Archiv der Kategorie: Havelland

Ketzin: Fahrende Berge, platte Reliefs und die Spitze für Später

Das neue Jahr läuft nach den ersten Wochen schon erstaunlich rund, etwas Winter gab es schon und auch ein paar milde Tage. Nur die Sonne zeigt noch immer Berührungsängste, obwohl sie nach vielen grauen Wochen sicherlich überall mit applaudierenden Blicken und aufgehellten Gesichtern begrüßt würde.

Dampferanleger an der Havelpromenade in Ketzin

Die Wahl der Kleider beim Verlassen der Wohnung ist noch immer Glückssache, meist ist man deutlich zu warm eingepackt, manchmal aber doch zu dünn und dann droht schnell irgendein Infektgeschehen, dessen Geräusche in dieser Zeit ja umgehend den stillen Argwohn der verunsicherten Umwelt hervorrufen.

Altstadtgasse in Ketzin

Ohne Irritationen hingegen ist die Natur in Sachen Kraut, Huf und Schnabel. Wer es darauf anlegt und entsprechende Landschaften ansteuert, wird mit großen Mengen von voluminösen Zugvögeln belohnt, die dem Tag eine nie ganz abreißende Klangkulisse hinterlegen. Manchmal darf sich diese fortwährende Tonspur im Traum sogar noch fortsetzen. Auch die ganz zeitigen Blüten des Januars strecken ihr Gelb schon ins Licht, wenn es dann mal kurz da ist. Am Boden sind das die allerersten Winterlinge, die mit gewisser Vorsicht auch beim höchsten Sonnenstand noch ihre Blüten kugelig lassen, in Buschhöhe dann die diffus verteilten Sternchen des Winterjasmins, die der Farbe teils schon Fläche geben.

In der Paretzer Dorfkirche

Hoch über all dem wölbt sich ein Himmel, der mehr oder weniger farblos daherkommt, auch formlos. Undurchbrochene Schleier ohne Struktur, die den Tag darunter vor allem grau und das Wohnzimmer besonders einladend wirken lassen. In dieser Grundstimmung ist es dann ein regelrechtes Fest, und sei es nur für Minuten, wenn der Wind den faden Teig da oben auseinandertreibt und den Blick auf die Sonne und den klaren Himmel freigibt. Was diese sogleich mit der Erdoberfläche anstellt, ist weit mehr als hohe Kunst und berührt umgehend alle Sinne, das Herz und auch die Seele. Aus landschaftlichem Einheitsbrei wird sinnenfreudiger Bildzauber, und kaum jemand wird die Finger vom Auslöser lassen können, und sei es nur des klaren Lichtes wegen.

In der Grotte im Schlosspark Paretz

Im Aufbruchsmonat Januar ist die Weite schön, die keinen Fitzel möglichen Lichtes verschenkt. Darüber hinaus haben sich mannigfaltige Uferkanten als passend erwiesen, um die naturellen Bedürfnisse zu stillen und den erholsamen Ausgleich zur Arbeitswoche zu schaffen, allumfassend abzuschalten und vielleicht ein paar mehr Glückshormone zu verschütten. Zwischen Potsdam und Brandenburg gibt es reichlich davon, meist gut gemischt mit besonderer Architektur und wildromantischen Uferlinien, die stets ein wenig undurchschaubar bleiben.

In den Paretzer Erdelöchern

Ketzin

Zwischen Potsdam und Brandenburg fließt die Havel am beschaulichen Städtchen Ketzin vorbei, das mehr Dimensionen aufweist, als man beim Durchfahren oder einem Kurzbesuch denken sollte. Sind die Wasserlandschaften hier von Hause aus schon ohnegleichen, wird das bei Ketzin noch auf die Spitze getrieben. Neben der weit verzweigten und oft seenweiten Havel selbst gibt es mitten in dieser eine Reihe großer Inseln und nördlich davon ein verwirrendes und scheinbar endloses System von Stichteichen, die als Erdelöcher Ketzin in einen Begriff gefasst werden. Ähnliches gibt es in kleinerer Ausprägung auch südlich der Havel bei Deetz oder unweit von Paretz.

Bei so viel umgebendem Wasser kann an der Uferpromenade der Stadt durchaus der Eindruck aufkommen, sich auf einer Insel zu befinden. In den blattlosen Zweigen von Büschen und Gebäum hat der Morgennebel viel Wasser zurückgelassen, das jetzt in Form halbgefrorener Tropfen auf den ersten Windstoß wartet und im Gegenlicht für zahllose Glanzpunkte sorgt. Gepflasterte Altstadtgassen verlieren von der Kirchhöhe ein paar Meter, bis sie schließlich am oder im Wasser enden. An der mittleren Promenade ist der Steg des Dampferanlegers pavillonartig überdacht, und diese Stelle samt ihrem versunkenen Ausblick erinnert an eine kleinere Ausgabe des Steges, der sich am Ostrand der Stadt Brandenburg befindet.

Am Stadtufer in Ketzin

Bereits hier auf der Promenade mischt sich der Rundweg Ketzin-Paretz unter die eigenen Schritte, sucht sich mit sicherem Gespür die allerschönsten Wege, Pfade und Schleichwege und verliert dabei selten das Wasser aus dem Blick. An der Fischerei südlich der Altstadt verbreitet ein kleiner Sticharm kurzzeitig Spreewald-Stimmung, bevor der Weg entlang einer Reihe jüngerer Kopfweiden in Richtung Strandbad abdreht.

Havelpromenade in Ketzin

Neben den Tönen weit entfernter Kraniche und Gänse oder vereinzelter Reiher gehört auch nahes Möwengeschrei zur Klangkulisse und schafft unbedingt Urlaubsgefühle. Ohnehin fühlt sich dieser lichte Tag am offenen Wasser nach einer langen Periode in grau nach Urlaub an, wozu natürlich auch die Altstadtgassen mit ihren Sichtlinien und nicht zuletzt die Fähre beitragen, deren niedertouriges Bullern bald schon zu erahnen ist. Vorher liegen noch breite Schilfgürtel und kleine Bruchwälder am Weg.

Fischergasse in der Altstadt, Ketzin

Fähranleger Ketzin

Noch vor dem Fähranleger lockt neben einem Strändchen eine Rastbank mit Blick aufs kielbasierte Verkehrsgeschehen. Die Bank steht leicht erhöht, zu ihren Füßen schlagen kleine Wellen ans teilgefasste Ufer und trüben trotz der Wasserbewegung nicht den glasklaren Blick zum sandigen Grund. Muschelsplitter reflektieren teils irisierend die Sonnenstrahlen, die jetzt ungehindert vom Himmel fluten und der Flusslandschaft etwas verleihen, das einen tief und zufrieden durchatmen lässt. Das Wasser ist unfassbar kalt.

An der Fischerei, Ketzin

Kaum dass die Fähre angelegt hat, ist sie auch schon wieder auf dem Weg ans andere Ufer. Das geschieht vermutlich hastiger als in der Regel, denn von rechts stampft gegen den Strom ein Schubboot heran, im Laderaum eine Bergkette aus Splitt. Unerwartet lässt das Horn einen markdurchdringenden Ton los, der das Zwerchfell nicht unberührt lässt und eines Hochseedampfer würdig ist.

Weidenweg zum Strandbad

Am anderen Ufer rollen sofort die nächsten Passagiere auf das Deck und dürfen sich noch in Geduld üben, denn kaum dass der Splitt hinter der nächsten Kurve verschwindet, kommt ein anderer Schuber aus der anderen Richtung – flussabwärts und übervoll mit feinstem Schrott. Der lange Kahn bewegt sich vergleichsweise gelöst, da die Strömung mit ihm ist. Keine wulstige Bugwelle also, da das tonnenschwere Aggregat unter Deck eher plaudert als wettert.

Havelufer kurz vor der Fähre

Bald darauf fällt der Blick landeinwärts über Schaf- und Pferdeweiden sowie sozialen Wohnungsbau für Schwalben, weiter hinten ist als östlicher Außenposten von Ketzin der markante Turm einer Villa zu sehen, die auch gut ins Potsdamer Umland passen würde und irgendwie nach Schinkelschüler aussieht. Ein Gegenstück dazu bildet als Vorbote von Paretz die Windmühle, deren Flügel sich wintermüde in den Himmel recken.

Havelfähre mit kleiner Notfähre daneben

In einem Wegknick werden wir augenzwinkernd-derb in die aktuelle Zeit zurückgerufen, deren Sinn für den Genuss und das Schöne manchmal seltsame Früchte trägt. Auf einem Trafohäuschen steht eine schwere und bunte Getränkedose, darin versammeln sich ein Patent, auf das die Welt wohl lange schon gewartet hatte, und ein Gemisch aus Zucker, Gewürzen, Wasser und Zucker. „Selbsterhitzender Glühwein to go“ verspricht nach einem speziellen Knick-Knack im Dosenboden binnen drei Minuten dampfenden Glühwein in angemessener Temperatur und erforderlichenfalls auch fern aller Zivilisation. Glaubt man den Erfahrungen verschiedener Nutzer, liegt die Erfolgsquote immerhin bei sechzig Prozent. Bei den anderen gibt es dann zwar allenfalls lauwarme Würzplempe, doch für den Lacher zwischendurch dürfte es allemal reichen. Als klimatischer Ausgleich für die Juxsekunden sollte man jedoch einmal weniger in die Karibik fliegen.

Villa am Ketziner Stadtrand

Paretz

Schnell landet also unsere Aufmerksamkeit wieder bei der Havel, die sich zwar hinter einem breiten Schilfgürtel versteckt, jedoch trotzdem zu sehen ist, da die Schritte nun auf der Krone eines kleinen Deiches verlaufen. Weiter vorn sind schon die Häuser von Paretz zu sehen, einem Dorf der Sonderklasse. Mit dem Schloss und allem was dazu gehört diente es vor gut zweihundert Jahren dem Preußenkönig und seiner weithin geschätzten und bezaubernden Luise als Sommerfrische, fein und vergleichsweise klein. Hier genossen sie eine Normalität fern von allem Höfischen und legten damit wegweisende Schritte vor.

Die Havel unter aufziehenden Wolken

Schöne und geliebte Häuser reihen sich entlang der gepflasterten Weidendammstraße, die sich im sanften Bogen zum Schlosspark hin zieht. Vor einer der Mauern, die von der Sonnenstunde verwöhnt werden, haben sich wahrhaftig die allerersten Winterlinge breit gemacht. Ganz dicht an der Mauer sind mit der Lupe auch schon zarteste Schneeglöckchen auszumachen, deren Stengel noch so dünn sind, dass sie keinem groben Windstoß standhalten dürften.

Allererste Frühblüher vor der warmen Mauer

Hinter den ersten Nebengebäuden des Schlosses fällt der Blick im kleinen Hügelpark auf die süße Dorfkirche, eine offene Kirche. Drinnen gibt es viele Reliefgestaltungen, doch ein Großteil davon erweist sich als gekonnte Handhabung des Pinsels und raffiniertes Gedankenspiel von Licht und Schatten, nicht zuletzt am hohen Tonnengewölbe der Decke. Freundlicherweise ist die Sonne gerade noch draußen, so dass auch die bunten Fenster ihre Wirkung zeigen können.

Paretzer Dorfstraße

So klein der Dorfpark auch ist, in seinem leichten Hügelland ergeben sich mehrfach reizvolle Sichtachsen und Blickarrangements. Die locken wie beabsichtigt hin zum Schloss, wo es in der Remise und im Schloss selbst sehenswerte Ausstellungen gibt. Das Schloss selbst wurde nach dem Auszug der letzten hohenzollerschen Bewohner nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen verschiedenster pragmatischer Nutzungen mehr und mehr entstellt und erinnert zum Teil eher an ein Kreiskrankenhaus oder preiswert gebautes Kulturhaus. Ein Flügel des Schlosses sieht bis heute geschunden aus, und der Park lässt nur erahnen, dass er einmal gestaltet war.

Neue Grotte im Schlosspark Paretz

Hoffnung macht weiter hinten im Park die wieder errichtete und schön bepflanzte Grotte mit ihren Aussichtsplattformen, von denen der Blick weiter über nassen Wiesen mit Havelahnung reicht. Das einst übergebügelte Park-Accessoire wurde weitgehend neu errichtet, dank Ausgrabungsfunden konnte hier manches Originalteil verbaut werden. Die Höhe lässt sich durch eine enge Treppe aus grobem Gestein verlassen und sorgt bestimmt für manches Grinsen bei jenen, die unten mit eingezogenem Hals aus dem Portal treten.

Dorfkirche Paretz im kleinen Park

Beim Gasthaus Gotisches Haus, das auch zum Gesamtensemble gehört, kommt man zum Parkring, auf dem sich das Dorf gut verlassen lässt. Hinter dem letzten Haus wird es dann mehr und mehr wildromantisch, mit einem guten Grad an Rumpligkeit insbesondere in der laublosen Jahreszeit, wo alles blasse Gehälm noch so zerzaust liegt und ragt, wie es die Wetter hinterlassen haben.

Pfad zwischen den Erdelöchern

Kleine Brücken und Dämme ermöglichen den Weg mitten durch ein Wasserlabyrinth, das im Süden verwunschen, im Norden weit ist und mehr oder weniger zum Paretzer Polder gehört. Überall ruht das Wasser unberührt, darin koboldige Grasinseln und moosbedeckte Baumruinen, die dem endgültigen Versinken entgegenmodern. Ein entscheidendes Pfadstück schafft die Verbindung zum Ufer des geradlinigen Nauen-Paretzer Kanals, und auch er liegt spiegelglatt.

Uferweg am Nauener Kanal

Rechts in den nassen Wiesen tragen ein paar exotische Gänse lautstark einen Revierkampf aus. Der ansässige Graureiher trollt sich bei dem Lärm und weiter hinten sprinten am Himmel vier Schwäne gen Nauen, mit diesem eindringlichen und rätselhaften Geräusch, das es nur beim Flug der Schwäne gibt. Schon erstaunlich, wenn man bedenkt, dass so ein Vogel weit mehr als zehn Kilo in die Luft bringt, etwa doppelt so viel wie ein ausgewachsener Kranich.

Nordische Impression kurz vor der Schleuse

Schleuse Paretz

Kurz vor der blauen Bogenbrücke schwenkt der Weg vom Kanalufer in die Wiese, die von großen Pfützen durchzogen ist und quasi schon ein bisschen herumpoldert. Voraus sind die Gebäude der Schleuse zu sehen, die von nahem eher an ein Wehr denken lässt. Alles zusammen erinnert ein bisschen an friesische Szenen, was den Urlaubsgedanken gerade noch etwas verfeinert.

Paretzer Schleuse

Ein Treppchen führt hinunter zum Schleusenbecken, wo sich unsere Wege nun mit denen zweier Familien und eines gassigehenden Paares kreuzen. Ein Zaunpfad schafft vorbei am kleinen Bootshafen die direkte Verbindung zu jener Stelle, wo der eine Kanal auf den anderen trifft, kurz bevor jener wiederum sein Havelwasser mit dem eigentlichen Lauf der Havel vermischt.

Sacrow-Paretzer Kanal vor dem größten See der Insel Töplitz

Göttinsee am anderen Ufer

Gleich hinter dem jenseitigen Ufer liegt wie eine weitere Laune des verspielten Flusses der weite Göttinsee, ein See von besonderer Art. Besonders deshalb, weil er zum einen mit Havelwasser gefüllt ist und dennoch von der dammschmalen Uferlinie der Insel Töplitz umgeben wird – abgesehen von einer winzigen Lücke. Wer im Norden der Insel dem Dammpfad bis ganz nach Westen folgt und sich nicht scheut, auf demselben Weg zurückzugehen, steht schließlich auf einer schmalen Spitze inmitten der Havel, wie das nirgends woanders möglich ist.

Uferweg gegenüber der Töplitzer Havelspitze

In Sichtweite zu dieser Stelle wird der breite Weg am Paretzer Ufer zum urigen Pfad, der sich eine Weile am hohen Schilf entlangschlägt. Kurz hinter einem Strändchen mit Rastplatz beginnt die Biege nach Paretz, wo jetzt geprüft werden kann, ob die Blümchen bei verhangenem Himmel noch immer geöffnet haben. Kurz hinter der Kirche beginnt ein einladender Fußweg, der vorbei am Eiskeller des Dorfes zur Landstraße führt. Dank der Bockwindmühle, der Pferdewiesen und der Villa von vorhin ist deren gerade Linie kein Problem.

Schläfrige Windmühle am Rand von Paretz

Die Ketziner Bergstraße bereitet nun auf die finalen Höhenmeter der Runde vor. Hinter den letzten Häusern kommt dann auch der ziegelsteinerne Wasserturm in den Blick, der am Rand eines wiesenbedeckten Hügels steht. Hier kann man herrlich Kinder freilassen – rennend und hopsend, blumenpflückend oder auch purzelnd und rollend. Bei letzterem beiden ist nur vereinzelt Vorsicht geboten, weil an manchen Stellen prächtige Disteln wurzeln.

Ketziner Wasserturm mit Wiesenhügel

Der Turm ist von schlichter Eleganz und wirkt am besten aus naher Ferne, aus der Nähe ist er eher zweckdienlich und eingezäunt. Gleich danach löst sich dann das Rätsel des letzten Turmes, der früher am Tag schon aus verschiedenen Richtungen gesichtet wurde und sich der Zuordnung entzog. Keine Kirche, kein Rathaus und keine Villa, sondern pragmatisch und trotzdem wunderschön der Turm, in dem die Feuerwehr ihre Schläuche zum Trocken aufhing oder heute noch aufhängt. Weit oben am Himmel zieht eine lange Gänse-Eins entlang und sieht nach großer Reise aus, trotz fortgeschrittenen Winters.

Zum schönen Tagesabschluss schlendern wir noch eine der Altstadtgassen hinab zum Wasser und schauen von der Havelpromenade ins schwindende Licht des Tages, das den ersten Staßenlaternen schon den Impuls gegeben hat. Drüben im Schilf huscht es da und dort. Das zarte Schlagen der Kirchturmuhr geht über in die patschenden Flossentritte zweier startender Schwäne, die schon bald nicht mehr zu hören sind.











Anfahrt ÖPNV (von Berlin): S-Bahn bzw. Regionalbahn nach Potsdam, dann weiter mit dem Bus (1,5-2 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): Landstraße (ca. 1-1,25 Std.)

Länge der Tour: ca. 14 km (Abkürzungen gut möglich)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Tourismus-Seite Ketzin

Touristische Information zu Ketzin

Information zu Paretz

Schloss und Park Paretz

Fähre Paretz

Einkehr: div. Gastronomie in Ketzin
An der Fähre, am Fähranleger
Gotisches Haus, Paretz

Deetz: Teichmosaiken, der Uhund und die verbindende Beinbaumelbank

Der September ist da in allen Dingen und hat den kleinen Herbst schon an der Hand. In wolkengedämpften Landschaften ohne viel Kontrast und Schärfe leuchten jetzt vor allem wogende Felder von Goldrute, doch auch knallig glänzende Vogelbeeren oder Hagebutten, letztere wie gewachst und aufpoliert. Wer nah genug rangeht, kann sich wahrhaftig darin spiegeln.

Blick auf Deetz

Dazwischen huschen wie nach einem Klingelstreich kleine Vögel von einem Busch zum nächsten, Finken sicherlich, und tragen davon abgesehen zum großen Schnabelschweigen bei, was die höheren Frequenzen betrifft. Die großen Schwarzen mit den wuchtigen Meißeln im Gesicht holen sich die Klangbühne zurück, ein wenig mehr von Tag zu Tag. Spaziergänger ziehen jetzt gern schon mal den Reißverschluss bis hoch ans Kinn, und auch manche Haarpracht verschwindet zeitweise unter dünnem Stoff oder Gestrick.

Zwischen den Erdelöchern

Ganz hinten oder einiges weiter oben ziehen die Größten hin und her, noch nicht auf dem Interkontinentalflug, doch schon in Orientierung darauf. Drei Gänse über der Havel machen Lärm für eine ganze Schar, und auch die Kraniche vom überübernächsten Feld sind locker bis hierher zu hören. Die meisten Storchennester hingegen liegen bereits verlassen auf ihren Schornsteinen, Masten oder sonstigen Stallagen.

Einer der Stichteiche

Ebenfalls für Farbakzente sorgen im fahlbunten Kronenlaub knackige Äpfel und saftige Pflaumen sowie würzige Holunderdolden in tiefschwarzem Blau. Zu klein und hart zum sofortigen Vernaschen hingegen sind die Birnen, doch wer sie zu Hause etwas liegen lässt, wird mit geschmacklicher Ausdruckskraft belohnt. Die Walnussbäume hängen voll von extragroßen Früchten, dick und grün verpackt. Dasselbe gilt für die Kastanien, auf deren edlen Mahagoni-Glanz am Boden noch zu warten ist. Alles zusammen ergibt mit regelmäßigen Himmelstropfen und zeitig gefallenem Laub eine Würze in der leicht bewegten Luft, die für gewöhnlich erst Ende des Monats erreicht wird.

Aufsteigende Dorfstraße in Deetz

Nach scheinbar langer Brandenburg-Abstinenz soll heute am besten alles dabei sein, was eine Tagesrunde rund macht. Rückenwind bei der Suche kommt per Zufall – quasi über Bande wird mir eine der allerneuesten Broschüren vom Havelland vor die Nase geworfen, die unter der Feder des dicht benachbarten Blogs Wanderjenosse entstand, einem seit Februar bekannten Gesicht. Alles passt – wir waren lange nicht in der Gegend, dort gibt es Brandenburg satt, und ein paar Pfadverbindungen mit Fragezeichen haben diese dank der Broschüre verloren. Allzu lang ist die Anfahrt auch nicht, und eine Fährfahrt ließe sich vielleicht auch noch einflechten. Die wandelhafte Havel setzt sich jedenfalls auf dem Weg nach Deetz mehrfach in Szene und perfektioniert das schließlich etwa auf der Mitte der Tour. Und übrigens: auch fern ihrer Uferlinie spaziert man unterwegs am Havelwasser.

Weiter Ausblick über die Havellandschaft, Eichelberg Deetz

Deetz

Deetz ist ein hübsches, beschauliches Dorf zu Füßen des Eichelberges, das von zwei grundverschiedenen Landschaften eingerahmt wird. Der Aufstieg und die Pfade auf dem Haupt- und Nebengipfel erinnern bei etwas Wohlwollen an sächsisches Elbland, während die flachen Wiesen am Havelbogen ganz klar nordisches Flair verströmen, mit Deichen und Schafen, Pumphäuschen, Entwässerungsgräben – und manch kleinem Strand. Auch der Stufengiebel der Kirche schlägt in diese Kerbe, insbesondere wenn man vom Fluss her kommt.

Nach dem Aufstieg durch eine gemütliche Dorfstraße hat man vom westlichen Nebengipfel schon nach einer Viertelstunde die erste große Aussicht über den geschwungenen Lauf des Havelstroms, davor das Dächermeer des Dorfes. Kurz vorher beginnen die ersten Wiesenpfade, die über eine kleine Bergheide zum kurzen, steilen Schleich hinauf zum Plateau führen. Der ist mit seinem Mühlstein-Feuerplatz wie geschaffen zum Feiern schöner Feste oder für erhebende Sylvester-Blicke übers Land, genau so auch für eine simple Pause. Der trübe Tag setzt dem Blick zwar Grenzen, doch liegen diese so weit entfernt, dass Details dort ohnehin nur mittels Linsenoptik zu erkennen wären.

Hinter Deetz

Der gemäßigte Abstieg nimmt in einer Wendel eine lange Fliedergasse, die im Mai eine kleine Sensation bieten sollte. Die letzten Meter vor der Straße begleitet eine gestandene Mauer, die wieder kurz an Weinbaugegend denken lässt. Gleich gegenüber steht eins der elegantesten Häuser des Ortes, ein bisschen wie die eingedampfte Sommer-Residenz eines Blaublüters von untergeordnetem Rang.

Kurz darauf an der Gabelung werden Hockstrecksprünge unterm Apfelbaum direkt belohnt. Handlich sind die Äpfel, dabei saftig süß mit etwas Würze. Voraus ist überm bewaldeten Berg schon der hoch empor ragende Aussichtsturm zu sehen, der gekonnt eine geodätische Messmarke zitiert, einen trigonometrischen Punkt des hiesigen Netzes. Ein kräftiger Schauer zieht für eine Apfellänge seinen grauen Vorhang auf, ein moderater zweiter tut das wenig später.

Ein weiteres der Erdelöcher

Erdelöcher

Nach wohlgefällig zwischen Waldhang und Wiesenland gelegenen Grundstücken folgt ein ruhiger Weg, der ein paar gut gefüllte Gräben quert und schließlich zu einem herrlichen Geknäuel von Pfaden führt, wie man es so schön nur selten trifft. Zwischen Dutzenden kleiner und größerer Teiche quetschen sie sich lang, mal auf schmalem Damm, dann mal etwas breiter. Nicht nur von Mildenberg, von Norden her, hat die Havel mit Ziegelei und Brennofen zu tun. Auch im Südosten gab es diesen Industriezweig, dessen Spuren zwischen Deetz und Götzer Berge mittlerweile zum Großteil mit der Natur verschmolzen sind. Was in Mildenberg Tonstich heißt und in Klausdorf Tongruben, ist hier als „Erdelöcher“ ausgeschildert. Und von gänzlich anderer Gestalt als da und dort.

Pfad zwischen den Stichteichen

Viele Angler haben schon die begehrtesten Stellen belegt. Einige schauen argwöhnisch, wer da sinnlos Schritte in den Boden drückt, doch wir sind leise wie die Katzenpfoten und unterbrechen auch die Plauderei, wenn sie grad läuft. Junge und alte, bunte und tarnfarbene, verbissene, miesgelaunte und entspannte Rutenträger sind dabei. Einige seit dem Morgengrauen, andere per Zelt schon über Nacht. Andere haben wohl erst dick gefrühstückt, dann etwas getrödelt und versuchen nun kurz vor der frühesten Mittagsstunde, noch ein passables Plätzchen fürs Auswerfen zu finden. Wir drücken den Geschuppten die Daumen, ein bisschen auch den Anglern, dass sie Herd und Pfanne nicht umsonst mitgeschleppt haben.

Dammweg zwischen den Teichen

Die erwähnten Stellen mit den Fragezeichen gestatten dank kurzer Stege hilfreiche Verbindungen. Dazwischen schlängelt sich der Weg meist als Pfad über die Dämme zwischen den Teichen, mal so breit wie ein Otto-Normal-Hintern, mal etwas ausgelatschter wie der eines Brauerei-Pferdes. Bänke für ein Päuschen gibt es keine, doch einige der kleinen Stege von Festland zu Festland sind geländerlos und erlauben obendrein noch Beinebaumeln selbst für längste Schenkel.

Schwäne beim Tagewerk

Das schnellste und lauteste in diesem Minuten ist ein aufwändig hechelnder Jogger, der erstaunlicherweise kaum vom Fleck kommt trotz all des Theaters – so ein bisschen wie Meister Jackson beim Moonwalk, nur lang nicht so geschmeidig. Irgendwann ist das Knallrot dann verschwunden und die Ruhe über den leicht dunstigen Teichen wiederhergestellt. Zwei dekorative Schwäne in einem Teich hinterm Teich atmen auf, schütteln langsam die edlen Häupter und schwimmen mit aristokratischem Gebaren weiter ihre Bahnen .

Aufstiegspfad zum Gipfel des Götzer Berges

Götzer Berge

Der Weg wird breiter und mündet bald ins Sträßchen nach Götzer Berge, ebenfalls ein hübsches Dorf am Fuß eines Berges. Der Anstieg durch den Wald, der nach feuchtem Moosboden und Nadeln duftet, folgt zuletzt einem nadelweichen Schlingerpfad mit kleinen Heidekraut-Inseln und knackt an dessen Ende die Hunderter-Marke. Mit dem äußerst stabilen Turm lässt sich noch deutlich einer draufsetzen – wer nach vielen vielen Stufen die Aussichtsplattform erreicht hat, steht nun im schnellsten Wind des Tages hundertfünfundreißig Meter über Normalnull. Extremsportler, welche todesverachtend die wirklich spitze Spitze erklömmen, könnten sogar mit der Zahl hundertzweiundfünfzig prahlen. Doch wäre das Verhältnis von Risiko und Bewundertwerden eher dürftig.

Havelland-Blick vom Aussichtsturm, Götzer Berg

Götzer Berg

Wer ausreichend windfest ist und schließlich stämmig auf der Plattform steht, darf staunen, wieviel seenbreites Havelwasser nun geboten wird und wieviel Weite. Nur die wenigsten werden so beherrscht sein, hier nicht die Panorama-Funktion der Kamera zu bemühen, denn es ist wirklich eindrucksvoll, selbst im permanenten Dämmerlicht dieses Tages. Was uns schließlich das Losreißen erleichtert ist der frische Wind, der weit und breit durch nichts gebremst wird. Den Turm lässt das absolut kalt, nichts schwankt oder schwingt oder vibriert. Doch wir haben schon sämtliche Zwiebelschichten an und treppeln also hinab in den schützenden Wald.

Am Abstieg vom Götzer Berg

Absteigen lässt sich gemütlich und leicht federnd oder sehr direkt mit entsprechender Gangart im weichen Stakkato. Wieder im Dorf lädt die Bibliothek nicht nur wegen ihrer großen Bücherregale ein, sondern auch durch den großen, nach hinten durchschaubaren Raum, der nach ehemaligen Festsaal einer Gaststätte bzw. Dorfbums aussieht, wie es der Volksmund kürzer fassen würde.

Spreewaldblick von der Drehbrücke, Götzer Berge

Gleich folgt ein Nachschlag im Teichgebiet der Erdelöcher, der sich wahlweise auf bekannten Weg erreichen lässt oder über einen per Pinselschrift ausgewiesenen Privatweg, der gleich noch eine kleine Sehenswürdigkeit mitnimmt. Etwas nördlich vom Rosenbergerhof führt er zu einem Seitenhäfchen mit besonders schön gelegenen Wochenendgrundstücken. Uns entgegen kommen zwei Frauen, handtuchgekleidet in dem Stil, wie man eine Sauna verlässt. Beide lächeln, die vordere wie eine zu selten besuchte Tante, die hintere wie eine geballte Faust. Die Luft zwischen beiden scheint aufgeladen.

Die Drehbrücke selbst

Die erwähnte Sehenswürdigkeit ist dann wieder grundfriedlich, so unauffällig und zudem von pittoresker Szenerie umgeben, dass man sie leicht übersehen kann. Eine kleine halbhistorische Drehbrücke führt über einen spreewaldschönen Stichkanal aus der Zeit der Ziegeleien und ermöglicht die kürzeste Verbindung zwischen Götzer Berge und Deetz. Dahinter schlängelt sich der leicht erhabene Pfad durch üppiges Urwald-Dickicht aus hohen Bäumen, Lianentrieben und Hopfengebilden, die stellenweise prächtige Tunnel ausbilden. Ausgeworfen werden wir fast profan auf das stille Asphaltband des Havel-Radweges, der gut genutzt wird.

Grüner Pfad hinter der Drehbrücke

Ein kurzer Abstecher nach rechts führt zu einem kleinen Sandstrand, der nun die Kluft der Mädels erklärt. Ein Kopf schwimmt herum, aus dem noch vor dem Blickkontakt mit sonorer Stadtführer-Stimme Worte an uns gerichtet werden. Diese sollen in Sekundenfrist eine wohlwollende persönliche Verbindung herstellen, damit wir gar nicht erst auf die Idee kommen, seine Sachen ins Wasser zu werfen. Ein bisschen liegen dann auch Laszivität und freundliche Lüsternheit in seinem Timbre – eine geschickte Gesamttaktik, denn so kommen eher wir in die Lage, die Situation besser zu verlassen, bevor sich der tatsächliche Entkleidungsgrad klärt. Er lobt das Wasser und lädt ein, ich kleinplaudere, dass Luft- und Wassertemperatur fast identisch sein dürften, heute bei uns kein Bad auf dem Zettel steht. Dann nehmen wir Abschied und wünschen Gutes für den Rest des Tages.

Noch eins der Erdelöchcer von der anderen Seite

Rechts zum Teich hin stehen dicke Holzgeländer in bester Aufstützhöhe. Jedes der Erdelöcher liegt still, und jedes von ihnen hat einen Namen. Der alte Havelarm links des Weges heißt Ziegeleikanal und ist direkt mit dem Fluss verbunden, was die zahlreichen Bootsstege erklärt. Vor einer Benimmse trainierenden Klasse der örtlichen Hundeschule biegen wir am Parkplatz links ab und bleiben dem Kanal somit treu, der rings herum vom eigenen Wasserreich umgeben ist. Dieses ließe sich per Stichpfad erkunden, doch das fällt heute aus, denn der Magen knurrt schon und Besteckklappern war vorhin auf Schildern angekündigt.

Bootsstege am Ziegeleikanal

Havelstübchen

Direkt am Radweg liegt mit großem Schankgarten die erhoffte Wirtschaft, wo sich jetzt Bedürfnisse stillen lassen. In der knappen Stunde fallen ein paar Tropfen, ähnlich viele Radfahrer kommen und gehen. Wortreiche Platzfindungen in mindestens drei Dialekten und Artikulations-Graden lassen sich beobachten, danach zufriedene Gesichter in der Pedal-Pause. Eine will Kaffe und Kuchen, ein anderer nur sein kühles Bier und seine Ruhe, ganz hinten jemand die leuchtend orangene Kürbissuppe mit einer hausgemachten Limo. Die Bedienung hat zu tun.

Kurz vor dem Havelstrand, Deetz

Alle nächsten Stichwege zur Havel geben sich zugeknöpft, ein anderer haut während der Vegetationsphase nicht hin, also tippeln wir weiter auf dem Sträßchen nach Deetz. Währenddessen legt die Landschaft ihre Verwandlung ins Nordische hin, mehr noch nach dem havelstrebigen Abbiegen entlang einer Häuserreihe. Einige Pferde stehen da wie Models, engagiert erstarrt in ansprechender Pose, und fokussieren regelrecht die Kamera, die wir gar nicht hinhalten. Neben dem elegant-grazilen Kamera-Liebling post lässig ein durchtrainierter Grunge-Typ mit weiten Stiefeln, schaut leicht provokant mit gerecktem Kinn herüber und wartet lange – bis ich tatsächlich die Knipse draußen habe, nur um im selben Augenblick wieder dazustehen wie irgendein grasenden Pferd.

Nordische Szenerie am Havelstrand Deetz

Vorn am Strand wurde ein bisschen auf Küste dekoriert, so mit aufgebockten Bojen, mikadowurffertigen Reusenstangen und einem wettergegerbten Bootsschuppen. Links und rechts des Sandes stehen eine Sonnen- und eine Schattenbank vis-á-vis, dazwischen scheucht der Wind hindurch, so schnell wie vorhin auf dem Turm, doch lange nicht so kalt. Zwei dennoch durchfrostete Radfahrer brechen gerade auf.

Graben und begrünte Deponie im Hintergrund, Deetz

Die Nord-Optik wird weiter verfeinert, jetzt kommen der Deich und das erwähnte Pump-Häuschen ins Spiel, schon bald darauf die Schafe. Die gibt es in weiß, schwarz und grau. Eins von den weißen wird dabei von einem schafsgroßen Hund verkörpert, der verschiedene Unerwünschtheiten abwehren soll. Aus der Ferne grollt er einmal kurz, sobald er uns wahrnimmt – nur um sein Kampfgewicht zu umreißen. Legt sich bald gemütlich hin und lässt uns schwenkenden Kopfes nicht aus den Augen, die Ohren hochgestellt wie ein werbendes Lama. Und zeigt dabei Uhu-Qualitäten, denn der Deich beschreibt einen ordentlichen Bogen. Doch er lagert seinen Körper nicht um.

Die Havel und das jenseitige Ufer

Weitere Schafe an einem späteren Deich sind auf sich allein gestellt und scheinen allerhand Unfug im Schafskopf zu haben, so ohne aufsehendes Organ. Doch liegt gleich eine Siedlung um die Ecke. Voraus ist das sanfte Massiv der übergrünten Deponie zu sehen, formatfüllend. Gleich unterhalb verläuft der Havel-Radweg, wo sich vorgebeugte Regenjacken in zahlreichen Farben knapp über einem Schilfgürtel bewegen. Dahinter hockt dicht am Havelufer der Trebelberg mit teils garstigen Anstiegen, doch das ist eine andere Geschichte.

Weg nach Deetz

Früher als geplant biegen wir ab zur Kirche, da der direkte Weg entlang einer Baumreihe überzeugend lockt. Später übernehmen Kabelmasten die Begleitung, bis schließlich die Giebelzacken des Kirchturms klar erkennbar sind. Kurz vor der Kirche zitiert der Dorfbackofen noch einmal freundlich die Geschichte mit den Ziegeleien – in Form einer Pyramide aus Ziegelsteinen. Als Mittelpunkt von alljährlichen Dorffesten konnte er in diesem Jahr nur selten dienen, doch der Kaffeetreff Ende August konnte schließlich doch stattfinden. Zu den festen Terminen zählt übrigens auch ein Adventsmarkt, gerade mal eine Jahreszeit weiter …











Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Regionalbahn nach Groß Kreutz, dann weiter mit dem Bus (nur Mo-Fr)(ca. 1,5 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über Autobahn und/oder Landstraße (mehrere Mischungen möglich)(ca. 1,25 Std.)

Länge der Tour: ca. 13 km (Abkürzungen vielfach möglich)


Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

 

Links:

Wanderzeit – Broschüre (PDF)

Ortsseite Deetz

Zeitzeuge der Erdelöcher (Artikel MOZ)

Aussichtsturm Götzer Berg

Havel-Radweg

 

Einkehr: Havelstübchen, Am Havel-Radweg nördlich der Erdelöcher

 

Klein Kreutz: Drei Berge, das Schilfreich und der Flirt mit der Havel

Das Jahr 2019 hat den Betrieb aufgenommen, und so wie die zweite Dezemberhälfte des letzten Jahres haben auch die ersten Januarwochen jeden Tag wenigstens etwas Niederschlag gebracht. Die gnadenlose Großwetterlage dieses dürren Sommers ohne Ende ist also definitiv durchbrochen. Was nun Lichtmangelerscheinungen und Winterdepressionen oder dem Abspielen von Musik mit wenigstens einer Prise Blues in ihrer DNA verlässlich Vorschub gewährt, bedeutet für die vom letzten Jahr erheblich runtergerockte Natur ein erstes Aufatmen. Trockengefallene Dorfteiche und Grabensysteme oder Bruchwälder mit raschelndem Unterholz können auf Wassernachschub hoffen und damit manch trauriger Anblick wieder im Bereich des Normalen verschwinden.

Blick über den Beetzsee

Der Deutsche Wetterdienst verheißt auch für heute tagesbegleitendes Tröpfeln verschiedener Stärkegrade und bestätigt damit die Zeitungsmeldung vom Vortag, nach der die Spree auf ganzer Länge wieder vorwärts fließt. Die aus dem Mecklenburgischen kommende Havel setzt noch einen drauf und deutet an einzelnen Uferstellen klar erkennbar etwas Drüberwasser an, was gut zu den überschwemmten Wiesen in ihrem Hinterland passt und all den ausgedehnten Pfützen auf den Straßen.

Es ist wirklich unwirtlich da draußen vor der Tür, sogar die hartgesottenen Krähen klingen etwas klagender als sonst, fast vorwurfsvoll. Die Dämmerung beginnt direkt nach dem Hellwerden, der wassergetränkte Wind scheucht um die Häuser und die nicht für Schnee ausreichende Kälte will bis unter die innerste Kleiderschicht krauchen. Manches ungelesene Buch, sorgfältig herausgeschobene Vorhaben oder die Aussicht bloßen Müßiggangs bieten zudem eine verlockende Alternative zum Verlassen der Wohnung, das der Drang nach freiem Himmel, reichlich Platz und frischer Luft mit Nachdruck fordert. Da zu diesem Nachdruck noch die Neugier auf nie gegangene Wege und eine lange Havel-Abstinenz kommt, kommt es letztlich doch so, wie es kommen muss.

Schon auf der Hinfahrt Richtung Brandenburg wechseln die Wetter in kurzen Abständen. Immer wieder hinterlassen die Regentropfen ihre Bremsspuren auf den Scheiben, mal in nachvollziehbaren und sekundenlang verweilenden Strichen, dann wieder in flächigen Vorhängen mit leicht gewelltem Rand, der die Sicht nach draußen in Unschärfe verschwimmen lässt und Interpretation fordert von allem, was vorbeifliegt. Bekanntermaßen gilt die Havel als durchaus einflussreiche Wetterscheide, und so bleibt bis fast zuletzt die Hoffnung, sich auf der richtigen Seite des Flusses aufzuhalten. Erst ganz am Ende des Tages wird sich zeigen, ob dem so war.

Blick vom Weinberg zur Stadt Brandenburg, Klein Kreutz

Klein Kreutz und Groß Kreutz – das ist einer der wenigen Fälle, wo bei ähnlicher Namenslage und anzunehmender Beziehung beide Orte nicht nur entfernt voneinander sind, sondern zudem noch durch einen wirklich breiten Fluss getrennt werden. Dessen nächstbenachbarte Brücken liegen gute dreißig Kilometer auseinander – eine in Brandenburg selbst, die nächst flussaufwärts erst kurz vor Werder. Während das größere Groß Kreutz gewissermaßen auf dem Festland liegt, gibt sich das Land zwischen Tremmen und Klein Kreutz auf der Karte fast wie eine große Halbinsel mitten im Land, umgeben von einer fünfzig Kilometern langen Uferlinie, die komplett von Havelwasser befeuchtet wird. Nur ein paar Bäche steuern hier und da noch ein einige Liter von kürzerer Reisezeit bei.

Klein Kreutz

Klein Kreutz hat alles, was ein Dorf braucht und noch etwas mehr. Zur Grundausstattung von Kirche, Feuerwehr und gediegener Dorfstraße gesellen sich neben Spiel- und Sportplätzen und einem echten Bäcker noch ein halbseitig bewaldeter Weinberg sowie ein urwüchsiges Flussufer hinzu, ferner ein ausgedehntes Feuchtgebiet mit schönem Dammweg mittendurch. An manchen Stellen verströmt Klein Kreutz das Flair eines norddeutschen Küstenortes, weiter drinnen sieht es teilweise aus wie am Mittelgebirgsrand. Straßennamen wie Klein Kreutzer Havelstraße, Klein Kreutzer Bergstraße oder Alte Weinberge bekräftigen diese Mehrschichtigkeit.

Auf dem Weinberg, Klein Kreutz

Der Spielplatz hinter der alten Feuerwehr spricht mit seinem rustikal möblierten Potential zwischen Rumturnen und Abhängen fast alle Jahrgänge unterhalb der achtzehn an und deutet mit etwas Flanke schon die bergige Seite des Ortes an, die neben Kiekeberg und Weinberg noch eine namenlose Zwischenerhebung zu bieten hat. Es sind zwar nur Berge im märkischen Maßstab, doch der Aufstieg sollte jeweils dafür ausreichen, dass am Ende niemandem mehr kalt ist unter seiner Jacke.

Drei Berge sollen heute am Weg liegen, ein jeder von ihnen mit eigenen Charakterzügen. Der Weinberg ist der erste in der Reihe und bietet als einziger eine schöne Sicht auf die Stadt Brandenburg, in der auf den ersten Blick ein paar Türme zu fehlen scheinen. Doch das regelt sich auf dem weiteren Weg nach Westen. Der Anstieg führt vorbei am herrlich gelegenen Kindergarten, der sich vermutlich nicht mit irgendwelchen klangvollen Konzeptbezeichnungen schmücken muss – die Lage ist selbsterklärend. Dass es dort das ebenfalls selbsterklärende Café Blubberlutsch gibt, ist dennoch eine Erwähnung wert und dürfte bei jedem Erwachsenen sofort ein international gültiges Klangbild im Kopf aufrufen und abspielen.

Im Havel-Bruchwald bei Klein Kreutz

Weinberg

Gleich dahinter geht es vorbei an Obstwiesen hinauf in den Wald, der Laub- und Nadelholz geschickt mischt und damit die ganze Ostflanke abdeckt. Die nur sporadisch von Bäumen bestandene Westseite ist vielleicht klimatisch bedingt, auf jeden Fall hält sie den erwähnten Blick auf die einmalig schöne alte Stadt an der Havel frei und lässt jeden besonders zufrieden blicken, der in kalter Verachtung von Gewichtsersparnis an ein Fernglas dachte.

Der knackige Abstieg vom Gipfelplateau verläuft auf sandigem Pfad und führt fast ohne Übergang in die nächste besondere Landschaft, die nun eher von Nah- als von Fernsichten lebt. Ein schnurgerader Damm führt durch ein Feuchtgebiet, das mit etwas Wohlwollen an die markanten Moorflächen erinnert, die man überall im Lande treffen kann, wenn auch nicht gerade häufig. Der durchgängige Nieselregen hat dafür gesorgt, dass die Wiesen ringsherum unter Wasser stehen und der Bruchwald so feucht ist, dass dort die Schwanenkinder ohne elterliche Aufsicht durch den Unterholz-Dschungel tingeln. Alles Wasser hier steht schon mit der Havel in Kontakt, die etwas weiter hinten ihre urwüchsige und schilfreiche Uferlinie spinnt. Am jenseitigen Flussufer mündet in ausgedehnten Schilfflächen die wenig bekannte Emster, die man eher in ein anderes Bundesland packen würde und die unweit von Lehnin ihren Ursprung hat, gar nicht weit von hier.

Junger Schwan im Bruch

Eine Bank am zauberhaften, stillen Weg ist der Platz für die erste Pause, schließlich ist bereits ein Berg bezwungen. Das flache Wasser des winterbleichen Bruchwaldes ist klar, leicht golden und vermutlich eisig kalt. Die grauen Schwäne tun, als wären sie nicht da. Sind schon groß wie ihre Eltern, doch zugleich kommt irgendwo aus ihrer Mitte noch das gedämpfte Gepiepse, das vom anhaltenden Kükenstatus zeugt.

An einer kleinen Brücke endet der Dammweg, kurz darauf quert die breite Dorfstraße und lässt von links und rechts tüchtige Geräusche hören. Da sind sie wieder, die Vorhaben, die man aufs neue Jahr vertagt hatte und jetzt beherzt angeht, um bei Sonnenuntergang mit einem wirklich guten Gefühl ins Haus zu gehen. Schubkarren sind dabei und Schaufeln, Leitern und sogar ein Rasenmäher. Was geschafft, nicht nur gequatscht, gleich getan. Und in Stunden erledigt, was einen übers letzte Jahr mit weit mehr Zeitaufwand beim Aufschieben belastete.

Hinter Klein Kreutz

Auch beim Zimmereibetrieb nutzt einer die Gegenheiten des Wetters, um den buckligen Hof zu plätten mit einem dieser vibratorischen Teile, die wirklich im ganzen Dorf zu hören sind. Direkt daneben führt ein kleiner Pfad am Zaun vorbei und setzt den schnurgeraden Spazierweg hinterm Dorf fort. Rechts ist der Stufengiebel der Kirche vor der Kulisse des Weinberges zu sehen, eher als Bergdorfimpression, nach links gen Sportplatz erahnt man hinterm Sportplatz einen Altarm der Havel und hört sie zudem fließen – vermittels stampfender Dieselmotoren von Schubverbänden, die sich angestrengt stromaufwärts kämpfen.

Am Rand des Ortsteils Klein Kreutzer Eigenheime beginnt ein Weg, der nach all den Besonderheiten des Einstiegs nun das Verlangen auf Platz und Weite bedient. Der Wind kommt stramm von vorn, und so wie den ganzen Tag schon schauert es gelegentlich. Schön ist dabei, dass die Pausen dazwischen meist länger sind als die Zeiten des Niederschlags selbst, die Schirme die meiste Zeit geschlossen bleiben können. Wenn sie offen sind, gibt ihre wettergegerbte Mechanik alles im strammen, launischen Blasewind.

Bei den Wochenendgärten am Beetzsee

Die Luftlinie zur Stadt Brandenburg schrumpft nach und nach, und in der Tat kommt mit jedem Kilometer ein weiterer vermisster Turm hinzu zur Silhouette der Stadt, zuletzt ist die Friedenswarte auf dem Marienberg nicht nur schemenhaft, sondern in ihrer griffigen Siebziger-Jahre-Form erkennbar. Rechts des Weges erstrecken sich Spargelfelder, deren Abdeckplanen gekonnt befestigt wurden, keine von ihnen ist aufgeworfen. Auf Höhe des grasgrünen Segelflugplatzes beginnt rechts des Feldweges ein schöner Wiesenweg entlang von Büschen, der den Wind etwas entschärft. Weiter hinten lagern Schwäne auf den Feldern.

Stiller Teich bei den Wochenendgärten

Am offenen Foyer zum Flugplatz, der auch „Airport Brandenburg Sailplaning Regional“ heißen könnte, stehen frei zugänglich zwei tapsige Betonflieger zum Rumklettern. Gleich dahinter quert an einem maximal reduzierten Buswartehäuschen die Landstraße, begleitet von einem Radweg, der scheinbar erst gestern aus der Asphaltquetsche kam. Schon kurz darauf beginnt die zentrale Passage dieser Tour entlang des havelgefüllten Beetzsees Süd, die reich ist an Vielfalt und Eindrücken und daher scheinbar länger, als sie wirklich ist.

Bucht des Beetzsees

Das Spiel mit der Uferlinie gleicht einem Flirt auf Abstand und erinnert an die legendäre Schachpartie in einem wirklich alten Film, in der Faye Dunaway und Steve McQueen auf sagenhaft minimalistische Weise einige Standards der Flirtkunst aus der filmischen Taufe hoben. Immer wieder lockt die Sicht auf das Ufer mit dem gekrümmten Zeigefinger, stößt einen dann mit brüsk erhobenem Kinn wieder zurück, um gut abgezäunt sogleich wieder einen verheißungsvollen Blick zu gestatten. Ein erhoffter Zuweg schließlich ist vorhanden, doch vom erhöhten Wasserstand überschwemmt, der Blick aufs Wasser vom hohen Schilf zensiert. Die definitiv letzte Chance schließlich ist weder versperrt noch umzäunt oder überschwemmt, endlich darf das Auge in voller Breite übers Wasser bis hin zum anderen Ufer schweifen. Obendrein gibt es noch einen kleinen Bootshafen mit Badestrand, ein paar Fischerei-Accessoires und eine bequeme Bank.

Dammweg zwischen den Grundstücken

Auf dem Weg dorthin windet sich der Weg hindurch zwischen Teichen oder Buchten und folgt einem winzigen Pfad zwischen Wald und Schilfgürtel, berührt wassernahe Gebiete von Wochenendgrundstücken mit kleinen Ruderboothäfen und entlegene Siedlungen mitten im Wald, mit vereinzelten privilegierten Lagen, die laut Schild von einem Partnerbetrieb der Polizei umsorgt werden. Überhaupt schafft im unmittelbaren Umkreis dieser schicken Bungalows eine kleine Flut von Verbotsschildern etwas Farbe im monochromen Winterwald. Neben den gelben Schildern für jedermann, die im gutsortierten Baumarkt im Regal hängen, gibt es auch zahlreiche individuelle Anfertigungen, die in ihrer Absurdität gutes Futter für ein kleines Kabarettprogramm abgäben. Eine Dame auf dem Weg zum Domizil hat sichtliche Schwierigkeiten, ihr altersgerechtes und etwas großgeratenes Hochbeinauto in Weiß auf dem Wiesenweg zu zentrieren, so dass wir vorsorglich ausweichen.

Überschwemmter Stichpfad zum Ufer des Beetzsees

Der Weg verläuft teils als winziger Pfad im Wald, dann als weicher Wiesenweg durch losen Wald oder breit auf Schotter, teils entlegen oder eben vorbei an Grundstücken. Immer präsent ist der Schilfgürtel des Sees, der uns nun hier am kleinen Hafen endlich die erhoffte Lücke gewährt. Der Wind, der oben die Wolken am Himmel entlangjagt, peitscht hier unten den Beetzsee bis hin zu Schaumkronen auf und drückt alles Schilf landeinwärts. Im Zusammenspiel mit dem sichtbaren Ufer blitzt kurz ein Gedanke an die Halbinsel Darss auf, wo es jetzt auch so aussehen könnte.

Strandhafen am Beetzsee

Die Zugänge zu den Bootsstegen sind komplett unter Wasser, wenn auch nur knöcheltief, und leider bestätigt sich der Verdacht auf ein Leck in einem meiner Gummistiefel. Mit dem Blick auf baumlange Reusenstangen auf dem Trockenen und den Hafen unter Wasser ist es nun höchste Zeit für heißen Tee und etwas bunt gemischte Energiezufuhr. Auch diese Pause wird vom Regen verschont, dafür ist der Wind umso stärker hier am Wasser und irgendwann das Weitergehen sinnvoll für den Wärmehaushalt.

Weg über die Wiese zu den Teichen

Hinter den letzten Häuschen beginnt auch auf der rechten Seite des Weges wieder eine wasserreiche Schilflandschaft, danach führt der Pfad unvermittelt über eine große Wiese mit riesigem Scheunengebäude, in dem hunderttausende Backsteine verbaut sein müssen. Gleich dahinter treffen wir auf den aus anderen Jahren bekannten Wanderweg mit dem Storchenkopf, der auf Zweitageslänge alle drei Beetzseen umrundet und auch noch weiter nördlich anzutreffen ist.

Teichlandschaft zwischen Beetzsee und Fuchsbruch

Wer vom Flirt mit der Uferlinie noch nicht genug hat oder dem See noch näher kommen möchte, könnte auf Wegen und Pfaden noch ewig weiter gen Norden streben, so zumindest sieht es die bekannteste freie Karte im Internet. Gummistiefel sollte man dafür auf jeden Fall anhaben, solange die Jahreszeit mit dem niedrigen Sonnenstand anhält. Wir hingegen wollen das montane Kernthema der Tour nicht aus den Augen verlieren und drehen vor dem Queren eines breiteren Stichkanals rechts ab, Richtung Binnenland. Der Kanal und eine Reihe von Teichen begleiten den Weg mit dem Storchenhaupt, auf dem uns der erste Mensch des Tages entgegenkommt. Vor ihm, in elegantem Braun und zielstrebiger als er, eilt einer von diesen glatthaarigen Waldis, die mit etwas Quietschen durch ein Standard-Abflussrohr passen würden, eins ohne Knick. Der aktuelle Niesel lässt die Teiche links und rechts des Weges im trüben Grau versinken, und alle Vögel auf dem Wasser scheinen noch verhaltener als früher am Tag. Doch für sie ist all das ja Tagesgeschäft.

Aufstieg zum Wasenberg

Wasenberg

Hinter der Landstraße lockt ein schöner Radweg geradeaus nach Fuchsbruch, und wären wir bereits durchweicht, wir würden diese Option dankbar annehmen. So aber ist es möglich, auf den querenden Radweg abzubiegen und nach Höhenluft zu streben. Am Stichkanal starten gerade vier Seidenreiher durch dessen schmale Wipfelgasse, ein grauer folgt mit etwas Abstand. Ein paar Bäume später treiben bewegliche Schwärme faustgroßer Vögelchen ihr flinkes Spiel in den laublosen Baumkronen. Gleich darauf präsentiert der Wasenberg auf seiner Südflanke den elegant geschwungenen Aufstiegsweg. Berg Nr. 2 ist auf seinem Gipfelplateau bedeckt von einem lichten Birkenhain, den eine mustergültige Eiche am höchsten Punkt um sich geschart zu haben scheint wie graues Volk, um selbst darin noch mehr zu leuchten. Am Ende scheint der Plan nicht aufgegangen – sie ist schon eindrucksvoll, die Eiche, doch der finnische Charme der vielen weißen Stämme bestimmt die Impression ganz klar.

Auf dem Wasenberg

Nach all diesen besonderen Landschaften des Havellandes folgt nun eine nachgerade bodenständige und regelrecht entspannende Passage mit der bewährten Mischung aus weitem Feld und verschieden Wäldern, die dazu noch großzügig ätherische Düfte aus Kiefernhand beimischt, würzig und altvertraut. Auch hier ist da und dort dem Spargel schon sein Bett bereitet. Der Himmel zieht sich immer mehr zu, der Horizont wird minütlich diesiger und die unbelaubten Bäume zeigen sich besonders kahl. Vier benachbarte Kopfweiden mit langen Austrieben versuchen sich in einer mildeuphorischen Choreographie, was rührend wirkt und durchaus Wirkung zeigt.

Nördlich von Fuchsbruch

Langmathenberg

Wir schwenken ein nach Süden und bewegen uns im matschigen Pfützenslalom auf den letzten Berg zu, den Langmathenberg, der sich langsam aus dem Dunst des Horizontes schält. Die Pelle ist nun langsam durchgeweicht, die Kälte hat leichteres Spiel in ihrer Kraucherei und der auffrischende Wind rasselt mit dem Säbel, was die Wettersituation auf dem dritten Gipfel betrifft. Eine ferne Dame hat sich von ihrem Hund zu einer kurzen Runde überreden lassen und hält sich an den allerkürzesten Weg, direkt am Fuß des Berges. Auf dem Gipfel gibt es keine Wege, so dass wir uns an Tierpfade halten und nach dem Zustieg direkt durchs Unterholz gen Gipfel abzweigen, teils gebückt und teils gezaust. Das Gipfelplateau ist wiederum anders, ungezähmt mit viel struppigem Gras, lose verstreute Bäume und auch hier keine Sicht auf irgendwas, wie schon beim letzten Berg. Im Abstieg breitet sich dann im Westen der See von Fuchsbruch aus, mit der gleichnamigen Siedlung, in der schon behagliche Nachmittags-Lichter aus den Fenstern scheinen.

Vier fröhliche Weiden am Weg

Fuchsbruch

Wie in der ganzen Region wurde in letzter Zeit viel Mühe in eine verlässliche und haltbare Wanderbeschilderung gesteckt, auf die wir schon am Seddinsee trafen oder bei Lehnin. Auch hier quert wieder ein Weg, und auch hier gibt es einen schönen überdachten Rastplatz. Doch eine klamme Pause mit Dach überm Kopf hat jetzt nur wenig Zugkraft, zumal der Tee fast alle ist und das Ziel schon greifbar. Von Wind, Nässe und sonstigem Wetter doch leicht eingeschüchtert und müden Beines haben wir fast schon auf Autopilot mit gedrosselter Wahrnehmung geschaltet, als der Weg hinter den letzten Häusern noch einmal richtig reizvoll und besonders wird. Unterhalb einer sanften Waldflanke erstreckt sich links ein weites Schilf- und Teichland, das in der milchigen Dämmerung eine besondere Faszination entwickelt. Noch einmal erwacht der dösende Geist und wird am Ende mit dem gleichmäßigen Hinabrollen nach Klein Kreutz belohnt, das vorbei führt an Häusern, die diesen exklusiven Blick vermutlich gar nicht mehr als solchen wahrnehmen. Wie das so ist mit Völkerschlachtdenkmal, Reichtstag und Landungsbrücken, mit den besonderen Dingen direkt vor der Haustür.

Zustieg zum Langmathenberg

Auf schnellstem Wege wechseln wir in die Stadt Brandenburg und kommen dort auf der anderen Seite der Havel zurück zur Frage von vorhin. In der Tat gibt es zunächst keinen spürbaren Unterschied, während wir die Steinstraße entlanggehen, nach Nahrung und Gemütlichkeit suchen und bald fündig werden. Doch nachdem der Teller leer ist und der beheizte Raum verlassen, zeigt sich die Güte der Entscheidung, den ganz großen Schirm mitzunehmen. Dieser Regen jetzt macht in wenigen Minuten nass, und hätte es den ganzen Tag auf diese Art geschüttet, wäre jeder Regenschutz vergeblich gewesen und jede Abkürzung ein Segen.

Blick vom Langmathenberg auf Fuchsbruch

So können wir nur stillvergnügt unter dem großen Schirm hervorschauen, die schönen Spiele gelben Laternenlichts auf nassem Altstadtpflaster genießen und dazu die zahllosen Erinnerungen vom letzten Sommer aufrufen. Mit denen scheint sogar der Strumpf im lecken Stiefel trocken.










Anfahrt ÖPNV (von Berlin): von Berlin-Alexanderplatz mit der Regionalbahn nach Brandenburg/Havel, von dort mit dem Bus weiter (ca. 1,5 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der Autobahn über Brandenburg/Havel oder über Land über Wustermark und Ketzin (jeweils ca. 1,5 Std.)

Länge der Tour: ca. 18 km (Abkürzungen mehrfach möglich)

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Schachpartie aus dem Film „Thomas Crown ist nicht zu fassen“ (1968)

Informationen zum Beetzsee

Einkehr: Sportlerklause Klein Kreutz (am Sportplatz)
zahlreiche Angebote in der Stadt Brandenburg

Rhinow/Stölln: Beflügelte Lebensfreude, die Rhinfalle und eine Wiesen-Lady

Manchmal, eher selten, hat man recht klar eine Tour vor Augen, die hervorragend zur Jahreszeit und zum vorhergesagten Wetter passt. Was grob skizziert vor dem geistigen Auge schon großartig aussah, scheint bei der konkreten Vorbereitung regelrecht großes Kino zu verheißen. Wenn es sich dann noch in einer selten besuchten, da entlegenen Gegend abspielt, die bisher ausschließlich charakterstarke Tage hervorbrachte, wächst die Vorfreude in der Erwartung auf Grandioses.

Die große Weite vor dem Gollenberg

Umso schmerzlicher ist es, wenn die bereits bunt ausgemalte Vision an einem kleinen Hindernis grandios kentert. Das fordert vor Ort große innere Stärke, insbesondere wenn man im Sternzeichen des Stiers geboren wurde. Stier gleich stur, unter anderem. Gut ist es dann, wenn jemand dabei ist, der mit grober Masche und dicker Wolle gestrickte Hörnlinge dabei hat und diese mit einem klugen Satz über das Stiergehörn streift. Gut und rettend, weil so ein Tag dann mit etwas Glück noch viel besser werden kann. Wenn auch völlig anders.

Der Rhin auf dem Weg zum Gülper See

Es gibt Landschaften, die im eigenen Empfinden besonders gut zu bestimmten Jahreszeiten passen. Oder zu passen scheinen. In den Randbereichen des Winters fallen mir da der Hohe Fläming und das Oderbruch ein, im Herbst der Untere Spreewald oder die Hügelländer und Buchenwälder der südlichen Uckermark. Im zeitigen Frühjahr sind es unter anderem die Gegend zwischen Dahme und Spreewald im Südosten oder die weit entlegene Partie des westlichen Havellands, wo Havel, Dosse und der Große Havelländische Hauptkanal die Wasserzufuhr dominieren. Rhin und Jäglitz mischen auch noch mit. Schaut man zurück in der eigenen Unterwegs-Historie, verschlägt es einen in solche Regionen fast immer zu ähnlichen Zeiten. Vermutlich werden hier erfolgreich und weitgehend verlässlich Sehnsüchte bedient, und Verlässlichkeit kann etwas sehr Schönes sein.

Die Rhinower Voralpen

Als verschmitzter Hintergedanke kam noch dazu, dass es bei verstopften Atemwegen nicht von Schaden sein kann, einen Ort aufzusuchen, der Rhinow heißt und von viel Weite, Wind und klarer Luft umgeben ist. Später vor Ort wurde dem wortspielerisch noch eins draufgesetzt, denn obwohl die Stadt Rhinow nicht sehr groß ist, gibt es hier ein Autohaus. Vertrieben wird eine französische Automarke, die fast genauso heißt wie der Ort und eine merkelsche Raute im Schilde führt.

Weg nach Neugarz, zumindest theoretisch

Rhinow liegt fast schon in Sichtweite zu Sachsen-Anhalt. Das ermöglicht der große Gülper See, der fast bis ans östliche Ufer der Havel reicht, die hier die Ländergrenze markiert. Zugleich lässt sie ein wahrhaft gewaltiges Gewirr von Nebenwassern, Altarmen und undurchdringlichem Nassland von der Leine, über viele Kilometer.

Der See selbst ist mitsamt seinem Zubehör auch charakterprägend für Rhinow. Jahr für Jahr gibt es hier gewaltige Spektakel zu sehen von allen möglichen Geflügelten, die auch weit über seinen Einzugsbereich hinaus allgegenwärtig sind. Alles hier ist fast schon friesisch weit und in vergleichbarer Weise von Wasser durchzogen. Jäglitz, Dosse und Rhin gibt es jeweils in mehreren Ausfertigungen, und dazwischen ziehen sich unberechenbare Netzwerke von schmalen und breiteren Gräben, die Spaziergängern bei einer flapsigen Wegeplanung zum Verhängnis werden können. Für alle Zugvögel und sonstiges Getier ist es eine geniale Heimstatt, sei es nun für einen Durchreisestopp gewisser Länge oder gleich für ein ganzes halbes Jahr.

Der Große Rhin mit den Bergen im Hintergrund

Sachsen-Anhalt liegt nicht um die Ecke, und so braucht es seine Zeit, ehe die goldene Murmel auf dem Rhinower Kirchturm zu sehen ist. Die Art und Weise der Entlegenheit von Städtchen wie Friesack oder Rhinow ist vergleichbar mit solchen im Oderbruch wie Letschin oder Neutrebbin. Wer dorthin mit dem Auto will, muss häufig am Lenkrad kurbeln und gut auf die Schilder achten. Findet auch nicht ohne weiteres denselben Weg zurück. Dabei lassen sich noch Landstraßen erleben, die sich anfühlen wie eine Dampferfahrt auf der bewegten Müritz, darunter uralte und knorrige Alleen sowie nostalgische Pisten aus fachgerecht verlegten Katzenköppen. Nicht das übliche „Autobahn bis Abfahrt Dings, dann über Bums nach Sowieso und gut“. Die Bahn kommt seit über zehn Jahren nicht mehr direkt nach Rhinow, doch über Rathenow gibt es eine gute Anbindung per Bus, die sich im Zeitvergleich sehen lassen kann.

Am Zusammenfluss von Bültgraben und Dosse

Flatow

Den Bäcker in Flatow erreichen wir kurz vor Ladenschluss, doch die gute Frau lässt uns ohne jegliches Stirnkräuseln noch zwei große Tassen durchlaufen, frisch und dampfend. Auf dem schon archivierten Reste-Blech liegen nur die schönsten Sachen und machen die Entscheidung schwer. Als wir versorgt sind, kommt Punkt Feierabend noch ein dritter Kunde, ein freundlicher Kerl mit Rad und kernigem Zottelhund, und nimmt grinsend unser zweites Frühstück zur Kenntnis. Aus seinem Pferdeschwanz ist er schon ein bisschen rausgewachsen, und so hat der Fahrradhelm seine liebe Not, alles unter einen Hut zu bringen. Vielleicht ja einer von den Stadtflüchtern aus dem sieben Kilometer entfernten Kuhhorst oder vom benachbarten Ziegenhof. Er hält einen netten Plausch mit der Bäckersfrau, aus dem wir erfahren, dass einer vom Dorf sich jetzt ein Haus hat bauen lassen in Ägypten und dort das kalte halbe Jahr verbringt seither. Die Bäckersfrau verweist darauf, dass der Flug dorthin doch ganz schön reinhaut mit 350 Euro, und wir einigen uns schließlich alle darauf, dass es nicht groß auffallen dürfte bei jemandem, der sich nebenher ein Häuschen in Ägypten leisten kann. Eine kuriose Konstellation – Flatow im Wechsel mit Ägypten. Rhinluch versus Nildelta.

Stare beim Start aus dem Baum

Kurz hinter Flatow überqueren wir die Autobahn. Sieht man einmal von den weiteren Tentakeln des äußeren Berliner Rings ab, ist die nächste Autobahn von hier aus mehr als 200 Kilometer entfernt und liegt dann schon in Niedersachsen. Kurz vor Kuhhorst vorbei am Abzweig nach Karolinenhof, wo es im gemütlich verkramten Café zum Ziegenhof ein sagenhaftes Panoramafenster in die Unendlichkeit der Felder gibt, mit Abertausenden von Kranichen und anderen Zugvögeln. Über Kuhhorst, wo tatsächlich mitten im Dorf eine lebensgroße Kuh auf ihrem Horst hockt, und Königshorst kommen wir in den Ort mit dem irritierend-exklusiven Namen Lobeofsund. Am Hydranten zeigt grad die Feuerwehr ihrem Nachwuchs, wie man professionell schnelles Wasser zapft, daneben steht motivierend das Tor zur Garage mit dem großen roten PS-Boliden offen, den wohl jeder zweite in der Spielzeugkiste hatte.

Stars in stripes

Rhinow

Während die Horst-Orte im ackerflachen Dunstkreis des Ländchens Bellin liegen, erreichen wir nach Überqueren der ICE-Trasse nun die wald- und hügelreicheren Ländchen Friesack und Rhinow mit ihren gleichnamigen Städten. Von Friesack kommt man dann bis Rhinow ohne weitere Abbiegung aus. Die goldene Murmel sehen wir erst, als wir direkt vor der Kirche stehen, denn das Land ist im Nebel versunken, alles über einer gewissen Höhe beschnitten. Später wird er sich hoffentlich verziehen, denn ein Aussichtspunkt von besonderer Qualität liegt am Weg.

Rhinow ist ein stilles Städtchen mit ganz spezieller Lage. Ähnlich wie Städte, die im flachen Alpenvorland vor dem Hang der ersten Vorhöhen hocken, gibt Rhinow aus der Ferne gesehen eine überzeugende Miniatur-Version davon zum Besten. Denn während sich die topfebene Weite ewig nach Norden ausdehnt, erstreckt sich dahinter ein durchaus markanter Höhenzug. Aus der Entfernung sieht das aus wie ein gut sichtbares Vorgebirge vor vernebeltem Hauptkamm.

Die Dosse auf dem Weg zur Havel

Die Weidenallee hinterm Ortsausgangsschild hat bereits ihren radikalen Schnitt erhalten, die Geschorenen wirken mehr als bereit für den neuen Wuchs. Hinter dem letzten von ihnen führt eine Brücke über den Mühlenrhin. Seine genießerischen, fast etwas lasziven Mäander auf dem Weg zum Gülper See liegen glatt, grau und komplett frei von Reflexionen, denn der Nebel lässt keinerlei Licht hindurch. Überall lagern kleine und große Scharen von Gänsen, teils im gedämpften Dialog. Weiter oben zieht alle paar Minuten eine große Formation gen Osten, sicherlich zu den Futterplätzen.

Weg durch die südlichen Dossewiesen

Hier beginnt ein stiller Weg in das durchtränkte Land zwischen Mühlenrhin und Großem Rhin. Überall auf den Wiesen stehen große Pfützen, fast schon kleine Seen. Und dann hören wir sie – die allererste Lerche dieses Jahres. Dieser winzige Vogel, der klingt, als hätte er das letzte halbe Jahr bei den Kartäusermönchen verbracht und müsste nach dem endlosen Schweigen nun umso mehr seine Lebensfreude in die Welt schreien. Doch dieser Klang verliert nicht seine Kraft, ab jetzt bis zu den letzten Tagen im Spätsommer. Schon heute bleibt er uns den ganzen Tag erhalten.

Rechts des Weges läuft ein Graben, davor liegt torfiger Aushub mit allerlei Schilfwurzeln und diesen urtümlich wirkenden Spiral-Schnecken, die typisch sind für den Rhin. Das weiche Torfzeug gibt eine komfortable Sitzbank für die erste Pause ab. Drüben liegt Rhinow still vor seinen Bergen, der Funkturm steckt noch immer halb gekappt im grauen Dunst. Neben den Gänsen, einigen Kranichen und den stets präsenten Lerchen kommen jetzt viertelstündlich neue Stimmen dazu.

Vorbildliche Weidenreihe

Wenn wir aus klammer Erfahrung bestens wissen, dass der Rhin an vielen Stellen schwer zu überqueren ist und gut und gern ein wirkliches Hindernis bilden kann, so hätten wir nicht mit dem gerechnet, was uns jetzt ausbremsen würde – eine Sackgasse, die eigentlich keine ist. Nach einem Kuhstall mit einem Kuhbauern sowie dem Queren des stillgelegten Damms der Bahn zwischen Rathenow und Neustadt/Dosse stehen wir vor einem sperrangelweit geöffneten Tor zu einem privaten Hof. Dort bellt ein von sich überzeugter Schäferhund in unsere Richtung.

Dann eben außen rum, wie so oft in solchen Fällen. Doch das geht hier nicht, denn links liegt breit der Große Rhin, rechts genauso breit der Mühlenrhin. Von den Bahnbrücken stehen nur noch die Köpfe, scheinbar grienend. Und Badewetter ist noch keins. Siebzig Meter, die eigentlich nicht versperrt sind, doch der Hund ist Meister seines Faches. Vor dem geistigen Auge zerbricht die schöne Tour, die von ihrem Kontrast zwischen flachem Wasserland und aussichtsreichen Waldhöhen lebt, darüber hinaus noch einigen speziellen Accessoires.

Weg nach Rhinow

Also zurück zum Bauern, allen Charme rausgeholt und gefragt, ob er eine Idee hat, wie wir durch den Hof vorbei am Hund zur Straße kommen. Sein Auto stand bereit, er wäre auch befugt. Er hingegen ruft beim Hofbesitzer an, der nimmt nicht ab. Mehr ist leider nicht zu wollen, trotz konkreter Frage. Sein Tipp zum Abschied ist das Wehr etwas flussabwärts, da käme man hinüber.

Etwas bockig nehmen wir die zwei Kilometer Umweg in Kauf, um vor Ort zu sehen, dass das Wehr zwar über etwas hinüber führt, doch nicht über den Großen Rhin. Die Seifenblase mit der schönen Aussicht platzt jäh. Da nimmt die Frau an meiner Seite meinen Kopf, schüttelt ihn mit ein paar sanften Worten und verursacht im Resultat und nach etwas stierem Zeitverzug ein Umdisponieren, das dem Tag und dessen Fortgang seinen Glanz zurückgibt, und zwar nicht zu knapp.

Blick zurück zur Dosse

Die maßgeschneiderte Papierkarte hat damit ausgedient, jetzt schlägt die Stunde des GPS-Empfängers. Mit dessen Hilfe und etwas Restrisiko auf Sackgassen lässt sich etwas zurechtstricken, was uns nicht nur sicher und trocken hier herausbringt, sondern auch schön, ausgewogen und arm an Doppelungen. In der halben Stunde auf dem wiesenweichen Deichweg des Bültgrabens ändert sich komplett das Wetter und mit ihm der Himmel. Erst die Sonne, dann nach und nach mehr Blau am Himmel und zuletzt nur noch zählbar viele weiße Wolkenfetzen. Was könnte tröstlicher und stimmungsaufhellender sein?

Überflutete Wiesen mit Gänsen

Rund um die Mündung des Bültgrabens in die Dosse gibt es nun gleich drei Möglichkeiten, ans andere Ufer zu gelangen, doch das hat sich ja erledigt. Nach Rübehorst führt eine provisorische Brücke, so eine, die man zusammenklappen und einem Sattelschlepper auf den Buckel schnallen kann. Vermutlich liegt sie dort schon immer, triftige Gründe dagegen sind nicht erkennbar. Einmal wechseln wir also wenigstens das Ufer, zum einen, da wir es nun können, zum anderen, da dort ein kleiner Rastplatz steht.

Edle Rhinkurven am Abend

Dank der fast schon vergessenen Verlegenheit können wir nun also ein Stück Hand in Hand mit der entspannten Dosse gehen, deren breite Flutwiesen weitgehend trocken liegen. Zu Zeiten überschüssigen Wassers kann hier ein knöcheltiefes Meer liegen, das sich zwischen Dosse und Jäglitz mehr oder weniger lückenlos aufspannt. Gegenüber steht eine einzelne, asymmetrische Eiche, die als Ausgangsbasis dient für einen Starenschwarm. Diese großen schwarzen Vogeltrauben, die ihren unbegreiflichen Formationsflug am Himmel inszenieren, wie ein entfesseltes Tagesgespenst auf weicher Droge oder wie eine nur aus Ruß bestehende Flamme, die ihrer wild geschwenkten Riesenfackel träge folgt.

Weidenallee nach Rhinow am Abend

Trotz ihres sichtlichen Fließtempos liegt die Dosse spiegelglatt und gibt das Blaugrau wider, das der Himmel gemischt hat. Voraus sehen wir das erste Wäldchen des Tages. Ein schöner Anblick, zumal wir jetzt vom Deich absteigen und den ätherischen Duft erwärmter Nadeln am Waldrand inhalieren dürfen. Ging auf dem Deich noch der kalte Wind durch die Ärmel, ist es jetzt hier unten warm und windgeschützt, dass die obersten drei Zwiebelschichten gelockert werden. Im Westen ist der Himmel fast schon wolkenlos, sodass die Sonne ungehindert ihre Strahlen fließen lässt. Nach dem nächsten Abbiegen wird dann alles wieder schnell verschlossen und verzurrt, denn der Wind hat uns wieder. Richtung Rhinow hat sich eine hinreißende Reihe mittelwüchsiger Weiden brav in einer Reihe aufgestellt, sodass man immer wieder hinschauen muss. Offensichtlich hat ein knorriger Weidezaun bei der Ausrichtung geholfen – Weide hilft Weide.

Blick vom Hauptgipfel des Gollenberges

Auf der langen gerade Plattenpiste nach Buchhorst kommt ein Radfahrer von hinten, später eine Radfahrerin von vorn, darüber hinaus gibt es wenig Aufregung. Das nächste Wäldchen bietet einen harten Wettkampf zwischen zwei Rasthügeln. Links am Waldrand eine charismatische Kiefer mit zottigem Langgras, links am Feldrain eine winzige Eiche mit markanter Krone, darunter kurz gestoppeltes Polstergras. Der Fairness halber warten wir noch etwas mit der Pause. Bei Buchhorst gönnen wir den geschundenen Atemwegen dann den letzten lauwarmen Tee und sitzen dabei in einem Stück Wald, in dem nächste Woche oder in zwei Tagen oder schon nachher die ersten Veilchen durchs harte Bodenlaub schlüpfen könnten. Davon abgesehen scheint Rhinow schon zu wirken, denn die Nase atmet freier, das ist spürbar.

Sanfter Aufstieg zum Nebengipfel

Schon von ferne blinkt jetzt die goldene Kugel auf dem Kirchturm. Auf der Brücke von vorhin queren wir erneut den Rhin, der fast noch genauso ölig glatt liegt, doch auch vereinzelt glitzert. Zwischen den frisierten Weiden parkt ein Fahrrad, die Frau dazu streift durch die nahen Wiesen und sammelt ganz bestimmte Halme.

Stölln

Jetzt greift Plan B. Wir fahren ein Dorf weiter ins hübsche Stölln, das sich seit ein paar Jahren Lilienthal-Gemeinde nennen darf, ganz offiziell. Das ist angemessen, denn hier steht der Gollenberg als einer der weltweit bedeutendsten Orte für die Fluggeschichte der Menschheit. Darüber hinaus gibt es hier noch ein relativ neues Lilienthal-Museum sowie die Pfade, Pflanzungen und Anlagen, die nach der Bundesgartenschau von 2015 blieben. Und natürlich einen Flugplatz, komplett bedeckt von artenreichem Stoppelrasen, der im Sommer die Herzen von Botanikern und Insektenkundlern höher schlagen lässt. Einzigartig ist wohl der Umstand, dass auf halber Hanghöhe ein ausgewachsenes Langstreckenflugzeug parkt, pensioniert, doch gut besucht. Die russische IL 62 ist weniger historisch, als man denken sollte – vor 20 Jahren noch wurden Flugzeuge mit dieser Bezeichnung gebaut, und ein paar davon sollen noch heute ihren Dienst versehen.

Die Lady Agnes, der Spielplatz und die Einkehr

Nicht zuletzt dank der weiten Picknick-Wiesen und des herrlichen Spielplatzes mit seinem Kletterparcour ist das hier ein Ausflugsziel für Familien jeglicher Konstellation, das als genial zu bezeichnen ist, das Wort passt wirklich. Hier lässt sich sowohl bewegungsarm als auch in freizeitlicher Bewegtheit ein ganzer Tag verbringen, ohne sich mehr als einen Kilometer entfernen zu müssen – wer den Weg ins Dorf und zum Museum nehmen möchte, wird von blauen Säulen sicher geleitet. In Sichtweite zum Spielplatz steht beeindruckend die „Lady Agnes“, das erwähnte Flugzeug, das den Namen von Otto Lilienthals Frau trägt. Ihm zu Füßen lässt sich auf das Beste einkehren.

Der frühe Mond überm Gollenberg

Wer Kindern oder seinem liebsten Menschen oder sonstwem zeigen will, wie ein Berg funktioniert, findet im Gollenberg einen dankbaren Verbündeten. Der spürbare Aufstieg ist kurz und vielfältig sowie gefällig für Auge und Fuß und bietet oben den Lohn der Aussicht, womit das Prinzip klar sein dürfte. Schon vom Nebengipfel ist das beeindruckend, vom Hauptgipfel mit dem kleinen Lilienthal-Denkmal dann regelrecht ergreifend. Nach Norden scheint sich die Ebene endlos zu erstrecken, und die steile Hangflanke lässt nachvollziehen, warum sich Lilienthal gerade diesen Berg aussuchte. Wer gern einmal eine Nordwand bezwingen möchte, folgt unten im Ort ein Stück der Hauptstraße und nimmt dann den steilen Aufstieg über zahlreiche Treppen, die ähnlich alt sein dürften wie die Lady Agnes. Apropos Lady Agnes: Familien, die erst noch welche werden wollen, können sich hier gegenseitig Ringe an die Hand stecken und dazu nicken.

Lady Agnes mit Kollegen zu Gast

Durch die verqueren Umstände des Tages erreichen wir den Gipfel des Gollenberges bei ungetrübter Sicht und zu dem Zeitpunkt, wo das warme Licht der sinkenden Sonne die Kiefernstämme vergoldet und den Wald in schöne Schattenspiele taucht. Das ist so ein Moment, wo man gern die Zeit anhalten möchte. Wo zum Abend alles still wird und nur noch eine Amsel singt. So dehnen wir den Abstieg über die langen Stufen durch Langsamkeit, bestaunen kleine Eichen, die wie große tun und greifen tief ins Heidekraut, um zu ermitteln, ob es trocken ist. Wären Pilze da, dann würden wir sie zählen. Stattdessen zählen wir die ersten wilden Bienen.

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): nach Rhinow: alle zwei Stunden von Berlin Hbf. mit der Regionalbahn nach Rathenow, weiter mit dem Bus nach Rhinow (letzte Rückfahrt ca. 22 Uhr)(1,75-2 Std.);
nach Stölln: nicht praktikabel (optional von Rhinow ca. 1 Std. zu Fuß)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über die A 24 Ausfahrt Fehrbellin, dann Landstraße über Friesack nach Rhinow (1,5-1,75 Std.);
alternativ schon Ausfahrt Kremmen abfahren Richtung Kremmen, dann in Staffelde links nach Flatow und über Königshorst, Warsow und Friesack nach Rhinow (1,75 Std.)

Länge der Tour: Rhinow ca. 15 km, Stölln 1,5-2 km

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Amt Rhinow

Gülper See (NABU)

Otto-Lilienthal-Verein Stölln

Gollenberg (NABU)

Blog-Beitrag zu Lady Agnes (Reiseland Brandenburg)

Artikel zum Absturz von Otto Lilienthal 1906

Einkehr: Zum Schwalbennest, am Gollenberg in Stölln (sehr gute Küche, freundliche Bedienung, schöne Terrasse)

Grobskizziert – Döberitz: Wegevielfalt und Ginsterpracht in der Döberitzer Heide

Es gibt Landschaften, deren jetzige Einzigartigkeit auf einer eigenartigen Kausalität beruht. Wo vor mehr oder weniger vielen Jahren oder Jahrzehnten die Motoren extrem schwerer Kettenfahrzeuge dröhnten und den Boden vibrieren ließen, so dass es auch für Nichtindianer noch im zivilen Gelände wahrzunehmen war, konnte schon zu diesen Zeiten die Natur einen Grundstein für das legen, was in Zeiten des Stillstands und der Stille wachsen würde. Dort, wo Maschinerie, Munition und die steuernden Hände und Köpfe dazwischen auf bestmögliches Zusammenspiel geprüft und strategisches Handeln in einen konsequenzarmen Probelauf geschickt werden konnte, gibt es heute die sichersten Refugien für zahlreiche Tiere und Pflanzen – eben weil hier eine wirklich gute Motivation besteht, ausgeschriebene Wege nicht zu verlassen, so wie es Schilder alle paar hundert Meter einfordern.

Steg über den Schwanengraben
Steg über den Schwanengraben

So hinterließen die Wirren und Unklarheiten in der Nachwendezeit sowie der mehr oder weniger geordnete Abzug ehemals allierter Truppen bis Mitte der neunziger Jahre zahlreiche, teils enorm weitläufige Flächen, die plötzlich ungenutzt und regelrecht herrenlos waren und auf die sich kein Mensch herauftrauen konnte, dem sein Leben lieb und der noch ganz bei Trost war. Demzufolge konnte die Natur hier zu annähernd hundert Prozent ihr Ding machen, was sie auch tat. Eines der schönsten Sinnbilder dafür kam vor einiger Zeit in einer Reportage vor. Da brütete eine bedrohte Vogelart, die es sonst in Deutschland kaum noch gibt, in einem schwer zugänglichen Platz unter der drehbaren Kanonenhaube eines verrostenden Panzers. Kaum erreichbar für Tiere, die ein paar Nahrungskettenglieder höher stehen. Dicker Panzerstahl, sicherer Schatten und darunter pelzköpfige Küken, die frohgemut und kaum hörbar tschilpen, egal wer da draußen auch herumschleicht oder -schwebt.

Uferweg am Schwanengraben
Uferweg am Schwanengraben

Viele dieser Gebiete sind heute Heideflächen und liegen weiter entfernt von Berlin, wie z. B. das ausgedehnte Areal nördlich von Jüterbog mit dem Keilberg und seiner grenzenlosen Aussicht, der vom Wasser der Havel umspielte Annenwalder Brand westlich von Templin oder die Reicherskreuzer Heide östlich von Lieberose, die im spätesten Spätsommer mit einem unvergleichbaren Teppich aus blühendem Heidekraut bedeckt ist – nur der Heideblüte wegen muss also niemand den weiten Weg nach hinter Lüneburg antreten.

Wellenreicher Hauptweg in der Döberitzer Heide
Wellenreicher Hauptweg in der Döberitzer Heide

Näher an Berlin liegt da die recht kleine Schönower Heide um die Ecke von Bernau und nicht zuletzt auch die Döberitzer Heide kurz hinter der Stadtgrenze bei Spandau. Diese erstreckt sich unmittelbar gegenüber des Olympischen Dorfes, wo ja im Wettbewerb um die Nutzung mittlerweile auch die Natur schneller vorankommt als der Mensch, der sich in Anbetracht des historischen Schwergewichts und der erschlagenden Dimension des Ganzen mit Entscheidungen schwer tut. Was zu verstehen ist.

Aus dem Staub gemacht
Aus dem Staube

Die Döberitzer Heide

Glaubt man leicht verfügbaren Quellen, gab es erste militärische Nutzungen dieser Heide schon vor 300 Jahren. Zu dieser Zeit muss es von Berlin bis zur Havel und weiter nach Döberitz noch eine kleine Tagesreise oder ein forscher Halbtagesritt gewesen sein, wenn man das damalige Wegenetz bedenkt.

Als Truppenübungsplatz groß aufgebaut und fortan regelmäßig benutzt wurde die Heide unter dem Kaiser. Das klärt auch die Frage, warum die Heerstraße von Westend bis zum Berliner Ortsausgangsschild Heerstraße heißt – auf fast 11 Kilometern Länge und über knapp 700 Hausnummern. Gut doppelt so lang reichten ihre verlängerten Geraden vom Berliner Stadtschloss bis zur Döberitzer Heide. Wenn man darauf achtet, fällt ins Auge, dass sie fast auf ganzer Länge in einzigartiger Weise als breite und repräsentative Straße verläuft. Daran hat sich auch durch 28 Jahre Ost- und Westberlin nichts geändert.

Blumiger Grasweg am Hasenheider Berg
Blumiger Grasweg auf dem Weg zum Hasenheider Berg

Während der Olympischen Spiele 1936 musste die Heide für militärische Wettkämpfe herhalten. Gleich gegenüber wurde das erwähnte Olympische Dorf errichtet, das über die Heerstraße perfekt an die Hauptstadt und auch an andere relevante Sportstätten wie das Olympiastadion angebunden war.

Die regelmäßige militärische Nutzung der Döberitzer Heide ging über hundert Jahre, bis 1991 dann Schluss war – und fortan Ruhe im Karton. Nur in Richtung Groß Glienicke gibt es noch ein Eckchen, wo die Bundeswehr bisweilen übt – jedoch ohne scharfe Munition.

Obelisk an der weiten Freifläche
Obelisk an der weiten Freifläche

Was von dieser Periode noch sichtbar ist, verleibt sich die Natur langsam und stetig ein. Am ehesten sichtbar sind noch alte Bunkeranlagen und Panzergräben, die mehr und mehr von Gras, Nadeln und Baumbewuchs überformt werden. Ansonsten bestimmt üppige, vielfältige Natur das Bild.

Döberitz

Es war schon herauszulesen – Döberitz liegt kurz hinter der Stadtgrenze und ist schnell erreicht, ob nun auf breitem Asphalt oder auf schmalem Stahl. Das heutige Döberitz liegt zwischen den alten märkischen Dörfern Dallgow und Rohrbeck, verfügt jedoch selbst über keinen Dorfkern. Das ursprüngliche Döberitz lag weiter südlich war selbst so ein Dorf, bis es Ende des 19. Jahrhunderts schließlich das Pech hatte, inmitten eines preußischen Truppenübungsplatzes zu liegen. Das Dorf durfte zunächst noch stehenbleiben, doch die Geschichte war letztendlich nicht gnädig. Ende der 1950er Jahre zog die Sowjetarmee in die Döberitzer Heide ein. In diesem Rahmen wurden alle damaligen Bewohner enteignet und Döberitz dem Erdboden gleichgemacht, samt seiner Kirche. Die einstige Kolonie Neu Döberitz ist heute das eigentliche Döberitz und vor allem ein Ort des Wohnens, und über dem Grundriss des alten Dorfes mitten in der Heide staksen heute in Abgeschiedenheit große Pflanzenfresser umher, auf dem wohlwollend verordneten Weg in die Selbständigkeit.

Rastplatz und Aussichtsturm beim Obelisken
Rastplatz und Aussichtsturm beim Obelisken

Kurz nach der jüngsten Jahrtausendwende gab es in der Döberitzer Heide noch kein ausgeschildertes Wegenetz, weder für Reiter noch für Radfahrer oder Spaziergänger. Es ließ sich auf gut Glück durch das vorhandene Wegenetz streifen in der Hoffnung, nicht irgendwo auf ein unüberwindbares Hindernis wie einen Zaun oder ein dorniges Gebüsch zu treffen. Das hatte den speziellen Charme, den solche Entdeckerstreifzüge eben haben, und ging in unserem Fall auch ohne großes Verlaufen und zähe Rückwege ab. Mittlerweile ist hier alles sehr geordnet, was aber überhaupt nicht groß auffällt. Trotz des dichten Wegenetzes und der vielen Gatterzäune ist man durchaus der Meinung, sich durch so etwas wie eine stadtnahe Wildnis zu bewegen.

Waldrand entlang der weiten Freifläche
Waldrand hin zur weiten Freifläche

Irritierend sind dabei nur die Flugzeuge, die die Landepiste in Tegel anvisieren, und das zu gewissen Zeiten im Vier-Minuten-Takt. Egal ob Düsentriebwerke oder Propeller – laut sind sie alle in ihrem Landeanflug. Wenn dann aber die Schwarmzeit überstanden ist, erscheint die Stille im Inneren der Heide umso zauberhafter und beglückender.

Schafherde im Konzentrat mit Ziegen-Ammen am Rand
Schafherde im Konzentrat mit Ziegen-Amme am Rand

Unterwegs in der Heide

Der innere Bereich der Heide, die heute „Sielmann Naturlandschaft Döberitzer Heide“ heißt, besteht aus einer sogenannten Wildniskernzone, die von einem mehrfachen Zaun umgeben ist und ausgewilderten Tieren ein weitgehend unbeeinflusstes Entfalten gewährleisten soll. Aktuell gewöhnen sich dort, wie weiter oben erwähnt, schon einige Dutzend großer Pflanzenfresser wie Wisente, Przewalski-Pferde und Rothirsche an das unbehelligte Leben. Rund um diesen ausgedehnten Bereich verläuft der große Rundweg, der ziemlich lang ist (länger als der Weg zwischen Döberitz und dem Berliner Schloss) und bei all seinen möglichen Abstechern und Optionen mit dem Fahrrad am meisten Spaß machen dürfte – ein schöner und erlebnisreicher Tag kann hier problemlos gefüllt werden. Nur sollte die Bereifung nicht zu schmal sein.

Rastbank im Ginster
Rastbank im Ginster

Möchte man diese Landschaft zu Fuß entdecken, bieten sich kleine Runden an, die Fahrland und Kartzow oder Kartzow und Priort mit dem inneren Wegenetz im Bereich des Ferbitzer Bruchs kombinieren, dem feuchten Kontrast zur meistenteils staubtrockenen Döberitzer Heide. Wer jedoch eben diese landschaftlich vielfältige Heide im kleinräumigen Konzentrat erleben will, dem empfehle ich den Bereich nördlich der Wildniskernzone, der zudem mit den Öffentlichen hervorragend zu erreichen ist. Hier lässt sich die Tour alle paar Minuten verlängern, verkürzen oder komplett umkrempeln. Die Ausschilderung hilft beim Variieren.

Sandiger Weg entlang des Wildniskernzone
Sandiger Weg bei der Hasenheide

Es gibt mehrere Möglichkeiten, direkt in die Heide einzusteigen, sei es nun vom Einkaufszentrum Havelpark oder am Südrand von Döberitz bei der Unterführung der Bundesstraße. Da es dann jedoch stundenlang ohne jegliche Häuser, Kirchturmspitzen und Dorfplätze durch die Natur geht, ist ein wenig Ortslage als Kontrast und Abwechslung sehr zu empfehlen. Diese Kombination bietet sich am besten mit dem Bahnhof Dallgow-Döberitz als Ausgangspunkt.

Kesse Lupine am Gitterventil
Kesse Lupine am Gatterventil

Von dort führt ein zauberhafter und schattiger Pfad entlang des länglichen Schwanengrabens, immer dicht am Wasser und an vielen Stellen regelrecht verwunschen. Nach ein paar Minuten Gewerbegebiet und Straßenlärm übernimmt bald wieder der Waldschatten und mit ihm die Natur samt ihren Düften und Tönen – die Bundesstraße ist kaum noch zu hören, und die Flugzeuge ignoriert man so gut wie möglich. Bald steht der erste Übersichtsplan am Weg und der Einstieg in die Heide bevor. Nach ein paar hundert Meter breiten Weges wird es schon bald kuschliger und es kann entschieden werden, welchen Schildern man folgen möchte.

Schöner Waldrandweg am Grunde
Schöner Waldrandweg am Giebelfenn

Die Wege des ausgeschilderten Netzes sind allesamt einladend. Mal verlaufen sie schnurgerade zwischen Waldrand und offener Weite oder kurvig einer sanften Talflanke folgend, mal direkt durch den blumenreichen Trockenrasen oder breit und staubig über Dünenbuckel voll Erika und Kiefern. Oft auch schattig und kühl durch jungen Laubwald oder entlang dichter Eichenreihen. Zur nächsten Wegekreuzung ist es nie sehr weit, und so stellt sich beim planlosem Umherstreifen an jeder von ihnen aufs Neue die schwierige Frage, welchem der einladenden Abzweige man folgen möchte.

Weg in den Wald
Weg in den Wald bei Sperlingshof

Die Vielseitigkeit der Döberitzer Heide zeigt sich auch darin, dass die Landschaften etwa alle Viertelstunde wechseln. Sei es nun der Wechsel zwischen Waldgebieten und offenem Grasland, zwischen konstruierter Wegesystematik und solchen Wegen, die der Beschaffenheit des Reliefs folgen oder zwischen kleinräumigen Abschnitten und der großen Weite rund um den liebesbedürftigen Obelisken. Von hier aus reicht der Blick weit ins Land und lässt im Gedanken durchaus den Vergleich zur Lüneburger Heide aufblitzen. Zwischen Rastplatz und Obelisk verläuft eine winzige und allerliebste Wegschleife auf trockenen Gräsern, die von Optik und Duft her auch auf einer norddeutschen Insel liegen könnte und im niedrigen und warmen Abendlicht besonders schön sein muss.

Große Ginsterweite südlich der Bundesstraße
Große Ginsterweite südlich der Bundesstraße, Nordheide

Die Vegetation ist üppig, vielfältig und reich an Baumbewuchs – Heidekrautflächen sind in dieser Heide jedoch die Ausnahme. Dafür blüht im späten Mai an vielen Stellen großflächig der Ginster, wie wir es bisher nur selten gesehen haben. Ein guter Ausgleich für lila Blütenmeere im September.

Worauf wir noch getroffen sind, das waren eine muntere Schar von Pfadfinderinnen und ein großes Halbrund von hochbeinigen Bienenstöcken mit einem eindrucksvollen Klangteppich aus hunderttausenden Flügelschlägen. Ferner eine im Schatten vereinigte Schafherde mit zwei freundlichen Ammen-Ziegen, die verwaisten Lämmchen zur Verfügung standen. Wer die oben erwähnten größeren Tiere sehen möchte, kann sein Glück südlich vom Natur-Erlebniszentrum versuchen. Zwischen Wolfsberg und Wüste kann man mit etwas Glück ein behuftes Bein, ein beschweiftes Heck oder sogar einen bemähnten Kopf zwischen den Bäumen entdecken. Weniger rar machen sich kleinere Leute wie eben die Wildbienen, Grashüpfer und Schmetterlinge, die im gesamten Gelände für einen charmanten Buschfunk sorgen.

Parkstreifen
Parkstreifen in der westlichen Siedlung Döberitz

Für den Rückweg zum Bahnhof gegen Ende der Tour spricht nichts dagegen, wieder den Uferweg am Schwanengraben zu nehmen. Wer bei seinen Streifzügen weiter westlich bei der Zufahrt nach Rohrbeck gelandet ist, kommt durch ein Wohngebiet und einen hübschen Parkstreifen ebenfalls zurück zum Bahnhof. Dort bieten sich für den großen und kleinen Hunger mittlerweile vier Möglichkeiten zur Einkehr an. Mit etwas Heidestaub im Scheitel.

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der Regionalbahn bis Dallgow-Döberitz (ca. 45 Min.), wahlweise weiter mit dem Bus zum Havelpark

Anfahrt Pkw (von Berlin): auf der B 5 Richtung Nauen (ca. 45 Min.)

Länge der Tour: wie unten zu sehen 13,5 Kilometer; darüber hinaus beliebig variierbar; Empfehlung: der Rastplatz am Obelisken sollte dabei sein

 

Download der Wegpunkte

 

Links:

Historische Karte der Döberitzer Heide (1936), altes Dorf Döberitz im Zentrum

Sielmann-Naturlandschaft Döberitzer Heide

Einkehr: mehrere Möglichkeiten am Bhf. Dallgow-Döberitz