Schlagwort-Archive: Sielmanns Naturlandschaft

Storkow: Erstarrte Seen, die Burg im Schilf und die meeresfernen Salzwiesen

Das schönste Geschenk des Februars ist Jahr für Jahr dieser befreiende Moment, wenn man merkt, dass die Tage wieder spürbar länger sind. Immer mehr Stunden erobern sich ihren Raum zwischen den Dämmerungen. Die längere Lichtausbeute verlockt zu ersten Gedanken an Frühlingsnähe, ganz unabhängig von Kälte, Schornsteinluft oder weißen Landschaften. Letztere gibt es nur manchmal, doch fast immer ist der Februar der Monat der Winterferien. Wer Zeit und Geld übrig hat und etwas Reiselaune nach dem langen Januar, nutzt die Zeit für eine Abwechslung in naher oder weiterer Ferne.

Altstadt von Storkow

Ist Kälte gefragt und schnelle Bewegung auf ganz besonders edlem Schnee, fliegt man vielleicht nach Colorado und erfüllt sich dort einen liegengebliebenen Jungstraum, bevor anderes wichtiger wird oder das eigene Gebälk zu steif. Wer mehr auf Wärme aus ist und irgendwo auf dem indischen Subkontinent vor Jahren seine dritte Heimat finden durfte, gibt sich vielleicht dort einem gänzlich anderen Leben hin und genießt den Menschen, der er dort und nur dort ist. Und wieder andere, die Verkehrsmitteln ohne direkten Bodenkontakt gern aus dem Weg gehen, setzen sich auf die Bahn oder hinters Lenkrad und probieren den europäischen Winter in einem Land mit anderer Sprache, anderem Geld und ganz eigenen Landschaften aus.

Nicht minder reizvoll ist die Option, keine halben und ganzen Urlaubstage auf den Ortswechsel zu verwenden, sondern einfach in der Nähe zu bleiben und mal wieder dorthin zu fahren, wo man noch nie oder schon lange nicht mehr war. Über dem Norden Deutschlands und auch über Brandenburg wurde hier und da ein Kissen ausgeschüttelt, sodass die Landschaft überpudert ist – zu mehr hat sich der weiße Winter bislang nicht hinreißen lassen. Alle Fortbewegung ist daher gut und frei von Spezialtechnik möglich, sei es auf zwei Rädern oder eben zu Fuß. Sonnige Tage wechseln sich mit wolkenverhangenen ab, sodass die Chance auf die schönen und dunstigen Lichtstimmungen des Monats eine attraktive Quote hält.

Die Zugbrücke am Storkower Kanal

Nicht entlegen und gern ein wenig unterschätzt ist das Städtchen Storkow, das mit der Vielfalt seiner Umgebung immer wieder überrascht. Die Stadt im Zeichen des Storches liegt in loser Nachbarschaft zu Neu Boston und Philadelphia. Wem das nicht hilft, um Bilder im Kopf aufzurufen, der denkt vielleicht an die einprägsame Zugbrücke am Rand der Altstadt oder die Burg, die sich oft markante Sonderausstellungen an Land zieht. Vor einigen Jahren ging es dabei um die Puhdys, die ewigen Rockrentner, jetzt gerade heißt das Motto „Drauf geschissen!“. Gar nicht eklig, vielmehr mit guten Prisen von Humor und höchst informativ geht es um das stille Örtchen, mit dem ja jeder Mensch ganz unmittelbar und besonders regelmäßig zu tun hat.

Die Zugbrücke führt über den Storkower Kanal, und ihr Verhältnis zum Marktplatz kann im Gedächtnis leicht zu Verwechslungen mit Zehdenick führen. Doch während Zehdenick eher nördlich liegt und von der Havel und einigen Stichteichen umspielt wird, besetzen rund um Storkow große und noch größere Seen die Hauptrolle. Für noch mehr Wasserreichtum sorgen neben dem Storkower Kanal weite Luchwiesen und alles zusammen dafür, dass hier ein beständiges Kommen und Gehen von Zugvögeln hör- und sichtbar ist.

Storkower Kanal

Von Storkow aus lässt sich hervorragend in alle Richtungen ausschwärmen. Gleich um die Ecke erhebt sich eine der größten Brandenburger Binnendünen, weiter im Nordosten liegen die hügeligen Wälder rund um den Zwei-Seen-Ort Kolpin, die bald schon fließend in die Rauener Berge übergehen. Im Südosten bietet sich als schöner Klassiker die Umrundung des Storkower Sees mit seinen gemütlichen Dörfchen und dem schönen Plankenweg im Süden an, die bei Belieben zu einer Stippvisite zum Scharmützelsee in Wendisch Rietz ausgedehnt werden kann. Westlich der Stadt streckt sich die Groß Schauener Seenkette, geschmiedet aus fünf bis sechs teils dickbauchigen Seen, und im nördlichen Westen liegen schöne Dörfer wie Alt Stahnsdorf, Kummersdorf und Wolzig, die durch allerlei Wasseradern verbunden sind. Wem das alles zu groß ist, dem empfiehlt sich eine schöne Runde um die Stadt, die in steter Tuchfühlung zum Wasser bleibt und eine unterhaltsame Vielfalt an den Tag legt.

Rastbänkchen am Treidelweg, Storkower Kanal

Storkow

Rund um die Zugbrücke herrscht den meisten Teil des Jahres ein gewisses Getummel von Stadtbesuchern und Freizeitkapitänen, von Anglern und Stadtjugend. Wenn weniger Betrieb ist und gerade keine Schleusenzeit, liegt auch schon mal eine gut gebaute Miez flächig auf dem Brückenfundament, dermaßen langgestreckt, wie es nur in der allergrößten Nachmittagsfaulheit möglich ist. Heute ist es frostig und weder Miez noch Mensch weit und breit außer einem kariert-wattierten Angler mit breiten Schultern und hochstehender Wollmütze. Gegenüber reckt sich ein Baukran in den Himmel, der irgendwie zu groß scheint für diese Stadt.

Philadelphia am Storkower Kanal

Der Treidelweg entlang des Storkower Kanals beginnt als Sträßchen, geht dann in breite Uferwiese über und ist nach dem letzten Haus nur noch ein Trampelpfad an der Grenze zur Erkennbarkeit. In gewissen Abständen stehen zusammengenagelte, stabile Bänkchen und stärken die Hoffnung, dass sich der Pfad fortsetzt. Nach beiden Seiten kann der Blick weit ausschwärmen. Während von weither Kraniche zu hören sind, von oben hin und wieder Gänse, stehen tief in den Wiesen als Wintervertretung des Storkower Wappenvogels weiße Reiher, die uns nahe heranlassen, bis sie dann doch das Weite suchen. Kurz vorm Waldrand bei den Türkenbergen fließt von rechts ein Entwässerungsgraben zu und verhilft der hiesigen Bank zu einer Halbinsellage, die ungemein einladend ist für eine Rast. Dahinter geht es weiter über saftige Wiesen, voraus überspannt den Kanal eine kleine Eisenbahnbrücke, über die jede Stunde ein Züglein in Richtung Storkow saust.

Weg nach Groß Schauen

Philadelphia

Nach dem wilden Queren der eingleisigen und schnurgeraden Bahnstrecke kommt hinter dichtem Nadelwald ein markantes Haus am Rand von Philadelphia in Sicht, halb Schloss, halb Werksgebäude. Wer gern Maschinenöl riecht, große Antriebsräder schätzt und solide Aggregate, deren Zündungen man problemlos mitzählen kann, kennt den Namen Philadelphia vielleicht vom Treckertreffen, das bis vor Kurzem alle zwei Jahre stattfand und eines der bekannteren war im Ackerlande Brandenburg.

Blick über die vereiste Groß Schauener Seenkette

Vom Dorfrand verlockt ein schöner Treidelweg weiter entlang des Kanalufers, doch wir schlagen unsere Haken durchs Dorf, vorbei an einem Teich und der alten Eiche, dann entlang eines Scheunenviertelchens und der schönen Badewiese am Dorfteich. Jenseits der Landstraße räkelt sich ein uriger Feldweg zwischen den Feldern, begleitet von alten und teilweise grotesk geborstenen Weiden, die nur einen Meter höher voller Leben stecken. Rechts auf dem Acker stehen so nah wie nie zwei Kraniche und machen nochmals klar, wie groß diese stimmstarken Flugsaurier wirklich sind. Für diese und jenen durchaus auf Augenhöhe.

Groß Schauen

Noch vor Groß Schauen steht am kleinen Badestrand die zweite Rastbank dieses Tages, unschlagbar in Lage und Aussicht. Über mehr als fünf Kilometer Seenfläche schaut man auf die bewaldeten Höhen bei Kehrigk und scheinbar noch viel weiter. Der Dunst des Wintertages betont wirksam jede der Entfernungsebenen. Der See liegt absolut still, die obersten Millimeter sind erstarrt, scheinbar über die gesamte Fläche. Auch das schattenschwarze Uferschilf ist frostfixiert und strebt in seiner Unbewegtheit nach einem möglichst scharfen Spiegelbild im stumpfen Eis. Die Sonne bricht fahl und unsicher durch die Wolkenberge und tut das ihrige.

In Groß Schauen

Vom großen Parkplatz berührt der Blick zum inneren Anger mehrere schwarzweiße Fachwerkwände, die in gleichmäßigen Abständen ausgelegt sind wie eine Spur Grimmscher Brotkrumen, und bereitet schon auf die besondere Anmut des eigentlichen Angers vor. Vom Feuerwehrturm vorbei am Buswartehäuschen und dem Haus mit den Milchkannen steht man schließlich am Dorfplatz, auf den das Wort gemütlich unbedingt zutrifft. Der Kirchturm sitzt nicht auf dem Dach der Kirche, sondern hockt schützend vor ihr. Stämmig und mit seinen langen braunen Holzlatten scheinbar wärmend.

Rund um den Platz mit den lose verstreuten, hohen Bäumen schlingt sich in einem Öhr die Straße, kunstvoll gepflastert aus historisch wirkenden, über Epochen rundgeschliffenen Ziegelsteinen. Von der Altarseite besehen wirkt die kleine Fachwerkkirche höher als erwartet, und auf ihrer sonnenbeschienenen Südseite steht eine Bank, die wie geschaffen ist für längeres Verweilen an einem kühlen Tag wie heute. Der sich zum Teil anfühlt wie Vorvorfrühling, doch auch wie unentschlossen gereifter Winter.

Dorfanger von Groß Schauen

Überall im Dorf gibt es Rastbänke, überdachte Raufen und Pavillons. Von einem dieser Plätze zweigt der Schaplower Weg ab und führt bald als ruhiger Radweg über die Wiesen und durch feuchtes Land. Die charaktervollen Kopfweiden stehen in vollem Saft, die jüngsten Ruten schreien ihr Gelbgrün regelrecht hinaus, selbst aus großer Entfernung ist das zu vernehmen. Hinter einem Wäldchen öffnen sich dann die großen Salzwiesen und geben den Blick auf Storkow frei. Nur ein einziger Baum mit hoher Krone unterbricht diese Fläche, doch nicht nennenswert, eher wie ein Schönheitsfleck in einem barock geschminkten Frauenanlitz.

Radweg hinter Groß Schauen

Auf einem Schild lesen wir, dass auch hier die Sielmann-Stiftung ihre bewahrenden Finger im Spiel hat, wie schon vor Kurzem unweit von Luckau. Unerwartet verhilft ein kleiner Aussichtsturm zum längst herbeigewünschten Blick auf die Groß Schauener Seen und auch auf die klitschnassen Wiesen in der breiten Uferzone. In der Tat handelt es sich hier um Salzwiesen, die man ansonsten eher am Rand des Wattenmeers erwarten würde – im Binnenland hingegen sind sie eine wirkliche Rarität. Das Meer, das sich hier einmal befand, schickt seine Jahrmillionen alten Botschaften nur an wenigen Stellen an die Oberfläche. Eine davon liegt hier bei Storkow und sorgt für salziges Grundwasser, damit verbunden für ein halbwegs kurioses Vorkommen von Pflanzen, die es salzig lieben und fast allesamt ein „Strand-“ im Namen tragen. Nun wird auch klar, warum bereits seit Philadelphia ein Salzweg unsere Schritte begleitet und uns noch weiter treu bleibt, bis hinein nach Storkow.

Bei all der Nässe rundherum wird der Weg jetzt mehr und mehr zum Damm, den keiner verlassen sollte, der gern trockene Füße hat. Rechts reicht der Schilfgürtel bis hin zum See, links des Dammes läuft ein vereister Graben mit und betont, dass die Salzwiesen nasser sind, als sie aussehen. Mitten in der grünen Weite sitzt ein Adler auf einem dieser Masten mit aufgenageltem Querholz, nimmt das Verharren unserer Blicke zur Kenntnis und verlässt mit leichtem Unwillen seine erhabene Position.

Blick vom Aussichtsturm bei den Marstallwiesen

Storkow

Nach einer eigenartigen Reihenhaussiedlung und dem Queren der Bahn flankiert der schwarzerdige Weg einen weiten Schilfteppich, hinter dem sich wirkungsvoll die Storkower Burganlage in Szene setzt. Nach etwas Zickzack durch die Wohnvorstadt ist es nicht mehr weit zur zweiten großen Küstenlinie dieses Tages. Vorbei an einer großzügigen Schulanlage geht es direkt zum schönen Strand, der die Lernmotivation im Klassenzimmer an wonnigen Sommertagen zu einem zähen Kampf machen dürfte. Das Objekt der Begierde, der Storkower See, ist ganz allein ein ähnliches Kaliber wie die ganze Seenkette von vorhin. Zwischen seinen Ufern liegt mehr als ein Kilometer, auch dieser lückenlos vereist.

Dammweg zwischen Salzwiesen und Schilfgürtel

Am flachen Strand gewinnen die Eishopser gut eingepackter Kinder gerade an Wagemut, währenddessen die rund einen Zentner schwereren Elternteile vorsorglich auf Sand und Wiese bleiben, auch wenn im flachen Wasser im Falle eines Bruches allenfalls die Sohle nass werden dürfte. An der nächsten kleinen Badebucht haben sich zwei Mädchen auf ihre Schlittschuhe gewagt und versuchen kichernd, gezieltes Vorwärtskommen, ständiges Umfallen und Touchscreen-Bedienen mit Handschuhen unter eine Wollmütze zu bekommen.

Vor einem neu gebauten Haus mit Graubetonung, direktem Seeblick und wenig Platz für Garten kommt etwas unsicher ein junges Pärchen vor zur Promenade, im Blick und über dem Kopf scheinbar die Frage, ob es wirklich das war, was sie mit der Erbschaft oder dem Lottogewinn machen wollten. Von links kommt ebenfalls zögerlich eine Frau mit ihrem glattgescheckten Lumpi, der uns mit seitlich gedrehtem Kopf fixiert auf unserer Bank, fast unbewegt und bald eine geschlagene Minute lang. Dann wird spontan für Weitergehen entschieden.

Blick über Schilf auf die Burg, Storkow

Die letzten Meter in die Stadt führt ein gut gelaunter Spazierpfad, vorbei an einer Festwiese mit Feuerplatz, der Lagerfeuer fast jeder Größenordnung wegstecken kann. Gleich danach stößt von rechts ein Seitenkanal hinzu, an dessen Rand ein kleiner Ruderboothafen schlummert. Auch hinter der Hauptstraße bleibt ein Weg am kleinen Kanal, auf dem unter anderem ein Flößer unterwegs ist, vor allem aber eine ganze Horde lebhafter Enten in freitäglicher Feierabendlaune.

Auf den Straßen der Altstadt kann man für die letzten Minuten noch mal einen Gang runterschalten, kleine Gassen erkunden und nach Belieben über den Markt schlendern, der umgeben ist von schönen und bunten Fassaden. Dem offenen Platz mit den großen Bäumen und einem guten Dutzend einladender Schattenbänke fehlt leider etwas Gastronomisches – eine Kneipe, ein Café oder ein Bäcker, der Stühle rausstellen könnte in wärmeren Zeiten. Vielleicht wird das ja wieder. Etwas weiter Richtung Zugbrücke gibt es dann das Altstadtcafé mit eigener Terrasse. Zur Zeit ist es drinnen gemütlicher, ganz klar, doch zu wärmeren Zeiten kann man sich hier gut ein Eis rausholen und damit schräg gegenüber vor die Kirche setzen. Dann noch mal rüber, noch ein Eis nachholen und vor der Kirche weiterschlecken. Selbst ein drittes Mal ist kein Problem, das Eis gibt es her.

Abendlicher Marktplatz in Storkow

Von der Zugbrücke fällt der letzte Blick zurück zum Markt, auf dessen Giebeln die untergehende Sonne sitzt, warm und behaglich. Zugleich gehen die Laternen an und zitieren eben dieses Licht, vom Markt bis hin zur Brücke. Die Miez vom Pfeiler liegt wohl hinter irgendeinem Ofen, der karierte Angler ist längst weg und nicht mal eine Ente auf dem spiegelglatten Wasser, so dass die in Laternengold getauchte Brücke nun in absoluter Stille ruht.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der S-Bahn bis Königs-Wusterhausen, dort weiter mit der stündlichen Regionalbahn (ca. 1,25 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über die Autobahn (1-1,25 Std.)

Länge der Tour: ca. 13 km (Abkürzungen möglich); wer das Queren der Bahnstrecke ohne offiziellen Übergang vermeiden will, kann die Alternativstrecke über den nördlichen Salzweg (Luchwiesen südlich des Kanals) nutzen (knapp 12 km, Wegpunkte A-F)

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Tourismusinformationen Storkow

Flyer der Sielmann-Stiftung (PDF)

Sielmanns Naturlandschaft Groß Schauener Seen

Flyer zum Salzweg (PDF)

Informationen zum Salzweg

Einkehr: Zum Fass, Storkow (keine eigene Erfahrung)
Burgstübchen (auf der Burg)(keine eigene Erfahrung)
Pension Storchenklause, Storkow
div. andere Angebote in Storkow

Kiosk am Strand am Storkower See

Görlsdorf: Schwanengeplauder, absolute Stille und der Mond am anderen Ufer

Wie es seit einigen Jahren üblich ist, schleicht sich die erste Frühlingsahnung bereits im ausgehenden Januar dezent in die Gehörgänge, ins tägliche Blickfeld und über die Atemwege auch direkt ins Herz und die Seele – wenn man denn einen gewissen Sinn dafür hat und zudem diesem Prozess keinen Riegel vorschiebt. Das mit dem Riegel dürfte gar nicht so einfach sein, denn es würde viel Weghören, Weggucken und einen effizienten Filter in der Nase erfordern.

Fjordbucht am Schlabendorfer See, bei Wanninchen

Neben dem hoffnungsfrohen Gepiepe der Wintermeisen, die schon immer die allerersten waren, sind hier und da bereits abendliche Amselliedchen zu hören, wenn auch nur zaghaft, wie aus weiter Entfernung. So als stünde das genetisch verordnete Handeln der Schnabelmusik in ständiger Hinterfrage kalendarischer Anzeichen wie Tageslicht und Temperatur. Dazwischen krächzen immer noch die schwarzen Räuber mit den wuchtigen Schnäbeln, doch selbst die wirken verunsichert darüber, ob wirklich noch ihre Zeit ist und so viel Selbstbewusstsein angebracht.

Zu weiterem Zweifel beitragen könnten auch die flächigen Heere der ersten Winterlinge, die ihre gelben Satellitenschüsseln dorthin ausrichten, wo sie die Sonne vermuten. Dazwischen stemmen sich mit blütenweißem Geläute buschige Inseln von Schneeglöckchen aus der schneeplatten Wiese. Ob nun Sing- oder auch Krächzvögel irgendwelche Aufmerksamkeit auf zeitige Blümchen verwenden, ist nicht bekannt, doch vielleicht werden sie ja im Gesamteindruck als Kundschafter des Frühlings wahrgenommen.

Neben den erwähnten Vögeln, die ganz bequem auf Balkongeländern oder Fahrradlenkern sitzen können, sind jetzt im Januar noch immer oder schon wieder solche unterwegs, die eher das Volumen eines Fahrradanhängers ausfüllen würden und sich zumeist in flachem Wasser am wohlsten fühlen. Während Kraniche und Gänse in immer größeren Scharen in den Wasserlandschaften Brandenburgs überwintern, halten es die seltener zu sehenden Singschwäne eher noch mit althergebrachten Reisegepflogenheiten. Von Süden kommend, legen Sie auf dem Weg zu ihren Brutquartieren gern längere Pausen ein, und mit etwas Glück kann man sie im Januar und Februar an der Oder oder, was weniger bekannt ist, auch im südlichen Brandenburg finden.

Nördliche Luckauer Stadtmauer

Der Lauf der Oder ist insbesondere im Bereich des Oderbruchs vom Menschen beeinflusst, was bekanntermaßen ein hohenzollerscher Fritz zu verantworten hatte. Der hob damit in der Mitte des 18. Jahrhunderts und mit den damaligen technischen Mitteln einen komplett neuen Landstrich aus der Taufe und lockte mit gutem Marketing und etwas Trickserei zahlreiche Siedler aus ganz Mitteleuropa auf die neu gewonnene und fruchtbare Krume.

Was das südliche Brandenburg betrifft, legt gut zweihundert Jahre später abermals der Mensch Hand und allerschwerstes Gerät an eine vormals unauffällige Landschaft, einen leicht hügeligen Flickenteppich aus Wäldern, Feldern und Dörfern unweit von Luckau. Unter gut zwanzig Metern Erde lagerte hier großflächig ein Braunkohle-Schatz, der nach und nach gehoben wurde. Die freigelegte Kohle wurde ein paar Städte weiter in Energie umgewandelt. Bitter ist dabei, dass für lediglich fünfzehn Jahre Kohleförderung fünf Dörfer weichen mussten – ein Schicksal, das im gesamten Lausitzer Braunkohle-Revier weit über hundert Dörfer und zehntausende Menschen betraf.

Am Markt in Luckau

Eins dieser Dörfer trug den knuffigen Namen Wanninchen. Ein einziges Haus dieses Ortes steht noch, dicht an der Kante, vor der die riesigen Bagger einst stoppten. Rund um das verwinkelte Gebäude entstand ein Ausflugsziel besonderer Art, das den Namen Wanninchen am Leben hält, gemeinsam mit einem Gedenkfindling gleich nebenan. Dieser geschundenen Landschaft angenommen hat sich die Heinz-Sielmann-Stiftung, was auch für andere Landschafen vor den westlichen Toren Berlins, bei Storkow oder unweit von Rheinsberg gilt. Wenn es beim Namen Sielmann nicht gleich klingeln sollte, tut es das vielleicht bei „Expeditionen ins Tierreich“ – die Sendung des Tierfilmers lief mit ihm bis Anfang der Neunziger Jahre – mehr als 25 Jahre lang – und war eine der ersten ihrer Art. Da schließt sich jetzt ein ganz klein wenig der weit geschlagene Bogen von und zu den Singschwänen, auf die man hier hoffen darf zu gewissen Zeiten.

Das überschaubare Gelände des Natur-Erlebniszentrums ist gleichermaßen spannend für Kinder und Erwachsene und darüber hinaus gut geeignet für eine Wander- oder Radelpause. Auch ein Abendhimmel über der gewaltigen Landschaft des fjordartigen Schlabendorfer Sees lässt sich von einem der Aussichtsplätze in Vollendung genießen. Entlang der gemütlichen Wege finden sich weiche und weniger weiche Tiere, Kräuter-, Nasch und Findlingsgärten sowie ein ausgewachsenes Steinlabyrinth, in das sich auch die Ängstlichsten hineinwagen werden.

Blick auf die Dächer der Luckauer Altstadt

Wer diesen Ort mit gewisser Regelmäßigkeit, doch in größeren Abständen besucht, kann eindrucksvoll das Neuerwachen einer kompletten Landschaft beobachten – oder besser: langzeitbeobachten. Die Flutung des riesigen Sees gilt seit Jahren als abgeschlossen, und die bizarren Formationen des Abraums werden langsam, doch stetig von Pflanzen erobert, die knallhart sind und ihre Ansprüche ganz weit unten ansiedeln. Im ausgedehnten Totalreservat südlich des Sees stehen sie noch relativ vereinzelt, so dass zwischen ihnen viel Platz ist für zahllose Fährten verschiedenster Tiere, die schon mal ihre Reviere abstecken.

Luckau

Es hat einen gewissen Charme, wenn man sich so einem eindrucksvollen Gewässer wie dem Schlabendorfer See mit gewisser Ehrfurcht oder auch Vorfreude nähert. Das gilt für die großen Flüsse wie Elbe und Oder ebenso wie für diese unnahbaren Gewässer vergangener Tagebaue, die durchaus Assoziationen an Skandinavien wecken. In geeigneter Entfernung zum See liegt Görlsdorf, eins von dreien in Brandenburg. Der Weg dorthin führt über das Städtchen Luckau, an dem man keinesfalls vorbeifahren sollte. Rund um die Stadt zieht sich ein hübscher Stadtgraben, der von der Gehrener Berste gespeist und von einladenden Spazierwegen begleitet wird, auf voller Länge und teils beidseitig. Spaziert man dort entlang, sieht es zum Teil nach Spreewald aus, zum Teil schon nach Sachsen.

Gut Görlsdorf

Der Stadtgraben folgt der Stadtmauer, die zum größten Teil erhalten ist und gemeinsam mit den wuchtigen Kirchenschiff und den gemauerten Türmen der Stadt pittoreske Sichtfenster ergibt. Innerhalb der Mauern wetteifern in den Straßen und Gassen Dutzende Fassaden und Giebel darum, wer von ihnen am schönsten oder originellsten ist, insbesondere am verwinkelten Marktplatz. Und draußen vor der Stadt liegt im Süden der Stadtpark, dem man noch immer die gestalterischen Feinheiten der Landesgartenschau ansieht, die jetzt bald zwei Jahrzehnte zurückliegt. Nicht wundern also, wenn der Aufenthalt in Luckau länger ausfällt als geplant.

Kirchlein in Görlsdorf

Görlsdorf

Ein paar Dörfer südlich von Luckau liegt dann Görlsdorf, ein schönes und aufgeräumtes Dorf mit großen Backsteingebäuden, das schon ganz klar nach Lausitz aussieht. Zu sehen gibt es hier einen Schlosspark im Schneewittchenschlummer, in seinem Herzen ein verfallendes Backstein-Schloss, das an ein Forsthaus erinnert. Weiterhin einen Gutshof, der sich an einer schönen Sichtachse ausrichtet und mit edlen Pferden zu tun hat. Vorbei an der kleinen Kirche läuft die gediegene Görlsdorfer Dorfstraße, mit schönen Häusern zu beiden Seiten und Vorgärten in früher Blüte.

Glatt gepflasterte Landstraße nach Beesdau

Am Ende des Dorfes quert die Landstraße nach Beesdau, meisterhaft gepflastert aus den klassischen Steinen von der Größe einer Bauarbeiterfaust. Solche Straßen sind in der Regel alle längst dem Asphalt gewichen. Doch dafür fehlen hier die Argumente, so astrein und glatt sind die Steine verlegt. Vor dem nächsten Haus zweigt links ein schattiger Weg in den Görlsdorfer Wald ab. Der zeigt sich vielfältig – neben alten Eichen gibt es hier dunkle Fichtenwälder und nach der ersten Lichtung sogar einen schönen Lärchenforst, der passend zur Jahreszeit gerade abgedeckt ist.

Wanninchen

Hinterm Wald ist rechts kurz eine Wasserfläche zu ahnen, doch bei der Ahnung bleibt es. Hier und da sind aus der Ferne ein paar Kraniche zu hören, ein paarmal auch Gänse, doch auch dabei bleibt es. Voraus liegt nun das erwähnte letzte Haus von Wanninchen und beherbergt heute das Erlebniszentrum der Sielmann-Naturlandschaft Wanninchen. Gegenüber hockt zwischen weiten Streuobstwiesen ein rustikaler Schafstall, der samt Wiese auch in Märchenfilmen mitwirken könnte. Der Himmel ist gerade bedeckt, doch leicht kann man sich sommerlich herumtollende Lämmchen vorstellen, die unter blühenden Obstbäumen an Butterblumen zupfen, erst spielerisch, dann auf den Geschmack gekommen.

Aussichtsbank am Gedenkstein für Wanninchen

Das Sielmann-Gelände ist an Winter-Wochenenden geschlossen – die Öffnungszeiten sind zwischen dem Zurück- und Vorstellen der Uhren eher auf Schulklassen zugeschnitten. Das ist schade, da wir nicht aufs Gelände können und auch nicht zu den Schildkröten oder auf die Aussichtstürme. Es ist aber auch schön, da wir den berauschenden Blick von der Rastbank beim Gedenkstein und diese ganze riesige Landschaft rundherum exklusiv genießen dürfen. Wie exklusiv es in der Tat ist, merken wir erst, als wir eine Weile sitzen, ein Tässchen Tee geschlürft und fürs erste ausgeplappert haben, schließlich still werden angesichts dieser Dimension, die unbewegt zu unseren Füßen liegt.

Mondlandschaft am jenseitigen Ufer, Wanninchen

Hunderte Vögel sind auf dem See, die ihre Töne machen könnten. Der Wind könnte leise säuseln oder brüllend in die Gehörgänge donnern, denn das kann er gut an diesem See. In den Wipfeln rauschen. Doch nichts ist zu hören, keine fernen Kraniche, nicht eins der wenigen Flugzeuge, die den Korridor am Tag überqueren, auch nicht Herr und Frau Krüger aus Beesdau, die ihre nachmittägliche Ausfahrt auf dem Rad machen, wortlos, doch mit Kiesknirschen unterm Reifen. Es ist absolut still. Dicht dran an dieser Stille, wo man das eigene Blut in den Adern rauschen hört – was eigentlich nur in abgelegensten, halbmetertief verschneiten Winterwäldern geht.

In Faszination erstarrt staunen wir auf den See hinaus, suchen mit dem Fernglas die mannigfaltigen Horizonte ab, um vielleicht die Stelle zu erwischen, wo ein paar rastende Singschwäne im flachen Wasser stehen. Das erste Geräusch in der Stille sind scheinbar weit entfernte klassische Enten, die sich über einen derben Witz zerreißen. Kurz darauf irgendwo ein Kranichpaar. Dann wieder die Stille. Unvermindert eindrucksvoll. Das nächste Schnattern kommt erst nach einer Weile, auch dieses von weit her.

Beobachtungsplattform beim Natur-Erlebniszentrum

Erst nach dem zweiten Tee haken wir den Gedanken noch einmal nach und erinnern uns an eine Reportage, schon lange her, über Singschwäne. Dieses andere Schnattern, das müssen sie gewesen sein. Denn die großen Vögel singen ja nicht immerzu, wenn sie den Schnabel öffnen, sondern pflegen wohl tagsüber auch gemäßigte, normale Unterhaltung. Das Fernglas bringt schließlich die Bestätigung, hart am Rand seiner Reichweite. Sie sind es. Wir haben sie gefunden, ganz hinten in der Bucht, zwei Kilometer weg im Westen. Als greifbare Ahnung.

Man könnte hier noch ewig verharren, den Rücken angenehm gekrümmt, doch ist zum einen noch allerhand Rückweg übrig, zum anderen folgt jetzt eine schöne Passage entlang der noch nicht allzu alten Uferlinie. Genau jetzt kommt die erste Sonne des Tages heraus, verhilft dem See zu etwas Blau und schärft der Mondlandschaft gegenüber die Charakterzüge noch etwas nach. Der Blick reicht ewig weit nach Süden, und gemeinsam mit dem Dunst der Ferne erwacht nun wirklich der Eindruck einer Fjordlandschaft, wie man es schon länger vom Senftenberger See kennt. Mit jedem Rückblick von der kurvigen Straße erschaffen sich neue Gemälde der Naturromantik, gewinnt die Landschaft immer noch an Weite.

Blick über den glatten See nach Schlabendorf

Die scharfen Kontraste unterm klaren Sonnenlicht sind fast etwas irritierend nach einer grauen Woche mit irgendwie verschwommenem Wetter, stetem Griesel und Niesel und unentschlossenen Temperaturen. Es knallt regelrecht. Als wäre der Asphalt des Radweges gestern erst erstarrt, die Nadeln an den Bäumen frisch gewachsen und der gesamte See frisch überlackiert. Denn passend zur großen Stille für die Ohren fällt jetzt jene für die Augen in den Blick – diese große Wasserfläche liegt vollkommen glatt, nicht eine Kräuselung, und man hat den Eindruck, kein Vogeltier würde es wagen, im Flug etwas fallen zu lassen oder auf dem Wasser eine Spur zu provozieren.

Uferschilf am Schlabendorfer See

Es ist fast ein wenig unwirklich, so dass man sich jetzt und hier nicht über ein riesiges Seeungeheuer mit üblem Atem wundern würde, das mit einem Schlag des langen Schweifes den ganzen See zum Wogen bringt. Das könnte schon ein Größeres sein, denn der See ist im Schnitt knapp zehn Meter tief, im Maximum wohl über dreißig. Doch das Spektakel bleibt aus. Der See liegt weiterhin so glatt, dass jeder herausragende Zweig versunkener Bäume eins zu eins gespiegelt wird. Dementsprechend deutlich ist hinter einer winzigen Insel von der Größe eines Spreewaldkahns die Schlabendorfer Kirche klar erkennbar, wohlgemerkt mit Hilfe des Fernglases.

Rad- und Fußweg unweit des Ufers

Jetzt kommen die ersten Menschen ins Spiel, die hier Freizeit und Bewegung genießen, sei es mit Rollen unterm Fuß, Fifi an der Leine oder ganz einfach auf dem Rad, ganz ohne Gegenwind. Jetzt endlich kommen auch Frau und Herr Krüger, die demnach eher Schlabendorf zuzuordnen sind als Beesdau. Und nicht mal knirschen unterm Reifen, sondern lautlos über Asphalt rollen entlang einer jungen Allee. Die Ufer sind nicht mehr kahl, an vielen Stellen hat sich buschiges Schilf angesiedelt und befreit die künstliche Uferkante mehr und mehr von ihrer Sprödigkeit. Am Knick mit Blick auf Schlabendorf steht ein dreikantiger Unterstand, der vor allen Windrichtungen Schutz bieten kann. Gen See auch komfortabel mit Bank, gen Wegkurve informativ mit allerlei Tafeln. Hier treffen sich jetzt fast alle, die gerade unterwegs sind. Der See liegt stahlblau und glatt.

Skandinavische Impression im Osten

Schlabendorf am See

Ein Abstecher nach Schlabendorf ist bei ausreichend Zeit eine Option. Das Dorf, das es länger gibt als Berlin, ist im Rahmen der Wende um ein Haar der Abbaggerung entkommen. Ein hübsches Kirchlein steht dort, und seit einiger Zeit gibt es auch einen kleinen Seglerhafen.

Schutzhütte auf halbem Weg nach Schlabendorf

Wir wollen zur Dämmerstunde noch zum Kranichturm im benachbarten Freesdorf und drehen landeinwärts ab. Schon nach wenigen Minuten ist nichts mehr zu sehen vom großen See und seinen Landschaften, dafür kommt auf der schnurgeraden Straße nach Görlsdorf in einer Baumlücke das Görlsdorfer Kirchlein in Sicht. Das hätte man ihm auf die Entfernung gar nicht zugetraut. Ein tiefergelegter altrosa Golf rast in gewisser Inkonsequenz vorbei – weit schneller als notwendig, doch lange nicht schnell genug, um Interessierte zu beeindrucken. Rechts voraus vom nassen Borcheltsbusch sind jetzt schon die Kraniche zu hören, die man zu Hunderten auch am See hätte haben können, an einem anderen Tag.

Genau dort steht auch der Kranichturm, der bereits an der Landstraße ausgeschrieben war. Von hier lassen sich zur Zeit des Sonnenuntergangs ganze Scharen von Kranichen und Gänsen beschauen, die zunächst auf dem benachbarten Acker den Tag auswerten, dann aufwändig die Verteilung der Schlafplätze diskutieren und schließlich mit noch größerm Theater in die sichere Obhut des großen Moores umziehen. Der Turm bietet dafür einen komfortablen Logenplatz. Wer dazu neigt, in schönen Momenten die Zeit zu vergessen, sollte für den Weg hinab eine Taschenlampe dabei haben oder zumindest noch einen Akku-Balken übrig am drahtlosen Draht in die Welt.

Blick über die Felder nach Görlsdorf

Auf dem Rückweg nach Luckau treffen wir am Straßenrand auf eine Schafherde, ebenfalls sehr groß, doch abendlich verschwiegen. Der Schäfer macht gerade Feierabend und überlässt seine Schäfchen der Gesellschaft einer Handvoll kleiner Schwäne, die weiter hinten auf der Wiese stehen und leise schnattern, auf besondere Art. Ab heute mit Wiedererkennungswert.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): am Wochenende nicht praktikabel, auch in der Woche 2-3,5 Std. (über Lübben und Luckau)

Anfahrt Pkw (von Berlin): 1,5-2 Std. (Autobahn Ausfahrt Duben)

Länge der Tour: ca. 13,5 km, Abkürzungen möglich (wahlweise kann man direkt zum Natur-Erlebniszentrum fahren, Parkplatz für Autos und Fahrräder vorhanden); bitte beachten: fast die ganze Tour verläuft auf harten Belägen, dämpfende Sohlen empfehlen sich

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Luckau

Heinz Sielmann Natur-Erlebniszentrum Wanninchen

Hauptseite der Sielmann-Stiftung

Schlabendorfer See

Kranichturm am Borcheltsbusch

Einkehr:

Landgasthof Zum Auerochsen, Freesdorf
zahlreiche Gastronomie in Luckau

Grobskizziert – Döberitz: Wegevielfalt und Ginsterpracht in der Döberitzer Heide

Es gibt Landschaften, deren jetzige Einzigartigkeit auf einer eigenartigen Kausalität beruht. Wo vor mehr oder weniger vielen Jahren oder Jahrzehnten die Motoren extrem schwerer Kettenfahrzeuge dröhnten und den Boden vibrieren ließen, so dass es auch für Nichtindianer noch im zivilen Gelände wahrzunehmen war, konnte schon zu diesen Zeiten die Natur einen Grundstein für das legen, was in Zeiten des Stillstands und der Stille wachsen würde. Dort, wo Maschinerie, Munition und die steuernden Hände und Köpfe dazwischen auf bestmögliches Zusammenspiel geprüft und strategisches Handeln in einen konsequenzarmen Probelauf geschickt werden konnte, gibt es heute die sichersten Refugien für zahlreiche Tiere und Pflanzen – eben weil hier eine wirklich gute Motivation besteht, ausgeschriebene Wege nicht zu verlassen, so wie es Schilder alle paar hundert Meter einfordern.

Steg über den Schwanengraben
Steg über den Schwanengraben

So hinterließen die Wirren und Unklarheiten in der Nachwendezeit sowie der mehr oder weniger geordnete Abzug ehemals allierter Truppen bis Mitte der neunziger Jahre zahlreiche, teils enorm weitläufige Flächen, die plötzlich ungenutzt und regelrecht herrenlos waren und auf die sich kein Mensch herauftrauen konnte, dem sein Leben lieb und der noch ganz bei Trost war. Demzufolge konnte die Natur hier zu annähernd hundert Prozent ihr Ding machen, was sie auch tat. Eines der schönsten Sinnbilder dafür kam vor einiger Zeit in einer Reportage vor. Da brütete eine bedrohte Vogelart, die es sonst in Deutschland kaum noch gibt, in einem schwer zugänglichen Platz unter der drehbaren Kanonenhaube eines verrostenden Panzers. Kaum erreichbar für Tiere, die ein paar Nahrungskettenglieder höher stehen. Dicker Panzerstahl, sicherer Schatten und darunter pelzköpfige Küken, die frohgemut und kaum hörbar tschilpen, egal wer da draußen auch herumschleicht oder -schwebt.

Uferweg am Schwanengraben
Uferweg am Schwanengraben

Viele dieser Gebiete sind heute Heideflächen und liegen weiter entfernt von Berlin, wie z. B. das ausgedehnte Areal nördlich von Jüterbog mit dem Keilberg und seiner grenzenlosen Aussicht, der vom Wasser der Havel umspielte Annenwalder Brand westlich von Templin oder die Reicherskreuzer Heide östlich von Lieberose, die im spätesten Spätsommer mit einem unvergleichbaren Teppich aus blühendem Heidekraut bedeckt ist – nur der Heideblüte wegen muss also niemand den weiten Weg nach hinter Lüneburg antreten.

Wellenreicher Hauptweg in der Döberitzer Heide
Wellenreicher Hauptweg in der Döberitzer Heide

Näher an Berlin liegt da die recht kleine Schönower Heide um die Ecke von Bernau und nicht zuletzt auch die Döberitzer Heide kurz hinter der Stadtgrenze bei Spandau. Diese erstreckt sich unmittelbar gegenüber des Olympischen Dorfes, wo ja im Wettbewerb um die Nutzung mittlerweile auch die Natur schneller vorankommt als der Mensch, der sich in Anbetracht des historischen Schwergewichts und der erschlagenden Dimension des Ganzen mit Entscheidungen schwer tut. Was zu verstehen ist.

Aus dem Staub gemacht
Aus dem Staube

Die Döberitzer Heide

Glaubt man leicht verfügbaren Quellen, gab es erste militärische Nutzungen dieser Heide schon vor 300 Jahren. Zu dieser Zeit muss es von Berlin bis zur Havel und weiter nach Döberitz noch eine kleine Tagesreise oder ein forscher Halbtagesritt gewesen sein, wenn man das damalige Wegenetz bedenkt.

Als Truppenübungsplatz groß aufgebaut und fortan regelmäßig benutzt wurde die Heide unter dem Kaiser. Das klärt auch die Frage, warum die Heerstraße von Westend bis zum Berliner Ortsausgangsschild Heerstraße heißt – auf fast 11 Kilometern Länge und über knapp 700 Hausnummern. Gut doppelt so lang reichten ihre verlängerten Geraden vom Berliner Stadtschloss bis zur Döberitzer Heide. Wenn man darauf achtet, fällt ins Auge, dass sie fast auf ganzer Länge in einzigartiger Weise als breite und repräsentative Straße verläuft. Daran hat sich auch durch 28 Jahre Ost- und Westberlin nichts geändert.

Blumiger Grasweg am Hasenheider Berg
Blumiger Grasweg auf dem Weg zum Hasenheider Berg

Während der Olympischen Spiele 1936 musste die Heide für militärische Wettkämpfe herhalten. Gleich gegenüber wurde das erwähnte Olympische Dorf errichtet, das über die Heerstraße perfekt an die Hauptstadt und auch an andere relevante Sportstätten wie das Olympiastadion angebunden war.

Die regelmäßige militärische Nutzung der Döberitzer Heide ging über hundert Jahre, bis 1991 dann Schluss war – und fortan Ruhe im Karton. Nur in Richtung Groß Glienicke gibt es noch ein Eckchen, wo die Bundeswehr bisweilen übt – jedoch ohne scharfe Munition.

Obelisk an der weiten Freifläche
Obelisk an der weiten Freifläche

Was von dieser Periode noch sichtbar ist, verleibt sich die Natur langsam und stetig ein. Am ehesten sichtbar sind noch alte Bunkeranlagen und Panzergräben, die mehr und mehr von Gras, Nadeln und Baumbewuchs überformt werden. Ansonsten bestimmt üppige, vielfältige Natur das Bild.

Döberitz

Es war schon herauszulesen – Döberitz liegt kurz hinter der Stadtgrenze und ist schnell erreicht, ob nun auf breitem Asphalt oder auf schmalem Stahl. Das heutige Döberitz liegt zwischen den alten märkischen Dörfern Dallgow und Rohrbeck, verfügt jedoch selbst über keinen Dorfkern. Das ursprüngliche Döberitz lag weiter südlich war selbst so ein Dorf, bis es Ende des 19. Jahrhunderts schließlich das Pech hatte, inmitten eines preußischen Truppenübungsplatzes zu liegen. Das Dorf durfte zunächst noch stehenbleiben, doch die Geschichte war letztendlich nicht gnädig. Ende der 1950er Jahre zog die Sowjetarmee in die Döberitzer Heide ein. In diesem Rahmen wurden alle damaligen Bewohner enteignet und Döberitz dem Erdboden gleichgemacht, samt seiner Kirche. Die einstige Kolonie Neu Döberitz ist heute das eigentliche Döberitz und vor allem ein Ort des Wohnens, und über dem Grundriss des alten Dorfes mitten in der Heide staksen heute in Abgeschiedenheit große Pflanzenfresser umher, auf dem wohlwollend verordneten Weg in die Selbständigkeit.

Rastplatz und Aussichtsturm beim Obelisken
Rastplatz und Aussichtsturm beim Obelisken

Kurz nach der jüngsten Jahrtausendwende gab es in der Döberitzer Heide noch kein ausgeschildertes Wegenetz, weder für Reiter noch für Radfahrer oder Spaziergänger. Es ließ sich auf gut Glück durch das vorhandene Wegenetz streifen in der Hoffnung, nicht irgendwo auf ein unüberwindbares Hindernis wie einen Zaun oder ein dorniges Gebüsch zu treffen. Das hatte den speziellen Charme, den solche Entdeckerstreifzüge eben haben, und ging in unserem Fall auch ohne großes Verlaufen und zähe Rückwege ab. Mittlerweile ist hier alles sehr geordnet, was aber überhaupt nicht groß auffällt. Trotz des dichten Wegenetzes und der vielen Gatterzäune ist man durchaus der Meinung, sich durch so etwas wie eine stadtnahe Wildnis zu bewegen.

Waldrand entlang der weiten Freifläche
Waldrand hin zur weiten Freifläche

Irritierend sind dabei nur die Flugzeuge, die die Landepiste in Tegel anvisieren, und das zu gewissen Zeiten im Vier-Minuten-Takt. Egal ob Düsentriebwerke oder Propeller – laut sind sie alle in ihrem Landeanflug. Wenn dann aber die Schwarmzeit überstanden ist, erscheint die Stille im Inneren der Heide umso zauberhafter und beglückender.

Schafherde im Konzentrat mit Ziegen-Ammen am Rand
Schafherde im Konzentrat mit Ziegen-Amme am Rand
Unterwegs in der Heide

Der innere Bereich der Heide, die heute „Sielmann Naturlandschaft Döberitzer Heide“ heißt, besteht aus einer sogenannten Wildniskernzone, die von einem mehrfachen Zaun umgeben ist und ausgewilderten Tieren ein weitgehend unbeeinflusstes Entfalten gewährleisten soll. Aktuell gewöhnen sich dort, wie weiter oben erwähnt, schon einige Dutzend großer Pflanzenfresser wie Wisente, Przewalski-Pferde und Rothirsche an das unbehelligte Leben. Rund um diesen ausgedehnten Bereich verläuft der große Rundweg, der ziemlich lang ist (länger als der Weg zwischen Döberitz und dem Berliner Schloss) und bei all seinen möglichen Abstechern und Optionen mit dem Fahrrad am meisten Spaß machen dürfte – ein schöner und erlebnisreicher Tag kann hier problemlos gefüllt werden. Nur sollte die Bereifung nicht zu schmal sein.

Rastbank im Ginster
Rastbank im Ginster

Möchte man diese Landschaft zu Fuß entdecken, bieten sich kleine Runden an, die Fahrland und Kartzow oder Kartzow und Priort mit dem inneren Wegenetz im Bereich des Ferbitzer Bruchs kombinieren, dem feuchten Kontrast zur meistenteils staubtrockenen Döberitzer Heide. Wer jedoch eben diese landschaftlich vielfältige Heide im kleinräumigen Konzentrat erleben will, dem empfehle ich den Bereich nördlich der Wildniskernzone, der zudem mit den Öffentlichen hervorragend zu erreichen ist. Hier lässt sich die Tour alle paar Minuten verlängern, verkürzen oder komplett umkrempeln. Die Ausschilderung hilft beim Variieren.

Sandiger Weg entlang des Wildniskernzone
Sandiger Weg bei der Hasenheide

Es gibt mehrere Möglichkeiten, direkt in die Heide einzusteigen, sei es nun vom Einkaufszentrum Havelpark oder am Südrand von Döberitz bei der Unterführung der Bundesstraße. Da es dann jedoch stundenlang ohne jegliche Häuser, Kirchturmspitzen und Dorfplätze durch die Natur geht, ist ein wenig Ortslage als Kontrast und Abwechslung sehr zu empfehlen. Diese Kombination bietet sich am besten mit dem Bahnhof Dallgow-Döberitz als Ausgangspunkt.

Kesse Lupine am Gitterventil
Kesse Lupine am Gatterventil

Von dort führt ein zauberhafter und schattiger Pfad entlang des länglichen Schwanengrabens, immer dicht am Wasser und an vielen Stellen regelrecht verwunschen. Nach ein paar Minuten Gewerbegebiet und Straßenlärm übernimmt bald wieder der Waldschatten und mit ihm die Natur samt ihren Düften und Tönen – die Bundesstraße ist kaum noch zu hören, und die Flugzeuge ignoriert man so gut wie möglich. Bald steht der erste Übersichtsplan am Weg und der Einstieg in die Heide bevor. Nach ein paar hundert Meter breiten Weges wird es schon bald kuschliger und es kann entschieden werden, welchen Schildern man folgen möchte.

Schöner Waldrandweg am Grunde
Schöner Waldrandweg am Giebelfenn

Die Wege des ausgeschilderten Netzes sind allesamt einladend. Mal verlaufen sie schnurgerade zwischen Waldrand und offener Weite oder kurvig einer sanften Talflanke folgend, mal direkt durch den blumenreichen Trockenrasen oder breit und staubig über Dünenbuckel voll Erika und Kiefern. Oft auch schattig und kühl durch jungen Laubwald oder entlang dichter Eichenreihen. Zur nächsten Wegekreuzung ist es nie sehr weit, und so stellt sich beim planlosem Umherstreifen an jeder von ihnen aufs Neue die schwierige Frage, welchem der einladenden Abzweige man folgen möchte.

Weg in den Wald
Weg in den Wald bei Sperlingshof

Die Vielseitigkeit der Döberitzer Heide zeigt sich auch darin, dass die Landschaften etwa alle Viertelstunde wechseln. Sei es nun der Wechsel zwischen Waldgebieten und offenem Grasland, zwischen konstruierter Wegesystematik und solchen Wegen, die der Beschaffenheit des Reliefs folgen oder zwischen kleinräumigen Abschnitten und der großen Weite rund um den liebesbedürftigen Obelisken. Von hier aus reicht der Blick weit ins Land und lässt im Gedanken durchaus den Vergleich zur Lüneburger Heide aufblitzen. Zwischen Rastplatz und Obelisk verläuft eine winzige und allerliebste Wegschleife auf trockenen Gräsern, die von Optik und Duft her auch auf einer norddeutschen Insel liegen könnte und im niedrigen und warmen Abendlicht besonders schön sein muss.

Große Ginsterweite südlich der Bundesstraße
Große Ginsterweite südlich der Bundesstraße, Nordheide

Die Vegetation ist üppig, vielfältig und reich an Baumbewuchs – Heidekrautflächen sind in dieser Heide jedoch die Ausnahme. Dafür blüht im späten Mai an vielen Stellen großflächig der Ginster, wie wir es bisher nur selten gesehen haben. Ein guter Ausgleich für lila Blütenmeere im September.

Worauf wir noch getroffen sind, das waren eine muntere Schar von Pfadfinderinnen und ein großes Halbrund von hochbeinigen Bienenstöcken mit einem eindrucksvollen Klangteppich aus hunderttausenden Flügelschlägen. Ferner eine im Schatten vereinigte Schafherde mit zwei freundlichen Ammen-Ziegen, die verwaisten Lämmchen zur Verfügung standen. Wer die oben erwähnten größeren Tiere sehen möchte, kann sein Glück südlich vom Natur-Erlebniszentrum versuchen. Zwischen Wolfsberg und Wüste kann man mit etwas Glück ein behuftes Bein, ein beschweiftes Heck oder sogar einen bemähnten Kopf zwischen den Bäumen entdecken. Weniger rar machen sich kleinere Leute wie eben die Wildbienen, Grashüpfer und Schmetterlinge, die im gesamten Gelände für einen charmanten Buschfunk sorgen.

Parkstreifen
Parkstreifen in der westlichen Siedlung Döberitz

Für den Rückweg zum Bahnhof gegen Ende der Tour spricht nichts dagegen, wieder den Uferweg am Schwanengraben zu nehmen. Wer bei seinen Streifzügen weiter westlich bei der Zufahrt nach Rohrbeck gelandet ist, kommt durch ein Wohngebiet und einen hübschen Parkstreifen ebenfalls zurück zum Bahnhof. Dort bieten sich für den großen und kleinen Hunger mittlerweile vier Möglichkeiten zur Einkehr an. Mit etwas Heidestaub im Scheitel.

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der Regionalbahn bis Dallgow-Döberitz (ca. 45 Min.), wahlweise weiter mit dem Bus zum Havelpark

Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der B 5 Richtung Nauen (ca. 45 Min.)

Länge der Tour: wie unten zu sehen 13,5 Kilometer; darüber hinaus beliebig variierbar; Empfehlung: der Rastplatz am Obelisken sollte dabei sein

 

Download der Wegpunkte

 

Links:

Historische Karte der Döberitzer Heide (1936), altes Dorf Döberitz im Zentrum

Sielmann-Naturlandschaft Döberitzer Heide

Einkehr: mehrere Möglichkeiten am Bhf. Dallgow-Döberitz