Berliner Spaziergang – Havelufer West: Küstendörfer, tausend Segel und die verborgene Düne

Eine liebenswerte ältere Dame saß einmal auf der schwarzledernen Rückbank eines Berliner Taxis und erzählte mir auf der Fahrt vom Flughafen Tegel nach Spandau-Wilhelmstadt, dass die Havel eine gewichtige Wetterscheide ist. Keineswegs ohne Grund, denn während der Flughafen in schönstes Sonnenlicht getaucht war, braute sich am Fahrtziel Düsteres am Himmel zusammen. Die Plauderei während der Fahrt war rundum angenehm, das Erwähnte blieb bereitwillig hängen, wurde verinnerlicht und seitdem oft berücksichtigt. Was ebenfalls hängen blieb war die Information, dass Spandauer sich keinesfalls als Berliner sehen, sondern eben als Spandauer. Da sie häufig anderes Wetter als die größere Nachbarstadt am anderen Flussufer haben, ist das nachvollziehbar. Und in der Tat wirkt Spandau sehr wie eine eigenständige Kleinstadt, mehr als die meisten anderen Berliner Stadtteile.

Olympiastadion im Ruhemodus

Wenn in Berlin also lausiges Wetter angesagt ist und auch so stattfindet, lohnt es sich bei einer fünfzigprozentigen Chance durchaus herauszufinden, ob das Wetter jenseits der Havel wonnig ist oder eben noch viel lausiger. Am besten per S-Bahn oder Regionalbahn, denn gegebenenfalls kann man im schier endlosen Spandauer Bahnhof gleich wieder in den nächsten Zug Richtung Innenstadt steigen und dort aus dem lediglich lausigen Wetter das Beste machen. Eventuell vorher noch gut verzurrt in die Spandauer Altstadt spazieren und am Markt eine Institution in Sachen Konditor-Handwerk aufsuchen – damit die Fahrt nicht ganz umsonst war.

Da der April sich weiterhin äußerst selbstbewusst verhält und sein Naturell auslebt, obendrein noch mit Wärme geizt, schöpft man also alle Potentiale gern aus, dem aus dem Weg zu gehen. Verbinden lässt sich das mit einer womöglich vorhandenen Neugier auf eine lockende Wasserlandschaft, die bei jeder Querung der Havel auf der Heerstraße erneut angestoßen wird.

In der Murellenschlucht an der Waldbühne

Neu Westend

Die U-Bahn nach Ruhleben nimmt man im seltensten Fall bis zur Endstation. Das war anders, solange es in ganz Berlin nur eine Möbelhalle unter schwedischer Flagge gab, und sorgte damals sicherlich oft für die Fragestellung, wie groß etwas sein darf, damit es durch eine U-Bahn-Tür passt, und ab welcher Größe ein sperriger Karton eine eigene Fahrkarte benötigt.

Die vorletzte Station ist Olympia-Stadion und wird eher ruckweise beansprucht, dann jedoch sehr intensiv. Noch eine davor liegt der U-Bahnhof Neu-Westend direkt unter dem Steubenplatz. Scheinbar nicht allzu tief, denn in kellerlägigen stillen Örtchen am Platz fühlt es sich so an, als würde die U-Bahn auf Augenhöhe mit der Keramik verkehren. So zum Beispiel im herrlichen Wiener Caffeehaus, das ebenfalls als Westberliner Institution betrachtet werden kann und in gut zehn Jahren seinen Hundertsten feiert. Hinterm Torten-Tresen wieseln vier Damen geschäftig hin und her, die beständig nachwachsende Schlange jenseits der Vitrinen gibt ihnen Recht. Im Gastraum geht es beschaulicher zu, doch wer hierher kommt, hat ohnehin Zeit unterm Hosenboden. Ein perfekter Ort für gepflegte Damenkränzchen und akademischen Austausch unter ergrauten Schopfträgern, auch bestens geeignet für Einheimische, die Freunde zu Gast haben und ihnen zeigen wollen, wie das Berliner Leben in weniger globalen Zeiten ausgesehen haben könnte.

Wohnraumkontraste in Alt-Pichelsdorf

Olympia-Stadion

Nach gediegenen Gärten mit internen Höhenunterschieden beginnt hinter der Olympischen Brücke mit ihrem weiten Blick bis zum Heizkraftwerk Reuter West eine andere Welt und mit ihr ein anderes Kapitel in der Zeitleiste. Wie die Schlange das Kaninchen nimmt einen die großspurige Symmetrie des Olympiastadions in ihren festen Blick, bis man schließlich gebannt zwischen den beiden Säulen vor dem großen Tor steht. Der Weg dorthin führt über einen großen Parkplatz, auf dem die Jungs in menschenleeren Zeiten gern neu erfundene Runen in den Asphalt radieren – mit Vollgas und Handbremse als Schreibwerkzeug.

Wer neugierig ist auf das Stadion-Gelände, zahlt Eintritt und kann sich in den Bann der Details begeben, was lohnend sein dürfte, zeitfordernd und ein Schmaus für Freunde visueller Perspektivspiele. Ansonsten zeigt sich das gesamte Sportgelände ziemlich zugeknöpft. Wer also auf der Durchreise ist, muss große Bögen in Kauf nehmen, um das riesige Areal zu umrunden, welches auch noch das Maifeld und das restmondäne Reiterstadion einschließt.

Bootsstege an der Scharfen Lanke, Alt-Pichelsdorf

Das Pendant zu den beiden wuchtigen Säulen vom Osteingang ist zwischen Maifeld und Waldbühne der schnörkellose Glockenturm, wie das Korn zur Kimme eingebunden in die erwähnte Symmetrie. Nach dem Abschreiten und Sichten all dessen wirkt die benachbarte Waldbühne regelrecht winzig. Das passt gut als Überleitung zu einem unerwarteten Abstecher in die Murellenschlucht, der beachtlich tief hinab führt. War eben noch alles lärmig, grau und abweisend, taucht man hier in starkem Kontrast ein in das grüne, stille Reich, zwischen Hochhäusern, Bahntrasse und historischem Bombast. Ein tiefes, leises Tal, das die Natur einst schuf und dessen Name geheimnisvoll klingt. Eine lange Treppe führt die Talflanke hinab, die dicht bedeckt ist von saftigem Kraut mit kleinen weißen Blüten, bekannt als Berliner Bärlauch oder Wunder-Lauch. Mit beiden Namen passt es bestens an diesen Ort, zu erleben ist es auch im Treptower Park zwischen Baumschulenweg und der Insel der Jugend. Der intensive Knoblauchduft erfüllt die ganze Schlucht.

Mediterran anmutender Weg über der Haveldüne

Den Weg begleiten Spiegel mit rotweißen Rändern, wie man sie von schlecht einsehbaren Straßen-Ausfahrten kennt. Während noch Fragezeichen überm Kopf wachsen, ist bald schon eingravierter Text zu erkennen in einer der Spiegelflächen. Unaufdringlich, doch bald schon eindringlich und ohne senkrechten Zeigefinger tragen die Spiegel dazu bei, eines der unzähligen pestschwarzen Kapitel der NS-Zeit vor dem Vergessen zu bewahren. Sogenannte Denkzeichen sind die Spiegel für einen Schauplatz speziellen Unrechts. Das Lesen der spiegelnden Texte erfordert etwas Kopfgymnastik.

Die Murellenschlucht hätte mit Schanzenwald, Murellenberg und Fließwiesen noch viel zu bieten, doch heute lockt das Land jenseits der Havel, also zweigen wir bei erster Gelegenheit in den Aufstieg ab, noch immer durchs grüne Lauch. Nach dem S-Bahn-Graben und dem äußersten Rand der Pichelsberger Plattenbauten lärmt vorn schon die Heerstraße, die ab hier schnurgerade der Stadtgrenze entgegenstrebt. Von der Stößenseebrücke öffnen sich nun Blicke auf ein regelrechtes Fjordreich aus Havelwasser, gesäumt von unzähligen Stegen, an denen zumeist weiße Bootskörper vertäut liegen – vermutlich noch nicht allzu lange, doch schon ungeduldig.

Blick von der Haveldüne zum Grunewald

Ein Seitenweg senkt sich direkt hinter der Brücke zu einem dieser Ufer ab und vermeidet ein Stück Straßenlärm. Der Pichelswerder, um ein Haar eine Insel, bietet ein einladendes Imbiss-Reich und ein Stück Wald, bevor die Havel höchstselbst auf einer relativ neuen Brücke überquert wird. Die Konzentration der Stege hält an und lässt daran zurückdenken, dass zu Westberliner Zeiten die großen Wasserflächen eher die Ausnahme waren. Hier beginnt nach Süden ein Segel- und Schipperrevier, das bei üppiger Breite zehn Kilometer bis zum Hafen Wannsee reicht. Es war das mit Abstand ausgedehnteste, was das ummauerte Westberlin zu bieten hatte.

Alt-Pichelsdorf

Nach Pichelsberg am Nordrand des Grunewalds und dem havelumspülten Pichelswerder findet man sich nach dem zügigen Verlassen der Heerstraße in Pichelsdorf wieder, einem alten Dörfchen, das an einigen wenigen Stellen noch selbstbewusst durchscheint. Das wirkt kurios, in direkter Nachbarschaft zur eigenwilligen Bebauung aus jüngeren Jahrzehnten. Nördlich des Dorfes und der Heerstraße gibt es mit dem Grimnitzpark und dem Südpark zwei wasserreiche Grünanlagen, die gemeinsam mit der Scharfen Lanke im Süden den Eindruck erschaffen, auch Pichelsdorf wäre ein Teil des genannten Fjordreiches und von Wasser umgeben.

Kirchhof in Alt-Gatow

Unversehrt ist der dörfliche Charakter in den Kleingartenkolonien, die sich um die Scharfe Lanke schmiegen. Da stehen so einige Lauben, die einem zille’schen Pinsel entsprungen sein könnten, und erwecken vor dem geistigen Auge entsprechende Episoden zum Leben. Zeitlich halbwegs passend verrät eine kleine Tafel, dass auch der markant frisierte Albert Einstein hier einen Garten hatte, dazu ein kleines Boot. Auch das eine schöne Vorstellung – der humorvolle Pfeifenraucher auf dem Rand eines nicht gänzlich dichten Bötchens, das der launige Wind über die Havel scheucht.

Ab hier beginnt nun ein Weg, der bis hinein nach Kladow ohne größere Unterbrechung den seebreiten Fluss im Auge behält. Die einzige nennenswerte Havelpause gibt es rund um Alt-Gatow, und das ist dankenswert, wie sich zeigen wird. Der Weg am Flussufer, wieder mal einer der 20 grünen Hauptwege Berlins, ist voller Abwechslung, unterhaltsam und idyllisch. Doch die eigentliche Würze erhält diese entspannte Passage durch ein paar kleine Abstecher, jeweils nicht weit, doch markant.

Aufstieg zum Mühlberg, Alt-Gatow

Die Bucht der Scharfen Lanke ist komplett eingefasst von Stegen, die bis zu hundert Meter ins Wasser hineinragen und bei dichter Belegung mit kleineren und größeren Bootsleibern für eine effiziente Nutzung dieses gut angebundenen Uferstreifens sorgen. Viele von ihnen gehören zu Bootsclubs mit so hakeligen und auf ia endenden Namen wie Arminia Cheruskia und Gothia oder Arkonia und Dresdenia. Die Namen gehören zu Segel- und Rudervereinigungen oder auch zum Altherrenverband einer akademischen Turnverbindung, was weder ausgedacht ist noch aus einem alten Buch entnommen.

Südlich davon übernimmt schon bald die Natur, so dass es nur noch vereinzelt Stege gibt. Noch vorher winkt überzeugend der erste Abstecher in einen steilen Aufstieg über alte Stufen. Die führen hoch auf die Haveldüne, eine kleine Lokal-Prominenz. Von der Düne oder ihrem Sand ist hier so gut wie nichts zu sehen, doch die Anhöhe überrascht mit einem Weg in Kurpark-Breite, der durchaus an die Oberkante einer Steilküste denken lässt und sogar etwas mediterranes Flair ausstrahlt.

Eiche auf dem Gipfelplateau des Mühlberges, Alt-Gatow

Zwischen platten Kronenkiefern stehen herrliche Aussichtsbänke, die den Grunewald in panoramischer Breitseite bieten. Inbegriffen sind der backsteinerne Grunewaldturm, die zerfledderten Horchkuppeln auf dem Teufelsberg und zu ihren Füßen das Restaurant-Schiff Alte Liebe, seit einem Neuanstrich noch weißer als zuvor. Im Süden reicht der Blick in die jüngste Vergangenheit, zu den Plattenbauten von Pichelsberg und dem hohen Funkmast an der Heerstraße. Und direkt zu den Füßen wird die Havel nun minütlich weißer, denn jeder, der ein Boot mit einem Segel hat, will heute diesen Tag ausnutzen. Ein eleganter Zweimaster macht sich auf den Weg nach Spandau und wird später dann zum zuverlässigen Begleiter. Direkt neben uns setzt sich eine Amsel in die kräftige Gabel einer Kiefer und zwitschert präzise Richtung Teufelsberg – als wollte sie die rundlichen Überbleibsel des Kalten Krieges verjuxen.

Rückseite der Windmühle, Alt-Gatow

Nach dem letzten Steg beginnen die grünen Wege. Fast immer dabei ist eine ausgeprägte Geländekante, die das Haveltal als solches betont. Häufig besteht die Wahl zwischen einem ufernahen Spazierweg und einem Radweg, jeweils reizvoll zu gehen. Zwischen beiden wurde auf dem Pless’schen Gelände eine Streuobstwiese angelegt. Direkt benachbart liegt die Villa Lemm und besteht auf ihr ganz persönliches Stück Ufer. Die gesamte Anlage ist sehr mondän und beschreibt anschaulich die Bedeutung des Wortes „konsequent“, auch bekannt als „wenn schon, denn schon“. Drum herum schmiegen sich schon die Ausläufer von Alt-Gatow.

Alt-Gatow

Im Ortsbereich muss also ab dem lemm’schen Fingerzeig das Havelufer verlassen werden, was davor bewahrt, an einer liebenswerten Mischung dörflicher Elemente versehentlich vorbeizulaufen. Obwohl sich der Durchgangsverkehr weiter westlich auf der Bundesstraße 2 abspielt, ist auch hier einiges los. Da heute nicht nur für Segelboote ein guter erster Tag ist, sondern auch für Motorräder, sind einige wohlklingende als auch lärmige Aggregate zu hören.

Gutshof Gatow

Bereits nach wenigen Minuten bietet sich als Gegenentwurf der Kirchhof rund um die Dorfkirche an, der genau so auch auf irgendeiner Ostsee-Insel liegen könnte. Sofort ist es stiller, und sowohl der Duft als auch die Optik versetzen den Besucher in ein entlegenes Dörfchen. Etwas die Straße hinter beginnt ein winziger Pfad hinauf zum Mühlenberg, der nun die Düne von vorhin fürs Auge nachholt. Ein sandiges Wegenetz mit klobigen Holzgeländern führt hoch zum weiten Plateau, das von vielfältigem Trockenrasen bedeckt ist. Weiterhin steht hier eine einzelne Eiche, eine Mühle hingegen nicht.

Gärtnerei-Café, Alt-Gatow

In der Eiche tummeln sich ein buntgekleideter Vater und eine ganze Horde gleichfalls bunter Kinder, die rein rechnerisch nicht alle die eigenen sein können. Die Eiche ist noch nicht sehr alt. Da sie jedoch der einzige Baum hier oben ist, hat sie eine ausufernde Krone aufgespannt und streckt die meisten Äste gerade und weit vom Stamm. Mit sichtlicher Freude turnt der Vater behende und elastisch wie ein Artist durchs Astwerk, das teils erheblich nachgibt. Das Beherzte und die Freude übertragen sich ohne Umweg auf die Kinder, die überhaupt nicht angefeuert, ermutigt oder gebändigt werden müssen. Als der Vater in drei Schwüngen die nachgiebigen und elastischen Außenäste zum Boden hin verlässt, dauert es nicht mehr als anderthalb Minuten, bis alle Kinder wohlbehalten unten sind. Plaudernd trollen sie sich, wahrscheinlich zum gemeinsamen Kakaotrinken. Und haben was Schönes zu erzählen am nächsten Schultag.

Grunewaldturm gegenüber

Eine hochgewachsene Allee begleitet den Abstieg und liefert schließlich noch die Mühle nach zum Berg. Die ist nicht mehr die originale, vielmehr eine Zugezogene aus der Prignitz, und scheint sich gut eingelebt zu haben. Aus den Schildern vor Ort geht hingegen hervor, dass die heutige Mühle fast nur aus fachgerecht konstruierten Neuteilen besteht und mit Lottogeldern finanziert wurde. Wie auch immer, fest steht, dass die Mühle namens Regine wunderschön ist, über ein markantes Dach verfügt und hier einen passenden Standort gefunden hat, an dem sich bestens Feste feiern lassen.

Das gilt auch für den Gutshof Gatow einen halben Wiesenhang tiefer. Hier steht der zur Mühle passende Holzbackofen. Die alten Gebäude rund um den gepflasterten Hof atmen Atmosphäre und schaffen einen einladenden Ort zum Verweilen. Im Hofladen mit Café ist ein kleines Fest im Gange, und zwischen den Beinen der Tanten, Opas und Familienfreunde tummeln sich Kinder mit Kränzen im Haar, geflochten aus den Butterblumen vom erwähnten Wiesenhang. Nicht nur der Hof bezaubert, auch im Café geht es höchst gemütlich zu. Kräftige und grob behauene Holzbalken liegen frei, und in der Raummitte steht groß ein zylindrischer Ofen, dem viel zuzutrauen ist.

Nasses Havelufer an der Laubenkolonie

Wem es hier vielleicht zu voll ist und zu trubelig, der braucht nur eine Pforte weiter zu gehen. In einer kleinen Gärtnerei gibt es unter freiem Himmel und auch drin im alten Wachshaus ein Café, ganz genauso gemütlich wie nebenan und doch völlig anders. Zwei Räume gibt es, in denen man herrlich versacken kann. Dazu tragen neben den kulinarischen Möglichkeiten zwei fähige Öfen, zahllose Zeitschriften und Bücher sowie einige Sessel bei, die einen nicht so leicht loslassen werden, wenn man erstmal drinsitzt. Beiden Orten gemeinsam ist die freundliche Atmosphäre, die das Personal ausstrahlt. Wenn man fünf Minuten später wieder dem Havelufer folgt, wird man gern zurückdenken an Alt-Gatow und sich schon freuen aufs nächste Mal.

Nach etwas Straße biegt schon bald ein Weg ab, der vorbeiführt an Obstwiesen und zaghaft daran erinnert, dass die Zeit der Obstbaumblüte läuft. Am Uferweg ist einiges gemacht worden, Pflasterungen und auch viele neue Bänke. Von den zahlreichen Badebuchten fällt der Blick immer wieder auf den Grunewaldturm, der die ganze Zeit schon sichtbar war und jetzt direkt gegenüber aus den Wipfeln ragt, wie ein vergessener Spargel. Unter ihm schippern weiße Dampfer durchs klare Havelwasser und geben eine Vorausschau auf die nähere Zukunft.

Streuobstwiese unterhalb des Gutshauses, Gutspark Neukladow

Am Ende der Wiesen beginnt nun wieder eine Laubenkolonie, die erneut an Zille denken lässt. Schlicht sind die Lauben, winzig und sehr pittoresk, die meisten mit direktem Wasserblick. Die Kante zur Havel ist hier so niedrig und unmittelbar, dass der beharrliche Wind der letzten Tage den Weg immer wieder mit Wogenwasser überspült. Auch ein Bild, das eher an ein norddeutsches Inselufer denken lässt und die Urlaubswirkung dieses Tages noch verstärkt. Nicht zu verachten ist in dieser Hinsicht auch, dass sich die Sonne immer wieder zeigt, den Himmel zeitweise bis zur Bläue leergeräumt hat. Jetzt ziehen neue Wolken auf und es scheint gut, das Ziel in Griffweite zu haben.

Im Gutspark Neukladow

Gutspark Neukladow

Nach den Lauben übernimmt nochmal die üppige Natur zwischen Hang und Uferkante, bevor der Gutspark Neukladow beginnt. Mit vergleichbarer Sogkraft werben ein flacher Weg am breiten Wiesengrund und der ansteigende Pfad über den laubbestandenen Parkhügel um den Vorrang der Schritte, ein stiller Wettbewerber ist mit dem Reiz des weiten Wassers die Fortsetzung des Uferweges. Auch wer den Hügel umrundet, kommt nicht um die sanfte Steigung herum, die schließlich herrschaftlich am Gutshaus Neukladow endet, einem überschaubar großen Anwesen in schönster Aussichtslage. Um von hier wieder auf Havelniveau zu gelangen, steht eine erfahrene Treppe bereit, die zu einer Uferwiese voller jugendlicher Obstgehölze führt. Der gediegene Weg entlang dieser Wiese endet schließlich an einer Mauer. Der Bogen darin, vor dem sich lange Menschen beim Durchschreiten etwas verneigen müssen, überführt in eine baumschattige Straße und schließlich zur alten Allee, die direkt vom Gutshaus her nach Alt-Kladow führt. Wem das als Abschluss zu direkt ist, der kann vorher noch rechts in eine trockene Rasenkule voller Pfade abbiegen und oben die belebte Ortsmitte von Kladow mitnehmen.

Kladow

Spätestens von der Kirche führen alle Weg hinab zum Hafen, wo jede Stunde ein riesiges vollverglastes Fährboot anlegt, mit reichlich Platz für Bollerwagen voller Kinder und knapp zweihundert Fahrräder, Passagiere auch. Berechtigt ist jegliches Bedauern, dass diese ausgedehnte Passage aufgrund knochentrockener und rationaler Argumente seit einigen Jahren nicht mehr mit frischer Seeluft und Wind um die Nase einhergeht. Der Ausflugsdampfer zum wohl zweitromantischsten Normaltarif der Stadt ist zum praktischen Wasserbus geworden. Auf der anderen Seite ist es schön, dass die regelmäßige Verbindung überhaupt noch besteht, und rausgucken lässt sich nach wie vor bestens. Den Rest muss die Phantasie ausgleichen, vorher und danach beim windzerzausten Stehen an der Hafenkante.

Wenn die Fähre gerade weg ist – Biergarten am Hafen, Kladow

Jede erwartete Fähre zeigt sich erst ganz zuletzt, da fast die gesamte Route von der Vogel-Insel Imchen verdeckt wird, die schützend vor dem Kladower Hafen liegt und wirklich Imchen heißt. Scheinbar ebenso lang wie die zwanzigminütige Überfahrt dauert wohl das Aus- und Einsteigen an beiden Häfen, so dass es rein rechnerisch eigentlich kaum möglich ist, dass nur ein einziges Schiff die Linie F 10 bedient. Der Zeitplan stark auf Knirsch gestrickt ist. Doch es funktioniert.

Auf halbem Weg nach Wannsee gesellt sich von den Potsdamer Havelgewässern kommend der historische Dampfer Rheinland hinzu, lässt der Fähre als Linienverkehr aber Vorfahrt beim Einlaufen. Gebaut wurde er an den klaren Gewässern bei Rüdersdorf. Wie das Schiff zu seinem Namen kam, bleibt im Bereich der Spekulation. Die Optik des 80 Jahre alten Pottes lässt Kenner der alten Fähre noch einmal wehmütig seufzen, doch das ist bei der ersten Brise kurz nach dem Aussteigen rasch wieder vergessen.

Wannsee-Fähre mit MS Rheinland backbord

Wie der Tegeler See ist auch der Wannsee eine ausgeprägte Bucht der Havel, und so liegen zwischen Hafen und Bahnhof ein paar Höhenmeter. Wer sich oben noch einmal umdreht und zurück aufs Wasser schaut, möchte den Tag vielleicht noch etwas verlängern. Eine gute Möglichkeit dafür ist der große Biergarten gleich gegenüber, der weitere Höhenmeter einfordert und direkt auf ein großzügiges Aussichtsplateau führt. Hat man oben einen schönen Platz gefunden und sich mit dem Nötigsten versorgt, liegt beim Blick auf die urige Almhütte oder die glitzernde Wasserfläche der Gedanke mehr als fern, dass in nächster Zukunft ein AB-Fahrschein irgendeine Rolle spielen könnte.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der U-Bahn bis Neu-Westend

Anfahrt Pkw (von Berlin): nicht praktikabel

Länge der Tour: ca. 17,5 km

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Informationen über Neu-Westend

Informationen über die Murellenschlucht

20 grüne Hauptwege Berlin

Bericht über die Haveldüne

Hannes Café in Alt-Gatow

Gutshof Gatow

Gutspark Neukladow

Einkehr:
Imbiss an der Heerstraße auf dem Pichelswerder, mit Biergarten
Hannes Café, Alt-Gatow (nur Wochenende)
Dorfkrug Alt-Kladow, Kladow ggbr. der Kirche
Biergarten am Hafen Kladow
Biergarten und Restaurant Loretta am Hafen Wannsee

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