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Suchende Augen, offene Ohren und der Wegeticker

Kurz in eigener Sache: seit einigen Tagen gibt es einen neuen Menüpunkt – den Wegeticker. Kurzgefasst zu lesen stehen dort Neuigkeiten und Wissenswertes, was das Unterwegssein im Land Brandenburg betrifft. Manches wurde selbst am Wegesrand entdeckt, anderes war aus Presseverteilern, Zeitungen oder von sonstigen vertrauenswürdigen Medien zu erfahren.

Dabei spielen die Phänomene der Jahreszeiten, bestimmte Orte und Ausflugsziele eine Rolle, gleichermaßen Neues und Vergangenes, Sehenswertes und Erfreuliches. Und natürlich alles, was schöne Wege betrifft.

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Storkow: Erstarrte Seen, die Burg im Schilf und die meeresfernen Salzwiesen

Das schönste Geschenk des Februars ist Jahr für Jahr dieser befreiende Moment, wenn man merkt, dass die Tage wieder spürbar länger sind. Immer mehr Stunden erobern sich ihren Raum zwischen den Dämmerungen. Die längere Lichtausbeute verlockt zu ersten Gedanken an Frühlingsnähe, ganz unabhängig von Kälte, Schornsteinluft oder weißen Landschaften. Letztere gibt es nur manchmal, doch fast immer ist der Februar der Monat der Winterferien. Wer Zeit und Geld übrig hat und etwas Reiselaune nach dem langen Januar, nutzt die Zeit für eine Abwechslung in naher oder weiterer Ferne.

Altstadt von Storkow

Ist Kälte gefragt und schnelle Bewegung auf ganz besonders edlem Schnee, fliegt man vielleicht nach Colorado und erfüllt sich dort einen liegengebliebenen Jungstraum, bevor anderes wichtiger wird oder das eigene Gebälk zu steif. Wer mehr auf Wärme aus ist und irgendwo auf dem indischen Subkontinent vor Jahren seine dritte Heimat finden durfte, gibt sich vielleicht dort einem gänzlich anderen Leben hin und genießt den Menschen, der er dort und nur dort ist. Und wieder andere, die Verkehrsmitteln ohne direkten Bodenkontakt gern aus dem Weg gehen, setzen sich auf die Bahn oder hinters Lenkrad und probieren den europäischen Winter in einem Land mit anderer Sprache, anderem Geld und ganz eigenen Landschaften aus.

Nicht minder reizvoll ist die Option, keine halben und ganzen Urlaubstage auf den Ortswechsel zu verwenden, sondern einfach in der Nähe zu bleiben und mal wieder dorthin zu fahren, wo man noch nie oder schon lange nicht mehr war. Über dem Norden Deutschlands und auch über Brandenburg wurde hier und da ein Kissen ausgeschüttelt, sodass die Landschaft überpudert ist – zu mehr hat sich der weiße Winter bislang nicht hinreißen lassen. Alle Fortbewegung ist daher gut und frei von Spezialtechnik möglich, sei es auf zwei Rädern oder eben zu Fuß. Sonnige Tage wechseln sich mit wolkenverhangenen ab, sodass die Chance auf die schönen und dunstigen Lichtstimmungen des Monats eine attraktive Quote hält.

Die Zugbrücke am Storkower Kanal

Nicht entlegen und gern ein wenig unterschätzt ist das Städtchen Storkow, das mit der Vielfalt seiner Umgebung immer wieder überrascht. Die Stadt im Zeichen des Storches liegt in loser Nachbarschaft zu Neu Boston und Philadelphia. Wem das nicht hilft, um Bilder im Kopf aufzurufen, der denkt vielleicht an die einprägsame Zugbrücke am Rand der Altstadt oder die Burg, die sich oft markante Sonderausstellungen an Land zieht. Vor einigen Jahren ging es dabei um die Puhdys, die ewigen Rockrentner, jetzt gerade heißt das Motto „Drauf geschissen!“. Gar nicht eklig, vielmehr mit guten Prisen von Humor und höchst informativ geht es um das stille Örtchen, mit dem ja jeder Mensch ganz unmittelbar und besonders regelmäßig zu tun hat.

Die Zugbrücke führt über den Storkower Kanal, und ihr Verhältnis zum Marktplatz kann im Gedächtnis leicht zu Verwechslungen mit Zehdenick führen. Doch während Zehdenick eher nördlich liegt und von der Havel und einigen Stichteichen umspielt wird, besetzen rund um Storkow große und noch größere Seen die Hauptrolle. Für noch mehr Wasserreichtum sorgen neben dem Storkower Kanal weite Luchwiesen und alles zusammen dafür, dass hier ein beständiges Kommen und Gehen von Zugvögeln hör- und sichtbar ist.

Storkower Kanal

Von Storkow aus lässt sich hervorragend in alle Richtungen ausschwärmen. Gleich um die Ecke erhebt sich eine der größten Brandenburger Binnendünen, weiter im Nordosten liegen die hügeligen Wälder rund um den Zwei-Seen-Ort Kolpin, die bald schon fließend in die Rauener Berge übergehen. Im Südosten bietet sich als schöner Klassiker die Umrundung des Storkower Sees mit seinen gemütlichen Dörfchen und dem schönen Plankenweg im Süden an, die bei Belieben zu einer Stippvisite zum Scharmützelsee in Wendisch Rietz ausgedehnt werden kann. Westlich der Stadt streckt sich die Groß Schauener Seenkette, geschmiedet aus fünf bis sechs teils dickbauchigen Seen, und im nördlichen Westen liegen schöne Dörfer wie Alt Stahnsdorf, Kummersdorf und Wolzig, die durch allerlei Wasseradern verbunden sind. Wem das alles zu groß ist, dem empfiehlt sich eine schöne Runde um die Stadt, die in steter Tuchfühlung zum Wasser bleibt und eine unterhaltsame Vielfalt an den Tag legt.

Rastbänkchen am Treidelweg, Storkower Kanal

Storkow

Rund um die Zugbrücke herrscht den meisten Teil des Jahres ein gewisses Getummel von Stadtbesuchern und Freizeitkapitänen, von Anglern und Stadtjugend. Wenn weniger Betrieb ist und gerade keine Schleusenzeit, liegt auch schon mal eine gut gebaute Miez flächig auf dem Brückenfundament, dermaßen langgestreckt, wie es nur in der allergrößten Nachmittagsfaulheit möglich ist. Heute ist es frostig und weder Miez noch Mensch weit und breit außer einem kariert-wattierten Angler mit breiten Schultern und hochstehender Wollmütze. Gegenüber reckt sich ein Baukran in den Himmel, der irgendwie zu groß scheint für diese Stadt.

Philadelphia am Storkower Kanal

Der Treidelweg entlang des Storkower Kanals beginnt als Sträßchen, geht dann in breite Uferwiese über und ist nach dem letzten Haus nur noch ein Trampelpfad an der Grenze zur Erkennbarkeit. In gewissen Abständen stehen zusammengenagelte, stabile Bänkchen und stärken die Hoffnung, dass sich der Pfad fortsetzt. Nach beiden Seiten kann der Blick weit ausschwärmen. Während von weither Kraniche zu hören sind, von oben hin und wieder Gänse, stehen tief in den Wiesen als Wintervertretung des Storkower Wappenvogels weiße Reiher, die uns nahe heranlassen, bis sie dann doch das Weite suchen. Kurz vorm Waldrand bei den Türkenbergen fließt von rechts ein Entwässerungsgraben zu und verhilft der hiesigen Bank zu einer Halbinsellage, die ungemein einladend ist für eine Rast. Dahinter geht es weiter über saftige Wiesen, voraus überspannt den Kanal eine kleine Eisenbahnbrücke, über die jede Stunde ein Züglein in Richtung Storkow saust.

Weg nach Groß Schauen

Philadelphia

Nach dem wilden Queren der eingleisigen und schnurgeraden Bahnstrecke kommt hinter dichtem Nadelwald ein markantes Haus am Rand von Philadelphia in Sicht, halb Schloss, halb Werksgebäude. Wer gern Maschinenöl riecht, große Antriebsräder schätzt und solide Aggregate, deren Zündungen man problemlos mitzählen kann, kennt den Namen Philadelphia vielleicht vom Treckertreffen, das bis vor Kurzem alle zwei Jahre stattfand und eines der bekannteren war im Ackerlande Brandenburg.

Blick über die vereiste Groß Schauener Seenkette

Vom Dorfrand verlockt ein schöner Treidelweg weiter entlang des Kanalufers, doch wir schlagen unsere Haken durchs Dorf, vorbei an einem Teich und der alten Eiche, dann entlang eines Scheunenviertelchens und der schönen Badewiese am Dorfteich. Jenseits der Landstraße räkelt sich ein uriger Feldweg zwischen den Feldern, begleitet von alten und teilweise grotesk geborstenen Weiden, die nur einen Meter höher voller Leben stecken. Rechts auf dem Acker stehen so nah wie nie zwei Kraniche und machen nochmals klar, wie groß diese stimmstarken Flugsaurier wirklich sind. Für diese und jenen durchaus auf Augenhöhe.

Groß Schauen

Noch vor Groß Schauen steht am kleinen Badestrand die zweite Rastbank dieses Tages, unschlagbar in Lage und Aussicht. Über mehr als fünf Kilometer Seenfläche schaut man auf die bewaldeten Höhen bei Kehrigk und scheinbar noch viel weiter. Der Dunst des Wintertages betont wirksam jede der Entfernungsebenen. Der See liegt absolut still, die obersten Millimeter sind erstarrt, scheinbar über die gesamte Fläche. Auch das schattenschwarze Uferschilf ist frostfixiert und strebt in seiner Unbewegtheit nach einem möglichst scharfen Spiegelbild im stumpfen Eis. Die Sonne bricht fahl und unsicher durch die Wolkenberge und tut das ihrige.

In Groß Schauen

Vom großen Parkplatz berührt der Blick zum inneren Anger mehrere schwarzweiße Fachwerkwände, die in gleichmäßigen Abständen ausgelegt sind wie eine Spur Grimmscher Brotkrumen, und bereitet schon auf die besondere Anmut des eigentlichen Angers vor. Vom Feuerwehrturm vorbei am Buswartehäuschen und dem Haus mit den Milchkannen steht man schließlich am Dorfplatz, auf den das Wort gemütlich unbedingt zutrifft. Der Kirchturm sitzt nicht auf dem Dach der Kirche, sondern hockt schützend vor ihr. Stämmig und mit seinen langen braunen Holzlatten scheinbar wärmend.

Rund um den Platz mit den lose verstreuten, hohen Bäumen schlingt sich in einem Öhr die Straße, kunstvoll gepflastert aus historisch wirkenden, über Epochen rundgeschliffenen Ziegelsteinen. Von der Altarseite besehen wirkt die kleine Fachwerkkirche höher als erwartet, und auf ihrer sonnenbeschienenen Südseite steht eine Bank, die wie geschaffen ist für längeres Verweilen an einem kühlen Tag wie heute. Der sich zum Teil anfühlt wie Vorvorfrühling, doch auch wie unentschlossen gereifter Winter.

Dorfanger von Groß Schauen

Überall im Dorf gibt es Rastbänke, überdachte Raufen und Pavillons. Von einem dieser Plätze zweigt der Schaplower Weg ab und führt bald als ruhiger Radweg über die Wiesen und durch feuchtes Land. Die charaktervollen Kopfweiden stehen in vollem Saft, die jüngsten Ruten schreien ihr Gelbgrün regelrecht hinaus, selbst aus großer Entfernung ist das zu vernehmen. Hinter einem Wäldchen öffnen sich dann die großen Salzwiesen und geben den Blick auf Storkow frei. Nur ein einziger Baum mit hoher Krone unterbricht diese Fläche, doch nicht nennenswert, eher wie ein Schönheitsfleck in einem barock geschminkten Frauenanlitz.

Radweg hinter Groß Schauen

Auf einem Schild lesen wir, dass auch hier die Sielmann-Stiftung ihre bewahrenden Finger im Spiel hat, wie schon vor Kurzem unweit von Luckau. Unerwartet verhilft ein kleiner Aussichtsturm zum längst herbeigewünschten Blick auf die Groß Schauener Seen und auch auf die klitschnassen Wiesen in der breiten Uferzone. In der Tat handelt es sich hier um Salzwiesen, die man ansonsten eher am Rand des Wattenmeers erwarten würde – im Binnenland hingegen sind sie eine wirkliche Rarität. Das Meer, das sich hier einmal befand, schickt seine Jahrmillionen alten Botschaften nur an wenigen Stellen an die Oberfläche. Eine davon liegt hier bei Storkow und sorgt für salziges Grundwasser, damit verbunden für ein halbwegs kurioses Vorkommen von Pflanzen, die es salzig lieben und fast allesamt ein „Strand-“ im Namen tragen. Nun wird auch klar, warum bereits seit Philadelphia ein Salzweg unsere Schritte begleitet und uns noch weiter treu bleibt, bis hinein nach Storkow.

Bei all der Nässe rundherum wird der Weg jetzt mehr und mehr zum Damm, den keiner verlassen sollte, der gern trockene Füße hat. Rechts reicht der Schilfgürtel bis hin zum See, links des Dammes läuft ein vereister Graben mit und betont, dass die Salzwiesen nasser sind, als sie aussehen. Mitten in der grünen Weite sitzt ein Adler auf einem dieser Masten mit aufgenageltem Querholz, nimmt das Verharren unserer Blicke zur Kenntnis und verlässt mit leichtem Unwillen seine erhabene Position.

Blick vom Aussichtsturm bei den Marstallwiesen

Storkow

Nach einer eigenartigen Reihenhaussiedlung und dem Queren der Bahn flankiert der schwarzerdige Weg einen weiten Schilfteppich, hinter dem sich wirkungsvoll die Storkower Burganlage in Szene setzt. Nach etwas Zickzack durch die Wohnvorstadt ist es nicht mehr weit zur zweiten großen Küstenlinie dieses Tages. Vorbei an einer großzügigen Schulanlage geht es direkt zum schönen Strand, der die Lernmotivation im Klassenzimmer an wonnigen Sommertagen zu einem zähen Kampf machen dürfte. Das Objekt der Begierde, der Storkower See, ist ganz allein ein ähnliches Kaliber wie die ganze Seenkette von vorhin. Zwischen seinen Ufern liegt mehr als ein Kilometer, auch dieser lückenlos vereist.

Dammweg zwischen Salzwiesen und Schilfgürtel

Am flachen Strand gewinnen die Eishopser gut eingepackter Kinder gerade an Wagemut, währenddessen die rund einen Zentner schwereren Elternteile vorsorglich auf Sand und Wiese bleiben, auch wenn im flachen Wasser im Falle eines Bruches allenfalls die Sohle nass werden dürfte. An der nächsten kleinen Badebucht haben sich zwei Mädchen auf ihre Schlittschuhe gewagt und versuchen kichernd, gezieltes Vorwärtskommen, ständiges Umfallen und Touchscreen-Bedienen mit Handschuhen unter eine Wollmütze zu bekommen.

Vor einem neu gebauten Haus mit Graubetonung, direktem Seeblick und wenig Platz für Garten kommt etwas unsicher ein junges Pärchen vor zur Promenade, im Blick und über dem Kopf scheinbar die Frage, ob es wirklich das war, was sie mit der Erbschaft oder dem Lottogewinn machen wollten. Von links kommt ebenfalls zögerlich eine Frau mit ihrem glattgescheckten Lumpi, der uns mit seitlich gedrehtem Kopf fixiert auf unserer Bank, fast unbewegt und bald eine geschlagene Minute lang. Dann wird spontan für Weitergehen entschieden.

Blick über Schilf auf die Burg, Storkow

Die letzten Meter in die Stadt führt ein gut gelaunter Spazierpfad, vorbei an einer Festwiese mit Feuerplatz, der Lagerfeuer fast jeder Größenordnung wegstecken kann. Gleich danach stößt von rechts ein Seitenkanal hinzu, an dessen Rand ein kleiner Ruderboothafen schlummert. Auch hinter der Hauptstraße bleibt ein Weg am kleinen Kanal, auf dem unter anderem ein Flößer unterwegs ist, vor allem aber eine ganze Horde lebhafter Enten in freitäglicher Feierabendlaune.

Auf den Straßen der Altstadt kann man für die letzten Minuten noch mal einen Gang runterschalten, kleine Gassen erkunden und nach Belieben über den Markt schlendern, der umgeben ist von schönen und bunten Fassaden. Dem offenen Platz mit den großen Bäumen und einem guten Dutzend einladender Schattenbänke fehlt leider etwas Gastronomisches – eine Kneipe, ein Café oder ein Bäcker, der Stühle rausstellen könnte in wärmeren Zeiten. Vielleicht wird das ja wieder. Etwas weiter Richtung Zugbrücke gibt es dann das Altstadtcafé mit eigener Terrasse. Zur Zeit ist es drinnen gemütlicher, ganz klar, doch zu wärmeren Zeiten kann man sich hier gut ein Eis rausholen und damit schräg gegenüber vor die Kirche setzen. Dann noch mal rüber, noch ein Eis nachholen und vor der Kirche weiterschlecken. Selbst ein drittes Mal ist kein Problem, das Eis gibt es her.

Abendlicher Marktplatz in Storkow

Von der Zugbrücke fällt der letzte Blick zurück zum Markt, auf dessen Giebeln die untergehende Sonne sitzt, warm und behaglich. Zugleich gehen die Laternen an und zitieren eben dieses Licht, vom Markt bis hin zur Brücke. Die Miez vom Pfeiler liegt wohl hinter irgendeinem Ofen, der karierte Angler ist längst weg und nicht mal eine Ente auf dem spiegelglatten Wasser, so dass die in Laternengold getauchte Brücke nun in absoluter Stille ruht.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der S-Bahn bis Königs-Wusterhausen, dort weiter mit der stündlichen Regionalbahn (ca. 1,25 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über die Autobahn (1-1,25 Std.)

Länge der Tour: ca. 13 km (Abkürzungen möglich); wer das Queren der Bahnstrecke ohne offiziellen Übergang vermeiden will, kann die Alternativstrecke über den nördlichen Salzweg (Luchwiesen südlich des Kanals) nutzen (knapp 12 km, Wegpunkte A-F)

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Tourismusinformationen Storkow

Flyer der Sielmann-Stiftung (PDF)

Sielmanns Naturlandschaft Groß Schauener Seen

Flyer zum Salzweg (PDF)

Informationen zum Salzweg

Einkehr: Zum Fass, Storkow (keine eigene Erfahrung)
Burgstübchen (auf der Burg)(keine eigene Erfahrung)
Pension Storchenklause, Storkow
div. andere Angebote in Storkow

Kiosk am Strand am Storkower See

Görlsdorf: Schwanengeplauder, absolute Stille und der Mond am anderen Ufer

Wie es seit einigen Jahren üblich ist, schleicht sich die erste Frühlingsahnung bereits im ausgehenden Januar dezent in die Gehörgänge, ins tägliche Blickfeld und über die Atemwege auch direkt ins Herz und die Seele – wenn man denn einen gewissen Sinn dafür hat und zudem diesem Prozess keinen Riegel vorschiebt. Das mit dem Riegel dürfte gar nicht so einfach sein, denn es würde viel Weghören, Weggucken und einen effizienten Filter in der Nase erfordern.

Fjordbucht am Schlabendorfer See, bei Wanninchen

Neben dem hoffnungsfrohen Gepiepe der Wintermeisen, die schon immer die allerersten waren, sind hier und da bereits abendliche Amselliedchen zu hören, wenn auch nur zaghaft, wie aus weiter Entfernung. So als stünde das genetisch verordnete Handeln der Schnabelmusik in ständiger Hinterfrage kalendarischer Anzeichen wie Tageslicht und Temperatur. Dazwischen krächzen immer noch die schwarzen Räuber mit den wuchtigen Schnäbeln, doch selbst die wirken verunsichert darüber, ob wirklich noch ihre Zeit ist und so viel Selbstbewusstsein angebracht.

Zu weiterem Zweifel beitragen könnten auch die flächigen Heere der ersten Winterlinge, die ihre gelben Satellitenschüsseln dorthin ausrichten, wo sie die Sonne vermuten. Dazwischen stemmen sich mit blütenweißem Geläute buschige Inseln von Schneeglöckchen aus der schneeplatten Wiese. Ob nun Sing- oder auch Krächzvögel irgendwelche Aufmerksamkeit auf zeitige Blümchen verwenden, ist nicht bekannt, doch vielleicht werden sie ja im Gesamteindruck als Kundschafter des Frühlings wahrgenommen.

Neben den erwähnten Vögeln, die ganz bequem auf Balkongeländern oder Fahrradlenkern sitzen können, sind jetzt im Januar noch immer oder schon wieder solche unterwegs, die eher das Volumen eines Fahrradanhängers ausfüllen würden und sich zumeist in flachem Wasser am wohlsten fühlen. Während Kraniche und Gänse in immer größeren Scharen in den Wasserlandschaften Brandenburgs überwintern, halten es die seltener zu sehenden Singschwäne eher noch mit althergebrachten Reisegepflogenheiten. Von Süden kommend, legen Sie auf dem Weg zu ihren Brutquartieren gern längere Pausen ein, und mit etwas Glück kann man sie im Januar und Februar an der Oder oder, was weniger bekannt ist, auch im südlichen Brandenburg finden.

Nördliche Luckauer Stadtmauer

Der Lauf der Oder ist insbesondere im Bereich des Oderbruchs vom Menschen beeinflusst, was bekanntermaßen ein hohenzollerscher Fritz zu verantworten hatte. Der hob damit in der Mitte des 18. Jahrhunderts und mit den damaligen technischen Mitteln einen komplett neuen Landstrich aus der Taufe und lockte mit gutem Marketing und etwas Trickserei zahlreiche Siedler aus ganz Mitteleuropa auf die neu gewonnene und fruchtbare Krume.

Was das südliche Brandenburg betrifft, legt gut zweihundert Jahre später abermals der Mensch Hand und allerschwerstes Gerät an eine vormals unauffällige Landschaft, einen leicht hügeligen Flickenteppich aus Wäldern, Feldern und Dörfern unweit von Luckau. Unter gut zwanzig Metern Erde lagerte hier großflächig ein Braunkohle-Schatz, der nach und nach gehoben wurde. Die freigelegte Kohle wurde ein paar Städte weiter in Energie umgewandelt. Bitter ist dabei, dass für lediglich fünfzehn Jahre Kohleförderung fünf Dörfer weichen mussten – ein Schicksal, das im gesamten Lausitzer Braunkohle-Revier weit über hundert Dörfer und zehntausende Menschen betraf.

Am Markt in Luckau

Eins dieser Dörfer trug den knuffigen Namen Wanninchen. Ein einziges Haus dieses Ortes steht noch, dicht an der Kante, vor der die riesigen Bagger einst stoppten. Rund um das verwinkelte Gebäude entstand ein Ausflugsziel besonderer Art, das den Namen Wanninchen am Leben hält, gemeinsam mit einem Gedenkfindling gleich nebenan. Dieser geschundenen Landschaft angenommen hat sich die Heinz-Sielmann-Stiftung, was auch für andere Landschafen vor den westlichen Toren Berlins, bei Storkow oder unweit von Rheinsberg gilt. Wenn es beim Namen Sielmann nicht gleich klingeln sollte, tut es das vielleicht bei „Expeditionen ins Tierreich“ – die Sendung des Tierfilmers lief mit ihm bis Anfang der Neunziger Jahre – mehr als 25 Jahre lang – und war eine der ersten ihrer Art. Da schließt sich jetzt ein ganz klein wenig der weit geschlagene Bogen von und zu den Singschwänen, auf die man hier hoffen darf zu gewissen Zeiten.

Das überschaubare Gelände des Natur-Erlebniszentrums ist gleichermaßen spannend für Kinder und Erwachsene und darüber hinaus gut geeignet für eine Wander- oder Radelpause. Auch ein Abendhimmel über der gewaltigen Landschaft des fjordartigen Schlabendorfer Sees lässt sich von einem der Aussichtsplätze in Vollendung genießen. Entlang der gemütlichen Wege finden sich weiche und weniger weiche Tiere, Kräuter-, Nasch und Findlingsgärten sowie ein ausgewachsenes Steinlabyrinth, in das sich auch die Ängstlichsten hineinwagen werden.

Blick auf die Dächer der Luckauer Altstadt

Wer diesen Ort mit gewisser Regelmäßigkeit, doch in größeren Abständen besucht, kann eindrucksvoll das Neuerwachen einer kompletten Landschaft beobachten – oder besser: langzeitbeobachten. Die Flutung des riesigen Sees gilt seit Jahren als abgeschlossen, und die bizarren Formationen des Abraums werden langsam, doch stetig von Pflanzen erobert, die knallhart sind und ihre Ansprüche ganz weit unten ansiedeln. Im ausgedehnten Totalreservat südlich des Sees stehen sie noch relativ vereinzelt, so dass zwischen ihnen viel Platz ist für zahllose Fährten verschiedenster Tiere, die schon mal ihre Reviere abstecken.

Luckau

Es hat einen gewissen Charme, wenn man sich so einem eindrucksvollen Gewässer wie dem Schlabendorfer See mit gewisser Ehrfurcht oder auch Vorfreude nähert. Das gilt für die großen Flüsse wie Elbe und Oder ebenso wie für diese unnahbaren Gewässer vergangener Tagebaue, die durchaus Assoziationen an Skandinavien wecken. In geeigneter Entfernung zum See liegt Görlsdorf, eins von dreien in Brandenburg. Der Weg dorthin führt über das Städtchen Luckau, an dem man keinesfalls vorbeifahren sollte. Rund um die Stadt zieht sich ein hübscher Stadtgraben, der von der Gehrener Berste gespeist und von einladenden Spazierwegen begleitet wird, auf voller Länge und teils beidseitig. Spaziert man dort entlang, sieht es zum Teil nach Spreewald aus, zum Teil schon nach Sachsen.

Gut Görlsdorf

Der Stadtgraben folgt der Stadtmauer, die zum größten Teil erhalten ist und gemeinsam mit den wuchtigen Kirchenschiff und den gemauerten Türmen der Stadt pittoreske Sichtfenster ergibt. Innerhalb der Mauern wetteifern in den Straßen und Gassen Dutzende Fassaden und Giebel darum, wer von ihnen am schönsten oder originellsten ist, insbesondere am verwinkelten Marktplatz. Und draußen vor der Stadt liegt im Süden der Stadtpark, dem man noch immer die gestalterischen Feinheiten der Landesgartenschau ansieht, die jetzt bald zwei Jahrzehnte zurückliegt. Nicht wundern also, wenn der Aufenthalt in Luckau länger ausfällt als geplant.

Kirchlein in Görlsdorf

Görlsdorf

Ein paar Dörfer südlich von Luckau liegt dann Görlsdorf, ein schönes und aufgeräumtes Dorf mit großen Backsteingebäuden, das schon ganz klar nach Lausitz aussieht. Zu sehen gibt es hier einen Schlosspark im Schneewittchenschlummer, in seinem Herzen ein verfallendes Backstein-Schloss, das an ein Forsthaus erinnert. Weiterhin einen Gutshof, der sich an einer schönen Sichtachse ausrichtet und mit edlen Pferden zu tun hat. Vorbei an der kleinen Kirche läuft die gediegene Görlsdorfer Dorfstraße, mit schönen Häusern zu beiden Seiten und Vorgärten in früher Blüte.

Glatt gepflasterte Landstraße nach Beesdau

Am Ende des Dorfes quert die Landstraße nach Beesdau, meisterhaft gepflastert aus den klassischen Steinen von der Größe einer Bauarbeiterfaust. Solche Straßen sind in der Regel alle längst dem Asphalt gewichen. Doch dafür fehlen hier die Argumente, so astrein und glatt sind die Steine verlegt. Vor dem nächsten Haus zweigt links ein schattiger Weg in den Görlsdorfer Wald ab. Der zeigt sich vielfältig – neben alten Eichen gibt es hier dunkle Fichtenwälder und nach der ersten Lichtung sogar einen schönen Lärchenforst, der passend zur Jahreszeit gerade abgedeckt ist.

Wanninchen

Hinterm Wald ist rechts kurz eine Wasserfläche zu ahnen, doch bei der Ahnung bleibt es. Hier und da sind aus der Ferne ein paar Kraniche zu hören, ein paarmal auch Gänse, doch auch dabei bleibt es. Voraus liegt nun das erwähnte letzte Haus von Wanninchen und beherbergt heute das Erlebniszentrum der Sielmann-Naturlandschaft Wanninchen. Gegenüber hockt zwischen weiten Streuobstwiesen ein rustikaler Schafstall, der samt Wiese auch in Märchenfilmen mitwirken könnte. Der Himmel ist gerade bedeckt, doch leicht kann man sich sommerlich herumtollende Lämmchen vorstellen, die unter blühenden Obstbäumen an Butterblumen zupfen, erst spielerisch, dann auf den Geschmack gekommen.

Aussichtsbank am Gedenkstein für Wanninchen

Das Sielmann-Gelände ist an Winter-Wochenenden geschlossen – die Öffnungszeiten sind zwischen dem Zurück- und Vorstellen der Uhren eher auf Schulklassen zugeschnitten. Das ist schade, da wir nicht aufs Gelände können und auch nicht zu den Schildkröten oder auf die Aussichtstürme. Es ist aber auch schön, da wir den berauschenden Blick von der Rastbank beim Gedenkstein und diese ganze riesige Landschaft rundherum exklusiv genießen dürfen. Wie exklusiv es in der Tat ist, merken wir erst, als wir eine Weile sitzen, ein Tässchen Tee geschlürft und fürs erste ausgeplappert haben, schließlich still werden angesichts dieser Dimension, die unbewegt zu unseren Füßen liegt.

Mondlandschaft am jenseitigen Ufer, Wanninchen

Hunderte Vögel sind auf dem See, die ihre Töne machen könnten. Der Wind könnte leise säuseln oder brüllend in die Gehörgänge donnern, denn das kann er gut an diesem See. In den Wipfeln rauschen. Doch nichts ist zu hören, keine fernen Kraniche, nicht eins der wenigen Flugzeuge, die den Korridor am Tag überqueren, auch nicht Herr und Frau Krüger aus Beesdau, die ihre nachmittägliche Ausfahrt auf dem Rad machen, wortlos, doch mit Kiesknirschen unterm Reifen. Es ist absolut still. Dicht dran an dieser Stille, wo man das eigene Blut in den Adern rauschen hört – was eigentlich nur in abgelegensten, halbmetertief verschneiten Winterwäldern geht.

In Faszination erstarrt staunen wir auf den See hinaus, suchen mit dem Fernglas die mannigfaltigen Horizonte ab, um vielleicht die Stelle zu erwischen, wo ein paar rastende Singschwäne im flachen Wasser stehen. Das erste Geräusch in der Stille sind scheinbar weit entfernte klassische Enten, die sich über einen derben Witz zerreißen. Kurz darauf irgendwo ein Kranichpaar. Dann wieder die Stille. Unvermindert eindrucksvoll. Das nächste Schnattern kommt erst nach einer Weile, auch dieses von weit her.

Beobachtungsplattform beim Natur-Erlebniszentrum

Erst nach dem zweiten Tee haken wir den Gedanken noch einmal nach und erinnern uns an eine Reportage, schon lange her, über Singschwäne. Dieses andere Schnattern, das müssen sie gewesen sein. Denn die großen Vögel singen ja nicht immerzu, wenn sie den Schnabel öffnen, sondern pflegen wohl tagsüber auch gemäßigte, normale Unterhaltung. Das Fernglas bringt schließlich die Bestätigung, hart am Rand seiner Reichweite. Sie sind es. Wir haben sie gefunden, ganz hinten in der Bucht, zwei Kilometer weg im Westen. Als greifbare Ahnung.

Man könnte hier noch ewig verharren, den Rücken angenehm gekrümmt, doch ist zum einen noch allerhand Rückweg übrig, zum anderen folgt jetzt eine schöne Passage entlang der noch nicht allzu alten Uferlinie. Genau jetzt kommt die erste Sonne des Tages heraus, verhilft dem See zu etwas Blau und schärft der Mondlandschaft gegenüber die Charakterzüge noch etwas nach. Der Blick reicht ewig weit nach Süden, und gemeinsam mit dem Dunst der Ferne erwacht nun wirklich der Eindruck einer Fjordlandschaft, wie man es schon länger vom Senftenberger See kennt. Mit jedem Rückblick von der kurvigen Straße erschaffen sich neue Gemälde der Naturromantik, gewinnt die Landschaft immer noch an Weite.

Blick über den glatten See nach Schlabendorf

Die scharfen Kontraste unterm klaren Sonnenlicht sind fast etwas irritierend nach einer grauen Woche mit irgendwie verschwommenem Wetter, stetem Griesel und Niesel und unentschlossenen Temperaturen. Es knallt regelrecht. Als wäre der Asphalt des Radweges gestern erst erstarrt, die Nadeln an den Bäumen frisch gewachsen und der gesamte See frisch überlackiert. Denn passend zur großen Stille für die Ohren fällt jetzt jene für die Augen in den Blick – diese große Wasserfläche liegt vollkommen glatt, nicht eine Kräuselung, und man hat den Eindruck, kein Vogeltier würde es wagen, im Flug etwas fallen zu lassen oder auf dem Wasser eine Spur zu provozieren.

Uferschilf am Schlabendorfer See

Es ist fast ein wenig unwirklich, so dass man sich jetzt und hier nicht über ein riesiges Seeungeheuer mit üblem Atem wundern würde, das mit einem Schlag des langen Schweifes den ganzen See zum Wogen bringt. Das könnte schon ein Größeres sein, denn der See ist im Schnitt knapp zehn Meter tief, im Maximum wohl über dreißig. Doch das Spektakel bleibt aus. Der See liegt weiterhin so glatt, dass jeder herausragende Zweig versunkener Bäume eins zu eins gespiegelt wird. Dementsprechend deutlich ist hinter einer winzigen Insel von der Größe eines Spreewaldkahns die Schlabendorfer Kirche klar erkennbar, wohlgemerkt mit Hilfe des Fernglases.

Rad- und Fußweg unweit des Ufers

Jetzt kommen die ersten Menschen ins Spiel, die hier Freizeit und Bewegung genießen, sei es mit Rollen unterm Fuß, Fifi an der Leine oder ganz einfach auf dem Rad, ganz ohne Gegenwind. Jetzt endlich kommen auch Frau und Herr Krüger, die demnach eher Schlabendorf zuzuordnen sind als Beesdau. Und nicht mal knirschen unterm Reifen, sondern lautlos über Asphalt rollen entlang einer jungen Allee. Die Ufer sind nicht mehr kahl, an vielen Stellen hat sich buschiges Schilf angesiedelt und befreit die künstliche Uferkante mehr und mehr von ihrer Sprödigkeit. Am Knick mit Blick auf Schlabendorf steht ein dreikantiger Unterstand, der vor allen Windrichtungen Schutz bieten kann. Gen See auch komfortabel mit Bank, gen Wegkurve informativ mit allerlei Tafeln. Hier treffen sich jetzt fast alle, die gerade unterwegs sind. Der See liegt stahlblau und glatt.

Skandinavische Impression im Osten

Schlabendorf am See

Ein Abstecher nach Schlabendorf ist bei ausreichend Zeit eine Option. Das Dorf, das es länger gibt als Berlin, ist im Rahmen der Wende um ein Haar der Abbaggerung entkommen. Ein hübsches Kirchlein steht dort, und seit einiger Zeit gibt es auch einen kleinen Seglerhafen.

Schutzhütte auf halbem Weg nach Schlabendorf

Wir wollen zur Dämmerstunde noch zum Kranichturm im benachbarten Freesdorf und drehen landeinwärts ab. Schon nach wenigen Minuten ist nichts mehr zu sehen vom großen See und seinen Landschaften, dafür kommt auf der schnurgeraden Straße nach Görlsdorf in einer Baumlücke das Görlsdorfer Kirchlein in Sicht. Das hätte man ihm auf die Entfernung gar nicht zugetraut. Ein tiefergelegter altrosa Golf rast in gewisser Inkonsequenz vorbei – weit schneller als notwendig, doch lange nicht schnell genug, um Interessierte zu beeindrucken. Rechts voraus vom nassen Borcheltsbusch sind jetzt schon die Kraniche zu hören, die man zu Hunderten auch am See hätte haben können, an einem anderen Tag.

Genau dort steht auch der Kranichturm, der bereits an der Landstraße ausgeschrieben war. Von hier lassen sich zur Zeit des Sonnenuntergangs ganze Scharen von Kranichen und Gänsen beschauen, die zunächst auf dem benachbarten Acker den Tag auswerten, dann aufwändig die Verteilung der Schlafplätze diskutieren und schließlich mit noch größerm Theater in die sichere Obhut des großen Moores umziehen. Der Turm bietet dafür einen komfortablen Logenplatz. Wer dazu neigt, in schönen Momenten die Zeit zu vergessen, sollte für den Weg hinab eine Taschenlampe dabei haben oder zumindest noch einen Akku-Balken übrig am drahtlosen Draht in die Welt.

Blick über die Felder nach Görlsdorf

Auf dem Rückweg nach Luckau treffen wir am Straßenrand auf eine Schafherde, ebenfalls sehr groß, doch abendlich verschwiegen. Der Schäfer macht gerade Feierabend und überlässt seine Schäfchen der Gesellschaft einer Handvoll kleiner Schwäne, die weiter hinten auf der Wiese stehen und leise schnattern, auf besondere Art. Ab heute mit Wiedererkennungswert.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): am Wochenende nicht praktikabel, auch in der Woche 2-3,5 Std. (über Lübben und Luckau)

Anfahrt Pkw (von Berlin): 1,5-2 Std. (Autobahn Ausfahrt Duben)

Länge der Tour: ca. 13,5 km, Abkürzungen möglich (wahlweise kann man direkt zum Natur-Erlebniszentrum fahren, Parkplatz für Autos und Fahrräder vorhanden); bitte beachten: fast die ganze Tour verläuft auf harten Belägen, dämpfende Sohlen empfehlen sich

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Luckau

Heinz Sielmann Natur-Erlebniszentrum Wanninchen

Hauptseite der Sielmann-Stiftung

Schlabendorfer See

Kranichturm am Borcheltsbusch

Einkehr:

Landgasthof Zum Auerochsen, Freesdorf
zahlreiche Gastronomie in Luckau

Joachimsthal: Edle Weiden, der blaue Grimnitz und die zugewandte Mühle

Nachdem die letzten Rauchschwaden und Widerhalle der Sylvesternacht verzogen sind, hat sich ein neues Jahr in Gang gesetzt. Nicht behäbig, doch ohne Aufhebens. Ganz normal, fast ohne Lärm und nach einem ersten hoffnungsfrohen Sonnentag mit reichlich Regen. Die Wiesen in Stadt und Land triefen vor Nässe, und würde jetzt der Frost zuschlagen, hätte es niemand weit zur nächsten Eisbahn. Doch jegliche Form von Winterlichkeit lässt bislang auf sich warten. Glaubt man den geballt auftretenden Bauernregeln aus Omas Kalender, könnte jedoch ein Winter eintreffen, der all seine Schönheiten und Querelen bis nah an die Ostertage ausdehnt. Das gab es schon einige Jahre nicht mehr, und so gesehen wäre es statistisch legitim – auch wenn man irgendwann keinen Schnee mehr sehen möchte, schon gar nicht unterm bunt behangenen Osterstrauch.

Mühle und Obstbäume, Althüttendorf

Scheinbar wird ebendas genau in diesen Tagen ausgefochten, als mitteleuropäische Angelegenheit und mit schweren Geschützen. Von Westen kamen Stürme und randalierten in weiten Teilen des Landes, andernorts gab es Wintereinbrüche mit großen Mengen von Schnee. Hier wurde nur alles kräftig durchgepustet, viel mehr passierte nicht. Doch der Kampf blieb nicht verborgen, und als erste Zwischenbilanz ist jetzt die Temperatur von zweistellig auf etwas über Null abgesackt.

Ein weiteres Zwischenergebnis der himmlischen Scharmützel war das Geschenk eines kalten und sonnigen Tages, der mit den scharfgezeichneten und kontrastreichen Farbspielen der Landschaft aufwartet und mit diesem ganz speziellen Licht, das eigentlich nur der Januar kann. Wenn sich die tiefstehende Mittagssonne in windschattig unbewegten Grabenwassern spiegelt und diese wie vereist aussehen lässt, obwohl die Kälte dafür fehlt. Wenn winddurchkämmte, saftig grüne Wiesenpelze oder das braune Buckelfell der Ganzjahreskühe so warm und weich aussehen, dass man die Hand darin vergraben möchte. Und jeder Vogel auf dem Wasser gestochen scharf erkennbar ist, egal wie weit entfernt.

Blick über den Grimnitzsee, Althüttendorf

Joachimsthal

Um in den übersichtlichen Stunden des Tageslichts all das zu versammeln – Grabenwasser und See, Kuh und Wiese, Vogel und Himmelsweite – bieten sich in Brandenburg viele Optionen. Eine davon ist Joachimsthal, eins von diesen Städtchen, das jeden in gewisser Regelmäßigkeit zu sich ruft, der einmal dort gewesen ist. Das liegt zum einen am lieblichen und vielfältigen Ortsbild selbst, verbunden mit dem besonderen Charakter dieses Ortes. Dazu kommt noch die Lage zwischen einem der größeren rundgestaltigen Seen Brandenburgs und dem märchenhaften und breiten Talgrund eines zaghaft strömenden Bächleins, der alles in allem ähnlich groß ist wie der See. Damit ist die Landschaftsvielfalt rund um Joachimsthal bei Weitem nicht erschöpft, denn es gibt in guter Erreichbarkeit noch tiefe, endlose und teils verwunschene Wälder und eine ganze Reihe weiterer Seen, darunter als erstes der kaum vergleichliche Werbellin. All das ist eingebettet ins leicht gewellte, augenschmeichelnde Relief, das der Eiszeitschmirgel einst hinterließ.

Joachimsthal ist stündlich per Bahn zu erreichen, eine hübsche Fahrt, die über Eberswalde führt. Vor Ort ist die erste Leistung des Tages die Entscheidung über die weiteren Stunden. Zwischen halbstündigen und ganztägigen Spaziergängen ist alles möglich, und jedes davon ist irgendwie besonders und besonders schön. Wer es ruhig angehen möchte, reißt sich zunächst vom faszinierenden Blick über den weiten Grimnitzsee los und lässt sich dann vom Bahnhof durch die zählbaren Gassen und Straßen der kleinen Stadt treiben, die auch an der charakteristischen Schinkel-Kirche und dem benachbarten Brunnen vorbeiführen. Quert man dabei unterhalb des Friedhofs den verträumten Grund des Hauptgrabens, trifft man auf die nachdrückliche Einladung zu einer kleinen Runde bis zur ersten Querungsmöglichkeit.

Oberes Ende der Marktstraße, Joachimsthal

Bei Lust auf mehr führen schöne Wege vorbei an der erhaben über der Stadt gelegenen Schule hin zum Aussichtsturm, der mit einem der charmantesten und weithin sichtbarsten Fahrstuhlschächte aufwarten kann, die es so gibt. Von hier begleiten Rastbänke, die für die Ewigkeit gebaut wurden, einen Geopfad bis zum Kaiserbahnhof, der mit seinem nordisch angehauchten Bahnhofsgebäude und dem Gasthaus ein lohnendes Ziel bietet, nicht nur für Hörspielfans oder Bahnreisende. Wer dort noch immer nicht genug hat, kann jenseits der Landstraße dem absteigenden Pfad in den Wald folgen, der bis zur Nordspitze des Werbellin-Sees reicht, wo erneut Entscheidungen sowie ein Blick auf die Uhr anstehen.

Davon abgesehen gibt es in Joachimsthal einen märkischen Klassiker, bei dem man nichts falsch machen kann. Die Umrundung des Grimnitzsees ist an keiner Stelle ein klassischer Uferpfad mit nadligen Wurzelwegen, hält vielmehr auf ganzer Länge Abstand zur Uferlinie. Dennoch bleibt der See fast die ganze Zeit im Blick, insbesondere während der laublosen Jahreszeit, und präsentiert sich mit großem Talent immer wieder aufs Neue, was dank eines winzigen Höhenunterschiedes bereits beim Verlassen des kleinen Zuges beginnt. Einen derart imposanten Seeblick direkt vom Bahnsteig gibt es im Land Brandenburg nur selten.

Pfad hinterm Friedhof, Joachimsthal

Die Tour um den Grimnitzsee ist erstaunlich vielfältig, sowohl was die Widescreen-Landschaftsbilder, aber auch die lokalen Details betrifft. Alle paar Minuten gibt es Abwechslung, in regelmäßigen Abständen etwas zu beschauen oder zu bestaunen.

Die kleine Schleife durchs Städtchen ist am Anfang der Tour ähnlich gut aufgehoben wie an deren Ende, denn sie ist überschaubar und auch mit erschöpften Kraftreserven noch gut zu genießen. Wir heben sie als Sahnehaube auf und spazieren vom Bahnhof direkt der Sonne entgegen. Deren Bahn ist im Winter bestens mit der Seerunde synchronisiert– es wird auf dem gesamten Weg nichts vom kostbaren Licht verschenkt, und der von den dunklen Tagen gebeutelte Vitamin-D-Haushalt triumphiert im Stillen.

Altgrimnitz, kurz vor dem Ufer

Kurz hinterm Bahnhof fällt am leicht erhöht gelegenen Friedhof dasselbe Licht gekonnt durch die bunten Kapell-Fenster und hat wohl schon manchen Ablichter durchs klamme Laub hinauf zum Zaun getrieben, wo sich maschendrahtlos fotografieren lässt. Gleich dahinter läuft der Weg zu einem charmanten Pfad direkt oberhalb des Gleises ein. Am Bahnübergang – von hier sind es übrigens nur zweieinhalb Minuten zum hervorragenden Bäcker an der Hauptstraße – beginnt der Ortsteil Grimnitz, der durchaus als eigenständiges Dorf erscheint, darüber hinaus den Charakter eines Küstendorfes hat, wie es im Süden der Insel Rügen liegen könnte oder sonst irgendwo am Bodden. Überhaupt haben Landschaft und Dörfer im Süden und Osten des Sees viel von der Stimmung, wie man sie an den Boddengewässern der Ostseeküste oder dem Usedomer Achterwasser findet.

Verstärkt wird dieser Eindruck durch das sagenhafte Licht dieses klaren Wintertages, welches dem See zu einem selten gesehenen Blau verhilft und aus dem Kontrast zwischen strohblondem Schilfgras und farbkräftiger Wasserfläche etwas mehr als das Maximum herausholt. Die Blicke reichen weit über den See und die Wälder im Norden und Nordosten, bis hin zu einem riesigen Funkmast, der irgendwo bei Angermünde stehen muss.

Uferpromenade vorbei am Feriendorf, Joachimsthal

Grimnitz

Die gepflasterte Dorfstraße zieht ihren Bogen durch die Dorfmitte, vorbei an der ehemaligen Gaststätte und einer der erwähnten Bänke des Geoparks, die gebaut wurden aus zeitlosem Gestein und kräftigen Bohlen. Nach ein paar Bögen linst der See durch zwischen den Häusern, und anscheinend gibt es hier auch einen kleinen Fischerhafen. Was es auf jeden Fall gibt, ist es ein Ruderboothafen, denn das Ruderboot dürfte das meistgenutzte Fahrzeug sein auf dem motorfreien See.

Am Ende des Dorfes beginnt die eigentliche Uferpromenade, ebenfalls frei von Motorgeräuschen. Dafür ist in den zahlreichen Bungalows der einstigen Ferienanlagen mancher am Heizen, um Behaglichkeit in die Bude zu bekommen. Ansonsten ist hier wenig los, was auch für die meisten Cafés und Gasthäuser gilt, die erst im Frühling wieder erwachen. Zwischen der Promenade und dem Ufer liegt ein schmaler Streifen von Bruchwald, der teilweise mit dem See verbunden ist.

Badestelle beim Feriendorf, Joachimsthal

Am ersten großen Badestrand führt eine Landbrücke durch diesen nassen Streifen. Hier kann man nun im Ufersand stehend und mit dem Kinn auf der Brust durchs glasklare Wasser auf die Sandwellchen darunter schauen, oder den Blick erheben und in die große Weite staunen, hin zum anderen Ufer des breiten Sees, das etwa drei Kilometer entfernt unterm Wolkenschatten liegt. Nach den letzten Häusern beginnt jetzt eine augenentspannende Passage durch hochgewachsenen Buchenwald, derzeit mit goldbraunem Laubteppich und freiem Wasserblick, im Sommer mit wohltuendem Schatten unterm diffusem Licht des Buchengrüns. Durch den Uferwald zieht sich ein schmales Asphaltband, das möglichst reizvoll zwischen den Stämmen hindurchkurvt und ein paar zufließende Rinnsale überquert.

Spazier- und Radweg durch den Uferwald

Als Quittung für den ersten schönen Tag seit langem ist hier einiger Verkehr unterwegs. Von vorn kommt eine buntgewürfelte Wandergruppe, die wahrscheinlich das neue Jahr begrüßt. Vielleicht ist ja Joachimsthal jedes Jahr der feste Ort dafür, jeweils mit einer anderen Tour, denn das ist hier ähnlich unproblematisch wie rund um den Berliner Vorort Woltersdorf. Wenig später überholen wir nach und nach einen leicht zerfaserten Familienverbund, der für jedes der drei Kinder ein Fahrzeug dabei hat, als schlaue Option für viele Fälle und vielseitig kombinierbar. Zuletzt zieht ein Radfahrer mit Daunenweste vorbei, im wiegenden Tritt und offensichtlich mit gutem Vorsatz die vorauseilende Körpermitte betreffend. Der Wald ist mittlerweile gemischter, nach den Bruchwäldern vorhin und dem Buchenwald sind jetzt verschiedenste Nadelbäume untergemischt und sorgen unter der wärmenden Sonne hier und da für ätherische Düfte.

Blick über den Grimnitzsee

Althüttendorf

Am Rand von Althüttendorf folgt nach den pittoresken Häuschen eines Hotels und der Gaststätte bei den Sportplätzen der Austritt in die nächste Landschaft. Auf den saftigen Hügelwiesen des Dorfes stehen vorne Pfützen, weiter hinten warm beschienene Rinderrücken, und ganz weit hinten schon in der Flanke zeigt ein hochbeiniges Pferd seine vollendete Silhouette. Links in der Bucht halten sich zu den meisten Zeiten gern die Silberreiher auf, heute sind sie woanders unterwegs und überlassen das Wasser ganzen Scharen von Gänsen und Enten, die in angeregtem Austausch stehen.

Steig hinauf zum Friedhof, Althüttendorf

Ein Aussichtspunkt der Extraklasse und zugleich eine der schönsten Rundbänke im Land liegt auf dem Friedhofshügel, der zwischen Uferstraße und innerem Dorf so sehr in den Himmel ragt, dass stets nur ein oberes Stück des Kirchturms zu sehen ist, mindestens jedoch die goldene Kugel. Auf dem höchsten Punkt residiert eine dieser wirklich alten Eichen, deren es viele gibt im Land Brandenburg, doch nur wenige haben es geschafft, sich so eindrucksvoll zu positionieren. Über den ganzen See ist sie zu sehen und natürlich auch von der Autobahn. Um den enormen Stamm herum wurde eine solide Rundbank gezimmert, die ausreichend Beinfreiheit lässt, sich wahlweise auch stammwärts zu setzen, quasi wie um einen runden Tisch mit maßlos übertriebener Topfpflanze in der Mitte. Mit etwas Gedrängel sollte eine ganze Schulklasse Platz finden auf dieser Bank, die von jeder Stelle einen schönen Blick bietet.

Eichenbank auf dem höchsten Punkt, Althüttendorf

Am spektakulärsten ist natürlich der Ausblick übers große Wasser, der so ufernah von keiner anderen Stelle möglich ist. Von hier kann das Auge schweifen, weit und schwelgerisch. Zwanzig Meter Höhenunterschied und ein unverbauter Blick lassen sicherlich manche Pause zeitlich ausufern, besonders wenn der See so blau wie heut da unten liegt. Als wäre es noch nicht genug an Schauspiel, jagt jetzt ein blitzend weißer Schwarm von großen Tauben über Landzunge und Bucht, mit imposanten Flugmanövern, deren Sinn schwer nachvollziehbar ist. Ganz oben in den Baumkronen am Ufer hocken stattliche Seeadler, die sich nach dem Zücken des Fernglases als Graureiher entpuppen, die genauso hocken, wie es sonst Adler tun. Unterdessen wurden die Tauben von vier ebenso weißen Möwen abgelöst, die windschnittig aussehen und eher patroullieren als herumflattern.

Von hier oben sehen wir nicht nur den See und alles dahinter, sondern unten auf dem Weg auch den Familienverbund, der mittlerweile zusammengefunden hat und seinem Ziele nah erscheint. Meinungsverschiedenheiten von vorhin sind Schnee von gestern und alles ist fröhliches Geplapper, kein Kopf gesenkt und alle Blicke offen.

Uferplatz in Althüttendorf

Von der Eichenbank ist man rasch unten an der Dorfstraße, die ein ungeheuer beruhigendes Bild abgibt. Das gilt im Rückblick auch für das gesamte Dorf, egal wie weit man schon entfernt ist. Gegenüber der Radfahrerkirche mit ihrem schönen Rastplatz wurde vor einiger Zeit ein kleiner Skulpturenpark angelegt. Die lebensgroßen nordischen Göttinen sitzen auf Findlingen und können mit ihren Blicken fesseln, so dass man sich diesen durchaus bereitwillig und zugleich mit leichtem Rückenschauer stellt. Der hinterlassene Eindruck begleitet den Weg aus dem schönen Dorf, klingt dann noch länger nach.

Noch vorher lohnt der Abstecher nach links zum herrlichen Dorfplatz am Ufer, wo es neben Theaterbühne und Spielplatz auch einen schönen Strand gibt, dazu noch einen wirklich fotogenen Steg und winterbleiches Schilf.

Blick zur Autobahn, Althüttendorf

Die wenigen Autos auf den nächsten Metern stören kaum, da es zum See hin schöne Blicke gibt, auch Richtung Inland bleibt das Auge hängen an großen Gänsescharen und weichen Pferderücken, gekrümmten Wasserläufen und Kopfweiden mit Oberwasser. Gleich hinter der ersten Kurve wird man erneut ausgebremst und muss einfach links abbiegen zum sogenannten Eulenturm mit seinem großzügigen Aussichtsbalkon, der sich insbesondere für Sonnenuntergänge empfiehlt. Oder einfach nur für eine schöne Pause.

Rückblick auf Althüttendorf

Gleich dahinter steht mit der flügellosen Mühle der nächste Blickfang, in dunklem und wettergegerbtem Holz und seit Jahren unbewegt. Ihr Sockel ist umgeben von im Tanz erstarrten Obstbäumen und sollte ein Vermerk für die nächste Wiederkehr im Frühjahr auslösen. Das muss unglaublich aussehen, wenn vor der Kulisse des weiten Grimnitz die Mühle über Blütenkronen steht. Wer übrigens vom letzten Besuch im Kopf hatte, die Bockwindmühle stünde schief, wird das bestätigt sehen – sie tut es wirklich. Als würde sie dem See zu jeder Zeit ein lauschendes Ohr hinhalten, wie ein in sich ruhendes Elternteil, das sein Kind von den allerersten Schultagen berichten hört.

Spätestens hier ist die Autobahn unüberhörbar, und wer den direkten Blickkontakt zum sausenden Blech scheut, kann einen kleinen Extrahaken übers hübsche Neugrimnitz schlagen. Ansonsten ist der urige Weg entlang der Autobahn durch einen Baum- und Heckenstreifen von der schnellen Straße getrennt, und wer den Kilometer mit dem automobilen Rauschen am gestochen scharf bepinselten Wegestein verlässt, wird es um so mehr genießen, wenn die Ruhe des großen Sees mit jedem einzelnen Schritt zurückerobert wird.

Am Fuß des Eulenturms, Althüttendorf

In die breiten Uferwiesen locken immer wieder saftig grüne Wege, doch sind das allesamt Sackgassen, die letztlich mit nassen Füßen enden. Die mit den Hufen sollte das wenig stören, doch obwohl hinten ein frischer Misthaufen dampft, sind hier und heute weder Horn noch Euter zu entdecken. Hinter einer kleinen Anhöhe ist aller Lärm verschluckt. Dass es noch stiller geht, zeigt sich beim Eintritt in den Wald, der von hier bis weit nach Norden reicht, bis fast zur Südspitze der langen Uckerseen. Weiter im Osten geht er jenseits der Autobahn in den Grumsiner Forst über, der es mit seinem alten und weitgehend geschlossenen Buchenbestand zu gewisser Bekanntheit gebracht hat.

Diagonal gegenüber zu vorhin treffen wir jetzt hier auf eine weitere bunt gemischte Wandergruppe, deren Teilnehmer so euphorisch oder auch sportlich bei der Sache sind, dass sie uns fast umrennen. Auch dieser fein gemischte Wald gestattet Durchblicke aufs Wasser, jetzt im Winter. Schon seit dem Abzweig nach Neugrimnitz verkünden übrigens Schilder, viele Schilder, dass es bald etwas Heißes zu trinken oder etwas Warmes zu essen geben könnte. Das Leistenhaus hat einen ganzen Lattenzaun zerlegt und einige Farbe verstrichen, damit niemand dran vorbeiläuft. Das wäre durchaus willkommen, zumal die Sonne im Januar schon etwas länger bleibt und das Ende der Runde vor dem des Tageslichts gut zu erreichen ist. Doch kurz vor dem Ziel steht nicht ganz eindeutig zu lesen, dass hier erst ab April wieder der Kochlöffel geschwungen wird. Ein Anruf bringt Gewissheit – wir haben die Winterpause erwischt. Zum gemütlichen und schön gelegenen Leistenhaus gehört übrigens auch ein Badestrand mit direktem Blick auf Joachimsthal – beim nächsten Mal, im Sommer.

Flügellose Mühle, Althüttendorf

Gasthaus Leistenhaus

Als guter Trost steht hier ein schöner Rastplatz mit weitem Blick nach Nordwesten, der bis Templin zu reichen scheint. Während der Tee aus den Tassen dampft, findet der gesamte Verkehr der späten Mittagszeit statt, wenn nicht des Tages. Erst kommt das gelbe Auto und bringt Neuestes zum winterruhenden Leistenhaus, gleich danach kurbelt im ruhigen Tritt ein Herr mit Hut auf dem ausgeborgten Damenrad vorbei und wirft uns ein selten verschmitztes Lächeln zu – als hätt er uns bei einer Schlingelei ertappt. Kurz darauf kommt der gelbe Wagen zurück und überholt den Verschmitzten vermutlich genau dort, wo jetzt Muttis Junge mit dem Moped langsemmelt, hart am Rand der möglichen Drehzahl des geschundenen Zweitakterchens. Und im Wald verschwindet, hoffentlich wissend, dass der Belag von hart auf Waldboden wechselt und alle übrige Traktion im eingemischten Schotter liegt. Doch das Heulen endet nicht abrupt, sondern entfernt sich gleichmäßig. Alles gut, kein Auaweh.

Die Straße zum Weiler Leistenhaus zieht oberhalb eines sanften Hangs entlang, unten beginnt jetzt der Grimnitzsee zu glänzen. Dazwischen weiden Pferde, die von Zeit zu Zeit wild umherjagen. Vor den ersten Häusern quert der einzige Abfluss des großen runden Sees und tritt munter sprudelnd seinen Weg durch feuchte Wälder an. Er gilt als einer der Ursprünge des Flüsschens Welse, das sich auf fünfzig Kilometern zum direkten Zufluss der großen Oder mausert. Auf dem Weg dahin nimmt die Welse noch den tief eingesenkten Wolletzsee und die Teiche der Blumberger Mühle mit, tritt dahinter aus dem Wald und sorgte über die Zeiten für ein ausgedehntes Bruch, das ihren Namen trägt. Bei Schwedt nutzt die herangewachsene Welse schließlich ein Kanalwasser und mündet südlich von Gartz mit beachtlicher Breite in die Oder.

Blick über die Wiesen auf den See

Leistenhaus

Hier am Grimnitzufer ist sie noch keinen Meter breit, doch immerhin. Hinter den Häusern, die alle rechts der Straße stehen und damit direkten Seeblick genießen, öffnet sich nach links eine Parklandschaft, die in der Tat jedoch eine pittoresk von vereinzelten Bäumen und Baumgruppen durchzogene Weide ist. Die Kühe rund um den See haben es recht gut getroffen, falls auch sie ein Auge für die Landschaft haben. Ansonsten auch, denn die Wiesen sind allesamt frisch und saftig und Schattenplätze niemals weit.

Bis zum Rinderhof kann man alternativ zur Straße aus dem Dorf einem kurvenreichen Wiesenweg entlang dieser Parkweide folgen, der zum Teile ebenfalls sehr frisch und saftig ist und ohne wasserdichtes Schuhwerk etwas Tanz erfordert. Die kleine Dorfstraße endet an der Landstraße, die direkt dem Waldrand folgt und nur ab und an ein Auto durchwinkt. Schon bald wieder öffnen sich nach links weite Blicke über die von Gräben durchzogenen Wiesen hin zum See. Voraus präsentiert sich fast schon etwas weltmännisch die Skyline von Joachimsthal, bestimmt von einigen Mehrgeschossern und dem markanten Aussichtsturm darüber.

Blick über die Wiesen nach Joachimsthal

Dass sich die feuchte Wiese selbst mit Gummistiefeln nicht queren lässt, verraten einmal mehr fehlende Maulwurfshaufen. Zur Straße hin nimmt die Dichte der Erdwürfe dann zu, und wer den klammen Weg hintern den Gärten wagen will, wird mit einem schönen Gefühl von Freiheit belohnt und einer Landschaftsstimmung, die man so auch an der Innenkante des Darß finden könnte.

Am Bahngleis erfolgt der unmittelbare Eintritt nach Joachimsthal über einen winzigen Bahnübergang, der unverändert in Fünfziger-Jahre-Filmen mitwirken könnte. Ein paar Höhenmeter sind es hinauf zum Friedhof, über dessen Buckel man zum weiter vorn erwähnten Talgrund absteigt. Der steht nach den letzten Tagen unter Wasser, nicht bedrohlich, doch Maßnahmen erfordernd. Zum Nachtisch kommt also jetzt die kleine Runde durch die Stadt, vorbei am Brunnen bei den Schinkelzacken und der Marktstraße, die sanft von der Höhe absteigt.

Abendlicher Zug im Bahnhof, Joachimsthal

Drüben beim Bahnhof gibt es noch einen allerletzen Blick auf diesen See der Sonderklasse, der still unter dem ersten zaghaften Dämmerlicht liegt, fast spiegelglatt. Am Bahnsteig steht bereits unter Dampf eines der stündlichen Züglein und fasst in den Farben der Niederbarnimer Eisenbahn noch einmal die des zurückliegenden Tages zusammen. Mit einem souveränen Satz steigt der Zugführer ein und läuft im Augenblick des Türenschließens aus nach Eberswalde.

 

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Regionalbahn von Berlin-Ostkreuz oder Berlin-Lichtenberg, Umsteigen in Eberswalde (ca. 1,5 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über Autobahn (ca. 1 Std.)

Länge der Tour: 15,5 km (keine Abkürzung möglich)

 

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

 

Links:

Amt Joachimsthal

Aussichtsplattform Joachimsthal

Nationaler Geopark am Oderrand

Naturbeobachtungspunkt Althüttendorf mit Aussichtsturm

Skulpturenpark Althüttendorf

 

Einkehr:
Zum Kaiserbahnhof, Joachimsthal (etwas außerhalb)
Zur Krim, Joachimsthal (im Zentrum)
Zur Storchenklause, Joachimsthal (zentrumsnah)

unterwegs:
Café zwischen Bungalowdorf und Wald, Joachimsthal (April-Okt.)
Waldschänke, Althüttendorf (gehobenes Preisniveau)
Leistenhaus (am Nordufer des Sees)(April-Okt.)

Stücken: Das Zweistromland, ein Dezemberstorch und die Schwingungen am Himmel

Still und leise kam der Dezember herangeschlichen und übt sich nun im kurzen Wechsel von klamm-ungemütlichen Novembertagen und ersten Anflügen von Winterweiß, die jedoch selten eine Doppelstunde überstehen. Die hochfliegenden Formationen großkalibriger Zugvögel haben Mitteleuropa den Rücken gekehrt, und von den kahlen Bäumen knarzt und krakt es aus respekteinflößenden Krummschnäbeln dunkelgekleideter Kälteexperten, zwischen denen die wenigen Wintermeisen gleich doppelt so niedlich klingen wie ohnehin schon.

Feuchtwiesen vorm Blankensee, bei Körzin

Die ausgehende Adventszeit bringt nun neben nächtlicher Eiseskälte wieder diese Tage mit sich, die es zwischen den Dämmerungen auf weniger als acht Stunden Lichtausbeute bringen. Das kann völlig ausreichend sein, wenn Sonne im Spiel ist und auch Himmelblau. An trüberen Tagen hingegen sorgt es dafür, dass jeder seine beheizbaren vier Wände dreifach zu schätzen weiß. Selbst Leute, die sonst gerne draußen sind, beeilen sich mit dem Abarbeiten monatstypischer Listen und sinken dann zuhause seufzend ins erstbeste Sitzmöbel, zumindest für einen wohlverdienten Augenblick von der unverhandelbaren Länge eines dampfenden Getränks.

Wer in dieser Zeit seine freien Stunden an der frischen Luft verbringen möchte sieht zu, dass von dem knappen Lichtkontigent nichts verschenkt oder beschnitten wird. Keine ausgeprägten Tallagen also, nicht tiefe Wälder und überhaupt gar nichts, was Schatten werfen kann. Als höchstes Zugeständnis allenfalls ein Waldrand. Freie Weite ist passend, wo die Abwechslung maßgeblich in den Horizontlinien stattfindet, im Detail betrachtet gerne auch vor Ort.

Weg zur Kirche in Stücken

Davon reichlich bietet das Land, welches sich im Südwesten zwischen Nuthe und Nieplitz aufspannt. Wie das nach einem ähnlichen Rezept verfasste Havelland ist es frei von großem Spektakel und daher vergleichsweise unbekannt, und es bietet mit seinen großzügigen und wasserreichen Landschaften eine Faszination, die sich schwer mit anderem in Brandenburg vergleichen lässt und Gedanken an ein Müritzland en miniature aufflackern lässt. Die Natur hat hier mit großem Pinselstrich gemalt, nicht mit feinen Linien und Getupfe, und diese sympathische Großspurigkeit verleiht ein exklusives Gefühl, da man all das in den meisten Augenblicken ganz für sich allein haben darf.

Dennoch ist es kein fixiertes Bild, denn irgendwo bewegt sich immer irgendwas. Vergleichbar dem Blick in einen klaren Sternenhimmel wird es immer mehr, je länger man in eine Richtung schaut und versucht zu fokussieren beim fahlgrauen Licht des nahenden Winters. Wenn sich fürs Auge einmal wirklich nichts bewegt, dann ist etwas Lebendiges zu hören, und eher als rauschende Wipfel sind das hier ganze Scharen großer Zugvögel, die noch einmal die Jahreszeit betonen, die eigentlich schon im Begriff zu gehen ist. Die Vögel hingegen scheinen bereits ihr Reiseziel erreicht zu haben, sonst wären sie nicht mehr hier, sondern auf dem Weg ans Mittelmeer.

Dorfstraße in Stücken

Stücken

Schöne Ausgangspunkte finden sich zwischen der Stadt Beelitz, bekannt für ihren Spargel, und dem beschaulichen Trebbin. Erstere liegt an der Nieplitz, das zweite an der Nuthe, und beiden gemein ist, dass in letzter Zeit viel Geld darauf verwendet wurde, das pittoreske Stadtbild aufzuhübschen – jeweils mit sichtlichem Erfolg. Auf der Mitte zwischen beiden liegt das hübsche Dorf Stücken, von dem sich gut eine Umrundung des Blankensees beginnen lässt. Die hält bis auf eine Ausnahme respektvollen Abstand zum Ufer und verleiht damit dem einen, kurzen Strandbesuch doppeltes Gewicht.

Auch wenn sich also der umrundete See nur selten zeigt, ist es bereichernd, von ihm zu wissen, denn ein größeres Wasser zu umrunden ist ja immer eine kleine Leistung, dank der später das verdiente Abendbrot noch etwas besser schmecken darf.

Stücken ist eins von den Dörfern, das seinen Charme abseits der Durchfahrtstraße entfaltet. Am großen Rastplatz zweigt die Dorfstraße ab und schlägt bis zum Ortsrand einen weiten Bogen, der mit schönen Häusern, einer eingekuschelten Kirche und mehreren Einkehrangeboten zu unterhalten weiß. Das heben wir jedoch für die letzten Schritte auf, die im Idealfall in der weihnachtlich erleuchteten Dämmerung stattfinden sollen.

Weg in die Feuchtwiesen des Königsgrabens, bei Körzin

Von der schmiedeeisernen Kirchpforte lockt ein breiter Weg zur feld- und backsteingerahmten Kirchentür, der flankiert wird von verschiedensten Nadelbäumen, die sich auch in Alter und Dicke erheblich unterscheiden. Alles zusammen ergibt für einen Augenblick das Gefühl von Nachhausekommen. Unterhalb der römisch bezifferten Uhr hängt ein großer gelber Weihnachtsstern, der sich vom Wetter unbeeindruckt zeigt. Und ebenfalls der Dämmerung entgegensieht, die seine Stunde sein wird.

Draußen auf der Straße quert ein eiliger Trecker, weiter hinten verlässt eine Familie ihren Wagen und strebt wohin, wo um die Ecke offenes Feuer lodert. Mitten im Dorf quert eins der vielen Mühlenfließe im Brandenburgischen. Dieses hier entspringt nahe des Seddiner Sees und strömt zu den ausgedehnten Feuchtwiesen im Westen des Blankensees. Diese unwegbaren Wiesen gibt es überall in der Nuthe-Nieplitz-Niederung, und gemeinsam mit herbstlich abgeernteten Feldern erklären sie die hohe Beliebtheit dieser Landschaft bei all den durchreisenden und verweilenden Wasservögeln.

Blick über die Feuchtwiesen und den Blankensee zu den Glauer Bergen

So glasklar, wie das Mühlenfließ aussieht, muss es sehr kalt sein. Schon am Wiesenweg entlang des Ufers wird nochmals deutlich, dass in der letzten Woche fast täglich Regen fiel, hier scheinbar erheblich mehr als dort. Die gefütterten Gummistiefel zahlen sich aus und ersparen klamme Zehen für den Rest der Tour. Vorn quert ein befestigter Weg, auf dem winterlich Gekleidete mit oder ohne Hund und meist den Händen in den Taschen ihre Dorfrunde beenden und sicher auch zum heimeligen Feuerflackern wollen.

Am Ende der Pappelreihe geht es links durch ein Wäldchen. Auf dem breiten Weg ist Pfützenslalom angesagt, und die Dunkelheit selbst im kleinsten Kiefernwald bestätigt, dass die offene Landschaft für heute gut entschieden war. Hinterm Wald öffnet sich nach Westen eine lange Blickfreiheit, an deren Ende Kraniche zu hören sind, so einige. Das ist immer etwas erhebend. Es ebbt nicht ab, und was zunächst noch klang wie zweidrei Handvoll dieser Vögel, wird zu Hunderten bis hin zu Tausenden. Eine Klangkulisse, die man sonst eher vom November kennt.

Die Nieplitz bei Stangenhagen

Dann kommen sie näher, und es wird sichtbar, das ganze Ausmaß. Abertausende wechseln von den Äckern zu den Abendlagern rund um den Blankensee oder weiter zu den Nuthewiesen und vielleicht bis hin nach Zossen. Jetzt wird der Flugraum knapp, und es mischen sich die archaischen Saurierlaute der Kraniche mit dem eloquenten Palaver aus hundert Gänseschnäbeln – es ist nicht auszuschließen, dass da so einiges durcheinanderkommt am Himmel. Eben immerhin noch klein in der Weite dieser Landschaft, sind wir jetzt nur noch winzig angesichts der dritten Dimension, die das Klangspektakel hinzufügt. Es lädt ein zur Euphorie.

Nachdem der erste Schwung vorbei ist, lassen wir den Blick sinken und hätten fast den Abzweig verpasst, der durch ein kleines Bruch direkt in die Wiesen führt. Mitten durch dieses erstaunlich grüne Grün zieht der Weg seine sanften Kurven, voraus gewinnen im diesigen Tagesgrau die Häuser des Weilers Körzin an Gestalt. Versprechen dicht des Wegs die Maulwurfshügel anhaltend trockene Füße, stehen schon einen Steinwurf weiter die Wiesen flächig unter Wasser. In ihnen stakst ein Storch herum, wahrhaftig, und versucht gar nicht erst, wie ein Silberreiher auszusehen. Ein Storch im Dezember – das muss gleich raus als Bild an die naturversessene Freundin, gleich noch ein O-Ton hinterher, nicht vom Storch, sondern vom Himmel. Die Antwort kommt sofort.

Körzin

Vom Körziner Dorfrand bietet sich ein vieldimensionales Bild in Richtung Norden. Ganz vorn die Kuhweide, grenzend an die Wiesen voller Wasser. Dahinter kahle Bäume in der Ferne und weiter hinten ganze Pappel-Reihen, dann im Hinterkopf gewusst der große See und schließlich als Horizont der sanfte Höhenzug der Glauer Berge, deren Querung einen schon ins Schnaufen bringen kann.

Uferpfad am Pfefferfließ, am Rand von Stangenhagen

Ein Dutzend Häuser bieten viel Futter fürs Auge. Einige haben sich hier ihren Traum verwirklicht oder sind noch dabei, wie der Bursche, der mit seinem Jüngsten einen Gartenacker umgräbt, beide mit großen Atemwolken vor der Nase und gegenseitigem Verständnisnicken. So klein die Siedlung ist, gibt es hier neben Einkehrmöglichkeiten und einem Pferdehof auch eine der wenigen Falknereien im Lande Brandenburg. Das erklärt die großzügigen Parkplatzangebote, und davon abgesehen kann man natürlich herrlich in die Wiesen ausschwärmen oder eine gediegene Runde von etwa einer Stunde drehen. Gegenüber auf der Weide grasen Pferde und Kühe friedlich, trotz gleicher Interessenlage. Ein Pferdemädchen sorgt nebenan für Hufe in Bewegung.

Stangenhagen

Entlang der Bundesstraße scheint dann alles etwas größer gebaut, als es nötig wäre – breite Straße, edler Radweg, riesiges Geländer. Man erwartet umgehend ein Gewerbegebiet. Doch stattdessen schlägt der Radweg einen freundlichen Bogen um ein paar Bäume, und mit der Nieplitz und dem Pfefferfließ werden zwei breite Wässer überquert, die links und rechts mit urigen Landschaften locken. Kurz vor Stangenhagen beginnt am Ende eines althergebrachten Dammweges ein reizvoller Uferpfad entlang des Pfefferfließes, hin zu einem Vogelbeobachtungsturm. Wer noch eine halbe Stunde übrig hat, dem sei der wasserreiche Abstecher empfohlen, der zudem noch die schöne Stangenhagener Dorfstraße mitnimmt.

Uferhang voller Schafe, bei Stangenhagen

Vorbei an der kuriosen und durchaus sympathischen Kirche, die es wohl unter die Top 25 der sachlichsten Kirchbauten der Welt schaffen dürfte, steigt die Straße langsam an, bis sie bei einem kramigen Hof mit einem gelangweilten Hund den Ort verlässt, der nach einer kurzen Anhöhe nicht mehr zu sehen ist. Zwei urige Aussichtsbänke lassen kaum eine Wahl. Hier sitzend ruht der Blick theoretisch auf der weiten Wasserfläche, in der Tat fällt er heute auf enorm viele Schafe, die immer noch mehr werden, je länger man den Blick auf dem schon halb berupften Wiesenhang ruhen lässt. Analog der Situation vorhin. Das lenkt davon ab, dass der Blick aufs Wasser ohnehin vom klammen Uferwald verstellt ist, und führt zu manchem Blickaustausch mit den wettergerecht bekleideten Käuern.

Unterhalb einer bewaldeten Erhebung wird die Spur von knorrigem Robinienwald begleitet, links lässt sich wahlweise auf der Weide laufen. Dann beendet eine buschige Gasse auf schöne Weise den Weitblick, und schließlich, auf Höhe dreier grundverschiedener Grundstücke mit exklusivem Seeblick, kommt nun zum ersten Mal die weite Wasserfläche in Sicht, mit Blick aufs ferne Blankensee, in diesem Fall das Dorf. Passend dazu gibt es schöne Bänke hier und da. Der Weg hält noch immer seine Höhe, die etwa zehn Meter über dem Seespiegel liegt. Landseits wird mehr und mehr eine ausgedehnte Streuobstwiese sichtbar, die nach mehr aussieht als nur einem ausgefallenen oder landlustigen Freizeitvergnügen.

Aussichtsbänke an der Streuobstwiese, mit Seeblick

Endlich kommt der Abstieg, gefolgt von mysthischen Minuten in einem herrlich schwarzwassrigen Bruchwald, dessen Geräusche zur Dämmerstunde man lieber nicht kennen will. Wieder im Licht besteht je nach Wetter, Jahreszeit und Beweidung die Wahl zwischen der stillen Landstraße oder dem Weg am Bruchrand quer über die Wiese. Wer für die Straße entscheidet, kann bis zum Rand von Blankensee gleich drauf bleiben, wer von der Wiese kommt, dem empfiehlt sich ein Bogen vorbei an ein paar Häusern, gefolgt von kaum erkennbaren Schleichwegen und einer abschließenden Wiesenquerung. Das letztgenannte Gemisch ist eindeutig reizvoller.

Blankensee

Am Rand von Blankensee lässt sich schon erkennen, dass dies ein spezielles märkisches Dörfchen ist. Der Weg vom großen Parkplatz hinab zum Ufer lässt an Sanatorium und Kur denken, sieht ein bisschen nach „Bad Blankensee“ aus. Im Herzen des Ortes und auch drumherum wartet einiges, das zu entdecken lohnt, nicht unbedingt alltäglich ist. Als Stichworte abseits der Strecke seien genannt das markante geformte Kirchenzentrum Waldfrieden, die langgezogenen Glauer Berge und vor allem das Naturparkzentrum mit dem weitläufigen Wildgehege. Beides ist gelegen vor den Toren der vielgesichtigen, etwas sonderbaren Friedensstadt. Im Dunkeln leuchten dort die Fenster aus den hanggelegenen Häusern und schaffen durchaus etwas Mittelgebirgsflair.

Der kleine Strand am Blankensee, Blankensee

Selbst ohne Verlassen der Blankenseer Ortslage ließe sich ein schöner Tag verbringen, mit Schloss und Park und Uferwegen, schönen Brücken und einem Abstecher zur Kapellenruine am Seechen, einem Besuch beim Imkerladen oder dem Bauernmuseum mit der Museumsschänke. Der Ort, den man nicht verpassen sollte, ist der Bäcker-Dorfladen mit kleinem Café in der Dorfmitte. Dieser Laden strömt Herz und Seele aus und entlässt niemanden mit leeren Taschen oder leerem Magen. Wer übrigens getrunkenen Kaffee gleich wieder wegbringen will, findet eine der charmantesten Toiletten im Lande gleich um die Ecke, angedockt an ein Feuerwehrhäuschen in Kapell-Gestalt und mit angemalter Mülltonne.

Unten also bei den „Kurhäusern“ kommt jetzt endlich die Stelle, die einen direkt ans Ufer lässt, unverschilft und ohne Blickbegrenzer. Eine Bank steht hier, auf der man sich den strammen Seewind durch die Haare blasen lassen kann, und spätestens jetzt kommt der Gedanke an eine kleine Müritzumrundung wieder, deutlich und kontrastreich. Je länger man nachdenkt, desto mehr Entsprechungen finden sich. Keinesfalls ist es eine Miniatur in Einszueins, doch Stimmung und Gefühl, Unnahbarkeit und Naturnähe, Wildheit und Weite der Horizonte, all das ist nahe dran an dieser Landschaft rund um den größten deutschen See. Etwas vor dem Ufer treiben mit winterlich sparsamer Gestik verschiedene Sorten von Enten, von den Wellen im Ganzen durchgeschaukelt.

Steg mit freier Sicht auf den See, Blankensee

Ewig könnte man hier sitzen, doch zum einen bleibt der Wind nicht ohne Wirkung und die Thermoskanne zeigt schon Boden, zum anderen wird die Sonne bald weg sein, die Landschaft nur noch schemenhaft zu sehen und wir nur schwarze Schatten für die Handvoll Autos, die hier fahren. Also weiter auf den schönen Plankensteg, der einen überm Wasser wandeln lässt, in Augenhöhe mit dem hohen Schilf und in bester Hörweite zu allem, was sich darin abspielt. Einige Spaziergänger zücken Ferngläser und suchen übers weite Wasser, ein paar ältere Damen blieben lieber auf dem griffigen Laternen-Weg, denn der nasse Steg ist rutschig nach den letzten Tagen und dem spröden Wetter. Bei einer winzigen Fallstufe führt eine Brücke über die Nieplitz, deren Uferpfad mit seinen wehenden Trauerweiden stark verlockt.

Weiteren Verlockungen müssen wir widerstehen – dem komplexen Honigladen, dem urigen Museumshof und dem Portal zum Schlosspark, doch beim Bäcker, der eigentlich längst zu haben müsste, geht der Widerstand doch in die Knie. Kurz aufwärmen, was Heißes trinken, das wäre schön, so vor der letzten Stunde Weges. Hier ist noch ordentlich Betrieb, doch die Theken werden jetzt wirklich abgeräumt, die Kühlregale abgehängt. Am Grund der großen Thermoskaffeekanne sind gerade noch zwei Tässchen drin, und so gelingt die erhoffte Unterbrechung.

Hier gibt es alles, was wichtig ist, darüber hinaus noch einige Regalen mit Regionalem. Ein paar davon stehen um einen tragenden Pfeiler, und um das Ganze dreht ein kniehoher Knirps stiefeltapsend seine Runden und zählt verlässlich mit, wobei die Drei die Obergrenze darstellt und daher öfters aufgerufen wird. Beim Verkünden der Zahl wird stets kurz innegehalten. Es ist ein sympathisches Treiben hier drinnen, zusammengesetzt aus verschiedensten Leuten. Zuletzt schlurft noch eine ältere Dame aus dem Dorf hinein und braucht dringend irgendein schickes Brot, weil sich überraschend die Kinder angemeldet haben. Bekommt sie, ihr schickes Brot mit Doppelnamen, von hinten vorgeholt.

Das lebendige Herz von Blankensee

Wieder draußen ist jetzt das Schwinden des Tageslichts unübersehbar, wohingegen die entfernten Schwingenchöre verlässlich den Hintergrund gestalten. Das mit dem Licht ist nicht tragisch, denn auf dem ruhigen Sträßlein würde man schlimmstenfalls sogar bei völliger Dunkelheit bis zum ersten Fensterlicht von Stücken finden – dank der schlichten Sensorik, die Stiefelsohlen auf Asphalt ermöglichen. Doch die fast schon greifbar hohe Luftfeuchtigkeit sorgt für eine diffuse Streuung des verbliebenen Dämmerlichtes und schafft an den Horizonten rundum graulastige Aquarelle mit Waldkanten und Wipfellinien, erstarrten Weiden, Schilfinseln und pfützenglänzenden Wiesenflächen. Irgendwo ganz weit hinten im hohen Grase stehen unbewegt wildlederfarbene Pferde mit Siebziger-Jahre-Mähnen, im erstarrten Formationstanz in den Wind gedreht.

Nur wenige Fahrzeuge stören den Autopilot der Schritte, fordern nur jeweils ein kurzes Verlassen des Asphalts ein. Noch einmal wird im Süden kurz die Wasserfläche sichtbar, in deren nassen Uferbereichen detailreich all die Vogelleiber zu ahnen sind, die sich in die Verteilung der Schlafplätze arrangieren. Anfangs noch wuselig, dann mehr und mehr geordnet.

Die einzige Stelle, wo die Straße durch Grundstück und Buschhecke etwas schmaler wird, ist bei den Häusern von Breite. Dahinter bestimmt das Wasser des Königsgrabens und seiner Adern die Niederung, und vor dem Flankieren des Weinbergs ist sogar noch eine letzte Rast drin, mit den allerletzten Schlückchen warmen Tees. Erst hinter der Höhe kommt Stücken in Sicht und sieht mit all seinen Fensterlichtern nun besonders heimelig aus.

Stille Straße durch die weite Niederung, bei Breite

In der Ortsmitte zeigt sich, dass diese Stimmung sich noch steigern lässt. Hinter einer offenherzigen Hofeinfahrt ist im Fliederhof ein allerliebster kleiner Adventsmarkt aufgebaut, der unmittelbar mit stillen Fackeln und kienknackenden Feuerschalen lockt, darüber hinaus beim Nähertreten mit Düften von Flüssigem und Festem sowie allerlei Ergebnissen menschlicher Handfertigkeit. Friedlich ist die Stimmung, die Dimension überschaubar und Futter da für alle Sinne. Die Finsternis der längsten Nächte hat in Minuten übernommen, betont jede der bewegten Flammen und wäre jetzt an keinem anderen Ort willkommener.

 

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): wochtags über Regionalbahn nach Michendorf, von dort Bus (ca. stündlich)(ca. 1,15 Std.); am Wochenende seltener, alternativ über Potsdam (ca. 1,45 Std.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): über A 115 (Avus), dann Saarmund abfahren (ca. 1 Std.); alternativ über B 101 und A 10, dann Michendorf abfahren (ca. 1,25 Std.)

Länge der Tour: 17,5 km (ohne Südhaken 15,5 km)

 

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

 

Links:

Internetauftritt von Stücken

Nuthe-Nieplitz-Niederung

Informationen zu Blankensee

Naturpark-Zentrum am Wildgehege Glauer Tal

Landbäckerei Röhrig in Blankensee

 

 

Einkehr:

Landhaus zu Stücken, Stücken
Fliederhof Syring (Café-Restaurant)

Restaurant Landlust, Körzin
Café Zum Kirschbaum, Körzin

Landhaus Waldfrieden (geöffnet zu Johannischen Kirchenfesten), Blankensee
Museumsschänke am Bauernmuseum, Blankensee
Landbäckerei Röhrig (mit Laden und Café), Blankensee

Gastronomie im Naturpark-Zentrum Glauer Tal (knapp 1 km östlich von Blankensee)

Potsdam Südost: Zwei Waldstädte, ein Wolfsrudel und die Herausforderung der Geschicklichkeit

Jeder, der schon einmal dort war, wird es gerne bestätigen: Potsdam ist eine landesweite Spezialität – oder anders gesagt: stellt man sich das Land Brandenburg als gut sortierte Konditorei vor, dann ist Potsdam die Vitrine mit den kunstvoll drapierten und edlen Kleinigkeiten der Confiserie. Hier ist auf überschaubarer Fläche so viel Schönheit, Anmut und Einzigartigkeit versammelt, wie es das so konzentriert nur selten gibt. Das macht die Stadt mit allem, was dazugehört, zu einer Kategorie für sich. Da Potsdam schon immer vor der Haustüre lag, immer schon einfach so da war und noch dazu von überall gut zu erreichen, lässt sich das manchmal leicht vergessen – dieses Besondere.

Entspannter Bär in der Waldstadt

Dabei ist schwer zu sagen, welches das schwerwiegendste Pfund der schönen und sympathischen Stadt ist. Da ist zum einen die Lage zwischen drei einzigartigen Parks, die jeder für sich einen eigenen Charakter tragen und zum Teil über Europa hinaus bekannt sind. Dort stehen über Dutzende Stellen verteilt und gern auch unerwartet Bauwerke in der Landschaft, die so ansehnlich sind und so trefflich arrangiert, dass sie andernorts schon ganz allein ein Ausflugsziel abgeben würden.

Dazu kommt noch die Allgegenwärtigkeit des Wassers der Havel, wie man sie ähnlich gelungen nur in der Stadt Brandenburg findet. Der Fluss umschmiegt Potsdam regelrecht verschwenderisch, und die Uferlinien haben so liebevolle Verläufe, als hätten selbst hier die namhaften Gartenplaner des 18. und 19. Jahrhunderts mit der Natur Hand in Hand gearbeitet und dafür unermessliche, mehr als nur königlich-preußische Budgets gehabt.

Nicht zuletzt und wohl am meisten charakterprägend ist es die einladende Stadt selbst mit ihrer freundlichen Atmosphäre, die auch abseits von pittoresker Innenstadt und Holländischem Viertel stets ein bisschen nach Altstadt aussieht, dabei immer echt und selten nur zugerechtgemacht erscheint. Allein der Eintritt vom Hauptbahnhof über die beiden Havelarme wird auch für regelmäßige Besucher stets besonders bleiben, immer etwas erhebend, wie ein freundlicher Empfang.

Abgesehen davon gibt es auch jenseits der allseits bekannten Areale vieles zu entdecken, was dessen wert und gut zu Fuß erreichbar ist. Sei es nördlich vom Park Sanssouci das Dörfchen Bornstedt mit seinem sehenswerten Gut und bunt-rasselnden Traditionen, oder im Westen des Parks die halbstundenlange, schnurgerade Lindenallee, zugleich die wohl ehrfürchtigste Annäherung an das Neue Palais. Die lässt sich übrigens gut mit dem Erklimmen des Reiherbergs bei Golm verbinden, auf dem es eine schöne Aussichtsplattform gibt nach Westen, auf das Wasserreich der Havel, das dort die Insel Töplitz schafft.

Blick in den herbstlichen Kletterpark auf dem Telegrafenberg, Potsdam

Von den pittoresken holländischen Fassaden im Neuen Garten wiederum ist es nur ein Katzensprung zur russischen Kolonie Alexandrowka, die mit ihren besonderen Häusern und deren bemerkenswerter Anordnung in eine völlig andere, detailfreudige Welt entführt. Und im Osten ist es von der weltbekannten Glienicker Brücke am weiten Havelwasserkreuz nicht weit zum Babelsberger Park. Durch den kann man ins böhmische Dorf Babelsberg spazieren  – wenn man sich nicht zu oft festguckt oder wiederholt im Kreise geht, mit oder ohne Absicht.

Südlich der Stadt gestatten ausgedehnte Wälder stunden- oder tagelanges Genießen von Waldeinsamkeit, von Duft und Stille, und fordern dabei die Beinmuskulatur nennenswert heraus – es geht zur Sache, wenn man es drauf anlegt. Während der westlich gelegene Wildpark noch recht übersichtlich zwischen den Seen der Havel liegt, begleiten die östlichen Wäldereien die Uferlinien bis nach Caputh und Ferch und bleiben auch dann noch lange Zeit geschlossen und dicht. Erst bei Beelitz gibt der Wald wieder Weite frei, was maßgeblich der Nieplitz zu danken ist und ihrem Tal.

Weniger spektakulär und dennoch lohnenswert geht es im Südosten Potsdams zu. Vom Hören bekannte Eckpunkte sind vielleicht der Telegrafenberg, die Waldstadt und der Ortsteil Schlaatz, der sich entlang der Nuthe streckt. Viel Natur ist hier im Spiel, darunter reichlich hügeliger Laubwald auf der Höhe und die flachen Landschaften der Nuthe im Tal, nicht zuletzt auch ein Stück von den erwähnten Parks, die irgendwie dazugehören zu einer Tour bei Potsdam.

Balgende Wölfe, Waldstadt II (zwischen Am Jagenstein und Kiefernring)

Mittlerweile hat der November begonnen und der Herbst ist auf seinem farblichen Höhepunkt angelangt, so dass es bunter nicht mehr werden dürfte und nach und nach die Farben aus dem Landschaftsbild verschwinden. Die Temperaturen, der Regen und der Wind verlangen lückenlos verschließbare Kleidung, und das Tageslicht wird mit jedem Tag sparsamer verteilt. Eine der schönsten und friedlichsten Kampfansagen an die immer kürzeren Tage sind die Laternenumzüge, bunt und vielfältig und überall. Und immer ein Bild des Friedens.

Wer davon abgesehen an klammen Tagen die Kinder vor die Tür locken möchte, findet neben der beliebig variierbaren Tourenlänge noch ein gewichtiges Argument in dieser Gegend: abwechslungsreiche und großzügige Spielplätze, die jeweils die Geschicklichkeit herausfordern und bis ins mittlere Teenageralter noch Interesse wecken dürften.

Potsdam Hauptbahnhof/Templiner Vorstadt

Wer also den Südosten von Potsdam erkunden will, kann damit direkt am Hauptbahnhof beginnen. Die Lage östlich der Havel ist insbesondere bei drohenden Nasswetterlagen von Vorteil, denn die Havel hat ein großes und erwiesenes Talent, dunkle Wolkenwände aufzuhalten. Nicht weit vom Bahnhof beginnt nach dem Queren aller Bussteige und zweier Straßen der Aufstieg auf den Doppelgipfel aus Brauhausberg und Telegrafenberg, letzterer mit seinem halben Dutzend Sternwart-Kuppeln, darunter auch der märchenhafte Einsteinturm. Auf halber Höhe schon löst der Wald die Häuser ab und lockt mit kleinen Pfaden in den herbstlich gelben Abgrund, denn nach links fällt der Hang steil ab und lässt erahnen, wie weit eine Aussicht reichen würde.

Gut gelagerter Findling in der Waldstadt II

Dem auf die Spur gehen lässt sich bodenfern schon drei Minuten später, denn hier wartet mit dem Kletterwald eine schöne Option, den Rest des Tages zu verbringen – selbst wenn die Kinder doch lieber zu Hause geblieben sind. Ansonsten kann sich die ganze Familie in die Seile hängen oder zum Teil auch unten bleiben – wer nicht klettert, vom schwingungsfreien Boden lieber Fotos schießt oder sich derweil im Waldbistro stärken will, muss auch keinen Eintritt zahlen. Alle anderen können in die Wipfel steigen und der Option auf Aussicht auf den Grund gehen, unter anderem.

Potsdam Waldstadt

Ist der November bereits fortgeschritten, fällt der Kletterwald in seinen Winterschlaf. Das ist nicht schlimm, denn nach beliebig langem oder kurzem Streifen durch die tausend Pfade dieses Waldes stößt man an den Rand der Waldstadt, die trotz ihrer Plattenbauten eine erstaunliche Behaglichkeit ausstrahlt, ihren Namen ganz zu Recht trägt. Die Wohnblöcke sind lose angeordnet und durchwebt von kleinen Wegen, und es ist immer Wald im Blick, nie nur eine Betonfassade. Direkt bei den Sportplätzen beginnt ein langgezogener Spielplatz, der es mit dem Kletterwald gut aufnehmen kann, noch dazu kostenlos. Überall hier stehen durchweg gelungene Holzfiguren – zunächst milde Waldgeister mit gewagten Frisuren, am kleinen Platz dann eine respektgebietende und zugleich knuffige Familie von Wölfen, denen ein tiefenenspannter Bär fortlaufend zeigt, wie es zugehen soll im Walde. Allein diese Figuren sind den Weg hierher wert, sei es nun über den Telegrafenwald oder von der nächstgelegenen Straßenbahnstation.

Uferweg an der Nuthe bei Schlaatz

Bald darauf geht es weiter auf einem Weg, der vom Charakter her an einen waldnahen Kurpark denken lässt. Kurz vor der Straße Am Moosfenn liegt klein, doch fein der nächste Spielplatz, auf dem unter anderem ein unegaler Findling von der Größe eines Schafes über einem Qualitätslager befestigt wurde. Das Gewicht des Brockens gestattet keine übermäßig schnelle Rotation, und doch ist es eine Herausforderung an die Balance, sich darauf zu halten – ein Platz, an dem man die Sportart Rodeo-Yoga aus der Taufe heben könnte.

Am Waldstadtcenter kreuzt die Straßenbahn, die hier zu beiden Seiten von schönen Spazierwegen begleitet wird, und auch diese geben dem Namen Waldstadt Recht. Die unaufgeregte Trasse dieser Bahn bildet die Grenze zwischen Waldstadt I und Waldstadt II. Schräg gegenüber stoßen wir auf die Gaststätte Zum Keiler und bemerken unsere knurrenden Mägen. Im Inneren erwartet uns keine Zeitreise und auch keine Ostalgie, vielmehr eine authentische Einrichtung, die etwa so alt sein dürfte, wie die Deutsche Demokratische Republik insgesamt geworden ist. Das Interieur wurde damals mit Bedacht ausgewählt, denn alles befindet sich in bestem Zustand. Wer mit Hammer, Sichel und geflochtenem Getreide aufgewachsen ist, dürfte sich mit dem nötigen Abstand auf angenehme Weise erinnert fühlen, wer ohne, kann sich hier ein gutes Bild machen, wie eine Gaststätte seinerzeit ausgesehen hat. Wir haben Glück, dass noch ein Tischlein frei ist, denn heute sind fast alle Plätze für Martinsgans-Esser vorbestellt. Die gute Küche gibt ihnen Recht, nicht nur, was die Gans betrifft.

An der Nuthe kurz vor dem Potsdamer Hauptbahnhof

Von hier aus ist es eigentlich nicht weit zu den Drewitzer Nuthewiesen, die durch den Kontrast zwischen dem nahen Industriegelände und der wasserdurchzogenen weiten Natur faszinieren. Um von der Waldstadt aus in den Genuss dieser Landschaft zu kommen, müsste man jedoch eine mittelgroße Kröte schlucken und zunächst das graue Industriegelände queren. Eine schöne Alternative dazu sind die verschiedenen Arten von Siedlung, welche die offenere Waldstadt I von der Nr. II unterscheiden und durch die sich ein direkter Weg zum Ufer der Nuthe ergibt.

Schlaatz

Der kleine Fluss strömt nach den Regenfällen der letzten Tage zügig seiner Mündung entgegen, die maushohen Wogen sind klar und alle versammelten Enten sehr beschäftigt. Direkt entlang des Ufers führt ein schöner, teils gediegener Spazierweg vorbei am Neubauviertel Schlaatz. Das sieht nun schon eher nach klassischer Platte aus, weniger nach Waldstadt. Am Zuweg liegt erneut ein kleiner Spielplatz mit Geräten, die das Geschick herausfordern – für große und kleine Füße. Im Herzen des Viertels gibt es unterhalb des Rewe-Marktes einen kleinen Marktplatz. Zwischen diesem, den Sportplätzen und dem Jugendklub Alpha liegt der gestaltete Parkstreifen Schlaatzer Welle, und rund um diesen dürfte wohl der Puls dieser Wohnstadt schlagen.

Schnittstelle zwischen Potsdam, Dorf Babelsberg und dem gleichnamigen Park

An den Wegen von der Nuthe und wieder zurück liegen neben dem erwähnten drei weitere Spielplätze, am Uferweg selbst harren herausfordernd amtliche Sportgeräte wie Reck und Barren. Dort am Ufer setzt sich der grüne Weg fort, oft schattig und bis zum Gleisgewirr, das dem Potsdamer Hauptbahnhof vorgelagert ist. Bis dorthin zeigt die Nuthe dem beständigen Rauschen der nahen Schnellstraße die kalte Schulter und lenkt die Wahrnehmung vom Ohr aufs Auge, das hier abwechselnde über Ufernatur und allerhand undurchdringbare Feuchtgebiete schweifen darf. Ganz zuletzt liegt auf der linken Seite still ein Weiher, beliebt bei Enten, Gänsen und dem hiesigen Graureiher. Angesichts des Wassers zu beiden Seiten kann auf diesem Wegstück durchaus ein kurzer Gedanke an den Spreewald aufflackern.

Portal in den südlichen Babelsberger Park

Der nächste knappe Kilometer geballten Verkehrsraums schleudert einen mit allerhand Asphalt, Schienenstahl und Rohrleitungen hart in die Stadt zurück und gleicht einem Tänzchen mit der Nutheschnellstraße – erst hin und hoch zu ihr, dann Aug in Aug und drunterdurch, zuletzt nochmal auf Tuchfühlung, doch nur fast. Und als wäre es nur ein Traum gewesen, ruht der Blick im nächsten Augenblick auf urigen Babelsberger Straßen, gepflastert, mit gemütlichen Häuslein und wunderschön dörflich.

Park Babelsberg

Gänzlich vergessen ist die kurze Grausequenz, wenn man durch das herrschaftliche Portal den Babelsberger Park betritt und sich in einer Märchenfilmkulisse wiederfindet, die gern ein wenig übertreibt. Der freigelassene Blick trifft auf alte Bäume, die gewaltige Kronen ausbilden konnten und mit kräftigen Ästen nach dem Boden greifen. Auf grüne Wiesenhügel und ein entferntes blaues Meer mit Segeln und Gestaden voller Grazie. Und auf Schlösser mit Türmen und Balkonen, Zierbrücken und goldenen Details und auch einen spätherbstlich leuchtenden Bauerngarten mit selbstgeschnitztem Zaun. Was für ein Wechselbad in dieser letzten Viertelstunde!

Bauerngarten im südlichen Babelsberger Park

Hinterm Strandbad steht dann endlich die erhoffte Bank für eine Pause, mit Blick auf die markante Uferlinie der Berliner Vorstadt und den eigenwilligen Bau des Hans-Otto-Theaters, dessen Architekt vielleicht einmal selbst in Sydney war und von fern die Oper sah, umspielt vom Wasser. Ganz im Nordosten ahnt man leise die Glienicker Brücke. Kaum Leute sind jetzt unterwegs in diesem schönen Park. Ein Grund dafür könnte die gewaltige Wolkenfront in dunkelblau am anderen Havel-Ufer sein.

Nach dem vorläufig letzten Kontakt mit der Nutheschnellstraße beginnt der Nuthepark, rund um die Mündung des kleinen Flusses in die große Havel. Die teilt sich genau an dieser Stelle in zwei Arme und schafft damit die Freundschaftsinsel. Direkt gegenüber der Nuthe-Mündung steht ein hohes Gebäude in Gestalt einer Kirche, das man mit seinem stählern-filigranen Turm für eine Kathedrale des Mobilfunks halten könnte. St. Smafo – in diesen Tagen keineswegs ein absurder Gedanke. Die Messen wären sicher gut besucht, der Blick gemeinschaftlich gesenkt und jedes Antlitz blass und blau erleuchtet.

Heilgeist gegenüber der Nuthemündung

In der Tat stand hier einmal die Heilig-Geist-Kirche, die es in den letzten Kriegstagen so übel erwischte, dass sie schließlich nach und nach abgerissen wurde – bis nichts mehr übrig war. Nachdem die Stelle über zwei Jahrzehnte brachlag, wurde Ende der neunziger Jahre ebendort eine Seniorenresidenz gebaut. Das prägnante Bauwerk zitiert die Umrisse der Kirche recht genau, inklusive der stählernen Turmspitze, die im urbanen Raum eben zunächst an eine Antenne denken lässt.

Nach dem überdachten Steg über das Nuthe-Finale verlaufen die letzten Schritte zurück zum Hauptbahnhof mit direktem Blick auf die Freundschaftsinsel. Das macht neugierig, und so steht jetzt schon fest, womit der nächste Potsdam-Tag eröffnet werden wird. Sicherlich bald schon.

 

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit S-Bahn oder Regionalbahn nach Potsdam Hbf. (ca. 30-45 Min.)

Anfahrt Pkw (von Berlin): wahlweise gemütlich über die B 1 oder schneller über Avus und Nuthe-Schnellstraße (45-75 Min.)

Länge der Tour: 14 km, mittels ÖPNV beliebig verkürzbar; Kletterwald bei Wegpünkt 4 (ca. km 1), großer Spielplatz rund um WP 16 (ca. km 4), kleiner Spielplatz mit drehbarem Findling WP 19 (ca. km 4,5), Spielplatz für geschickte Füße (ca. km 8, am Abzweig direkt vor den Sportplätzen Richtung Schlaatz gehen), weitere Spielplätze rund um WP 32

 

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Links:

Kletterwald auf dem Telegrafenberg

Potsdamer Ortsteile im Südosten

Informationen zum Park Babelsberg

 

Einkehr:

Bistro am Kletterpark auf dem Telegrafenberg
Zum Keiler, Friedrich-Wolf-Str. 11, Potsdam Waldstadt I
Restaurant Die Meise, Meisenweg 13, Potsdam Waldstadt I
Gartenlokal Zur Gurke, Zur Nuthe 2, Potsdam Schlaatz

Grobskizziert – Eichenbrandt: Drei gute Gründe und die körperlose Axt im Walde

So wie in diesem Jahr der September nach der letzten August-Stunde umgehend den großen Schalter von sommerlich mild auf herbstlich kühl umlegte, macht nun auch der Oktober Ernst, punktgenau und ab dem ersten Tag. Verwöhnte der letzte Septembertag noch wohlig-versöhnlich mit sanfter Wärme und Potential für freie Schultern, riss ihm der Oktober den bunten Altweibersommerfummel vom Leibe und ließ ihn direkt im nächsten tiefen Brunnen verschwinden, mit grauem und direktem Blick.

Wald im mittleren Gamengrund

Als wenn das noch nicht reichen würde, baute sich zwei Tage später ein Sturmtief auf, das von Tag zu Tag mehr mit seinen Bizepsen rollte und sich weitere zwei Tage später mit aggressiver Wucht entlud, bevorzugt über Norddeutschland. In nur zwei Stunden wurde in Brandenburg und Berlin so viel Lebend-Holz zerlegt, wie es nur ein Sturm bewirken kann, der viel zu zeitig kommt und alle Kronen noch belaubt erwischt, mit voller Angriffsfläche. Mehrere Menschen überlebten dieses schwere Sturmereignis nicht, zumeist aufgrund stürzender Bäume.

Der Name des Vandalen musste mit dem Buchstaben X beginnen, gemäß der alphabetisch durchlaufenden Namensvergabe. Da beim X nur eine bestimmte Auswahl an halbwegs glaubhaften Namen verfügbar ist, wurde es wieder eine Variante von Xaver, diesmal Xavier. Nicht der erste Xavier in diesem Jahr, doch leider folgenreich und unvergesslich wie einst Kyrill.

Freigeräumter Weg nach den Sturmtagen, bei Eichenbrandt

Tage später ist es beim Bewegen in der Stadt und auf dem Land gleichermaßen kaum zu fassen, was die Naturgewalt alles verursachte und was die Feuerwehren und sonstigen Helfer in dieser kurzen Zeit geleistet haben. Eine Zeit, in der die Zahl der Einsätze in den vierstelligen Bereich ging und es fast unmöglich gewesen sein muss, Prioritäten zu vergeben, weil ja irgendwie alles ineinander verzahnt ist.

Im Umland gibt es nach fast einer Woche noch immer Probleme auf den Straßen, und an fast allen Fahrbahnrändern zeugen liegende Laubbäume mit aufgeworfenen Wurzelballen von der Wucht des Sturmes.

Einstieg in den Gamengrund bei Leuenberg

Tiefer Wald

Abgesehen von solchen Großereignissen äußeren Aufruhrs oder auch damit verflochten gibt es Zeiten innerer Unrast auch in jedem kleinen Menschenleben. Zeiten, die in vielen Hinsichten so vollgestopft sind, dass man in der nächstgelegenen Freizeit einfach nur stundenlang durch die Botanik streifen möchte, ohne einen einzigen Menschen zu treffen, wortwörtlich. Ohne jegliches Gerangel, Gedrängel oder Ausweichen, ohne Notwendigkeit zur räumlichen Rücksichtnahme oder wortlosen Argumentation. Einfach den Wind ins eine Ohr rein und aus dem anderen wieder rauslassen und dazwischen gerade so viel Synapsentätigkeit, um nicht über die eigenen Beine zu stolpern. Widerstandslos und willig Regentropfen erdulden, die genau in die kleine Kragenlücke am Nacken tropfen oder gekrümmte Stöcker, die durchs eigene Darauftreten zeckend an den Unterschenkel knallen. Das Ganze bevorzugt tief in schönem, besonderem Wald.

Langer See oder Mittlerer See im mittleren Gamengrund

Wenn selbst der Weg dorthin sich noch zum gelinden Hindernisparcours gestaltet, ist es umso wohltuender, vor Ort den ersten Schritt zu tun, tief einzuatmen und diese hochqualitative und von Stille getragene Luft durch den ganzen Körper strömen zu lassen. Wenn irgendwann der märkische Ruhepuls erreicht ist, schalten sich nach und nach die Sinne zu. Mit jedem bunt belaubten Baum, jedem Duft von Harz und Kiefernnadeln, dem pulsierenden Rauschen der restlichen Winde in den Wipfeln und der punktuellen Kälte der allerletzten Böen kehrt mehr Ruhe ein im eigenen Gebälk. Bis man schließlich nur der Linie auf der Karte folgt, wenn das denn geht vor lauter umgelegten Bäumen, und ruhig wird und friedlich. Schließlich.

Abendliche Eichenallee bei Heidekrug

Die Möglichkeit auf solche Entlegenheit findet sich zuhauf in den einsamen Nordregionen von Prignitz und Uckermark, sicherlich auch in den eindrucksvollen Weiten rund um die einstigen Lausitzer Tagebaue. Doch es geht auch weniger entlegen. Schon kurz hinterm Berliner S-Bahn-Bereich gibt es eine Möglichkeit, zwei bezaubernde und zudem ausgeprägte Eiszeitrinnen zu einer entlegenen Tour zu verbandeln, auf der man scheinbar ununterbrochen durch tiefe Wälder zieht. Selbst die Querverbindung zwischen beiden haut in diese Kerbe und gibt sich trotz flacher Ausprägung wie ein versunkenes Waldtal.

Gamengrund

Der Gamengrund ist ein wahrer Zauberkünstler, was vielfältige Naturschönheit und Waldromantik betrifft. Zwischen den westlichen Strausberger Seen und dem Oderbruch bei Falkenberg liegen nur reichlich zwanzig Kilometer, doch auf dieser Strecke wird in der meistenteils bachlosen Landschaftsfurche eine Vielfalt entfesselt, die wohl fast jeden wiederkehren lässt, der einmal hier war.

Nördlicher Gamengrund bei Krummenpfahl

Mehr als ein Dutzend schlanke Seen und verträumte Weiher ruhen in der Tiefe dieses Grundes, der manchmal siebzig Meter ins umliegende Land eingegraben ist, manchmal nur etwas über zehn. Die Vielfalt des Waldes reicht von hochgewachsenem Erlenbruchwald bis hin zu Fichtenwäldern, die an Gebirge denken lassen, besonders in verschneiten Wintern. Sie sind so dicht und dunkel, dass hier einfach Wesen leben müssen, die sonst am ehesten im Märchenbuch zu finden sind. Dann wieder gibt es lichte Hänge mit flächigen Teppichen aus Buchenlaub. Dazwischen, meist ganz unten, stehen jahrhundertalte Baumriesen mit glatter Buchenhaut oder zerfurchter Eichenborke, riesige Douglasien und auch mal eine Tanne.

Nadelränder am oberen Grenzgrund

Ein Haus gibt es im Gamengrund nur ganz am Rand von Tiefensee oder bei Leuenberg, dann kurz vorm letzten See im Norden die in Terrassen angelegte Laubensiedlung für das Wochenende. Die liegt unterhalb des Dorfes Krummenpfahl, scheinbar in einem Talkessel.

Wenn man, egal an welcher Stelle, diesen entrückten Grund wieder verlässt und sich zuvor so ganz woanders wähnte, wird man zum einen seine Tiefe in den Beinen merken, zum anderen oben im Lichte staunen, dass man wirklich hier in Märkisch Oderland über die Felder schaut. Kurz hinter Strausberg, oder kurz vor Bad Freienwalde.

Grund ohne Namen

Etwas weiter östlich gibt es ein Pendant, das in vielen Belangen weniger eindeutig ist als der Gamengrund und ebenfalls für Schönheit steht und Einsamkeit. Fährt man mit dem Finger über ein Geländemodell, gibt es eine größere Lücke, wo die Fingerkuppe ohne Führung ist und nach dem Anschluss suchen muss. Was am kurmondänen Rand von Bad Freienwalde als Brunnental beginnt, setzt sich leicht nach Westen versetzt als Geländerinne fort, vorbei an Steinbeck, Biesow und Blumenthal, bis es schließlich so nobel im Straussee sein Finale findet, wie das der Gamengrund im Fänger- und im Bötzsee tut. Auf knapp ein Dutzend langgezogene Seen und Pfühle kommt auch dieser namenlose Grund, und auch hier gibt es so manche steile Flanke sowie ein paar versumpfte Ecken, in denen Mysthik wohnt zu jeder Tageszeit.

Rastmöglichkeit nördlich von Gielsdorf

Heidekrug

Die Wälder dazwischen vollbringen an einer Stelle das kleine Kunststück, selbst über die Höhe ein schönes Waldtal anzubieten, wenn auch ein flaches. Nach einem spürbaren Aufstieg aus dem Gamengrund kommt man vorbei an Heidekrug, einem Platz im Wald, der nichts von dem erfüllt, was sein Name an Erwartung weckt. Keine Waldeinkehr ist hier, auch keinerlei Romantik oder Landlust-Szenen, dafür ein gepflegter Wetter-Radar-Turm sowie verfallende Kasernen, zwischen denen man sich gegenseitig mit kleinen Portionen Farbe beschießen kann.

Grenzgrund

Kurz hinter einer urigen Rasthütte, in der dank eines soliden Abzuges manchmal ein schönes Feuer lodern darf, beginnt kaum spürbar und mit weitem Blick durch lichten Wald der Grenzgrund. Seine Waldvielfalt spielt fast in einer Liga mit dem Gamengrund. Ganz langsam bilden sich die Flanken aus und gewinnen nach und nach an Steilheit, und zum Ende gipfelt das Ganze schließlich weglos und fast etwas dramatisch in einem ausgeprägten Seitental des namenlosen Grundes.

Herbstlicher Gamengrund bei Wesendahl

Unten liegt langgezogen und tief eingesenkt der Große Lattsee. Wie bei fast allen Seen dieses Talgrundes besteht freie Wahl der Uferseite. Westlich läuft ein schmaler Pfad, durch dichten Wald, wild und romantisch, unter dem laubbedeckten Hang am Ostufer ein gediegener Weg, der ein paar schöne Badestellen bietet – falls das gerade von Belang ist.

Eichenbrandt

Dort, wo beide Wege enden, quert eine breite Forststraße, die im Anstieg hier und dort noch altes Pflaster sehen lässt. Nach so viel Wald und Stamm und Wipfeldichte sind jetzt Licht und freier Blick willkommen, und davon gibt es reichlich auf dem letzten Stück der Runde. Immer der Linie des Waldrandes folgend gelangt man vorbei an einem verlassenen Gehöft und einer herrlichen Eichenallee ins gemütliche Dörfchen Eichenbrandt, das sich als Startort anbietet. Nicht zuletzt deswegen, weil dann die erwähnten ersten Schritte durch eine zutiefst beruhigende Reihe von Kastanien führen, bevor der Weg sich absenkt in die Wälder. Eine gute, eine wunderbare Starthilfe im Streben nach dem märkischen Ruhepuls.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): keine direkte Verbindung; wahlweise Regionalbahn über Lichtenberg und Werneuchen nach Werftpfuhl, von dort Wander-Zuweg in den Gamengrund (ca. 3 km)

Anfahrt Pkw (von Berlin) über Landstraße, wahlweise über Werneuchen oder Strausberg (ca. 1 Std.)

Länge der Tour: ca. 17 km (Abkürzungen gut möglich)(dargestellte Tour/Download-Wegpunkte sind problembereinigt)

 

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

 

 

Links:

Seite der Naturwacht Gamengrund (mit Tourenvorschlägen)

Informationen zum Gamengrund

Flyer zum Wandern im Gamengrund (PDF)

Flyer zum Wandern im Gamengrund (PDF)

 

Einkehr:

Gasthaus am Berg, Werftpfuhl

(in Leuenberg, Werneuchen und Tiefensee div. Gastronomie)

 

 

Lebus: Höhenpfade, Odervielfalt und die verlassenen Schneckenhäuser

Selten war der Wechsel zwischen August und September so klar auch ein Wechsel vom Sommer zum Herbst. Wie das Umklappen eines Kalenderblattes, wie ein pragmatischer Vollzug von Fakten. Wer die warme Jahreszeit besonders liebt mit ihrem vielen Licht, den lauen Abenden und ärmellosem Draußensein, hat sicherlich geschluckt. Wer hingegen gern den Herbst zelebriert, mit seinen Düften und Farben, dem warmen Licht der abendlichen Sonne und den zahlreichen Optionen der Gemütlichkeit zwischen vier Wänden, wird jetzt aufatmen und feiern angesichts der Monate voraus.

Blick von den Lebuser Adonishöhen auf Frankfurt

Ob man es nun als Spätsommer betrachten will oder als Frühherbst, die Lichtstimmungen des tieferen Sonnenstandes stehen beiden Lagern zur Verfügung. Eine schöne Bühne für diese Spiele ist die wechselvolle Landschaft an der Oder bei Lebus.

Das odernahe Land zwischen Frankfurt und Schwedt steckt voller Widersprüche, und der Blick über diesen Fluss vermittelt fast an jeder Stelle etwas Fernes und Wildes. Dass die Oder keinesfalls aus dem nahen Polen kommt und zudem beim Erstkontakt mit der deutsch-polnischen Grenze schon 550 Fließkilometer hinter sich hat – fast so weit wie von Aachen nach Zittau – verleiht diesem Eindruck noch mehr Gewicht. In der Tat gibt es in Tschechien ein Mährisches Odergebirge, wo sich die Oder zunächst als feuchter Waldboden, dann als kleines Rinnsal auf den langen Weg zum Stettiner Haff macht.

Abstieg ins Tal des Mühlengrabens

Der augenfälligste Widerspruch erwacht aus der Erwartung an die topfebenen Weiten des Oderbruchs, das in Brandenburg einen großen Teil des Flusslaufs begleitet. Dabei bindet es fast liebevoll die ziellosen Schlingen der Alten Oder ein, deren Regelmäßigkeit dem Spiel eines sechswöchigen Kätzchens ähnelt. Diese alleenreiche Ebene mit ihrer sagenhaft schwarzen Ackerkrume gibt es, ausführlich sogar, doch dem gegenüber stehen spontan erwachsende und schroffe Höhenzüge, die mit ihren Tälern, Steilhängen und ihren blumenreichen Wiesen immer wieder und völlig zu Recht ans Mittelgebirge erinnern. Dabei sind es nur vereinzelte Stellen, die die Hundert-Meter-Marke knacken.

Obsthang am Bruch, bei Wüste Kunersdorf

Im Süden des Oderbruchs liegt Lebus. Ein faszinierender Ort, der bei jedem Besuch aufs Neue überrascht, wenn man sich ein wenig treiben lässt. Bis im 13. Jahrhundert als gezielte Konkurrenz die Stadt Frankfurt gegründet wurde, gab es keine wichtigere Stadt im großen Umkreis, der noch heute „Land Lebus“ genannt wird.

Neben gemütlichen Straßen und Gassen existiert zwischen Kirche und Burghöhe ein unvergleichliches Geflecht von Wegen, auf die sich in Flutzeiten ausweichen lässt. Mittlerweile können sie als touristisches Alleinstellungsmerkmal betrachtet werden – das Ergründen dieser schmalen Wiesenpfade ist von speziellem Zauber, nicht zuletzt der Aussichten wegen. Auf Augenhöhe mit dem Kirchturm reicht der Blick über die Oder mit ihrer hakeligen Uferlinie weit hinein ins Nachbarland.

Vorgefundene Accessoires bei den Obstwiesen

Nördlich von Lebus beginnt es dann, das platte Oderbruch. Doch die flussüberragende Höhe, auf der die Stadt einst gegründet wurde, setzt sich als Reitweiner Sporn bis nach Reitwein fort und tut das sehr markant. Vor dem Dorf legt sie eine Art Vollbremsung hin, fällt spontan ab und erreicht bei einer silhouettendienlichen Schinkel-Kirchruine den Reitweiner Ortsrand. Ab dort geht das Oderbruch auf volle Breite und wird im Westen erst von der Moränenkante begrenzt, zu der die Seelower Höhen zählen. Weiter nördlich übernehmen das die kleinen Schweizen rund um Bad Freienwalde sowie die große Oderinsel, die seinerzeit zwischen altem und neuem Oderlauf entstand. Südlich von Lebus reicht dieselbe hohe Kante fast hinein bis Frankfurt und sorgt dort für ein kurioses Stadtbild, wo sich Plattenbauten wie agile Wellenreiter geben.

Mühlteich, bei Bruckmühle

Lebus

Beim Meisterbäcker Falk in Lebus ist noch ziemlich reges Treiben, obwohl sich die Öffnungszeiten anderer Läden schon ins Wochenende zurücklehnen. Jeder, der reinkommt und was kauft, nimmt auch mindestens eine Tüte Kekse mit. Das können wir nicht auf uns sitzen lassen, tun es auch so und probieren. Und kaufen gleich noch eine nach.

Vom zentralen Kreisverkehr am gut erhaltenen Kulturhaus ist es knapp ein Kilometer bis zur alten Bahntrasse, die kaum noch zu erkennen ist. Noch vor zwanzig Jahren fuhren hier Züge, die von Küstrin kamen oder von Frankfurt. Stille Straßen führen zum Ortsrand, und dreht man sich zwei Minuten später nochmal um, wirkt es unwahrscheinlich, dass dort ein größerer Ort liegen soll.

Ausgelatschte Stiege auf die Aussichtsplattform, Oberkante Adonishänge

Voraus erstreckt sich breit und unter dunklen Wolkenbändern die wellige Landschaft, entfernte Türme zeugen von der großen Nachbarstadt. Überall ist Platz und Weite. Ein kleiner Abstieg führt hinab ins Tal der Mühlengrabens, das fast platzt vor üppigem Grün. Das ist ein Charakterzug dieses rekordnassen Sommers, der alles Wachstum ins Uferlose trieb. Die Holunderbüsche hängen so voll mit extradicken Früchten, dass man an einem einzigen die Tüten vollbekommen würde, die man gerade selbst noch transportieren kann.

Blick von den Aussichtsbänken auf Frankfurt

Am Mühlengraben treffen ein hochbeiniges Eisenbahn-Viadukt, liebliche Obstwiesen und ein hochstämmiger Bruchwald aufeinander und sorgen nicht nur zur Dämmerstunde für eine Stimmung, die man Caspar David Friedrich guten Gewissens hätte anbieten können. War die Obstwiese erst noch flach, erklimmt sie hinterm Viadukt einen sanften Hang und taugt gemeinsam mit dem Weg anstandslos als Märchenfilm-Kulisse. Nach einer schönen Sonnenbank und noch vor der Straße ruht rechts ein stiller Angelteich, dessen romantisch gelegener Auslass das goldene Wasser des bruchgefilterten Mühlengrabens angemessen inszeniert.

Am oberen Hangweg, mit blühenden Herbstwiesen

Adonishänge

Einen Bruchwald später beginnt mit einer urigen Stiege der Aufstieg auf die Wiesenkante oberhalb der Adonishänge. Die folgende Viertelstunde ist gut geeignet zum anhaltenden Staunen – es ist eine der sagenhaftesten Stellen auf den Oderhöhen, zudem so dicht am breiten Fluss wie selten sonst. Die Hänge hier sind weithin bekannt, da sie besonders reich sind an Frühlings-Adonisröschen. Wenn diese wirklich wunderschönen Blumen blühen, wechseln die Busse auf dem Parkplatz in kurzen Abständen. Ganz abgesehen vom goldglänzenden Frühlings-Spektakel, das deutschlandweit seinesgleichen sucht, wohnt dem Zusammenspiel von steilem Hang und wilder Oderaue eine zurückgenommene Dramatik inne – das ganze Jahr über und natürlich ganz besonders, wenn das Licht für Stimmung sorgt.

Strand an der Alten Oder, bei Lebus

Am oberen Ende der Kante stehen auf einer kleinen Plattform drei Bänke, die einen hinreißenden Blick anbieten – die Skyline von Frankfurt, präsentiert hinter einer weiten Oderkurve. Die Farbe des träge bewegten Wasserspiegels wechselt in Minuten von flüssigem Silber zu mattem Titanium, von intensivem Blau zu kurz vor schwarz.

Hat man sich davon losgerissen, beginnt dieser herrliche Weg direkt oberhalb der Steilkante. Selbst jetzt im spätsommerlichen Frühherbst sind hier die Wiesen noch bunt und prächtig, und wieder kommt das Mittelgebirge in den Sinn. Auf fünfzig Meter über Null. Einige der Blüten und Rispen hinterlassen Fragezeichen selbst bei Versierten.

Kietzer Straße, Lebus

Ganz zuletzt ist im Norden durch eine Baumlücke der eindrucksvolle Reitweiner Sporn zu erahnen. Kurz darauf der Einschlupf in den Abstieg lässt bis zum letzten Meter daran zweifeln, dass es wirklich hier hinabgeht, man nicht zurück zur Treppe muss. Unten ist der Weg dann breit und grasig und flankiert bald einen dickköpfig wirkenden, enorm steilen Hang. Noch etwas tiefer streift er schließlich als idyllischer Pfad ein Strändlein, bevor an einem der nagelneuen Grenzpfeiler das erste Haus in Sicht kommt.

Hochwasserpfad oberhalb des Ortes

Lebus

Im Ort sind alle Straßen im Einzugsbereich möglicher Hochwässer gepflastert und damit schön und dauerhaft zugleich. Der Blick die Kietzer Straße entlang beruhigt, nicht zuletzt auch deswegen, weil hier zwei gemütliche und reizvolle Möglichkeiten liegen, Hunger oder Durst zu stillen. Das passt mehr als gut, denn irgendwie sind wir heute eher hungrig als sonst – wohl der Bergluft wegen.

Odersträndchen

Eine erste Kostprobe der schönen Hochwasserpfade genehmigen wir uns als luftiges Kompott und genießen von oben den Blick der Blicke in Lebus, direkt oberhalb der Kirche. Alle Pfade sind frisch gemäht, auch die Gebüsche am Hang, und haben verlassene Häuser von Weinbergschnecken freigelegt. Diese architektonischen Meisterwerke sind als Dauersuchauftrag schon seit einem Jahr dabei, für eine früher mal gesehene schöne Weihnachtsbastelei. Am Ende klappern zwei Dutzend hohle Wendeln in der Sammeltüte – mit und ohne Erde, von blassweiß-filigran bis eichenbraun und rustikal. Und auf jeden Fall verlassen.

Lebus im Busch

Entlang vorabendlich duftender Hänge mit Robinien, dichtem Buschwerk und viel Hopfen nehmen wir noch ein schönes Seitental mit und ziehen dann vorbei an Lebus im Busch zum südlichen Rand des Oderbruchs. Landen prompt auf einer dieser endlos geraden Straßen, die vielleicht ein Alter Fritz mal abgesegnet hatte. Links liegt mal ein kleines Bruch oder eine weite Wiese, rechts dafür dann ein Gehöft mit Blick zum Oderdeich. Von hinten rauscht routiniert ein entspannter Skater heran auf diesen extragroßen Rollen, die überhaupt nicht wendig sind, doch dafür extraschnell. Und ist schon bald nicht mehr zu sehen, trotz schnurgerader Straße.

Wassergewirr in den Auen der Alten Oder

An einem hundert Meter langen Quader aus Strohblöcken biegen alle ab, die angeln wollen, ihre Ruhe haben oder beides. Wo die Zufahrt endet, beginnt hinterm Deich ein krautiger Weg direkt in die Oderaue, der sich trotz gewissem Risiko auf Weidezäune zu gehen lohnt. Immer geradeaus landet man mitten in der Oder, auf einem dieser Uferhaken, die auf schwerem Steinwerk ruhen. In Richtung Norden sorgt die Gegenströmung dieser Buchten für hübsche kleine Strände, an denen sicherlich auch ein zwei Körnchen aus dem fernen Tschechien liegen. Wenn das Wetter stimmt, der Himmel blau ist und das Oderwasser duftet, ist ein Bad hier ein Genuss – dabei ist keinesfalls die Strömung zu unterschätzen. Ansonsten lässt man sich einfach in den tiefen Sand fallen, kippt nach hinten um und genießt den Blick in den Himmel zu den Klängen, die der Wind so rüberweht. Jetzt gerade sind das die rauschenden Pappeln in den Auen, flussaufwärts blökende Schafe aller Stimmlagen und ein Angler, der seinen Anglerkram auspackt, mit schnappenden Verschlüssen.

Einer der Blicke auf Lebus

Heute erwischt es uns mit Weidezäunen, doch das ist einzusehen. Auch hier ist alles Grüne explodiert, und so haben die Schafe intensiv damit zu tun, der Sache Herr zu werden. Nur kurz werden wir fixiert von knapp dreihundert Augen.  Also zurück zum Deich und dann von hinten nochmal in die Auen rein, die hier durchzogen sind von stillen Buchten und frei geformten Nebenbecken. Drei Schwäne fliegen hin zum Fluss, synchron in allen Dingen und mit dem typischen Geräusch.

Nach den krautigen Wegen ist es jetzt regelrecht entspannt auf der asphaltglatten Deichkrone. Voraus präsentiert sich Lebus hinter immer neuen Variationen aus Oderspiegelwasser und Auenbäumen und macht den gekrümmten Weg zu einem Genuss von milder Spannung. Wuchtige weiße Kühe malmen ihr frisch Gerupftes, alle mit gehörnten Häuptern. Das verdoppelt den Respekt. Der Hirte dreht seine Abendrunde mit dem Jeep.

Abendblick aufs weite Nachbarland

Nach einer letzten Rast am leicht martialischen kleinen Oderhafen steigen wir noch einmal in die Flanke und stoßen per Zufall auf wieder neue Schleichwege und Pfade unterm Schlossberg. Ein kleines Motorboot arbeitet sich gegen die Strömung in Richtung Frankfurt und schafft mit der endlosen polnischen Weite, dem matt glänzenden Oderstrom und dem schwindenden Licht ein Feierabendbild, das innerlich zutiefst beruhigt.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): in der Woche mehrere Verbindungen, mehrfache Umstiege (2,25-2,5 Std.), am Wochenende nur wenige Verbindungen; insgesamt wenig praktikabel

Anfahrt Pkw (von Berlin): über Land (B1/B5 etc.) oder über A12 (jeweils ca. 1,25-1,5 Std.)

Länge der Tour: ca. 19 km, Abkürzungen sehr gut möglich

 

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

 

Links:

Tourist-Information Lebuser Land

Adonisblüte bei Lebus

Informationen zu Lebus

 

Einkehr: Oderblick (unterhalb der Kirche, gute Küche, freundlich, drinnen und draußen schön, direkt am Fluss)
Anglerheim (am nördlichen Ortsrand, sehr gemütlich, drinnen und draußen schön, gute Küche, freundlich, mit Oderblick)

 

Röddelin: Drei Gipfel, zwei Esel und der Besuch bei Tante Erika

Der letzte eigentliche Sommermonat geht in sein Finale, begleitet von so manchen dickbäuchigen, ausdauernden Schwalben und ein paar zeitlich verirrten Meisen, die hier und da irritiert ein Frühlingstönchen rauspiepsen. Souveräner agieren da schon die Krähen, die kühldunstige Morgenluft wittern und von Woche zu Woche mehr Präsenz zeigen über den Äckern und in den Wipfeln. Dass die Schwalben so korpulent sind, liegt wohl am Überangebot draller Mückenleiber, und dass sie überhaupt noch hier sind wohl daran, dass sie für den anstehenden Interkontinentalflug schlichtweg abspecken müssen, damit nötige Reserven und Fluggewicht sinnvoll die Waage finden. Die ersten Gänseschwärme jedenfalls üben schon für langstreckentaugliche Formationen, fürs erste in beliebigen Himmelsrichtungen.

Tief in der südlichen Kleinem Schorfheide

Auf dem Terminplaner für kleine und große Naturereignisse sollte dieser Tage die Erinnerung an die Heideblüte aufploppen. Die hat in diesem Jahr mehr als pünktlich begonnen – anscheinend gab all das Himmelswasser auch diesem Trockenspezialisten mehr Kraft und Tempo. Wer ansonsten in Brandenburg auf Nummer sicher gehen will, wartet in der Regel bis in den September, doch dieses Jahr darf es etwas früher sein.

Was die gepanzerten Heere des Ostblocks in vielen Regionen hinterlassen haben, ist nach mehreren Jahrzehnten und aufwändigen Beräumungsmaßnahmen zu Naturparadiesen ganz besonderer Art gewachsen. Während die Lüneburger Heide eine Art natürliche Kulturlandschaft ist, die unter dem großen Appetit vieler Weidetiere entstand, wurden Gebiete wie diese per Maschinenkraft weitgehend kahlrasiert und plattgemacht, damit ein freies Schussfeld gegeben war. Nach dem Ende von vielzylindrigem Motorengebrüll und verschossener Munition jeglicher Größenordnung blieb erst einmal wüste Weite, viel Schutt und Schrott – und eine große Ruhe. Nur die Anspruchslosesten konnten im narbigen Gelände Fuß fassen und es schließlich zurückerobern, der Landschaft wieder zu einem Gesicht verhelfen. Zu ihnen gehört neben genügsamen Kiefern und schnellwachsenden Birken eben das robuste Heidekraut.

Zustieg zum Gipfel bei Hohenfelde

Da es eine ganze Reihe solcher Flächen gab, ist die Auswahl groß und die Richtung der Anreise frei wählbar. Besonders weitläufig und dadurch eindrucksvoll ist die ferne Reicherskreuzer Heide unweit von Neuzelle, besonders stadtnah und vielfältig die Schönower Heide, die über Bernau per S-Bahn zu erreichen ist und allerlei Tiere beherbergt. Wer in diesem Sinne immer schon mal die Sielmann-Naturlandschaft Döberitzer Heide erkunden wollte, kommt dorthin recht bequem mit der Regionalbahn. Auch der passende Bahnhof Dallgow-Döberitz liegt noch im C-Bereich. Große Vorkommen von Erika hat auch die havelnahe Himmelpforter Heide mit der Kleinen Schorfheide. Letztere lässt sich über das schöne Städtchen Templin erreichen.

Templin

Die relativ übersichtliche, dennoch ausgedehnte Heidelandschaft zwischen dem Großen Beutelsee, der Havel und der havelstrebigen Templiner Seenkette ist zudem eine schöne Gelegenheit, dem zauberhaften Templin einen oder zwei Besuche abzustatten – wahlweise vor oder nach der Tour oder beides. Wer die Stadt noch nicht kennt, hat eine ganz besonders schöne Entdeckung vor sich. Innerhalb der gut erhaltenen Stadtmauer mit ihren Toren lässt sich Templin mit Pflaster unter den Schuhen einmal komplett umrunden – ein Genuss von circa einer halben Stunde. Und wer bisher nur innerhalb dieser Mauern unterwegs war, kann auch jenseits des betagten Walls viel Schönes finden, zum Beispiel auf dem Spazierweg entlang des Templiner Kanals zum Bahnhof.

Über den Dächern von Röddelin

Röddelin

Von Templin ist es nicht weit nach Röddelin, auf dem Märkischen Landweg etwa eine Stunde, mit dem Auto nur ein paar Minuten. Ein schönes, aufgeräumt wirkendes Dorf, in dem ein halbjahrhundertalter zweisprachiger Wegweiser noch an Zeiten erinnert, als die russische Sprache hier eine Rolle spielte. Davon unbeeindruckt steht die kleine Kirche auf dem Wiesenanger. Jede ihrer Türen wurde vor Kurzem frisch gestrichen, und so vermischt sich dieser durchaus angenehme Geruch mit dem typischen Duft alter Feldsteinkirchen, für den wohl grobe Steinböden, betagtes Gebälk und alte Kirchenbänke verantwortlich sind. Der Innenraum ist fast quadratisch und wie die Türen in zarten Blautönen gehalten, unter den Himmel duckt sich eine winzig kleine Orgel. Sie duckt sich wirklich. Trotz eines offenstehenden Fenster es ist so still, wie es nur in solchen Kirchenräumen sein kann.

Ganz am Ende der Straße locken die Seeterrassen zur ersten Pause, doch die Lust auf Landschaft und der Bewegungsdrang sind stärker. Mit Blick über die Dächer geht es schön hinab ins Dorf, wo der Blick in herrlichen Vorgärten hängenbleibt. Jemand hat seiner Familie und sich und sicher auch dem Kind in sich ein farbenfreudiges Domizil geschaffen, das sämtlichen wildromantischen Traumbildern vom wonnigen Landleben gerecht wird, mit Herz und noch mehr Seele. Da fehlt auch nicht der krumme Lattenzaun oder das Baumhaus hoch im Wipfel mit Hängebrücke in den nächsten. Ein Ferienkind aus der Stadt trödelt mit seiner entsicherten Angelrute über die Dorfstraße hin zum kleinen Bach, und ein Papa fährt mit seinem Steppke eine Runde auf dem Chopper, nicht langsam und nicht schnell und selbstverständlich ohne Helm. Vom Sozius strahlt es.

Zwei Esel im Bild, Schleuse Kannenburg

Hohenfelde

Vom Dorfrand führt ein gemütlicher Sandweg hinauf zu den Häusern von Hohenfelde, die nah am höchsten Punkt einer Art Insel liegen. Um von oben die Insellage zu erkennen, sind die Grüngürtel der umgebenden Seen hoch, doch allein das Wissen ist charmant und verhilft zu einem besonderen Gefühl. Wer eine Karte dabei hat, kann es noch verstärken. Eine alte Lindenallee führt von Hohenfelde zurück zum Hauptweg, der auf Höhe einer schönen Uferstelle die Insel verlässt. Ein paar Autos stehen hier, natürlich auch der obligatorische, untermotorisierte VW-Bus sowie zwei Zelte. Dahinter wechselt jetzt die Landschaft, die durchzogen ist von beschilderten Wanderwegen.

Wer es gar nicht erwarten kann, die ersten violett blühenden Rispen unter die Augen zu bekommen, kann auf den nächsten Parallelweg wechseln, der dem Rand des Truppenübungsplatzes folgt. Hier sieht es aus, wie es aussehen soll und eben so aussieht an solchen Plätzen. Ein sandiger Weg mit etwas struppig trockenem Narbengras, drumherum kleine Kiefern aller Größen und auch ein paar Birken, und schließlich hier und da ein Büschel Heidekraut, das selbst unterm Wolkenschatten etwas leuchtet. Von Steinwurf zu Steinwurf nimmt die Zahl und schließlich auch die Dichte dieser Büschel zu – und Heidesucher-Herzen fangen an zu traben.

Gepflegter Schweineacker mit Verschiedenaltrigen, Schleuse Kannenburg

Schleuse Kannenburg

Wieder im Wald und zurück auf dem Hauptweg verlockt bald der Abzweig zur Schleuse Kannenburg. Dort erhoffen wir ein windiges Rastbänkchen am Wasser, vielleicht mit Blick auf das Geschehen an der Schleuse. Stattdessen liegt da unten ein belebter Platz voller Wonne, mit entspannter Atmosphäre und der Option auf Ausschank und ein Mittagsmahl am Wasser. Die Schleuse mit ihrem weiten Wiesenareal taugt ganz allein als Ausflugsziel, wo sich problemlos Zeit verbringen lässt, viel Zeit. Gern auch ganz wörtlich und quasi maßlos in dem exklusiven Ferienhaus mit dem allereinzigsten Ausblick auf den Kleinen Lankensee. Gegenüber des ausgedehnten Schankgartens ruht ein wohlduftender und kühler Bruchwald, der für stetig frischen Mückennachschub sorgen sollte, doch davon ist die erste halbe Stunde nichts zu merken, danach auch nur ein wenig. Ist eben gut besucht, der Garten, so dass die Last verteilt wird.

Grüne Riviera, Schleuse Kannenburg

Mitten durch die vielen Tische, die teils weiß betucht zwischen mächtigen Erlenstämmen am Ufer stehen, spazieren zwei tiefenentspannte Eselchen, die am Grase zupfen hier und da und darauf achten, den anderen stets im Blick zu haben. Auch ein schwarzweißer Lumpi gehört zum Hof, scheint auch ohne Grasen genauso entspannt und streift zügig zwischen allen Tischen herum, ohne jemanden zu berühren. Etwas weiter hinten, gegenüber vom Biwakplatz und dem Spielplatz mit seinem bunten Fuhrpark, wird hinter groben Brettern ausgiebig rumgeferkelt. Auf einem gepflegten Schweineacker tummeln sich hier und da große und kleine Schweine in einem geordnetem Chaos. Dabei sind die Dimensionen der verschiedenen Tiere so unterschiedlich, dass vielfach unklar bleibt, wer Nachwuchs und wer Elternteil ist. Einzig der fordernde Zitzenandrang gestattet klare Unterscheidung.

Geschleust wird hier im reinen Handbetrieb von zwei kernigen Burschen mit leisem Humor, hinauf von Havel- auf Templin-Niveau oder umgekehrt. Ins Becken passt alles, was die märkische Freizeitschifffahrt so zu bieten hat – vom kleinen Faltboot oder Kajak über Motorbötchen bis hin zu großen Motorjachten oder den korpulenten Hausbooten, die ein kleiner Außenborder über den See schiebt. Die Uferseite lässt sich zu den Betriebszeiten der Schleuse wechseln, was von April bis November tagsüber der Fall ist.

Blick vom Aussichtspunkt auf dem alten Bunker, nahe der Havelkurve

Vom Wegekreuz oberhalb der Schleuse besteht die Option, dem Wanderweg zu folgen, man kann aber auch noch etwas oberhalb des Seeufers weiterspazieren. So oder so zeigen sich jetzt öfter und öfter Überreste aus der Zeit des Geschützdonners, sei es nun in Form verrottender Gemäuer oder geborstener Metallrohre. Das stört nicht groß, da die Natur schon weit damit ist, sich all das einzuverleiben. Wieder kommt breiteres Wasser in Sicht, jetzt wirklich die Havel, der wohl vielfältigste Fluss im Land Brandenburg, der mit den unterschiedlichsten Gestalten. Hier fließt sie still durch üppiges Grün und vermeidet über lange Passagen den direkten Weg.

Schleuse Schorfheide

Einige Zeit nach der Schleuse Schorfheide, die nach der Kannenburger regelrecht zurückhaltend wirkt, steht hoch über der Havel eine kleine Aussichtsbank, die es sogar schon ins Fernsehen geschafft hat. Derzeit lässt sich hier nur unentspannt rasten, da ein Stamm winziger Ameisen entschlossen sein Revier verteidigt. Besser ist da die halbzerfallene Bank auf der Betonglatze eines Bunkergewölbes oder der Rastplatz gleich unterhalb. Von oben bietet sich der wohl eindrucksvollste Ausblick über diese Heide.

Üppiger Heideweg in der südlichen Kleinen Schorfheide

Von der nächsten Bank fällt ein letzter Blick auf die Havel, die sich hier in einer noblen Kurve verabschiedet, und jetzt geht es in die Vollen. Die folgenden 500 Meter haben es wirklich in sich, besonders in diesem Jahr. Beidseitig des Weges mit seinen dicken Holzgeländern steht hier die Erika fast flächendeckend, teils bis auf Hüfthöhe. Links hat sich manche Kiefer durchgekämpft, doch rechts des Weges erstreckt sich eine violett-blaue Weite, die nur durch einzelnstehende alte Laubbäume oder schnelle Birklein unterbrochen wird.

Wolle und Kraut, Kleine Schorfheide

Wie auf Wunsch mischt sich unter das Blütenleuchten wolliges Weiß. Hunderte Schafe stehen weiter hinten und sind so beschäftigt mit ihrer Aufgabe, dass nicht ein Blöken oder Mähen zu vernehmen ist. Lauscht man genau hin, summiert sich hingegen das Geräusch des Rupfens. Und ist ähnlich laut wie die Summe der Flügelschläge aller sechsbeinigen Nektarsammlerinnen im Revier. Eine recht besondere Mischung – und eine still-vergnügte Art von rein tierischem Lärm.

Aussichtsbank auf dem dritten Gipfel, Kleine Schorfheide

Wer ab hier den markierten Wegen treu bleibt, hat keine unliebsamen Überraschungen zu befürchten. Von kreuz und querem Streifen durch die vorausliegende Heidefläche ist hingegen abzuraten, denn tiefenberäumt sind nur die Wanderwege. Abseits davon bleibt ein explosives Restrisiko. Nach einem ausladenden Bogen hin zum Großen Beutelsee gibt es von einer überdachten Hügelbank den zweiten Aussichtspunkt über die Weite. Nicht zu vergleichen mit der Aussicht von vorhin, dafür zum Sitzen weitaus schöner. Von hier führt der Weg durch vielfältigen Wald, hinter dem sich weite Wiesen öffnen. Große Müllcontainer stehen am Wegesrand, scheinbar mitten im Nichts, und weisen als einzige auf die Wochenendhäuser im Hintergrund hin.

Uferpfad mit Doppeltreppe hinauf zur Straße

Nach dem nächsten Waldstück zweigt ein winziger Pfad zum Ufer des Großen Mahlgastsees ab. Kein Weg für Sumo-Ringer, denn Breitbeinigkeit lässt diese zauberhaft verlaufende Trittspur nicht zu. Der Weg bleibt immer dicht am Ufer mit seinem breiten Schilfgürtel. Einige Stellen erlauben es, die Hände in das glasklare, weiche Seewasser zu tauchen und den Blick über den Wasserspiegel ans andere Ufer zu schicken.

Uferstelle am Großen Mahlgastsee

Vorbei an einer großzügigen Doppeltreppe wird es langsam lichter, bis man hinter einem Wiesenhang eine offene Uferstelle erreicht. An der nächsten Badestelle hat ein altes Paar gerade sein Abendbad beendet, so eins, das man eigentlich täglich nehmen müsste, wenn man nahe wohnt an einem solchen See. Ab hier ist der Weg wieder breit und nimmt noch ein abendlich ausatmendes Bruchwäldchen mit, während uns die beiden auf ihren Rädern überholen, mit der weichen glatten Haut, die so ein Badevorgang einbringt.

Ende des Uferpfades in Röddelin

Kurz vor Röddelin übernimmt wieder ein Pfad, mit Blick über das Dorf und einem hübschen Finale hinauf zur Dorfstraße. Wer nichts Besseres vorhat, sollte oben die Bank nutzen und den Tag mit Blick auf den Haussee ausklingen lassen. Eine bewirtschaftete Alternative gibt es am anderen Ende des Dorfes. Auf der Terrasse vor der baudenartigen Fassade ist es kein Problem, bei einem Getränk die Zeit ein wenig zu vergessen. Einen Sonnenuntergang wird man hier nie sehen, doch das übersichtliche Treiben auf dem gewundenen Röddelinsee mit dem kleinen Hafen gegenüber ist Zerstreuung zur Genüge, wenn man erstmal sitzt. Wer schon in Schweden paddelte, wird hier auf Gedanken-Parallelen stoßen, und je nach Wind schallt noch das Treiben einer Westernstadt über den See und lässt weiten Raum für vielfältige Bilder. Die Kunst wird sein, sich irgendwann zu lösen.

 

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): Regionalbahn von Berlin-Gesundbrunnen nach Templin (ca. 2 Std.), von Templin zu Fuß/mit Taxi/wochentags mit Bus

Anfahrt Pkw (von Berlin): über die Landstraße (ca. 1,25-1,5 Std.)

Länge der Tour: ca. 17 km (Abkürzungen möglich)

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Tourismusseite von Templin

Informationen zu Röddelin

Schleuse Kannenburg

Faltblatt „Kleine Schorfheide“ (PDF)

Einkehr: Kannenburger Schleuse (gute Küche, freundlich, großer Außenbereich am Wasser)

Pension Seeblick, Röddelin (schöner Blick von der Terrasse)

AKTUELLE INFORMATION (JANUAR 2018):

Die Schleuse Kannenburg ist für mindestens zwei Jahre geschlossen worden, da sie dringend saniert werden muss. Aus heutigem Blickwinkel ist es fraglich, ob das in absehbarer Zeit stattfinden wird. Bis dahin sind die Templiner Gewässer von der Havel abgeschnitten (siehe auch im Ticker).

Berliner Spaziergang: Kleine Großstadtwelten zwischen Grunewald und Tiergarten

Es ist Sommer in Berlin und Ferienzeit. Den Sommer merkt man nicht so sehr, da er in diesem Jahr auf der groben Klaviatur spielt. So eine, die eher mit kräftigen Faustunterseiten gespielt wird wie bei einem Carillon, das in Kirchtürmen Dutzende Glocken erklingen lässt. Solche Klangerscheinungen kennt man aus dem Tiergarten, wo unweit der Spree eines der weltgrößten Carillons der Welt steht, ganz losgelöst von einer Kirche. Das jüngste der Stadt im Turm der Parochialkirche nistet denkbar zentral direkt über dem letzten Rest der Berliner Stadtmauer. Im letzten Jahr wurde es nach 72 Jahren Pause eingeweiht und weht nun regelmäßig faustgetriebene Glockenklänge über das innerste Herz Berlins. Das im Tiergarten wurde übrigens vor dreißig Jahren errichtet, um dem an der Stadtmauer zu gedenken.

Am S-Bahnhof Grunewald

Doch zurück zum Sommer. Neben zartem Himmelsblau und vereinzelten Tagen der sommerlichen Milde werden der Stadt Gewitter um die Ohren gehauen, die man in der Häufung lange nicht mehr hatte. Dazu gibt es immer wieder Starkregen, der nur Minuten dauert, doch im Handumdrehen die Kanalisation füllt. Alle paar Tage ziehen zudem vorgezogene Herbststürme durch die wechselwarmen Häuserfluchten und Parks der Stadt. Im Großen und Ganzen ist das Hinundher aus all dem akzeptabel, doch mehrere Sommertage in Folge sind ganz klar die Ausnahme.

Dass Ferien sind, merkt man zum einen an weit weniger Menschen auf den Straßen und Gehwegen, zum anderen an den unzähligen Baustellen, die jeglichen Varianten der urbanen Fortbewegung gewichtige Kiesel in den Weg rollen, breitbeinig und allgegenwärtig. Auf den hervorgerufenen Umwegen berühren sowohl Gleisreisende als auch Autofahrer Stellen der Stadt, die noch nie oder lange nicht mehr gestreift wurden. Wer das eigene Wohnviertel verlassen möchte, ist also mit aktuellen Informationen gut beraten. Hoch lebe das Internet in der Hosentasche!

Am Hundekehlesee, Grunewald

Eine sichere und ruckelfreie Verbindung ist derzeit die S-Bahn-Linie 7, die von der Innenstadt nach Potsdam fährt. Entlang der zugehörigen Bahnhöfe lässt sich viel entdecken, bevorzugt natürlich an einem der mildsommerlichen Tage. Zum Beispiel auf dem Weg vom Grunewald zum Tiergarten, vom größten Waldgebiet im Westen Berlins hin zum größten Park derselben Stadthälfte. Dazwischen liegen verschiedenste Welten, die übervoll sein dürften von erzählten und unerzählten Anekdoten.

Grunewald

Der entzückende Vorplatz am S-Bahnhof Grunewald hat mit seinem betulichen, doch steten Kommen und Gehen viel von der Atmosphäre eines kleinen Hafens, wenn auch hier Doppeldeckerbusse ein- und auslaufen anstelle von Fährschiffen. Im Rücken rauscht über ein halbes Dutzend Gleise und sechs AVUS-Spuren der eilige Verkehr, doch das wird automatisch ausgeblendet, wenn man hier ein schönes Plätzchen gefunden hat. Während sich ein Dreiergespann von erzählfreudigen Schwestern scheinbar nach Jahren erstmals wiedersieht, macht ein historischer Bus die Biege und lässt sich minutenlang bestaunen. In Richtung Grunewald schweben Damen mit sündhaft teuren Windspielen an der Leine, denen sie in ihren eigenen Proportionen nachzueifern suchen. Ein wichtiger Herr führt am Nebentisch ein wichtiges Telefonat, nicht zu laut, doch laut genug, damit der Vorgang wahrgenommen wird.

Uferweg am Hubertussee

Direkt vor dem Bahnhof erinnert ein kleiner, dreieckiger Platz mit jungen Birken, grobem Schotter und alten Bahnschwellen an das Gleis 17, gleich das erste, wenn man reinkommt. Hier nahm im Zweiten Weltkrieg die Deportation deutscher Juden nach Osteuropa ihren Anfang, weitere Züge fuhren von Moabit und dem Anhalter Bahnhof ab. Das Mahnmal drängt sich nicht auf, ist jedoch eindringlich und hallt lange nach.

Bedenkt man, wie weit sich der Grunewald bis hin zur Havel erstreckt, ist es erstaunlich, dass der Bahnhof so gar nicht im Wald liegt, sondern die noblen Wohnlagen des gleichnamigen Ortsteils unmittelbar am Vorplatz in die Vollen gehen.

Baumarkt-Fassade, S-Bhf. Halensee

Der Bahntrasse folgend taucht schon nach wenigen Metern ein Weg hinab in dichtes Ufergrün. Der Hundekehlesee mit seinem breiten Uferweg liegt am Rand des östlichen Grunewaldes und eröffnet die Seenkette, zu der auch die Krumme Lanke und der Schlachtensee gehören. Am Gegenufer thronen herrschaftliche Villen, distanziert und erfolgreich um Mondänität bemüht.

Die Lücke zum nächsten See wird vom Hundekehlefenn ausgefüllt, dessen Wasserlauf breit und kurschattig unter alten Laubbäumen dahintrödelt, verträumt und unentschlossen. Das Ufer lädt ein zu einem Päuschen, die Mücken nicht, also weiter. Aus der Senke führen lange Stufen hinauf ins Villenviertel, dessen Straßen einem unklaren Prinzip folgend nach Komponisten, Nichtkomponisten und auch Malern benannt sind.

Blick auf den S-Bahn-Ring bei Halensee

In den nächsten Viertelstunden lässt sich nun verschiedenste Architektur von Fachwerk bis Jugendstil oder freier Märchenlust bestaunen, oft umgeben von ausufernden Gärten mit historischen Pflanzenbeständen. Neben schönen alten Villen stehen teure neue Villen und unterstreichen, dass sich über Geschmack nicht streiten lässt. In einigen Fällen gehen Finanzkraft und Geschmack bester Dinge Hand in Hand und zeigen, dass auch das heute möglich ist. Zwischendurch kauert immer mal wieder so ein quaderförmiger Wohnbau, zweckdienlich und frei von jeglichem Zierrat oder Renommé, der vermutlich eine kriegsbedingte Lücke füllt. Das wirkt jedes Mal ein wenig kurios, insbesondere wenn direkt gegenüber ein Anwesen im Schlossformat ruht. Auf einem dreieckigen Platz bemüht sich die Grunewaldkirche um etwas Kiezbildung.

Lietzensee

Kurz darauf steigt noch vor der Bismarckbrücke ein Spazierweg hinab zum Hubertussee. Vom urigen Uferpfad bieten sich schöne Blicke über den schmalen See mit seinem Inselchen. Vom anderen Gegenufer führen erneut Stufen hinauf zu den Häusern, und auch hier setzt sich die kuriose Mischung aus Noblesse und Zweckbau fort. Da und dort weist eine Flagge auf die Botschaft eines fernen Staates hin.

Kurz hinterm Bismarckplatz geht der abrupteste Szenenwechsel dieser Tour über die Bühne. Mit dem bronzenen Reichskanzler im Rücken landet man von jetzt auf gleich in tosendem Straßen-Rauschen und überquert auf einem Fußgängersteg die niemals ruhende Stadtautobahn, fast in Wurfweite zum Funkturm. Befindet sich zwei Minuten später an dem Ende des Kudamms, zu dem es wohl nur die Tapfersten unter den Touristen schaffen. Denn von der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche bis zu den einbetonierten Cadillacs sind es endlose dreieinhalb Kilometer, denen zum Ende hin zudem die touristische Attraktivität ausgeht. Die Stirn des Kudamms ist hier zerfurcht und trocken, der Abschnitt kernig und eher für die Berliner aus dem Viertel hier.

Im Lietzenseepark

Halensee

Nach der wohl elegantesten Baumarkt-Front des Landes mit ihren schönen Spiegelspielen überquert man den S-Bahn-Ring am Bahnhof Halensee. Noch vor wenigen Jahren streckte sich dort unten ein alter Güterbahnhof mit vielen Verladehallen und Handelszweigen sowie dubiosen Winkeln und Rolltoren. Anstatt dessen gibt jetzt eine lange Aluminium-Fassade, die ihr Angesicht von Stunde zu Stunde wechselt und darüber hinaus den Augen kleine Rätsel stellt.

Am Ende der Brücke bekommt man gleich links gegenüber im Café Eisgrün Kaffeevariationen und Eis von allerbester Qualität und kann sich auf einem der vielen schönen Plätze dem frisch verdienten Müßiggang hingeben, Leute gucken und dabei genießen. Die seltener werdende Chance, auf echte alte Berliner zu treffen, mit verschiedensten Furchen aus dem 20. Jahrhundert im Gesicht, steht hier ganz gut.

Sophie-Charlotte-Platz

Vom Ende der Ringbahnstraße sind es im Spatzenmodus keine 400 Meter bis zum Lietzensee mit seinem Uferpark, doch dazwischen liegt als undurchdringlicher Großstadt-Dschungel das von Schienenstahl durchflochtene Westkreuz mit seinen zahllosen lebendigen und toten Gleisen. Gut dran ist, wer weiß, wo sich welches davon über- oder unterqueren lässt. Möglich ist das nur auf dem verschlungenen Weg, der durch stark fragmentierte Kleingartensiedlungen führt, doch gewöhnlichen Durchreisenden macht ein solides Tor einen Strich durch die Rechnung. Also außen herum, wobei sich die Holtzendorffstraße als kleiner Problemlöser erweist und in einem Ritt vier Schienenstränge unterquert. Wer am Ende der Rönnestraße Hunger verspürt und ein noch solideres, fast einschüchterndes Tor unverschlossen antrifft, kann den Schildern bis zum Vereinsheim folgen. Dort lässt sich zur Klangkulisse des direkt benachbarten S-Bahnhofs Westkreuz ein schönes Biergärtchen nutzen. Wieder heraus geht es auf demselben Weg, und nur auf diesem.

In der Schlossstraße kurz vor dem Schloss

Schräg gegenüber des Tores beginnt unvermittelt der zwiegeteilte Lietzenseepark mit seinen alten Bäumen, den südlichen Eingang feierlich inszeniert mit Pergolen und gestuften Bassins. Die Stimmung ist entspannt, reichlich Platz vorhanden, und es gibt gleichermaßen sonnige Uferstellen und schattige Bänke auf dem leicht erhabenen Weg im Hintergrund. Die ausladenden Baumkronen und das Ufer, Gärten mit weiteren Pergolen sowie aufeinander abgestimmte Freitreppen und Wasserbecken sorgen für die Anmutung eines Kurparkes, die sich auch durch den dominanten Plattenbau zwischen all den edlen Bürgerhäusern nicht stören lässt.

Nördlich der Kantstraße wird es dann voller und auch bunter. Das schöne Parkwächterhaus stand lange leer, jetzt ist es von neuem Leben erfüllt, ein Café hier schon in Betrieb. Gegenüber das Bootshaus lockt mit seiner idyllischen Terrasse, und am jenseitigen Ufer des lärmigen Kaiserdamms wartet als sympathischer Gegenentwurf schon die nächste Eis-Versuchung, der man an heißen Tagen ruhig nachgehen sollte.

Im Schlosspark Charlottenburg

Nach dem Streifen des Sophie-Charlotte-Platzes schlummert an einem kleinen Seitenschlenker der versteckte und geheimnisvoll wirkende Schusteruhspark, der neben seinem eigenartigen Namen über eine Vielzahl markanter Leuchter verfügt. Kurz darauf bietet die Schloßstraße die wohl schönste Option, sich der prächtigen Anlage von Schloss Charlottenburg zu nähern, vor dem diverse hohenzollersche Fritzen aufgesockelt und patiniert in den Tag stieren. Mindestens sechs voneinander unabhängige weiße Bräute aus mehreren Kulturkreisen schweben scheinbar ganglos und mit vollem Gefolge von hier nach dort, um die schönste Fotokulisse zu finden. Sie haben es gut getroffen mit diesem kühlen, doch sonnigen Tag, der umgeben ist von eher durchwachsenen.

Blickachse zum Schloss, Charlottenburg

Schlosspark Charlottenburg

Wer noch nie so richtig oder lange nicht mehr in diesem Schlosspark war, dem wird an vielen Stellen das Wort Sanssouci durch den Kopf geistern. Die verschiedenen Gärten ergeben eine schöne Gesamtstimmung, und das obligatorische Baugerüst können Fotografen mit Fontänen oder Bäumen passabel kaschieren. Jeder Parkbesucher wird wenigstens einmal vor der Fontäne im französischen Park stehen. Jenseits der Ufertreppe geht dieser fließend in den englischen Parkteil über, der reich ist an Brücklein und in dem man sich auf längere Zeit verlieren oder ein stilles Plätzchen finden kann. Charmant ist dabei der Umstand, dass all die Seen und Wasserläufe direkt von der Spree gespeist werden, die den Park begleitet und beinahe das Schloss berührt.

Spreeufer am Schlosspark, Charlottenburg

Jenseits der Schlossbrücke haben beide Ufer schöne Wege und präsentieren den Fluss im besten westberliner Kurvenreichtum. Wer sich direkt am Ufer in einen Liegestuhl hängen will, muss dafür nicht bis zum Hauptbahnhof, sondern kann es gleich unterhalb der Caprivibrücke tun. Hier beginnt der architektonisch eindrucksvolle Komplex des Heizkraftwerkes Charlottenburg, in dessen Historie die Firma Siemens eine große Rolle spielt. Vom unerwartet holzbeplankten Siemenssteg mit seinem aufwändigen Stahlfachwerk bieten sich daher interessante Perspektiven auf verschiedenste Fassaden.

Alt-Lietzow

Vorbei an Alt-Lietzow, dem sein Dorfcharakter abhanden gekommen ist, trifft man auf die Otto-Suhr-Allee, einen der fünf Strahlen des Großen Sterns. Gleich dahinter beginnt die Krumme Straße mit ein paar Impressionen, die einen für Sekunden in Zilles Zeit zurückversetzen, bevor die Deutsche Oper einen harten Schnitt in jüngere Jahrzehnte vollzieht. Der spröde Quader wirkt heute noch erstaunlich neuzeitlich – obwohl er bald sechzig Jahre auf dem Beton-Buckel hat.

Blick von der Caprivibrücke auf die Spree

Charlottenburg

Hinter der Bismarckstraße, einem weiteren der Strahlen, geht es nun hinein ins lebendige und in jeder Hinsicht gut durchmischte Charlottenburg. Zwischen Kant-, Pestalozzi- und Goethestraße locken unzählige Läden mit Schaufenstern, an denen man sich gerne festguckt, dazu gibt es eine vielfältige Kneipen- und Cafédichte, die es auf wenigen hundert Metern fast auf ein Dutzend Italiener bringt, ein jeder anders als der andere. Mittendrin liegt wuselig und bunt, vielfältig und rau die Wilmersdorfer Straße, einst ein Inbegriff für Einkaufsstraßen in Berlin. Aus heutiger Sicht wirkt die Fußgängerzone in der Stadt der hundert Einkaufspassagen wie ein rührendes Relikt, das genau so in jeder beliebigen Mittelstadt des Landes liegen könnte. Gut bummeln lässt es sich hier nach wie vor – mit dem gewaltigen Vorteil frischer Stadtluft beim Wechsel von einem Geschäft zum anderen.

Siemenssteg bei Alt-Lietzow

Savignyplatz

Auf dem Weg zum Savignyplatz werden einige Straßen gequert, auch diese benannt nach geistigen Multi-Talenten. Der zauberhafte Platz ist vielen Berlinern eher bekannt als Sawicknie-Platz oder bestensfalls Sawingnie-Platz und hat damit ein ähnliches Schicksal zu schultern wie zum Beispiel die Biezett-Straße in Weißensee oder die Schohdowiggi-Straße im Prenzlauer Berg. Das dürfte ihn jedoch kaum stören, denn mit einem Alter von über 150 Jahren, einer ganz besonderen Ausstrahlung zu allen Tageszeiten sowie dem Einmünden von sieben Straßen verfügt er wohl über ausreichend Gelassenheit in solchen Dingen. Zwei Knaben mit zwei widerborstigen Ziegenböcken streben hier seit langem aufeinander zu, umgeben von zahlreichen Sitzbänken und Pergolen. Besonders eindrucksvoll und sehr markant sind die vier stämmigen Platanen auf den Ecken des Platzes, die historischen Fotografien gemäß noch gar nicht so sehr alt sein können.

Die Wilmersdorfer Straße, Charlottenburg

Sein besonderes Flair verdankt der Platz maßgeblich auch der Passage an den S-Bahn-Bögen, die insbesondere zwischen den Dämmerungen ihren Charme verstrahlt. Leider sind einige der zahlreichen Bars der alten Schule vergleichsweise trivialen Geschäften und Standard-Cafés gewichen, doch der verbleibende Rest ist noch ausreichend. Gleich um die Ecke liegt in der Bleibtreustraße der Zillemarkt, eine zünftige Wirtschaft, die zwar nicht ganz billig ist, doch auch in eine eigene Welt entführt, eine ganz andere.

Eleganter Panther in der Pestalozzistraße

Zum Verlassen des achtstrahligen Platzes wählen wir mit der Kantstraße die breiteste von allen. Gleich an der nächsten Ecke residiert das Stilwerk, ein kaufhausartiger Verbund von Läden, die Waren fern der Stange anbieten, für Leute, die gern ihr Geld für Individuelles investieren. Ein Blick hinein lohnt sich auf jeden Fall, sei es zum Staunen, dem Einfangen von Anregungen für die eigene Kreativität oder für das unvernünftige Erfüllen eines unanständigen Wünschleins. Damit man vielleicht doch noch mal drüber schläft, sollte mitgeführtes Plastikgeld zum Tabu erhoben werden, mit großer innerer Stärke. Ein Selbsttest, der es in sich hat. Als kleiner Trost: „die guten Dinge“ gibt es jetzt woanders. Nur ein paar Ecken weiter …

Einer von zwei Ziegenböcken auf dem Savignyplatz, Charlottenburg

Bahnhof Zoo

Spätestens hinter dem Delphi-Kino und dem Theater des Westens hat einen dann der Einzugsbereich des Bahnhofs Zoo, mit allen seinen Klischees, seiner zugigen Ungemütlichkeit und den vielen herrlichen Erlebnissen, die fast jeder Berliner mit diesem Ort verbinden wird. Auf der Joachimsthaler wird so intensiv gebaut, dass selbst Fußgänger umgeleitet werden. Somit erfahren wir beim Gang durch den Yva-Bogen brühwarm, dass die Yorck-Gruppe bald ein neues Kino hier eröffnen wird, das Delphi Lux. Das ist eine erfreuliche Nachricht, wo doch mit dem Gloria-Palast gerade eins der großen alten Lichtspielhäuser abgerissen wurde, für ein weiteres graues Geschäftshaus. Als nette Referenz werden einige der Leuchter aus dem alten Gloria-Palast in einem der neuen Säle ihren Dienst verrichten, was den Beinamen des neuen Kinos direkt aufgreift.

Abendlicht im Schleusenkrug am Großen Tiergarten

Die wiederbelebten Zoo-Terrassen und der ewigwährende Ulrich-Markt, die hundert Bussteige und das frisch sanierte Löwentor befeuern noch die aufploppenden Erinnerungen. Davon abgesehen fällt spontan auf, dass die Beine lang schon müde sind, die Zunge trocken unterm Gaumen liegt und es höchste Zeit wird für eine letzte ausgedehnte Pause. Vom breiten Spazierweg zum Großen Tiergarten lassen sich auf Zehenspitzen noch ein paar Blicke erhaschen auf Huftiere und solche mit Flügeln, und dann ist der Schleusenkrug erreicht, der schon die Luft atmet von großem Park und Wasser.

Blick aus der S-Bahn am Hauptbahnhof

Hier ist es eigentlich immer voll, und immer lässt sich doch ein Plätzchen finden, denn das kleine, abgestufte Gelände ist bemerkenswert ergiebig. Gleich Tisch No. 2 ist frei, die Schlange am Zapfhahn gerade kurz, und der souveräne Bursche hinterm Ausschank zapft simultan zwei schäumende Weizenbiere, eins aus der Flasche und eins aus dem Hahn. Die sind nach gut 30 Sekunden ziemlich gleichzeitig fertig, und so sitzen wir schon bald mit dem besten Blick, der das Treiben am Ausschank, an den vorderen Tischen und auf dem dauerbelebten Bahndamm vereint. Im Wissen um den Katzensprung zum nächsten S-Bahnhof, der noch das historische Laternenmuseum mitnimmt, geht eigentlich nichts mehr zu verbessern. Die Sonne sieht das anders und schenkt spendabel Gold am Himmel aus.

 

 

 

 

Anfahrt ÖPNV (von Berlin): mit der S-Bahn zum Bahnhof Grunewald

Anfahrt Pkw (von Berlin): nicht sinnvoll

Länge der Tour: ca. 20 km (alle paar Minuten Kontakt zum ÖPNV, daher beliebig abkürzbar)

Download der Wegpunkte
(mit rechter Maustaste anklicken/Speichern unter …)

Links:

Mahnmal Gleis 17 am Bhf. Grunewald

Lietzensee und Park

Parkhaus am Lietzensee

Schusteruhspark

Schloss Charlottenburg

Siemenssteg

Rund um den Savignyplatz

Neues Yorck-Kino Delphi Lux

Gaslaternen-Freilichtmuseum

Einkehr: ab Halensee in regelmäßigen Abständen