Stadtrandtour Seeberg: Ferne Länder, verspielte Bäche und die Spur der Hufe

Bewegt man sich am Rande einer Stadt, sei sie nun so groß wie Jüterbog, Berlin oder Cottbus, stellen oder legen sich oft großformatige Hindernisse in den Weg, die wenig oder gar nichts zu tun haben mit Begriffen wie pittoresk oder landschaftlich ansprechend. Das sind an vielen Stellen Umspannwerke mit dem resultierenden Netzwerk aus Hochspannungsleitungen und Masten, oft ist es auch die Autobahn oder eine Schnellstraßenumfahrung, durch die alte Wege gekappt wurden. Und natürlich die allgegenwärtigen und überlebenswichtigen Gewerbegebiete. Überlebenswichtig für den Bestand der Region sind sie allesamt, diese Hindernisse, denn ohne sie würde das zeitgemäße Leben, wie man es kennt und schätzt, nicht funktionieren.

Der Zochegraben
Der Zochegraben

Um so erstaunlicher kann es werden, wenn man sich davon nicht groß beeindrucken lässt. Überall geht das nicht, denn in vielen Fällen lässt sich auch zwischendurch wenig Reizvolles finden. An manchen Stellen wäre man zudem förmlich gefangen zwischen schnellen Verkehrswegen und auch Wasserstraßen, denn „Brücke“ ist in dieser Hinsicht noch immer ein entschlossenes Zauberwort, wie schon vor tausend oder vor dreitausend Jahren, die Abstände zwischen Brücken manchmal schlichtweg zu groß für Tagesausflüge zu Fuß.

Doch manchmal ergibt sich eine nachgerade zauberhafte, im Vorhinein kaum erahnte Mischung, die durch ihren Kontrastreichtum dem nächstfolgenden Schönen stets noch etwas mehr Kontur verleiht. Und im vorliegenden Falle gleich die Randbereiche von zwei Städten mitnimmt, wenn auch von unterschiedlich großen.

Talgrund zwischen Waldhang und Bruchwald des Zochegraben
Talgrund zwischen Waldhang und Bruchwald des Zochegraben, mit verblassenden Loipen

Erwartet hatte ich für diesen Weg eine eher herbe Mischung, und in der Tat waren im letzten Drittel einige solcher Passagen dabei. Doch im Rückblick fielen diese durch den häufigen Landschaftswechsel weniger ins Gewicht, und das trotz trübem Wetter und feinstem Nieselstaub. Klar überwogen haben die nachgerade bezaubernden Passagen, noch dazu gab es weit mehr Naturnähe, als aus der Karte ersichtlich war.

Gleich hinter der Stadtgrenze mit den Hochhausvierteln von Hönow zieht sich ein regelrechter Gürtel von breitgewachsenen, schönen Dörfern bis hin nach Strausberg, fast ohne Unterbrechung und jedes mit seiner eigenen S-Bahn-Station. Nördlich davon, kurz hinter dem Berliner Ring, liegt das Städtchen Altlandsberg, mit einer fast komplett erhaltenen Stadtmauer samt zwei Türmen.

Blick aus dem Tal auf die Auen
Blick aus dem Tal auf die Auen

Seeberg Dorf

Vorgelagert und fast eingeklemmt zwischen Autobahn und schneller Landstraße liegt das klassisch märkische Dörfchen Seeberg. Im Dorf selbst merkt man bei günstigem Wind nicht allzu viel von den lauten Straßen. Etwas daneben liegt ein Logistikzentrum von nahezu derselben Fläche, das dem Abbiegeschild ins Dorf eine etwas stiefmütterliche Optik verleiht. Doch der Kirchturm lockt.

Es hat geschneit den ganzen Vormittag, recht unerwartet nach den mäßig kalten Tagen und dem ganz aktuell verheißenen Tauwetter. Alles ist weiß eingedeckt, der Schritt gedämpft und die Straße gleich noch etwas weniger zu spüren. Unter dem Schnee ist es stellenweise höllisch glatt, speziell auf der kleinen Brücke über die Autobahn. Erst beim Abbiegen ins Feld stellt sich Entspannung ein beim Setzen der Schritte.

Eisdrachen in der Strömung
Eisdrachen in der Strömung

Das einzige, was hier den Verlauf des Weges verrät, sind die Büschel trockener Gräser, die Spur dazwischen ist nur zu ahnen. Mit der Straße im Rücken und einem markanten Waldhang voraus sind wir augenblicklich in der Stille und könnten sonstwo sein in Brandenburg, ganz tief. Eine hochgewachsene Baumreihe prophezeit einen Wasserlauf. Links in dessen Auflächen, wenn ich sie mal so nennen darf, liegen kleine Bauminseln, die bei näherem Hinsehen aus nur einer einzigen effektvoll gespaltenen Weide mit ein paar Nachbarbäumen bestehen. Das wirkt besonders eindrucksvoll, so in der weiten weißen Ebene.

Voraus jagen ein paar eher kleine Hunde durch den Schnee, gekleidet in Lederponchos mit Fellfütterung, die durchaus kernig wirken. Etwas dahinter prägt eine Langläuferin ihre eigene Loipe durch den Waldstreifen, in Gedanken und still genießend. Sicherlich waren die Skier längst wieder an ihrem angestammten, staubigen Platz im Keller gelandet. Noch vor dem meterbreiten Zochegraben warnt ein großes Schild in großen Buchstaben vor Rennpferden und dem Betreten auf eigene Gefahr. Was beim Gedanken an teure Traber im Trainings-Tiefflug zunächst ein versonnenes Lächeln aufs Gesicht bringt, wird beim Blick auf die Karte plausibler – direkt nebenan befindet sich eine ausgedehnte Trainierbahn für Galopp-Tempo.

Verblüffende Altarme des Zochegrabens
Verblüffende Altarme des Zochegrabens

Zwischen dem Hangwald mit seinen Kiefern und dem Erlenbruchstreifen entlang des Zochegrabens erstreckt sich scheinbar endlos ein Talgrund, der zu jeder Jahreszeit seinen Reiz haben dürfte, so auch jetzt. Und wieder fühlt man sich weit weg von Berlin. Jenseits des Grabens steht ganz für sich eine beeindruckende Eiche. Ist sich ihrer Wirkung bewusst, wie es scheint. Auch dort sind Langläufer unterwegs, die unverhoffte Gunst des Tages nutzend.

Hönower Siedlung

Vor der Landstraße, einer schönen Allee, führt ein Pfad hinab zum Wasser, und tatsächlich lässt sich hier die Straße ohne großes Leitplankengekletter queren. Der Zochegraben blubbert unterm Eis bescheiden vorbei an der noch relativ jungen Hönower Siedlung, zeigt dann aber, was er sonst noch so drauf hat. Wie ein altgestandener Fluss im Miniatur-Format gebärdet er sich in schnieken Mäandern und selbstgebastelten, doch recht überzeugenden Altarmen, an seinen Ufern einen über lange Zeit gewachsenen Baumbestand. Noch dazu senkt sich das Wasser hier recht tief ins breite Tal ab und erzeugt zusammen mit dem trüben Schneelicht eine Stimmung, welche das vorausliegende Birkenstein wie ein Städtchen am Fuß des Mittelgebirges aussehen lässt. Wirklich. Ein faktisches Beweislein dafür liefert der sanfte Anstieg über die Felder, der stattliche 20 Höhenmeter überwindet. Ein Tiroler wird dafür nicht einmal ein müdes Lächeln andeuten, doch für ein Land, dessen höchste Erhebung um die 200 Meter liegt, ist das schon die Erwähnung wert.

Blick vond er Hochebene übers Tal auf die Berliner Seite
Schneetrüber Blick von der Hochebene übers Tal auf die Berliner Seite

Dank reichlich dicker Kleidung und dem noch kaum zerstapften Schnee sind wir oben nun definitiv auf Betriebstemperatur. Vor dem Eintreten ins Wohnviertel quert ein laternenbestandener Fußweg von Ost nach West das Tal und untermauert an dieser Stelle mit genau diesem Blick nochmals den beschriebenen Eindruck. Auf der anderen Talseite verläuft die Landesgrenze zwischen Brandenburg und Berlin, voraus lockt ein ähnlich reizvoller Fußweg hinab. Wir nehmen keinen von beiden und spazieren bald auf dem Grünen Bogen zwischen den Häusern entlang, nun wieder auf unterfrorenen Straßen. Nach dem Ende der Straße liegt voraus ein ausgedehnter Talgrund mit vielen kreuzenden und zweigenden Wegen, noch vorher sausen Kinder über den Weg, mit Schlitten unterm Hintern, befeuert von einer kurzen, doch knackigen Rodelbahn mit zwei winzigen Schanzen im Gefälle.

Auch dieses Tal und der angrenzende Wald werden von einer Trainingsbahn durchzogen, wenn auch nirgends ein Warnschild zu entdecken ist. Direkt benachbart liegt ein Gestüt, zwischen beiden verläuft ein ruhiger Weg, der schließlich in den Wald führt. Nach dem Überqueren eines Bächleins kommt man vorbei an einer Wohnanlage mit einem Kirchlein und steht kurz darauf vor dem S-Bahnhof Hoppegarten – und hat nun einen griffigen Reim auf die ganzen Pferdehinweise des bisherigen Weges. Na klar, hier liegt doch etwas südlich die Galopp-Rennbahn mit ihrer bald 150-jährigen Geschichte, und rundherum gibt es drei Trainingsbahnen, eine im Süden und eben die beiden hier im Norden. Da erstaunt es fast ein bisschen, dass bisher kaum Pferde zu sehen waren.

Über dem Bahnhof Hoppegarten
Über dem Bahnhof Hoppegarten

Hoppegarten

So schön, prächtig und erhaben das ganze frische Weiß dieses Tages ist, so angenehm ist nun der kräftige und flächige Farbtupfer, den die rote Überführung zum Bahnsteig bietet. Drüben führt eine alte Pflasterstraße entlang schöner Stadtvillen in Richtung Zentrum, so wie es eigentlich an jedem der zahlreichen Schilderbäume der nächsten Zeit ins Zentrum geht. Da jedoch die Dörfer hier so fließend ineinander übergehen, ist nicht ganz klar, welches Zentrum jeweils gemeint ist. Aber schön ist es allemal, und verheißungsvoll, denn ein Zentrum ist immer eine willkommene Abwechslung, gerade an nahezu monochromen Tagen.

Im bezaubernden Tal des Neuenhagener Mühlenfließes
Im bezaubernden Tal des Neuenhagener Mühlenfließes

An der nächsten großen Kreuzung, links ginge es ins Zentrum, biegen wir rechts ab ins Tal des nächsten fließenden Wassers. Was hier als Neuenhagener Mühlenfließ den Weg kreuzt, ist Berlinern vielleicht als Erpe bekannt, als die es schließlich in die Spree mündet. Doch bis dahin sind es noch ein paar Kilometer. Dieses Fließ eröffnet augenblicklich einen angenehmen Bann, denn obwohl sich zu beiden Seiten dichte Siedlungen befinden, gebärdet es sich so zauberhaft und schlingenfreudig, dass man sich erneut im Mittelgebirge wähnen könnte. Drumherum steht hochgewachsener Wald, und beim Eintritt ins naturgeschützte Tal von der verkehrsreichen Straße ruft uns eine ältere Dame zu, dass sie vor einer Stunde eine Wildschwein-Bande hätte durchziehen sehen, wir auf der Hut sein sollten. Dementsprechend wacheren Blickes folgen wir dem munter über seinen gewellten Sandboden strömenden Fließ, bis hin zu einem Brücklein, das hinüber ins nächste Wohnviertel führt. Das mit den unterfrorenen Straßen klappt jetzt schon ganz gut und dauert auch nur kurz, denn bald geht es weiter am Mühlenfließ entlang, nun auf dem Liebermannweg. An dessen Ende liegt das Freibad Neuenhagen, direktverbunden mit dem S-Bahnhof durch einen verspielten Zubringer in Spreewald-Manier.

Vor dem Bahnhof Neuenhagen
Vor dem Bahnhof Neuenhagen

Neuenhagen

Die Unterführung des Bahnhofs ist mit individualisierter Lokal-Werbung im allerbesten Sinne gestaltet und hat dadurch nichts vom Unangenehmen einer klammen Unterführung, regt vielmehr zum Stehenbleiben an. Drüben führt eine noble Übereck-Treppe auf Bahnsteigniveau, darüber ein weiterer Farbtupfer, hier nun in kräftigem Blau. Das macht direkt neugierig auf die S-Bahnhöfe von Fredersdorf und Petershagen.

Der Bahnhofsvorplatz ist so gestaltet, dass man hier ganz gern aussteigt, ein paar Läden und Kioske scharen sich drumherum. Vom Schilderbaum weist ein Schild ins Zentrum. Die Fichtestraße führt vorbei an alten und neueren Häusern schnurgerade zur Autobahn, die erst kurz davor zu hören ist – der Schallschutz ist gut, der Schnee dämpft und der Wind steht günstig. Nach ein paar Metern Gewerbegebiet, das so aussieht, wie ein Gewerbegebiet eben aussieht, beginnt unvermittelt ein Weg durch die weiten Wiesen des nächsten Bachtales, das Naturschutzgebiet Wiesengrund. Das Fließ ist noch dasselbe wie vorhin, gegenüber steht ein Fachwerkhaus im dunklen Hang des Waldes und bezieht sich noch ein letztes Mal auf die mittelhohen Berge.

Im Naturschutzgebiet Wiesengrund
Im Naturschutzgebiet Wiesengrund

Die Naturromantik im schönen Wiesengrund verlangt ab hier ein wenig Phantasie, an diesem weißen Tag, wo keine Grille zirpt und sich keine bunten Gräser in den artenreichen Trockenwiesen wiegen, kein milder Wind um nackte Arme streicht. Was sich bisher moderat verteilte, das gibt es jetzt geballt, auch wenn man es zum Teil nur weiß und gar nicht sieht. Im Rücken die Autobahn, links das distanzierte Gewerbegebiet von Altlandsberg, und quer über das stille Tal hängen die kräftig zirpenden Hochspannungsleitungen, die ganz frisch den Strom aus mehreren Himmelsrichtungen zum Umspannwerk anliefern. Das verspielte Mühlenfließ lässt sich davon nicht stören und versteckt sich zuletzt in einem Streifen Wald, der tief wirkt und verwunschen. Am nördlichen Ende des Wiesengrundes gibt es unter der Brücke der Landstraße noch eine letzte Teepause am Mühlenfließ, bevor uns adäquat gekleidete Kühe und Lamas in Seeberg Siedlung Willkommen heißen.

Willkommenskommando in Seeberg Siedlung
Willkommenskomitee in Seeberg Siedlung

Seeberg Siedlung

Hinter dem neuen Komplex aus Seniorenzentrum und Kindergarten geht es direkt auf die Wiesen in Richtung Röthsee, dort vorbei an einer kleinen Badestelle. Je nach Wind rauscht hier die Umgehungsstraße mehr oder weniger. Vorn an der Hönower Chaussee noch unweit der Holländermühle vorbei, im Bockwindmühlenland Brandenburg doch eher die Ausnahme, und jetzt ist es besonders schön zu wissen, dass wir in absehbarer Zeit trocken sein werden. Und satt. Ein überraschender Schneetag geht zu Ende, wohl nicht der letzte dieses Winters, mit Sicherheit jedoch der letzte dieses Januars, denn Tauwetter ist angesagt und Werte deutlich über Null. Das geht in Ordnung, fürs Erste.

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): direkt nach Seeberg Dorf keine Anbindung; alternativ S-Bhf. Hoppegarten, S-Bhf. Neuenhagen (ca. 45 Minuten); wahlweise von U-Bhf. Hönow mit ca. 1,5 km Zuweg

Anfahrt Pkw (von Berlin): Landsberger Allee stadtauswärts, dann vorbei an Hönow Landstraße Richtung Altlandsberg, am Abzweig Altlandsberg rechts nach Seeberg (ca. 45 Minuten)

Länge der Tour: ca. 16 km (Abkürzungen nur schlecht möglich)

 

Download der Wegpunkte

 

Einkehr: Zur Mühle, Altlandsberg (bei Seeberg), darüber hinaus mehrere Möglichkeiten im Ortsgebiet von Neuenhagen

 

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Ein Gedanke zu „Stadtrandtour Seeberg: Ferne Länder, verspielte Bäche und die Spur der Hufe“

  1. Berlins Ränder sind immer wieder für eine Überraschung gut, man geht von einem kleinen Naturschutzstreifen zum nächsten Stadt-oder Dorfwald und glaubt weit weg zu sein! Vielen Dank für die vielen Wegeskizzen und Au(g)enblicke, die du mit uns teilst!

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