkes Spiel in den laublosen Baumkronen. Gleich darauf präsentiert der Wasenberg auf seiner Südflanke den elegant geschwungenen Aufstiegsweg. Berg Nr. 2 ist auf seinem Gipfelplateau bedeckt von einem lichten Birkenhain, den eine mustergültige Eiche am höchsten Punkt um sich geschart zu haben scheint wie graues Volk, um selbst darin noch mehr zu leuchten. Am Ende scheint der Plan nicht aufgegangen – sie ist schon eindrucksvoll, die Eiche, doch der finnische Charme der vielen weißen Stämme bestimmt die Impression ganz klar.

Auf dem Wasenberg

Nach all diesen besonderen Landschaften des Havellandes folgt nun eine nachgerade bodenständige und regelrecht entspannende Passage mit der bewährten Mischung aus weitem Feld und verschieden Wäldern, die dazu noch großzügig ätherische Düfte aus Kiefernhand beimischt, würzig und altvertraut. Auch hier ist da und dort dem Spargel schon sein Bett bereitet. Der Himmel zieht sich immer mehr zu, der Horizont wird minütlich diesiger und die unbelaubten Bäume zeigen sich besonders kahl. Vier benachbarte Kopfweiden mit langen Austrieben versuchen sich in einer mildeuphorischen Choreographie, was rührend wirkt und durchaus Wirkung zeigt.

Nördlich von Fuchsbruch

Langmathenberg

Wir schwenken ein nach Süden und bewegen uns im matschigen Pfützenslalom auf den letzten Berg zu, den Langmathenberg, der sich langsam aus dem Dunst des Horizontes schält. Die Pelle ist nun langsam durchgeweicht, die Kälte hat leichteres Spiel in ihrer Kraucherei und der auffrischende Wind rasselt mit dem Säbel, was die Wettersituation auf dem dritten Gipfel betrifft. Eine ferne Dame hat sich von ihrem Hund zu einer kurzen Runde überreden lassen und hält sich an den allerkürzesten Weg, direkt am Fuß des Berges. Auf dem Gipfel gibt es keine Wege, so dass wir uns an Tierpfade halten und nach dem Zustieg direkt durchs Unterholz gen Gipfel abzweigen, teils gebückt und teils gezaust. Das Gipfelplateau ist wiederum anders, ungezähmt mit viel struppigem Gras, lose verstreute Bäume und auch hier keine Sicht auf irgendwas, wie schon beim letzten Berg. Im Abstieg breitet sich dann im Westen der See von Fuchsbruch aus, mit der gleichnamigen Siedlung, in der schon behagliche Nachmittags-Lichter aus den Fenstern scheinen.

Vier fröhliche Weiden am Weg

Fuchsbruch

Wie in der ganzen Region wurde in letzter Zeit viel Mühe in eine verlässliche und haltbare Wanderbeschilderung gesteckt, auf die wir schon am Seddinsee trafen oder bei Lehnin. Auch hier quert wieder ein Weg, und auch hier gibt es einen schönen überdachten Rastplatz. Doch eine klamme Pause mit Dach überm Kopf hat jetzt nur wenig Zugkraft, zumal der Tee fast alle ist und das Ziel schon greifbar. Von Wind, Nässe und sonstigem Wetter doch leicht eingeschüchtert und müden Beines haben wir fast schon auf Autopilot mit gedrosselter Wahrnehmung geschaltet, als der Weg hinter den letzten Häusern noch einmal richtig reizvoll und besonders wird. Unterhalb einer sanften Waldflanke erstreckt sich links ein weites Schilf- und Teichland, das in der milchigen Dämmerung eine besondere Faszination entwickelt. Noch einmal erwacht der dösende Geist und wird am Ende mit dem gleichmäßigen Hinabrollen nach Klein Kreutz belohnt, das vorbei führt an Häusern, die diesen exklusiven Blick vermutlich gar nicht mehr als solchen wahrnehmen. Wie das so ist mit Völkerschlachtdenkmal, Reichtstag und Landungsbrücken, mit den besonderen Dingen direkt vor der Haustür.

Zustieg zum Langmathenberg

Auf schnellstem Wege wechseln wir in die Stadt Brandenburg und kommen dort auf der anderen Seite der Havel zurück zur Frage von vorhin. In der Tat gibt es zunächst keinen spürbaren Unterschied, während wir die Steinstraße entlanggehen, nach Nahrung und Gemütlichkeit suchen und bald fündig werden. Doch nachdem der Teller leer ist und der beheizte Raum verlassen, zeigt sich die Güte der Entscheidung, den ganz großen Schirm mitzunehmen. Dieser Regen jetzt macht in wenigen Minuten nass, und hätte es den ganzen Tag auf diese Art geschüttet, wäre jeder Regenschutz vergeblich gewesen und jede Abkürzung ein Segen.

Blick vom Langmathenberg auf Fuchsbruch

So können wir nur stillvergnügt unter dem großen Schirm hervorschauen, die schönen Spiele gelben Laternenlichts auf nassem Altstadtpflaster genießen und dazu die zahllosen Erinnerungen vom letzten Sommer aufrufen. Mit denen scheint sogar der Strumpf im lecken Stiefel trocken.










Anfahrt ÖPNV (von Berlin): von Berlin-Alexanderplatz mit der Regionalbahn nach Brandenburg/Havel, von dort mit dem Bus weiter (ca. 1,5 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der Autobahn über Brandenburg/Havel oder über Land über Wustermark und Ketzin (jeweils ca. 1,5 Std.)

Länge der Tour: ca. 18 km (Abkürzungen mehrfach möglich)

Download der Wegpunkte
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Links:

Schachpartie aus dem Film „Thomas Crown ist nicht zu fassen“ (1968)

Informationen zum Beetzsee

Einkehr: Sportlerklause Klein Kreutz (am Sportplatz)
zahlreiche Angebote in der Stadt Brandenburg

Berliner Spaziergang: Männer mit Nasen, dösende Kröten und ein halbes Dutzend Strände

Es ist praller Sommer in Brandenburg, und in der Folge beschränken sich die tropischen Nächte nicht mehr nur auf das Berliner Stadtgebiet, sondern sind bis weit ins Umland ausgeschwärmt, bis zu den Außengrenzen des Landes. Hatte man sich in den letzten Jahren an Nachttemperaturen von 20°C gewöhnt und mit verschiedensten Mitteln und Maßnahmen irgendwie arrangiert, zeigt das Thermometer weit nach Sonnenuntergang Temperaturen von dreißig Grad an, auf halbem Weg zum Sonnenaufgang dann immerhin noch fünfundzwanzig.

Im Wilhelm-von-Siemens-Park

Aus den Baumärkten werden im Minutentakt Sonnenschirme und Ventilatoren, Planschbecken und Klimaanlagen getragen, währenddessen Insektenschutzmittel bleiern in den Regalen der Drogerien lagern. Denn Mücken sind bislang Mangelware, und wenn es eine bis zur Quelle schafft, dann ist sie so schmächtig, dass man es nicht übers Herz bringt sie plattzumachen. Ähnlich ist es mit den Wespen – die paar, die sich einfinden, sind lütt und irgendwie verwirrt, so dass sie immer wieder eine heiße Tasse Milchkaffee ansteuern, obwohl direkt daneben saftiger Pflaumenkuchen steht.

Da fast alle sich über die letzten Jahre an Dreißiger-Temperaturen gewöhnt haben, versteckt sich niemand mehr, es wird nur alles etwas langsamer gemacht und die Schattenseite gewählt, wenn eine Wahl besteht. Möglichkeiten zur Erfrischung gibt es reichlich sowohl in der Stadt als auch auf dem Land, und da viele Leute weit weg im Urlaub sind, in warmen Ländern, verteilt es sich ganz gut an den Stränden der städtischen Gewässer und auch der märkischen Seen. Richtig böse voll ist es kulturgegeben dort, wo ein großer Parkplatz in allernächster Nähe ist. Wer solche Stellen vermeidet, wird sicherlich keine Badebucht für sich allein haben, muss aber keinen unfreiwilligen Hautkontakt befürchten.

Pfad an den Fließwiesen Ruhleben

Betrachtet man Badewasser für diesen Tag nicht als Priorität, sondern sucht einfach schöne Stellen mit Schatten, finden sich dazu auch im weitläufigen Stadtgebiet von Berlin fast endlose Möglichkeiten – je öfter man die Stadt durchstreift, desto klarer wird, wie reich an Grün sie wirklich ist und dass es nicht nur die großen Flächen an Havel, Spree und Dahme sind, die hier die Masse ausmachen. Auch im Kleinen sind nahezu alle Stadtteile von Wasserläufen, Grünzügen und Parks durchzogen, die es möglich machen, auf grünen Wegen mit viel Schatten und wenig Autolärm durch Berlin zu spazieren. Stets präsent ist bei solchen Tagen der Flugverkehr, je nach Windrichtung stärker oder schwächer, doch das gehört ja irgendwie dazu.

Bedient man sich dieser Grünflächen nach dem Baukastenprinzip , um kürzere oder längere Touren zu erhalten, stößt man manchmal auf Unerwartetes, Überraschendes oder Faszinierendes. Das macht beim Reiz solcher Wege einen Löwenanteil aus, hallt oftmals lange im Gedächtnis nach oder zieht Recherchen nach sich, der puren Neugier geschuldet. So ist ein Friedhof nicht immer einfach nur ein Friedhof, gleiches gilt für winzige Park-Karrees oder Wege durch Kleingartenanlagen.

Treppen hinab im Parkfriedhof Heerstraße

Fließwiesen Ruhleben

Zwischen den U-Bahn-Stationen Ruhleben und Neu-Westend finden sich gleich drei solcher besonderen Orte, die schon einzeln die lange Anreise mit der U1 wert wären, ein jeder für sich. Schon am U-Bahnhof Ruhleben, im letzten Jahrhundert der Pilgerort für Ikea-Jünger in Berlin, verlockt der gediegene Wiesengrund zum Murellenteich mit zahlreichen schattigen Wegen. Wer widersteht, kann nach wenigen Minuten in den Pfad zu den Fließwiesen Ruhleben abbiegen, die einen aus dröger Gewerbelandschaft stufenlos abtauchen lassen in ein liebliches Arrangement tiefster Natur. Ein knorriger Pfad begleitet den sumpfigen Rand dieses Refugiums. Direkt am Weg gibt es eine wirklich schöne Bank, die abseits kalter Jahreszeiten nur als Scherz gemeint sein kann. Bei normalen Wetterbedingungen sollte es nicht möglich sein, hier länger als dreißig Sekunden entspannt zu rasten angesichts hunderter gieriger Saugrüssel, die hochfrequent heranschwirren. Allein in diesem knochentrockenen Sommer gibt es selbst hier keine einzige Mücke.

Wege im Parkfriedhof

Ein kleiner Höhenweg führt alsbald durch den schmalen Waldstreifen, der längs der grimmigen Doppel-Zäune des Olympia-Geländes verläuft und den Wald erst am nächsten U-Bahnhof verlässt. Der Schatten endet am Vorplatz des imposanten Stadions, auf dem fast immer Fahrschüler mit hochgezogenen Schultern unterwegs sind, sei es im Auto oder hoch oben auf dem Sitz eines Busses oder Lastwagen. Selbst für anspruchsvolle Übungen mit Anhänger rückwärts ist hier ausreichend Platz. In der Mitte des großen Parkplatzes fast schon schützenswert die stets bogenreichen Radierungen von heranwachsenden Fahrzeuglenkern, die gern zugleich Gaspedal und Handbremse benutzen.

Parkfriedhof Heerstraße

Da er eben am Weg lag und kaum einen Umweg darstellt, wurde beim heutigen Weg ein Friedhof einbezogen. Friedhöfe bringen immer die Unwägbarkeit der Ein- und Ausgänge mit sich, die vorhanden oder nicht vorhanden sein können, offen, geschlossen oder dauerhaft geschlossen. Doch das Risiko ist es meistens wert, denn die meisten von ihnen sind zum einen besuchenswert und zum anderen nicht allzu groß, so dass der Haupteingang stets als Verlassens-Option bleibt.

Offener Lehrgarten am Brixplatz

Dieser Parkfriedhof lässt uns nun die Kinnlade herunterklappen, nicht nur einmal. Ungewöhnlich vom Aufbau, geht er immer weiter in die Tiefe und birgt am tiefsten Grunde sogar einen passablen See mit gepfeffertem Namen, dessen Silben sich saftig-derbe artikulieren lassen: Sausuhlensee. Überall gibt es Bänke, von denen der Blick auf etwas fällt, das dem Auge schmeichelt. Alte Bäume verschiedenster Art wurzeln hier, so dicht, dass der Eindruck von lichtem Wald entsteht. Die Treppe, die hinterm Hauptgebäude entspringt, zelebriert den Abstieg in mehreren Phasen. Je tiefer man eintaucht in diesen Friedhof, desto klarer wird, wie dicht und verworren das Netz von Haupt- und Nebenwegen nebst Pfaden ist.

Steinwand unterm Pavillon, Brixplatz

Ein halber Tag ließe sich hier in angenehmem Klima verbringen, und man könnte sich auf jeder fünften Bank niederlassen und das Auge schweifen lassen, bis einen die Neugier schließlich weiterzieht. Aufsummiert müssen es viele Kilometer sein, die kreuz und quer durch die Etagen des eindrucksvollen Kessels geflochten sind. Dabei gibt es klare Linien mit Rondellen und konzentrischen Kreisen, dann solche, die am Hang den Höhenlinien folgen und sogar einige wenige, die ganz konventionell rechteckig sind. Zum Friedhof existieren ein detaillierter Plan sowie eine eigene Broschüre, und letzteres scheint beim Verlassen dieser besonderen Anlage keineswegs so exzentrisch wie beim Betreten.

Weiher am Grund des Brixplatzes

Wer nicht schon per Zufall an großen Namen verschiedener deutscher Schaffenskraft hängenblieb, wird spätestens beim ersten beiläufigen Durchblättern der Broschüre stocken, dann automatisch stehenbleiben und mit gebanntem Blick neugierig weiterblättern. Letztlich dann verstehen, wozu so ein Plan noch taugen kann. Es stehen hier unter anderem die Grabsteine dreier Herren, die vereint sind durch feinen Humor, markante Nasen und einen würzigen Gebrauch ihrer Muttersprache. Neben Vicco von Bülow alias Loriot und Joachim Ringelnatz ist das auch der großartige Curt Goetz. Letztere beide waren etwa gleichalt, und der dreißig Jahre jüngere Loriot hat sicherlich von beiden etwas humoristisch treffsichere Muttermilch abbekommen. Wer mit Curt Goetz erstmal nichts anfangen kann, dem seien dessen Filme aus den 1950er Jahren ans Herz gelegt, in denen er jeweils an der Seite seiner herrlichen, klugen Frau spielt. Vor einigen Jahren wurden diese Raritäten restauriert und sind nun auf Scheibe erhältlich.

Im Ruhwaldpark

Darüber hinaus finden sich auf dem Friedhof, der etwas irritierend Friedhof Heerstraße heißt, noch mehr oder weniger vertraute Namen weiter Schauspieler und Schriftsteller, zahlreicher anderer Kunstschaffender, Wissenschaftler und Sportler, eine lange Reihe von Damen und Herren, die im Laufe der letzten hundert Jahre hier beigesetzt wurden. Da passt es gut, dass der tiefe Kessel dieser Parklandschaft einer Arena gleicht, die sich ja gleichermaßen gut eignet für Darstellung und Unterhaltung, Lehre oder Ertüchtigung.

Treppen und Brücken am Ruhwaldpark

Brixplatz

Nur ein paar Minuten weiter liegt in einem ganz normalen Wohnviertel ein Platz, der um einiges kleiner ist als der Parkfriedhof, von der Topographie her jedoch ähnlich eindrucksvoll. Zuvor sind auf der Olympischen Brücke die Bahngleise zu überqueren, und noch vor der Brücke befindet sich ein Imbiss, an dem man nicht einfach vorbeigehen sollte. Zwei freundliche und gestandene Berliner Damen bieten hier Spezialitäten dieser Gastronomie-Sparte an, die sich vor Currywurst-Prominenz wie Konnopke oder Curry 36 keinesfalls verstecken müssen. Dementsprechend voll ist es, und trotzdem wandert in kürzester Zeit die Bestellung über den Tresen, mitsamt ordentlicher Bäcker-Schrippe. Obendrein lassen sich den Damen noch ein paar Informationen zum Friedhof und dem besonderen Relief der Gegend hier entlocken.

Höhenweg längs der Schrebergärten

Ebendieses präsentiert sich am Brixplatz auf der winzigen Größe eines Straßenblockes oder, um der sportlich geprägten Umgebung gerecht zu werden, auf der Größe zweier Fußballfelder. Auch dieses Fleckchen kesselt sich in die Tiefe, so dass zwischen Straßenniveau und den Pfühlen am Grund zwölf Meter Höhenunterschied liegen. Drei der vier Ecken verfügen über eine besondere Gestaltung, wobei alle Altersklassen angesprochen werden. Unterhalb eines umrankten Pavillon mit gestuften Terrassen und Wasserbecken thront imposant eine steile Wand, die wie eine Schichtendarstellung der Erdzeitalter aussieht, in der Tat wohl die Rüdersdorfer Kalkfelsen zitieren soll. An der nördlichen Nachbarecke liegen flach zwei großzügige Tortenstücke Schul- und Lehrgarten, die frei zugänglich eine breite Vielfalt an Pflanzen zeigen. Wer sich auskennt mit Pflanzen, wird viele Bekannte wiederfinden, wer mit Botanik-Kram bisher wenig damit am Hut hat, wird das womöglich etwas aufweichen.

Am Jungfernheideteich

In der Ecke schräg gegenüber schließlich liegt ein schöner Spielplatz, und zwischen allem senkt sich ein verspielter Pfad auf Wasserniveau hinab, der von alten Kiefern begleitet wird und am tiefsten Punkt den Eindruck hinterlässt, man wäre irgendwo im märkischen Umland – die Häuserfassaden sind aus dem Blick verschwunden. An allen Rändern des Parks verläuft ein umlaufender Spazierweg, schön gestaltet, schattig und meist entlang einer Natursteinmauer.

Ruhwaldpark

Der sanfte Bogen der Meiningenallee leitet direkt über zum nächsten Park, der nun keine Senke hat, sondern etwas in die Höhe geht. Hinter den weiten Wiesen mit ihren breitkronigen Bäumen liegen vergessene Arkadenbögen mit ungewisser Zukunft und ein zugeknöpfter Hochsicherheits-Kindergarten. Der schönste Weg über die Höhe biegt hinter dem Spielplatz rechts ab und weckt kurze Gedanken an die zauberhaften Nebentäler in der Märkischen Schweiz. Unter zwei Brücken hindurch und vorbei an einem Pfuhl berührt man kurz die ebenfalls brandenburgisch aussehende Spreetalallee. In der Tat fließt keine zweihundert Meter entfernt der breite Fluss seiner Mündung entgegen, doch davon ist an dieser Stelle nichts zu ahnen. Die Aufmerksamkeit wird ein paar Schritte später ohnehin abgelenkt von einem der zauberhaftesten Wege, die sich in Berliner Kleingartenanlagen finden lassen. Rund um die Uhr frei zugänglich führen breite Stufen hinauf zu einem kleinen Höhenpfad, der zwischen urigen Gärtchen und blumigen Wiesen oberhalb der Bahntrasse verläuft, fast einen ganzen Kilometer lang.

Schildkröten beim Sonnenbad

Wilhelm-von-Siemens-Park und Jungernheide

Die folgende Viertelstunde entlang von Fürstenbrunner Weg und Rohrdamm ist nun trotz Spreeblick bis hin zum Fernsehturm laut und spröde. Um so schöner ist es, wenn kurz nach dem Queren der Nonnendammallee und dem Unterschreiten der alten Siemensbahn wieder die Stille übernimmt. Am Rande des Werksviertels am Schuckertsdamm beginnt unmittelbar der gediegene Wilhelm-von-Siemens-Park, der durchzogen ist von geraden Wegen und trotz seines Waldcharakters viel von einem Kurpark hat. Gegen Ende setzt sich seine Achse direkt in den Jungfernheideteich fort, und schon Minuten vorher ist die typische Geräuschkulisse sonniger Strandtage zu vernehmen. Im Strandbad Jungfernheide ist viel Betrieb – heute ist der perfekte Tag dafür. Auch die schattigen Alleen rund um den symmetrischen Teich sind belebt, hier wird hingebungsvoll promeniert und alle haben dabei den langsamen Gang eingelegt. Manche kommen vom Baden, manche schlendern eben dorthin oder wechseln zwischen West- und Oststrand.

Am Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal

Wer jetzt genug unterwegs war, kann sich noch ein bisschen durch die Jungfernheide treiben lassen und vielleicht dem Wasserturm einen Besuch abstatten oder auch dem Hochseilgarten. Von dort sind es nur ein paar Minuten bis zum nächsten U-Bahnhof, wahlweise Halemweg oder Jakob-Kaiser-Platz. Sind noch Energie und Lust vorhanden auf lange Uferwege und einen straffen Seewind, kann man über die Insel ans Nordufer wechseln und dort mit etwas Glück ein paar Schildkröten beim Sonnenbad in Zeitlupe beobachten.

Badestelle am Tegeler See

Hinterm Saatwinkler Damm eröffnet sich dann eine neue Welt, die bestimmt wird von einem breiten Schifffahrtskanal, auf dem man direkt zum Berliner Hauptbahnhof schippern könnte oder zur nahen Havel. Während rechts etwas tiefergelegt kleine bunte Gärten liegen, wird gegenüber bald ein Insel-Campingplatz sichtbar. Auch wenn die Insel keine im klassischen Sinne ist, hat es schon etwas Exklusives, dort zu campen – tief im Wald, hier in der Großstadt.

Uferweg am Tegeler See

Saatwinkel

Kurz bevor sich der Kanal im Wasser des kleinen Archipels zwischen breitem Havelstrom und Tegeler See auflöst, gibt es nun nach langer gastronomischer Dürre gleich eine ganze Handvoll von Angeboten, allesamt einladend und gemütlich. Das Wissen um eine ähnliche Anzahl vorgelagerter Inseln, die jede ihren eigenen Charakter tragen, spielt dieser Gemütlichkeit noch in die Karten.

Hinter den letzten Häusern von Saatwinkel beginnt ein entspannter Uferweg, der etwa eine Stunde füllt und hier und da unterbrochen wird von kleinen Sportboothäfen und größeren Badestellen, die in diesen heißen Wochen meist dicht bevölkert sind. Doch es gibt auch kleine Buchten, die gerade groß genug sind für eine Handvoll Sonnenanbeter und dennoch dasselbe Seepanorama bieten.

Promenade in Tegel

Eine angemessene Abrundung der Tour ist die Tegeler Uferpromenade mit ihrer herrlichen Platanen-Allee. Gerade heute ist es etwas kramig und lärmig hier, da ein deutsch-polnisches Hafenfest vom Wochenende aufgeräumt und weggefegt wird. Doch die entspannte Hafenatmosphäre dieses schönen Stücks Berlin lässt sich davon nicht beeindrucken, der quengelig quäkende und kaum irgendetwas bewirkende Laubbläser wird von den Promenierenden, Plaudernden und Pausierenden nur milde belächelt. Um dann ein weiteres Stück Torte, eine Kaffeespezialität oder noch ein obergäriges Berliner Bier in grün oder rot zu bestellen – im kugeligsten aller Biergläser. Als größtes Problem bleibt dann nur, den überhängenden Strohhalm nicht an den Seewind zu verlieren.

 

 

 

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): U-Bahn bis Endstation Ruhleben

Anfahrt Pkw (von Berlin): nicht sinnvoll

Länge der Tour: ca. 21 km (Abkürzungen sehr gut möglich)

 

Download der Wegpunkte
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Links:

NSG Fließwiesen Ruhleben (PDF)

Friedhof Heerstraße

Brixplatz Westend

Beitrag zum Ruhwaldpark

Strandbad Jungfernheide

Volkspark Jungfernheide

Saatwinkel – zur Geschichte

Greenwichpromenade in Tegel

 

 

Einkehr:
Imbissbude an der Olympischen Brücke
div. Gastronomie am Steubenplatz, U Neu-Westend
Gaststätte Bolivar (KGA Ruhwaldpark, nahe Spandauer Damm)(600 m Zuweg)
Tunneleck (vor der Spreebrücke bzw. Rohrdammbrücke rechts runter, großes Schild vorhanden)(600 m Zuweg)
div. Gastronomie Nonnendammallee
im Strandbad Jungfernheide
div. Gastronomie in Saatwinkel
div. Gastronomie in Tegel

Brandenburg: Havelinseln, alte Gemäuer und die Spur der Mopse

Die Stadt Brandenburg liegt ein wenig abgeschlagen im Westen des gleichnamigen Landes, und so kommt es vor, dass selbst Leute, die sich in den Landschaften Brandenburgs gut auskennen und in Regelmäßigkeit dorthin ausschwärmen, nur vereinzelte Bilder der alten Stadt an der Havel aufrufen können. Vielleicht den Dom oder die Jahrtausendbrücke, einen der vielen Marktplätze oder einen schattigen Uferweg. Viele haben schon häufig Potsdam, Cottbus oder Frankfurt besucht, sind tief vertraut mit den Landschaften von Barnim und Prignitz, der des Flämings oder dem Land zwischen Oder und Spree.

Die Brandenburger Jahrtausendbrücke und der Turm auf dem Marienberg

Ob das daran liegt, dass Brandenburg schon näher am altmärkischen Genthin liegt als an Potsdam oder an längst überholten Gedächtnis-Szenen mit bröckelndem Putz und kleinstädtischer Tristesse zwischen Bahnhof und Innenstadt, ist ungewiss. Tatsache ist, dass es in keiner Weise übertrieben ist, sich einen kompletten Tag für das erste Vertrautmachen zu genehmigen, um sich bei späteren Besuchen gezielt einzelnen Details zu widmen. Danach wird man ein Stück seines Herzens an diese Stadt verloren haben und sich fragen, warum man nicht schon längst und auch viel öfter hier war.

Blick vom Marienberg zum Haveltal und den südlichen Wäldern

Eine überaus geschätzte Kollegin hat ihre ersten Lebensjahrzehnte in der Stadt Brandenburg verbracht, weiß also bestens, wie geschunden und abgewirtschaftet es zum Teil zwischen den Havelarmen und drumherum aussah. Nach der politischen Wende passierte erst einmal nicht viel, doch in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten ist so viel angepackt worden, dass man nach dem Stadt-Spaziergang der Meinung ist, die erste Renovierungs-Runde sei nun abgeschlossen, was Verkehrswege, Häuser und öffentliche Flächen betrifft und noch so vieles andere. Allen Verantwortlichen und Beteiligten sei an dieser Stelle symbolisch ein faustsprengender Blumenstrauß überreicht, ehrfürchtig und mit herzlichem Dank.

Jedes Mal, wenn die erwähnte Kollegin ihre Stadt besucht, staunt sie aufs Neue und ist regelrecht erfüllt von der gelungenen und langlebigen Form der Anerkennung gegenüber dieser geschichtsträchtigen Stadt, über neues und wiedererwachtes Leben an vertrauten Orten, die stillstanden oder verfielen. Ihre anschaulichen Schilderungen bewirken, dass ich sie während der Tour immer mal wieder vorbeihuschen sehe, trödelnd zu Fuß mit dem Schulranzen auf dem Rücken, einen Kopf größer und ein paar Lenze später mit der Umhängetasche auf dem Rad, eine Haarsträhne aus der Stirn pustend, oder schnell und behende auf der Havel, in einem muskelbetriebenen Boot mit schmalem Rumpf.

Der Domstreng zwischen Mühlendamm und Dom

Auffällig im Stadtgebiet ist, dass allem, was in neuer Schönheit erstrahlt, ausreichend Pflege zukommt, nichts ungeliebt erscheint. Alles ist gepflegt, doch nichts geschniegelt, sodass es stets einladend und gemütlich bleibt – auch das eine Form der Achtung gegenüber dem Geschaffenen. In der Folge rangiert die Stadt ohne Zweifel auf Augenhöhe mit Namen wie Potsdam und Templin, Rheinsberg oder Lübbenau. Zu vergleichen ist sie mit keinem dieser Plätze, denn charakterlich steht sie ganz für sich alleine.

Wie auch Potsdam wird Brandenburg auf besonders schöne Weise vom Wasser der Havel bestimmt, und obwohl streng genommen nur ein Haupt- und ein Nebenarm die Inseln von Neustadt und Dom schaffen, gewinnt man den Eindruck eines verflochtenen Wassernetzes mit zahlreichen Nebenkanälen und Hafenbuchten. Dementsprechend vergeht keine Viertelstunde bis zum nächsten Blick aufs Wasser und auf das zugehörige Treiben, das gemäß der Jahreszeit geschäftig oder übersichtlich ist. Setzt man sich im Sommer auf eine der vielen Bänke am Ufer, wird ein unterhaltsames Hin und Her der Größenordnungen geboten, angefangen vom tragbaren Paddelboot bis hin zum großen Dampfer Sirius, der irgendwie immer unterwegs ist zwischen Mühlendamm und den großen Seeflächen gen Westen. Dazwischen gibt es kleine Motorboote, die von da nach dort wollen, und mitteldicke Motorjachten, bei denen es eher ums Gesehenwerden geht, sowie eine ganze Zahl von solchen, die am ehesten einem überdachten Floß mit Außenborder ähneln.

Fußgängerbrücke auf die Neustadt-Insel mit Pauli-Kirche

Was alle Wege hier begleitet, sind zum einen ausreichend Bänke, jeweils mit Blick auf irgendetwas Schönes oder Beruhigendes. Ferner ist die Stadt durchzogen von Schilderbäumchen, die über Wegrichtungen und Sehenswertes informieren. Als drittes lässt sich an vielen Stellen der Altstadt sowie auf den Inseln der Erfolg eines Auswilderungsprojektes antreffen, wobei nicht bekannt ist, ob der NABU, eine staatliche Behörde oder die Stadt selbst dafür verantwortlich zeichnen. Zahlreiche Sichtungen in stabiler Zahl bürgen für den nachhaltigen Erfolg der Maßnahme. Wer die Stadt aufmerksam durchstreift, kann mit guter Erfolgsaussicht auf ein Exemplar des Waldmopses treffen. Die Tiere gelten als Einzelgänger, auf kleine Gruppen oder gar Rudel sollte man also nicht hoffen. Da sich die kleinen Reviere in Rufweite befinden, stehen nach einer Erstbegegnung die Chancen gut auf eine weitere Sichtung.

Steinstraße und Steintorturm in der Neustadt

Brandenburg an der Havel

Nach der erste Sichtung eines Waldmopses kann durchaus der photographische Jagdinstinkt erwachen, und so verleiht es einem ausgedehnten Spaziergang durch Brandenburg zusätzliche Würze, die Augen nicht nur über Türme und Fassaden, Straßenfluchten und Flussszenen schweifen zu lassen, sondern auch die direkte Bodennähe mit einzubeziehen. Wer mit einem wenig linearen Streckenverlauf leben kann, kommt am Ende vielleicht auf mehr als ein Dutzend Sichtungen. Zu diesem Wegverlauf verhalf mir die genannte Kollegin. Sie sandte mir zwei GPS-Tracks zu, die für leuchtende Augen sorgten. Wegen Entscheidungsproblemen wurden beide durcheinandergewürfelt und zu einer Tour ohne nennenswerte Doppelungen entworren. Sicherlich wird niemand dieser Knäuellinie folgen, dennoch empfehle ich genau das – nicht nur des guten Dutzends wegen.

Urlaubsimpression am Historischen Hafen

Neustadt-Insel

Noch vor wenigen Jahren war der Brandenburger Hauptbahnhof ein wenig einladender Ort, jetzt macht es Spaß hier auszusteigen. Zwischen Frankfurt/Oder und Brandenburg verkehrt jede halbe Stunde ein Zug, und so ist es eine kurze und auch kurzweilige Anreise hierher, die auch besondere Flussschwestern wie Potsdam und Werder streift. Vom Bahnhof kommend führt bereits nach ein paar Minuten ein Steg über den südlichen Wasserarm auf die Neustadt-Insel, die man zunächst gut und gerne für die Altstadt halten kann. Entlang des Wassers gibt es auf beiden Seiten einladende Spazierwege mit alten Bäumen, doch wir folgen zielstrebig und doppelt aufmerksam dem verknäulten Track auf dem GPS-Empfänger. Und haben schon am St.-Pauli-Kloster die erste Waldmops-Sichtung. Da noch ohne Kenntnis vom Auswilderungs-Projekt, betrachten wir das Tier behutsam und mit kindlicher Freude.

Die sonntäglich verträumte Hauptstraße

Die Steinstraße, mit ihren vielen Geschäften so etwas wie der Puls der Neustadt, endet am Molkenmarkt. Kurz darauf beginnt am markanten Mühlentorturm ein verträumter Uferweg. Zwischen einem stillen Binnenhafen und der Jahrtausendbrücke spaziert man wie durch einen weitläufigen Park, vorbei an einem schlafenden Schankgarten und dem historischen Hafen der Stadt. Gegenüber liegen Kleingärten, deren Lage einem Lottogewinn vergleichbar ist. Auf dem breiten Weg bringen Familienväter ihren Kindern das Skaten bei, während an kleinen Kiesstränden Kajaks und ähnliche Kaliber ins Wasser gelassen werden. Bei den Havelmetern zwischen Brücke und Hafen öffnen sich Stadtansichten, die zur Verzückung führen und hoffentlich ausreichend oft gemalt wurden. Freunden einer jeden Technik muss es hier in den Händen kribbeln, nach Pinsel oder Stift zu greifen. Die Stimmung dieses Sommertages tut ihr Übriges.

Historischer Hafen an der ehemaligen Werft

Nicht nur, dass nirgends Papierkörbe überquellen oder irgendwas rumliegt, was nicht dazu gedacht ist, sind trotz der extremen Hitzeperiode der letzten Wochen alle Parks und Grünanlagen in bestem Zustand, es ist wirklich ein Genuss für die Wahrnehmungskanäle. An der Böschung zwischen Jahrtausendbrücke und Ufer wogen bunte Meere von Gräsern und Blumen, und oben bietet sich dann dieser fast schon klassische Blick auf die Hauptstraße. Übers Wasser spannt sie ihren sanften Bogen vorbei an den gekachelten Brückenhäuschen, und in Richtung Markt erlaubt sich die Straße samt Mittelspurgleisen charmante Abweichungen von der geraden Linie. Zwischen bunten Altbaufassaden stehen die allgegenwärtigen Straßenlaternen mit bunten Blumenampeln, dazwischen räkelt sich die glatt gepflasterte Straße, frei von Autos und lose bevölkert von Radfahrern. Die Ansicht scheint fast etwas irreal – als würden Dreharbeiten für einen historischen Film anstehen.

Hauptstraße ohne Kühlergrille und Auspüffe

Dominsel

An der Katharinenkirche führt die Hammerstraße links zum Wasser zurück. Im Rückblick ergibt sich ein faszinierender Blick auf die Flucht der Gasse, über der sich das gewaltige Dach der Kirche aufspannt. Am Stichkanal führt eine rote Holzbrücke übers Wasser und rückt voraus unauffällig den Dom ins Bild, auf dessen Insel man sich jetzt befindet. Links bevölkern Kleingärten die Westspitze der Insel, und wer an dieser Stelle bereits Hunger verspürt, sollte den Abstecher in die Sackgasse wagen. Allein die verspielten und bunten Gärten sind den Weg wert. Ganz am Ende warten eine große Essenluke und ein schöner Platz am Wasser.

An der Näthewinde

Wer an den Kleingärten vorbei geht, steht nach einigen Haken und historischen Gebäuden unvermittelt im Vorhof des Doms St. Peter und Paul. Jetzt gerade wird ein Konzert vorbereitet, zwischen Dom-Café und Domflanke stehen mehr Schirme als sonst und sogar ein paar Buden. In den Dom selbst kann man deswegen nur noch eine halbe Stunde. Für einen ersten Eindruck sollte das reichen, so dass wir das Kirchenschiff, die Gewölbe und zahlreichen Nebenräume und –gänge ehrfürchtig, doch nicht unnötig langsam durchschleichen. Selbst in diesem dicken Gemäuer hat die laufende Hitzeperiode nichts mehr übriggelassen von der kalten Kirchenluft, es ist fast schon warm.

In den Gewölben des Doms

Auf einer weiteren Fußgängerbrücke verlassen wir die Dominsel und schlagen einen kleinen Bogen hin zum Mühlendamm, vorbei an einer eindrucksvollen Reihe meterdicker Sumpfzypressen, die wir zunächst für unglaubliche Exemplare von Lebensbäumen hielten. Was neben dem stilvoll renovierten Backstein-Gemäuer der Mühle noch an deren eigentliche Tätigkeit erinnert, ist ein Rest von sichtbarem Havelgefälle, dem artgerecht etwas Schnellenoptik verpasst wurde.

Mühlendamm am Ende des Domstrengs

Kurz darauf stehen wir zum dritten Mal am kleinen Binnenhafen beim Mühlentorturm und staunen nun an dessen Ostseite, wie unmittelbar sich hier die wilde Weite der kurvigen Havel und ihres ausgedehnten Ufersumpflandes öffnet und dabei grenzenlos erscheint. Mitten in der Bucht steht am Endes eines Steges ein Pavillon im Havelwasser, von dem aus die märkische Landschaft fast greifbar nahe liegt.

Blick vom Mühlendamm auf die Dominsel

Nach ein paar Haken weg vom Wasser verläuft der Weg nun erstmals entlang eines der Stadtmauer-Reste. Wo keine Mauer mehr steht, wird ihr Verlauf durch eine Doppelreihe Backsteine im Boden zitiert, was mehr zur Anschaulichkeit verhilft als vermutet. Nach ein paar Metern Stadtnormalität treffen wir bei St. Pauli erneut auf den Waldmops vom Anfang und nach dem stillen Bogen der Neustädtischen Heidestraße auf den zweiten der Stadttürme, der mit einem gewölbeartigen Durchgang zum Uferweg lockt. Doch wir streben in den Schatten des Parkstreifens gegenüber, vorbei am Russenfriedhof und dann weiter entlang alter Baumriesen. Nach zwei versunkenen Wasserarmen beginnt eine Wohnstraße, an deren Ende der nächste Uferstreifen einen baumschattigen Spazierweg anbietet. Links befindet sich der wuchtige Gebäudekomplex von Schwimmbad und Turnhalle, der wohl in absehbarer Zeit einer neuen Wohnanlage weichen soll.

Leute im Plauer Torturm

Über die Luckenberger Brücke wechseln wir ans gegenüberliegende Ufer und staunen erneut über diese entspannte Atmosphäre auf dem Wasser und an dessen Rändern. Hinterm Slawendorf beginnt der schmale Humboldthain mit seinen alten Bäumen, und vorn an der Straße markiert der runde und derzeit storchenlose Plauer Torturm den Beginn des Aufstieges auf die markanteste Höhe der Stadt, zugleich auch die einzige und damit quasi den Hausberg. Der Fuß des Turmes verdient unbedingte Aufmerksamkeit, denn hier wird eine wohlgefällige kleine Tiergeschichte erzählt, die jeder etwas anders lesen wird – gekrönt von sieben ganz besonderen Gesichtsausdrücken, die den Kopf im Nacken einfordern.

Terrassen am Marienberg

Marienberg

Der Anstieg zum Marienberg beginnt mit ein paar netten Stufen, wechselt jedoch kurz darauf zu einer knackigen Steigung, die wahlweise direkt links vorbei oder gestuft durch die gediegenen Parkanlagen genommen werden kann. Der Fuß des Aussichtsturmes markiert noch nicht den höchsten Punkt der Erhebung, doch sind es von hier nur noch ein paar Stufen zu den baumschattigen Biergartenterrassen. Das erscheint heute erfrischender und geeigneter als das Besteigen der Friedenswarte. Die Rundumsicht vom jung gebliebenen Siebziger-Jahre-Turm bleibt als schöner Anreiz fürs nächste Mal.

Von den Terrassen liegt einem die Stadt mit dem Haveltal zu Füßen und der Blick reicht weit bis hin zu vermeintlichen Höhenzügen im Südsüdwesten. Oberhalb der Restaurants ist der gesamte Gipfel seit drei Jahren dicht mit Weinstöcken bepflanzt, die in der kurzen Zeit richtiggehend erwachsen geworden sind. Rundherum zweigen Wege und Pfade ab und jeder von ihnen macht neugierig, doch auch das muss warten. Zu tun hat diese Wegevielfalt und auch die heutige Gestalt des Marienberges mit der Bundesgartenschau, die vor einigen Jahren das Wagnis einging, sich großräumig entlang der Havel zu zerteilen. Einer der Standorte war neben Rathenow und Stölln auch Brandenburg, und hier am Berg sind die Spuren noch am gegenwärtigsten.

Der Fuß der Friedenswarte auf dem Marienberg

Das Plateau des knapp vierzig Meter über der Stadt liegenden Gipfels erreicht man wahlweise über eine Wendel oder eine direkte Treppe. Einen indirekten Strich durch die Rechnung macht uns das gute Weinjahr. Die Reben hängen mit prallen Trauben, und aus diesem Grund ist der gesamte Weinberg abgezäunt, um Diebstahl vorzubeugen. Gibt es wirklich Leute, die massenweise Trauben von einem winzigen Weinberg mopsen?

Gärten am Marienberg

Begnügen wir uns also mit der breiten Aussicht am Fuß des Turms, die wenig von der Stadt zeigt, dafür umso mehr von den weiten Wäldern in der nahen Ferne. Das müssen die sein, die sich rund um die weiten Havelseen vor den Toren der Stadt erstrecken und das sumpfreiche und zugeknöpfte Naturschutzgebiet des Gränert verstecken, das zugleich abweisend und anziehend ist und daher weitgehend unbekannt.

Wildnis am Plauer Torturm

Altstadt

Nach dem Abstieg grinsen wir noch einmal über die Tiere am Plauer Torturm, die im veränderten Licht jetzt schon etwas anders gucken. Hier beginnt jetzt der Weg durch die Altstadt, deren kompakte Form auf der Karte gut das eigentliche Städtchen erkennen lässt und zeigt, wie übersichtlich die Wiege der Mark einmal war. Der Humboldthain schafft erneut die angenehme Verbindung zwischen Turm und Havel, wo man sofort wieder von der Uferstimmung eingefangen wird, an der auch die Wasserluft und der verlässliche Wind ihren Anteil haben. Kurz hinter der Jahrtausendbrücke führt ein Durchgang ins Gässchen mit dem schönen Namen Kommunikation, das alsbald zu einem weiteren dieser herrlichen Uferwege wird, an dem sich die vertrauten Elemente versammeln – klassische Straßenlaternen, Bänke und große Schattenbäume. Gegenüber ist weitgehend verblasst das zweite Buga-Areal zu sehen, das am historischen Hafen und dem Werftgebäude, und ein paar Schritte weiter am Ende des Weges ist gegenüber die Essenluke von vorhin zu sehen.

Ufer an der Jahrtausendbrücke

Ein überschaubares Netz aus verschwiegenen Gässchen und kleinen Straßen mit Geschäften durchzieht den alten Stadtkern, und führt uns zunächst zur Kirche St. Gotthard, einem weiteren dieser zahlreichen Gotteshäuser mit ihren großen Dachflächen. Die Tür steht offen und lockt herein. Etwas kühler ist es hier als im Dom, doch die Hitze steckt auch schon tief in den dicken Mauern. Eine Ausstellung widmet sich aktuell der Reformation, noch im Gefolge des ausgehenden Lutherjahres. Verschiedene Farben machen neugierig, durch Türen zu gehen, ebenso eine sonore Erzählstimme, die von der Konserve kommt, aber nicht so klingt. Selbst der Turmaufgang steht offen, doch sollten sich breitschultrige oder durchtrainierte Personen mit dem Blick die Stufen hinauf begnügen, denn für solche besteht klare Verkeilungsgefahr in der extraschmalen Wendel. Wer es geschafft hat, darf ein Stockwerk höher durch eine Scharte auf den Vorplatz gucken, wo hin und wieder ein Waldmops seinen Schatten jagt.

Rathaus mit großen Männern

Ein paar Ecken später steht das Rathaus, und mit diesem in Zusammenhang der allererste Roland, an den ich mich erinnern kann – abgesehen von meinem Vater. Seither komme ich durcheinander mit Rolanden und Rathäusern, denn als Kind ging ich davon aus, dass es nur einen Roland vor einem Rathaus gibt und bin daher immer wieder irritiert, wenn ich in Berlin am Märkischen Museum vorbeikomme oder sonstwo im Land an einem unerwarteten oder vergessenen Roland. Der einzig gültige wird für mich immer der hier bleiben, und vor dem stehen wir jetzt.

Brückenhäuser an der Jahrtausendbrücke

Der steinerne Ritter mit dem Schwert ist seit einiger Zeit in bester Gesellschaft. Schräg gegenüber sitzt ein weiterer Herr auf einer Bank, der im ganzen Land bekannt ist und die meisten Menschen hier für ihr Leben geprägt hat. Obwohl er seit einigen Jahren nicht mehr lebt, wird er wohl eben deshalb niemals sterben. Wenn Brandenburg als Wiege der Mark bekannt ist, ist es ebenso bekannt für den hier geborenen Humoristen Loriot. Auch wenn er nur ein paar Jahre seiner Kindheit in der Havelstadt verbrachte, ist er ihr immer verbunden geblieben. Im Gegenzug hat die Stadt ein paar liebenswerte Spuren gelegt, die sicherlich nach seinem Geschmack geraten sind.

Johanniskirche mit Durchblick

So gibt es also rund um den Brunnen vor dem alten Rathaus immer eine kleine, ungewöhnliche Versammlung aus großen Leuten, kleinen Tieren und einer Handvoll Touristen, welche einzelne davon oder alle abzubilden versuchen. Damit nehmen sie eine Garantie für ein stets wiederholbares Schmunzeln mit nach Hause, ganz gleich wo das ist und unabhängig davon, wie das Bild geraten ist.

Am Stadtkanal

Was irgendwie zum Besuch von Brandenburg dazugehört, ist das Überqueren der Havel auf der einzigartigen Jahrtausendbrücke, die schon mehrfach am Wege lag. Jetzt endlich ist es soweit. Nach unzähligen Schleifen und Kringeln, die scheinbar das Vermeiden des direkten Weges als oberstes Gebot hatten, queren wir den Fluss und schreiten vorbei an den lichten Brückenhäuschen mit ihren Cafés, denen sich einfach nicht widerstehen lässt. Vor der letzten Viertelstunde Weges, der ab hier meist Ufern folgt und daher kaum noch Haken schlagen wird, sitzen wir im warmen Licht der nur widerborstig sinkenden Sonne auf den großen Stufen hin zum Fluss, genießen den leichten Windzug mit dem Duft der Havel und wissen nun sicher, dass wir umgeben sind von kleinen Geweihen.

 

 

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der Regionalbahn (halbstündlich, ca. 1 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über Autobahn oder Landstraße B 1 (ca. 1,5-2 Std.)

Länge der Tour: ca. 16 km, Abkürzungen sehr gut möglich

 

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

 

Links:

Reiseführer der Stadt

Internetpräsenz der Stadt

 

Einkehr: zahlreiche Möglichkeiten im Stadtgebiet